Dieser Teil 1 stellt die Vorfahren-Familien vor – Alteltern, Urgroßeltern, Großeltern und die Eltern.
Der Teil 2 befasst sich mit der „Kinder-Generation“. Er beschreibt in kürzerer Form den Lebensweg des Pastors und Kirchenmusikers Georg Kempff, des älteren Bruder des Pianisten, Organisten und Komponisten Wilhelm Kempff, jun.
Dem Wilhelm Kempff ist der sich anschließende größere Teil mit dessen Lebensstationen und Werken gewidtmet. Zahlreiche Bilder zeigen etwas von der Lebensumgebung im Zeitgeschehen.

Die Musiker-Familien Kempff – Teil 1
„Die Vorfahren“ oder „Die Ahnen“ in Jerichow, Garzau, Gollmitz, Jüterbog und Potsdam

Zusammengestellt von Chris Janecke, aktualisiert: Potsdam, im August 2023.

Leserhinweise und Gastbeiträge sind gern gesehen. Dafür steht die Mail-Adresse: christoph@janecke.name zu deiner Verfügung.

Liebe Leserinnen und Betrachter – weibliche genauso wie männliche,

im Folgenden versuche ich einigen Lebensstationen der Familien Kempff nachzugehen. Als Quellen nutzte ich die Bücher von Wilhelm Kempff jun. „Unter dem Zimbelstern“ und „Was ich hörte, was ich sah“. Nicht in jedem Falle ist in jener Literatur für die Ereignisse der Zeitpunkt angegeben und es gibt Vor-und-zurück-Zeitsprünge in den autobiografischen Darlegungen, so dass meine Notizen eventuell nicht für jeden Punkt streng chronologisch stehen. Ferner las ich Informationen zu den Kirchen in Jerichow, Garzau und Gollmitz – von den Kirchengemeinden herausgegeben.
Es ist mir bewusst, dass die folgenden Notizen viele wichtige Begebenheiten im Leben der Familien Kempff nicht wiedergeben – andere wissende Menschen mögen diese ergänzen und damit aufwerten. Dafür ist am Ende des Dokuments ein Gästebuch vorgesehen. Es bleibt meinerseits bei einem Versuch, verschiedenes aus dem Leben der Familien Kempff „lebendig“ zu halten. Für uns hat es seine Bedeutung und die Familien Kempff haben diese Erinnerung, gleichsam als eine kleine Ehrung, sehr wohl verdient. –
Die aktuellen Fotos stammen vom Autor. Die Fotos versuchen eine Rückschau auf die Jahrzehnte der Familie Kempff in der Mark Brandenburg zu geben, auch wenn ein größerer Teil der Bilder aus heutigen Tagen stammt – die Orte sind identisch.
Nicht für alle alten Fotos / Ansichtskarten konnten Fotograf und Verlag ermittelt werden – zum Teil sind darunter gekaufte Reproduktionen ohne Rückseitenangaben zum Urheber. Druckerzeugnisse, die in allgemeinem Interesse bereits vor Jahrzehnten mehrfach veröffentlicht wurden, bei denen mir aber die genauen Quellen unbekannt sind, stammen aus älteren Zeitungen und Zeitschriften, aus „fliegenden vergilbten Blättern“ ohne weitere Angaben und werden dem Alter nach als gemeinfrei angesehen.
Falls ich mit der Wiedergabe auf dieser nichtkommerziellen Seite die Rechte eines anderen Menschen oder einer Institution unwissentlich berührt haben sollte, erbitte ich eine Nachricht, um die konkrete Quelle nachtragen zu können oder wenn gewünscht, um jenes Bild zu entfernen – soweit die Vorrede.

Welche Informationen werden dem Leser und Betrachter der Bilder zu den Familien Kempff geboten? Bevor wir zu dem Berühmtesten, Wilhelm Kempff, jun., im Teil 2 kommen, sehen wir in die Vergangenheit und schauen woher dieser Wilhelm und seine Vorfahren kamen.
Somit warten in diesem Teil 1 folgende Lese-Etappen auf jeden Neugierigen:

Im Teil 2 begegnen uns die Kinder der Vorgenannten:

Nun, da wesentliche Fragen geklärt sind, kann es losgehen:
Unsere Geschichte zu den Familien Kempff beginnt etwa 1795 in Jerichow, einer kleinen Stadt zwischen Tangermünde und Genthin, die ihrer Umgebung, dem „Jerichower Ländchen“, den Namensstempel aufgedrückt hat, obwohl es in diesem Gebiet weitaus größere Städte gibt, wie Burg b. M. oder eben Genthin. Die stolze Stadt Jerichow hat zur Zeit des Beginns unserer Betrachtung weniger als tausend Einwohner – ist kleiner, als so manches Dorf.

Das Panorama oder das Weichbild der Stadt. Wir sehen links die altehrwürdige Kirche Sankt Georg, die auf den Fundamenten ihres Vorgängerbaus gegründet wurde. Daneben der Bergfried (Wachturm) der mittelalterlichen Burganlage. Rechts das ehemalige Chorherrenstift (die Klosteranlage) und zwischen diesen beiden hohen Sakralbauten das Städteken. Ansonsten besteht die Umgebung aus Feldern, Wiesen und Auen – namentlich der Niederung des Elbtals.
Bildquelle: fotooptischer Ausschnitt aus einer der öffentlichen Informationstafeln. Mit Zustimmung des Förder- und Heimatvereins Stadt und Kloster Jerichow e. V., deren Mitarbeitern mein Dank für diese Unterstützung gilt.

Die Übersicht zur Umgebung zeigt uns die Lage des Ortes sehr nahe des alten Elbelaufs und den Standort der Stadtkirche unweit der früheren Burg.
Bildquelle: Ausschnitt aus einer der öffentlichen Informationstafeln. Mit freundlicher Zustimmung des Förder- und Heimatvereins Stadt und Kloster Jerichow e. V.

Eine grobe Orientierung zur Gestalt des Ortes kann man hier sehen. Die Straßen, die heutzutage die Namen von Politikern des 19./ 20. Jahrhunderts tragen, hatten zur Zeit, als die Kempffs hier lebten, andere Bezeichnungen, die man wohl in den Archivalien noch nachlesen kann. Ähnlich verhält es sich mit den genannten Gaststätten. Auch deren namentliche Erwähnung bezieht sich auf die jüngere Zeit (2023).

Vom nahegelegenen Hügel der früheren Burganlage schauen wir auf die Kirche Sankt Georg, auch kurz „Stadtkirche“ genannt, als Unterscheidung zur Klosterkirche.

Das ist der Ritter Georg, dargestellt auf dem alten Stadtwappen. Georg ist Namenspatron der Kirche. Wir sehen ihn hier geschützt, gewappnet, wie er den Drachen, das Böse besiegt hat. Das Blut des Ungeheuers gibt den zarten aber wehrhaften Rosen Nahrung und Kraft. Das Böse wurde in Gutes gewandelt. Aber – wir wollen es nicht verschweigen, im Rahmen der Christenverfolgung wurde Georg im Gebiet des heutigen Israel getötet (jedoch keinesfalls dort in Jericho); er starb also als Märtyrer und wurde später heilig gesprochen.
Quelle des Wappens: Wikimedia, gemeinfrei.

