Die Stammbahn. Die erste Preußische Eisenbahnlinie zwischen Potsdam und Berlin, 1838 und die Lindenbahn von Wannsee nach Stahnsdorf

Zusammengestellt von Chris Janecke, Potsdam, im Jahr 2001, neue Fassung: 2024
E-Mail-Anschrift: chris@janecke.name

Wir besuchen die alte preußische Stammbahn oder zumindest ihre Trasse, mit allem was noch an der Strecke verblieb.
Die Bahn verkehrte zwischen Potsdam über Zehlendorf nach Berlin, Potsdamer Bahnhof. Vor rund einem halben Jahrhundert (1945) wurde die Strecke stillgelegt, aufgegeben.
Ein weiterer Besuch gilt der Lindenbahn (Friedhofsbahn) von Wannsee nach Stahnsdorf ... und geplant, darüber hinaus.

Es kommt ein Wanderer des Wegs, der von mir gern wissen möchte:
Frage: „Bitte, wie komme ich auf dem allerkürzesten Wege von Griebnitzsee nach Zehlendorf?“

Antwort: „Am kürzesten ist die Luftlinie. Verfolgen Sie einfach die Strecke der Stammbahn. Schnurgerade, so wie die Luftlinie, führt diese Sie zum Ziel“.

Frage: „Stammbahn? Etwa solch eine, wie für den Holztransport schnurgerader Baumstämme? Und warum, um Himmels willen, soll ich die Bahn verfolgen, statt in jener sitzend, zum Ziel zu fahren?“

Antwort: „Nun, weil das Fahren zwar schneller ginge aber eben nicht auf dem kürzestem Wege, wie Sie es wollen“, antworte ich, ... ”und mit einer Eisenbahn für Baumstämme wären Sie auf dem Holzweg. – Auf der Stammbahn-Strecke fährt heute kein Zug mehr“.

Frage: „Aber morgen?“
Antwort: „Nein, auch morgen nicht.“

Warum das aber so ist, wollen wir heute gemeinsam erkunden, indem ich bei unserem Spaziergang darüber plaudere. Zuvor jedoch gern eine Antwort auf eine weitere Frage des Wanderers: „Was ist denn nun überhaupt >die Stammbahn<?“ –
Wie wir alle wissen, nahm man am 07. Dezember 1835 die erste Eisenbahnstrecke der deutschen Lande in Betrieb, welche die Passagiere die rund 6 km von Nürnberg nach Fürth brachte und jene auch in umgekehrter Richtung beförderte. Die frühen Verfechter der Eisenbahn hatten mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen, um das Neue zu verbreiten. Selbst Akademiker, verschiedene Ärzte, stellten sich dagegen, weil eine derart schnelle Bewegung, es war immerhin anfangs an eine Durchschnittsgeschwindigkeit der Bahn von etwa 4 Meilen je Stunde (30 km / Stunde) gedacht, die bei den Mitfahrenden unfehlbar eine Gehirnerkrankung auslösen würde. Eine besondere Variante des Delirium furiosum. Das ist kein Kuriosum!, wurde gesagt. Wenn sich schon tollkühne Passagiere einer solchen Gefahr aussetzen wollten, so müsste der Staat zumindest das an der Bahnstrecke zuschauende Publicum schützen, da der bloße Anblick des rasch dahinfahrenden Dampfwagens, auch bei jenen genau dieselbe Gehirnerkrankung erzeugen würde. Deshalb sei vom Betreiber zu verlangen, dass der Bahnkörper zu beiden Seiten mit einem blickdichten, hohen Bretterzaun einzufassen sei. Nun, auch weitere Unglücksfälle könnten damit ebenfalls zweckmäßig verhindert werden.
Das sächsische Königreich richtete im Frühjahr 1837 zwischen Leipzig und Dresden, die zweite Bahnlinie ein. Sie schlug den Rat der Wissenschaftler in den Wind. Einfach so – ohne Bretterzäune. Der weiterhin lebende Wald dankte es der Sächsischen Königlichen Regierung.

In Preußen zeigte sich die Entwicklung so:
Im Monat Mai des Jahres 1835 legte der Berliner Justizcommissar Robert (Familienname), dem König (Friedrich Wilhelm III. v. Hohenzollern) den Plan zum Bau einer Eisenbahnstrecke zwischen den Residenzstädten Berlin und Potsdam vor. Der begeisterte Commissarius hatte da aber gar keinen so sehr glücklichen Empfang, denn der Monarch, vom Typ eher ruhig, in sich gekehrt und zögerlich, hielt mehr von einer sanften Entwickelung der Dinge, statt von dramatisch-revolutionären technischen Umwälzungen. Er versprach sich von diesem neuartigen Transportmittel „keine große Glückseligkeit“, wie er dem Commissarius subtil belehrend beizubringen suchte. Schließlich komme es ja wohl nicht darauf an, ob man die Reise von Berlin nach Potsdam oder auch in der Gegenrichtung, einige Stunden früher oder später beende. Sein Generalpostmeister, Herr von Nagler, der Erste Verkehrsbeamte des Staates, bezeichnet eine Eisenbahn, die zudem sehr unflexibel, fest an ihren Schienenstrang gebunden sei, gar als „dummes Zeug“, gegenüber der schnellen und soliden Postbeförderung mittels des berittenen Postillons oder der Postkutsche. „Da sollten die Leute doch bitteschön lieber gleich ihr Geld zum Fenster hinauswerfen, statt es zu solch unsinnigen Unternehmungen hinzugeben“. Außerdem blieben die Kutschen, die planmäßig führen, ohnehin meist leer.
Ein Blick in die nahe Zukunft: Des v. Naglers Nachfolger, der jüngere Generalpostmeister Heinrich von Stephan, vertrat dann schon ganz andere Ansichten, zeitgemäße Auffassungen modernster und wegweisender Art.
Und es wird nach reichlichen Überlegungen und langwierigen Verhandlungen schließlich doch die erforderliche Königliche Erlaubnis zum Bau der Bahn erteilt. „Versuch macht klug – auch wenn's unnützer, ja unsinniger Weise viel Geld kostet.“
Schon am 10. August 1837 können nach den Grundstücksankäufen, die Erdbauarbeiten mit einer vorläufigen Erlaubnis beginnen, bevor am 23. September 1837 die endgültige Konzession erteilt wird. Bereits ein Jahr später kann der Streckenabschnitt von Potsdam bis Zehlendorf am 22. September 1838 eingeweiht werden und einen Monat später, ab 29. Oktober auch der weitere Streckenabschnitt, von Zehlendorf bis Berlin, Potsdamer Bahnhof, den Betrieb aufnehmen.
Es handelt sich um die erste Bahnlinie Preußens und somit um die „Stammbahn“ oder auch Hauptbahn, also um die „Mutter“ aller weiteren Bahnen in preußischen Landen. Daher die Wahl dieser Bezeichnung.
Man bedenke bitte aus heutiger Sicht: Eine Eisenbahnstrecke mit dem Verfassen des Entwurfs, mit all seinen Erkundungen, den Vermessungsarbeiten und Berechnungen („gleitende Projektierung“), Genehmigungsverfahren, den Rodungen in Waldgebieten, natürlich alles mit Handsägen bearbeitet. Die allgemeine Geländenivellierung durch Erdabtragung und Senkenverfüllung – alles mit der Handschaufel. Des Weiteren das Aufschütten von Dämmen, das Graben tiefer langer Geländeeinschnitte, das Aufbringen des Gleisbettschotters, der Bau der Bahnhöfe und das Errichten der Brückenbauwerke, die Gleis- und Weichenverlegung – das alles in einem Jahr – und ohne die heute genutzten Kräne und ohne Motorkraft. Es gab um 1838 ja auch noch keine Autos, keine Lastkraftwagen. Alle Massenbewegungen in Handarbeit und mit Pferdefuhrwerken. Eine der vielen sehr beachtlichen Leistungen der Menschen, die vor uns lebten, zweckmäßig dachten und fleißig arbeiteten.

