Neuendorf und Nowawes
Gemälde von Otto Thomasczek
Erläuterungen zu den Bildern und aktuelle Fotos von Chris Janecke
Anmerkungen zu den nun folgenden Ortsbezeichnungen
Neuendorf war ein kleines Rundlingsdorf im Südwesten von Potsdam, dessen Bestand weit in die Vergangenheit zurück reicht. Das Bestehen des Dorfes wird im Landbuch des Kaisers Karl IV. bereits 1375 als Nygendorf urkundlich bestätigt, wird also bedeutend älter sein.
Nowawes ist eine Kolonie aus Typenbauten (Zweifamilien-Häuser), die mit der Zahl von vorerst 210 Gebäuden, hauptsächlich in den Jahren 1751 und 1752 errichtet wurde.
Diese sollten überwiegend böhmischen evangelischen Glaubensflüchtlingen, die in ihrer Heimat grausam verfolgt wurden, ein neues Zuhause bieten. Der Ort wurde auf einer wenig fruchtbaren Sandscholle in kurzer Zeit „aus dem Boden gestampft“. Die Schwerpunktarbeiten für den schwierigen Brotverdienst bildeten damals die Spinnerei und Weberei in der Heimarbeit.
Neuendorf und Nowawes, die beiden unmittelbar benachbarte Orte (gleicher Namensbedeutung), erhielten 1907 den gemeinsamen Namen Nowawes. 1938 erfolgte die Namensänderung zu „Babelsberg“. Diese Umbenennung nahm man aus politischen Gründen vor, denn die tschechische (slawische) Bezeichnung sollte aus „dem Reich getilgt“ werden.
Der eigentliche Babels-Berg ist ein Hügel im nahegelegenen Schlosspark.
Bereits 1939 wurde der bislang selbständige Ort als Stadtteil zu Potsdam eingemeindet.
Klein Glienicke, ebenfalls sehr nahe am Schlosspark Babelsberg gelegen, gehört inzwischen ebenso zur Stadt Potsdam. Klein Glienicke gilt sogar als die „Keimzelle“ von Neubabelsberg.
Näheres ist unter „Ortsgeschichte Nowawes“ und „Park Babelsberg“ nachlesbar.
Einige, früher selbständige Ortschaften des damaligen Kreises Teltow, finden wir im Inhaltsverzeichnis als Unterpunkte zu Berlin beziehungsweise Potsdam aufgeführt, da sie nach Berlin oder Potsdam eingemeindet wurden.
Der Osten der Landeshauptstadt Potsdam und der Westen der Bundeshauptstadt Berlin liegen aneinander, sind über größere Strecken miteinander „verzahnt“, so dass verschiedentlich trotz der unterschiedlichen Städtebezeichnungen hier nur geringe Entfernungen auftreten, die sich bei Besichtigungen sogar zu Fuß zurücklegen lassen.
Otto Thomasczek sagt:
Wir schreiben jetzt das Jahr 1907. Ich weile mit den Meinen schon längst nicht mehr in Nowawes, sondern in Mühlhausen. Trotzdem sende ich einige Worte:
Am 01. April 1907 vereinigten sich das schon seit dem Mittelalter bekannte Dorf „Neuendorf“ und die 1751 gegründete Spinner- und Weberkolonie „Nowawes“. Es kam etwa so, wie es bereits damals der Nowaweser Ortsvorsteher Julius Mücke angestrebt hatte. „Nowawes-Neuendorf“ weist schon seit Jahren der Poststempel aus und ist so seither in aller Munde, hat sich eingebürgert. Genauso fandet ihr die Bezeichnung „Nowawes-Neuendorf“ schon auf einem Teil meiner Ansichtskarten, weil auch ich die Vereinigung für zweckmäßig hielt – ich war also schon der „amtlichen Zeit“ voraus. Die Vereinigung ist aber wohl mehr so eine Art Beitritt, denn sie findet allein unter der Bezeichnung „Nowawes“, statt. Das schmerzt viele Neuendorfer, denn ihr Stammort ist mindestens 400 Jahre älter (wahrscheinlich noch viel, viel älter), als Nowawes. Das neue Wappen von Nowawes ist senkrecht geteilt. Es zeigt auf der rechten Seite die stilisierte Neuendorfer Eiche und auf der linken Seite den zuwandernden böhmischen Weber mit dem langen Wanderstab.
In diesem Doppelort leben zurzeit rund 19.000 Einwohner. Der Ort gehört zum Kreis Teltow, Regierungsbezirk Potsdam, Provinz Brandenburg in Preußen. Das größere Nowaweser Rathaus dient ab 1907 als die gemeinsame Verwaltungsstätte. Der Vorsteher der vereinigten Gemeinde, jetzt mit dem Titel Bürgermeister geschmückt, ist Ernst Winkelmann. Der Neuendorfer Vorsteher Obst steht ihm zur Seite. Das bisherige Neuendorfer Rathaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wird um einem Anbau erweitert und als Beethoven-Lyceum eingerichtet. Eine höhere Töchter-Lehranstalt also.
Zurück nun in die Zeit meines Aufenthalts in Nowawes und Neuendorf. Zwar hatte ich für die Bilder eine Gliederung vorgenommen: Zuerst markante Stätten aus dem alten Neuendorf, hernach Bilder aus dem jüngeren Nowawes, aber ihr wisst ja – inzwischen ist alles Eins. Ein gemeinsamer Ort. Deshalb fahre ich dann fort mit Bildern aus Nowawes-Neuendorf. Wer weiß schon, was die Politiker in der Zukunft noch an diesen Namen herummodeln werden.
Hier nun Stätten im früheren Neuendorf, einem Rundlingsdorf aus dem Mittelalter …
Die Neuendorfer Kirche aus dem Jahre 1853
In den Jahren 1850 bis 1852 entstand auf dem Dorfanger eine neue Kirche. Das schien erforderlich, denn das Fachwerkkirchlein, 1585 auf den Neuendorfer Anger gesetzt, galt bereits als altersschwach und zudem für den anwachsenden Bedarf zu klein.
Verschiedene Skizzen für einen Kirchen-Neubau hatte König Friedrich Wilhelm IV. erarbeitet, der ja lieber selber ein Architekt, wie Karl Friedrich Schinkel geworden wäre. Tatsächlicher Architekt dieser Kirche war dann aber der Schinkel-Schüler Christian Heinrich Ziller (Lebenszeit 1792 – 1868).
