Kinder-Ferien-Gestaltung in der DDR, 1969, – am Beispiel des Kinderferienlagers „Glück auf“ in Ferchesar bei Rathenow, am Hohennauener See, im Bezirk Potsdam, (seit 1990 => Land Brandenburg)

Zusammengestellt von Chris Janecke. Aktualisiert im September 2024. E-Mail: chris@janecke.name

Chris erzählt: In diesem '69-er Sommer fahre ich von unserem Betrieb ins Kinderferienlager – als Betreuer für eine der Kindergruppen. Das Ferienlager ist ein Gemeinschaftsvorhaben mehrerer Betriebe. Es sind daran beteiligt:

Frohe und sonnige Sommer-Ferien liegen vor uns.
Nach Ferchesar geht es für die Zeit vom 07. bis 22. Juli 1969. Den Orts-Namen „Ferchesar“ habe ich noch nie gehört! Wo liegt denn dieser Ort? Schon bei dem ersten Kontakt mit dieser interessanten Aufgabe, unseren Kindern einige frohe Ferientage mit zu gestalten, muss also ich vorerst selbst einmal lernen, mich orientieren. Das ist nicht aufwendig, muss ich doch dazu nicht bis in den Orient reisen. – Aha, in der Nähe von Rathenow, am Hohennauener See, im westlichen Havelland, so zeigt es mir die Landkarte. Wie schön. – Nicht direkt im Ort, einem früheren Fischerdörfchen, sondern „eingebettet in der Wildnis“, am Wald und am See steht die Ferieneinrichtung. Fernab jeglichen städtischen Trubels, weit weg vom Verkehrsgetöse und von Abgasen. Erholung pur in der Natur werden wir erleben, leider begrenzt auf nur zwei Wochen.

Es ist der erste Durchgang in diesem Jahr, gleich nach dem Beginn der acht Wochen langen „Großen Ferien“. Somit ist dort wohl für dieses Jahr noch alles „jungfräulich unberührt“. Es wird von der Hausmeister-Handwerker-Truppe der Mitgliedsbetriebe alles gepflegt worden sein, Spiel- und Sportgeräte werden bei Bedarf repariert oder erneuert, das Gelände vom Altlaub gereinigt und geharkt sein.
Die Eltern haben im jeweiligen Beschäftigungsbetrieb im Voraus für ihr Kind den symbolischen Betrag von einer Mark pro Tag eingezahlt und somit anteilig für die Mitnutzung der Bauten und deren Ausstattung, inclusive Bettwäsche, für die personelle Betreuung, die Essenversorgung des Kindes und die „Kultur“, – insgesamt 14,00 Mark entrichtet. Den Großteil der tatsächlichen Kosten haben die Arbeitskräfte der Mitgliedsbetriebe gemeinsam erwirtschaftet, also „auf breite Schultern verteilt“. Danke! Die für das Betreiben des Ferienlagers erforderliche Summe wurde in den Kultur- und Sozialfonds des jeweiligen Betriebes eingestellt. Somit sind die monetären Voraussetzungen gesichert und dem unbeschwert-fröhlichen Beginn steht nichts im Wege.

Das Eintreffen „unserer Kinder“ am Sammelpunkt in Berlin-Pankow geschieht schön pünktlich, das Verstauen der Koffer gestaltet sich problemlos und auch das Einsteigen in den Bus – ohne sichtbare Abschiedsschmerzen, die etwa eines Trostzuspruchs bedürfen, wenn sich auch einige herzliche Abschiedszeremonien zeitlich etwas strecken. Schwer ist es für manche Eltern gewiss, ihr liebes kleines Kind einfach ihnen noch unbekannten Händen anzuvertrauen. Die Kinder sind im Alter zwischen etwa 7 und 14 Jahren, ein Teil also bereits als Jugendliche wahrzunehmen.
Die Busfahrt von Berlin nach Ferchesar ist kurzweilig. Einige Kinder kennen sich schon vom Vorjahr oder weil viele Eltern im gleichen Betrieb tätig sind. Doch auch andere haben sich nach dem „ersten Beschnuppern“ bald viel zu erzählen. Nur eines der Mädchen hat leider Reisebeschwerden, eine Art Seekrankheit. Das ist aber nicht sehr schlimm, denn wir haben Tüten und geschmacksverbessernde „Startbonbons“ dabei, wie sie auch im Flugwesen beliebt sind. – Als unser Bus bald an dem Wegweiser vorbeirollt, der auf die Straße zu dem Dörfchen „Kotzen“ weist, kann sich mancher ein Loswiehern mit den entsprechenden Faxen nicht verkneifen. So war das.

