Der wackere Schmiede-Meister der Stadt Jüterbog
Zusammengestellt von Chris Janecke, Bearbeitung: Februar 2023.
Korrekturhinweise zu diesen frühen Begebenheiten werden gern gesehen.
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Zuhause auf dem Damm
Die Sage nimmt ihren Anfang im Westen vor dem Tore der gerühmten Stadt Jüterbog unweit des Dorfes namens Damm, all so in der Nähe des Jüterboger Haupt-Stadttores, welches man das Dammtor nennet, es aber auch das Frauentor oder das Mönchentor geheißen wird – so wurde es von Generation zu Generation weitergesagt, uns übermittelt.
Hier lebte seinerzeit der geschickte Schmied Krischan mit Jutta, dem ihm angetrauten vortrefflichen Weibe. Gemeinsam mit dem Kinde, in Fleisch und Blut den Eltern nachkommend, auch dank ordentlicher Erziehung im Wesen recht wohlgeraten, nannte man sie eine glückliche Familie – nichts anderes ward bekannt. Des Kindes Mutter ward die Güte daselbst. Der Vater, ein recht Kluger, trug sein Herze unter dem Wams wohl auf dem rechten Fleck.
In diesem Gebiet unserer Heimat geschahen die nun folgenden sagenhaften Begebenheiten. Der rote Pfeil weist uns den genauen Ort des Geschehens.
Zum Haushaltskreise der Schmied-Familie gehörten auch der gelb-braun-schwarz befellte, selten kläffende aber wachsame Kanis, dem die Züge seiner Urahnin Lupusa noch deutlich aus dem treu-aufmerksamen Gesicht schauten. Dann die getigerte achtsame und rasch zugreifende Jägerin Felisa, die von den Mäusen noch nimmer zum gemeinsamen Mahl geladen ward. Nicht zuletzt die muntere Hühnerschar, die froh gackernden Eierspenderinnen, deren bunt befiederter Herr allfrühmorgendlich seinen Weckruf markig ertönen ließ. Enten gab es selbstpakend ebenso. Und – wir wollen es nicht vergessen zu erwähnen: das springlebendige, reichmilchende Zickelein, die gute Luise, die man mit langer Laufleine am Birnenbaum hielt. Sie wiederum hielt diesen weitläufigen Platz als kreisrunde Scheibe frei von jedweder langstielig aufsprießenden Flora. Sie speiste das Angebot der gen Sonne strebenden schmackwürzigen Kräuter und zartsaftigen mehrartigen Gräser. Da gab es für sie im Leben nur wenig zu meckern. –
Schmied Krischan ward gar manch' geheimer Wissenschaft kundig. So kannte er eine Tinktur, die wohl schon uralt war und etwa so selten, wie die legendäre „Blaue Blume“. Von diesem gehütetem Absud verwahrte er ein noch reichlich' Maß in der Großphiole im Schranke mit den drei Schlössern. Mit dieser Tinktur Metall bestreichend, konnte er Futtereimer, Kopfhelme oder Brustpanzer, wie auch Küchengeschirr und Schatzkisten derart ertüchtigen, dass weder die Hellebarde sie zu spalten, noch die Pike sie zu durchstechen vermochte. Jedwedes Ding wurde derart fest, als sei es im Drachenblute gebadet worden, wie weiland der Siegfried aus Xanten vom Niederrheine es sogar mit sich selber, mit seiner Haut getan hatte.
Mit solcherlei Wissen versehen, mit derartigen Mitteln ausgestattet, brauchten er und die Seinen weder Ritter und Tod, noch den Teufel fürchten.
Ja, es stimmte aufs Haar genau:
Einem räuberischen Ritter hätte der Krischan sehr wohl die Stirn bieten können und seine gewappnete Faust dagegenzusetzen gewusst.
Dem Endzeitbestimmer Gevatter Tod zollte er den ihm gebührenden Respekt, ohne jedoch einen Gedanken daran zu verschwenden, sich ihm vor der Zeit in die Arme sinken zu lassen.
Und nun erst der Deibelskerl? Vor dem mochte sich ängstigen wer es wollte – nur unser guter Krischan nicht.
So sah er sich gegen diese drei Gegner frohen Lebens wohl gerüstet, egal in welcher Gestalt sie ihm künftig auch immer begegnen mochten.