Die erste Eisenbahn Preußens, die Stammbahn, zwischen Berlin und Potsdam fahrend. – Ansichtskarte aber mit unrichtiger Jahreszahl.

Die Einweihung am 22. September 1838 – ein großes Volksfest. Sechzehn Wagen mit über 300 Passagieren werden von den englischen Locomotions „Adler“ und „Pegasus“ gezogen. Diese wurden in den Werkstätten der „Stephenson und Comp.“, in Newcastle on Tyne hergestellt und wieder zerlegt hierher gebracht. Allein die Kraft des „Adler“ soll mit etwa 12 Pferdestärken vergleichbar sein und auf dem Schienenstrang eine rollende Anhängelast bis zu 500 Doppelzentnern (50 t) bewegen können. Die Ausstattung der Waggons ist ebenso bequem wie elegant. So etwas hat es hier, wie wir wissen, noch nie gegeben. Man ist bemüht, die neugierig-begeisterte oder auch teils ängstliche Menge der Menschen in Räson zu halten. Reisemutige, wie auch sensationslustige Zuschauer werden daher dringend ersucht, den Beamten der Eisenbahngesellschaft willig ihr Gehör zu leihen, nach deren Anordnungen zu handeln und ihnen dadurch in deren verantwortungvollem Dienste behülflich zu sein.
Ein schneidender Ton der Dampfpfeife gibt das Signal zur Abfahrt. Der Zug von Potsdam nach Zehlendorf fährt pünktlich ab. Dessen Abfahrt richtet sich jetzt, wie auch in Zukunft, nach der weithin gut sichtbaren Turmuhr der Potsdamer Hof- und Garnisonkirche. Ein Blick genügt. Vorgesehen sind zwei Abgänge von Potsdam pro Tag. Am Vormittage um 8 Uhr und am Nachmittage um 2 Uhr. Die Rückfahrt ab Zehlendorf kann dort vormittags um 10 Uhr und nachmittags um 4 Uhr angetreten werden.
Der Zug rollt in einem langsamen Tempo an, die Geschwindigkeit wächst jedoch mit jeder Sekunde, bis sie jene Schnelligkeit erreicht, mit der die Eisenbahnen ihren so glänzenden Sieg über alle sonstigen Mittel des Fortkommens erfechten. – Kühne Reiter versuchen auf kräftigen Rossen den durch Potsdam und Nowawes hinter dem Zaun ebenerdig rollenden Wagenzug zu begleiten. Die Pferde sind im Dauergalopp jedoch bereits nach einigen Minuten erschöpft. Die Fahrzeit dauert für die 3.350 Ruthen (14 km) lange Strecke, knapp 22 Minuten. Der Kronprinz Wilhelm (späterer König Friedrich Wilhelm IV.), sehr begeisterungsfähig für Kunst und Technik, weitaus aufgeschlossener als sein oben erwähnter Vater, ruft nach pannenfreier Fahrt und also nach geglückter Ankunft euphorisch aus: „Diesen Karren, der durch die Welt rollt, hält keines Menschen Arm mehr auf“. Recht hatte er! Wir wissen schon: Bereits einen Monat später wird der weitere Streckenteil von Zehlendorf nach Berlin fertig. Natürlich findet auch in Berlin, dort aber eben erst am 29. Oktober, eine große Einweihungsfeier statt. Die Gesamtlänge der Strecke Berlin Potsdam beträgt 3,5 Meilen oder 7.000 Ruthen (nach heutiger Maßangabe 26 km). Die Gebäude, die Locomotions und die Anhänger der Dampfwagen sind erneut mit Blumen und Fahnen geschmückt. Ein Musikcorps befindet sich auf dem Perron des Potsdamer Bahnhofs in Berlin(!), ein weiteres Corps hat sich auf dem Kohle-Tender aufgestellt. Um 12.00 mittags setzt sich der Zug mit 11 Wagen und 280 Personen, von den beiden Locomotions gezogen, in Berlin in Bewegung. Innerhalb von 41 Minuten gelangt der Zug nach Potsdam und nachdem die Gesellschaft, sich von dieser Anstrengung erholend, Erfrischungen zu sich genommen hat, kehrt die Bahn wieder um und trifft in Berlin am Potsdamer Bahnhof nach 38 ½ Minuten ein. Der Zug also legte die Strecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 39 km / Stunde zurück. Respekt, meine Herren! Respekt!