Fahrzeuge für die Hin-und Rückfahrt. So vornehm reisten wir.
Quelle: IFA-Bus im Ausstellungsgelände Technik-Museum Prora.

Bald biegt der Bus von der Landstraße auf einen Sandweg ab, durchquert ein Waldgebiet und – schwupps – sind wir am Ziel. Wie lange brauchten wir von Berlin? Na, wohl kaum 2½ Stunden. Eine recht kurze Fernreise.

Die Landkarte deutet uns das letzte Stück des Reiseweges an

Am frühen Nachmittag treffen auch die jungen altmärkischen Kinder aus Stendal (Bezirk Magdeburg) ein. An diesem ersten Tag gibt es ein schlichtes Begrüßungsmahl, die traditionellen Brühnudeln (Nudeln in einer guten Brühe aufgekocht), weil man nicht ganz genau wusste, wann die Busse wirklich eintreffen werden. „Mehrteilige Speisen“ lassen sich nicht so günstig über längere Zeit ansehnlich und warm halten. Dieses Thema wird von einigen Älteren bald noch einmal aufgewärmt, als die Kinder hören, dass ein Stück weiter am See der Ort „Wassersuppe“ liegt. Das hat aber eine eher historische Bedeutung.
Nicht nur die Küchenkräfte sorgen in der Ferieneinrichtung für das leibliche Wohl, sogar einen Wirtschaftsleiter haben wir, der das Beschaffen von Obst, Gemüse, auch Fleischwaren und – der noch ungebrühten Brühnudeln organisiert.

Anschließend werden die Kinder in Gruppen aufgeteilt – auf dem Papier sind sie es bereits. Das obliegt der jungen attraktiven Lagerleiterin Andrea H. vom Geologischen Institut. Der langjährig erfahrene stellvertretende Lagerleiter ist Erich G. von der Erdöl-Erdgas-Erkundung aus Stendal. Jeder Gruppenbetreuer erhält nun „seine eigenen Kinder“. Zu den Gruppenleitern gehören: - Eva D., - Lisa N., - Juliane S., - Bettina H., - Monika N., - Chris J. - Es gibt noch weitere „Große“ aus den anderen Betrieben, deren Namen mir aber nicht gegenwärtig sind, denn bis jetzt, da ich diese Notizen schreibe, ist nämlich schon die geraume Zeit von mehr als vier Jahrzehnten ins Land gegangen und damals, in jenen zwei Wochen, sprachen wir uns sowieso nur mit dem Vornamen an.
Bei den Kindern kann ich noch viele der Vor- und Familien-Namen zuordnen, erwähne diese aber aus Gründen des möglicher Weise gewünschten Datenschutzes hier nicht.

Bei der sich nun anschließenden Art der Inbesitznahme der Doppelstockbetten seitens der Kinder, kann man schon gewisse Vorlieben, auch zögerndes Verhalten oder Ellenbogengehabe feststellen, – für den Gruppenleiter eine hilfreiche Einstimmung, um seine Schäfchen schnell kennenzulernen und zeitig manches auszugleichen, damit es auch für eher zurückhaltende Kinder schön wird, damit niemand „zu kurz“ kommt. Ja, individuelle positive Eigenschaften unterstützen und den freundlichen, den kameradschaftlichen Gemeinschaftssinn fördern – das gehört noch vor der Nebenbei-Ferien-Wissensvermittlung zu diesem Ferienaufenthalt.

Vorerst packen wir nur das momentan Notwendige aus den Koffern, denn die Schrankkapazität ist recht knapp bemessen. Für jedes Kind ein Fach. Fast jedes Kind hat alles was es benötigt mitgebracht. Sollte aber etwas fehlen, so ist es schnell besorgt, denn wir haben ein treu dienendes Auto, einen IFA F 8 - Kombi, zu unserer Verfügung. Das Fahrzeug ist unser Versorgungs- und notfalls auch Krankenwagen, mit dem wir auch mal nebenbei ein Stück Seife oder eine Tube Zahnpasta aus Rathenow „heranschleppen“ könnten, sollte „unsere Notreserve“ aufgebraucht werden.