Eine ungewöhnliche Prüfung
An eines Sommertages späten Abends, kurz vor der Stund' an der die Geister zu erwachen pflegen, pochte es an des Schmiedes Außentür. „Wer da? Wie sein Nam', welcher Profession und was denn sein Begehr? Woher kömmt und wohin des Weges will denn er?“ Solche Worte gehörten ganz ohne Neugier zu den üblichen Fragen, wenn ein Fremder vor der Türe stand und Einlass begehrte. Ein müder staubgrauer Mann, einem Mönchen ähnelnd, mit einem Eselein am Strick, bat in artig gesetzten Worten um ein Nachtquartier – ein einfach' Gebund Stroh käme den beiden als Ruhelager gerade recht und würde ihren bescheidenen Ansprüchen vollauf Genüge tun. Auch bedürfe sein Begleiter des Befestigens eines losen Hufeisens, auf dass dieser nicht etwa strauchele. Diese Wünsche würde er hier vortragen, denn die Stadttore seien schon längst zur Nacht fest gesperrt und die keuschen Nonnen des Zisterzienserinnen-Klosters „Zum Heiligen Geist“, die sonst so barmherzig eine Herberge böten, öffneten der Vorsicht halber in der arg späten Stunde auch nicht mehr – die beiden Reisenden wüssten nicht, wo sonst sie ihre müden Häupter betten könnten. „Es soll dein Schade' auch nicht sein“, fügte der Alte hinzu. Der gutmütige Schmied winkte dankend ab, gewährte den Weitgereisten ohne Zaudern die Bitte und schickte sich an, das Lager zu richten. Hernach ließ er den Manne sich an einem Laibende des Flämingbrotes, mit Ziegenbutter bestrichen, nähren und sich an einem Kruge des guten Jüterboger Dünnbiers gütlich tun – ließ all so den Alten sein Gast zur Herberge sein.
Der Dank des Alten
Am nächsten Morgen hieb der Besucher tapfer in das kräftigende Schmiede-Frühstück ein und dankte alsbald geflissentlich für's Obdach, für's Labsal und für die Anwendung der Hufschmiedekunst des Krischan am treuen Grautier. Selbst das Hafermahl und die Raufutterhalme würdigte er dankend. – Den Dank nahm der Schmied gern an. Das gehörige Klein-Stück vom Hacksilber aber, als Lohn gedacht, wies der großzügige Wirt entschieden zurück. So bot der Ältere dem Schmied an, dass dieser Gutherzige bei ihm drei Wünsche frei hätte, – die zur Zeit des Bedarfs oder in der Not ihre Erfüllung fänden. – Nur kurzen Nachsinnens bedurfte es und dann sprach der entschlussgeschwinde Metallheißformer: Wenn die Sache so gut liegt, dann wünsche ich mir also ...
- „Erstens, dass jemand, der in meinem Birnen-Baum sitzt, erst dann wieder hinabsteigen kann, wenn ich es ihm erlaube“ – denn schändliches Diebesgesindel hatte in seinem vorzüglich gepflegten Obstgarten bereits frevelnd Mundraub begangen und solchem unsittlichen Tun auf seinem Grund und Boden wollte Krischan zuverlässig Einhalt gebieten.
- „Zweitens, dass jemand, der in meine Stube eindringen will, nur den Weg durch das Schlüsselloch nehmen könne“. – Jedem menschlichen Einbrecher wäre der Zutritt somit regelgerecht verwehrt.
- „Drittens, dass ...“ – „Nicht doch, halt ein!“, rief mahnend der erfahrene Gast, welchem deuchte, dass die ersten beiden Wünsche aus dem Geiste törichter Unvernunft herrührten. „Zwei Wünsche hast du bereits geäußert – nun nimm doch Vernunft an und überdenke es gut. Vergiss nur nicht, das für dich Beste zu wünschen!“
„Ja richtig, fast hätte ich's vielleicht versäumt“, sprach da der Schmied Krischan froh und mit Bedacht. „Dank dir, dass du mich zur rechten Zeit erinnerst.“
- „Und drittens, ja, natürlich das Beste“ – fuhr Krischan mit überzeugter Bestimmtheit fort – „Ein gut' Lebenswässerchen alleweil, denn ein Schnäpperken im rechten Maß, zu seiner Zeit, bringt Freude und Gemütlichkeit. So wie es schon die Alten aus voller Kehle besungen hatten. So wie es die Zinnaer Klosterbrüder mit Gottes Hilfe und vielerlei Kräutern gar trefflich zu brauen verstehen – und dies' aus jener eckigen Flasche, die so gut in der Hand liegt und die niemals leer werden möge – also: das Allerbeste wär' mir schon herzlich recht und gerade gut genug.“ –
Darob ließ der Betagte unter leisem Aufstöhnen vorerst einmal Luft ab, sprach dann beherrscht, wenn auch merkbar bedrückt mit mäßig belegter Stimme: „Deine Wünsche – sie seien dir gewährt“.