Ebenfalls zu jener Zeit wurde auf dem Gelände des alten Potsdamer landwirtschaftlichen Rittergutes die erste Eisenbahnwerkstätte errichtet. Der Siegeszug der Bahn hatte somit auch in Preußen begonnen. In den ersten Wochen allerdings durfte die Bahn nur bei Tageslicht fahren. Dem regen Bedarfe entsprechend, kam die Polizei jedoch nicht umhin, bald die Dampfwagenfahrten auch in den Stunden der Dunkelheit bei eigener Beleuchtung der Wagen zu gestatten. Hierbei, so aber die flugs erarbeitete Vorschrift, sei die Fahrgeschwindigkeit auf die Hälfte derjenigen der Fahrten bei Tageslicht herabzusetzen. Es wurde dem Personal eingeschärft, bei unsichtiger Witterung, somit besonders in den Stunden der Dunkelheit, bei starkem Nebel oder dichtem Schneefall unter keinen Umständen die Geschwindigkeit eines trabenden Pferdes zu überschreiten. Vorerst fuhren dann bereits täglich drei Züge in jede Richtung. Man beförderte am Tage durchschnittlich 2.000 Fahrgäste. Später, an Festtagen, sogar bis zu 4.000 Passagiere. Wegen des regen Zuspruchs, lohnte es sich durchaus, die Fahrgäste während der Wartezeit am Bahnhof mit einer Stärkung für die Fahrt zu bewirten. So eröffnete am 9. Mai 1839 das „Neue Etablissement“, ein Caffeehaus, und die „Restauration im Eisenbahnhofe zu Potsdam“. Der König jedoch, unangefochten von diesen Neuerungen, brauchte das alles natürlich nicht und fuhr auch noch eine zeitlang – jeweils ein Stückchen – in der Kutsche neben der Bahn einher, bis er sah, dass selbst seine edlen Trakehner mit der Lokomotive nicht Schritt zu halten vermochten. Vom Grundproblem des schwierigen Verständnisses für diese neue Zeit erlöste ihn jedoch bald sein Ableben im Jahre 1840.
Ein großer Zeitsprung: 1862 ließ man (es regierte inzwischen Wilhelm I., der zweite Sohn des vorgenannten Königs) bei Neuendorf, an der Wilhelmstraße und nahe beim Flüsschen namens Nuthe, einen so genannten Königlichen „Bedarfs-Haltepunkt“ einrichten. Der war, wie schon die Bezeichnung erahnen lässt, nicht für die Benutzung durch das Volk vorgesehen. Später wurde zusätzlich die Station Neubabelsberg, (auch Neu-Babelsberg geschrieben) am Griebnitzsee errichtet. 1869 sah man dann „für den Hof“ eine Einstiegstelle am Wildpark, unweit des „Neuen Palais“ von Sanssouci vor, die man auch gut „Wildpark-Sanssouci“ hätte nennen können.
Nach dem viergleisigen(!) Ausbau ab 1871, wurde 1874 die Strecke der Wannseebahn mit dem Abschnitt von Zehlendorf nach Kohlhasenbrück fertig gestellt. Nachrichten über derart große Ereignisse gehörten dann aber inzwischen fast schon zum normalen Alltag.
Die Stammbahn bestand in voller Länge von 1838 bis 1945. Sie wird auf Teilen der gleichen Trasse heute in modernisierter Form betrieben, bis auf das Stück zwischen Griebnitzsee und Zehlendorf, das von der Wannseebahn kompensiert wird.

Das seit 1945 stillgelegte Teilstück der Stammbahn zwischen Griebnitzsee und Zehlendorf ist zum Gegenstand der heutigen Betrachtung in Wort und Bild gewählt.

Zweckmäßig scheint es, sich schon jetzt die Landkarte, vielleicht auch Fotos zurechtzulegen, um nach dieser Beschreibung leichter (vorerst in Gedanken) mitwandern zu können. Und nun geht der aktuelle Bericht über diesen Spaziergang los. Das klitzekleine Abenteuer in die jüngere Vergangenheit und auch in die Historie kann beginnen.
Mein sonnenheller Ferientag ist der 27. Juni im Jahre 2001.
Früh am Morgen starte ich in Golm mit dem „Studentenexpress“. 15 Minuten später Endstation in Griebnitzsee (früher Neu-Babelsberg, später UFA-Stadt). Nach dem Verlassen des Bahnhofs laufe ich weiter in der bisherigen Fahrtrichtung auf der Rudolf-Breitscheid-Straße entlang. Deren Fortsetzung trägt, an der Berliner Stadtgrenze beginnend, nun als ziemlich geradlinig verlaufende Straße, die vielleicht jemanden in die Irre führende Bezeichnung „Neue Kreisstraße“. An der Potsdamer Stadtgrenze endet die glatte Bitumenfahrbahn, ein Schritt weiter, im Westen Berlins, beginnt das holperige Kopfsteinpflaster. Was schert's mich – ich gehe bequem zu Fuß. Die direkte Abgabelung zum Königsweg ist am Bahngelände mit löcherigem Zaun und Verbotsschildern streng gesichert. So biege ich erst später nach rechts in die Kohlhasenbrücker Bäkestraße ein (diese Trasse war das ursprüngliche Bett des Flüsschens „Bäke“
oder „Telte“) ...

... und sehe in deren Verlängerung bald die Brücke der alten Stammbahn, welche die Machnower Straße überbrückt. Es ist diese aber nicht mehr die Überbrückung aus dem Jahre 1838.
Links: Die ursprüngliche Brücke über die Bäke in Kohlhasenbrück von 1838.

In die Brückenwandung wurde eine Gedenktafel an die erste preußische Eisenbahnlinie eingebracht. Diese Brücke hatte eine Nutzungsdauer von 88 Jahren. Im Jahre 1926 gab es dann bereits eine neue Brücke. Warum? Die Lokomotiven und Eisenbahnwaggons waren in den vergangenen Jahrzehnten um Einiges größer und schwerer geworden. Die Unterschiede sind hier deutlich zu erkennen:

Zwischen 1838 und 1923 lagen bereits Generationen der stürmischen Entwicklung von Lokomotiven
Hier wurden stets neue Lokomotiven erdacht – und noch viel mehr

Der junge Maschinenbauer Alfred Richard Janecke im Konstruktionsbüro des Lokomotivbaubetriebes >Orenstein & Koppel AG<, Nowawes (vormals Berlin-Drewitz-Neuendorf) tätig. So zeichnete man in jener Zeit, per Hand am Zeichenbrett und farbig – ohne Computer, denn so etwas gab es nicht. Die Zeichnung gilt hier als beispielhaftes Muster (entnommen aus einer Zeitschrift der „Kammer der Technik“).

Montagehalle für Lokomotiven

Erdacht im Konstruktionsbüro und gebaut auf dem gleichen Gelände von >Orenstein & Koppel<. Nach 1945 wird das Werk die Bezeichnung >Lokomotivbaubetrieb „Karl Marx“, Babelsberg, erhalten.

Eine tragfähigere neue Brücke aus dem Jahr 1926 überspannt an gleicher Stelle nun nicht mehr das Flüsschen Bäke (bedeutet: Bach), sondern die Machnower Straße, benannt nach dem nicht weit entfernten Klein Machnow ... Dieser Ort ist wesentlich größer, als der Ort Groß Machnow – macht nichts.