Die neue Kirche wurde ein achteckiger Zentralbau (oktogonaler Grundriss) aus hellen gelben Klinkern und in frühgotischem Formenausdruck gestaltet. Das Bauwerk ist mit zwei Emporen für 300 Besucher ausgestattet. Das Kreuz auf der Kirchendachspitze hat eine Größe von etwa 11,9 Fuß Höhe und 5,4 Fuß Breite (heutige Bemaßung: 3,75 m Höhe und 1,70 m Breite). Die Turmspitze besitzt eine Kugel zur Aufbewahrung von Schriftgut aus jener Zeit – Botschaften für unsere Nachkommen. Geweiht wurde diese Kirche am 30. Januar 1853.
Die „Handschrift“ des Baumeisters Ziller findet ihr zum Vergleichen in den Eingangsbauten zum Schlosspark Babelsberg, am Forsthaus in Klein Glienicke und wahrscheinlich auch am Mausoleum der Familie Müller in Paretz wieder.
Es stellt sich gegen Ende des Jahrhunderts heraus, dass diese Kirche schon wenige Jahrzehnte nach der Fertigstellung in ihrer Größe zu klein geworden ist, denn der Zuspruch ist erfreulich groß. Ursache ist das geradezu sprunghafte Anwachsen der Einwohnerzahl in der Folge von Industrieansiedlungen während der „Gründerzeit“.
Aus diesem Grunde wird für die Mitte des Ortes Neuendorf neben dieser erst knapp fünf Jahrzehnte bestehenden Kirche, ein Neubau vorgesehen. Die noch heute vorhandene kleine achteckige Kirche bleibt als Gebäude bestehen und wird dann ab 1899 für Veranstaltungen der Wohlfahrtspflege genutzt. Sie hat weniger als ein halbes Jahrhundert als Sakralbau gedient.
Die Zukunft weiß: Nach dem Zweiten Weltkrieg verfällt sie, ist zeitweilig eine Lagerhalle, wird aber in den Jahren 2000 – 2007 so schön wie nie zuvor erneuert.
Der Kirchen-Neubau auf dem Neuendorfer Anger
Der Entwurf der neuen Kirche in neogotischem Stil stammt vom Architekten Baurat Ludwig von Tiedemann (* 17. November 1841 in Russoschin bei Danzig, † 02. März 1908 in Berlin-Wannsee). Der Architekt gilt als ein sehr befähigter Kirchenbaumeister. Seine Sakral-Bauten im Potsdamer Raum sind die Pfingstkirche, die Bornimer Kirche und verschiedene Kirchen im nahen Berlin und dessen Umgebung. Die Kirche wird in rot und weiß gehalten. Roter Backstein und heller Kalksandstein. Für den Neubau wird ein 55 m hoher Kirchturm vorgesehen.
Die Kirche soll 800 Sitzplätze erhalten. Die feierliche Grundsteinlegung erfolgte am 03. Juli 1898. Der Bau wird ausgeführt von Arthur Max Achilles Kickton (* Marienwerder 25.05.1861, † Neubabelsberg 22.04.1944). Herr Kickton wird später Ministerialrat und Geheimer Oberbaurat. Dieses Kirchengebäude entsteht in der kurzen Zeit der Jahre 1898 und 1899. Der Altarraum wird von Fenstern belichtet, die in farbiger Gestaltung die Kreuzigung und die Himmelfahrt Christi darstellen. Der Altar mit dem Kruzifix, die Kanzel und das Orgelprospekt wurden von dem Meister der Holzbildhauerkunst Gustav Kuntzsch in Wernigerode (Harz) angefertigt.
Schon im Sommer 1899, ein Jahr nach der Grundsteinlegung male ich, Otto Thomasczek, das bereits fast fertige Bauwerk. Ich bezeichne sie vorerst als die „Neue Kirche“, denn sie ist ja noch nicht geweiht, trägt noch keinen Namen. Dahinter die alte zu klein gewordene achteckige Kirche. Die Kirchen stehen im Rund der Bauerngehöfte auf einer gepflegten Grünanlage. Neben der Kirche befindet sich auch noch das alte kleine Pfarrhaus.
Die neue, größere Kirche wird am 18. September 1899 durch Oberhofprediger Dryander geweiht. Dabei verleiht ihr die Kaiserin Auguste Viktoria den Namen „Bethlehemkirche“. Der „Neuendorfer Anger“ heißt nun „Bethlehem-Kirchplatz“.
Ein trauriger Blick in die Zukunft der neuen Bethlehemkirche: Im Zweiten Weltkrieg beschädigen mehrere Bombentreffer die Kirche schwer (am 7./8. August 1941 und auch weitere im Februar und am 14. April 1945). Dieses Gotteshaus hatte nur vier Jahrzehnte Bestand. Die Kirchengemeinde zieht nach der Zerstörung der Bethlehemkirche in den Saalbau, Schulstraße 8c.
Am 18. September 1952 wird die Ruine der Bethlehemkirche im Auftrag der DDR-Führung gesprengt. Das alte Neuendorfer Fachwerk-Pfarrhaus, das auf dem Anger steht, wird abgetragen.
Einige Jahre nach dem Zerfall der DDR werden zur Erinnerung an die Bethlehemkirche und zur Mahnung zum Frieden, die früheren Grundrisskonturen der Kirche mit Mauerhartbrandziegeln in der Rasenfläche markiert.
Anmerkung: Herr Karl Schlunk (* 17. März 1862, † 08. Dezember 1915) ist der Pfarrer Neuendorfs in dieser neu erbauten Kirche. Als er diese Geburtstagskarte schreibt, ist er fast 38 Jahre alt. In seinem 53. Jahr wird sein Leben viel zu früh enden.
Eisenbahnstraße und Gemeindehaus in Neuendorf
Die Blickrichtung vom Bahnhof zeigt uns den Verlauf der Neuendorfer Eisenbahnstraße. Diese endet an der Kreuzung mit der quer vor uns liegenden Lindenstraße. Der Kreuzungsbereich befindet sich vor dem Standort des spitztürmigen Eckgebäudes. An dieser Stelle linker Hand um die Ecke, stehen wir sogleich am Neuendorfer Gemeindehaus (Rathaus) in der Lindenstraße, das wir unten links im kleinen Bild erkennen. Schreitet man jedoch über die Kreuzung geradeaus weiter, so befindet man sich bereits in der Priesterstraße zu Nowawes.