„Dank sei dir, du edler Spender“, erwiderte Krischan.
Jetzo boten Gast, der Schmiede-Meister und die Jutta, einander einen guten Abschiedsgruß – der Schmied in herzlicher Fröhlichkeit kopfnickend, der alte Mann hingegen bedeutsam kopfschüttelnd und Jutta so, wie es der freundlichen Walterin von Haus und Hof eben geziemte. So schieden die Drei in Frieden voneinander. Beim Abgehen aber strich die Hand des Älteren noch gütig über einige Klumpen des Roheisens, die verstaubt und rostig vor dem Schmiedehause lagen.
Lebensecht stellte sich diese Situation dem Zeichner dar, grad so, als wäre er damals dabei gewesen. Ihm selbst wurde in der Sage aber leider keine Aufgabe zugedacht, kein Platz gewährt.
Die Gut-Tat des Älteren beim Abschiede
Es erwies sich aber zu aller Erstaunen, dass das unscheinbare rostrotbraune Roheisen und die graustumpfen Raseneisenerzgraupen nach dem Fortgange des Älteren in purgediegenes, blankes Silber verwandelt waren. Ein Wunder, ob dessen der Schmied und seine Gesellen wieder und wieder die Hände über ihren Köpfen zusammenschlugen. Damit hatte aller Mangel ein Ende. Ein sorgenfreies Leben zog am Damm ein. Der Schmied war plötzlich ein gemachter Mann ... ja, ein wohlhabender, auch hernach fleißiger Herr, der die bei ihm schaffenden zuverlässigen Gesellen gern an der großen Wandlung teilhaben ließ.
Der Tod kommt zu Besuch und macht dem Krischan seine Aufwartung
Obgleich der Krischan, unser Schmidt, im besten Mannesalter stand und sich in seinem Tun stark bei Kräften hielt, suchte ihn nach geraumer Zeit der Gevatter Tod auf und wollte ihn recht gerne in sein Reich führen. Unserem fleißigen Eisenklopfer, der neuerdings auch feineres Silberzeug fertigte, schien dies' Anliegen zur Unzeit zu kommen und so erbat er sich noch ein Weilchen Zeit, um seine Verhältnisse zu ordnen, sein Bündel zu schnüren, wie auch sein Ränzlein zu richten – und dererlei noch mehr. Er schickte den Gevatter Abholer in seinen prächtigen Obstgarten, damit der Tod sich nach der langen beschwerlichen Fußreise an den saftigreifen rotgelbwangigen Birnen einmal so richtig sattlaben könne. Dies' Angebot nahm jener, der durchaus kein Verächter guter Kost war, gerne an. Alsbald aber merkte er sehr wohl, dass er vom Birnenbaum nicht ohn' des Schmiedes Hilfe wieder hinabzusteigen vermochte. „Potzdeixelhochdrei“ sinnierte er so vor sich hin, „ich bin hiero dem Geäste fest verhaftet, – dass mir solches unterlaufen konnte, obschon ich doch mit so ziemlich allen Wassern gewaschen bin“. Verlegen sich räuspernd fragte er den Hammergewaltigen, wieviel der Zeit denn bis zum Abstieg vom Baume, bis zur gemeinsamen Abreise, noch so ungenutzt verstreichen solle – es gäbe doch so viel zu tun. Der Schmied erwiderte recht weise, wie aber auch mit einer Anmutung von Unbestimmbarkeit: „Es dauert eben – wie es dauert“. Allein, solch‘ Spruchwort gereichte der lebendigen Seele des Todes mitnichten, um zur Ruhe zu gelangen, um wieder inneren Frieden zu finden.
