Hans Kohlhase – Ein tragisches Menschenschicksal
Zusammengestellt von Chris Janecke, Bearbeitung: Januar 2023.
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Der junge erfolgreiche Kaufmann Hans Kohlhase wird, fürstlicher Willkür unterlegen, zum Rächer und Freibeuter. Er hat diesen Wandel mit seinem Leben zu bezahlen.
Hier einige Angaben zu seinem Leben, aber ganz genau und allumfassend ist sein langwieriger Kampf gegen die Obrigkeit von uns nicht zuverlässig verfolgbar.
Um 1500
Hans Kohlhase wurde um das Jahr 1500 im Dorf Tempelberg geboren. Dieses Dorf wurde 1244 von Mönchen des Templerordens gegründet. Das Dorf liegt zwischen den Orten Müncheberg im Norden und Steinhöfel im Süden – also im Barnim, im Märkischen Oderland. Wenn auch erst urkundlich ab 1244 nachweisbar, weiß man aus archäologischen Funden, dass dieses Gebiet bereits in der Steinzeit besiedelt war.
1528
Hans Kohlhase war bereits als gereifter junger Mann ein angesehener und wohlhabender Kaufmann und Rosshändler in Cölln, der Schwesterstadt von Berlin an der Spree. Er hatte als Ehefrau die Margarethe und mit ihr einen Sohn und zwei Töchter. Im Zeitraum der Kirchen-Reformation soll er einen Krug, das ist eine einfache Schankwirtschaft, erworben haben. Dieses Anwesen lag zwischen Neuendorf und Stolpe, just an der alten Heerstraße, die von Berlin über Potsdam und Magdeburg nach Leipzig führte. Das bedeutet, dass in diese Schänke wohl hauptsächlich Fuhrleute und einfache Reisende einkehrten. Wegen dieses Eigentums hielt Hans Kohlhase sich hier häufig auf und „kannte die Gegend wie seine Westentasche“.
Anmerkung: Neuendorf ist der älteste Teil vom heutigen Potsdam-Babelsberg. Der frühere Ort Stolpe gilt als „die Keimzelle“ von Berlin-Wannsee.
1532
Hans Kohlhase war Anfang Oktober mit seinen prächtigen Pferden vor dem Wagen auf der Reise von Cölln an der Spree zum Leipziger Messe-Markt. Er war an Neuheiten interessiert und hoffte mit seinen Angeboten auf gute Geschäftsabschlüsse. Nach einer reichlichen Wegstrecke, das Fuhrwerk befand sich bereits auf sächsischem Gebiet nahe dem Dorf Wellaune an der Mulde, wurde er von Bediensteten des Adeligen Günther v. Zaschwitz überfallen, seine Pferde beschlagnahmt und einbehalten. Man bezichtigte ihn des Pferdediebstahls. Er selbst konnte die Reise nach Leipzig nur unter Mühen zu Fuß fortsetzen. So traf er dort zu spät ein, konnte weder eigene Warenmuster anbieten und musste Einbußen an Geschäftsabschlüssen hinnehmen. Wie wir uns denken können, quälten ihn während der Messezeit, die Gedanken an die verlorenen Pferde und die Kutsche. Auch die Beschuldigung des Diebstahls und der Ehrverlust ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. – Auf der Rückreise von Leipzig nach Cölln machte er am Anwesen des v. Zaschwitz halt, um diesen zur Rede zu stellen und die Pferde zurückzufordern. Jedoch fand sein berechtigtes Ansinnen kein Gehör. Im Gegenteil: Der Adlige forderte von Kohlhase sogar ein Entgelt für die Stallunterkunft und Futterkosten. Dieser lehnte das ungehörige Ansinnen ab, doch der Hans konnte seine treuen Tiere noch einmal sehen. Ungepflegt und in kurzer Zeit entsetzlich abgemagert. Als Schindmähren würde sie ein Abdecker bezeichnet haben. Eines der beiden Tiere starb am nächsten Tag.
1533
Mit der Absicht Recht und Ordnung wiederherstellen zu lassen, brachte Hans Kohlhase das Problem am Rechtstag auf der zuständigen Burg Düben vor. Die gegensätzlichen Darstellungen wurden gehört und gegeneinander abgewogen, ohne dass es zu einer befriedigenden Lösung kam.
Nun strebte Hans Kohlhase eine Entscheidung und durchsetzbare Festlegungen vonseiten eines unabhängigen Gerichts an. Das zuständige Gericht war in Jüterbog, einer Stadt, die damals und bis 1815, ebenfalls zum Kurfürstentum Sachsen gehörte.