Der bereits erwähnte Burghügel war in alter Zeit ein stattlicher Burgberg, wird gesagt. Schon im 9. Jahrhundert stand darauf eine slawische Wallanlage, als Fluchtburg für die Anwohner, wahrscheinlich mit doppelter Palisadenreihe, in deren Zwischenraum Erdreich eingebracht war.
In jener Zeit erhielt die Burg und damit auch die Siedlung ihren Namen, der heutzutage
> Jerichow < geschrieben wird. Wissende meinen > jarec / jerec < sei der (erstaunlich namenlose) Kühne, der hier gelebt hatte und > chow < der altslawische Begriff für Burg. Andere deuten: die > Jeri < (plur.) seien die > Tapferen <, die Verteidiger der Burg gewesen. Ein Körnchen Wahrheit mag in gar mancher Deutung enthalten sein.
Die Anlage, die im Mittelalter folgte, war eine kleinere Burg mit hohem Bergfried ... von der Kirche kaum hundert Schritte entfernt. Im Laufe der Zeit, nach Auflösung der Burganlage und Abtragen des Walls, wurde das Areal mehrfach umgestaltet. Dieser Prozess gilt auch heute als noch nicht abgeschlossen.
Bildquelle: Optischer Ausschnitt aus einer Informationstafel. Mit freundlicher Zustimmung des Förder- und Heimatvereins Stadt und Kloster Jerichow e. V.

Der Rand der Hügel-Anlage. Heute sieht man diesen ovalen Rest, mit etwa 90 x 70 m Ausdehnung. Die weitaus höhere Gesamtanlage hatte wohl mit Vorburg, schützenden Vorwällen an der Landseite und mit den Wassergräben, eine Ausdehnung von etwa 190 x 130 Metern.

Die Alteltern Kempff in der Stadt Jerichow

Altvater Kempff geht der Arbeit des Warentransports mit dem Schiff auf der Elbe nach. Er ist ein Binnen-Schiffer.

Hoch ist der Himmel auch über Jerichow. Wir blicken von Tangermünde über die Elbe zur Stadt Jerichow hinüber. Es grüßen uns deutlich die Doppeltürme Sankt Marien und Sankt Nicolai der Klosterkirche Jerichow. Ein Stückchen weiter links schaut die Spitze des kleineren Turms der Stadtkirche aus den Wipfeln.–

Ist Altvater Kempff nicht mit dem Schiff unterwegs, so steht des Sonntags der Besuch des Gottesdienstes in Sankt-Georg an.

Das auf der Nordseite des Kirchenschiffs am Sonntag weit geöffnete Portal lädt die Gläubigen herzlich ein. Gemeinsam mit den zahlreich erscheinenden Einheimischen besuchen auch wir die Stadtkirche Sankt Georg und sehen uns in ihr um. –

Anmerkungen:
Die nachstehenden Informationen stammen vor allem aus den Faltblättern für Besucher und von den öffentlich aufgestellten Informationstafeln. –
In die Kirche dringt trotz vieler Fenster das Tageslicht nur recht verhalten, sehr gedämpft. Das schwache Dämmerlicht reichte für die nun folgenden Fotos nicht aus. Die Bilder hätte der Autor fröhlich-besonnt gestalten können, was aber der Realität stark entgegenstünde ... deshalb hat er versucht, bei der Belichtung zwischen dem Tatsächlichen und einer gefälligen Erkennbarkeit zu vermitteln.
Quelle aller Fotos in den Kirchen: Autor, mit der wohlwollenden Zustimmung von Frau Pfarrerin Rebekka Prozell. Ihr meinen besten Dank.

Der Blick in den ornamental ausgemalten Chorraum auf den Altar. Rechts am Triumphbogen die hölzerne Kanzel mit reich geschnitzter Bekrönung.
Die Gedenktafeln für die Soldaten, die im Krieg 1870 / 1871 gegen Frankreich in den Schlachten fielen und für jene, die aus dem Ersten Weltkrieg nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnten, existierten zu der Zeit unserer Betrachtung noch nicht.–

Vor diesem schlichten Altar wurden die meisten der Jerichower Bürgersleute getraut, so auch hier der Ehebund der Kempffs geschlossen.
Es dominiert das mächtige Epitaph zum Gedenken an den 1606 gestorbenen Amtmann Melchior v. Arnstedt und seine Ehefrau. Geschaffen wurde dieses aufwendige Kunstwerk im Jahre 1609 von dem Magdeburger Skulpturengestalter Sebastian Ertle. Er verwendete für den Unterbau Sandstein, für das Hauptwerk zumeist Marmor, aber auch Alabaster, eine Gipsvarietät.

Die jungen Ehen führten oft zum Kindersegen und damit üblicher Weise zur Taufe der jüngsten Familien- und Gemeindeglieder. Hier wird auch der Sohn, Friedrich Kempff, (Friedrich sen. wird man viel später sagen), getauft. „Heute“ steht der Taufstein in der Klosterkirche.

Ein Blick zur Westseite der Kirche. Der Einbau der Emporen trug der bescheiden wachsenen Einwohnerzahl Rechnung. Die Emporen sind mit lehrreichen Bibelsprüchen geschmückt. Auf der zweiten Empore steht die Orgel. Unten der Türspaltdurchblick in den polygonalen Anbau, als Sakristei genutzt.
Ein Detail der ornamentalen Ausmalung des Chorraumes, eine Schablonenarbeit aus dem frühen 20. Jahrhundert.

Die Gedenktafel für das Hochwohlgeborene Fräulein Sophia Augusta Christina v. Welßing, eingegangen in die Ewigkeit im 80-sten Jahr ihres Lebens. Ihr Erdendasein währte von 1687 bis 1767.

Die Urgroßeltern Kempff in der Stadt Jerichow

In dieser Kirche wurde, wie wir schon lasen, auch der Sohn des Elbschiffers und seiner Ehefrau, das Kind Friedrich Kempff, sen., getauft.
Friedrich wird nach dem Besuch der Schule und allerlei landwirtschaftlichen Aufgaben hauptberuflich der Schafhirte der Domäne. Er lebt mit den Seinen wahrscheinlich im Schäferhaus am Rande der Schäferei-Anlage, in unmittelbarer Nähe des Klosters Jerichow. Es ist allerdings nicht immer ein gutes Auskommen mit dem derzeitigen Oberamtmann der Domäne. Jener ist reichlich unbeliebt, ungerecht und hart. Man muss vor ihm sehr auf der Hut sein. Seinen Namen > Schrader < wollen wir nur ungern im Munde führen. Er ist uns allen fürwahr ein Segen nicht.

In dem schwarz/weißen Teil des Bildes sehen wir die Schäferei. Diese besteht aus drei Langställen für die Tiere, einer Milchküche sowie Räumlichkeiten zur Käsebereitung und auch einem Gelass für das Schlachten. Die Ställe haben Obergeschosse zum Einlagern von Winterfutter und Einstreu.
Das Schäferwohnhaus mit dem Krüppelwalmdach steht ganz hinten, uns die Traufseite zuwendend.
Bildquelle: Detail aus einer der Informationstafeln. Die Genehmigung des Förder- und Heimatvereins Stadt und Kloster Jerichow e. V. zur Veröffentlichung, exclusiv auf dieser nichtkommerziellen Internetseite, liegt vor.

Das ehemalige Schäferhaus war später zeitweilig auch als Bäckerei ausgestattet. Das Gebäude wurde modernisiert, andere Fenster eingesetzt und mit einem Anbau versehen. Ob das Gebäude zur Zeit des Errichtens tatsächlich genauso aussah wie heute, konnte nicht belegt werden.

Ähnliche zu jener Zeit entstandene Bauten, zeigen ein grundsätzlich vergleichbares Aussehen. Solche findet man auch in Jerichow.
Quelle der Zeichnung: Baugewerkeschule Berlin

Das Hauptgebäude der großen Schäferei, unmittelbar mit seinem Giebel dem Wohnhaus des Schäfers gegenüberstehend. Heute ist hierin der Besucherempfang der Klosterareals ansässig.

Ein weiteres Gebäude, früher als Schafstall genutzt.