Hier also saß nun der Sensenmann und konnt' nicht anders. Er musste dort droben hocken und warten, er musste fasten und schmachten ohn' jedwede weitere Nahrung, als bis er zum Totenbleichskelett abgemagert ward. Durfte jedoch interessiert aus dunkel-leeren Augenhöhlen der Ziege beim genüßlichen Äsen zuschauen – was er auch weidlich tat, freilich nicht frei von einer Spur des Neides.
Erst als der Stundenglas-Träger auf das Verlangen des Schmieds einging und ersterer ihm hüstelnd in die Hand versprach, auf den Tag genau eine Frist von 30 Sommern verstreichen zu lassen bis er einen Besuch wiederholen würde, durfte er den schönen Birnenbaum, nun als ein Knochenmann, wieder verlassen. So zog er missmutigst wie gleichermaßen gedemütigt von dannen.
Ein ungutes Bündnis zwischen Tod und Teufel
Wie der Tod sich nun bar jedweder Muskeln mühsam und verzweifelt mit klappernden Knochen seines Weges hinkend dahinschleppte, begegnete ihm just der rotbepelzte Teufel. Diesem klagte der sensentragende Stundenglasbesitzer sein leidvolles Erleben, weswegen er eine derart traurige Figur darstelle.
Der quastenschwänzige Luzifer schüttelte seine Hörner bei lauthals höhnischem Lachen ob so vieler Tumbheit, stampfte mit dem Huf seinen Wappenabdruck in den feuchten Lehmboden am Wegesrand und versprach dem Tod, er, der gerissene Deibel, würde es wohl besser machen und als höllischer Racheengel Recht und Ordnung wiederherstellen, wie auch die dem Tode abgeschnittene Ehre höllenheiß wiedrum anlöten. – Für eine solche helfende Aussicht war der bleiche Tod voll des süßen Dankes.
Des Schmiedes leichtes Spiel wider den verruchtesten aller Satane
Nun also klopfte auch er, der Teufel daselbst, des Abends an des Schmiedes Tür. Doch Krischan unser Christenmensch öffnete diesmal freilich nicht – hatte er doch bereits von weitem die stinkige Schwefelfahne des Satansbratens wahrgenommen und so sprach er einladend durch die fest geschlossene Haustür: „Bist du tatsächlich der leibhaftige furchterregende Scheitan, so wird es dir dafür ein genehmer Beweis sein, durch der Türe Schlüsselloch ins Haus zu fahren“. „Ha, eine Kleinigkeit für mich“, erwiderte der behufte Gottverhüteihn und tat wie ihm geboten. Der gescheite Krischan aber hielt von innen einen geöffneten Kartoffelsack aus guter Jute um das Schlüsselloch – und hui – ward der zappelnde, sich händeringend windende Deibel im Sacke gefangen, der nun tüchtig zugeknotet wurde. „Du hockst nun itzo hier im Sacke, weil du Grundböses zu Hauf' wider mich und andere Leut' im Schilde führest“, gab der Schmiedemann ihm den ersten Teil seines gerechten Urteils kund. Dagegen half im Sacke weder wütig Rumoren, kein wildes Rabatzeln, noch jammerndes Flehen, kein teuflisch-süßlich Bitten um Ablass und um Auslass. – „Nichts da!“ – aber „Wohlan!“, ermunterte der Meister nun seine Gesellen: „walket den Deibel, auf dass ihm nicht kalt werde. Frischauf! – schmiedet den Bösen, solang er noch warm ist“ – und die Ambossmänner traktierten den Satan daselbst mit ihren Hämmern und Schmiede-Zangen auf das Hochnotpeinlichste. Sie bearbeiteten ihn derart gründlich, wie er es schon langzeitig verdient hatte. Da sah man beileibe nicht mehr viel von dem mit Stolz getragenen roten Pelze. Grasgrünlich und enzianblau wurde er gepocht und gezwackt. Windelweich ward der Hartleibige geschlagen, dass es nur so seine Art hatte – bis jener winselnd, unter salzbitteren Zähren, den Rückweg zum dunklen Höllenschlund antreten und dort seine Glieder im schmerzlindernden Styx baden durfte – der Genuss eines Lethetrunkes aber blieb ihm auf immer verwehrt. Das war im Sinne des Wachhaltens der Erinnerung an die Behandlung, auch sehr gut so.