Der Lageplan zum Kennenlernen unseres Aufenthalts-Grundstücks

Der Lageplan des Ferien-Grundstücks zeigt uns:

  1. Ein- und Ausgang der Ferienanlage, mit Empfang („Wache“)
  2. Das ist unser „Dienstwagen“ auf seinem Parkplatz
  3. Das Haus für Spiel- und Sportgeräte sowie die Bibliothek
  4. Sanitätsraum und Krankenzimmer
  5. Zwei lange Bungalows für das Wohnen und Schlafen
  6. Der Veranstaltungs- und Speisesaal mit der höchst wichtigen appetitlichen Küche.
  7. Die Spiel- und Sportflächen mit Feldern für Volleyball, Völkerball, Kleinfeldfußball, bestückt mit Schaukeln, Wippen, Klettergerüsten und weiteren fest verankerten Spielgeräten
  8. Unser Wasch- und Toilettenpalast, in zwei Abteilungen gegliedert
  9. Der Anlege- und Angel-Steg mit Rettungsboot
  10. Der vor Anker schwimmende Ponton (Po) und das Transport-Floß (F)

Nach dem Einrichten der Schränke besichtigen wir erst einmal das Gelände. Es ist etwa 135 m x 126 m, also rund 17.000 m² groß und gut überschaubar gestaltet. Die Fläche ist mittels eines Zaunes aus geschälten Waldlatten eingefriedet und geht an den drei Seiten der Grundstücksbegrenzung unmittelbar in ein Waldgebiet über. Die Westseite des Grundstücks bildet einen Sandstrand und davor blinkt der See im Sonnenlicht.
Die beiden Häuschen: Sanitäts- und Kranken-Bungalow, sind das Reich von Liselotte Th., einer richtigen erfahrenen Krankenschwester. Sie kann von uns Gruppenbetreuern, die wie die Rettungsschwimmer zum Teil eine Sanitätsausbildung besitzen, im Bedarfsfall unterstützt werden.

Lilo – unsere Krankenschwester und Gruppenbetreuer Chris.

Es wird sich zeigen, dass Lilo nicht zu viel mit Kleinchirurgischen Handlungen oder gar schwierigen Infektionskrankheiten zu tun haben wird, so dass sie sich nebenbei auch anderen Themen zuwenden kann, wie z. B. den Schneiderinnenarbeiten für Nixenkostüme aus Krepp-Papier, dem Flechten von Girlanden zur festlichen Ausschmückung des Speisesaals und anderen wichtigen Vorhaben mehr.

Unser Wirtschafts- und Krankenwagen

Der IFA-F 8-Kombi. Baujahr ca. 1950, 2-Zylinder-2-Takt-Motor, 690 cm³, 20 PS (15 kW), V max.: 85 km/h. Gänge: 3 vorwärts, 1 rückwärts. Karosserie aus Sperrholz, teilweise mit Kunstleder überzogen. Hinterer Karosseriekasten mit senkrecht angeordneten Stableisten verkleidet.

Auf diesem Gelände, mal auf dem Gras, mal in einer Sandfläche gibt es des Weiteren ein Volley- und Völkerball-Areal, ein kleines Fußballfeld, Schaukeln, Wippen und Klettergerüste.

Am Tag nach der Ankunft schreiben wir den Lieben daheim und lassen sie wissen, wie es uns, nach ersten Sinneseindrücken, hier gefällt. Natürlich wurde bereits bei der Rückkehr der leeren Busse, „offiziell“ in den Betrieben Bescheid gegeben, dass die Kinder gut und gesund im Ferienlager angekommen seien. –
Na ja, schreiben in den Ferien (?), da gibt es doch noch 'was anderes:
„Blauer Himmel und Sonnenschein, weiße Segel im Wind (und wir beide dann ganz allein) ... was kann schöner sein?
Weit so weit, liegt die große Stadt, fern so fern, jeder Großstadtlärm ... und wir (zwei) spüren umso mehr: Sommerluft und Blumenduft rings umher.
Baden lachen und fröhlich sein, spielen im weißen Sand. Blauer Himmel und Sonnenschein – was kann schöner sein?“
Diesen Schlager singen Tina Brix & Ten Oliver – hier von mir gekürzt und kräftig gewürfelt wiedergegeben.

Am Lagertor hält sich, solange dieses am Tage offen steht, zeitweilig ein kleines Empfangs- und Abschiedskomitee auf, „Lagerwache“ genannt, um eventuelle Gäste, wie auch Lieferanten und Postboten willkommen zu heißen und jene freundlich zu leiten, damit sie sich auf dem großen Gelände nicht etwa verirren. Das Komitee wird von einem der Großen unterstützt, so dass die zeitweiligen Empfangsdamen nicht etwa auf Buch, Spiel oder Erfahrungsaustausche verzichten müssen.