Schäfer Friedrich Kempff führt die Schafe täglich zum Weiden. Dieser hier gezeigte Schäfer heißt aber nicht Friedrich Kempff – es ist ein beispielhaftes Bild aus späterer Zeit.
Quelle: Öffentliche Informationstafel, Detail. Mit freundlicher Zustimmung des Förder- und Heimatvereins Stadt und Kloster Jerichow e. V.

Die reichlich milchenden Tiere finden in der Elbtalaue eine sehr gute Nahrung an saftigen Gräsern und würzigen Kräutern.

Auch auf anderen Flächen, wie hier an dem vor Hochwasser schützenden Deich, sättigen sich die Genügsamen – halten die Gräser kurz und düngen den Boden.
Bildquelle: fotooptischer Ausschnitt aus einer Informationstafel. Die Zustimmung des Förder- und Heimatvereins Stadt und Kloster Jerichow e. V. besteht.

Die Großeltern des Wilhelm Kempff, jun., väterlicherseits –
das ist das Ehepaar Friedrich Kempff aus Jerichow und Helene Kempff, geborene Rautzenberg aus Dülmen

Jerichow in der preußischen Provinz Sachsen (heute im Bundesland Sachsen-Anhalt) ist immer noch eine recht kleine übersichtliche Stadt. Im Jahre 1840 wird man 1.500 Köpfe der Einwohner zählen.
Aber vorerst: In der Jerichower Stadtkirche St. Georg wird neben weiteren Kindern auch Friedrich Kempff, jun., der Sohn des Schäfers und dessen Ehefrau, im Jahre 1824 getauft. Er ist somit der etwa 1228-ste Einwohner des Ortes und wird mit der gewohnten Feierlichkeit vom Prediger, Herrn Pastor Herzberg, getauft.

Die Stadtkirche Sankt Georg mit unserem Blick auf die Südseite und den Ostgiebel, der zur Straße zeigt.

Es sind nur wenige Wünsche, die der heranwachsende Friedrich Kempff jun. in sich trägt und die ihm erfüllt werden können. Sein größter Wunsch ist es, sich nach dem Abschluss der Jerichower Schule auf den Lehrerberuf vorbereiten zu dürfen. Da aber sein Vater, der Schäfer, früh gestorben war, muss er als ältester Sohn für den Lebensunterhalt der Familie sorgen und kann das Lehrerseminar nicht wie eher üblich in früher Jugend besuchen. So wird Friedrich vorerst ein Ackermann, betreibt die Landwirtschaft für den Erwerb des täglichen Brotes.
Vielleicht ist es ihm ein Trost, dass > Georg <, der Name griechischen Ursprungs, eingedeutscht > der Landmann < bedeutet, – also ein Landmann wie Friedrich daselbst. Dass Jener Heilige Georg nicht nur der Patron der Heimat-Kirche ist, sondern darüber hinaus einer der 14 berühmten Helfer in vielerlei Nöten, ist auch für ihn gewiss erfreulich. So darf sich Friedrich unter dessen mehrfachen Schutz wähnen.

Die Arbeit mit dem Pflug, gezogen von den treuen Pferden.
Quelle: eine alte Ansichtskarte, gemeinfrei.

Die Verwirklichung seines Berufsgedankens muss Friedrich also in die Zukunft schieben. Wunschgemäß baut der Schmied nun nach Friedrichs Angaben ein Haltegestell auf den Pflug, in das der junge Landwirt wahlweise das Evangelische Kirchen-Gesangbuch, den Katechismus des Dr. Martin Luther oder das „Buch der Bücher“ einspannt. Während der harten landwirtschaftlichen Handarbeit des Tages kann Friedrich so außerdem mit dem Kopf lernen. Die geistliche Literatur muss also auch mal den Sand aushalten, mal Regen und auch Sonnenschein ertragen – eben grad so, wie der HErr es gibt – und es gibt geistige und geistliche Früchte als Lohn.

Fruchtbarer Jerichower Mergel-Boden mit guter Krümelstruktur. Korngrößenfraktionen nach Absiebung.

Friedrich singt voller Inbrunst auf dem Acker den Pferden vor: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land ...“ oder „Ein' feste Burg ist unser Gott“, auch „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“. Ja, in die Ferne, das ist sein Wachtraum. –
Wir wissen, dass Friedrich sich außerhalb der Zeiten von Landbestellung und Ernte, auf dem Gebiet der Musik intensiv unterweisen lässt, sogar in der Kirche das Orgelspiel erlernt und dort üben kann. Sein erworbenes Wissen und Können kommt ihm bereits bei der späteren Aufnahmeprüfung am Lehrerseminar sehr gut zustatten.

Am Westgiebel des Gotteshauses „Sankt Georg“ steht auf der 2. Empore die Orgel.

Es ist dem Friedrich Kempff sehr wohl bekannt: Bei der Prüfung zur Aufnahme in ein Lehrerseminar besteht die Hauptvoraussetzung darin, etliche Kirchenlieder, biblische Geschichten und den Katechismus des Dr. Martin Luther auswendig zu beherrschen, also „bibelfest“ zu sein. Das ist das Wichtigste für den Kandidaten. Das erlernt er mit großem Eifer und eiserner Disziplin und das lehrt er später ebenso. Eine alte Ordnung: Jeder Schullehrer, der Kantor und auch der Organist (zu jener Zeit sehr oft in einer Person), unterstehen stets dem Pastor – so liegen die Verhältnisse.
Als Friedrich 33 Jahre alt ist, seine jüngeren Geschwister sind inzwischen erwachsen, kann er sich seinen lang gehegten beruflichen Wunschtraum erfüllen. Am 10. März 1857 begibt er sich auf den Weg zur Aufnahmeprüfung in den weit entfernten Ort Dülmen in Westfalen (Rheinland).
Seit etwa 1830 besteht für den Postkurs > Stendal - Tangermünde - Genthin < auch in der Stadt Jerichow eine Poststation. Zweimal am Tage kündet ein Postillon sein Kommen mit dem Horn oder später auch mit der Trompete an. Die Poststation befindet sich etwa gegenüber der Sankt-Georg-Kirche. Und in diesem kalten Monat März 1857 ist es Friedrich Kempff, der mit seinem bescheidenen Gepäck die Postkutsche besteigt. Die Fahrt vollzieht sich teils mit der Kutsche, ein Stück wohl schon mit der Bahn und längere Strecken „auf Schusters Rappen“, also zu Fuß.
Somit entbehrt die Stadt eines ihrer Bewohner und es leben damit derzeitig 1.688 Seelen unter dem Himmel, der sich über Jerichow spannt.

Diese photographische Aufnahme zeigt die Fahrt der letzten Personenpost am 24. Oktober von Jerichow nach Genthin – allerdings erst im Jahre 1899 – ein großer Abschied bei der Anwesenheit aller Postbediensteten des Ortes. Nun bedient die Eisenbahn diese Strecke.
Bildquelle: Informationstafel. Die Zustimmung des Förder- und Heimatvereins Stadt und Kloster Jerichow e. V. liegt beim Autor dieses Beitrages vor.

Rund 160 Jahre nach des Friedrich Kempffs Kutschfahrt werden von fleißigen Ideenspendern, großzügigen Geldgebern und hervorragenden Künstlern mehrere Hausfassaden am Jerichower Markt gestaltet, darunter auch mit einem Motiv des Postillon-Daseins in einer frischen idealisierten Darstellung.
Ausführende Gestalter: ART-EFX, die professionellen Graffiti-Künstler aus dem MedienHaus in Potsdam-Babelsberg, bieten ihre Mal-Kunst europaweit an und sie genehmigten gerne die Veröffentlichung, exklusiv auf dieser Internetseite.