Die Brücke aus dem Jahr 1926, Blickrichtung: ortseinwärts

Die Aufgabe, etwas tragend zu überbrücken, drückt diese Brücke nun schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Brückenfunktion oblag ihr für die kurze Zeit von 1926 bis 1945. Auch trägt sie nicht mehr an der Last der Gleise, aber doch an der des Schotters und des Gewichts der Bäume, die auf der Trasse gewachsen sind. In dem westlichen Teil des Brückenbauwerks sind zwei Tafeln eingelassen. Die obere kleinere aus geglättetem Granit trägt in zeittypisch geschwungenen Lettern die Jahreszahl 1838 eingraviert. Die untere, die größere, erläutert in Frakturschrift erhaben aus der Platte hervortretend, die obere Tafel.
Die Stammbahn existierte bis 1945 und auch umliegende intakte Bahnanlagen verloren mit dem Jahr 1961 („Mauerbau“ = „Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls“) ihre Bedeutung.

Hier aber, oben auf der Brücke, möchte ich den Weg nicht fortsetzen, da der Bahndamm schon gleich am Teltowkanal endet, weil an jener Stelle keine Brücke mehr über den Kanal führt. Diese wurde noch in den letzten Kriegstagen von eigenen deutschen Truppen gesprengt, um den Vormarsch der sowjetischen Roten Armee für einige Minuten zu verzögern. So wende ich meine Schritte und biege rechts in die Straße „Königsweg“ ein. Die Nathan-Brücke lädt dann dazu ein, den Teltowkanal zu überqueren. Anschließend befinde ich mich auf einem großen, leeren Auto-Parkplatz am Waldessaum und kann als Abgang von diesem unter mehreren unausgeschilderten Wegen wählen. So unternehme ich versuchsweise vorerst einen Spazier-Abstecher ins „Große Fenn“, ein feuchtes Naturschutzgebiet nahe am Teltowkanal, das gewiss viele Wildtierarten gerne ihre Heimat nennen. Zumindest lässt schon allein der vom Sauzahn frisch aufgerissene Waldboden auf ein fröhliches Wildschweineleben schließen.
Doch mein eigentliches Ziel ist ja ein anderes. Deshalb wähle ich, zum Parkplatz zurückgekehrt, den mittleren Weg, den ich als die Fortsetzung des Königsweges vermute. Hier, so bin ich mir ziemlich sicher, nehme ich „den Faden“ wieder auf, der wegen des Teltow-Kanals unterbrochen war, befinde mich also wohl auf der Trasse der Eisenbahnstrecke. Auf eine alte Bahnlinie gibt es jedoch keinen Hinweis. Keine Spur mehr von Gleisen aber ein breiter Fahrweg im Geländeeinschnitt. Rechts, so wie links, eine etwa 4 m hohe Böschung.

Weg auf der ehemaligen Bahntrasse.

Inzwischen liegt der Rest der städtischen Alltagswelt hinter mir. Herz und Hirn drängen dazu, Lieder anzustimmen, wie „Heut' ist ein wunderschöner Tag“ sowie „Und wieder blühet die Linde am quellumrauschten Gestein“ oder „Geh' aus mein Herz und suche Freud'“, Lieder des Volkes, Volkslieder. Ansonsten durchzwitschert herrlicher Vogelgesang die Stille.
Nach wenigen Minuten ist unvermutet dieser breitere Weg zu Ende, dass heißt, er wird zum schmalen Fußsteig, der nun rechts und links von wunderschönen Kleingärten gesäumt wird. Die Eisenbahner gaben der Anlage ihrer schmucken Zier-Gärtchen den Namen „Eisenbahn-Landwirtschaft“. Gewiss hatte diese Namenswahl vor Jahrzehnten auch ihre gute Begründung, denn in der Nachkriegszeit, als das Gelände umgewidmet wurde, hat man statt Blumen wohl eher Kohl, Rüben und Kartoffeln angebaut.

Kleingärten der„Eisenbahn-Landwirtschaft“

Das kleinere Bild ist einem Berliner Prospektblatt entnommen.
Ein Paradies inmitten des Waldes, in dem auch dieser Gartenweg endet.
Fortgesetzt nur durch eine Spur aus Gräsern im Sand und Moosen unter den hohen Bäumen, deren Kronen die Sonnenstrahlen abschirmen. Unter den Schuhen knirscht und klappert Schotter. Bruchsteine aus dem Steinbruch oder am Ort per Hand zerkleinernd hergestellt, vor rund 165 Jahren hierher für die erste Bahn geschüttet. All' das herangekarrt mit Pferdefuhrwerken über die märkischen Sandwege: Schotter, Schwellen, Schienen und jedwedes Zubehör. Ich kann es nicht vermeiden, einige dieser steinernen Zeugen der Historie in die Hand zu nehmen und zu befühlen, – wie einfach, also „gemein“, wie unspektakulär sie auch sein mögen. Immerhin sind auch unsere Potsdamer und Berliner Vorfahren seit jener Zeit oft diese Strecke in verschiedenartigen Eisenbahnwagen entlang gerollt. Dadurch erhalten diese stummen Zeugen der Historie für mich beinahe etwas Vertrautes. Ab und zu erinnert immer mal wieder ein Stück Seildraht, eine Umlenkrolle, eine verrostete Halterung daran, dass wir uns tatsächlich auf einer „ruhenden“ Bahnanlage befinden.

Das lichte Dickicht der Eisenbahntrasse

Einige Fußminuten später: Der Wald wird wieder lichter, die Bahntrasse wieder gut erkennbar. Hier fuhr früher der Zug oben auf einem niedrigen Damm. Rechter Hand ist das Gelände fast ebenerdig, nach links fällt es in Richtung des nahe gelegenen Königsweges ab. Eichen, Kiefern, Robinien und Birken säumen die alte Spur, auf der Trasse des früheren Gleiskörpers.

Der Bahnkörper auf einem flachen Damm

Nach der ersten halben Stunde des Wanderns kommt nun die nächste Brücke in Sicht. Nicht zu vergleichen mit der kleinen, vorhin erwähnten, die über die Machnower Straße führt. Auf diesem gewaltigen Bauwerk hier, überquere ich nun eine breite Senke, eine Schneise, die durch den Wald führt. Selbstverständlich besteht oben auf der Brücke mangels Erdkontakt kein großer Pflanzenbewuchs, deshalb liegt an dieser Stelle das alte Schotterbett völlig frei.

Oben auf der Brücke. Wir stehen „im Geleise“ und schauen Richtung Zehlendorf.
Der Blick nach Süden zum Teltowkanal.

Nach rechts wird der Blick von der Brücke auf längerer Strecke freigegeben. Diese künstliche Senke sollte einmal von der AVUS bei Nikolassee die Ausfahrt der Reichsautobahn von Berlin nach München aufnehmen aber wohl erst ab 1935, vorher wird die Bahnlinie hier ohne jenes aufwendige Brückenbauwerk ausgekommen sein.
Nun steige ich von der Brücke hinab auf die Trasse der im „Dritten Reich“ geplanten Autobahn.