„Willkommen und Abschied“

Die Zeit solch eines Durchgangs, so zeigt es sich wieder, ist eine viel zu kurze. Sie wurde aber trotz dieses Wissens so eingerichtet, damit möglichst viele Kinder in die Ferienlager fahren können. Die Stunden des Tages sind schnelllebig und kurzweilig. Nach dem Waschen und Frühsport, um 8.00 Uhr das Frühstück, Mittagszeit um 12.00 Uhr, Anschließend: Verdauungsruhe, eventuell Lesen. Dann, gegen 15.00 Uhr ein kleines „Kafe“-Mahl, auch Vesper genannt. Weitere Freizeit bis zum Abendessen um 18.00 Uhr. Abendwäsche, Vorlesen einer Geschichte, Nachtruhe im Allgemeinen (bis auf Ausnahmen bei festliche Anlässen) um 20.00 Uhr.
Für die Großen dann Besprechung: Auswertung des Tages mit seinen Schönheiten und erkannten Problemchen, Vorstellen der Vorhaben für den nächsten Tag seitens der Gruppenbetreuer. Dann die eigene kurze Urlaubsstunde. Bald schlafen, denn die meisten unserer Kinder sind zeitig munter und verlangen ihr Recht. – Die Tage eilen nur so dahin.

Gleich beginnt die heutige Postverteilung – wir warten schon darauf.

Viel Post bekommen die Kinder in den nächsten Tagen. Die Postverteilung ist jedes Mal eine spannende und Freude auslösende Aktion. Nat. (Vorname) beispielsweise erhält von ihrer Mama die Briefe mal in deutscher also (lateinischer), mal in kyrillisch-russischer Schrift – das ist für die 12-jährige völlig unproblematisch gleich gut und immer eine Freude. Ein Bote der Post kommt per Moped sogar extra mit einem Brieftelegramm hierher – pro Wort 5 Pfennige (Mindestgesamtbetrag aber 0,80 M.) – da ist der Transportaufwand für das Zustellen durch Wald und Feld deutlich höher – aber gleichsam eine Ferienstunde für den rollenden Postboten.
Wohl nur für ein Kind hapert es mit der Post von Daheim. Da setzen wir Großen uns hin und schreiben einen hübschen, lustigen Brief – auch wenn es nur ein schwächerer Ersatz für die wahrscheinlich sehnsüchtig erwartete Post von Zuhause ist.

Nach drei Tagen kommt der mobile Landfilm zu uns. Der Filmvorführer hat alles in seinem Auto: Filmrollen, Projektor, Lautsprecher, Leinwand, Leitungsgewirr. Das alles baut er draußen auf, denn das Wetter ist schön – und seine Leinwand ist sowieso höher, als die Bungalow-Baracken es sind. Nach dem Abendessen stellen wir dann draußen die Stühle auf und warten noch, bis es ausreichend dämmert, denn die starke Projektorlampe soll ja nicht etwa versuchen, der Sonne eine Konkurrenz zu sein. Bald schon läuft „das Filmwerk“ an. –
In diesen Tagen gibt es in den Kinos das Filmmusical „Heißer Sommer“ mit Chris Doerk = Stupsi und Frank Schöbel = Kai in den Hauptrollen, sowie Regine Albrecht = Brit (mit der Gesangstimme von Gerti Möller), H.-Michael Schmidt = Wolf (die Singstimme gab ihm Ingo Graf), neben vielen weiteren aus dem prallen Leben gegriffenen sympathischen Darstellern.
Liedtexte von Degenhardt und König, Musik von den beiden Natschinskis, sen. & jun., dargeboten vom Tanzorchester des Berliner Rundfunks unter Günter Gollasch.

Das „Kopfbild“ des Drehplans für den Film „Heißer Sommer“, gestaltet von A. Richard Janecke, Potsdam-Babelsberg, 1967.

Lied „Heißer Sommer“ (gekürzt)
„Heißer Sommer in diesem Jahr, ist ein heißer Sommer, wie wunderbar!
Heute brennt die Sonne ganz erbarmungslos.
In der Hölle ist die Hitze halb so groß ...
Heißer Sommer in diesem Jahr, ist ein heißer ...
Irgendwo muss doch auch noch Wasser sein,
wenn ich's seh', dann spring' ich gleich hinein ...
Heißer Sommer in diesem Jahr, ist ein heißer ...
Sieh doch nur wie himmelblau der Himmel ist –
nur weil ihn seit Tagen schon die Sonne küsst ...
Heißer Sommer in diesem Jahr, ist ein heißer Sommer, wie wunderbar.“

Und auch für Ferchesar-Kinder gilt in diesen Tagen: „Was erleben, was erleben, was erleben, was nicht jeden Tag geschieht ...“