Eine Antwort auf die Frage warum Friedrich Kempff im zeitigen Frühjahr 1857 ausgerechnet dort in Dülmen, weit der Heimat entfernt, der Teilnehmer eines Lehrerseminars wird, kann uns heute nicht mehr gegeben werden. Manch einer möchte an eine „Vorsehung“ glauben. Unstrittig jedoch ist: Friedrich erfüllt dort sämtliche Anforderungen für eine Aufnahme in das Seminar sehr gut. Nur wenige der weiteren Kandidaten können so wie er, die kleine Orgel der Lehrerbildungsstätte spielen. Friedrich bringt diese Fähigkeit und inzwischen mühelose Fertigkeiten für das Spielen auf diesem Instrument bereits aus Jerichow mit! Friedrich wird sogleich als Seminarist angenommen.

Anmerkung – für stärker interessierte Leser und Betrachterinnen der bisherigen Ausführungen: Als „benachbarten Beitrag“ auf dieser Internetseite gibt es in der Rubrik „Orte“: Ein Spaziergang durch Jerichow an der Elbe. Dort findest du detailliertere Ausführungen zu Jerichow und weitere Bilder.

Während jener Zeit seiner Seminarteilnahme lernt Friedrich Kempff schon bald die 16-jährige Pflegetochter des Dülmener Pfarrers Josten kennen: Sie heißt Elisabeth Helene Rautzenberg. Deren Mutter, Hortense Rautzenberg, geb. Peters, war sehr früh gestorben und die zweite Ehefrau von Helenes Vater Ferdinand Rautzenberg, war ihr, der kleinen Helene, eine märchengerecht böse Stiefmutter, eine wahre Drachin – nur deshalb kam das Mädchen Helene, geboren in Mönchen-Gladbach im Jahre 1841, dort besser aufgehoben, in das Pfarrhaus nach Dülmen. –
In den beiden jungen Menschen Helene und Friedrich finden das lebhafte rheinische Blut des Mädchens und das eher nüchtern ernste Wesen des 17 Jahre Älteren, des künftigen Lehrers, zu einer glückhaften Ehe-Verbindung zueinander. (Aha, daher die Annahme einer Vorsehung.) Das Brautpaar heiratet im Jahre 1860, nachdem Helene 19 Jahre jung geworden war.
Im Anschluss an das Studium wird Johann Friedrich Kempff im brandenburgischen Dorf Garzau, Kreis Oberbarnim, der Schulmeister oder auch Lehrer, Organist und Kantor. Dort ist eine kleinere Gemeinde zu betreuen: 23 Familien der Landgemeinde und 29 Familien aus dem Gutsbezirk. Das sind reichlich 50 Ehepaare mit 191 Kindern (die Zahlen schwanken im Lauf der Jahre). Wo aber befindet sich dieser neue Lebensraum für das junge Ehepaar? Garzau liegt bei Rehfelde, etwa 6 km südöstlich von Strausberg.
Wie aber sieht es dort aus? Im Dorf und in des Friedrichs Arbeitsstätten? Am besten scheint es, wir unternehmen einen gemeinsamen kurzen Rundgang durch den Ort.

Freundlich grüßt uns die Kirche des Dorfes Garzau, ringsum von Linden und Kastanien umgeben. Zur Zeit von Friedrich und Helene Kempff ruhte die Kirche auf dem leicht erhöhten Standort noch nicht inmitten gepflegten Grüns, sondern wurde vom beschatteten Kirchhof mit den Grabanlagen umgeben. Hier also ist Friedrich Kempff in der Zeit zwischen 1860 und 1890 als Organist und Kantor tätig. Aber auch sein weiteres Wirkungsgebiet, die des Schulhalters, ist zu jener Zeit durchaus nicht ohne sakralen Einfluss – das lasen wir schon.

Wir betreten das Gotteshaus, indem wir unter dem Turm hindurch schreiten, der hier, ähnlich wie bei St. Georg in Jerichow, als Dachreiter ausgebildet und demzufolge nicht massiv auf einem eigenen Fundament gegründet ist. Geradezu gehen wir durch das innere Portal ins Kirchenschiff. Links, außerhalb des Bildes, befindet sich der Abstellort für die „Todten-Baaren“ und nach rechts führt die Treppe hoch zur Empore – also zu Friedrichs Arbeitsplatz an der Orgel –, ferner zu den Zug-Enden der langen Glockentaue und eine Treppe höher, direkt zu den Klangkörpern.

Das Kirchenschiff ist mit einem Kanzelalter in kräftig-farbenfroher Gestaltung ausgestattet. Links: das Taufbecken. Mittig: Die Grabplatte für den verehrten Hofrat v. Berger, der viel für die Gemeinde getan hat. Rechts: ein weiteres Lesepult, wenn der Prediger seine Stimme schonen möchte, „das Wort“ nicht von der entfernten Kanzel verkünden, sondern seinen Schäfchen nahe sein möchte.

Vier Kinder entstammen dieser Kempff-Ehe: Friedrich (Fritz gerufen), dann Wilhelm (von dem bald die Rede sein wird), Selma und Ferdinand – alle vier in Garzau geboren. Mit dem geweihten Wasser aus der Metallschale, die als Einsatz zu diesem alten schlichten Taufbecken gehört, werden also auch diese Kinder von Friedrich und Helene getauft.

Unser Blick schweift zum Ein- und Ausgang sowie zur Orgelempore, die 1768 nachträglich in die Kirche eingebaut wurde. Das Instrument an dem Friedrich Kempff und auch sein Sohn Wilhelm, sen. musizierten, stand bis 1945 an der Wand hinter der Brüstungswölbung der Empore. Hier oben sammelte sich neben Friedrich Kempff auch der kleine Laien-Kreis der Sängerinnen und Sänger, die zu Hochfesten der Gemeinde einen Teil des Liedguts darbrachten.

Das alte Schulhaus an der Dorfaue, im Rund nahe der Kirche, nach seiner gründlichen Verjüngungskur, die es nun erheblich anders aussehen lässt, als in den historischen Zeiten. Das Aussehen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte sich einfacher. Kleinere Fenster und vermutlich das Dach ohne Gaube. Es ist wahrscheinlich, dass in diesem Haus auch die Familie Kempff lebte. Lehrer, Kantor und Organist (hier in einer Person) unterstanden dem örtlichen Pastor und die Oberaufsicht über alle Schulangelegenheiten oblag dem Inspektor, dem Hauptpfarrer (=> Superintendenten).

Ein gepflegtes bäuerliches Anwesen als Muster für Garzauer Verhältnisse.
Eine Feldstein-Scheune in Garzau.

Die schattige Nordseite der Garzauer Kirche. Davor eine Gedenk- oder auch Mahn-Säule, die an sinnlose Kriege erinnert und an Jene, die aus den Scharmützeln nicht mehr zu ihren Familien zurückkehrten. „Sie gaben ihr Leben auf dem Felde der Ehre für König, Volk und Vaterland“ ... und schon sind wir bei Verdrehungen in der Geschichte angelangt. Manch ein Betrachter sieht in der Denkmalbekrönung einen „schützenden“ preußischen Adler, der seine Schutzfunktion nicht erfüllte aber ein anderer wünscht sich eher eine der Friedenstauben – und ferner, dass diese doch nur weitaus früher vor Kriegsbeginn, hätten kommen sollen.

Ab 1867 wird am Ort die Preußische Ostbahn (Berlin-Cüstrin-... ) vorbeiführen und sogar ein Bahnhof für die nah benachbarten Orte: Rehfelde, Garzau, Garzin und Werder wird gebaut. Beste Verbindungen – Herz, was willst du mehr?