Eisenbahnbrücke über die „Autobahn von 1935“, Teilansicht

Die Bausubstanz scheint relativ gut erhalten. Die Brücke wird mittig von einem Langpfeiler unterstützt.
Die Flächen der Widerlagerbauwerke sind mit Graffiti-„Kunstwerken“ besprayt. Zum Bau verwendete man außer Granitquadern, schwere Klinkerziegel. Nach links (gemäß meiner Laufrichtung auf der Brücke, nach Berlin) führt die Senke in einem Bogen von der Brücke fort, und wird eine parallele Richtung zwischen Königsweg und Stammbahntrasse einnehmen.
Laufen wir diese Senke aber weiter nach rechts, also in südlicher Richtung, in die wir soeben oben von der Brücke aus blickten, so stoßen wir bald auf eine weitere alte Autobahnbrücke, die über den Teltowkanal führen sollte. Allerdings führt uns dieses Autobahnstück nicht bis München, sondern endet hier in großer Höhe direkt über dem Kanal (am Bogenschießplatz).

Das Ende einer „Autobahn“ am Teltowkanal

Niemand kann also von der Brücke hinabsteigen, um zur Gaststätte bei Albrechts Teerofen oder zum Landgut Eule am Kremnitzufer zu gelangen, um wieder nach Kohlhasenbrück zurückzukehren.

Der Teltowkanal am Kremnitz-Ufer

Auf dem Teltowkanal müssen die Führer größerer Schiffe schon sehr auf den Gegenverkehr achten.

Das Landgut Eule mit der ehemaligen Versuchsanstalt der Technischen Hochschule Charlottenburg
Ein Blick von der Autobahnbrücke, den Teltowkanal entlang, in Richtung >Dreilinden<

A: Ein Grenzwachturm zwischen der DDR und Berlin-West, bis 1990 in Funktion. Heute funktioniert darin ein Café.
B: Ein Zeltplatz
C: Hinter der Rechtsbiegung des Kanals, unserem Blick entzogen, die alte Gitterträgerbrücke (die wir nachher noch sehen werden) der Lindenbahn über den Kanal.

Hier auf der „Autobahnbrücke“ geht es nicht weiter!
Zurück also das kurze Stück auf der „Autobahn“ entlang, bis zur „Eisenbahnbrücke“. Nun unterquere ich diese Eisenbahnbrücke auf der Autobahntrasse, gehe in nordöstlicher Richtung weiter, also vom Bild der Brücke aus, in den Vordergrund des folgenden Fotos hinein.

Weiter geht's – zur Lindenbahn

Nach etwa 15 Minuten komme ich an eine „Kreuzung“. Das heißt, dass auf der linken Seite das Gleichmaß des Waldessaums gestört ist und die Bäume den Blick in einen tiefen dunklen Schlund freigeben, in einen breiten Graben, durch den früher die Lindenbahn, vom Bahnhof Wannsee kommend, gen Süden bis zum Südwestfriedhof der Berliner Synode in der Gemarkung der Gemeinde Stahnsdorf fuhr. Auf meinem Autobahnweg ist davon nichts mehr zu sehen, wurde er doch aufgeschüttet. Und ein Teilstück des tiefen Grabens für die Lindenbahn wurde wohl 1960 / '61 aufgefüllt.

Die abgetrennte Trasse der Lindenbahn lässt sich im Geländeeinschnitt erahnen. Hier trat sie in der Tiefe aus des Waldes Dunkel. Der Vordergrund zeigt eine mehrere Meter hohe jüngere Aufschüttung

Rechts, von dieser „Kreuzung“ der Stammbahn mit der Lindenbahn von Gras überwuchert, erkenne ich die Reste einer Plattform aus Beton. Es sind die Rudimente des Haltepunkts Dreilinden, dem Eisenbahnkreuzungspunkt der Stammbahn „obenauf“ und der Lindenbahn im Graben tief darunter. Dazwischen auf Normalhöhe die gedachte Autobahn. Hier ließ es sich bei Bedarf gut umsteigen. Hier gab es somit nicht nur drei Linden, sondern auch drei sich kreuzende Verkehrstrassen.

Im Hintergrund des Bildes entsteht der Euro-Park Dreilinden

Nach einem weiteren Viertelstündchen frohgemuten Wanderns auf meiner Autobahntrasse quere ich erneut einen Weg. Hinter Bäumen rechter Hand eine rege Bautätigkeit – der „Euro-Park-Dreilinden“. Nein, keine Konkurrenz zum Park Sanssouci, sondern ein entstehendes Industrie- und Gewerbegebiet. Auch weist ziemlich monotoner Lärm darauf hin, dass ich mich nun der heute tatsächlich betriebenen Autobahn nähere.
Von hier an ist die alte Eisenbahntrasse nun auf einer Länge von mehreren hundert Metern von über zwei Meter hohen Abkipphügeln weiß-gelben, feinen Sandes überschüttet, der einen Vergleich mit Ostseesand nicht scheuen braucht.

Aufschüttungen auf der Stammbahntrasse.

Nach links jedoch, also in nördliche Richtung, schaue ich auf den hellsandigen Querschnitt eines geschütteten aber später wieder durchschnittenen Dammes, eben des Stahnsdorfer Dammes, der an dieser Stelle die Stammbahn überquerte. Hoch zur „Brücke“ (ohne heutiges Brückenbauwerk), nunmehr zur Abbruchkante, steigt der Stahnsdorfer Damm an, hier nur als ein Pfad im Dämmerlicht des Waldes im Düppeler Forest erkennbar. Weiter gen Wannsee zeigt er sich freundlich als eine 3 m breite Asphaltstraße, gesäumt von Eichen.

Der Stahnsdorfer Damm führt hier als Pfad durch das Waldgebiet, bis zur heutigen Abbruchkante.
Die Abbruchkante. Hier endet auch die vormalige Straße >Stahnsdorfer Damm<, im Nichts.