Schon der Heißer-Sommer-Filmbeginn ist eine Erinnerung an meine eigene vortreffliche Leipziger Zeit ... und dann an die Ostsee ... „Fang doch den Sonnenschein, fang doch den Wind“, wie auch „Ein Sommerlied“ – mit abendlicher Lagerfeuerromantik, die wir hier in Ferchesar auch noch bekommen werden.
Alles schön und bald so vertraut wie „Die erste Nacht am Meer“, mit Regina Thoss als Interpretin. Sie sang es grad' vor drei Jahren zu ihrem 20. Geburtstag, als ich an der Ostsee weilte.
Ostsee? Für uns hier gilt die alte Volksweisheit über Neptuns Reich: „Wenn ich meinen Ferchesarer See seh', dann brauche ich kein Meer mehr.“ Das ist wohl wahr gesprochen.
Heißer Sommer – wer denkt in dieser Zeit an Klimawandel schon? Es warnten die Wissenschaftler vom Club of Rom!

Zwei Schwimmschlauchkapitäne stellen sich uns vor – aber hinter ihr Schwimmzeug.

Stets gern genutzte Wassersportgeräte sind die prall aufgepumpten, großen Schläuche von Lastkraftwagen. Auch das Floß (eine große hergerichtete Flachpalette) mit der zur schwimmenden Plattform, dem Ponton, übergesetzt wird, ist oft voll besetzt. Nur das stets startklare Rettungsboot gilt als ein Tabu für Spaß- und Spielbedürfnisse. Die Rettungsschwimmer sind bei allen Wasserspielen dabei aber haben zum Glück überhaupt nichts zu tun, was dieser Bezeichnung zur lebensrettende Ehre gereichen würde. So wie es ist, ist es aber besser.

Nach einer Woche, ach, bereits Halbzeit ist es, begehen wir das Neptunfest, denn ein rundherum echtes „Bergfest“ kann man im Flachland nur schlecht feiern. Schwester Lilo gestaltet jetzt mit den Mädchen flugs Röcke aus Krepp-Papier und Schilf sowie auch zünftige Hüte. Gemeinsam basteln sie Muschelketten zum Unterstreichen ihrer natürlichen Schönheit und gar manch weiteres Zubehör – was man zum Neptunfeste eben so dringend benötigt, um als Nymphe zünftig auftreten zu können. Bei den männlichen Piraten zeigt sich die Ausstattung weitaus schlichter. Natürlich, denn diese Seeräuber haben auch keine Lilo bezirzt, nicht für ihre Interessen einwickelnd umgarnt, wie es damals Zirze mit Odysseus zauberhaft verstand. Aber das war ja auch weitab von hier, am Mittelmeer.

Nymphenputz fürs Neptunfest

Neptunus hat bei der Festvorbereitung reichlich damit zu tun, einen „Dreizack am Stiel“ schnitzend neu zu fertigen und Schling-Tang für den reichen Kopfputz zu ernten. Auch braut er nach seiner Geheimrezeptur ein gar widerliches Getränk, so eine Art Schluckimpfung für ganz bestimmte der erwachsenen Täuflinge, ohne es tunlichst vor der Verabreichung selber abzuschmecken. Größere Mengen Rasierschaums muss er schlagen, das hölzerne Rasiermesser schärfen – „alle Hände voll zu tun“ hat also auch er. Zum Beginn des herrlichen Festes kommt Neptun mit den Begleitern seines Hofstaates, die dann später die Zwangs-Täuflinge einfangen, von weit her aus den Tiefen des Sees an Land geschwommen, bis er dann triefend inmitten unserer Versammlung ächzend auf dem Thron Platz nimmt. Die Täuflinge, aber nur jene, die die Taufprozedur auch überstehen, erhalten über diesen Akt eine Urkunde, auf der natürlich der ihnen verliehene neue Ehren-Name erscheint. Auch Orden werden vergeben, auf denen der wichtige Anlass oder nach dem „Denkzettelprinzip“ eine etwas auffällige persönliche Eigenschaft des zu ehrenden Empfängers erwähnt ist. Darin ist der Neptun nicht zu fein und kaum zu übertreffen. Aber harsch behandelte Täuflinge gibt es nur unter den Erwachsenen – gegenüber Ferienkindern lässt der Alte Gnade walten.

Viel Platz für Sport und Spiel

Aus dem Feiern kommt man hier nicht heraus – nun ist ein Sportfest angesagt. Der Tradition folgend, mit Weit- und Hochsprung, auch Volleyball und Tauziehen, kleinen turnerischen Kunststücken, die manche Kinder eingeübt haben und nun vorstellen möchten. Darunter auch sehr beachtlich: Die „Große menschliche Pyramide“. Natürlich ist für jeden der Teilnehmer ein kleiner Preis vorgesehen und für die Besten zusätzlich eine Ehrenurkunde.