Aber bereits um 1780 hatte der Graf Friedrich Wilhelm Carl v. Schmettau nördlich des Dorfes einen Landschaftspark anlegen lassen. In diesem wurde eine große Feldsteinpyramide als Grabmal gebaut, eine Rarität, die ihresgleichen hinsichtlich Größe, Materialwahl und Schönheit in Deutschland vergeblich sucht. In dieser Zeit, in der die Kempffs hier leben, ist jene Pyramide aber bereits dem Verfall preisgegeben und wird vom halbwilden Grün des Parks eingehüllt.

Quelle: Gemäldeausschnitt einer Aufstellertafel der Aufbauleitung zur umfassenden Information der Besucher. Künstler unbekannt. Entstehungszeit um 1785.

Anmerkung: Es gibt weitere Bilder zum Dorf Garzau und zur Pyramide, die du nicht versäumen solltest! Am Ende des Dokuments ein Link, der dich dorthin führt.

Die Jahre, die Jahrzehnte, eilen in emsiger Arbeit dahin. Im Alter ist Friedrich, inzwischen längst Großvater, gesundheitlich leider sehr eingeschränkt. Er litt vorerst unter einer Augenerkrankung. Die dringend angeratene Operation verfolgt selbstverständlich das Ziel bester Heilung – allein, die Operation mißglückt wohl gründlich. Im Verlauf des Eingriffs werden dem Patienten letztendlich beide „Augäpfel“ entfernt. Dadurch ist Friedrich nach der medizinischen Behandlung verständlicher Weise plötzlich völlig erblindet. In der gewohnten häuslichen Umgebung findet er sich aber auch ohne das Sehvermögen zurecht. –
Seinen Lebensabend verlebt Friedrich unter ihn recht einschränkenden Bedingungen mit seiner Frau Helene im nahegelegenen Ort Strausberg.
Nachdem Großvater Friedrich Kempff dort gestorben war, siedelt Großmutter Helene Kempff zum Wohnort von Sohn Wilhelm sen., dessen Ehefrau Clara und deren Kindern, ihren Enkeln, nach Potsdam über. Hier lebt sie im Lehrer-Witwenhaus in der Zimmerstraße 12, direkt am früheren Holzplatz der Zimmerleute oder noch einen Deut schöner beschrieben: Das Haus befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Parks von Sanssouci. –
Am 21. Januar 1911 wird sich auch der Lebenskreis der Großmutter Helene Kempff, geborene Rautzenberg, in ihrem Zimmer im Potsdamer Lehrer-Witwen-Haus, im Alter von 69 Jahren schließen.

Nun lesen wir etwas über den zweiten Sohn des eben vorgestellten Paares Friedrich und Helene Kempff, und das ist Wilhelm Kempff, sen. mit seiner Ehefrau Clara, einer geborenen Kilian

Robert Ferdinand Gustav Wilhelm Kempff. Wir nennen diesen jungen Mann zur Unterscheidung „Senior“, weil einer seiner Söhne dann später ebenfalls Wilhelm heißen wird, den wir dann mit Wilhelm, jun. bezeichnen. Wilhelm, sen. wird in Garzau bei Strausberg im Oberbarnim, am 28. Februar 1866 geboren. Wilhelm empfindet bereits als Junge übereinstimmend mit Goethe recht deutlich: „Vom Vater hab' ich die Statur, des Lebens ernstes Führen – vom Mütterlein die Frohnatur und Lust zum fabulieren“. So liegen die Vererbungsverhältnisse auch hier.
Wilhelm Kempff, sen. hat, im Gegensatz zu seinem Vater Friedrich, bereits in jungen Jahren die Möglichkeit, das bedeutend näher liegende Lehrerseminar Altdöbern in der Niederlausitz zu besuchen. Altdöbern ist ein 2.000-Seelen-Ort südlich des Spreewaldes, südwestlich von Kottbus, zwischen Vetschau im Norden und Großräschen im Süden liegend. Im Anschluss an die zeitlich überschaubare Lehrer-Ausbildung beginnt seine aktive berufliche Laufbahn nur etwa 15 km weiter. Als Dorfkantor, Organist und Lehrer soll er in Gollmitz / Chanc, einem Dorf zwischen Calau / Kalawa und Finsterwalde gelegen, wirken. Dorthin hat ihn das Lehrerseminar vermittelt. Etwa 245 Einwohner und deren Seelen sind hier zu betreuen. Die Einwohner sind hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig aber mehrere arbeiten auch in der Ziegelherstellung, in der Molkerei, im Sägewerk, in der Schmiede und in der Windmühle.
Der Ort, dieses vormals wendische Rundlingsdorf, hat seinen Namen vom slawischen Wort Golm oder Cholm (Kolm oder auch Xolm gesprochen), was Berg bedeutet oder zumindest einen Hügel kennzeichnet. Südöstlich des Ortes befindet sich tatsächlich der etwa 158 m hohe Brautberg, in früheren Zeiten wohl als Heiligtum der slawischen Göttin Schiwa verehrt. Nun ja, die 158 m Höhe beziehen sich auf den Meeresspiegel, den man von hier nicht erblicken kann. Die Gollmitzer selbst sehen eher ein flacheres Braut-Hügelchen. Obwohl – eigentlich könnte man bei den Höhenangaben sogar noch etwas zulegen, denn oben auf dem Berg steht der pyramidale trigonometrische Holzturm, welcher der Triangulation bei der Landvermessung dient. Er ist ein beliebter, wenn auch für den Laien verbotener Aussichtsturm. Und dieses Thema reizt auch den Wilhelm. Wie sollte er den Schülern lebhaft über die herrliche Aussicht und über die Gefahren berichten, wenn ihm selber die praktische Erfahrung fehlt? So ging er auf seine Entdeckungsreise zum Holzriesen und zur Schiwa. Etwa auf der gefühlten Hälfte zwischen Erde und Himmel wurde ihm schwindelig, konnte er sich nicht mehr in der Höhe halten und stürzte an der Leiter hinab, bis auf die nächste Plattform, wo er zwar den Weckruf der Rippenbrüche vernahm, ihm jedoch vor Schmerz vorerst erneut die Sinne schwanden – doch bis in den Schiwa-Himmel kam er auch auf diesem Nebenwege nicht. – So war Wilhelm, bald nach seinem Karrierebeginn, für einige Zeit außer Dienst an Schülern und Kirche gesetzt. Das gesamte Dorf hat ihn, den Neuen, mithin sehr schnell kennengelernt. Doch auch Wilhelm wurde zügig mit der überwiegenden Zahl der Einwohner bekannt. Besonders fiel seiner Aufmerksamkeit die hübsche blonde Tochter Clara aus der Familie des Bauern Kilian auf – wir wollen es nicht verschweigen. –
Gollmitz ist seit 1871 mit der Welt verbunden, was der damals neu angelegten Eisenbahnstrecke Kottbus - Falkenberg zu danken ist.

Die Kirche von Gollmitz. So etwa sah auch Wilhelm dieses Bauwerk, aber erst bei späteren Besuchen, denn dieses Aussehen erhielt die Kirche erst ab 1901. Vorher war das Gotteshaus kleiner, kürzer, niedriger, mit kleineren Fenstern und einem an das Kirchenschiff angesetzten Glockenturm aus Holz. Auch die vormaligen Bäume waren kleiner und die Kirche von den Gräbern der Ahnen umgeben.