Eine große Veränderung im Leben der Familie des Schmiedes
Unser Krischan, lieb' Frau und gut Kind, wie auch die Gesellen, feierten nun recht gebührlich, drei Tage lang die Siege über Tod und Teufel. Kein Bürger der Stadt Jüterbog, kein Mönchlein und kein Nönnchen vor dem Damm-Tore brauchte fortan den Deibel fürchten. Der Herr der Schmiede aber hängte alsbald seinen sehr schönen aber auch recht schweren Beruf an einen besonders starken selbstgeschmiedeten Nagel. Nun eröffnete er neben den schon im Städteken bestehenden beliebten Gastwirtschaften alsbald ein weiteres, ein eigenes gastliches Haus in bester Lage – gerade am Jüterboger Marktplatz. Hier fanden müde Reisende auch eine erquickende Nachtruhe. In Sonderheit zu den Fürstentagungen hieß es die Gösseldaunen in den Kissen fleißig aufzuschütteln, auf dass die Obrigkeitshäupter, unter denen sich wohl auch mancher Dickkopf befand, ja bequem genug einsinken konnten.
Das vorzügliche Wässerchen der kundigen Zinnaer Klosterbrüder tat sein Bestes und erwies sich als ein wahres Lebenselexier für jeden Mann und jede Frau, denen davon in und aus kleinen Maßen zu kosten erlaubt ward und sie alsbald daran genasen.
Ein ernster Monolog an des Himmels-Tor
Nachdem aber weitere drei Jahrzehnte durch's Land gezogen waren, schien dann doch die Lebensuhr des Schmiedegastwirts abzulaufen und es deuchte ihm, dass die Zeit wohl gereift sei, gen himmlische Gefilde zu reisen. So erklomm er Sprosse um Sprosse der großen Himmelsleiter, deren oberes Ende sich dem suchenden Auge im Himmelsgewölk entzog. Da er Daheim stets die Wahrheit gepflegt hatte, packte ihn auch jetzt, in diesen dünnluftigen Höhen keinerlei Schwindel. Weil er mit den Füßen so hurtig und auch behände die Sprossen hinan entern konnte, fühlte er sich gleichsam gejüngt – fast so, als sei er sein eigener Sprössling. Oben angekommen war es an ihm, flugs höflich-verhalten an das Himmelstor zu pochen. An dieses eigenartige Tor, das sich für viele Gute so herzensweit öffnet, so weit, dass auch ein Kamel und ein Elefant gemeinsam leicht hindurch schreiten könnten. – Klopfen an jenes Tor, das sich aber für den geizig Reichen und den Bösartigen, wie auch manchem Tumben derart zeigt, als sei es für sie undurchschreitbar klein, eng wie ein Nadelöhr. – Des Schmiedewirts Klopfen hörte sich dort gar zart an, wie das Gebimm kleiner gläserner Glocken, die in rechter Ordnung auf einer Tonleiter tanzen: Klang, kleng, klink, klong, kluuung.
Da tat der Himmelschlüsselgewaltige ein klein' Fensterchen neben dem großen Himmelstore auf und unser Gastwirtskrischan rief fröhlich: „Gott zum Gruße“. Der Angeredete hub jedoch recht ernst mit seiner Erwiderung an und gab ihm Bescheid: „Ich bin Sanctus Simonus Peterus der Geheilte, ä-hm, auch der Geheiligte. Einen >Guten Tag< wünsche ich dir! Dich kenne ich bereits. Du bist doch der Krischan, >Schmidt< aus Jüterbog. – Hm, hm, hm: als dich vor dreimal zehn Sommern der Schutzpatron deiner Schmiede-Gilde, unser Heiliger Eligius besuchte, nanntest du ihm drei potzeinfältige Wünsche – na ja, hinreichend für das Erdenleben im Marktflecken Jüterbog, wirksam vorerst gegen den Tod und allzumal wider den Teufel – aber ganz einfach das Beste – das Allerbeste für dich zu wünschen, fiel dir nicht ein, hattest du damals gröblich vertan, nämlich das hehre Wunschziel: >Die himmlische Glückseligkeit immerdar!<, so 'was von arg verfehlt. Diese war dein ausgesprochener Wunsch mitnichten und kann hier somit keine Erfüllung finden. Ich kann das nicht statt deiner ausbügeln. Und ohn' jedweden Hohn sag ich dir mal hier mein Sohn, erhieltest du schon ander'n Lohn. –
So steige nun bitte wieder stracks die Leiter hinab und schmiede oder bewirte man da drunten im „Erdental der Mühsal“ so weiter wie bisher! Mehrerlei gibt es nicht zu bereden. Einen >Guten Weg< wünsche ich dir“. Und das Pförtnerfensterchen ward vor Krischans Antlitz mit einigem Knarzen geschlossen. –
„Oh“, wollte Krischan darauf noch raten, „ein Tropfen des harzfreien Rizinusöls, das schon viel Segensreiches bewirkt hat, täte wohl auch hier Wunder – und auch die lange Leiter sollte mal gepflegt werden“. Doch solches hätte Peter den Heiligen nicht mehr erreicht.