1534
Die Verhandlung in der offenen Gerichtslaube am Rathaus der ehrwürdigen Stadt Jüterbog fand im Dezember 1534 statt. Teilnehmer waren Räte aus brandenburgischen und sächsischen Kurfürstentümern.
Das schwierig erarbeitete Urteil ging zur Zufriedenheit von Hans Kohlhase aus: Die Diebstahlbeschuldigung und die Verleumdungen gegen Kohlhase wurden zurückgewiesen. Der zusätzliche Vorwurf einer Brandlegung in der Stadt Wittenberg wurden als nicht zutreffend erkannt. Die Verletzungen von Ansehen und Ehre wurden so gut, als es möglich war, geheilt. Hingegen wurde v. Zaschwitz zur Zahlung von 600 Gulden Schadensersatz verurteilt.
Der ohnehin nicht anwesende Adlige beugte sich jedoch dem Urteilsspruch des Bürgerlichen Gerichts nicht, missachtete das Urteil und tat nichts, um den Schaden zu ersetzen.
So hatte Hans Kohlhase zwar vom Gericht recht bekommen aber die gesellschaftlichen Verhältnisse ermöglichten es, dass ihm keine Gerechtigkeit widerfuhr.
Hans Kohlhase hing gedanklich und finanziell weiterhin den Verlusten nach, die ihm durch die geraubten Pferde entstanden waren. Er dachte über den Gerichtsbeschluss mit Urteilsspruch nach, dem keine Sühne gefolgt war, sondern nur Hohn für ihn, der ihn dauerhaft tief kränkte.
Des Kohlhases Fazit war, dass er nur durch Selbstjustiz einen Ausgleich für den herben Verlust herbeiführen konnte. Dabei griff er auf anderen fremden Reichtum zurück, wenn er meinte, dass jener unrechtmäßig erworben sei. Dazu fand er Rückhalt im Volk und suchte und fand eine größere Anzahl von Gleichgesinnten – Gefährten des gleichen Gefühls und ähnlicher Gedanken, aber auch gemeinsamer Taten. Von dem nun widerrechtlich durch Nötigung, Diebstahl und Raub erworbenen Gut der Reichen, profitierten denn auch Familien der ärmeren Gefährten, so dass sich Vergleiche mit Robin Hood oder anderen historischen Gestalten auftun – vom Reichen nehmen, um die Armen zu unterstützen.
1535
Im März soll Kohlhase mit Gefährten verschiedene Bürger zeitweilig festgehalten haben, um den eigenen Ansprüchen Nachdruck zu verleihen. Auch andere Untaten werden ihnen nachgesagt und zugeordnet, deren Richtigkeit zum Teil jedoch nicht ohne Zweifel waren, nicht als bewiesen galten.
1536
In den rückliegenden Jahrzehnten hatte Kurfürst Joachim I. im Brandenburgischen regiert. Diesen Joachim I., genannt Nestor, Lebenszeit 1484–1535, Regierungszeit 1499–1535, kennen wir bereits. – Wir kennen ihn als mutmaßlichen Auftraggeber für das Entführen ohne Wiederkehr des Jüterboger Pastors Schneidewein. Dieser Kurfürst war aber jüngst gestorben. Nun folgte ihm sein Sohn auf den Thron, als der neue Kurfürst Joachim II.
1537
Auf Vermittlung Martin Luthers kommt es In Jüterbog zu einer neu aufgenommenen Verhandlung des altbekannten Rechtsstreits mit erneuter Bestätigung des Urteils, das aber das bürgerliche Gericht nicht gegen den uneinsichtigen Adel zu vollstrecken vermochte. Herr v. Zaschwitz war wohl inzwischen verstorben aber dessen Erben, die jetzt in die Sache eingebunden waren, sperrten sich genauso dagegen, ein gütliches Ende des Streits herbeizuführen. Hans Kohlhase sah deutlich, dass er mehrjährig vergeblich gegen Vertreter der Obrigkeit um einen gerechten Ausgleich gekämpft hatte.
So wird der tief enttäuschte, verbitterte Hans Kohlhase immer stärker darin bestätigt, wird er immer „verbohrter“ in der Meinung, nur selbst Rache ausüben zu können, was bestimmte Leute als Züge eines Querulanten bezeichneten.