Der Altar oder der Abendmahlstisch. Der Aufsatz wurde von dem Calauer Tischler und Holzschnitzer Georg Wolschke gearbeitet. Das Altarbild eines uns unbekannten Künstlers zeigt die Golgatha-Szene des am Karfreitag-Nachmittag scheidenden Jesus Christus sowie der Mutter Maria und dem Jünger Johannes, die ihm versuchen beizustehen. Ein Lorbeeroval fasst diese Darstellung ein. Darunter das Heilige Abendmahl mit Lehre, Speise und Trank, Gedenken, Segen – momentan vom Blattschmuck verdeckt. Der Altar wurde der Gemeinde im Jahre 1704 von der Erb- und Lehnsherrin Maria Möller aus Gollmitz, gestiftet.

Die Kanzel. Von hier aus verkündet der Prediger „das Wort“, ermuntert und ermahnt die Gemeinde, erbittet Segen und Frieden für alle ... und das von dieser Kanzel schon seit 1704. Anno Domini 1704 fertigte der vorgenannte Calauer Tischler Georg Wolschke auch diesen Predigtplatz und die Patronin Maria Möller spendete auch für das Fertigen dieser Kanzel das Geld.

Der Arbeitsplatz zum Lobe Gottes am Spielschrank der Königin aller Instrumente.
Die Kirche besaß ab 1803 eine bereits gebrauchte Orgel aus Drehna als erstes Instrument. Als Wilhelm Kempff, sen., 1892 das Dorf Gollmitz in Richtung Jüterbog verlässt, ist dieses Instrument an das Ende seiner Zeit des Musizierens gekommen.
Man geht fest davon aus, dass der junge Kantor und Organist nichts dafür konnte!
Nach 1892 gibt es dann die zweite, neue Orgel, deren äußeres Gewand wir hier sehen, hergestellt von Orgelbaumeister Julius Schwarz aus Rostock, die etwa bis 1984 ihren Dienst tat. Das Orgelpositiv nach neugotischem Geschmack gefertigt. Gestiftet wurde dieses Instrument vom Patron Wätgen aus Fürstlich Drehna. Wilhelm Kempff sen., hat also in seiner Zeit auf beiden Orgeln gespielt und sein Sohn, Wilhelm, jun., musizierte wahrscheinlich gastweise auch auf diesem zweiten Instrument bei seinen Besuchen in Gollmitz.

Die inzwischen historische Dorfschule von Gollmitz. Zur der Zeit, als auch die Kilian-Kinder diese Bildungseinrichtung besuchen, unterstehen der Lehrer und der Kantor (oft in einer Person), sowie die Schulaufsicht dem Prediger bzw. dem Superintendenten, also dem Haupt- oder Oberpfarrer des Kirchensprengels.
Der Kantor / Lehrer wohnte praktischer Weise im Schulhaus – aber auch für die meisten Kinder betrug der Schulweg nur wenige Schritte.

Wie sich die Kilian-Kinder entwickelt hatten, welche Leistungen sie während der Schulzeit erbrachten, legt uns diese Übersicht offen:

Hier in Gollmitz schließt er, der nun fast 25-jährige überlegsame dunkelhaarige Wilhelm, am 10. Januar 1890 die Ehe mit der blonden Henriette Clara Kilian, die am 27. September 1868 in diesem Dorf geboren wurde. So gibt es im Dorfe plötzlich eine Frau Clara Kempff aber ein Clärchen Kilian vermisst man. Sie ist eine schlanke, wendige und behände junge Frau. Nicht übermittelt wird uns, ob sie als Braut aus Freude und zur Ehre der Göttin Schiwa auch um den Brautberg tanzte, wie es die Sage als Brauch und Sitte über ferne Vorgängerinnen berichtet – ob sie es gar gemeinsam mit ihrem Verlobten Wilhelm tat? Oder ob seine Rippen ...? Nun, er hatte ja schon eigene Erfahrungen auf dem Brautberg – wollen wir daran nicht mehr rühren. –
Eine geraume Zeit vorher, als Clärchen Kilian den Wilhelm in ihrem Elternhaus vorstellte und Wilhelm es dann wagte „um ihre Hand anzuhalten“, fragte der Landwirt Gottlieb Kilian etwas barsch, sinngemäß: „So, meine gute Tochter will Er haben, will sie wegheiraten? Lehrer, Kantor und Musiker ist Er? – und wovon will er meine Tochter ernähren? ... und Kinder?“ Da war es eher an Clara, den Vater milde zu stimmen. – Die Frage des „Groben Gottlieb“ aber war nicht unberechtigt. Diese gleiche Frage wird Wilhelm, sen. sich später auch selber vorlegen, wenn er nach fleißiger zeitfüllender Tagesarbeit zusätzlich Privatunterricht erteilen wird, um seine Familie „über Wasser“ zu halten.

Das Wohngebäude der Wirtschaft des mittelgroßen Vierseitenhofs des Bauern Kilian.

In der Küche richtete Mutter Kilian täglich die kräftige märkische Kost ... und führt auch die Töchter zeitig in dieses Wissen ein. Jeder auf dem Hof muss fleißig die Hände rühren.
Gollmitz ist für Wilhelm Kempff nicht nur sonnenwarm überstrahlt wegen der Liebe zum Clärchen – Gollmitz bedeutet: Weckruf der Hähne auch auf dem Kilianschen Bauernhof, das Muhen, Wiehern und Gackern, das Gurren der Tauben. Gollmitz, das ist auch der Lerchengesang in der Feldflur, sind ebenso die Pilze und Heidelbeeren im Wald – alles in allem: Gollmitz ist ein umfassender Begriff für ein arbeitssames, für das alle Sinne lebensfroh-erfüllende harte Landleben.

In den Ställen wiehert, muht, blökt und meckert es munter. Und ein Stück weiter gackert es – selbstredend!

Selten kommen die Kilians dazu sich tagsüber zu setzen, die Hände in den Schoß zu legen und ruhen zu lassen. Manchmal, am Abend, wenn nicht gar zu müde, nehmen sie hier mal Platz oder ...

... im anschließenden Garten, der in das Wiesenland übergeht, um den „eben noch gelben Sonnenball glutrot untergehen zu sehen“.

Schon bald aber, noch in seinem 25. Lebensjahr, wird der junge Lehrer Wilhelm nochmals selber ein Schüler, und zwar am Königlichen Institut für Kirchenmusik in Berlin. In jener Trennungszeit lebt Ehefrau Clärchen bei den Kempff-Schwiegereltern in Garzau, im Oberbarnim. Für Claras Eltern bleiben ja noch ihre Geschwister Ernst und Alwine. Und die Gollmitzer Kirche bekommt einen anderen Kantor. Wilhelm besteht in Berlin nach einem Jahr des intensiven Studiums die Abschlussprüfung mit dem Prädikat: „Auszeichnung!“ Das anerkennt auch der Bauer Gottlieb Kilian.
Bereits nach dieser Prüfung im Jahre 1892 erhält Wilhelm die Berufung in das Landstädtchen Jüterbog als Kantor und Organist an der Nikolaikirche sowie als Lehrer an der „Mönchenschule“. Das ist genau dort, wo es seit der Zeit der Kirchen-Reformation keine Mönche mehr gibt. – Somit ist oder richtiger: somit war Wilhelms Aufenthalt in Gollmitz ein nur kürzerer – eher eine Gastrolle. Man verzichtet darauf, ihn in der Liste verdienter Lehrer zu erwähnen. So gibt es in der Schulchronik nichts über ihn zu lesen – die offizielle örtliche Geschichtsschreibung ging darüber hinweg. Nur wir sind die Wissenden, die nun die Vorgänge in Gollmitz zu jener Zeit hinreichend gut kennen. –
Der Ruf nach Jüterbog bedeutet für Wilhelm, sen. einen Aufschwung aber auch den Abschied von der Niederlausitz mit ihrer sorbischen Prägung. Gollmitz wird zu einem Ort der nun folgenden jährlichen Ferienaufenthalte.