Die Gedanken gehen zurück an die Zeit der Teilung Deutschlands:
Immerhin ist es uns möglich, ist es überhaupt seit 1990 erst wieder und damit für sehr viele wandernde Leser erstmals in ihrem Leben möglich, dieses Gebiet der eigenen und nahesten Heimat zu durchstreifen. Für jüngere Leser oder solche die nicht im Berliner Raum beheimatet sind, hier die Anmerkung, dass dieses Gebiet nicht nur seit 1945, nach Einstellung der Stammbahn brach lag, nein, von 1961 bis 1990 standen auch hier, wie an vielen Orten, die schier unüberwindbaren Grenzbefestigungsanlagen mit einem breiten Sicht-, Fahr- und Schießstreifen. Kahlschlag zwischen der damaligen Stadt Berlin-West und dem Bezirk Potsdam der Deutschen Demokratischen Republik. Nördlich der Stammbahn also der West-Berliner Stadtbezirk Zehlendorf mit Kohlhasenbrück sowie dem großen und dem kleinen Wannsee, dem Nikolas-See, Schlachtensee und dem Ortsteil Düppel, sowie Zehlendorf-Süd. Im geografischen Süden (also dieser Bereich im politischen Osten), der südliche Griebnitzsee, die Babelsberger Parforceheide, dann Dreilinden, Stahnsdorf, Kleinmachnow, alle Orte damals zum Grenzgebiet gehörend und daher zum Teil nur nach strenger Prüfung, mit sehr eingeschränkt ausgegebenen Passierscheinen betretbar. Und ich laufe heute munter beiderseits wechselnd längs dieser früheren Staaten-Teilungslinie, zwischen den Bahnhöfen Griebnitzsee und Zehlendorf entlang. Noch vor einem reichlichen Jahrzehnt hätte ich hier also überhaupt nicht wandern können. Die Beton-Mauer um Berlin und die Zäune waren zwar damals nach der „politischen Wende“ relativ schnell abgeräumt, doch auch heute ist das Gebiet noch kein ausgesprochener Touristenmagnet. So greifbar nahe der lauten quirligen Bundeshauptstadt begegne ich keinem einzigen Menschen!!! Dagegen sonnt sich eine freundliche Blindschleiche, die gute Anguis fragilis, vor mir auf dem Weg. Tiere also, sind vorhanden.

Der Eisenbahndamm auf dem ich bisher ausschritt, endet in lichtem Mischwald. Die abgeschnittene Böschung senkt sich ab zur heute benutzten Autobahn, deren Fahrzeugverkehr mich brüllend empfängt. Ich befinde mich südlich des Autobahnkreuzes Zehlendorf, nahe der Raststätte Dreilinden, an der „neuen“ Berlin-Ausfahrt der A 115. Vor weniger als zwei Stunden auf historischem Pfad in die natürliche Stille eingetaucht, komme ich in der überlaut erscheinenden Gegenwart wieder hoch. Aber nicht für lange Zeit.

Die Autobahn-Ausfahrt der A 115 ... und
... die neue Fußgängerbrücke

Auf der 1997 im wieder vereinten Deutschland neu errichteten Fußgänger-Königsbrücke, kann ich die Autobahn überqueren und schlage mich gleich wieder fort vom königlichen Weg nach rechts in Richtung Eisenbahnspuren in die Büsche, aber noch einen kurzen Foto-Rückblick auf den vorerwähnten an der Autobahn endenden Eisenbahndamm werfend.
Im Mittelgrund des Bildes aber etwas links der Mitte, die inzwischen bewaldete, geringe Dammaufschüttung der Stammbahn, die nun hier von der Autobahn unterbrochen wird. –
Inzwischen in der Kleinmachnower Gemarkung angekommen, erreiche ich rechts parallel der Trasse, die Straße „An der Stammbahn“, mit den von ihr abzweigenden Wegen, die nach Schubert, Bach, Brahms, Offenbach und weiteren Komponisten benannt sind. Durchs Dickicht dann wieder auf die Trasse, die noch vor einem reichlichen Jahrzehnt „Todes-Mauerstreifen“ war, sich aber heute in diesem Abschnitt als ein lichter freundlicher Pfad zeigt

Ein Abschnitt des Mauerstreifens in den Jahren 1989 und 2001

Der Weg wird gesäumt von einem jungen Mischwald, bestehend aus Birken, Kiefern und Robinien. Und die Beine tragen mich immer weiter schnurgerade der Nase nach.
Eine knappe halbe Stunde später kommt menschliches Leben in Sicht! Schon wieder werde ich an eine Grenze erinnert. Allerdings harmlos – nur von zwei Ortseingangsschildern. Ortsgrenzen. Ich, auf den alten Schienen stehend, lese links: >Berlin<. Bensch-Allee. Den Blick nach rechts wendend: >Kleinmachnow, Landkreis Potsdam-Mittelmark<, Karl-Marx-Straße. Geradezu genau vor mir, also auf dem unsichtbar gewordenen Bahngelände, ein Wochenmarkt mit pulsierendem Leben.

Ein stiller Ort? – Eine belebte Straße!

Es hat den trügerischen Anschein, als würden Geisterzüge über die Wiese rollen, die Straße überqueren, um dann still im Wald zu verschwinden – das Gleis ist sorgfältig erhaltend in den Straßenbelag eingearbeitet und die Schienenköpfe sind blank gerollt - allerdings von den Gummireifen der Autos.
Nur wenige Schritte hinter dem Markt mit seinem bunten Treiben, parallel zur Berlepschstraße, befindet sich der frühere Eisenbahn-Haltepunkt Düppel. Unsichtbar. Im Dornröschenschlaf. Richtiger: Mit Robiniendornen bewehrt. Die Bahnsteigkante sichtbar (aber nicht von der Straße aus), das Gleisbett von aufgeschossenen Bäumen gesperrt und von Blättern überdachend verdunkelt. Tiefe Ruhe im quirligen Berlin.

Das Gleis im früheren Haltepunkt Düppel.

Was für ein exotischer Begriff war doch „Düppel“ damals für uns Kinder, wenn die Erwachsenen diesen Namen erwähnten. Unerreichbar – für uns, gleich nebenan im Osten wohnend, aus einer anderen Welt kommend. Und heute? Düppel. So nahe. Zum Hinlaufen. Begreifbar. Begriffen. Angefasst. Entzaubert, der verzauberte Bahnhof. Fast niemand kennt diesen – kaum jemand geht hin. Aber ich bin hier.
Halt in Düppel! Man muss es deutlich aufschreiben – kein Schild erinnert hier mehr daran.

Im Haltepunkt Düppel: Vorsicht an der Bahnsteigkante – Bäume im Gleisbett!