Unsere Ferienbuch-Bibliothek wird ihren Anforderungen gerecht. Gern wird sie genutzt aber vermutlich geringer, als hätten wir eine regnerische Witterung. Nur einmal gibt es ein kräftiges Gewitter, ansonsten eitel Freude über Sonnenschein, so dass die Kinder meist draußen umhertollen können und an den Abenden „hundemüde“ sind, – kein Nörgeln, kein Streiten – eine harmonische Gemeinschaft.

Einladung zur „Mühle“

Unsere Exkursionen durch Wald und Feld bieten zahlreiche interessanten Aspekte ... und manchmal vermutet man an den klugen Erläuterungen der Mädchen und Jungen, in welchen Berufen die Eltern, in welchem der Betriebe sie tätig sind.

Ein Vogelnest war vom Baum gefallen.

Wie schaffen die Vögel es bloß, solch ein weiches aber festes Nest zu flechten – in das gerade die gesamte Familie hineinpasst?

Lied der jungen Naturforscher

Die Heimat hat sich schön gemacht, und Tau blitzt ihr im Haar.
Die Wellen spiegeln ihre Pracht wie frohe Augen klar.
Die Wiese blüht, die Tanne rauscht, sie tut geheimnisvoll.
Frisch das Geheimnis abgelauscht, das uns beglücken soll.

Der Wind streift auch durch Wald und Feld, er raunt uns Grüße zu.
Mit Fisch und Dachs und Vogelwelt stehn wir auf du und du.
Der Heimat Pflanzen und Getier behütet unsre Hand.
Und reichlich ernten werden wir, wo heut noch Sumpf und Sand.

Wir brechen in das Dunkel ein, verfolgen Ruf und Spur
Und werden wir erst wissend sein, fügt sich uns die Natur (?).
Die Blume öffnet sich dem Licht, der Zukunft unser Herz.
Die Heimat hebt ihr Angesicht und lächelt sonnenwärts.

Worte: Manfred Streubel Musik: Gerd Natschinski

Trotz aller beruflicher Eltern-Interessen: Wir wollen den Wald nicht unbedingt abgraben, um einen geologischen Schnitt oder „Horizont der Erdkruste“ anzulegen. Wir werden in den Ferien nicht verschiedenste Silikate von Gesteinsproben unter Spezial-Mikroskopen betrachten und wir möchten hier in diesen Ferientagen auch weder nach Erdöl bohren noch ein Kraftwerk fachmännisch errichten ... und ihm Futter aus strahlendem Uran ergraben, wie es eher den Vätern mancher Kinder eigen ist.
Aha, graben – tief in der Erde. Nun sind wir endlich bei der Antwort auf die Frage, warum diese Ferieneinrichtung den Namen „Glück auf“ trägt. – Es ist der Bergmannsgruß. Und das Ferienlager – bewirtschaftet von Menschen, die beharrlich in der Erde buddeln. Das hat so seine Tradition. Da gibt es doch das bekannte Bergmanns-Lied:

Glück auf! Glück auf!

Glück auf! Glück auf! Der Steiger kommt!
II: Und er hat sein helles Licht bei der Nacht. :II
II: Hat's angezünd't.:II

Hat's angezünd't. Das gibt ein' Schein.
II: Und damit so fahren wir bei der Nacht :II
II: in's Bergwerk 'nein. :II (im Sinne von: hinein)

Die Bergleut' sein, so hübsch und fein.
II: Sie graben das feinste Gold bei der Nacht :II
II: aus Fels'gestein. :II

Einer gräbt Silber, der andere das Gold
II: und den schwarzbraunen Mägdelein – bei der Nacht :II
II: den sein sie hold. :II

Ade, nun ade, Herzliebste mein!
II: Und da drunten im tiefen Schacht bei der Nacht :II
II: da denk' ich dein. :II

Und kehr ich heim zum Liebchen mein,
II: dann erschallt der Bergmannsgruß bei der Nacht :II
II: Glück auf, Glück auf. :II

Text und Musik in der Zeit um 1700 geschrieben, den Text in verschiedenen Versionen. In diesem Beispiel die Strophen 1-3 (auch) von dem Zwickauer Bergmann Friedrich Fritsch frisch notiert.

Genau vor einem Jahrzehnt sang die Jungenschulklasse aus der Babelsberger Schule 17, der ich angehörte, dieses Lied „bitte deutlich, mit möglichst klaren Stimmen“ im Babelsberger DEFA-Studio für den Film „Der Lotterieschwede“.

Drehplanausschnitt zum Film „Der Lotterieschwede“.
Ausführung dieses Blattes: Alfred R. Janecke, Babelsberg, 1957.