Das erste Kind von Wilhelm und Clara, ist >Selma< Sie wird in Gollmitz geboren, verlässt aber die Eltern bald wieder, erhält im Gollmitzer Friedgarten nah bei der Kirche ihren kleinen Gedenkort.
Bildquelle: Karte, Sulamith Wülfing-Verlag, Wuppertal-Elberfeld, Serie 3, Bild 3, bearbeitet.

Der Ortswechsel des Ehepaares nach Jüterbog bedeutet einen Aufbruch in den Landschaftsraum „Fläming“ – und eine Trennung von der Vorstellung eines geruhsamen Dorflebens mit etwas Zeit für Liebhabereien, denn in Jüterbog mit rund 7.300 Einwohnern, erwartet ihn, den nunmehr 26-Jährigen, ein tägliches straffes Programm:

Die vier Kinder des Ehepaares Wilhelm Kempff, sen. und Clara Kempff geborene Kilian:
1. Selma Kempff, geboren in Gollmitz und auch dort als Kleinstkind gestorben.
2. Elisabeth Kempff, genannt Elsa, geboren in Gollmitz, im Jahre 1891.
3. Friedrich Wilhelm Georg Kempff, geboren in Jüterbog 1893.
4. Wilhelm Walter Friedrich Kempff, jun., geboren in Jüterbog 1895.
Letztgenannter wird zur Hauptperson des Teils 2 dieses Beitrages.

Zu jener Zeit, als Familie Kempff hier am Mönchenkirchplatz im früheren Mönchenkloster lebt (im hinteren Gebäude des Bildes) ist die Hauswand völlig von Efeu überwachsen. Die Familie wohnt im grünen Gewölbe.

1899

Der Vater Wilhelm Kempff, sen., wird nach nur sieben Jahren rastloser Tätigkeit in Jüterbog – nach Potsdam, in die zweite Residenz der Preußischen Kaiser und Könige berufen. In Potsdam leben derzeitig etwa 60.000 Einwohner.
Anmerkung: wenn wir hier > Vater Wilhelm sen. < lesen, wollen wir daran denken, dass er derzeitig erst im 34. Lebensjahr steht.

Das Panorama der Stadt Potsdam. Fast mittig die Nikolaikirche mit ihrer mächtigen Kuppel. Sie ist die künftige Haupt-Arbeitsstelle des Wilhelm Kempff, sen.
Gemalt im Jahre 1872 von einem uns leider namentlich nicht mehr bekannten Künstler – Ehre seinem Andenken.

So wechselt der Organist Wilhelm Kempff sen., und mit ihm natürlich auch seine Familie, von der Jüterboger Nikolaikirche an die Nikolaikirche in Potsdam.
Diese beiden Nikolaikirchen wurden auf den Plätzen ihrer Vorgänger-Gotteshäuser errichtet, die in beiden Städten Katharinenkirche hießen.

Die zweitürmige Nikolaikirche in Jüterbog.
Der Kuppelbau der Nikolaikirche in Potsdam. Vorn die Havel, dahinter das Kaiserlich-Königliche Stadt-Schloss.

1899 bis etwa 1909

Die Familie Kempff lebt nun im Potsdamer Zentrum, Am Wilhelmplatz No. 10.
Es wohnen im Hause: der Eigentümer und Hauswirt Herr Carl Brisnick. Er führt dort ein Spezialgeschäft für Damenkonfektion und Stoffe. Des Weiteren zwei ältere friedensliebende Fräulein namens Krieger im Pensionsalter – leibliche Schwestern. Ferner wohnt hier Frau Ida Frentzel mit ihrem Putzgeschäft – also, sie putzt nicht bei anderen Leuten, sondern fertigt auffälligen Schmuck für Damenhüte nach neuester Mode. Dann lebt im Hause die Witwe Friederike Lieben, geborene Wegner – und nun auch noch die Familie Kempff.

Familie Kempff wohnt ein Jahrzehnt, von 1899 bis 1909, am Wilhelmplatz, der mit Linden und Kastanien eingefasst ist. Im Frühjahr blühen die Kastanien prächtig in rot und weiß, die Linden verströmen ihren herrlichen Duft. Bis zur Nikolaikirche ist der Weg für den Organisten Wilhelm ebenso nah, wie zur Charlottenschule für den Gesang-Lehrer Wilhelm, also der anderen Arbeitsstelle – für den Gesangunterricht der Mädchen.
Quelle: Zeitgenössische Ansichtskarte.

In Potsdam warten, ähnlich wie damals in Jüterbog, bereits zahlreiche Aufgaben auf Wilhelm Kempff, sen.:

Vater Wilhem Kempff, sen. gilt hier sowohl als Chormeister und Pianist, wie auch als Dirigent. In die beiden letztgenannten anspruchsvollen Arbeitskreise werden seine Söhne Georg und Wilhelm, jun. bald als Sänger einbezogen.

Die Jahreswende von 1899 zu 1900 in Potsdam.
Eine Passage aus dem Buch von Wilhelm Kempff, jun. „Unter dem Zimbelstern“:
„Tausende und abertausende von feurigen Raketen waren zum nächtlichen Himmel gestiegen, um die Geburt des neuen Jahrhunderts in das hellste Licht zu rücken. Die ganze Menschheit – von den Grenzen Asiens bis zu den Antipoden – hielt den Atem an, als die Silvesterglocken das Jahr 1900 einläuteten. Damals hätte man meinen können, dass nun wirklich das Nahen eines neuen Zeitalters, des goldenen, sich allenthalben ankündigte. Die Telegraphen summten gleich aufgeregten Hornissenschwärmen und trugen sich von Tokio bis San Francisco die Freudenbotschaften am Neujahrstage zu. Die Vision einer geeinten Menschheit, von Schiller und Beethoven in ekstatischer Schau vorausgeahnt, schien erfüllt zu werden. Das >Seid umschlungen Millionen, dieser Kuss der ganzen Welt<, ließ auf einige Augenblicke vergessen, dass am fernen Horizont für den nüchternen Beobachter der politischen Wetter, sich die ersten Kumuluswolken auftürmten.“ – ...

Was wäre die Menschheit wenn sie nicht Anlässe fände, um immer wieder neue Hoffnung zu schöpfen? Übrigens prosteten sich nicht alle Menschen am 31.12.1899 einander zu. Ein Teil der Leute tat es besser genau ein Jahr später, bei der Zeitwende von 1900 zu 1901, bei der echten Jahrhundertwende. Wiederum andere Zeitgenossen feierten sehr gerne und mit großem Vergnügen das Spektakel zweimal. So war das damals.

1909
Die Familie Kempff wechselt nach einem Jahrzehnt die Wohnung. Sie zieht in einen modernen Neubau nahe den recht feuchten Stieffschen Wiesen an der Moltkestraße, nur ein kurzes Stück entfernt vom „Heiligen See“ und der Königlichen Parkanlage „Neuer Garten“. Vor noch nicht allzu langer Zeit, um die Jahrhundertwende, war dort die Stadt zu Ende. Der Erweiterungswille führte jedoch zum Abriss des dortigen Teils der Stadtmauer. Die Stadt Potsdam dehnt sich aus.

Die bis 1900 begrenzende Stadtmauer und dahinter die Wiesen des Herrn Stieff. Jener Herr Stieff war der Besitzer der Potsdamer Seiden-Fabrik und wohnt in der Behlertstraße, unweit des Heiligen Sees und seiner nun ehemaligen Wiesen. Diese wurden zu höherwertigem Bauland, was den Besitzer nicht reute.