Mich überrascht, dass die Schienenköpfe hier einen mittigen Abstand von 1.500 mm aufweisen, ein Innenmaß von 1.300 mm und einen Mittenabstand der Holzschwellen von 700 mm. Ist doch seit „Urzeiten“ eine Regelspurweite von 1.435 mm und ein Schwellenabstand von 600 mm üblich. Weiter geht es.
Bald erreiche ich im Gleiskörper laufend, erneut eine Straße. Es handelt sich um die Clauertstraße, die am Bahnübergang mit der früheren Straße 518 spitzwinklig zusammentrifft. Vor einigen Jahren personifizierte die Berliner Verwaltung diese Nummernstraße ehrenhalber zur Robert-von-Ostertag-Straße. Der Namensspender war ein Professor für Veterinärmedizin an der Tierärztlichen Hochschule zu Berlin und lebte von 1864 bis 1940. Die Namenswahl hat seine besondere Bewandtnis, denn nördlich der Bahnstrecke, über den Königsweg hinaus, bis zur Potsdamer Chaussee, befinden sich Reitplätze, Gestüte und Pferdeausleihstationen, wie auch Pferdeclubs. Direkt hinter der eben überquerten Straße, liegt der Bahnhof Zehlendorf-Süd.

Der verlassene Bahnhof Zehlendorf-Süd. Endlich ein gut lesbares Bahnhofsschild.

Dieses Objekt war früher ein Menschen-Bahnhof. Heute ist das Empfangsgebäude mit Fahrkartenverkauf immer noch ein idealer Unterstand bei zu sehr prasselndem Regen, wie auch bei zu starkem Sonnenschein oder heftigem Flockenwirbel – für Pferde. Das hätte dem Tierarzt v. Ostertag vermutlich gefallen. Mir sagt das auch zu.

Schutz gegen Witterungsunbilden

Der Bahnsteig ist gut erhalten. Fast könnte man einen Zug erwarten, würden die hohen Bäume, die im Gleisbett wachsen uns nicht lehren, doch lieber nicht allzu lange auf eine Bahn zu warten. Die Schilder am Bahnsteig sind noch gut lesbar, wenn auch der vormals weiße Untergrund einem rostigen Braun wich. Einen starken Gegensatz dazu bilden die modernen (hier liegt die Betonung bitte tatsächlich auf dem „e“, nicht auf dem „o“) Leuchtenkörper an den „Peitschen-Masten“, gerade so, als würden sie noch täglich ihren Dienst versehen.

Ein Stück des Gleises weiter gelaufen, ragen rechts und links der Strecke mächtige Brückenwiderlager empor, ohne aber dass die Bahnlinie noch von einer Straße überquert würde. Auch von oben geschaut, ließe das in die Umgebung stark abfallende Gelände eine Straßenbrücke nicht zu. Ein einsamer Ort scheint dieses nie vollendete Bauwerk aber nicht immer zu sein, denn auch hier bunt besprayte Betonflächen und angekohlte Bahnschwellen sowie unästhetische menschliche Abfälle im ansonsten sauberen märkischen Wald.
Das nahe Rollen einer S-Bahn kündet kurze Zeit später davon, dass ich die Vergangenheit hinter mir lasse, mich wieder dem „lebendigen Teil“ des städtischen Bahnverkehrs nähere. Vor mir, nur noch von einigen halbwüchsigen Bäumen verdeckt, liegt der Bahnhof Berlin-Zehlendorf. Und die Schienen „meiner“ Stammbahn enden vor dem genutzten Durchgangsgleis, welches ein Weitergehen selbstredend verbietet. Kein Anschluss auf diesem Wege. Ende der vergangenen Zeit. Ende meiner heutigen Spurensuche. Ende der erfolgreichen Spurenfindung an und auf dem kürzesten Weg zwischen Griebnitzsee und Zehlendorf.

Kein Anschluss an das Schienennetz für das alte Stammbahngleis – im Bild vorn, rechts

Die Linden- oder Friedhofsbahn, zwischen den Bahnhöfen
Berlin-Wannsee und Stahnsdorf sowie der geplanten Weiterführung nach Teltow

Diese Bahnlinie wurde später als die Stammbahn gebaut, hat aber auch wie jene ihre regional bedeutende Geschichte.

Meine Kurzbeschreibung – auch eine kleine Geschichte.
Den vorigen Weg spazierte ich als Fußgänger und näherte mich beziehungsweise kreuzte sogar die Trasse der Lindenbahn. Heute, am 04. Juli 2001 nutze ich mein Fahrrad und werde zum Abschluss nochmals wesentliche Punkte des vorigen Spaziergangs aufsuchen, die leicht und schneller per Rad erreichbar sind. Diesmal starte ich vom Bahnhof Wannsee aus. Gegenüber dessen Hinterausgang, über die Potsdamer Chaussee hinweg, nutze ich den hier beginnenden Stahnsdorfer Damm, lasse die Revierförsterei Dreilinden links liegen und rolle, als der Stahnsdorfer Damm nach links abbiegt, weiter auf dessen geradliniger Verlängerung, dem Bürgermeister-Stiewe-Weg, entlang. Rechts auf dem heute betriebenen Bahngelände sieht man mächtige historische ungenutzte Brückenlangpfeiler, die parallel zu den Gleisen stehen. An dieser Stelle also kam die Linden-Bahn aus dem Gleisbündel des Bahnhofes Wannsee, überquerte die Gleisanlagen und verschwand im dunkleren Forst.

Die alte Lindenbahn überquert (im Geiste) die auch heute betriebene Strecke

Die vormalige Strecke der Lindenbahn, die aus dem Gleisbündel des Bahnhofs Wannsee kam, und die dann die in der Bilddiagonale verlaufende Haupt-Bahnlinie überquerte (siehe heller Brückenlangpfeiler im Hintergrund). Gleichsam rollte hierauf die Bahn auf den „Standort des Fotografen“ zu. –
Zwischen dem Stahnsdorfer Damm und der Lindenbahn befindet sich ein Schießplatz der früheren Versuchsanstalt für Handfeuerwaffen auf dem Landgut „Eule“ bei Kohlhasenbrück. Erhob sich die Lindenbahn eben noch, die Hauptstrecke überbrückend, hoch über den anderen Gleisen, fährt sie kurz darauf im Wald vorerst ebenerdig aber bald darauf in einem tiefen Geländeeinschnitt. Am Königsweg kommt sie dann schon gut unter der respektablen Brücke des Waldweges hindurch.

Die Lindenbahn unten ...

Tief im künstlichen Geländeeinschnitt fährt die Lindenbahn unter dem Königsweg hindurch. Hier unten liegt auch noch ein Stück des Gleises.

Unten die Bahn ...aber der Königsweg oben

Selbst oben auf der gleichen Brücke des Königsweges über die Lindenbahn-Linie stehen ältere Kiefern und Birken. Erstaunlich, wie diese hierauf „Fuß fassen“ konnten.
Führe diese Lindenbahn / Friedhofsbahn noch, dann würde sie im Geländeeinschnitt den Wald verlassen und dann ...