Gut hatte sich unser bescheidener Held auf dem langen Leiterweg schon 'mal sein künftiges engelsähnliches Tun vorgestellt. Ach ja, vor seinem geistigen Auge ward ihm bereits das Schild an der Tür seiner schlichten Klause erschienen: >Hier wohnt Krischan – himmlischer Wolkenhaus- und Seelen-Meister<. Das wäre wohl etwas passendes für ihn gewesen. Nun, nicht jeder irdische Gedanke vor dem Tor, findet hinter dem Tor seine erfüllende Entsprechung. Und überhaupt, der alte weise Spruch vom Berge: „Klopfet an, so wird euch aufgetan“, gilt wohl für auserwählte Menschenkinder aber längst nicht für alle ordentlichen Seelen – so die höchst gegenwärtige Lektion. Aber anstreben, versuchen, einfach tun, soll man doch das Gute stets. –
Den Schmiedegastwirt focht indess' die Rede des alten Peters nicht länger an. – Kaum ward das Himmelsfensterchen mit sanftem Nachdruck zugesperrt, hellten sich seine doch etwas gestörten Gesichtszüge wieder auf. Ein Freudenstrom durchwallte ihn. Wie war er doch froh, dass der Himmel es ihm angerechnet hatte den Haupt-Teufel für Zeiten gebändigt zu haben. Er war froh darob, statt des einförmig-faden, klebrig-süßlichen Himmel-Mannas, weiterhin die deftige Gasthausfraukost schmecken zu dürfen. Er war sichtlich begeistert, dass er nicht künftig im weißen Hängegewand, vielleicht später sogar mit kränzendem Heiligenschein über dem Haupte, wandeln würde. Es freute ihn, dass er fürderhin in seinem kräftigen Bassbariton des Volkes Lieder singen und damit auch in seinem Hause für solcherlei Unterhaltung der Gäste sorgen konnte, statt täglich das zirpend-dünne Absingen des >Hosianna< pflegen zu müssen. Frei jedweder äußeren Zwänge sollte er sein – das war ihm von ganz oben beschieden worden! Ach, wie war für ihn die Welt doch so schön!
Uns' guter Krischan am Tor der Unterwelt – recht nahe der heißen Vorhölle des Fegefeuers
Wie dem Braven geheißen, so pintig-genau hielt er es auch – zu Fuß reiste er die Leiter sorgsam Absatz für Abschnitt hinab, doch in seinem frohherzigen Überschwange weit, sehr weit nach unten. Zu weit, bis zum Fuße der Leiter im dunkel-morastigem üblen Grunde. Endlich trat er an das Tor zur Unterwelt, Einlass heischend, um in vorauseilendem eifrigem Tatendrange zu erfahren, ob hier von ihm 'was zu richten oder gar zu löten sei. Behutsam klopfte er also an die Tür des Hades. Doch höllen-herrisch hörte es sich an: „Klopf, knock, poch, rums“.
Aber ach, in der Hölle, dort wo man mit Schmiedefeuern, wie auch in des Deibels-Bratküche mit Zersottenem und Verbratenem so trefflich umzugehen wusste, ward der Rechtschaffene schon gar nicht willkommen geheißen, auch an diesem Orte nimmer wohl gelitten. Ihm öffnete man das Tor zum Höllenschlund keinen Spalt. Die garstigen Hilfssatane, diese Deibelsgesellen fanden sich hurtig hinzu, Krischan wüst zu beschimpfen statt ihm Gehör zu schenken. Tätlich wollten sie ihn kneifen, stechen und mit Steinen gar bewerfen.