Dort, wo noch vor geraumer Zeit die Stadtmauer stand, erheben sich an der Moltkestraße (nach 1945: Hebbelstraße) nun vornehme Neubauten, mit neuzeitlichem Komfort. Dahinter liegen die Wiesen, die nun entwässert, „vorgetrocknet“ und dann weiter bebaut werden.

Das Kempffsche Klavier aber nimmt die dort herrschende feuchte Luft übel und die Familie möchte einer Rheumaerkrankung vorbeugen. Mit der sehr vornehmen und musik-geräuschempfindlichen Wohnungs-Nachbarin ist auch nicht gut Kirschen essen. Das alles führt zu einem einschneidenden Entschluss: Nach nur vier Monaten des Aufenthaltes zieht die Familie Kempff fort von dort, zur Kiezstraße 11. Das ist zwar ebenfalls unweit des Wassers aber doch etwas trockener und auch freundlicher. – Ein schwieriger Einzug. Die Möbelträger kennen die Familie Kempff ja schon – die Kempffs kennen jene aber auch mit ihrem Gestöhne und Geächze. Nun gut, nicht jede Familie lässt ein Klavier treppab, treppauf transportieren. Man wusste jedoch die Verzweifelungsäußerungen der Arbeiter zu dämpfen, weil die benachbarte Gaststätte „Froschkasten“ in der Kiezstraße 4, unter der bewährten Führung der Witwe Lehmann, probate Mittel dagegen in ihrem Hause führte.

Die (damalige) Gaststätte in der Kiezstraße 4, sieben Häuser von der neuen Wohnung der Kempffs entfernt.
Der Eingang zur früheren gastlichen Stätte, (die der Autor noch von innen kennt).
Das Haus Kiezstraße 11 mit der für Familie Kempff noch neuen Wohnung.

Potsdam, Kiezstraße 11. Es wohnen zu dieser Zeit hier: Emma und Agnes Noack. Sie sind leibliche ältere Schwestern, beide noch Fräulein und die Eigentümerinnen des Anwesens sowie somit auch die Vermieterinnen der Wohnungen. Ferner lebt hier Herr Albert Henrici ein eremitierter und alleinsitzender Lehrer. Weiterhin wohnt dort die ehemalige Aufwärterin Klara Gürke, eine große Seele, die wegen einer ausgeprägten Wirbelsäulenverkrümmung recht klein erscheint. Dann der Privatmann David Grauel und der Installateur für Wasser- und Abwasserleitungen, Meister Roman Piasecki. Des Weiteren lebte hier bisher der Prinz und Hauptmann Ottfried v. Schönaich-Carolath mit seiner Schwester, einer echten Prinzessin – und prinzliche Geschwister sind sie sowieso. So 'was aber auch. In deren vormalig prinzlichen Wohnbereich zieht nun nach der Reinigung die Familie Kempff ein. – Mit den Nachbarn kommen sie gut zurecht und auch das harmonische Tönen des Klaviers wird akzeptiert. Täglich kostenlose Konzerte. Insgesamt für alle ein „Glücksfall“.
Das noch druckfrische Adressbuch nennt die gesamte Familie:
„Wilhelm Kempff, Königlicher Musikdirektor, Organist in der Potsdamer Nikolaikirche und Gesanglehrer“.
Wenn die Kinder Elsa, Georg und Wilhelm jun. auch später aus dem Haus gehen, die Kempff-Eltern werden bis 1938 hier wohnen. Die Wohnung ist gut. – Nebenan in der Kiezstraße 10, befindet sich die Tagungsstätte einer Loge der Freimaurer, die Loge „Minerva“. Gut zu wissen, falls 'mal eine Baureparatur vonnöten ist – ansonsten hat Herr Piasecki seine weitreichenden Verbindungen, nicht nur zu Rohrleitungen aller Art.
Seit der Zeit, nachdem der Vater Friedrich Kempff in Strausberg gestorben war, lebt die Mutter von Wilhelm sen., Helene Kempff geborene Rautzenberg, im Potsdamer Lehrer-Witwen-Haus, Zimmerstraße 12, nur wenige Fußminuten von der Kiezstraße entfernt. Man besucht sich oft und gern.

Das Lehrer-Witwen-Haus in dem Großmutter Helene Kempff mit mehreren älteren Damen zusammen lebt – jede natürlich in ihrem eigenen Refugium. Mit nur wenigen Schritten, durch den „Affengang“, sind die Damen im Park von Sanssoui – was will das Herze mehr – wenn nun doch noch der Fritz da wär'.

Wilhelm Kempff, sen. unterrichtet seit 1899 jahrelang Gesang in der Charlottenschule. Die Schule begeht im Jahre 1911 ihr 50-jähriges Bestehen.
Zeitgenössische Ansichtskarte, Fotograf und Verlag unbekannt. Repro: Foto-Herrmann, Potsdam. Kleines Bild: Die (ehemalige) Charlottenschule 88 Jahre älter – im Jahr 1999.

Zeitgenössische Zeitungswerbung in Potsdam für jedwede Leistungen.

Wir erleben in diesem Beitrag nun einen großen Zeitsprung von 1911 bis 1938!
Die Beschreibung wichtiger Ereignisse im Zeitzwischenraum gehen uns aber keineswegs verloren, denn dieser Zeitraum wird mit den später, im Teil 2 beschriebenen Erlebnissen des Junior-Wilhelm gefüllt.

1938
Viel, viel Zeit ist vergangen, vieles Wasser die Havel hinunter geflossen.
Seit rund sieben Jahren befindet sich Wilhelm, sen. im Ruhestand, ist aber weiterhin in mehreren Ehrenämtern tätig. Nochmals steht ein Wohnungsumzug an. Nun ziehen Wilhelm, sen. und Ehefrau Clara innerhalb der Stadt wieder nahe zu Wilhelm, jun. heran. Von der Kiezstraße 11 in die Große Weinmeisterstraße 33. Wilhelm Kempff jun. wohnt bereits nebenan in der Albrechtstraße. Die Gärten der Grundstücke liegen „Rücken an Rücken“ beieinander. Man hat also für Eltern, Kinder und Enkel kürzeste Besuchswege. Die Eltern wohnen in einem 2-geschossigen Gebäude, der Sohn verfügt über ein niedrigeres Haus, eingeschossig mit einer Mansardetage. Beide Häuser stehen am Rande eines kleinen neu erbauten Wohnviertels. Die Anlage stammt von den Architekten Estorff und Winkler. Die Häuser zeigen einen freundlichen konservativen Stil, der von schlichter Eleganz geprägt ist.

Hier lebt nun das Ehepaar Kempff, sen.

In knapp sieben Jahren des gegenwärtigen „1000 Jahre währenden Reiches“, werden, niemand ahnt das jetzt schon, in diesen Gebäuden sowjetische Offiziere wohnen und kein Potsdamer darf zwischen dem Frühsommer 1945 und dem Jahr 1994 diesen militärisch streng abgeriegelten, scharf gesicherten Teil seiner Heimatstadt betreten.
Doch das muss Wilhelm, sen. nicht mehr erleben. Der Musikdirektor a. D., Organist, Kantor und Gesanglehrer Robert Ferdinand Gustav Wilhelm Kempff stirbt im Hause Große Weinmeisterstraße 33, am 30. August 1938. Er ist 72 Jahre alt geworden und war 48 Jahre mit Clara geb. Kilian verheiratet. Aus dieser Ehe kamen vier Kinder, von denen drei erwachsen wurden.

– Ende des Teil 1: „Die Vorfahren“ oder „Die Ahnen“ –

Hier geht es weiter zum 2. Teil:

Die Musiker-Familien Kempff – Teil 2: Die jüngeren Musiker Georg Kempff und Wilhelm Kempff in Jüterbog, Potsdam und in der Welt.

Gästebuch

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