Besonders Neuendorf, aber auch Nowawes, erfährt mit der Ansiedlung von Industriebetrieben und deren Arbeitern mit ihren Familien während der Gründerzeit einen gewaltigen Aufschwung, was auch einen wesentlich höheren Aufwand an kommunaler Verwaltung nach sich zieht.
Das alte Haus des früheren Schulzen bzw. später des Ortsvorstehers im alten Rundlingsdorf (Neuendorfer Anger Nr. 13) reicht für diese Verwaltungsaufgaben schon lange nicht mehr aus. So wird in der Lindenstraße ein Kommunales Gemeindehaus errichtet. Entwurfsverfasser für diesen Bau ist der Landesbauinspektor Otto Heinrich v. Techow. Am 30. August 1894 kann das neue Rathaus feierlich eingeweiht werden. Dem Vernehmen nach, sollen sich die Kosten für den Bau auf rund 90.000 Reichsmark belaufen.
In Neuendorf ist Herr Obst der Orts-Vorsteher und in Nowawes noch immer Herr Mücke.
110 Jahre später:
Ein Blick durch Potsdam-Babelsberg
Das Bild stellt prinzipiell die gleiche Situation dar, wie Otto Thomasczek sie uns malte. Die Gebäude sind zum Teil inzwischen andere. Geradezu im Grün des Hintergrundes dürfen wir den Beginn des Parks Babelsberg an der Allee nach Glienicke erwarten (früher: Kaiserlicher Schlosspark. Das Schloss steht heute noch).
Die Blickrichtung vom Bahnhof aus zeigt uns den Verlauf der Babelsberger Karl-Liebknecht-Straße (früher: Eisenbahnstraße und Priesterstraße). Diese führt geradeaus über die quer vor uns liegende Rudolf-Breitscheid-Straße (frühere Lindenstraße) hinweg. Der Kreuzungsbereich befindet sich vor dem Standort des spitztürmigen Eckgebäudes (Apotheke). An dieser Stelle linker Hand um die Ecke, stehen wir sogleich am ehemaligen Neuendorfer Gemeindehaus (Rathaus), welches inzwischen nach dem Umbau eine veränderte äußere Gestalt aufweist.
Der Lutherplatz
Auf dem Bild kommen wir geradewegs vom Bahnhof durch die Eisenbahnstraße auf den Lutherplatz zu, in dessen Mitte die Luther-Eiche steht. Geradeaus, bzw. leicht nach rechts über den Lutherplatz hinweg, geht es in die Alte Königsstraße in Richtung Potsdam. Ganz hinten vor dem Gebäude mit der dunklen Giebelwand, mündet von rechts die Bergstraße ein. Hinter dem gradezu stehenden Wohn- und Geschäftshaus ragt etwas links neben der Bildmitte der Turm der neuen Bethlehemkirche (von 1899) hervor, die auf dem Bethlehem-Kirchplatz (dem früheren Neuendorfer Anger) steht. Links an der Luther-Eiche biegt man in die Großbeerenstraße ein.
Vorne links die Firma Rohde.
Und nochmals ein vergleichender Blick:
Potsdam-Babelsberg, Lutherplatz im Jahre 2012
Auf dem Bild kommen wir geradewegs vom Bahnhof, durch die Karl-Liebknecht-Straße auf den Lutherplatz zu, in dessen Mitte die Luther-Eiche steht. Die Eiche ist immer noch die gleiche wie zu Otto Thomasczeks Zeit – aber eben rund 110 Jahre älter, vom Verkehr umtost. Leicht nach rechts über den Lutherplatz hinweg, geht es in die Friedrich-Engels-Straße in Richtung des Potsdamer Stadtzentrums. Ganz hinten, rechts der Mitte, vor dem Gebäude, von dem wir nur den Dachgiebel sehen, mündet von rechts die Daimlerstraße ein.
Die Sportanlage, die sich vorn rechts befand, ist Wohnbauten gewichen. Die alten Häuser stehen noch, nur dahinter, die Kirche ist vom Dorfanger verschwunden. Sie erhielt im Zweiten Weltkrieg mehrere Treffer, darunter auch den einer Brandbombe. Die Ruine brach man 1952 ab. Straße und Platz erscheinen uns heute weniger „leicht und beschwingt, eher nüchterner und gewürzärmer“, als sich damals die Situation dem Künstlerauge darbot.
Deutsches Wirtshaus
Wir wissen, dass die Gaststätten vor einem Jahrhundert zahlreicher vertreten waren, als heutzutage. Das „Deutsche Wirtshaus“ befand sich in der Wilhelmstraße (heute: Alt Nowawes) schräg gegenüber dem Hilbertschen „Restaurant Zum Kaiser-Park“.
Restaurant Deutsches Wirtshaus, Wilhelmstraße 15
Gut gepflegte Biere und Weine
Berliner Kindl aus der Vereinsbrauerei Rixdorf - Potsdam
Speisen zu jeder Tageszeit
Gastzimmer, Vereinszimmer,
modern eingerichtet
Große und kleine Säle
schattiger Garten, KegelbahnWalter Ulrich - früher Koch im Centralhotel in Berlin.
Der Bruder von Walter Ulrich, Hermann Ulrich, ist Teilhaber. Leider stirbt er schon im Jahre 1900 im Alter von nur 43 Jahren. Reichlich eineinhalb Jahre später kauft der 56-jährige Witwer, Maurer- und Zimmermeister Franz Runge (1846 – 1936) das Grundstück mit dem Restaurant und ehelicht die 37 Jahre junge Witwe Anna Luise Ulrich (geborene Schütte) in der erst vor weniger als drei Jahren fertiggestellten Bethlehemkirche. Herr Pfarrer Karl Schlunk traut das Paar.
An diese Grundstückszeile der Wilhelmstraße grenzen rückseitig die Gärten der Charlottenstraße (heute: Glasmeisterstraße).
Nach dem Zweiten Weltkrieg dient das Grundstück über lange Zeit als eine Kraftfahrzeug-Werkstatt. Nur noch Rudimente des alten Hauses der Restauration sind vorhanden. Heute finden wir dieses Grundstück in der Straße „Alt Nowawes“, flankiert von einem Lebensmittel-Supermarkt (Ecke Rudolf-Breitscheid-Straße) und einer Tankstelle.
Die nun folgenden Ausführungen befassen sich mit den bedeutenden Bauten des früheren Nowawes, einer Kolonistensiedlung bei Neuendorf, die 1751 gegründet wurde. Der Name ist böhmisch/tschechisch und bedeutet ebenfalls Neuendorf. Der Ort wurde 1938 in „Babelsberg“ umbenannt und 1939 als „Potsdam-Babelsberg“ zur größeren Nachbarstadt eingemeindet.
