Notizen zum Lebenslauf
Otto lässt über die Zeit seines Aufenthalts im Potsdamer Gebiet erzählen
Am 28. Februar 1889 zieht der schon 35-jährige, alleinstehende Otto Thomasczek nach Nowawes bei Potsdam, in das Haus Friedrichstraße 10 (heute: Garnstraße 10). Friedrichstraße – das schafft doch gleich eine vertraute Gedankenverbindung zur Heimat, zum Elternhaus in Kassel.
Otto gewährt uns einen Blick durch diese Friedrichstraße. Wir sehen deren Verlauf von Südost nach Nordwest, also von der Priesterstraße (heute: Karl-Liebknecht-Straße), zur Wilhelmstraße (heute: Alt Nowawes). Die Bauten, die wir auf dem Bild sehen, gehören nicht zum Stil der Erstbebauung der Straße, mit der um 1754 begonnen wurde.
Auf der Ansichtskarte mündet von rechts die Auguststraße ein (heute: Tuchmacherstraße).
Gegenüber dieser Einmündung steht dominant das Gebäude der „Stern-Drogerie“ von Albert Richter mit der großformatigen Fassadenreklame, die wir heute eher als aufdringlich empfinden.
Stern-Drogerie, Albert Richter, Nowawes, Friedrichstraße 15
Drogen – Farben – Parfümerien – Chemikalien – Verbandstoffe
Artikel zur Photographie – Fußbodenlacke – Dekorations- und Emaillelacke
Pinsel- und Borstenwaren aller Art
Bauartikel – Cement – Gips – Dachpappen – Carbolineum – Teer – Goudron
en gros u.s.w. en detail

Gemälde von Otto Thomasczek (eventuell um 1890)
Von der Stern-Drogerie aus zählen wir rückwärts: Das Wohnhaus Friedrichstraße 10 befindet sich auf der gleichen Straßenseite fünf Häuser weiter in den Bildhintergrund hinein. Hinter den Bäumen ragen noch etwas die Satteldächer jener ursprünglichen Kolonistenhäuschen hinaus.
Das also ist Ottos neue Wohnumgebung.
Diese Kolonie, hauptsächlich für Weber und Spinner aus dem Böhmischen gedacht, die in ihrer Heimat wegen ihres protestantischen Glaubens verfolgt wurden oder die sie zusätzlich aus wirtschaftlicher Not verließen. Auch Sachsen und Württemberger siedelten sich an. Menschen weiterer Nationalitäten und Berufe (Bauhandwerker, Bäcker, ...) zogen hierher. Man errichtete diese Ansiedlung, diese Kolonie Nowawes ab 1751 im Auftrag des preußischen Königs Friedrich II. (Friedrich der Große, der Alte Fritz, Lebenszeit 1712 bis 1786). Die Ortsbezeichnung Nowaw(j)es ist der böhmische Ausdruck für Neuendorf und nennt damit nicht nur dieses neue „Etablissement“, sondern bezeichnet diese Kolonie als unmittelbaren Schwesterort der bereits seit dem 14. Jahrhundert hier bestehenden Gemeinde Neuendorf.
Die Zeichnungen und Gemälde des Otto Thomasczek wirken gemütlich, scheinen eine sonntägliche Ruhe auszustrahlen, geben die Verhältnisse aufgelockerter, „ländlich“ dargestellt wieder, als wir es heute objektiv mit dem Fotoapparat einzufangen vermögen.

Mit dem nächsten Bild schauen wir in die Gegenrichtung: Wir stehen am Ende der Friedrichstraße (Ecke Wilhelmstraße) und blicken Richtung Ortszentrum, zur Priesterstraße. Rechts, der große Bau im Mittelgrund ist wieder die Drogerie Richter und fünf Häuser zum Betrachter her, scheinen sich die kleinen Kolonistenhäuser Friedrichstraße 10 und 9 zwischen den zweigeschossigen Gebäuden einzukuscheln.
An der Ecke (vorn links im Bild), Wilhelmstraße, befindet sich das Restaurant „Klemms Festsäle“.

Die Einrichtung der Friedrichstraße erfolgte 1754 und im gleichen Jahr begann man mit der Bebauung. In der ursprünglichen Planung waren vorerst nur sechs der typischen fünfachsigen Zwei-Familien-Häuser vorgesehen. Deshalb erhielt die Straße als erste Bezeichnung offiziell den Namen „6-Häuser-Straße“.
Das Haus Nr. 10, in dem Otto Thomasczek lebte, gehört also zu den ursprünglichen
210 Kolonistenhäusern des Ortes und wird im Jahr 2014 demzufolge 260 Jahre alt.
Das Gebäude steht auf der ursprünglichen Parzelle Nowawes 154. Das Typenhaus für zwei Familien mit dem mittig angeordneten gemeinsamen Hausflur hat eine Größe von
11,30 m x reichlich 8 m. Der Erstbesitzer des Hauses war der Cattunweber (Baumwollweber) Johann Hempel. Er war aus Oderwietz in Sachsen zugezogen.
Eigentümer des Hauses Nr. 10 war zur Zeit Otto Thomasczeks über viele Jahre der „Barbierherr“ Wilhelm Schröter, der das Schabeisen sicher handhabte und mit Seifenschale und Rasierpinsel gut umzugehen wusste.