1538
In Wittenberg bringt Kohlhase den Kaufmann Georg Reiche in seine Gewalt – nicht weil er ihm Böses wollte, sondern als Geisel, um seine ursprünglich berechtigten Belange durchzusetzen. Jedoch führt das für ihn nicht zum Erfolg – aber es ruft die sächsischen Gerichte auf den Plan und der brandenburgische Kurfürst Joachim II. gestattet es den „Sächsischen reisenden Gerichten“ gegen diese Freischärler in seinem Brandenburger Land tätig zu werden, um hier die kurfürstlich sächsischen Interessen zu vertreten. Diese Gerichte ließen etwa 300 Männer im Umfeld des Hans Kohlhase fangen, verhaften, verhören und foltern. An einer größeren Anzahl von Leuten wurde nach dem jeweiligen Spruch der sächsischen reisenden Gerichte das Todesurteil vollstreckt. Doch Hans Kohlhase wurde bisher nicht gestellt; er betrieb seine „Geschäfte“, also die Rache mit Erpressungen und Plünderungen, weiter.
1540
Im Februar 1540, rund sechs Jahre nach der ersten Jüterboger Gerichtsverhandlung, überfiel Hans Kohlhase mit einigen Gewährsmännern (Leute der anderen Seite nennen sie Spießgesellen) hier, zwischen Neuendorf und Stolpe, im Tal des Flüsschens Bäke, auch Telte geheißen, einen Silbertransport. Das eben ist die Gegend, in der auch Kohlhases Schänke stand. Dieser Transport war von den Mansfelder Gruben gekommen und seinem Ziel, die brandenburgisch-kurfürstliche Münzprägestätte in Berlin, schon recht nahe. Der Raubzug des Kohlhases und seiner Mannen verlief erfolgreich und der erbeutete Silberschatz soll hier in der Telte / Bäke, nahe der Brücke, versenkt, unter Wasser vergraben worden sein.
Dieser Ort, ich darf hier der Zeit vorgreifen, wird später „Kohlhasenbrück“ genannt und zu einem Wohnplatz ausgebaut. Dieser Ort existiert auch heute noch.
Die wertvolle Silber-Ladung gehörte nach deren Ankauf, also auch schon auf dem Transportweg, dem Landesherrn, dem brandenburgischen Kurfürsten. Den Raub des edlen Metalls, das zu klingender Münze verarbeitet werden sollte, konnte und wollte der junge Landesherr Joachim II. von Hohenzollern, genannt Hektor (Lebenszeit 1505–1571, Regierungszeit 1535–1571) nicht ungestraft durchgehen lassen, denn er, der Kurfürst war bestohlen worden und hatte die Sühne „gegen seine Landeskinder“ einzuleiten.
Kohlhase, er war ja sehr bekannt, und fast vierzig Männer seiner Getreuen wurden bald gefasst und einer hochnotpeinlichen Befragung (Folter!) über den Verbleib des Silbers unterzogen. Die Männer, die darüber etwas wussten, blieben standhaft und stumm. Ihr Schweigen über den Verbleib des Schatzes brachen sie nicht.
Der Prozess Hans Kohlhase fand am 22. März 1540 statt. In einer Rede von mehr als drei Stunden habe sich Kohlhase in allen ihm zur Last gelegten Punkten selber verteidigt.
Das Urteil für Hans Kohlhase und seine knapp 40 Mitstreiter lautete „Landfriedensbruch“ und bedeutete die Todesstrafe. Es ist anzunehmen, dass das Urteil vor Verhandlungsbeginn festgestanden hatte. Kohlhase wurde noch am gleichen Tage auf dem Rabenstein, einer alten Gerichtsstätte nahe dem Berliner Georgentor grausam hingerichtet. Hans Kohlhase wurde etwa vierzig Jahre alt und musste Frau und Kinder ohne Versorger hinterlassen.
Das Berliner Georgentor stand etwa dort, wo sich heute der Strausberger Platz befindet.
Eine kleine Brücke über die Bäke (ein von „Bach“ abgeleiteter Begriff), die in den Fichtenbergen bei Steglitz entspringt und am Park des Jagdschlosses Glienicke in die Potsdamer Havel mündete, erhielt vom Volk schon bald den Namen „Kohlhasenbrücke“, welcher später auch mit „Kohlhasenbrück'“ auf den entstehenden Wohnplatz übertragen wurde. Alles das existiert noch heute (2022).
Im Jahre 1838 wurde die erste Preußische Eisenbahnlinie zwischen Potsdam und Berlin in Betrieb genommen. Die so genannte Stammbahn. Diese erste Eisenbahnlinie führte durch Kohlhasenbrück (über die Brücke im Bild) unter der die Bäke oder Telte hindurchfloss.
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