Das Panorama von Nowawes mit der Friedrichskirche
Im oberen Bildteil finden wir im Hintergrund auf der linken Bildseite die caritativen Einrichtungen auf dem Gelände des Oberlin-Vereins. Mittig steht das neue Nowaweser Rathaus, das Anfang des Jahres 1900 eingeweiht wird. Alle diese Bauten befinden sich an der Lindenstraße. Der kleine Spitzturm gehört dem Haus Priesterstraße 1, daneben der größere zu der reichlich 200 m dahinter stehenden Friedrichskirche.
Nach rechts schließen sich Häuser der Eisenbahn- und der Lindenstraße an. Vor jenen Bauten des Oberlin-Geländes stehen Gebäude in der Bismarckstraße (heute Johannsenstraße).
Unmittelbar vor diesen Häusern durchfährt gerade ein Güterzug den Bahnhof Nowawes und rollt dampfend in Richtung Potsdam. Zu jener Zeit fahren die Eisenbahnen zu ebener Erde durch den Ort, der Gleiskörper beidseitig mit Zäunen gesichert. Das ließ sich gut einrichten, denn die Hauptstraßen (hier die Lindenstraße) sind sehr breit, da die Weber vor ihren Häusern ursprünglich für das Ausbreiten ihrer Webware die so genannten Bleichwiesen nutzten. Diese Grünflächen wurden verkleinert, als ab 1838 die Eisenbahn ihren Einzug hielt. Einige Jahre nachdem Otto Thomasczek nach Mühlhausen gezogen war, schüttete man einen Bahndamm auf, um das Kreuzen von Schienen- und Straßenverkehr zu vermeiden.
Die Friedrichskirche in Nowawes
Auftraggeber für das Erbauen der Kirche und Namenspatron dieses Sakralbaus war der Preußische König Friedrich II. Baumeister Jan Boumann (der Ältere) wurde 1752 vom König mit dem Bau der Nowaweser Kirche beauftragt. Schon am 06. Mai 1753 fand die Weihe des Gotteshauses statt, das 900 Personen Platz bietet.
1903: Die Friedrichskirche begeht ihr 150-jähriges Bestehen. Die Jubelfeier wird am 24. Mai begangen. Seine Majestät der K. u. K. (der Deutsche Kaiser und König von Preußen), Wilhelm II., kommandiert seinen Ältesten, den Kronprinzen Friedrich Wilhelm zur Teilnahme am Festgottesdienst ab. Den Gottesdienst hält Oberpfarrer Koller. Der Text dieser Festpredigt ist uns erhalten geblieben.
Das unweit der Kirche gut sichtbar stehende Denkmal hält die Erinnerung an die vormals in Nowawes beheimateten Soldaten wach, die im Feldzug 1870/1871 gegen Frankreich starben. Die Namen der Jungmänner, Ehemänner, Brüder und Väter, die in den folgenden Kriegen ihr Leben lassen müssen, werden innerhalb der Kirche auf Tafeln als letzte Würdigung aufgezeichnet.
Noch einige Worte zu dem äußerst kunstfertig tätigem Baumeister der Kirche:
Auch König Friedrich Wilhelm I. (der „Soldatenkönig“ und Vater des oben genannten Bauherrn der Friedrichskirche), warb um ausländische Handwerksspezialisten zum weiteren Auf- und Ausbau der Stadt Potsdam, die bekanntermaßen in Sumpf und Sand lag und liegt. Trotzdem sollte Potsdam prächtig werden. Deshalb stehen viele alte Bauten der Stadt auf den in den Baugrund gerammten Eichenpfählen. Aus diesem Grunde wurde auch der Standort des Schlosses Sanssouci vor der Bebauung als „wüster Hügel“ bezeichnet. Wüst deshalb, weil der vordem lieblich eichenbestandene Ort zwecks der Holzgewinnung für das Fundamentieren kahlgeschlagen wurde. Unter der Stadt Potsdam befinden sich „Wälder“.
Im Jahre 1732 trafen Vertreter verschiedener Baugewerke aus den Niederlanden ein, unter diesen auch der 26-jährige Jan/Johann Boumann (* 1706 in Amsterdam, † 1776 in Potsdam). Er hatte zuhause bereits die Ausbildungen im Zimmermanns-Gewerk, im Tischlerberuf und in der Schiffbaukunst erfolgreich absolviert. Gefragt war hier in Potsdam jedoch nicht allein die Holzbearbeitung, sondern das Erstellen der kompletten Gebäude. So wurden nach dem architektonischen Entwurf und unter der Leitung von Jan Boumann neben dieser Friedrichskirche für Nowawes, auch das „Alte Rathaus“ am Markt in Potsdam (es beherbergt heute das Potsdam-Museum), die Französische Kirche und zahlreiche Bürgerhäuser für Potsdam errichtet und in Berlin die Universität (Humboldt-Universität) im Zentrum der Stadt, das nahegelegene Palais des Prinzen Heinrich (jüngerer Bruder des Königs Friedrich II.) sowie die katholische Sankt-Hedwigs-Kathedrale gebaut.
Das Rathaus von Nowawes
1897: Nachdem sich die Nachbargemeinde Neuendorf vor drei Jahren ein neues Gemeindehaus geleistet hat, beabsichtigt die Gemeinde Nowawes nun ebenfalls, ein neues Rathaus zu errichten. Das Vorstehergebäude in der Mühlenstraße 8, als „Residenz“ des bisherigen Gemeindevorstehers Julius Mücke, ist für die wachsenden Verwaltungsaufgaben zu klein geworden. Ein Neubau soll noch größer und schöner werden, als es schon das Neuendorfer Gemeindehaus ist.
Der Potsdamer Architekt Julius Otto Kerwien (* Potsdam 1860, † Potsdam 1907) gestaltet das künftige Nowaweser Rathaus in zurückhaltender Anlehnung an die typisch kraftvoll wirkende altmärkische Architektur, wie wir sie beispielsweise in den Städten Stendal und Tangermünde finden. Sogar bei der Oberbaumbrücke in Berlin ist dieser Stil vertreten. Zu seinen vielen weiteren Bauten gehören: Das Schmargendorfer Rathaus, die Synagoge in Potsdam am Wilhelmplatz, Bürgerhäuser, Schulbauten und Fabrikanlagen.