Die Mädchen und Jungen brauchen in Ferchesar vor allem unbeschwerte Ferien. Erholung. – Trotzdem gibt es ernsthafte Gespräche über die Natur, ach über das gesamte Leben, recht interessant, oft spannend. Nun, ich selber halte mich im Wesentlichen an die Biologie, an Pflanzen, Tiere und den Menschen, der mit jenen umgeht. Damit bin ich auf hinreichend „sicherem Terrain“, denn Ausführungen über Reaktorphysik liegen mir weniger.

Baumstumpfbetrachtung

Hier wird nachgezählt wie lange der Baum gelebt hat, ob die Jahre mit großer Trockenheit verbunden oder grimmige Kälte besonders anstrengend für den Baum waren. Auch können wir am Umfang der Bäume, also bei jenen, die noch stehen, oft die Himmelsrichtung bestimmen.

Die Wanderwege der Käfer werden erforscht – auch Ameisenstraßen werden betrachtet und große Leistungen dieser Tiere. Doch es bleiben auch Antworten offen über manches „Wie?“ und „Warum?“.

Nochmals zieht es den Landfilmmann mit seiner Lichtspielkunst zu uns. Es steht so in seinem Kalender. Außerdem scheint es ihm in unserer Mitte zu gefallen. Wenn's man gut geht. – Schwere Wolken hängen über uns und es tröpfelt bereits. Keine Sorge – die Wolken verziehen sich schon bald.

Regen lag in der Luft

Immer schön der Reihe nach: Erst ein erfrischender Schauer, danach der „Landfilm“.

Leider viel zu früh naht das Abschiedsfest mit vielfältigen Kulturbeiträgen, späterem Festessen, Erzählen, dem Singen von Volksliedern mit Gitarrenbegleitung an dem, wegen der Waldnähe, nur mittelgroßen Lagerfeuer (Förster und Feuerwehr wissen Bescheid, Wasser hat der See noch ausreichend, Wildschweinbraten über dem Feuer steht nicht auf dem Programmzettel). Dieser Abend geht stimmungsgeladen so recht ans Herz – bei manchem sogar bis in die Augen.

Wahre Freundschaft

Wahre Freundschaft soll nicht wanken
wenn sie gleich entfernet ist.
I: Lebet fort noch in Gedanken
und der Treue nie vergesst. :I

Frischer Herzpuls wird in mir schlagen,
weil ich stets an dich gedacht.
I: Ich werd' Sorge für Dich immer tragen,
oft bis spät nach Mitternacht. :I

Falls dem Mühlstein entwächst eine Rebe,
und aus ihr fließet kühler Wein,
I: wenn der Tod mir nimmt mein Leben,
hör' ich auf getreu zu sein. :I

Fern von dir würd' ich Tränen weinen,
will im Traum nah dir zur Seite steh'n.
I: Wird uns Himmels Sonne stetig scheinen,
einen Segen will' ich darin seh'n. :I

Volkslied um 1750,
in einer von mehreren Text- und Melodieversionen

Auch das Lied über das frühstückssemmelblonde Mädchen Katja-Katjuschenka mit den baikalblauen Augen fehlte nicht im Programm, vorgetragen im Wechselgesang mit dem Original.

Katjuscha

Leuchtend prangten ringsum Apfelblüten,
still vom Fluss zog Nebel noch in's Land.
II: Durch die Wiesen kam hurtig Katjuscha
zu des Flusses steiler Uferwand. :II

Und es schwang ein Lied aus frohem Herzen,
jubelnd, jauchzend sich empor zum Licht,
II: weil der Liebste ein Brieflein geschrieben,
das von Heimkehr und von Liebe spricht. :II

Oh, du kleines Lied von Glück und Freude,
mit der Sonne Strahlen eile fort.
II: Bring' dem Freunde geschwinde die Antwort,
von Katjuscha Gruß und Liebeswort. :II

Er soll liebend ihrer stets gedenken,
ihrer zarten Stimme Silberklang.
II: Weil er innig der Heimat ergeben,
bleibt Katjuschas Liebe ihm zum Dank. :II

Leuchtend prangten ringsum Apfelblüten,
still vom Fluss zog Nebel noch in's Land.
II: Fröhlich singend ging heimwärts Katjuscha –
einsam träumt der sonnenhelle Strand. :II

Die Reihe wurde fortgesetzt mit „Im schönsten Wiesengrunde“ und einigen weiteren Liedern. – Schleicht sich hier und da schon eine leise oder stärkere bittersüße Wehmut ein? Haben sich doch in diesen Tagen bereits zarte Bande entwickelt, die das Schicksal der unerbittlich ablaufenden Zeit, schon wieder trennen will. –
Die Betreuer kamen auch an diesem Abend keineswegs zu kurz, denn im Anschluss an das gemeinsame Abschlussfest gab es für sie, unter Berücksichtigung eines „rotierenden Wachdienstes“, noch eine Tanz- und Schwatzstunde in unserer Kult-Baracke mit den Resten des abendlichen gemeinsamen Schmauses und einem zünftigem Umtrunk.