Die 6. Achse (ganz rechts) ist ein Anbau und stellt nicht den ursprünglichen Zustand dar, ebenso wie der Satteldachabschluss ohne Krüppelwalm-Ausformung, im Gegensatz zu linken Seite.

rechts daneben/dahinter ein Neubau des „Oberlinhauses“, Klinik für Orthopädie und Chirurgie
Zwischenzeitlich lebt Otto seit dem 20. September 1889, vermutlich in einem der gleichartigen Zwei-Familien-Kolonistenhäuser in der Mittelstraße (heute: Wichgrafstraße). Die Hausnummer ist uns leider nicht überliefert. Hier lebt es sich trotz der noch zentralen Lage herrlich ruhig, fast wie „abgeschieden“. An ihren Enden mündet die etwa 300 m kurze Mittelstraße jeweils auf einen Platz. Am westlichen Straßenende liegt der Friedrichskirchplatz, im Osten wird sie von dem Plantagenplatz begrenzt. Dieser verdankt seinen Namen den Maulbeerbäumen, die hier als Plantage gepflanzt waren. Deren Blätter galten als eine Ernährungsgrundlage für Seidenraupen, aus deren Gespinsten (Naturseide) feinste textile Webwaren hergestellt wurden.

An deren Ende liegt der Plantagenplatz und rechter Hand der alte Nowaweser Friedgarten
Hier aber ist Ottos Aufenthalt ebenfalls nicht von langer Dauer, denn am 28. November 1889 steht ein erneuter Umzug an. Nun lebt der Kunstmaler zeitweilig in der Großbeeren-Straße 9.
Dieses Grundstück ist inzwischen mit einem neueren, größeren Miethaus bebaut worden (daher kein Bild).
1890: In Nowawes werden 8.860 Seelen gezählt. Nebenan in Neuendorf leben 3.280 Einwohner.
Otto Thomasczek heiratet 1892 die in Neuendorf, Wilhelmstraße 4, bei ihren Eltern lebende Maria Agnes Bertha Geudtner. Sie wurde am 03. Januar 1860 in Guben an der Oder geboren. Bertha zählt 32 Lenze; Otto ist inzwischen 38 Jahre alt. Beide gehören der evangelisch-lutherischen Religion an. Unmittelbar nach der Eheschließung wohnt das Paar im nahen Ort Klein Glienicke und dort in der Stolper Straße 4 (heute: Wannsee-Straße 4).
Die dem Wohnhaus gegenüber liegende Straßenseite ist unbebaut. Ein schmaler Waldgürtel in Hanglage trennt die kleine Straße vom Griebnitzsee. Im Garten des Hauses besteht ein schöner Ruheplatz, umgeben von farbenfrohen Blumen und Grün in vielfachen Farbnuancen.
Die kurze Stolper Straße wird bald als Waldweg weitergeführt und leitet den Wanderer in den Ort Stolpe am Stölpchen-See. (Dieses benachbarte „Stolpe“ heißt seit 1898 „Wannsee“, ist heute Teil des Berliner Stadtbezirks „Steglitz/Zehlendorf“).

Die Bezeichnung der Straße möchte nicht etwa deren Zustand anmahnen oder uns vor unbeabsichtigtem Straucheln warnen. Der Begriff „Stolp/Stolpe“ kommt aus dem Slawischen und benennt eine Stütze, einen Pfahl. Haltepfähle aus Stangenholz von Bäumen werden als Stolpen senkrecht in den Seeboden gerammt und dienen dem Befestigen von Fischreusen oder der Boote. Auch wasserregulierende Wehranlagen aus Holzpfählen bezeichnete man so.
Der Ort Stolpe war ursprünglich ein Fischerdorf.
In diesem Haus, Stolper Straße 4, kommt die erste Tochter des Ehepaares Thomasczek, Luise Eleonore Charlotte am 23. Januar 1893, vormittags um 6 1/2 Uhr zur Welt.
Charlotte heiratet später den Musiker Alfred Michalak. Ihr Leben wird in Mühlhausen bereits im Alter von nur 40 Jahren am 09. November 1933 enden.
Nachdem der Amtsvorsteher von Neuendorf, Herr v. Wedelstedt im Vorjahr 1892 gestorben war, hat der Nowaweser Ortsvorsteher Julius Mücke dessen Amtsgeschäfte kommissarisch mit wahrgenommen. Herr Mücke erkennt in den bisherigen Verwaltungsabläufen die Möglichkeiten wesentlicher Vereinfachungen, wenn die Nachbarorte Neuendorf und Nowawes vereinigt würden. Gleichwohl kann er sich mit solchen Gedanken nicht bei den Gemeinderäten durchsetzen. Das verhindern „lokalpatriotische“ Vorbehalte.
Trotzdem wird in einigen Jahren die Post mit der Stempelbezeichnung „Nowawes-Neuendorf“ eine „Vorreiterrolle“ einnehmen. Ein großer Teil der Bevölkerung nimmt das gerne an und die Bezeichnung „Nowawes-Neuendorf“ spiegelt sich auch schon bald auf den Ansichtskarten von Otto Thomasczek wider, obwohl es bis zur tatsächlichen Fusion, dann aber unter dem gemeinsamen Namen „Nowawes“ noch bis zum 01. April 1907 dauern wird.
Ein weiterer Wohnungswechsel für die Zeitdauer der Jahre 1893 bis 1897: Wilhelmstraße 8.
Läuft man in der Wilhelmstraße (heute: Alt Nowawes) vom „Restaurant zum Kaiserpark“ (das Gebäude steht nicht mehr) einige Schritte in westlicher Richtung, so kommt man zu jenem Gebäude, gegenüber der Einmündung der Bismarckstraße stehend, in dem die Familie Thomasczek in dieser Zeit ihr Zuhause hat.