Die Bauzeit des Rathauses nimmt die Jahre 1898 und 1899 in Anspruch. Zwei Türme wachsen etwa zeitgleich in friedlichem Wettstreit: Der Turm der neuen Kirche von Neuendorf und der Turm des Rathauses zu Nowawes – nur einen „Katzensprung“ voneinander entfernt.
Otto Thomasczek malt das Gebäude 1899, vor der Fertigstellung. Von diesem „Grund-Gemälde“ gibt es später mehrere Varianten mit Detailänderungen. Er schmückt sein Bild unten links mit dem Wappen, das den nach 1750 aus Böhmen einwandernden Weber mit seinem Wanderstock abbildet. Das zum Wappen gehörende Spruchband zeigt: RAT HAUS NOWAWES. Otto erläutert seinen Blickwinkel: „Von Richters Ecke aus gesehen“, von diesem kleinen Eckgebäude also diagonal über die Kreuzung geblickt. Das Rathaus steht an der Straßenkreuzung Lindenstraße Ecke Priesterstraße und damit fast gegenüber dem Neuendorfer Rathaus in der Lindenstraße.
Am 19. Januar 1900 findet die festliche Einweihung des prächtigen Nowaweser Rathauses statt.
Und bitte, wir wollen nicht vergessen: Im Souterrain des Rathauses befindet sich der „Ratskeller“ mit seinen vielfältigen, köstlichen Speise- und Getränkeangeboten:
Ratskeller Nowawes – Erstes Restaurant am Platze
Ausschank von Schöneberger Schlossbräu und Kulmbacher Reichelbräu
Vorzügliche Weine
Gutbürgerlicher Mittagstisch
Täglich Diners à Mk. 1,25 – Reichhaltige Speisenkarte
Solide Preise – Gute Küche
Im Jahre 1908 wird dort an dieser Ecke wo Richters Haus steht (Lindenstraße 87a), ein bedeutend größerer Bau errichtet. Der Architekt ist Matthias Heinrich aus Berlin. Für das Erdgeschoss ist ein geräumiges Restaurant vorgesehen. Hierin wird die Gaststätte „Zum Löwen“ eingerichtet.
Seit 1939, da Nowawes/Babelsberg nach der Eingemeindung von der Potsdamer Stadtverwaltung betreut wird, lockert man in der Folgezeit die Verwaltungsdichte im Rathaus auf. Später nutzt man den freigewordenen Platz im Hause für vielfältige Kulturtätigkeit. Das Haus wird zur Heimstätte für eine Anzahl von Vereinen.
Die Straßen an dieser Ecke heißen seit der Nachkriegszeit nicht mehr Linden- und Priesterstraße sowie Eisenbahnstraße, sondern Rudolf-Breitscheid-Straße und Karl-Liebknecht-Straße. Linden stehen aber heute trotzdem immer noch dort. Die Eisenbahn ist auch geblieben.
Das „Restaurant Zum Kaiser-Park“
„Restaurant zum Kaiser-Park“, Inhaber Hermann Hilbert, Wilhelmstraße 20.
Altrenommiertes Lokal
Hiesige und echte Biere
ff. Küche
Großer schattiger Garten
Der Kaiser-Park ist der nahe gelegene Schlosspark Babelsberg und Wilhelm I. bis 1888 der regierende Monarch. Derzeitig regiert uns dessen Enkel, Wilhelm II., erläutert Otto.
Das Restaurant steht heute (2013) nicht mehr. Über dieses Grundstück verläuft von der Rudolf-Breitscheid-Straße zur Humboldt-Brücke eine Straßentrasse hinweg. Rechts gegenüber der Giebelseite des Restaurantgebäudes, also auf der anderen Straßenseite, wird später das „Feierabendheim“ für die alleinstehenden Diakonissen-Schwestern der Oberlin-Einrichtung gebaut.
Wir gehen vom „Restaurant zum Kaiserpark“, einige Schritte nach links (Westen) durch die Wilhelmstraße, also in Richtung Potsdam. Schon nach wenigen Augenblicken erreichen wir die Wohnbauten der Familie Thomasczek. Sie lebten in den Jahren 1893 bis 1897 im Haus Wilhelmstraße 8 und 1897 bis 1899 auf dem Grundstück Wilhelmstraße 4.
Gut denkbar ist es, dass die Thomasczeks hier „beim Nachbarn Hilbert“ gern' einkehrten oder natürlich auch in das „Deutsche Wirtshaus“ von Ulrich/Runge in der Wilhelmstraße 15, ihnen schräg gegenüber.
Wir sehen auf dem Bild links in die Wilhelmstraße (heute: Alt Nowawes) und nach rechts in die Lindenstraße (heute: Rudolf-Breitscheid-Straße) hinein.
2013: Spazieren wir bitte gemeinsam in dieses Foto hinein. Wir liefen bisher durch die Rudolf-Breitscheid-Straße (frühere Lindenstraße) aus der Richtung vom Bahnhof/Rathaus (Kulturhaus) kommend und gingen an den Gebäuden des Oberlin-Klinikums (sowie dem vormaligen Post-Restaurant) vorbei. Wir schauen nach Nordwesten. Vorn rechts die Gebäuderundung des roten Oberlin-Feierabend-Heimes (siehe auch voriges Bild).
Jenseits der Straßenkreuzung, ganz rechts („angeschnitten“), das Haus Alt-Nowawes 24 (früher Wilhelmstraße 24). Links daneben das Haus Nr. 22, es ist heute das Eckgebäude. Auf jenem Grundstück ist auf dem Thomasczek-Gemälde dessen Vorgängerbau, ein kleines Kolonistenhaus zu sehen.
Wiederum links daneben, also an der Stelle der heutigen Straße, dort vor dem Sandhaufen, sind wir „am Ziel“. Dort stand das „Restaurant Zum Kaiserpark“, Wilhelmstraße 20. Die Gaststätte befand sich in einer Randlage des Ortes. Deshalb wurde statt der bisherigen breiten Lindenstraße hinter der Straßenkreuzung, links am Restaurant vorbei, nur noch der Weg „Schwarzer Damm“ ein Stück in Richtung des Flusses Havel weitergeführt.
Unmittelbar hinter dem Anwesen des Restaurants befand sich die Gräberstätte des Potsdamer Militär-Waisenhauses, genannt „Waisenfriedhof“ (einige leider ungepflegte Rudimente sind noch vorhanden). Ein Stück weiter rechts hinter den Häusern beginnt dann bereits der Park Babelsberg, der damalige Schloss- oder spätere Kaiser-Park.