Als der uns schon bekannte räudige Haupt-Teufel, der noch immer völlig verqualstert Rotz und Blasen heulte, des Schmiedes angesichtig wurde, floh dieser kaum aussprechwürdige Beelzebub vor Krischan sogleich eiligst hinfort und ward nicht mehr gesehen.
Ende gut, alles gut
Frohgemut stieg Krischan aus den ungemachen Tiefen des Hades wieder hinan zur Erde, denn dorten war ihm doch am wohlsten. Ein sommersonnenwarmer Freudenstrom durchflutete ihn erneut. Zurück dürfen zum Weib, zum inzwischen erwachsenen Sohn nebst dessen Ehefrau und zu den Enkelkindern, zu den sehnsuchtsvoll wartenden Haustieren – und zu den Schätzen aus Küche und Keller – für den Leib und für die Seele – welch ein Glück. –
Auf lange Zeiten hat der teuflische Verführer sich nicht in Jüterbog sehen lassen und seither leben hier ohn' jedwede Gefahr nur hochanständige freundliche Bürgersleute. –
Später brachen jedoch mehrmals schwere Zeiten für die liebe Heimat an und das Böse gewann zeitweilig die Oberhand. Gar manches Leid kam auf das Volk zu. Anfang der 1920-er Jahre dann, brachte die Stadt Jüterbog aus bitterer Not statt ausreichender Lebensmittel sogar Notgeldscheine auf den Markt ... und man erinnerte sich der Mittel, wie man früher erfolgreich den Teufel bekämpft hatte. ... doch auch das geriet wieder in Vergessenheit, wie so vieles in der Geschichte.
Die Gastwirtsfamilie aber stellte zum Andenken an jene bedeutsamen Vorgänge einen großen bäuerlichen Leiterwagen vor ihrem Gasthaus am Rande des Marktplatzes auf und beluden diesen zur Zeit des herbstlichen Erntedankfestes überreich mit Gaben des Feldes und der Gärten, über allem die prächtig geflochtene Erntekrone. Ein werbender Gruß des Willkommens auch für die Gäste des Hauses. Ausgeschmückt ward die Szenerie rund um das Gefährt mit mancherlei Schnitzwerk und Strohpuppen, die den überlisteten Tod und den niedergerungenen Teufel darstellten. Auch Figuren, die die eigene Familie mit ihren Haustieren bedeuteten, waren ebenso aus Stroh gebunden, fehlten nicht – . Seither wurde Krischan im gutmütigen Spaß auch gern „der Nilpok-Wirt“ genannt, was aus dem Slawischen hergeleitet, eben soviel heißen möchte wie >Strohfigur<, >Puppe< oder auch >gebundene Getreidegarbe<.
Und wir wissen es nun ziemlich genau: Wenn der Schmiedegastwirt Krischan, wenn er also recht alt oder gar noch älter geworden ist, dann hatte er bestimmt nicht nur den einen Sohn mit Frau und Kindern, sondern viele Nachkommen, die gewiss sein Werk am Markte fortsetzten – schaut doch mal selber nach.
Das ist der Kunstmaler Albrecht Dürer. Die Zeitspanne seines Lebens, die er, abgesehen von vielen Reisen, in seiner Heimatstadt Nürnberg an der Pegnitz verbrachte, währte von 1471 bis 1518. Im Alter von 42 Jahren zeichnete er uns das schwarz-weiße Bild vom Ritter, dem Tod und dem Teufel.
Hier ein Bildnis des Professors der Künste: Adrian Ludwig Richter. Er lebte von 1803 bis 1884 in seiner schönen sächsischen Heimatstadt Dresden. Seine Kunstfertigkeit bescherte uns die neuen s-/w-Zeichnungen zu diesen alten Begebenheiten.
Die Sage zu den Bildern erzählte euch Chris-Johann als eine der facettenreichen Themenfassungen.
Gern erinnert man sich auch heute der guten Taten des Schmiedegastwirts zum Wohle der Menschen.