Die Lindenbahn würde den Wald verlassen, und dann ...
... in der Geländesenke die damals geplante Reichsautobahn (Bildvordergrund) unterqueren. (Das Gelände im Vordergrund wurde nach der Einstellung des Bahnbetriebes um mehrere Meter aufgeschüttet.)

Anschließend fuhr die Lindenbahn unter der Stammbahn hindurch, in den Kreuzungs-Haltepunkt Dreilinden ein. Hier stand ich bereits vor einigen Tagen bei der Betrachtung der Stammbahn-Strecke. Von diesem Haltepunkt ist aber, wie damals angemerkt, nicht mehr zu sehen, als eine im Gras verborgene größere Betonplatte. –
Die heutige erste Bushaltestelle in der Straße namens „Lindenbahn“, die auf Kleinmachnower Gebiet unmittelbar rechts der Trasse verläuft, heißt auch heute noch „Bahnhof Dreilinden“ und kann einen Uneingeweihten irreführen – falls er einen Bahnanschluss benötigt, sucht und hier „findet“. Dort, wo die Straße namens „Lindenbahn“ endet, biege ich nach links in den Stolper Weg ein, der wider Erwarten wunderschön eben ist und nach Stolpe => Wannsee führt. Ich überquere auf der Straßenbrücke den Lindenbahngraben und fahre bald unter der Autobahn hindurch. Das Ende des Stolper Weges führt mich erneut auf den Stahnsdorfer Damm. Ich überquere den Teltowkanal auf dem Weg vorbei an der Kleinmachnower Schleuse und rolle nach Stahnsdorf hinein.

Die Schleuse in Kleinmachnow

Bekannt ist, dass die Lindenbahn ursprünglich nicht am Bahnhof Stahnsdorf, am Stahnsdorfer Südwestfriedhof enden, sondern weiter nach Teltow geführt werden sollte.

Der ehemalige Bahnhof Stahnsdorf, eine inzwischen historische Aufnahme

Bahnhofstraße. Trotz dieser Bezeichnung sollten wir wissen, dass auch hier kein Bahnhof mehr zu finden ist. Überall auf unseren Wegen wird als Korrekturmahnung das sonst eher märchenhafte „Es war einmal“ benötigt.
Vor uns der große Südwestfriedhof der Berliner Synode, dessen Eingang sich gegenüber dem damaligen Bahnhof Stahnsdorf befand. An dieses riesige Friedhofsgelände schließt sich nördlich der Wilmersdorfer Waldfriedhof an. Die >Alte Potsdamer Landstraße< querend, verfolge ich die Lindenbahntrasse auf einem Waldespfad, der an der Autobahn endet.
Unweit davon kann ich aber die neue Fußgängerbrücke nutzen.

Auf der Fußgängerbrücke über die Autobahn

Nur etwa 300 m weiter führt eine Stahlbogenbrücke die Autobahn über den Teltowkanal.
Die Lindenbahn wurde früher über eine eigene Brücke über den Teltowkanal geführt, die heute noch steht aber gesperrt ist.

Über dieses Brückengerippe hinweg, wäre ich schon bald wieder im „Bahnhof Dreilinden“.

So etwa erfuhr der Lokomotivführer die Anfahrt zur Lindenbahnbrücke

An der Sputendorfer Straße in Stahnsdorf beginnt der Geländeeinschnitt für die Bahn zwischen der Petunienstraße (am Friedhof) und der Geranienstraße. Damals, auch noch bis nach 1980 war es so, konnte man im unfertigen Bahn-Graben spazieren gehen, inzwischen hat sich die Vegetation stark ausgebreitet.

Ein Stückchen der Trasse für die Lindenbahn zwischen Stahnsdorf und Teltow

Noch nie rollte hier die Lindenbahn nach Teltow, wie es eigentlich geplant war. Die anliegende Sputendorfer Straße, damals vor 20 Jahren, ein Kopfsteinpflasterweg, ist inzwischen mit einem Asphaltbelag und beidseitig angelegten Fuß- und Radwegen ausgestattet worden.
Zurück fahre ich durch den alten Stahnsdorfer Ortskern auf die Potsdamer Allee zu, durch Kleinmachnow, an der Schleuse vorbei und am Südufer des Teltowkanals entlang.
An dessen Nordseite liegt ein Campingplatz. In einem ehemaligen Grenz-Wachturm der erhalten blieb, hat sich ein Café etabliert. An „Albrechts Teerofen“ vorbei, heute keine Pechsiederei mehr (ich denke an die Brüder Albrecht aus Caputh, die sich hier niedergelassen hatten), fahre ich das schattige leicht abfallende Kremnitzufer entlang. Ernst Kremnitz lebte von 1859 bis 1908, war leitender Mitarbeiter der Teltowkanal-Bauverwaltung.

Der Bau des Teltow-Kanals in den Jahren 1901 bis 1906, hier der Abschnitt Kleinmachnow, 1902. Ansichtskarte. Das Gemälde schuf der Landschaftsmaler Otto Thomasczek.

Wie wir wissen, wurde der Teltowkanal, dieses gewaltige Vorhaben, einschließlich der Schleuse in Kleinmachnow, in nur fünf Jahren, von 1901 bis 1906 unter der Oberaufsicht des Landrates des Kreises Teltow, Herrn Ernst von Stubenrauch gebaut. Ihm zur ehrenden Erinnerung hat man auf dem Teltower Altstadtmarkt ein Denkmal gesetzt. Auch eine Straße an der Stadtgrenze zwischen Nowawes (seit 1939 Potsdam-Babelsberg) und Berlin, die den Teltowkanal ein Stück begleitet, erhielt seinen Namen.

Teltowkanal, Am Kremnitzufer in Kohlhasenbrück

Auf dem verhältnismäßig schmalen Teltowkanal müssen die Schiffsführer beim Begegnen recht achtsam sein.
Das Landgut „Eule“, zur Versuchsanstalt für Handfeuerwaffen gehörend, steht an der Kremnitzstraße auf einer Anhöhe.

Die Straße führt mich zurück nach Kohlhasenbrück, zur Machnower Straße und dann zum Bahnhof Griebnitzsee.

Kohlhasenbrück während der Kanalbauzeit

Geradezu das Flüsschen Bäke oder auch Telte, mit der Stelle, an der Hans Kohlhase angeblich den großen Silberschatz versenkt haben soll. Unten rechts die Großbaustelle.
Zeitgenössisches Gemälde – nach der Natur – von Otto Thomasczek, 1901.

So schließt sich der Kreis der zwei Besichtigungstouren: Der Stammbahn und der Lindenbahn.


Hinweis auf Hans Kohlhase und den geraubten Silberschatz: Hans Kohlhase – ein tragisches Menschenschicksal