Würden wir am Feierabendheim rechts um die Ecke gehen, so ist die nächste Querstraße die Garnstraße (frühere Friedrichstraße) wo Otto Thomasczek als noch Unverheirateter im Haus Nr. 10 wohnte. Wählten wir hingegen hier an der Kreuzung den Weg nach links, kämen wir nach einigen Schritten zu den Häusern der früheren Wilhelmstraße 8 und 4, in denen die Thomasczeks ebenfalls lebten und wo sich, ihrem Wohnhaus schräg gegenüber, das Restaurant „Deutsches Wirtshaus“ befand.
Nun stellt Otto bildliche Eindrücke vor, die im Wesentlichen beide Teile des Doppelorts betreffen …
Nowawes-Neuendorf, Panoramablick
zum Teil aus Richtung Fontanestraße gesehen
Auf diesem Panoramabild konnte nach mehr als einem Jahrhundert bisher nicht alles Gezeichnete zweifelsfrei identifiziert werden. Es handelt sich dagegen völlig ohne Zweifel um ein Suchbild für Kenner. Das gezeichnete Gebiet, die genannten Straßen, liegen zwischen der alten Kolonie Nowawes und dem neu entstehenden Villenort Neubabelsberg. Die Fläche gehört zu Nowawes.
Otto Thomasczek nimmt offenbar für sein Darstellen der unterschiedlichen Häuser auch verschiedene Standorte ein und betrachtet und zeichnet hier in wechselnden Blickrichtungen. Die aus den genannten Straßenzügen offenbar frei gewählten „Stücke“ wirken dadurch anders, als in der Natur. Nach der inzwischen verstrichenen Zeit eines Jahrhunderts ist die Dichte der Bebauung eine völlig andere. Die hier gezeigten Brachflächen/Wiesen bestehen nicht mehr.
Otto benennt zu den abgebildeten Häusern global deren Standorte in folgenden Straßen: die Forststraße (heute Uhlandstraße), die Annenstraße (heute Reuterstraße), die Ackerstraße (heute Goethestraße) und die Feldstraße (heute Lessingstraße) sowie die Wallstraße (heute: Karl-Gruhl-Straße). Als Vergleich gebe ich einen Stadtplanausschnitt des betreffenden kleinen Gebietes bei.
Die Schreiberin der Ansichtskarte ist die 14-jährige Frieda. Sie bezeichnet ihr Wohnhaus (oben links auf der Karte) und benennt auch die Namen der dort von Otto gezeichneten Kinder, in ihrer ausgezeichneten Schönschrift. Die Kinder sind ihr „offenbar gut bekannt“, wahrscheinlich sind es sogar ihre Geschwister. Es ist also anzunehmen, dass sie und die anderen Kinder (und deren Eltern) den Otto Thomasczek hinreichend gut kannten und er ihrer Bitte zu einem solchen Bild nachkam. Man darf also hier durchaus ein „Auftragswerk“ vermuten.
Der Text der Ansichtskarte – geschrieben von der 14-jährigen Frieda:
„Liebe Elisabeth! Diesen Sonntag ist (Konfirmanden-) Prüfung und am 27. September ist meine Einsegnung. Wenn Du mir eine Freude bereiten möchtest, bedanke ich mir (richtig wäre: mich) schon vorher. Mit herzlichen Grüßen verbleibt Deine ewig treue Freundin Frieda.
Grüße Deine Eltern von mir und meinen Eltern und Geschwistern. – Liebe Elisabeth! In dem Haus, wo die Fenster mit Tinte eingerahmt sind, wohnen wir und die Fenster sind auch unsere.
Liebe Elisabeth, mein Bruder Eugen ist jetzt wieder für immer in Rödelheim (bei Frankfurt am Main) und wenn er uns einmal besucht, so kommst Du mit und besuchst uns auch einmal. Ich hab' großes … (nicht mehr lesbar).
Deine Frieda“
Und die im Bild erkennbar herausragenden Türme?
Im oberen Bildteil: Am „r“ des Wortes „mir“ in der vierten Schreibzeile, können wir deutlich den Flatowturm im Schlosspark Babelsberg erkennen. Rechts davor die typischen Kolonistenhäuser – hier wird wahrscheinlich die Mühlenstraße angedeutet.
Im unteren Bildteil: Mittig erkennen wir den hohen Turm des neuen Nowaweser Rathauses und rechts daneben die Turmspitze der Friedrichskirche.
Blick über die Bahnanlagen nach Nowawes-Neuendorf
Wir blicken aus der Richtung „Alte Königsstraße“ (heute Friedrich-Engels-Straße) und über die Bahnanlagen mit den noch ebenerdig verlaufenden Geleisen hinweg. Die Bismarckstraße (heute Johannsenstraße) ist auf beiden Seiten eingezäunt. Sie endet an der Bergstraße und somit am Lutherplatz.
Links hinter der Bismarckstraße, fast parallel zu jener verlaufend: die Charlottenstraße (heute Glasmeisterstraße), die gegenüber den Oberlin-Einrichtungen in die Lindenstraße mündet (heute Rudolf-Breitscheid-Straße).
Im Hintergrund sehen wir wohl links den noch im Entstehen befindlichen Turm der Tiedemann-Kirche auf dem Oberlin-Gelände, die am 12. Januar 1905 geweiht wird. Rechts davon die Dachaufbauten für die Telegraphie und den Telephonverkehr auf dem Gebäude der Kaiserlichen Post. Dominant das Nowaweser Rathaus und rechts daneben die Spitze des Glockenturms der Friedrichskirche. Noch weiter rechts – der Spitzturm des Hauses Priesterstraße 1, Ecke Lindenstraße.
Im Jahr 2013 nimmt der Betrachter einen ähnlichen Standort ein wie damals der Kunstmaler. Der Bahnkörper mit seinen Schienensträngen liegt aber heute höher, auf einem aufgeschütteten Bahndamm. Dieser wurde in der Zeit zwischen 1911 und 1914 hergestellt und gewährleistet seither für Eisenbahn und Straßenverkehr kreuzungsfreie Verhältnisse.
Die Sicht auf die Häuser wird inzwischen von hochgewachsenen Bäumen verdeckt. Einige der Häuser, die auf dem Gemälde noch zu sehen sind, stehen heute (2013) nicht mehr.
Im Hintergrund des Fotos kann man den Bahnhof Babelsberg erahnen. Vorn rechts, die Friedrich-Engels-Straße (früher: Alte Königstraße), die in unserer Blickrichtung zum Lutherplatz führt.
Ein Blick durch die Lindenstraße
Wir schauen aus Richtung Bahnhof über die (querliegende) Priesterstraße hinweg, mit dem Blick zur Wilhelmstraße, also in Richtung Restaurant Hilbert, zum Schlosspark Babelsberg und zur Havel. Hinter jenem Fluss beginnt die Stadt Potsdam.
Die Lindenstraße: Eine gemütlich anmutende Allee, bestanden von Lindenbäumen. Ein breiter Fußweg zum Flanieren. Auf der linken Straßenseite hinter den modernen Wohn- und Geschäftsbauten verläuft seit 1838 auf gleichem Höhenniveau mit der Straße (für uns nicht sichtbar) die beidseitig eingezäunte Strecke der Dampfeisenbahn.
Vorn links erblicken wir das herrschaftlich wirkende Gebäude der Familie Krane. Adolf Krane übt meisterhaft den Beruf eines Schneiders aus. Johannes Krane führt das Geschäft für „Herrenartikel“ in diesem Haus Lindenstraße 91. Es scheint, als liefen die Geschäfte nicht schlecht. Später wird im Parterre das Café und Weinrestaurant „Zum Rüdesheimer“ eingerichtet, das ebenfalls von der Familie Krane betrieben wird.
Im Jahre 1885 wurde die „Mechanische-Jacquard-Seidenweberei“, von Kunze & Kraberg im Nachbarhaus Lindenstraße 90 gegründet. Diese Fabrikationsstätte steht „unauffällig harmonisch“ in der Zeile der Wohnhäuser. Nur an Tagen mit warmer Witterung hört man durch die geöffneten Fenster noch deutlicher die rhythmische Arbeit der Webmaschinen (bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts). Als letztes Haus auf dieser Seite vor der Einmündung der Eisenbahnstraße (die uns nach links zum Lutherplatz führt), steht das kleine Haus „Richters Ecke“, Lindenstraße 87a, das aber bald einem großen Neubau mit Gaststätte im Erdgeschoss weichen wird.
Jenseits der Eisenbahnstraße finden wir das große Eckhaus (Nr. 87) mit dem Kaffeegeschäft Tengelmann und dahinter das frühere Neuendorfer Gemeindehaus mit dem Erweiterungsbau, also inzwischen das Beethoven-Lyceum, die Höhere-Töchter-Lehranstalt..
Auf der rechten Straßenseite (vorn) grüßt uns das Gebäude der Fleischerei Johl. Dahinter (Lindenstraße 46) befindet sich ein Kolonistenhaus aus der Gründungszeit der Kolonie von 1751, das aber inzwischen umgebaut ist. Es ist eines der 210 Häuser die aus jener ersten Bauperiode stammen und sich sehr ähneln. Das Haus Nr. 47 gehört Familie Beelitz, später Ofensetzer Johl. Die Nr. 48 ist ein schöner Bau hellgelben Klinkermauerwerks. An der Ecke vor der Einmündung der Priesterstraße (Nr. 50) erkennen wir wieder das Haus mit dem spitzen Türmchen. Darin befindet sich die Apotheke des Herrn Baron. Hinter der Kreuzung steht das Nowaweser Rathaus und es folgen die Bauten der Kranken-Anstalten des Oberlin-Vereins und des Kaiserlichen Postamtes Nowawes.
Das Postamt und das Restaurant „Zur Post“ in der Lindenstraße
In den Jahren 1884 bis 1898 war die Poststelle für Nowawes und Neuendorf im Hause Eisenbahnstraße 6 untergebracht. In den ihm zugedachten Neubau, Lindenstraße 69/70, der in unmittelbarer Nachbarschaft des Oberlin-Hauses steht, zieht das Kaiserliche Postamt am 1. Oktober 1898 ein. Die postdienstlichen Obliegenheiten regelte im alten Hause in der Zeit von 1879 bis 1896 der mittlerweile betagte Postverwalter Ebert aber nun der Postmeister Rennhack in den Jahren 1896 bis 1904. Seit dem 16. Oktober 1875 ist die Nowaweser Post-Anstalt bereits an den Telegraphiebetrieb nach dem System Morse angeschlossen, eben so, wie es der Kaiserliche General-Post-Direktor Heinrich Stephan in Berlin verfügte.
Bald aber wird hier noch alles viel moderner, denn am 27. August 1897 wurden ja bei uns zwischen der Matrosenstation am „Neuen Garten“ und der Heilandskirche in Sacrow, die ersten deutschen drahtlosen Telegraphieversuche erfolgreich abgeschlossen.
Zuzurechnen ist dieser große Erfolg den Herren Prof. Slaby von der Technischen Hochschule Charlottenburg und Graf Arco sowie einigen findigen Handwerksleuten, die nach der Auswertung der Forschung des Herrn Marconi, diese Ergebnisse dem Kaiser vorstellen konnten – Telegraphie ganz ohne Draht – einfach so unsichtbar durch die Luft. Die Vorzeige-Veranstaltung gipfelte in dem Funkspruch, der quasi eine völlig neue Epoche einläutete: „Die Welt am Ende des Jahrhunderts steht im Zeichen des Verkehrs“.
Den Fernsprechbetrieb hatte die Post am 1. April 1891 aufgenommen – vorerst in bescheidenem Umfang – doch dann mit einem unerhörten Aufschwung, wegen des lebhaften Interesse des Publicums. Hat man in der eigenen Wohnung tüchtig an der Kurbel des Apparates gedreht, meldet sich dann die Postbedienstete, das Frollein, und fragt: „Hier Amt – was beliebt?“ Man grüße sie bitte freundlich aber nur kurz (nimm Rücksicht auf die Wartenden), gebe die Telephon-Nummer des gewünschten Gesprächspartners an und schon werden die Anschlüsse vom Frollein (dahinter „verbergen“ sich manchmal auch Ehefrauen) zusammengestöpselt.
Bitte verlauft euch nicht bei diesen vielen Neubauten: Rechts ist das Postamt, links daneben, allerdings das kleinere Gebäude, ist das Restaurant „Zur Post“, der schöne Bau aus gelben Klinkern in der Lindenstraße 71. Der Gastwirt ist Gustav Waretzky.
Zwei Blicke in die Zukunft: Das Postamt wird später wesentlich erweitert. Am 22. Juni 1940 wird es während des Zweiten Weltkrieges von einer Fliegerbombe getroffen und zerstört.
Nowaweser Priesterstraße und Neuendorfer Eisenbahnstraße
Vorn links sehen wir die Einmündung der Bäckerstraße (die nach links zum Kirchplatz führt, auf dem die Friedrichskirche steht). Dahinter das Haus Matzanke (Priesterstraße 4). Der Inhaber ist zur Zeit aber der Herr Mielenz. „Matzanke hat alles“, ist ein „geflügeltes“ Wort. Die Matzankes sind keine alten Nowaweser oder Neuendorfer. Er, der Kaufmann Joseph Matzanke, stammt aus Schwerin und ist jetzt (1903) 48 Jahre alt. Seine Ehefrau, die Helene, ist 40 Jahre jung und kam aus Gustin bei Frankfurt (an der Oder) hierher. In seinem Haus gibt es diverse Kolonialwaren, „geistige Getränke“ (Liköre, Weine) und Tabakwaren. Sollte für den Einkauf das Geld nicht reichen – selbst eine Sparkasse findet unter seinem Dach Platz. Der sehr breite Bürgersteig lädt wöchentlich zu buntem Markttreiben ein.
Ja, wir sehen, der alten kleinen Kolonistenhäuser werden es immer weniger. Auf der rechten Seite das Rathaus und hinter der quer verlaufenden Lindenstraße wieder das Kaffee-Haus.
Im Hintergrund im linken Teil der Eisenbahnstraße „das Gewächshaus“ ein verglast überdachter Fußgänger-„Untergang“, der es den Laufenden ermöglicht, bei Annäherung eines Zuges die Bahnanlagen ohne Wartezeiten einfach zu unterqueren. Die Fußgängerbrücke die vorher da war, kennt ihr ja gewiss noch. Kinder spuckten von dort gern in den Schornstein der Lokomotive, um das Feuer zu löschen. Schwerer wog die Unart, Unrat auf die Waggondächer zu werfen.
Für Fuhrwerke besteht in der Bergstraße eine Straßenüberführung – hoch über die Bahn hinweg. Der Straßenname hat trotz der sonst so ebenen Gegend damit durchaus seine Berechtigung.
Seine Berechtigung hat natürlich auch der Name der Straße „Priesterstraße“. In den Häusern 1, 11 und 24 wohnen von jeher Pastoren, auf dem Grundstück Nummero 18 befindet sich eine weitere kirchliche Einrichtung und im Eckhaus Nr. 23 (Priesterstraße Ecke Lutherstraße) lebt im ursprünglichen alten böhmischen Schulhaus seit 1752 der Lehrer, dem gleichzeitig die Küsterarbeiten bei der Kirche und, ist er musikalisch genug, auch die Kantoraufgaben für die Friedrichskirche obliegen.
Zeit ist vergangen.
Die Straße, die von links einmündet, heißt heute nicht mehr Bäckerstraße, sondern Schornsteinfegergasse. Die frühere Priesterstraße durch die wir hindurchblicken, trägt den Namen Karl Liebknechts. Eine Anzahl der alten Häuser musste neuen Bauten weichen. Das Rathaus steht aber noch – im Mittelgrund rechts. Es wird hier aber von hochgewachsenen Linden verdeckt. Ganz hinten die Eisenbahnbrücke am Bahnhof Babelsberg.
Das Schützenhaus an den Nuthewiesen
Wir sehen streng nach Westen, zwischen den beiden langgestreckten Baumgruppen über die hellen Häuser der Kadettenanstalt an der Saarmunder Straße hinweg. (Heute Staatskanzlei der Regierung des Landes Brandenburg, an der Heinrich-Mann-Allee). Am Horizont erkennen wir die halbrunde Kuppel eines Refraktors der Sternwarte. Dieses Observatorium steht auf den Ravensbergen. Rechts die Windmühlen am „Schlaatz“, in der Nähe der Nuthe und auch der Havel. Hinter diesen Mühlen die Silhouetten des Bahnhofs Potsdam und der drei Kirchen (von links nach rechts): Garnison-Kirche, Nikolai-Kirche und Heiligengeist-Kirche.
Vom Standort unseres Kunstmalers beträgt die Entfernung bis zu der am Horizont sichtbaren Sternwarte in Potsdam 4 km.
Die schnurgrade Wegstrecke vom Bahnhof Drewitz durch die Großbeeren-Straße bis zum Schützenhaus ist etwa 840 m lang. Die Nowaweser Schützengilde hatte sich am 3. Juli 1868 mit einem zünftigen Fest in der Gaststätte Kohlhasenbrück, in der Nähe des Ortes Stolpe gegründet. Auf dem am Griebnitzsee bestehenden Acker des Heinrich Beyer weihte man mit lautstarkem Böllerkrachen den Schießstand ein. Später zog die Gilde in ein eigenes, völlig freistehendes Vereinshaus südlich von Nowawes.
Von einem Ende der Lindenstraße (heute: Rudolf-Breitscheid-Straße) führt der Weg mit der Bezeichnung „Schützendamm“ (heute: Paul-Neumann-Straße) zum neuen Vereinshaus (obiges Bild). Im Gebäude befinden sich Gastwirtschaft, Festsaal und Vereinszimmer. Das Bauwerk steht in einem großem Garten und die Schießstände dicht dabei. Im Juli eines jeden Jahres beging die Gilde ihr großes Schützenfest und nun im Jahre 1903 begeht sie ihr 35-jähriges Bestehen.
Ein zeitlicher Vorgriff:
Im Zuge der weiteren Industrialisierung Neuendorfs mit den Schwerpunkten von Textilindustrie, dem Lokomotivbau und der Filmproduktion, verstärkt man notwendiger Weise den Wohnungsbau für die Arbeitskräfte.
Das Schützenhaus (inzwischen mit der Adresse Großbeeren-Straße 154 am bisherigen Standort), muss hier weichen. Schießstände können zwischen den Wohnhäusern keinen Bestand haben.
Das Schützenhaus fällt dem Abriss anheim.
Die Großbeeren-Straße baut man nach und nach aus. Seit 1926 stellt sie auch in dem Bereich des ehemaligen Schützenhauses eine geschlossen bebaute Straßenzeile dar. Errichtet werden nach den Entwürfen der Architekten Kunert und Pfeiffer zweckmäßige dreistöckige Wohnhäuser. Dort, wo der Schützendamm in die Großbeerenstraße einmündet, weisen die Eckgebäude im Erdgeschoss auch Geschäftsräume auf.
Hier also fand früher die trubelige Geschäftigkeit des Schützenvereins statt.
Nichts erinnert heute mehr an das frei in der Landschaft stehende Schützenhaus.