Wohl bekannt ist es, dass die Familie Thomasczek gern einmal im Restaurant „Deutsches Wirtshaus“, Wilhelmstraße 15, einkehrt. Es liegt ihrem Wohnhaus schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite. Familie Ulrich bewirtschaftet dieses Restaurant. Der Eigentümer ist zu dieser Zeit der pensionierte Maurer- und Zimmerer-Meister Franz Runge.
1897: Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Berlin, Falkensteiner Straße 16, wohnt Familie Thomasczek wieder in der Neuendorfer Wilhelmstraße, nun aber auf dem Grundstück No. 4.
Hier hat Ehefrau Bertha bereits vor Jahren mit ihren Eltern gelebt. (Dieses Haus existiert heute nicht mehr). Das Bauwerk steht am nordwestlichen Rande des Ortes, dort wo sich in der Gründerzeit Manufakturen und Industriebetriebe der Textilverarbeitung niederließen. Diese modernen Betriebe lösten mit ihren leistungsfähigen Maschinen die traditionelle Nowaweser Handweberei, die in harter Hausarbeit üblich war, zu immer größeren Anteilen ab.
Die Bewohner dieser Häuser Wilhelmstraße 8 und 4 werden im Adressbuch nicht mehr einzeln aufgeführt, denn die Grundstücke Wilhelmstraße 2 – 10 gehören schon seit 1865 der Berlin-Neuendorfer Aktienspinnerei, die später die Bezeichnung Kammgarnspinnerei erhält.
In der Wilhelmstraße 4 wird die zweite Tochter des Ehepaares Thomasczek am 17. Mai 1899 vormittags um 10 1/2 Uhr geboren. Das Kind erhält die Namen Helene Hermine Johanna Dora.
Später, als junge Frau, wird sie Herrn Henker heiraten.
Ihr Leben endet im 79. Lebensjahr, am 24. August 1978, in Landshut.
Nur wenige Schritte neben dem Haus Wilhelmstraße No. 4, strömt das Flüsschen Nuthe in leichtem Schwung, einem angedeuteten Mäandern, der nahen Havel zu. Ein romantisch anmutendes Bild des von Weiden und Erlenbäumen sowie weiteren Großsträuchern halbschattig überkronten, dahineilenden Gewässers, in dem sich munter Fische tummeln, Enten und Schwäne zu Hause sind. Ein Paradies, besonders für die Kinder.
In Nowawes-Neuendorf lässt es sich gut und im Einklang mit der Natur leben.

im Jahr 2012.
Im Vordergrund des Bildes, denken wir uns das inzwischen abgebrochene Wohnhaus Wilhelmstraße 4, in dem die Familien Geudtner und Thomasczek wohnten
Im Hintergrund rechts: Die Havelstraße, die zwischen den Häusern Wilhelmstraße 8 und 10 mündet.
Sehr wahrscheinlich ist es, dass Otto und die Seinen auch gern einmal beim Nachbarn Hilbert im „Restaurant zum Kaiserpark“, Wilhelmstraße 20, zu Gast waren. Diesen Namen trägt die gastliche Stätte wegen ihrer unmittelbaren Nähe zum Schlosspark Babelsberg.
(Die Bilder der beiden genannten Gaststätten werden später vorgestellt).
Vom 01. August 1899 an lebt die Familie Thomasczek in der Neuendorfer Forststraße 24.
Bis zu ihrem Fortzug nach Mühlhausen (Thüringen) im Jahre 1904 wohnt die Familie hier.

Das damalige Haus Nr. 24 ist heute nicht mehr erhalten.
Zeit vergeht.
In Kassel schließt sich dann der Lebens-Kreis für den rastlos und unermüdlich Schaffenden, weil am 26. Januar 1923 dort sein Leben endet. Otto Thomasczek erreicht das Alter von 68 Jahren.