Kaum jemand hat wohl in den zurückliegenden Tagen unseres gemeinsamen „einsamen“ Aufenthaltes in Ferchesar, die Großstadt, ihren Trubel und ihre Ablenkungen wirklich vermisst. – Große Versprechen und Ehrenworte werden da und dort gegeben, sich bald zu schreiben und sich demnächst vielleicht wiederzusehen – denn die Entfernungen sind ja nicht groß – ist unser Land doch eher klein.

Am Abreisetag verabschieden wir zuerst alle Stendaler herzlich und winken deren Bus nach, der jedoch schon an der ersten Biegung des Waldweges unseren Blicken entschwindet.
Ja, es scheint mir, die Stimmung auf unserer Rückfahrt nach Berlin ist anfangs etwas gedämpft – doch bald, in der heimatlichen Stadt, begrüßen sich Kinder und Eltern mit großem Hallo, sinken sich nach soo langer Abwesenheit verschiedentlich in die Arme, und haben sich viel zu erzählen.
Der leere Bus fährt los. Alle Kinder und Jugendlichen sind mit ihren Eltern nun fort, eilen zur Straßenbahn, zur U- und S-Bahn, wohl wenige nur zum eigenen Auto. Andere gehen vielleicht zu einem Begrüßungsfestessen. –
Uns „Großen“ fehlt nun etwas – wir bisherigen Betreuer der Kindergruppen bleiben allein zurück, plötzlich bar jeglicher Verantwortung – sind ohne „unsere Kinder“ – eine merkwürdige Stille in uns, ein Alleinsein, inmitten der lauten Stadt. –
Morgen, erst morgen wird der Alltag mit seinen Anforderungen uns wieder fest in seinem Griff haben, doch mancher von uns wird noch lange von dieser kurzen Ferienzeit „zehren“.
Die Kinder aber sind weiterhin in den „Großen Ferien“, noch weitere sechs Wochen – eine unendlich lang erscheinende Zeit. Mögen sie diese Wochen so recht genießen und Kräfte für das nächste Schuljahr, für ein frohes Leben, sammeln,

wünscht Chris Janecke,
der an dieser Stelle auch nochmals allen Küchenkräften, den anderen Betreuern und den Organisatoren in den Träger-Betriebe dankt.


Briefkasten – Post an Chris für's Gästebuch

Angelika P. schreibt im Sept. 2024 sinngemäß:
Auch ich war als Betreuerin in Ferchesar, dreimal sogar. Zwar eineinhalb Jahrzehnte nach Ihnen – aber es sah dort alles noch genauso aus. So wie Sie, habe ich diese Zeit damals auch empfunden. Ich sende einige Bilder mit, die Sie gerne in den Bericht einbeziehen können.

Sie ist also keine „Gästin“, sondern eine aktive Mitgestalterin gleichen Erlebens. Wie schön! Hier ihre Bildbeiträge:

Wir erinnern uns gern ... auch an den Aufenthalt im Jahr 1984
Der Küchentrakt mit Speise- = Kulturraum
Bungalow

So sahen die Wohnunterkünfte im Jahr 1984 aus. Einfach – zweckmäßig – aus Typenbauelementen gefügt und variabel gestaltbar. (Der Autor kennt die Montage derartiger Bauten aus eigener Arbeitserfahrung.)

Geländestreifen am Ufer

Wiederum 40 Jahre später. Im Spätsommer 2024 blicken wir nochmals auf den Hohennauener See und seinen Uferstreifen. „Es war einmal ...“. Auch dieses Kinderferienlager verschwand nach der „Politischen Wende“. „Gute Kinderbetreuung, noch dazu bei unwirtschaftlich günstigen Elternbeiträgen, rechnet sich nicht.“
Heute stehen auf diesem Grundstück einige private Wochenendhäuschen.

Mein Dank gilt Frau Angelika P. für die Anreicherung mit diesen Bildeindrücken.


Wollt Ihr wissen, wie der gleiche Autor seine Erlebnisse als Kind in Erholungseinrichtungen der DDR erlebte? Dann gibt es hier auf der gleichen Internetseite eine Auswahl an Lesestoff: