Lehrausbildung im landwirtschaftlichen Volkseigenen Gut,
einem Betriebsteil des „VEG 1. Mai Siethen“,
im damaligen Kreis Zossen, (nach 1990: Kreis Teltow-Fläming),
Bezirk Potsdam, in der Deutschen Demokratischen Republik.
Notizen über das Lernen in der Betriebsberufsschule,
zum Leben im Lehrlingswohnheim und zu verschiedenen
Begebenheiten in der praktischen Berufsausbildung, ...
verbunden mit einem Ausblick auf die Jahre 1987 / 1988.
Autor: Chris Janecke, E-Mail: chris@janecke.name
Internetadresse: www.janecke.name Ergänzt im Februar 2025
Zur Einstimmung in den Text gibt es hier einige Bilder.
Diese Notizen über meine Erinnerungen habe ich gegliedert in:
* Vorbemerkungen
* Nun geht es los ...
* Der Hauptteil: Mein Brief an Anne-Dore
* Nachsätze
* Hinweis auf das Gästebuch
*
Anhang 1: Erläuterungen zu den Abkürzungen und zur zeitgenössischen
Wortwahl
* Anhang 2: ... über jüngere Schriften ... , so das
Programm der Pädagogen in Großbeuthen
zum Kampf um den staatlichen Ehrentitel „Kollektiv der Sozialistischen Arbeit“
* Anhang 3: Einige Einblicke in das damalige Zeitgeschehen.
Wir sind jung, die Welt ist offen (Ein Wanderlied der Arbeiterbewegung)
Wir sind jung, die Welt ist offen. Oh' du schöne weite Welt. Unser Sehnen, unser Hoffen, zieht hinaus in Wald und Feld. Bruder lass' den Kopf nicht hängen, kannst ja nicht die Sterne seh'n. Aufwärts blicken, vorwärts drängen! Wir sind jung und das ist schön. Aufwärts blicken, vorwärts drängen! Wir sind jung – die Welt ist schön.
Liegt dort hinter jenem Walde nicht ein fernes fremdes Land? Blüht auf grüner Bergeshalde nicht ein Blümlein – unbekannt? Lasst uns schweifen ins Gelände, über Täler, über Höh'n, wohin auch der Weg sich wende – wir sind jung und das ist schön. Wohin auch der Weg sich wende – wir sind jung – die Welt ist schön.
Auf denn auf, die Sonne zeiget uns den Weg durch Feld und Hain, geht dabei der Tag zur Neige, leuchtet uns der Sternenschein. Bruder, schnall den Rucksack über, heute soll's ins Weite gehn. Regen, Wind, wir lachen drüber. Wir sind jung und das ist schön. Regen, Wind, wir lachen drüber, wir sind jung – die Welt ist schön.
Text: Jürgen Brand = Emil Sonnemann (1869–1959), Lehrer. Geschrieben in Bremen 1914, kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Musik: Gemeinschaftswerk von Michael Englert, Heinrich Schoof und Hermann Böse.
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Vorbemerkungen:
Zum Inhalt meiner Ausführungen wurde ich auf die folgende Problematik hingewiesen:
„Wir Leser sind erst nach der beschriebenen Zeit geboren worden, haben also weder jene Zeit, noch den Staat mit der Bezeichnung Deutsche Demokratische Republik (die DDR) selbst miterlebt. In welchen gesellschaftlichen Zusammenhängen ist diese Zeit in Großbeuthen zu sehen? Wie war die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage zu jener Zeit in Deutschland, wie die Stimmungen der Bevölkerung im Lande? Was tat sich zu der Zeit in den Ländern, mit denen Deutschland einen engeren Kontakt pflegte?“
Solche Fragen werden im Text aus meiner Sicht beantwortet. An mehreren Beispielen habe ich versucht, einige Einblicke in das damalige Leben zu geben. Eine zusätzliche Textauswahl integrierte ich bewusst nicht nachträglich in meine Ausführungen zu Großbeuthen, sondern fügte diese später als Anhang 3, „Einige Einblicke in das damalige Zeitgeschehen“, an.
In Großbeuthen gab es eine jahrelang bestehende Arbeitsgemeinschaft, die sich mit der Chronik des Ortes, des landwirtschaftlichen Gutes, der Berufsschule des Betriebes und dem Lehrlingswohnheim befasste und deren jugendliche Mitarbeiter wohl viel Material zusammen getragen hatten.
Nach Angabe verschwanden im Zuge und nach der politischen Wende, also 1989 / 1990, leider viele Unterlagen, so auch diese wahrscheinlich wertvolle Chronik. Ob diese Dokumente absichtlich auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wurden oder in Privathand genommen und so dem zeitgeschichtlichen öffentlichen Interesse und einer interessierten Aufarbeitung entzogen wurden, blieb bisher wohl völlig ungeklärt. Es hat sich bisher leider kein Leser meines Berichts aus dem Kreis der damals maßgeblichen Personen dazu geäußert.
Seit der Lehrzeit ist weit mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen. Nicht an jedes Detail, das ich beschreibe, werden sich andere Zeit- und weitere Genossen in gleicher Weise erinnern wie ich. Sollten mir grundsätzliche inhaltliche Fehler in meinen Notizen unterlaufen sein, die von anderen Menschen erkannt werden, so bitte ich um Korrekturhinweise. Die vorliegenden Erinnerungen schrieb ich nicht in voller Länge in einem Zuge auf, sondern ergänzte in größeren Abständen an verschiedenen Stellen.
Danke, allen geduldigen Leserinnen und Lesern. Chris Janecke
Nun geht es los – mit der Vorbereitung meiner Lehrzeit:
Vor meinem Abschluss des 10. Schuljahres an der „ZAPO“, der Zehnklassigen Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule in Potsdam-Babelsberg, steht vor mir die Frage meiner weiteren Entwicklung: Was nun? Klar ist schon mal: 'Was tun! Etwas Gutes, Sinnvolles, was Freude und Erfüllung bringt – suchen wir also das Beste!
Als erstrebenswerter Inhalt erschien mir der freundliche Umgang mit etwas Lebendigem. Bereits unser bekanntes Grimm-sches Rumpelstilzchen hatte das seinerzeit als genauso begehrenswert empfunden: „Etwas Lebendiges ist mir lieber, als alle Schätze der Welt“, rief es damals laut aus – „es darf ein Schätzelein wohl auch sein“, so seine eindeutige Meinung, – der ich mich unbesorgt anschließen kann.
Eine Tätigkeit mit Pflanzen, Tieren und Menschen sollte es also möglichst sein – auf dem Lande.
Was hatte ich als Stadtkind aber denn bisher für Einblicke in die Natur und speziell in die Landwirtschaft gehabt, die eine „amtliche“ Wertung bei eventuell strenger Bewerberauswahl für eine Lehrausbildung finden könnten?
Die Biologie, als eines meiner schulischen Lieblingsfächer.
Ich hatte mich bereits mit verschiedenen anderen „gesellschaftlich nützlichen Tätigkeiten“, befasst. Nun auch in der schulischen Arbeitsgemeinschaft „Junge Kaninchenzüchter“ mit diesen Tieren. Die AG hatte unser Biologielehrer und Klassenleiter Fritz-Peter Gnerlich eingerichtet, nachdem Walter Ulbricht (1893–1973, Vorsitzender des Staatsrates der DDR 1960–1971/1973) angesichts der unausgesprochenen Mangelversorgung der Bevölkerung laut gerufen hatte: „Mehr Fleisch für die Volkswirtschaft, Genossen, ja?“. Mancher hatte das wohl schlicht als Frage missdeutet oder gar als ein Flehen aufgefasst, glücklicher Weise viele andere eher erfahrungsgemäß als einen Befehl – und jene lagen richtig mit ihrem Gefühl.
„Man“ war „da oben“ etwa der Auffassung: „Zehntausend der so ganz nebenbei in Schulen des Landes aufwendig individuell-gemeinschaftlich und fast kostenlos gemästeten Kaninchen könnten vielleicht sehr eventuell den Fleisch-Inhalt eines kleinen Schweinestalls aufwiegen. Und das erfordert überhaupt keine der ohnehin zu wenigen erwachsenen Arbeitskräfte. Das wird sich für unsere Volkswirtschaft wohl gut rechnen!“ – Hm, mit den Rechenkünsten ist das so eine Sache. – In der Folgezeit wurden also in einer großen Anzahl von Schulen Kaninchen gemästet. Die Ställe für die künftigen Bewohner konstruierten und bauten wir Schüler in der Potsdamer „Station Junger Techniker“ selber. Es handelte sich um einen polytechnischen Eigenunterricht, der uns Freude bereitete. Das Baumaterial dafür wurde uns bereitgestellt.
Bei den kuscheligen Fellträgern auf unserem Schulhof war also auch ich als „Kaninchenvater“ im 8. und 9. Schuljahr ganz freiwillig bereits vor dem Unterricht, in vielen Großen Pausen und an fast jedem Nachmittag (auf den volkseigenen Wiesen zur Futterbeschaffung) beschäftigt, so wie einige andere Mitschüler genauso.
Wenn wir für die Muckis zu Festtagen mit dem Bezugsschein Zusatz-Kraftfutter von der VEAB holten, sahen wir als Wartende so nebenbei, dass die Tomaten (die nicht die Kaninchen erhielten) für 12 Mark je Kilogramm aufgekauft und für 6 Mark an den „Endverbraucher“ weiterverkauft wurden. Dazwischen stand eine stattliche staatliche Stütze. Ich fragte mich, ob wir zu reich wären, viel reicher als der Westen oder ob die Regierung unser Land zugrunde richten möchte oder nur mal ein schönes politisches Aushängeschild zeigen will. Auf jeden Fall lernten wir sehend, wie die gleichen Tomaten zwischen Ausgabefenster und Hintertür im Kreislauf wandern können und bei der Umdrehung um 100% wertvoller wurden. Das ließ sich wiederholen. Mit denselben Tomaten. Kreislaufstörungen in diesem Vorgang konnten wir nicht beobachten. Ein eigenartiges „sozialistisch-ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“. Uns jungen unwissenden Schülern erschien es eher ungesund und möglicher Weise kriminell genutzt. – Wir hingegen waren bei den Kaninchen ehrlich tätig und noch dazu kostenlos. Das Notieren solcher Erfahrungen schweift schon vom Haupt-Thema ab. Zumindest soweit dieser Blick in die Handelstätigkeit der Klein-Landwirtschaft.
Während des Schuljahres 1958 / 1959 hatte unsere Klasse den „Unterrichtstag in der Produktion“ im Volkseigenen landwirtschaftlichen Gut Sputendorf, in dessen Betriebsteil Schenkenhorst, das sich schon stärker und weiter im Aufbau der sozialistischen Landwirtschaft befand. Hier bekamen wir zahlreiche Eindrücke von Ackerbau und Tierhaltung durch unser praktisches Mittun.
Diese Zeit wurde im Schuljahr 1959 / 1960 abgelöst durch unseren Schul-Einsatz in der LPG des Dorfes Satzkorn, ebenfalls im Bezirk Potsdam. Auch dort war es schön und durchaus auch lehrreich.
Wir gewannen in diesen beiden Jahren viele praktische Einblicke in die landwirtschaftlichen Arbeiten, so dass ich mir vor meiner eventuellen Bewerbung zu einer landwirtschaftlichen Lehre schon nicht mehr völlig neu vorkam, sondern mich eher als ein bereits Ahnungsvoller fühlte.
Des Weiteren assistierte ich während der Schulzeit – also bitte! – erst im Anschluss an den Schulunterricht, aus purem Interesse in der Tierarztpraxis der von mir verehrten Frau
Dr. med. vet. Ilse Worseck in Potsdam-Babelsberg, Karl-Liebknecht-Straße 114 – nachmittags in den Sprechstunden und abends zu den Operationen, so dass ich nicht nur viele Tiere von außen gesehen, sondern etliche auch von innen betrachtet und helfend Hand mit angelegt hatte. Hausaufgaben der Schule – mal zwischendurch, wie es die Zeit so hergab und freiwillige Zusatzhausaufgaben – so wie die Lust dazu mich mal mehr oder geringer beflügelte.
Fazit: Mehr habe ich als Stadtbewohner an Voraussetzungen für eine Lehrausbildung in der Landwirtschaft leider nicht zu bieten.
Vielleicht ist eine besondere Zuneigung zu Tieren irgendwo in meinen Genen zu finden. Schon mein Großvater, er hieß August Janecke, obwohl er erst im September geboren wurde, (1869–1950 lebte er), ging bereits als Junge mit Pferden um. Sein humorvoller Onkel, August Zelm, sorgte aus „Jux und Tollerei“ dafür, dass er, sein Neffe, bereits 1881, im Alter von 12 Jahren, in das Kaiserliche Adressbuch der Stadt Berlin als „Fuhrherr August Janecke“ aufgenommen wurde. Dieser Spaß ist keinem Uneingeweihten aufgefallen, denn die damit angeregten Aufträge für Lohnfuhren erledigte dann der Onkel, mit Unterstützung des Neffen und hauptsächlich mit der Kraft seiner Pferde Hans und Liese. Solche Späße, das Leben deftig zu würzen, gab es wohl viele.
Doch derlei Alltags-Romantik bestand nicht ewig. Mein Großvater war dann im Ersten Weltkrieg als Train-Soldat (Transport-Soldat) eingesetzt. Er hatte unter anderen Aufgaben mit den Zug-Pferden, diesen scheuen Fluchttieren, die Geschütze durch's schwere Gelände, mitunter im Stahlhagel, in die vordersten Linien zu schleppen, dort zu positionieren – und große Pferde duckten sich selten in einen Schützengraben. Trotzdem kam er aus dem Krieg zurück. Sein jüngerer Bruder Wilhelm, der Zimmermann aus Wittenberge, also mein Großonkel, dagegen nicht. Er fiel 1918 als Kanonier „auf dem Felde der Ehre für Kaiser, Volk und Vaterland“ kurz vor dem Ende des Krieges.
Mein Großvater August half „im Felde“ häufig den Tierärzten und war bei ungezählten zu Tode verletzten Pferden, die selber wirklich niemandem etwas zu Leide getan hatten. Das alles ging ihm sehr zu Herzen, lief seinen eher pazifistischen Anschauungen zuwider, ihm, der die Tiere sonst aktiv mit intensiven Gedanken bedachte und mit nur leisen Worten lenkte.
Zurück in meine Alltage – oder wollen wir diese vorsorglich zu Festtagen erheben!: Im Frühjahr des 1962-er Jahres hatte unser guter Lehrer und Kunstmaler, Herr Willy Donath (1910–1997) uns Schüler beauftragt, für das Fach „Technisches Zeichnen“ einen Wohnzimmergrundriss zu erarbeiten. Herr Donath kam von seinem Wohnsitz aus Bergholz-Rehbrücke jeden Tag, bei Sonne, Regen, Wind und Wetter, bei Eis und Schnee auf seinem Fahrrad zu uns nach Babelsberg geradelt. Vor dem Krieg trug er den Titel eines Studienrates; in der DDR-Zeit dann nicht mehr.
Meine leichte Begeisterungsfähigkeit auch zu dieser Hausaufgaben-Thematik führte dann allerdings über die Aufgabe des Zimmergrundrisses hinaus, zum zusätzlichen Bau des Papp-Modells „Haus einer Tierklinik“ und einer Anzahl von Zimmer-Grundriss-Zeichnungen, für die dazugehörige Wohnung und die Praxis, einschließlich deren Möbelierung. Das Gebäude hielt sich in seinen Grundsätzen und dem Aussehen etwas „an das Gefühl und die Fußstapfen“ der Bauhaus-Architekten (Gründer: Walter Gropius, 1883–1969), die in Weimar, Dessau und Berlin ihre jeweils nur viel zu kurze Heimstatt fanden aber trotzdem auch in anderen Orten nutzbare „Bau-Denkmale dieser modernsten Strömung ihrer Zeit" errichteten. Viel zu kurz – weil sie in Architektur, Malerei und der Formgestaltung von Gebrauchsgütern, der Führung der National-Sozialistischen Arbeiterpartei, der Diktatur des „nationalen Sozialismus“, nicht passten – und das galt als gefährlich für die Freidenker, für die Könner. Es sind aber gerade diese Kultur-Stätten, die ich später besuchen und intensiv studieren werde. Das wusste ich aber damals (mit 16 Jahren) noch nicht. So etwas muss sich erst in Ruhe entwickeln, benötigt Grundkenntnisse, Reifung. Aber ich wusste natürlich bereits in jener Zeit, dass mich solche kreativen Unterrichts-Themen erheblich mehr dazu anregen für das Leben etwas mehr zu tun, als das Lösen notwendiger, aber scheinbar „unfruchtbarer“ anderer Hausaufgaben.
Was lag also näher, als ... ? Doch vor solchen hochfliegenden Plänen stand vorerst die Notwendigkeit einer soliden Grundausbildung zum Facharbeiter für ... für etwas Geeignetem.
Ein großherziges Ausbildungsangebot erreichte mich vom Zoologischen Institut Potsdam, idyllisch im Park Sanssouci gelegen. Der Professor nahm sich viel Zeit für mich und stellte mir ausführlich und in den schillerndsten Farben die Schönheiten der Arbeitsweisen und die Tätigkeitsergebnisse eines Tier-Präparators vor. Doch ich Undankbarer verabschiedete mich freundlich und warmherzig-dankbar, ohne aber sein Angebot anzunehmen – denn jene Tiere die ich hier betreuen sollte, waren für meine Vorstellungen schon viel zu tot.
Sehr bald fiel meine Wahl nun auf den Ort Großbeuthen im Kreis Zossen. Landwirtschaftliche Lehre im „Volkseigenen Gut Siethen, Betriebsteil Großbeuthen“, mit Acker- und Pflanzenbau sowie Tierhaltung, mit dem Betreuen von Rindern und Schweinen. Das ist doch 'was Lebendig-lebensfrohes! Seit dem Herbst des Jahres 1961 gibt es außerdem in der DDR und auch gleich dort in Großbeuthen, die Möglichkeit der „Berufsausbildung mit Abitur". Wie günstig – ein „Sprungbrett“, wenn man noch weiter lernen oder gar studieren möchte. Die erste Frage, die ich nur mir leise stellte, lautete: Warum kürzt man Volkseigenes Gut ausgerechnet in der Schreibweise „VEG“ ab?
Zum Bewerbungs- und Vorstellungsgespräch holte uns, meine Mutter und mich, der Direktor der Berufsschule, Herr Bruno Abromeit, persönlich mit dem Auto, einem „Trabant-Kombi“, vom Bahnhof Thyrow ab.
(Also „Herr“ schreibe ich nur in Gedanken an meine Mutter. In der DDR war das sonst eher unüblich. Die „Werktätigen“ sind „Kollegen", besser noch „Genossen“. In Akademiker-Kreisen spricht man sich auch mal mit „Frau Kollegin“ oder „Herr Kollege“ an – das sind so Ausnahmen, die wahrscheinlich aber dort im Großbeuthener Schweinestall eher nicht üblich sind).
Vom
Ort Thyrow aus rollen wir auf dem Sandweg etwa 4 Kilometer durch den
Wald nach Großbeuthen. Dort plaudern wir über meine soziale
Herkunft, über mein bisheriges, schon
16 Jahre langes Leben,
meine Weltanschauung und die Parteilichkeit im Allgemeinen und im
Besonderen, also über meinen „Klassenstandpunkt“. (Das Lied
dazu: „Sag mir wo du stehst!“, wird aber erst später, etwa
1966, von Hartmut König geschrieben werden). Über Hobbys sprechen
wir, über meine gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten und über
die bisherigen schulischen Leistungen – ob diese wohl einer
Ausbildung auf dem Gebiet der Landwirtschaft würdig sind?
Es schließt sich ein Rundgang über das Betriebsgelände und durch die Schule sowie das Wohnheim an. Ein inhaltsreicher Nachmittag, bis uns der Chef des Hauses wieder nach Thyrow zum Bahnhof bringt. Ein erstaunlicher, ein sehr zu würdigender Aufwand, der einem jeden eventuell künftigen Lehrling entgegengebracht wird? Ich kann es kaum fassen – hat der Direktor etwa solche Individualveranstaltungen ca. 120 x in jeweils drei Lehrjahren vollbracht, denn es kommen ja in jedem Jahr zwei neue Klassen, also etwa 40 neue Lehrlinge dazu – um „den Verlust“ der fertigen Facharbeiter wieder aufzufüllen ... oder wie verlief dieser „Schnupperbesuch“ bei anderen Bewerbern?
Nun ja, viel später vernahm ich, dass zumindest das Abholen vom Bahnhof für uns eher eine Ausnahme gewesen sei. Womit mögen wir das nur verdient haben? Ich werde es nie erfahren. Andere, die ebenfalls kein Auto besaßen, mussten das selber organisieren.
Herr Abromeit fährt mit seiner Beinprothese nicht nur dieses Auto; zuweilen benutzt er sogar das Touren-Awo-Motorrad. – Ach so, ja, ich wurde als Lehrling angenommen.
Für die Vorbereitung auf eine Lehre und dann für die Ausbildung in der Landwirtschaft, hätte ich – aber nur fast – eine weitere, ganz ausgezeichnete Wissensquelle nutzen und diese Ergebnisse später auch weitergeben können. Ein Verwandter von mir, 62 Jahre alt – auch das passt doch recht gut zum Lehrbeginn 1962 – ist nämlich der international bekannte Denker, einer der bedeutendsten Spezialisten für den wissenschaftlichen Ackerbau und für die Pflanzenphysiologie: Prof. Dr. Walter Sauerlandt (1899–1982). Gewiss ist, dass er sich auch intensiv mit der Humuswirtschaft, Naturdüngung und vielen anderen Teilgebieten befasst – und das Schönste: Nach seiner Schulzeit und vor dem Universitäts-Studium hat er eine gründliche landwirtschaftliche Lehre durchlaufen, – grad' so, wie es mir nun bevorsteht.
Das
Ganze hat nur einen traurigen aber alles entscheidenen Fehler: Mein
Onkel,
Professor
Dr.
Walter
Sauerlandt,
lebt
in der Stadt Braunschweig
– schweigen wir also besser
darüber,
als laut darüber zu reden. Im
Westen
lebt er,
in der BRD
oder wie Walter Ulbricht gerne fast
unnachahmbar ruft:
bei den „imperialistischen Bonner Ultras,
ja?“,
was auch immer genau darunter zu verstehen sein mochte
– die Tendenz war
uns
bekannt.
Somit
konnte
ich weder das
Wissen
des Professors
im Direktkontakt nutzen, durfte
mir
seine
wertvollen unpolitischen
Schriften
aber auch
nicht auf
dem Postweg schenken lassen
und
lesen.
Er
wohnte
nun
eben
mitten
unter
den
Klassenfeinden
eines jeden ehrlichen
Arbeiters
und Bauern der DDR
und wurde
hier deshalb weniger geachtet, als eher geächtet. So kann
ich ihn auch nicht
später
einladen (das
ist jetzt von mir ein gedanklicher Vorgriff),
einmal
in unserer
Landwirtschaftsschule
eine universitäre Unterrichtsstunde zu geben,
eine Vorlesung zu halten.
– Weil's
aber nicht kann sein, werde
ich
wohl
das Unmögliche fein für mich behalten und wie üblich
ruhig und
still verarbeiten
– die Gedanken sind frei.
Natürlich wohnen bei uns in der DDR ebenfalls ganz hervorragende Landwirtschafts-Spezialisten – aber mit jenen mir unverwandten Größen wird es in Großbeuthen wohl auch nicht zu persönlichen Kontakten, zu einem Erfahrungsaustausch über Theorie und Praxis kommen. Die DEFA hatte für „Der Augenzeuge“ Nr. 7 / 1956 einen Nachruf für den gerade verstorbenen DDR-Chemiker und Landwirtschaftsspezialisten Professor E. A. Mitscherlich (1874–1956) vorbereitet. In diesem kurzen Beitrag sind Prof. Mitscherlich und Prof. Sauerlandt, als auch Wilhelm Pieck im Gespräch zu sehen. Zu sehen ist auch Otto Grotewohl. Das ist lange her und wird für Großbeuthen nicht nutzbar sein.
Was ich bisher über diesen meinen künftigen Lebensmittelpunkt Großbeuthen weiß?
Eigentlich noch gar nichts! Großbeuthen – vorher noch nicht gehört – Aber: man kann von Potsdam aus dorthin laufen – und zurück. Eine der Strecken beträgt etwa 25 km. Großbeuthen und Kleinbeuthen werden schon früh als „Wendisches Buten“ erwähnt. Das Wort Buten soll „Siedlung“ bedeuten – sagen manche Forscher. Andere wiederum sprechen davon, dass sich der Ortsname von der Bienenwirtschaft in Wald und Heide herleitet. Der Bienenkorb = die Beute. Der entnommene Honig = die Ausbeute. Die Spezialisten wissen es genau. – Später wird nur noch „Kleinbeuthen“ und „Wendisch Beuthen“ (für Großbeuthen) gesagt, also werde ich hier wohl in jedem Fall unter die Nachkommen freundlicher Slawen geraten.
1960: Neben dem großen VEG besteht in Großbeuthen auch eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG Typ I) von 16 Mitgliedern. Eine Gaststätte und eine KONSUM-Verkaufsstelle gibt es ebenfalls im Ort. Das ist ja alles schon mal recht gut.
Dieses Wenige lese ich jedoch erst später nach:
1375: Unter Kaiser Karl IV. ist Henning von der Gröben Herr auf Burg Beuthen (in Klein Beuthen). Zu seinem Einflussbereich gehört auch >Nygendorp< (Neuendorf, ein Teil des heutigen Potsdam-Babelsberg, eben 25 km von Beuthen entfernt). Na so was.
1412: Der Nürnberger Burggraf Friedrich VI. von Hohenzollern zieht in das Brandenburger Land als Kurfürst Friedrich I. ein. Dieser erobert 1414 die Nuthe-Burg in Klein Beuthen, auf der inzwischen die gefürchteten Ritter v. Quitzow ihren Sitz haben. Hatten!
1539: Inzwischen sitzt Jochen von Schlaberndorf auf dem Herrschaftssitz Beuthen.
1713 / 14: Die Kirche für Großbeuthen wird auf dem Dorfanger aus Fachwerk errichtet.
1847: Der Turm für die Kirche wird aus Backsteinen gebaut – dessen Glocke wurde aber schon im 14. oder 15. Jahrhundert gegossen – damals für ein anderes Bauwerk gedacht.
1945: Die Besitzer des bisherigen Rittergutes Großbeuthen werden enteignet sowie Grund und Boden in ein Volkseigenes Landwirtschaftliches Gut (VEG) umgewandelt.
Im Moment (Juli / August 1962) sind aber Ferien. Meine letzten großen Sommer-Schulferien. Mit meinem Moped rolle ich rund 600 Kilometer kreuz und quer durch die Bezirke Potsdam, Magdeburg und Schwerin. Dafür reicht gerade eine Tankfüllung von 12 Litern. Ich habe ein Moped, wie man es in der gesamten DDR nicht nochmals findet: Metallic-weinrot lackiert, Grundkonstruktion SR 1 (Simson-Suhl) aber mit Sitzbank vom Motorrolle und dem Motorrad-Tank der AWO (nach meiner eigenen Umbau-Konstruktion, geschweißt von meinem verehrten väterlichen Freund, dem Fahrzeug-, Bau- und Reparatur-Schlosser Erich Quast in Potsdam-Babelsberg, Fultonstraße 5).
Für die jüngeren Leser: „AWO“ heißt hier nicht Arbeiterwohlfahrt, sondern ist die Abkürzung von „AWTOVELO“, einer russischen Bezeichnung für die Sowjetisch-DDR-Zweirad-Fahrzeug-Aktiengesellschaft, die in der schönen thüringischen Stadt Suhl ihren Sitz hatte – in den Fabrikanlagen des früheren privaten Betriebes der jüdischen Familie Simson.
Wertvolle Hinweise für unseren Start in dieses Berufsleben
Oh, ja, wird ihm zugestimmt, denn ...
Und dabei wäre des Weiteren zu beachten:
Andererseits gilt jedoch ebenfalls:
Nun, wir kennen das schon:
Wir werden versuchen, das Beste aus den Ratschlägen der Wissenden anzuwenden.
Ein großer Mensch geht seiner Zeit voraus Der Kluge geht mit ihr auf allen Wegen. Der Schlaue beutet sie gehörig aus, Der Dummkopf stellt sich ihr entgegen.
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An dieser Stelle gebe ich euch ausnahmsweise einen Brief zur Kenntnis, den ich rund ein halbes Jahrhundert nach dieser Zeit schreibe:
Liebe Anne-Dore, (Das ist aus gewünschten Datenschutzgründen der einzige frei erfundene
Name. Alle anderen, die ich in diesem Text nennen werde, sind ziemlich echt).
als Antwort auf Deine Fragen zu Großbeuthen habe ich zusammengetragen und im Folgenden aufgeschrieben, woran ich mich erinnern kann. Wahrscheinlich fiele uns, wenn wir jung Gebliebenen gemeinsam über die alte Zeit schwatzen würden, weitaus mehr ein. Zu meinen Notizen muss ich angesichts derer „Lückenhaftigkeit“ aber sagen, dass ich wegen des notwendigen Abbruchs der Lehre nur während der zu kurzen Brutto-Zeit von September 1962 bis September 1963 in Großbeuthen weilte. Somit bin ich eigentlich ein Wenig-Wissender und habe nicht viel zu sagen. Deshalb kann ich mich mit meinen Erinnerungen auch kurz fassen. Zumindest relativ kurz. – Von dem Wenigen, das ich weiß, schreibe ich aber auch nicht alles auf, wenn es bestimmte Interessen anderer lebender Menschen berührt und deshalb besser Diskretion angemessen scheint.
Wie
Du Dich erinnerst, war unsere Schule in die Klassen Lw A 1 bis Lw A 3
und Lw 1 bis
Lw 3 gegliedert (Landwirtschaftliche
Berufsausbildung mit Abitur, 1., 2., 3. Lehrjahr, beziehungsweise
auch ohne – bei gleicher Ausbildungsdauer); bei Euch, den Klassen
aus der Erweiterten Oberschule Ludwigsfelde, war die Bezeichnung wohl
umgekehrt: „Abitur mit landwirtschaftlicher Berufsausbildung“
oder so ähnlich. Trotz meines verkürzten Aufenthaltes war diese
Zeit für mein Leben wichtig und ich will die Erinnerungen an dieses
Jahr und dabei vor allem an Euch sowie auch die Erfahrungen, die mir
dieses Gemeinschaftsleben brachten, nicht missen.
Nun ist seit jenen Tagen aber mehr als ein halbes Jahrhundert mit uns durch Land geeilt ... und auch ich fand die Bremse nicht, um die Zeit anzuhalten. Manches mag in diesem Zeitraum in meiner Erinnerung verblasst sein, verschiedenes steht mir aber deutlich vor Augen. Gewiss haben wir noch Erinnerungen an gemeinsame Mitschüler. Allein die Großbeuthener Lehrlinge = Berufsschüler waren zu dieser Zeit (siehe oben) in sechs Klassen gegliedert – etwa 120 Lehrlinge und dazu noch Ihr, die Ludwigsfelder Mädchen. Eure männlichen Klassenkameraden wurden ja wohl hauptsächlich zum „Abitur mit Facharbeiter des Landmaschinenschlosserhandwerks“ im Kreisbetrieb für Landtechnik, in Nächst Neuendorf untergebracht. Und das war ja auch sehr gut so – für uns Jungs in Großbeuthen.
Einige der Mitschüler – ein kurzer Abschnitt, der für Außenstehende höchst langweilig ist.
An eine Reihe von Mit-Lehrlingen kann ich mich noch lebhaft erinnern, sehe sie auch heute als 14- bis 18-Jährige vor mir. Ich werde hier aus dem Grunde des Datenschutzes nicht die vollen Namen erwähnen, obwohl es mir bei fast allen möglich ist ... aber ich kann nicht jeden erreichen und um eine Zustimmung bitten – aber wem wie mir das Herz noch jugendlich überquillt, dem läuft auch die Erinnerung leicht aus der Feder und vielleicht denkt ein Leser sogar konkret an jene Menschen und an die hier beschriebene Umgebung, eingebettet in die damalige Zeitgeschichte. So stehen diese Namen also nicht zum Selbstzweck hier, sondern regen ehemalige Mit-Lehrlinge eventuell und auch mich ganz stark, zu Erinnerungen an.
Aus unseren Lw- und LwA-Klassen erinnere ich mich z. B. unter anderen an:
A: Achim Ne. - Anita Ru.,
B: Bärbel Wil. - Bernd Ha. - Bernd Hei. - Bernd Kr. - Bodo Kin.
C: Claus Kar.: immer sorgfältig gescheiteltes Haar, mit „Glätt-Pflege“, Besitzer eines Fahrrades mit Anbaumotor, von anderen respektlos „Hühnerschreck“ genannt. In der Freizeit bastelte er gern. Kein defektes Radio war vor seinen Reparatur-Künsten sicher. –
Dann Christian Feu. (Jimmy) - Chris Jan. (Goofy),
D: Detlef W.
E:
Egbert Mäc. - Erika Ebe. - Erika Let. - Erika Zim. - Erwin Bow.
(Bobby) - Eva Kre.
F: Ferdinand Rib.
G:
Gabriele Köh. - Gerd Lin.: Er saß besonders gern und oft auf dem
Raupenschlepper, so auch, wenn es galt, Sauerkraut (Silagefutter)
herzustellen. – Des Weiteren: Gerd Mag. - Gerd Mül.
Gerd
Rau.: oft die Gitarre zur Hand, komponierte und textete er auch
selber, so das Beuthen-Lied: „Jeden Abend an der Ecke ...“. -
Gerd Sva. - Günter Böh.
H: Hannelore Bor. - Hannelore Rie. - Hans-Joachim Soy. (Jacky) - Hans-Joachim Vog. (Satchmo),
Hans-Jörg
Bug. - Hans-Jürgen Sch. - Harald But. - Harald Kun. - Harald S. -
Hartmut Brü., Heidemarie He. - Heidi Rub. - Heidi Sch. mit langem,
superweich-gepflegtem Blond-Haar -
Heidrun Cel. - Helmut Pla.,
der eine 125-er Jawa besaß und auch ein Banjo. - Horst Fel.
Horst
Hap. - Horst Sch. - Horst We.
I: Ilsetraut (IIle) Kup. - Inge Tom., blond-gelockt und ihr Verlobter, dessen Name mir entfallen ist. Ingrid Sch., sehr kumpelhaft, gelassen und eine stets freundliche Seele. - Ingo Mro.
J: Jens Te. - Joachim Böt. - Jürgen Söh. (Bummi, gastweise auf der MZ - ES 250).
K: Karin Hae., mit kurzem Ratzeputzhaarschnitt, fast immer vergnügt. Mit diesem freundlichen Weibchen konnte man Pferde stehlen gehen (was aber nicht nötig war – wir hatten ja genügend). Klaus Eis. - Klaus Mül. - Kurt Qua.
L: Lutz Gör.
M: Margarete Sch. - Marlis Spe., auch sie ein freundliches großes Seelchen und prima Kumpel. Manfred Bo. - Michael Son. - Monika Hel.
O: Otto Bul. - Otto Jac.
P: Peter Fe. - Peter Kri., besaß als Motorrad, eine tschechoslowakische rote 250-er Jawa.
Peter Wie. - Peter Val. (Uhu), durfte als einer der Ältesten sogar mit seinem Jagdhund gemeinsam in einem Zimmer wohnen.
R: Rainer W. - Renate Puh. - Renate Ri. - Rolf Toc. - Siegfried Hof. - Sonja Kir. - Udo Kri., der noch damals in Ostpreußen geboren war, sah er schon als Kleinster viel Leid auf der „Reise“ ins Brandenburger Land. Er wurde 58 Jahre alt (1944–2002) und ruht im Babelsberger Friedgarten an der Goethestraße.
U: Ursula Nie. - Ursula Fe. - Ursula Pfa. - Uta Geb.
V: Vera Cha. - Vera Nis.
W: Werner Fue. - Werner Roh. - Wilhelm Ru. - Willi F. - Wolfgang Sch. I - Wolfgang Sch. II.
Z: wie zusätzlich ... viele andere, deren Namen ich nach diesen Jahrzehnten nicht mehr im Kopf habe, denn es waren ja etwa 120 Jugendliche, aber auch diese hier Nichtgenannten sollen nicht vergessen sein.
Zu Hause waren die Mitschüler in Alt Krüssow, Babelsberg, Berlin, Blankenfelde, Brandenburg, Glienick, Kleinmachnow, Nauen, Paulinenaue, Potsdam, Radewege, Roskow, Stahnsdorf, Werder (Havel) und in vielen weiteren Orten.
Ich hoffe inständig, dass die Liste zumindest eine Anregung für die Wahl althergebrachter Namen für die eigenen Ur-Enkel-Kinder bietet. Aber das Wichtigste:
Was hatten die elterlichen Naturen doch oft für reizende Menschen an Lehrlingen hervorgebracht!
Die Mädchen aus Ludwigsfelde
Vom Ludwigsfelder Oberschul-Internat, also aus der Klasse, die zeitgleich mit unserer 11. im Herbst 1962 in Großbeuthen das 9. Schuljahr begannen, gehen mir nicht aus dem Kopf: Das sehr sympathische Mädchen Helga Thy., aus Neu-Wünsdorf, die üblicher Weise mit violetter Tinte schrieb und der leider ein nur sehr kurzes Leben beschieden war. Dann die freundliche Gab. Die., die zierliche Ang. Kla., dann die blonde Moni. Bec. und auch Mon. Grz., diese aber dunkler, Ingrid Mae., Barb. Mie., Ging. Eic. –
Dann aus der Klasse, die im Herbst 1963 zu uns kam, die Biggi, von der es ein „Prinzessinnen-Bild” im Petticoat auf der „Wartburg"-Motorhaube sitzend gibt und daneben in Natur genau das gleiche aber lebendige sonnengebräunte Mädchen, geradewegs vom Acker kommend, ein starker natürlich-reizvoller Kontrast. Dann Chris. Ni. aus dem gleichen Jahrgang und in Klausdorf zu Hause. Insgesamt waren es eben doch noch viele mehr.
Ich sehe alle fröhlich und gesund wie damals, auch in diesen heutigen Tagen vor meinem „geistigen Auge“, obwohl ich weiß, dass jetzt (2020) eine Anzahl dieser damaligen Mitschülerinnen und Mitschüler nicht mehr am Leben ist, die ich zumindest in Gedanken hier aber ebenfalls erwähnen und damit ehren möchte.
Ihr Mädchen aus dem Ludwigsfelder Oberschulinternat ward sowohl in unserer Schule, also im Obergeschoss des alten Gutshauses, über den Klassenräumen untergebracht, wie auch im Wohnheim „in der Aula“, also im Saal über dem Eingang, der wohl sonst zu jener Zeit nur selten anderen Zwecken diente. Ich entsinne mich daran, dass zum Lehrjahresbeginn die künftigen Lehrlinge und ihre Eltern im Speiseraum mit einer Festrede begrüßt wurden, dann jedoch die der SED-angehörenden Eltern aufgefordert wurden, sich zwecks Konstituierung einer Eltern-Parteigruppe in eben jenen Aula-Saal zurückzuziehen, um das eigentlich Wesentliche, das noch Wichtigere, dessen Inhalt nicht zum Gemeinwissen werden sollte, etwas abgesondert zu besprechen. Ich als Laie nahm an, dass sich eine solche wichtige Elternparteigruppe wohl kaum im gleichen Kreise je im Leben nochmals zusammenfinden und wiederbegegnen würde.
Mit dem Beginn der Lehre wurden wir Lehrlinge fast automatisch Mitglieder des FDGB, also des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, Gewerkschaft Land und Forst.
Unsere kurze Postanschrift lautete nun:
Lehrling Maxiline oder Maximilian Mustermann,
Volkseigenes Gut Siethen, Betriebsteil Großbeuthen,
Betriebsberufsschule / Lehrlingswohnheim Großbeuthen,
Kreis Zossen, Telefon: Trebbin 531 (Schulsekretariat)
Das Angeben von Straße und Hausnummer ist nicht erforderlich. Es ist überflüssig.
So also! Und ich fühlte mich inzwischen ganz schön reich:
Wir erhalten 75,- Mark „Lehrlingsrente“ pro Monat im ersten Lehrjahr. 30,- Mark werden abgezogen für die Unterkunft und das gute Essen. Bleiben dem Lehrling satte 45,- Mark der DDR / Monat für vielerlei kleine Ausgaben „des täglichen Bedarfs“. Mancher gab davon bei den Eltern etwas ab.
Die Ausbildungsfächer in der Berufsschule
Mathematik |
Russisch |
Englisch |
Fütterungslehre |
Physik |
Staatsbürgerkunde |
Betriebsökonomie |
Landtechnik |
Chemie |
Geschichte |
Tierhaltung |
Innenmechanisierung |
Biologie |
Sportunterricht |
Rinderzucht |
Erdkunde |
Deutsche Sprache – Literatur |
|
|
Acker- und Pflanzenbau |
Die Bewertungskriterien in der berufspraktischen Ausbildung
Einhaltung der Zeitvorgabe beziehungsweise quantitative Leistung |
Theoretische Lehrstoffe im berufspraktischen Unterricht |
Qualität der Arbeit |
Hausarbeit >Praxis< am Ende des Lehrjahres |
Arbeitsweise |
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Unsere Lehrer in der Betriebs-Berufsschule
„Von den Lehrern hast Du, liebe Anne-Dore, ja kaum jemanden gesehen, da Euer Unterricht an der EOS in Ludwigsfelde stattfand. Mit den Pädagogen hatten wir ein sehr gutes Einvernehmen. Es waren großartige Menschen.“
Unser künftiges Wissen hielten für uns vorrätig und vermittelten es uns:
Herr Bruno Abromeit (1923–1989, sein Name vom Litauischen ins Deutsche übersetzt lautet etwa: Ein Nachkomme des Abraham, hier bei ihm inzwischen aber wohl weder mit einem Anhauch des Mosaischen, noch des Muslimischen. Er ist von Beruf Landwirt und Berufsschullehrer, von 1956–1984 der Direktor der BBS und außerdem stellvertretender Parteisekretär der SED des Volkseigenen Gutes Siethen. Er bekommt im Sommer 1962 einen schraubenneuen „Trabant-Kombi 500“ – wohl ein Dienstfahrzeug. Außen lindgrün, innen beige mit hellbraunen Kunstleder-Sitzbezügen. Den Wagen durften wir gleich ausprobieren, als er uns zum Vorstellungsgespräch vom Bahnhof Thyrow nach Großbeuthen abholte.
Herrn Abromeits Lebenskreis wird sich mit 65 Lebensjahren schließen, mit seinem Eintritt in das Rentenalter, im Jahre 1989. Er erlebte die politische Wende – als eine Zerstörung seines Lebenswerkes – nicht mehr.
Herr Konrad Utemann, unser Klassenlehrer, lehrt unter anderem Acker- und Pflanzenbau, Biologie und Landtechnik. Er wohnt an der Großbeuthener Dorfaue, nahe der Kirche.
Ein zartnervig-sensibler, sparsamer und verständnisvoller und stets freundlicher Mensch.
Unser Klassenlehrer, den ich sehr schätzte, ermahnte mich freundlich gegen Ende des ersten Lehrjahres mit solchen Worten: Chris, Du liest viel und denkst über manches nach. Es droht wohl, dass du dabei ein Individualist, ein Einzelgänger werden könntest. Du solltest dich stärker auf das Jugendkollektiv stützen.
Es ist bei mir tatsächlich so: manchmal reicht solch ein beliebiges Stichwort und man kann einen Roman dazu antworten. Ich schlage ungern einen unerbetenen ausgezeichneten Rat ungeprüft in den Wind, sah das jedoch nicht so ernsthaft wie der Lehrer. Zwar fühlte ich mich von keinem zerstörerischen Individualismus stärklich bedroht, hielt aber dennoch eine widerspenstelige Antwort zurück, denn erstens erkannte ich, dass es schließlich nur um Kleines, mehr noch, um Kleinliches und Belangloses ging, um das sich kein Wortgefecht lohnte und zweitens war Herr Utemann ein guter Mann, ein Freundlicher, dem man nicht mit forscher Entgegnung weh tun wollte. So dachte ich nur bei mir: „Mein lieber Scholli“ oder war es eher – „mein lieber Herr Gesangsverein“: Mehr sozialistisches Kollektiv – wie das? Und noch dazu: stark darauf abstützen, um meine freudige Lesestärke abzuschwächen, damit man mit weniger mehr vom Leben hat? Wir Lehrlinge verbringen die gesamten Arbeitstage miteinander, teils ja auch an den Wochenenden im Stall und auf der Weide – so etwa wie Ausflügler derweil im Wald und auf der Heide. Wir besuchen gemeinsam die gleiche Schule, wir erledigen mehr oder weniger gemeinsam die Schulaufgaben im Speisesaal, sind gemeinsam bei Baden, Lachen und Sonnenschein an unserer Kiesgrube oder sonst wo. Auch bei abendlichen Besuchen „Zu den drei Linden“, sieht man kaum jemanden allein, vereinsamt und so auch mich nicht. Nur einige wenige Dorfbewohner dort – ansonsten der Gastraum vor Lehrlingen, also vom sozialistischen Jugendkollektiv, fast „aus den Nähten platzend“. Und anschließend, lieber Lehrer? Wir schlafen sogar im Kollektiv gemeinsam getrennt in den engen Zimmern, überwiegend in Doppelstockbetten gestapelt. An den Wochenenden, an denen wir frei haben, fahren wir allerdings mitunter zu den Eltern oder zu Freizeitbildungszielen.
Da bleibt schon nicht zu viel Zeit für individuelles Lesen, Kleinhobby, Denken oder mal allein in Ruhe die Seele baumeln lassen. Für eine ernstlich drohende individualistische Vereinsamung besteht für mich und bei mir keine große Sorge oder gar Gefährdung. Ganz wirklich nicht.
Meine nur gedachte Gegenfrage zum Lesen: Wie sollen wir künftigen Bauern bitte nach Feierabend auftragsgemäß die Höhen von Kultur und Wissenschaft erklimmen, ja, erstürmen? Ausschließlich in kollektiver Anstrengung oder jede/r so, wie es ihr/ihm nach persönlicher Neigung, Verschiedenheit der Interessengebiete und Fähigkeiten angemessen und optimal erscheint?
Ich hielt es für sinnvoll, beispielsweise über Gelesenes und Gehörtes ganz nebenbei auch mal nachzudenken, meine Gedankengänge weitgehend selber zu bestimmen, also „eigenmächtig“ über diese zu entscheiden und nach freundlich-optimistisch Gedachtem auch entsprechend zu handeln. Noch mehr Kollektiv – als 24 Stunden am Tag – vielleicht ist das im ruhmreichen größten Freundesland denkbar oder in der Kitaiskischen Volksrepublik üblich. Ich aber möchte so sehr gerne meine gegenwärtige Lebensart wahren.
Herr Kupsch, ist gut nicht nur für Mathematik und Physik, er ist eine Seele von Mensch und ein Kumpel „durch und durch“, munterte manchen in schwierig erscheinenden Mathe-Situationen, und so auch mich, mit derartigen Worten auf: „Jungchen, willst du nicht oder kannst du das noch nicht? – Versuch's doch noch mal!“ Sein Familien-Name ist eine „Verkosung“ des Vornamens Jakob/Jakub, so wie bei Ille.
Unser Englischlehrer, Herr Fenster mit Namen, verbat es sich von vornherein freundlich, also schon vorbeugend, etwa mit „Mr. Window“ angeredet zu werden. Er fuhr einen Czeczeta-Motorroller, ein Fahrzeug aus der befreundeten CSR, der späteren CSSR.
Diese letztgenannte Namenskürzungserweiterung wird die tschecho-slowakische Republik, nach 1968 erhalten, wenn sie sich „nach jenem Frühling in Prag“ anschickt, nun endlich wirklich als fest integriertes Bruderland die gleiche Form des Sozialismus anzustreben wie wir und nicht etwa weiter auf der Suche nach einem „dritten Weg mit durchweg menschlichem Antlitz“ in die Irre läuft. „Wir“, also die brüderlichen Nachbarn, werden befürchten: solch eine Suche kann auch weg-führen oder abwegig sein, wie die Bezeichnung schon ahnen lässt.
Der frühere Staatsgründer, der Herr Tschech, hatte damals aber noch ganz andere Gedanken.
Ganz wichtig zwischen den Lehrern war Frau Hildegard Mal. als stets freundliche Schul-Sekretärin, die oft von Ihrem Mann abgeholt wurde, der als eine beliebte „Weiße Maus“ tätig war. Sehr beliebt? Die Einen sahen es so, andere wiederum anders – ich persönlich kann nur Gutes sagen – falls ich mal gefragt werden sollte.
Herr Hugo Brandt hinterließ zwar äußerlich den Eindruck souveräner Gelassenheit, „brannte“ aber tatsächlich in Leidenschaft für seine Lehrtätigkeit. Er kam aus Berlin-Weißensee, bewohnte aber im Lehrlingswohnheim eines der bescheidenen Zimmer. Er unterrichtete uns in „Maximus – Lenimus“ (Staatsbürgerkunde, Geschichte und Deutsch). In seinem interessanten Unterricht behandelten wir unter anderem die frühe Bilderschrift, streiften oberflächlich die germanischen Runen, hörten Alt- und Mittelhochdeutsches, lernten dabei den Stabreim kennen – die beiden Merseburger Zaubersprüche und das Hildebrandlied bzw. des Hildebrands Lied. Singen brauchten wir es nicht ... und vieles mehr. Darauf komme ich später nochmals zurück.
Doch wie sollen wir die erwähnten Glanzpunkte einordnen ohne dabei schwindelig zu werden?
Suchen wir uns also einige alte Ausgangsfestpunkte für die Reise durch die Zeit:
Im Jahr 79 u. Z. (>n. Chr.< zu schreiben gilt bei uns als verpönt und beanstandungswert) verschütteten die Auswurfmassen des Vesuv die Städte Pompeij und Herkulaneum, die die Schätze einer Hochkultur, einschließlich der Schriften, unter sich begruben und zum großen Teil zerstörten. Wir können das Ausgegrabene heute besichtigen – (also nicht konkret wir und nicht heute - wir könnten eventuell den Weg nach Wladiwostock wählen aber nicht doch nach Italien).
- Bald danach, im Jahr 98, schrieb zu unserem Glück der reisende Römer Tacitus das Werk „Germania“, so dass wir viel später lesen konnten, was zu dieser Zeit eigentlich bei uns und mit uns los war, denn germanisch-eigene schriftliche Quellen reichen nicht soweit zurück.
- Dann verging eine gute Weile und etwa im 3. ... 4. Jahrhundert kam bei germanischen Stämmen die Runenschrift auf. Eckige Buchstaben, also mit geraden Strichen, denn man wollte sie ja mittels Messer in Rinde kratzen oder in haltbares Massivholz schnitzen. Papier war ein unbekanntes Wort.
- Die „Merseburger Zaubersprüche“ wurden von Spezialisten auf dem Zeitstrahl um das Jahr 800 eingeordnet. Sie gehören zu den wenigen, den ältesten erhaltenen schriftlichen Zeugen aus unserer damaligen Zeit.
- Selbstverständlich beschäftigten wir uns auch mit dem Nibelungenlied, das nach mehreren Vorläufern, um 1210 entstand.
- Der Minnegesang, eine schöne Kunst, galt als ein Dienst an den holden Frauen. Die Sängerwettbewerbe auf der Wartburg und an anderen Orten mit den dichtenden, komponierenden und vortragenden Minnesängern fanden wohl hauptsächlich im Zeitraum zwischen 1195 und 1215 statt. Zu jenen Sängern gehörten auch Friedrich von Baden, Heinrich Tannhäuser, Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Klingors v. Ungarlant, Reinmar v. Zweter, Biterolf, Dietmar von Eist, Heinrich von Morungen, Hartmann von der Aue und Heinrich Frauenlob. Etwa 130 weitere sind heute noch namentlich und mit Bild, Wappen und teilweise Texten bekannt. Diese Sammlung, eine bibliographische Kostbarkeit, befindet sich unter dem Titel: „Manessische Handschrift“ in der Universitätsbibliothek Heidelberg., einer Stadt in Westdeutschland. Unerreichbar.
Nun weiter im Schulstoff. Im Stoff? Ja, wirklich und auch äußerst wichtig:
Natürlich wurden auch weltbewegende den Unterricht würzende aktuell-politische Fragen behandelt, zum Beispiel solche: „Wie sollte man das Brudervolk der Volksrepublik Polen auf dem festen Kurs zum Sozialismus halten, den die Staaten des Warschauer Vertrages pflegen?“ Schließlich wurden dort in Polen seit kurzer Zeit in abweichlerischer Manier so genannte Bluejeans, Arbeitshosen, beinahe-fast nach USA-Vorbild produziert – dort in Polen aber eher als Festgewand genutzt. (Pfui Teufel, noch eins)! Zwar waren diese Beinkleider aus Mangel an geeignetem Material keine so völlig echten und festen Niethosen aber immerhin dünnere, weichere blaue „Nahthosen“ mit zwar stofflich nur entfernt bestehenden, doch unverkennbaren ideologischen Ähnlichkeiten, ähm, Unklarheiten. Klar, wir wissen: alle Hosen haben Nähte. Diese hier waren jedoch als Schmuck- und Ziernähte extra mit gelbbraunem Zwirn kontrastierend hervorgehoben. So 'was aber auch! „Man erkennt eine vielleicht ziemlich eindeutige Absicht im Nachbarland – und ist darüber hier verstimmt“. Stimmt's? Gibt es noch Wichtigeres auf der Welt?
Hat mal wirklich einer von uns ein Original-Kleidungsstück dieser Art aus dem Westen, so musste zumindest das lederne Herstellerzeichen abgetrennt oder abgeschnitten werden.
„Wir laufen nicht Reklame für den Westen!“ „Wir brauchen keine Nieten in Nieten-Hosen“ so die eindeutigen staatlichen Botschaften. – Was sollte aber das Abtrennen, was sollte der eigenartige beabsichtigte Schein, – vielleicht, dass diese tollen Hosen eher auf unserem Staats-Boden geschneidert worden seien? –
Ja, es gibt besonders zwischen 1953 und 1968, zwischen Stalins Tod und dem Prager Frühling und zeitlich darüber hinaus, doch immer wieder solche dramatischen „bedenklichen Tendenzen“, denen es (z. B. mit dem Abschneiden des Lederstückchens) parteilich klar, gefestigt und klassenbewusst entgegenzutreten gilt. Wie gut, dass wir doch seit 1961 „von der Mauer“, dem „Antifaschistischen Schutzwall“ beschützt wurden. – Möglicher Weise erörterte man in der eingangs erwähnten Teil-Elternversammlung auch ähnliche wichtigen Themenkreise. Wie auch immer – wir waren ja nicht dabei, wir hörten absolut nichts darüber, was über uns und unsere Ausbildung Gutes besprochen wurde. Es war also alles offen und gleichermaßen sehr geheim.
Einige Blicke in Deutsch-Unterrichtsstunden
Unser Lehrer Hugo Brandt besprach mit uns auch die noch druckfrischen Gedichte des Volker Braun über die moderne „Schlacht bei Fehrbellin“ und das „Jugendobjekt“ im Rhin-Havel-Luch.
Volker Braun war 1939 geboren worden, seit 1960 und wohl bis '64 ein Student der Philosophie in Leipzig und von der SED als Parteigruppenorganisator bestimmt. In den Semesterferien im Juli und August '62 war auch er im Jugendobjekt Rhin-Havel-Luch zum Arbeitseinsatz. Dieses Luch, ein sehr feuchtes Niederungsgebiet, liegt etwas nördlich von Paulinenaue, wo unser Mitschüler Udo Kri. zu Hause ist – und es soll trockengelegt, melioriert werden.
Es geht im Gedicht um „Die Schlacht ...“, es geht darum: Die hier eingesetzten Leipziger Studenten, suchen nach des Tages Arbeits-Schlammschlacht zur Erholung die gastliche Stätte des Ortes auf. Als sie nachts den Saal verlassen, werden sie von einheimischen Jugendlichen angegriffen. Es gibt ein kleines aber heftiges Schlachtgetümmel. Das lyrische Ergebnis zielt auf die Kernfrage ab: Wir auswärtigen Studenten legen hier das Luch in eurer Region trocken. Wo aber seid ihr, die hier Geborenen? Wie dürftig sieht euer Wille zur Mitarbeit aus? Was hattet ihr aber stattdessen geplant? Eine Antwort der Befragten, der Gegenseite, ist im Gedicht noch nicht enthalten. Vielleicht erfolgt eine Fortsetzung dieses Werkes? Das erschiene zweckmäßig.
Das zweite Werk „Jugendobjekt“ befasst sich auch mit der Arbeit. Beim meliorativen Schaufeln von Gräben für den Abzug des Wassers machte er, Volker Braun, sich so seine Gedanken über eben diese Tätigkeit. So teilt er uns im Gedicht seine bei der Arbeit frisch gewonnenen Erfahrungen als Student der marxistischen Philosophie und Parteigruppenorganisator der Sozialistischen Einheitspartei (SED) mit. Das Denkergebnis erscheint mir als sehr ehrlich aber auch ungewohnt, ist mir weit fremder, als die Gedichte der Herren Goethe und Schiller. Das aber ist nur mein unmaßgebliches Empfinden. Vielleicht habe ich nicht alles genau so verstanden, wie es sich aus ihm, dem Dichter, herausdrängte. Er ist ja immerhin schon 23 Jahre alt und erfahren. Wenn er uns doch die Schönheit seiner Dichtkunst erläutern würde – das aber ist im Lehrplan nicht vorgesehen.
Seine für uns noch ungewohnte Textgestaltung wurde wohl von verschiedenen Leuten der eigenen Partei strenger kritisch beäugt, von anderen mit Freude und großem Wohlwollen aufgenommen. Hier könnt ihr es lesen, um neues Wissen zu erwerben und Euch eine eigene Meinung zu bilden:
Jugendobjekt
Blaßrot ziehn sie die Sonnenscheibe hoch über dem Rhinluch
Blaßrot und rund schwimmt sie in der Himmelssuppe
Blaßrot und rund und spät, wenn wir schon wackeln
Wenn wir schon wackeln in der unnachgiebigen Erdsuppe
Wenn wir schon wackeln und schwitzen an diesen lumpigen Handbaggern
Unter der blauen Sonnenfahne, wenn wir schon schwitzen
Eh sie die Sonne hochziehn und für die paar Piepen
Für den versengten Rücken und Dreck im Ohr und billige Blutwurst
Und für getrocknete Felder und Butter, Leute, Butter!
Ja, für Butter, mit diesen erbärmlichen Handbaggern, schaufeln wir
Uns die Brust voll Ruhm und Hoffnung, schaufeln ein Vaterland her
Eh sie noch richtig hochkommt, die Sonne, über den Gräben im Rhinluch
Eh sie noch richtig gelb und bunt durch den blauen Himmel schwingt
Schwingen wir unsere lumpigen Suppenschaufeln unter der Sonnenfahne
Eh sie noch gelb und bunt wie blanke Butter hochschwingt, die Gute!
–––––
Das war also ein Teil der Gedanken des Volker Braun über den schier heldenhaften Arbeitseinsatz im Rhinluch, im praktischen Leben während des „Studentensommer 1962“.
Begriffe wie „Landmelioration“, „FDJ-Jugendobjekt Milchader“, „Egon und das achte Weltwunder“ fallen mir leicht bei dieser Dichtung ein und etwa dorthin wird später auch die „Zeit der Störche“ passen. Nun, alle Vergleiche dürfen auch ruhig mal ein bisschen hinken.
Nachtrag: 60 Jahre später machen wir uns Gedanken darüber, die in den 1960-ern entwässerten und trockengelegten Moore und Sumpfgebiete zu rekultivieren, wieder für eine Bewässerung zu sorgen, die Flächen der Natur zurückzugeben, weil das inzwischen in mehrfacher Hinsicht als vorteilhaft erscheint.
Was aber mag der Partei (den Beurteilern der SED), vielleicht auch anderen Lesern, am Dichtwerk überhaupt nicht oder aber besonders gefallen haben? Schlüpfen wir nun also gedanklich in einige Menschen hinein, sinnen kurz über das Für und Wider nach und geben einige der Gedanken zu Papier. So etwa, wie auch wir es im Unterricht taten.
Zu jenen Gedanken gehörten auch solche, denen wir hier nachstehend eine Stimme geben. Es sind keine Zitate damaliger Lehrlingsäußerungen, sondern der Versuch solche nachzugestalten:
Der eigenwillige Stil, die nicht so recht gereimten Zeilen, Unkenntnis der Interpunktionslehre. Was soll das? Nun ja, wir wissen: Kunst ist schwer – Kritik ist leicht, doch möglicher Weise war ja das Gestalten auch gar nicht anders beabsichtigt. Eine Art von Provokation.
Nebulöse Benennungen: Sie ziehn die Sonnenscheibe hoch. Wer sind jene, die etwas bewirken außer den hier eingesetzten Kämpfern der Arbeit? Das bleibt ungenannt. Warum wird >blassrot< mit Mehrfachnennung überbetont. Zum Blau des Jugendwimpels gesellt sich doch besser die blutrote Fahne der Arbeitermacht.
Soll diese Darstellung etwa eine Klage darüber zum Ausdruck bringen, dass die Jugendfreunde unter Anleitung der erfahrenden Genossen gehalten waren, im Juli bereits vor Sonnenaufgang im Meliorationsgebiet mit der Arbeit zu beginnen?
Himmelssuppe? Erdsuppe? Vergleiche für unterschiedliche Aggregatzustände.
„Wir wackeln“ – was für eine erniedrigende Bezeichnung für diese ehrenvolle Jugendarbeit? Der sozialistische Jugendfreund wackelt nicht bei der Arbeit, sondern steht fest wie Erz auf der Grundlage seines Fundaments. Er hat einen festen Klassenstandpunkt. Punktum. Das wäre die richtige sprachliche Basis.
Bevor wir beginnen, aus dem Büro oder aus dem Schriftstellersessel über die Empfindungen des Genossen Braun nachzudenken und zu urteilen, sollte jeder von uns für zwei Wochen hinausgehen, in das gleiche praktische Leben und unter vergleichbaren Bedingungen arbeiten. Die Härte des Lebens formt den Menschen und kann auch dessen Sprache beeinflussen.
Die Schaufel ist wie der Hammer und die Sichel ein ehrenvoll zu nutzendes Arbeitsgerät, das es nicht verdient, als „lumpiger, erbärmlicher Handbagger“ beschimpft zu werden. Mag man woanders Gräben mit Maschinen ziehen – wir bleiben wir, heute und hier.
Die blaue Sonnenfahne kommt im Gedicht zu kurz, wenn mehrmals von Sonne in anderem Zusammenhang geredet wird. Es handelt sich um das Banner der Jugendorganisation, der „Freien Deutschen Jugend“, der Kampfreserve der Partei. Es geht um das Banner, das über allen und über allem weht, zu dem man aufschauen soll – das muss hier noch eindeutig erkennbar und auch im rechten Versmaß herausgearbeitet werden.
Was soll das Nennen von „die paar Piepen“ für das sozialistische Entgelt? Die Arbeit im Jugendobjekt ist ein Ehrenauftrag, da gilt es als abträglich, das indirekte Schielen nach höherer Entlohnung, vielleicht gar in kapitalistischer Manier, durchblicken zu lassen. Schließlich wurde auch für den Lebensunterhalt der Jugendlichen gut gesorgt. Die Teilnehmer zahlten wohl nicht einen Pfennig für Unterbringung und Beköstigung.
Es war gewiss schon schwierig genug, regelmäßig und in großen Mengen die gute Blutwurst zu den Jugendfreunden ins Luch zu schaffen. Brauns dünn-durchsichtige Dichte, von Kunst kann man wohl nicht sprechen, lässt stark einen Hang zur Undankbarkeit spüren. Auch hätte er ehrlicher Weise die grobe Leberwurst, die vielen Pappeimer mit Marmelade und nicht zu vergessen, die Margarine und das Teekraut lyrisch verarbeiten müssen, was wir schließlich auch dorthin schleppen ließen. Aber kein Wort darüber. Denkt der Student Braun nur an eigene Interessen oder auch mal an seine Vorväter, die Arbeiter Braun? Denkt er an Karl Marx und Genossen? Wie froh wären sie gewesen, hätten sie ihren Familien öfter ein Stück Blutwurst als Abendmahl bieten können – dazu reichte es oft nicht! Wir jedoch errangen es, mit unserer Hände Arbeit und dank der für uns sorgenden Volksregierung! Nachsatz: Und wer finanziert dem Braun das Studium, Na?
So, es geht mal wieder um die Wurst. Und der Genosse Volker B. spricht hier als angeblicher Vertreter der Werktätigen, für den Teil des Volkes, das dort tätig ist. Nun, ich meine, es kann nicht immer Sekt und Kaviar sein. Darüber hinaus spricht der Volksmund aus den Menschen, die tatsächlich wissen, was harte Arbeit bedeutet: „Hunger ist der beste Koch“. Das sieht man nicht ebenso, wenn man im Büro oder im Hörsaal sitzt – und wir können ergänzen: „Sparen hilft dem Aufbau – sparen hilft auch dir“, du junger Genosse!
Der Volker B. schrieb offenbar so, wie er die Zeit seines Einsatzes dort im Luch empfand: Die Jugendfreunde arbeiteten eben auf und in dem Sumpfgelände wacklig stehend. Die Erdschollen zeigten sich ihnen zäh-klebrig, für Spaten und Schaufel eher „unnachgiebig“. Und sie schwitzten – nun ja, bei harter Arbeit gilt das als üblich, scheint nicht ehrenrührig zu sein. Bei schwerer Handarbeit ist aber der Kopf frei, hat man Zeit zum Denken. Auch zum Nachdenken über die bestmögliche Arbeitsorganisation. Gewiss kamen dem Jugendfreund Braun Gedanken, ob sich die Arbeit mit einem Bagger rationeller verrichten ließe, als mit Moorspaten und Handschaufeln. Vielleicht setzte Braun auch die wirtschaftliche Rechnungsführung ein und betrachtete es etwa so: 1 Stunde Baggereinsatz = 100 Mark oder 100 Studenten für 1 Mark (Piepen) Stundenlohn. Eventuell hat er im Kopf sogar die Kosten der Treibstoffe: Diesel und Blutwurst gegenübergestellt. Wir wissen es momentan noch nicht. Wir sollten aber bedenken, dass er vielleicht daran dachte.
Trotz aller Widrigkeiten beim Einsatz, sieht Genosse Braun klar die Richtung: Unter der Fahne der Jugend, diese als Kampforganisation der Partei – eine rühmliche Arbeit für das Schaffen von Küheweiden, somit für Milch und Butter zur Versorgung der Bevölkerung. Ein gutes Ziel, in den Zeiten, da in den USA Getreide verbrannt und Milch ins Meer geschüttet wird, um die Preise hoch zu halten. Im Großen und Ganzen hat Volker Braun gute und gesunde Gedankenansätze. Im Sinne der künstlerischen Überhöhung wird die reifende Entwicklung ihr Übriges tun und auch an den gewählten Begrifflichkeiten wird er noch gerne weiter feilen wollen.
Was bedeutet hier „versengter Rücken“? Hat der Jugendfreund Braun das Blauhemd mit dem Sonnenwimpel, sein Ehrenkleid, nicht regelmäßig getragen? Was soll hier das „verdreckt“? Die Jugendfreunde arbeiten aufrecht, mit stahlharten Muskeln und klarem, strahlendem Blick – und im Übrigen: bereits die Thälmann-Pioniere ... halten ihren Körper sauber und gesund! Ja?
Nun, der Volker B. kannte den Kampf der Arbeiterklasse, unsere wesentlichen Tätigkeiten bisher von der Seite der Theorie, aus dem wohltemperierten Büro und dem Sitz im Hörsaal sowie aus den Presseorganen. Da schmeckt die tatsächliche Arbeit doch manchmal anders. Eine Konfrontation mit der Praxis im sozialistischen Aufbau war für ihn noch fremd, völlig neu. Hier lehrte ihn das Leben etwas. Er horcht auf, sieht sich um, er fühlt und denkt. Es ist der Prozess des Erwachens in der Wirklichkeit des Tages, die ihn vielleicht momentan etwas frustriert, weil er noch nicht genug gefestigt ist. Er ist auf dem Boden der Realität angekommen und das benötigt einen wie auch immer gearteten Prozess der Verarbeitung, dem er hier Ausdruck verleiht. An diesem Punkt überlegen wir gemeinsam weiter, was, wie und mit welchen Mitteln kritikwürdiges besser zu machen sei. Da steht er nicht alleine da. Wir alle sind gefordert das Beste zu geben.
Warum versucht Braun die künftig reichliche, die gegenwärtig nicht stets wunschgemäß sichtbare Butter extra herauszuarbeiten? Wir benötigen keine Erinnerung daran, dass es Butter vorausschauend planend auf Lebensmittelmarken gab, bzw., dass doch die ausreichend vorgegebene Menge des Fettes auf personengebundene Eintragung in der Stammverkaufsstelle des sozialistischen Einzelhandels gekauft werden kann. Genosse Walter Ulbricht hatte verkündet, dass die DDR die BRD in der Arbeitsproduktivität und im pro Kopf-Verbrauch, 1961 überholt haben wird, ohne sie dabei vorerst einholen zu wollen – eine hehre Methode, ein leuchtendes Ziel, nicht wahr? Jene Auswertung gilt als noch nicht abgeschlossen. Außerdem ermüdet der Staatsratsvorsitzende, der Genosse Ulbricht nicht, unsere Arbeiter, die Bauern und die übrigen werktätigen Massen darüber aufzuklären, dass das Essen vieler Butter sehr ungesund sei. Es fördere die Arteriosklerose – eine schwere Erkrankung, die leicht vermeidbar ist.* Aber Braun stellt die Butter hier als ein exquisites, erst zu erreichendes Produkt dar, was vermuten lässt, dass in ihm, als Mitglied, ein Hort konterrevolutionären Gedankengutes besteht.
* Gleiches gilt wie wir wissen auch für bestimmte Fleischerzeugnisse, für Bananen, Apfelsinen, Mandarinen, jedwede Erzeugnisse aus Kakaozubereitungen, und so weiter.
Und im '62-er Jahr sind die Kartoffeln sehr verknappt!
Ein Schlusswort zu dieser Diskussion:
„Wir Beurteilenden sehen schon nach kurzer Kenntnisname dieser Äußerungen, dass einige kurzgefasste und gut gemeinte Kritikanmerkungen wesentlich mehr Platz einfordern und benötigen, als das Dichtwerk selbst – dazu muss man nicht erst tief in philosophische Betrachtungen einsteigen. Wir erkennen unschwer noch bestehende Unklarheiten. Der Jugendfreund Braun muss wohl noch sehr an sich arbeiten. Wir werden Aussprachen zur Klärung dieser Tendenzen und für eine ausgewogene Wortwahl mit ihm führen, ihm das Ziel und den Weg dorthin aufzeigen, ihm die Richtung weisen. Schöne Erfolge werden dann gewiss nicht ausbleiben“.
Volker Braun ist wohl recht produktiv, schreibt gern und schnell über gar manches – zu vielen Situationen und Begebenheiten des Lebens hat er uns Tiefgehendes ins Poesiealbum zu sprechen.– Und so freut er sich auch, dass er dort im moorigen Luch als Parteiarbeiter nicht alleine für Ruhm, Hoffnung und Vaterland geschaufelt hat, sondern er ehrt das Wissen und das Tun der Massen in seinem nun folgenden Lobgedicht. Dieses Werk wirkt nach dem vorigen so, als hätte man Volker Br. zwischenzeitlich mit schönem Erfolg in ein gehirnläuterndes Reinigungsbad geschubst – vielleicht erschien es ihm aber auch als angeraten, mehr oder weniger freiwillig hinein zu plumpsen? Wer von uns Außenstehenden weiß das schon? – Wir waren ja bei der erziehenden Diskussion mit ihm nicht dabei. Wir lesen lediglich als Reaktion eines seiner nächsten Werke:
Lob der Massen
Die Partei arbeitet für alle
Aber sie schafft nicht alle Arbeit.
Die Partei weist einen Weg
Aber sie braucht die Weisheit aller.
Nur alle sind gerade genug.
Von ihnen geht sie aus, und zu ihnen geht sie
Aber in ihnen wird sie aufgehen ganz.
Sie sind die Kraft der Partei.
Sie sagt: richtet euch auf!
Und sie erreichen die volle Größe.
Die Partei ist der Vortrupp
Aber sie sind das Heer
Das die Schlacht schlägt.
Hübsch, nich? – Dann bot uns unser exzellenter Lehrer Hugo Brandt ein weiteres Gedicht an – vom sowjetischen Dichter Wladimir Wladimirowitsch Majakowski (1893–1930).
Jener nannte seine offenen Worte „Geheimnis der Jugend“ und es liest sich so:
Geheimnis der Jugend
Nein, nicht jene sind jung,
die gelümmelt ins Boot und auf Wiesen
mit Grölen und Johlen den Trunk
sich hinter die Binde gießen.
Nicht jene nenne ich jung
die nachts, unter Frühlingshimmeln,
als Modenarren mit Schwung
glockenhosig am Bummelplatz bimmeln.
Nein, nicht jene sind jung,
die des Lebens Frührotfreuden
beim frühesten Knospensprung
in Liebschaften billig vergeuden.
Heißt das etwa Jugend?
Nein.
Es genügt nicht achtzehn zu sein.
Jung nenne ich jenen, der unverzagt,
zur gelichteten Kampfesschar der Alten,
im Namen der Nachgeborenen sagt:
Wir werden das Dasein umgestalten.
Jugend – der Name ist Gabe, die ehrt,
an die junge Garde der Zukunftsmacht,
an den, der uns streitbaren Frohsinn beschert
und unsere Tage glücklich macht.
... und auch über dieses Gedicht diskutierten wir im Unterricht. Worüber wir aber nicht sprachen: ich finde, man muss den nicht genannten und uns unbekannten Übersetzer, aus dem Russischen ins Deutsche, ebenfalls ehren. Zwar sind es wohl die originalen Gedanken von Majakowski aber das Finden der rechten Worte und das reimende Zusammenfügen in unserer Sprache – beim Beibehalten des ursprünglichen Inhalts – das ist doch auch eine nicht zu unterschätzende Kunst.
Soviel nun „als Kostproben“ zum Inhalt, zur Praxis des Reimens und der Dichtkunst überhaupt.
Herr Brandt fuhr mit uns sogar in die Berliner Staatsoper zu Richard Wagners „Tannhäuser“, den er auch als Unterrichtsstoff ansah. Seine Gedanken zu diesem Werk hatte er bereits vorher an uns weitergegeben. Es war für uns wie eine Auszeichnung aber trotzdem nicht leicht: Nach dem Arbeitstag verpackten wir uns, also jeder sich selber, in eine eher selten genutzte Festrobe (Anzug, Kleid) und so angetan bewältigten wir den Vier-Kilometer-Marsch auf dem nicht so ganz staubarmen Wald- und Feldweg von Großbeuthen zum Bahnhof Thyrow. Die Dampflokomotive des einfahrenden Zuges hüllte uns und die bereits leicht angeschwitzten weißen Blusen und Hemden in schwärzlichen Rauch. Sodann begann die etwa eineinhalbstündige entspannende Fahrt nach Berlin. Anschließend saßen wir drei Stunden müde im preisgünstigsten, sauerstoffarmen, sehr warmen obersten Rang der Staatsoper, um der Darbietung zu folgen. Zum Glück war mir dank meiner Eltern die herrliche Musik Richard Wagners und der Text auch dieser Oper seit langem bekannt, sonst hätte es auch mir recht schwer werden können, dort wach durchzuhalten. Na, und der Rückweg, allerdings in erfrischender Nachtkühle, erfolgte dann in vergleichbarer Weise. Ein großer und langer Abend!
Beim Lehrer, Herrn Hugo Brandt, besprachen wir auch alte Monatsnamen – und das ging etwa so:
Die Monatsbezeichnungen zur Zeit Karl des Großen (Carolus Magnus, 768-814)
Monat |
lateinische Bezeichnung |
Benennung nach Karl dem Großen |
Erläuterung, germanische und spätere Bezeichnungen |
01 |
Ianuarium |
uuintarmanoth => Wintar-Manoth, auch hartung |
Winter-Monat,auch Hartmond, der Härteste (Kälteste) |
02 |
Februarium |
hornung |
Hornung, auch Eismond. Beginn des Hörnerwachstums (Hirsche ...) |
03 |
Martium |
lenzin-manoth |
Lenz-Monat, Frühling, Heimmond |
04 |
Aprilem |
ostar-manoth nach der Frühlingsgöttin Ostera |
Oster-Monat, auch Regenmond |
05 |
Maium |
uuinnemanoth => Winne-Manoth |
Weide-Monat, Gräserwachstum. Auch Blütenmond, Wonnemond. |
06 |
Iunium |
brach-manoth |
Brach-Monat, Bearbeitung brachliegender Äcker, Rosenmond |
07 |
Iulium |
heuui-manoth => Hewin-Manoth |
1. Grasschnitt, Heu-Monat, Wärmemonat |
08 |
Augustum |
aran-manoth |
Ernting, Ernte-Monat, Hitzemonat |
09 |
Septembrem |
uuitu-manoth => Witu-Manoth |
Holz(fäll)-Monat od. Scheiding (Abschied vom Sommer), Herbstm. |
10 |
Octobrem |
uuindume-manoth => Windume-Manoth |
Weinlese-Monat oder Gilbert (Vergilben der Blätter), Reifmonat |
11 |
Novembrem |
Herbist-Manoth |
Herbst-Monat oder Nebelung, nebelreicher Monat |
12 |
Decembrem |
Heilag-Manoth |
Heilig-Monat oder Julmond = Monat d. Julfestes (Scherzfest), Schneem. |
Wie ich eben bereits erwähnte, hatten wir im gleichen Lehrabschnitt „Deutsche Sprache - Literatur“ unter anderem auch die Kunst des Reimens. Ich frische euer umfangreiches Wissen hier kurz auf.
(Die folgenden Texte konnte ich allerdings nicht auswendig und habe daher ein halbes Jahrhundert später – also jetzt – bei Wikipedia im Internet frisches Wissen „nachgetankt“).
Der Beginn des Hildebrands-Liedes (geschrieben um das Jahr 800 nach Christus oder u. Z.“):
Althochdeutscher Stabreim |
Neuhochdeutsche Übersetzung (ungereimt) |
Ik gihorta dat seggen dat sih urhettun aenon muotin, Hilitbrant enti Hadubrant untar herium tuem sunufatarungo iro saro rihtun. gartun se iro gudhamun, gurtun sih iro suet ana, helidos, ubar hringa, do sih to dero hiltiu ritun, Hiltibrant gimahalta (Heribrantes sunu) her uuas herero man .... |
Ich hörte es sagen, dass sich die Herausforderer begegneten, Hildebrand und Hadubrand zwischen zwei Heeren, Sohn und Vater richteten ihre Kampfgewänder, gürteten sich ihre Schwerter um, die Helden, über Rüstungen, als sie zum Kampf ritten, Hildebrand (Heribrands Sohn) sprach, er war der erfahrenere Mann ... |
Den ersten der beiden nun folgenden Merseburger Zaubersprüche behandelten wir nicht im Unterricht – aber ich stelle diesen trotzdem vor. Diese germanischen heidnischen Sprüche haben übrigens mit Merseburg nichts zu tun. Sie wurden dort lediglich im Domstiftsarchiv zwischen den Sammlungen des religiösen Schrifttums nach unbekannt langer Ablagerungszeit wiederentdeckt.
So war das.
Es folgt der erste Merseburger Zauberspruch in einer der möglichen Übersetzungen. Der Spruch beschreibt, wie eine Anzahl von Idisen, also zauberkräftigen edlen Frauen oder / und ehrwürdigen Müttern, auf dem Schlachtfeld Gefangene von ihren Fesseln befreien. Der Spruch könnte etwa um 700 n. Chr. in Germanien entstanden sein. Die Vermutungen verschiedener Spezialisten haben aber einen größeren zeitlichen Spielraum.
Es handelt sich um einen „Befreiungszauber“, auch als „Löse-Segen“ bezeichnet.
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Übersetzungs-Variante 2 für die oberste Zeile:
Einstmals setzten sich Idisen, setzten sich hehre Mütter hin. |
Und nun der zweite Merseburger Zauberspruch über die Heilung eines jungen verletzten Pferdes:
Althochdeutscher Stabreim |
Neuhochdeutsch |
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Meine Erläuterung der vorgenannten Namen.
Es geht um germanische Gottheiten, die (um Hilfe und Schutz) gebeten, „angerufenen“ werden, weil sie das „All-Gute“ darstellen und deshalb besonders geehrt und „gefürchtet“ sind.
1. Gott Phol, wahrscheinlich gleichbedeutend mit Balder / Baldur = der Herr, die Verkörperung der Tapferkeit, Gott der Sonne, des Lichts, des Frühlings und der Gerechtigkeit – ein Sinnbild des Guten. Er ist der Sohn von Wotan und Frigga. Phols / Baldurs Ehefrau ist die Göttin Nanna.
2. Gott Wodan / Wotan / Uuodan / Oden / Odin / Allvader. Oberster Gott, Götterkönig, Vater der Götter, aber auch: der Wütende. Siehe auch: englisch für Mittwoch: Wednesday = Wodans Tag. Wotan ist mit einigen Göttinnen, so auch mit Frigg(a) verheiratet.
3. Göttin Sinthgunt, die Schwester der Göttin Sunna / Sol.
4. Göttin Sunna / Sol, die den Sonnenwagen Lenkende, siehe Wochentag: Sonntag, englisch Sunday = Sonnentag). Sie ist die Schwester der Göttin Sinthgunt.
5. Göttin Frija / Frigg(a), bedeutet „Frau, Geliebte“, ist „die Erste“ der Frauen des Wotan. Sie ist die ranghöchste der Göttinnen, Schutzgöttin von Ehe und Mutterschaft, Familie, Haus und Hof. Sie ist eine Schwester der Göttin Volla.
6. Göttin Volla / Folla / Fulla / Uolla / Sif ist die Göttin der Fülle, des Überflusses und der Fruchtbarkeit.
Herr Brandt stellte uns die kurzweilige Beschäftigung mit diesen Texten, als einen Ausflug in die germanische Mythologie vor. Kulturerbe – man will ja wissen woher man kommt. Er sagte, Wotan und Frija / Frigga (nicht verwechseln mit Freja / Freya) seien erdachte Naturgötter, Baldur – sei noch in anderen Aufzeichnungen erwähnt. Die anderen seien uns aber nicht näher bekannt, weil uns aus jener Zeit nur sehr wenig weiteres Schrifttum erhalten blieb. – – –
Ich aber konnte kaum glauben, was ich da hörte und las, noch wollte ich mit jemandem darüber reden, gar streiten, sondern nur still verarbeiten, mir mein Teil denken: Heute lesen wir, lernen wir im Deutschunterricht so ganz nebenbei diesen Spruch „über das Heilen (eines Tieres) durch Besprechen“ im 8. oder 9. Jahrhundert, wir lesen über eine der Methoden, die offenbar bei unseren germanischen Vorfahren hier „auf unserem Boden“ vor rund 1.200 Jahren als eine natürliche und erfolgreiche Heil-Anwendung galt, die vermutlich gang und gäbe war. In diesem Spruch wurde sie als Heil-Kunst der Götter genannt, die jenes Wissen den Menschen weitergaben, so dass diese sich die Heilmethoden annehmen und praktizieren können.
Ich denke daran, wie auch mein Großvater August Janecke heilend mit den Tieren umzugehen wusste.
Heute aber sind derartige geistige Heilanwendungen bei uns in der DDR grundsätzlich verpönt.
Bei solchen Gesprächsinhalten würde man eher als anstaltsreif angesehen werden ... den Scheiterhaufen gibt es ja nicht mehr ganz so direkt. Bestenfalls „im Dunkeln“ geht jemand heutzutage, also eher heutzunacht, zum „Kräuterweiblein“, um vielleicht seine Gürtelrose „besprechen“ zu lassen oder seine Warzen, wenn anderes nach ärztlichem Rat aus der Schulmedizin nicht half ... ansonsten: ist das alles Mumpitz, Humbug oder Quatsch – denn die marxistisch-leninistisch-sozialistisch-materialistische Weltanschauung lehrt uns sinngemäß:
„Was des Arbeiters Finger und Kopf nicht be-greifen können, was das wissenschaftlich geschulte Auge des DDR-Bauern nicht sieht, das existiert auch nicht! Punktum!
Alles weitere sind Hirngespinste, die zu den zu verwerfenden idealistischen Anschauungen des überholten, verfaulenden kapitalistischen Gesellschaftssystems gehören.“
So etwa. Was sollte ich mich da als Alleinstehender mit einem Diskussionsbeitrag unnötig aufs Spott-Glatteis begeben?
Ich versuche also nur gedanklich dagegen zu setzen: Warum so unsensibel-barsch, warum so arrogant? Warum nur die eine „eigene“ Meinung des begrenzten Wissens gelten lassen, diese als allein gültige Wahrheit darstellen und durchsetzen wollen?
Man wird nachweisen, dass derartige abwertende Meinungen des „sozialistisch naiven Realismus'“, die subjektive Weltanschauung einiger älterer Männer, diese allgemein gültigen „Staatsauffassungen“, auf Dauer nicht tragbar sind.
Spätestens seit der Antike gab es da bereits völlig andere, umfassendere Anschauungen, die als wertvoll galten und gelten.
– Plato(n) zum Beispiel lebte im 5. bis 4. Jahrhundert v. u. Z. in Griechenland, also zeitlich zwischen Sokrates und Aristoteles. Er befasste sich in seinen vielen Abhandlungen auch mit der Erkenntnistheorie, mit der Erkennbarkeit der Wirklichkeit dieser Welt und kam zu dem Schluss, dass es wohl vieles gäbe, was unser Bewusstsein nicht zu erfassen vermag, weil dieses während der Stammesentwicklung des Menschen offenbar dafür nicht eingerichtet wurde.
Viel schrieb er über gesichertes Wissen im Gegensatz zu den vielfältigen bloßen Äußerungen von Meinungen, die ihren Ursprung in dem beschränkten Erkennen haben – über unterschiedlichste Meinungen, die aber gern als das jeweils einzig Wahre dargestellt werden.
– So lehrte uns Paracelsus (1493–1541): „Wir müssen unsere Betrachtung der Dinge erweitern und wissen, dass alles was wir von der Welt sehen, nur ein Teil dieser Welt ist.“
Ganz gewiss für uns ist: Paracelsus war kein guter Sozialist.
– Der italienische Mönch, Philosoph und Astronom Giodarno Bruno (1548–1600), sagte unter anderem, dass die Realität der Welt nicht deckungsgleich übereinstimmt mit der Art und Weise wie wir als Menschen die Welt erleben oder diese uns vorstellen – andere Bereiche der Realität deswegen als Gegenstände des Glaubens betrachtet werden müssen. Für seine grundlegenden, zeitlich oft weit vorausschauenden Gedanken und schriftliche Arbeiten wurde er verbannt und nach acht Jahren Kerkerhaft im Jahre 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. So erging es damals leider vielen Menschen, die ihre Erkenntnisse frei äußerten.
– William Shakespeare (1564–1616) gab uns beispielsweise etwa im Jahre 1602 sinngemäß zu bedenken, dass es weit mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen ließe (nach Hamlet, 1. Akt, 5. Szene).
– Im 17. Jahrhundert legte der französische Naturforscher, Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal (1623–1662) sowie auch andere forschende Autoren, etwa dar: Unklar scheint lediglich, was wir oder wieviel wir, welchen Ausschnitt wir gegenwärtig und künftig von der tatsächlichen umfassenden Realität der Welt, also der Erde und des Universums, von Zuständen und Abläufen, mit unserem Bewusstsein überhaupt wahrnehmen können, dass ja lediglich für das Erkennen-können der Naturgesetze, an Erd-Raum und -Zeit gebunden, nach Ursache und Wirkung ausgerichtet ist.
– Sehr volkstümlich und eingängig wird ein Aspekt am Beispiel aufgezeigt, dessen Änderungen wir aber erkennen können, in dem alten Gedicht und Volkslied von 1779: „Der Mond ist aufgegangen“.
Text von Matthias Claudius (1740–1815), Melodie von Johann Abraham Peter Schulz, Berlin 1790. Der dritte Vers, die dritte Strophe, möchte uns einladen zum Innehalten, zum Be-denken, um es nicht zu vergessen – und er wählt dieses einfache Beispiel:
„Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön;
so sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen – weil unsre Augen sie nicht sehn.“
... denn unser Vermögen zu Erkennen, unser Begreifen-Können, ist begrenzt.
Literarisch gestaltend, kleidet Antoine de Saint-Exupéry (1900–1944, Französischer Philosoph, Ingenieur, Erfinder, Schriftsteller und Pilot – im Jahre 1943, bevor sein Flugzeug von einem Deutschen abgeschossen wurde, sein Wissen und seine Erfahrungen auch in diese Worte:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“,
sagte der Fuchs zum Kleinen Prinzen und jener wiederholte es, um es sich zu merken,
weil es ihm als wichtig erschien:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar". –
Doch das Wissen der Menschheit schreitet voran. Einiges, was vor einiger Zeit noch als „Wunder“ galt oder das man (deshalb) als „Glaubensgegenstand“ bezeichnete, ist man heute in der Lage zu erkennen – und morgen wird es einen weiteren Zuwachs des Wissens, der Entdeckungen geben. Wir sollten nicht überheblich mit unserem vorläufigen Unwissen oder Halbverstehen prahlen und anderes, was uns nicht sofort als sinnfällig erscheint, verwerfen, nicht Menschen mit anderen, weitergehenden Gedanken und Ansichten deshalb töricht verlachen oder gar unsinnig bestrafen.
Wir aber sollen kritiklos stets auf unsere ganz modernen älteren Männer hören, die wohl zum Teil selbst nur wenig Möglichkeiten erhielten oder nutzten, sich mit den Werken der Geistesgrößen dieser Welt zu beschäftigen. Wir sollen nur auf jene hören, welche die ihnen gut dünkenden Meinungen wohl eher aus einem engen Kreis weniger Köpfe holten und sich gegenseitig die Richtigkeit übernommener Ansichten bestätigten.
Ich möchte nicht zu diesen „modernen ewig Vorgestrigen“ gehören und die Erkenntnisse, die zum Teil in weit über 2.000 Jahren reiften und erweitert, wie auch verfeinert wurden und werden, einfach negieren. Ich will noch eine Weile dazulernen und dieses Wissen auch sinnvoll anwenden.
Wunder, was sind Wunder? Versuche von Definitionen.
Ein
Wunder ist ein uns ungewöhnlich erscheinendes Ereignis,
von dem wir annehmen, Ein Wunder ist ein Ereignis, welches nicht durch uns bekannte natürliche Vorgänge erzeugt werden kann. – nach Prof. William Craig. Das Wunder erscheint uns als ein übernatürlicher, als göttlicher Eingriff in die normalen Abläufe in der Welt oder als eine Unterbrechung dieser gewohnten Abläufe. Ein Wunder ist ein Außerkraftsetzen der (irdischen) Naturgesetze durch ein übernatürliches Eingreifen, wenn also etwas passiert, was niemand von uns hätte erwarten können. Wunder sind naturwissenschaftlich nicht erklärbar. Sie liegen deshalb außerhalb des Forschungsinteresses der Wissenschaften und werden daher als esoterisch bezeichnet.
Ein Wink hinüber zum „wissenschaftlichen Materialismus“: Wer nicht an Wunder glaubt, der wird auch keine eleben.
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Es ist vieles so sehr spannend – die entstehenden Fragen scheinen oft viel wichtiger für das Denken, als vorgefertigte und vorgegebene Antworten anderer Leute für uns sein können.
Und ich meine: Wenn damals Menschen wenig aufschrieben oder zumindest für uns wenig davon erhalten blieb (wie die „Merseburger Zaubersprüche“), dann werden es keine völlig beliebigen, belanglosen Texte gewesen sein, sondern etwas, das ihnen als wesentlich erschien! Nicht ein sagenhafter, frei erfundener Kurzroman. Weil wir heute nicht (mehr) genug davon wissen, fehldeutet man es so.
Könnte es sein, dass die heutige offizielle Ansicht über die geistig begleitete Heilung des verletzten Beines des Fohlens: „da stapften einige sagenhafte Gestalten aus der erdachten Welt der heidnischen Natur-Götter, durch den germanischen Wald – mehr konkretes war nicht, es ist nur unwesentliches Zeug, Mythologie eben ...“ – schlicht und einfach unzureichend ist?
Wodurch wird der heutige gültige Stand unseres materialistischen Wissens bestimmt? Verkürzt und überspitzt gesagt: „Was der Arbeiter und der Bauer nicht sehen und anfassen kann, nicht be-greifen kann, das existiert auch nicht.“
Naheliegend erscheint mir der Gedanke, dass es sich bei dem Dichtwerk um eine mythologische Paralleldarstellung zur Heilkunst der damals lebenden Menschen handelt, die hier in dieser Form dankbar den Göttern gewidmet wurde.
Zu jenen von alters her bekannten vielfältigen Heilweisen: Viele Jahre wird es noch dauern, bis auch für uns in der DDR Lebenden, Literatur darüber leichter erreichbar ist, die entsprechende Beispiele „alternativer“ Heilmethoden vorstellen. Sie werden uns aus historischen Epochen und auch aus jüngerer Zeit überliefert und zeigen, dass sie auch in der Gegenwart ausgeübt werden – in reicher Vielfalt! Erfolgreich! Ungeahnte, ja schier für unglaublich gehaltene Einfluss-
möglichkeiten auf die Gesundung und Gesundheit. Anfangs des neuen Jahrtausends darf ich erste praktische Kontakte dazu gewinnen. Und auch Ergebnisse erfahren. Welch eine späte Erweiterung des Horizonts. Danke! Schade, dass ich darüber nicht mehr mit Herrn Brandt plaudern kann.
Ein Nachtrag zur steten Aktualität der vorgenannten Merseburger Zaubersprüche an nur zwei Beispielen aus einem Grenzbereich der von uns miterlebbaren Realität. Diese nun folgenen Beispiele bedeuten uns einen Brückenschlag von der Zeit um 800 (Merseburger Zaubersprüche) bis zum Ende des 20. Jahrhunderts – und gleichsam auch eine Rückschau vom Ende dieses Jahrhunderts (Jahr 2000) in unsere Großbeuthener Zeit 1962 / 1963:
Der Züricher Mediziner Dr. Hans Naegli-Osjord (1909–1997) berichtet von einem Fall spontaner Tierheilung vor geraumer Zeit: „Die Ärztin, eine Deutsche, in Brasilien lebend, wurde zu einer Kinds-Geburt gerufen. Unterwegs stürzte ihr Pferd und verletzte sich so sehr, dass die getrennten Beinknochen durch die zerstörte Haut herausragten. Schon wollte die Reiterin dem Tier den tötenden Gnadenschuss geben, als sie von einer plötzlich auftauchenden Indio-Frau daran gehindert wurde. Unter „Zaubersprüchen“ richtete diese Frau vorsichtig das gebrochene Bein des Pferdes, umwickelte es mit dem Pflanzenbast einer Liane als Bandage, gab dem Pferd einen Klaps und befahl ihm aufzustehen. Das Tier, so wird es beschrieben, erhob sich, lief problemlos und trug die Ärztin sicher.
Nach dem Entfernen des Verbandes erwies sich es sich, dass die Knochenenden wieder zusammengewachsen waren und die Haut narbenlos verheilt war.
Professor M. Danzelt meint dazu sinngemäß: Wenn wir solche magischen Handlungen und deren Ergebnisse als für uns nicht nachvollziehbare Vorzüge bezeichnen, muss die Wirklichkeit, mit der sie in Einklang stehen, „eine andere als die unsere“ sein. Das heißt: dem Bewusstsein jener Menschen bietet sich die Wirklichkeit in einer anderen Form dar, als den Vertretern unserer westlich orientierten Zivilisation.
Wir lehnen Berichte über solche Handlungen und Ergebnisse ab, weil wir diese aufgrund unserer traditionell einseitig beschränkten, materiellen Programmierung geistig nicht nachzuvollziehen vermögen und solche Realitäten deshalb auch kaum „glauben“ wollen.
Frau Dr. med. Marlo Morgan, eine Ärztin und Schriftstellerin aus Missouri, USA, beschreibt um 1991 in ihrem Buch „Traumfänger“ ihre wochenlange Wanderung mit einer Gruppe Aborigines durch das australische Busch- und Steppenland, durch das Outback. Sie führt in ihrem Bericht auch sinngemäß aus:
... An diesem Tag wanderte der >Große Steinjäger< am Rande eines Abgrunds entlang, als der Boden unter ihm plötzlich nachgab und er etwa sechs Meter tief auf eine felsige Fläche stürzte. ... Als sie, die rettenden Helfer, ihn auf einem glatten Felsstück ablegten, wurde seine Wunde sichtbar. Er hatte sich zwischen Knie und Fußgelenk einen komplizierten Unterschenkel-Bruch zugezogen. Wie ein hässlicher großer Stoßzahn ragte der gebrochene Knochen gut fünf Zentimeter aus der schokoladenbraunen Haut heraus. ... Dann begann der Medizinmann mit dem Heilen ... Sie erklärten mir, dass die Handbewegungen des Medizinmannes und der Heilerin über dem beschädigten Körperteil dazu dienten, die ursprüngliche Form des Beines wiederherzustellen, ohne es zu berühren. ... Der Medizinmann half so dem „Gedächtnis des Knochens“ nach, damit er sich an seine wahre, gesunde Stellung und Gestalt erinnern konnte. Sie sprachen buchstäblich mit dem Knochen. Sie begannen eine Art Gebet zu sprechen. ... Sie hatten mir gesagt, dass ihr Ritual auch Schmerzen der Verletzung lindern und eine Schwellung vermeiden würde. ...
Die Heilerin strich eine dicke Heilpaste (die genau beschrieben wird) auf die verletzte Haut. Es gab keine Schiene, keinen Verband, keinen Gips, keine Krücken und auch keine Naht. ... Am nächsten Morgen stand der >Große Steinjäger< von seinem Lager auf und wanderte mit uns weiter. Es war keine Spur eines Hinkens festzustellen. ... “
Unser westlich orientierter Geist ist inzwischen nicht mehr imstande, diese Heilweisen von Vertretern der Naturvölker zu erkennen und nachzuvollziehen. Dem Vielwissenden bieten sich noch andere Wirklichkeiten, weiterreichende Realitäten des Erlebens, als dem „zivilisierten“ Durchschnittsmenschen der modernen Gesellschaft, ... der das, was er nicht zu erkennen vermag, als unwissenschaftlich abtut. Unwissenschaftlich? Damit hat er recht: Diese Phänomene zu erforschen, ist kaum zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen in unserer Neuzeit erhoben worden.
Schade auch, dass von unserer germanischen National-Literatur jener Zeit für uns kaum etwas erhalten geblieben ist. Die großen Zeitspannen, die Art der nicht so dauerhaften Schreibmaterialen und das eher feucht-kühle Klima hierzulande, mögen dazu beigetragen haben. Aber es gab sowohl beiläufige, als auch zielgerichtete weitere Ursachen. Wir wissen zum Beispiel, dass Kaiser Karl IV., der Große, eine umfangreiche Sammlung von Heldenliedern seiner Zeit angelegt hatte. Seinem Sohn Ludwig war dieses Nationalerbe aber eher gleichgültig und es war somit vor Verlusten nicht mehr geschützt, sondern dem Untergang preisgegeben. Bekannt ist ebenso, dass die „heidnisch-mythologischen“ Inhalte dieser germanischen Literatur der christlichen Religion „ein Dorn im Auge“ waren, die von ihnen misstrauisch, ja feindselig angesehen, später rundweg verboten wurden. Die Kenntnis der Texte und das Detail-Wissen um diese Literatur erlosch. Damit ist die frühe Literatur aus unseren Landen bis auf wenige Einzelfälle oder Bruchstücke uns für immer verloren gegangen. Bisher wurden aus jener Zeit 1841 nur zufällig die beiden „Zaubersprüche“ in der Dombibliothek zu Merseburg entdeckt und auch zwei weitere Schriftstücke solcher Art 1857 in Wien gefunden, die etwa aus der Zeit um 800 stammen und ansonsten wohl nur weniges mehr.
Mir waren aber einige dieser „germanischen Unbekannten“ aus der Mythologie, zumindest ihren Namen nach, durchaus ein Begriff. Wir haben in Potsdam-Babelsberg nämlich ein Stadtviertel, in dem verschiedene Namen germanischer göttlicher Helden wie Baldur, Donar, Freya, Heimdall, Odin ... als Straßenbezeichnungen genutzt wurden – ja, genau, in der Nähe der Karl-Marx-Straße, in der unser Mit-Lehrling Helmut Pla. am Wochenende wohnt, wenn er nicht in Großbeuthen ist. – Dort finden sich also:
- Baldur / Balder, Gott der Sonne, der Unschuld, des Lichts, des Frühlings und der Gerechtigkeit.
Der Tapfere. Ein Sohn von Wotan und Frigga. Er ist verheiratet mit Nanna.
- Donar / Thor / Akethor, der Donnergott, der Gott des Gewitters und der Kraft – daher der
Wochentag: Donnerstag. Donar ist verheiratet mit Sif. (Die skandinavische Schlagersängerin
Siw Malmquist / Malmkvist trägt also den Namen einer Göttin.)
- Freya / Freija / Freja, (daher der Wochentag Freitag = Freias Tag). Sie ist die Göttin der Liebe
und der Schönheit. Sie trägt auch noch den Beinamen „Wanadis“, weil sie aus dem Stamme der
Wanen kommt. Sie ist eine Schwester des Freij, einem Fruchtbarkeitsgott, der außerdem mit
Gerda, der schönsten aller Göttinnen, verheiratet ist.
- Heimdal / Heimdall, Gott der Weisheit, der Wächter auf der Regenbogenbrücke „Bifrost“.
Das waren die germanischen Straßennamen in der heutigen Stadt Potsdam-Babelsberg.
Sind wir aber bereit noch ein wenig „tiefer zu pflügen“, als in diesem hervorragenden Unterricht, so könnten wir in Wald und Flur, Heim und Hof, Stall oder Scheune weitere germanische Natur-Gottheiten kennen lernen, die von unseren Vorfahren geehrt wurden – wie:
- Aegir, der Meeresgott. Seine Frau heißt Rau. (Sie ist aber nicht so, Wasser hält geschmeidig.)
- Astrild, ein Liebesgott.
- Brage / Bragi. Er ist der Gott der Dichtkunst.
- Erpo. Die Erdmutter
- Folla / Fulla / Volla, die Göttin von Überfluss (also Fülle) und Fruchtbarkeit.
- Forseti, Gott der Gerechtigkeit, ein Schlichter jeglichen Streites.
- Gesion(e). Sie ist die Göttin und Beschützerin der Jungfrauen – solange diese es möchten.
- Hela / Helja. Göttin des Todes, der Hölle und der Unterwelt ganz allgemein.
- Hildur. Die Göttin des Krieges.
- Höder / Hödr, der blinde Bruder von Baldur, Symbol der Nacht.
- Idun(a), die Ehefrau von Brage, Göttin des wiederkehrenden Frühlings und der Jugend.
- Lofu, die Göttin der (glücklichen) Ehe.
- Loke / Loki, Gott des Feuers und der List (des Bösen), ein Verwandlungskünstler.
- Mani, er lenkt den Mondwagen – daher unser Wochentag Montag.
- Ostara, die Göttin des Frühlings. Daher die heidnische Bezeichnung Ostarfest = Osterfest.
- Saga. Die Göttin der Geschichte, eine der Gemahlinnen Odins, die keine Märchen erfindet.
- Skuld, die Schicksalsgöttin der Zukunft. Sie ist eine der Nornen.
- Surtur. Der Gott des Feuers.
- Tir / Tyr / Tiuz / Teiwaz ist der Gott des Rechts, Beschützer des Thing (der Versammlungs- und
Gerichtsstätte) und Kriegsgott. Von seinem Namen abgeleitet ist der Dienstag (engl. Tuesday,
Tisdag = Tag des Tuiz.
- Ullr – der Gott der Jagd.
- Urda / Urde, die älteste Schicksalsgöttin der Nornen oder Parzen, das sind Göttinnen der
Vergangenheit.
- Walkyren / Walküren. Sie sind die Göttinnen der Schlachten, meist hünenhaft dargestellt.
- War. Die Göttin der Eide und Verträge. (Sie hat nichts mit altenglischen Kriegen zu tun.)
- Ferner: - Gautaz, - Njörd, - Sinthgunt, ... die ebenfalls, so wie wir, nur Gutes wollten.
Wir erhielten von Herrn Brandt die Hausaufgabe, möglichst viele Worte mit gleichen Anfangsbuchstaben aneinander zu reihen. Das Ergebnis war dann vorzutragen.
„Schön wäre es“, meinte Herr Brandt, „wenn ihr dabei Begriffe aus der Landwirtschaft ein wenig berücksichtigen würdet, damit wir im Rahmen des Gesamtthemas bleiben".
Hier nun mein Versuch – für euch als ein schwaches Beispiel dieser „großen Kleinkunst“:
Bärtiger Bangbüx badet bisweilen bei blökenden Böcken, bei bieder bunt blühenden Blumen.
Mandolinen mit Mondenschein machen mich milden Munteren meist musisch. Nacht! Nobler Neumond, Niesel, Nachtigall! Na, nun noch neuer Nebel! Ferdinand Fehse fährt frisch-fröhlich fabrikneues Fahrschul-Fahrzeug.
Ginga gab Gänsen gestern gern gemähtes grünes Gras. Geliebte Güte – giftigen Gingko?
Igeline Isidora isst immer ionisiertes Ingwer. Jubiläum? Juweliere jubeln jetzt jauchzend.
Höhere Halbinsel-Heimat: Hierauf heute heißhungrig harrend, heulender Haufen hütender Hirten.
Herbei, herbei! Hurtig Hilfe heischend, holt herber Herr der Herde hoheitsvoll huldreiche Hünen, herrlich helfende Hirten, humane Hausierer, hübsche Hostessen heran, bisweilen bangend, bußfertig-bescheidene, besonders bemühte bierbäuchige Bauern, ebenfalls ehrlich, eisernen Ernstes, ebenmäßig-eifrig, effektiv-eilend, emsig eure
eindrucksvolle Ernte einbringend.
Kläffender Katen-Köter „Karo“ kennt keine Kapuziner-Katze. Kappt kauend klirrende kurze Kette, läuft leider leichtfertig, lieber lodderig-leger, leise lechzend los,
bloß bisschen bravourös bellend bis beißend.
Liebe Liese, lass Lotta lustig labern – lieber listig links liegen.
Oranienburger Orangen-Obst-Onkel Otto orgelt oftmals Oratorium.
Polier Peter Pan prüft per Pfoten paradiesisch-prächtige Porzellanfigur.
Paul Pasewald praktiziert per Pedes putzmunter passable Pantomime.
Quack quält quietschvergnügt quellebewohnenden Quastenflosser.
Schon sehr schön sprung-sprintender Schäfer schafft schnell Schutzwall ringsum reichlich raunende, richtig ranzig-räudige, reinrassig-ranke, rigoros-rasende Rinder.
Schöngeistiger Schweinemeister Schneidereit schreibt scheußlich scharf schauend
scheußliche Schweinepflege-Schülerbewertung.
Schulzes schornsteinfeger-schwarze Lemma schauen schwermütig-scheel, schnurzpiepegal
schon ins saumäßig-schöne Schneegestöber.
Tieftraurig: Trotzig-tobsüchtig-temperamentvolles Tier trägt Tollwuterreger, wie weiland wiederkäuender, wollüstig-warmer, warnend-winselnd wütender Wolf. Terror tötet total tausend Tapire, Termiten, Tiger, Tintenfische, Trakehner, Tümmler, Tuberkel,
Kängurus, Kamele, Katzen, klitze-kleine Kälber, Knurrhähne, Kobras, Kühe, Kuschel-Kaninchen. Ungezähmte ungestüme Ungeheuer umlauern ungezählte Ureinwohner.
Unzufriedene Unschuldsengelin Ursula unterschlägt unerklärbar unglaubliche Unsummen
unreifen Ulmensamens und Unschlittkerzen. Unwahrscheinlich unbillig!
Unser unglaublicher Unterricht unterdrückt ungeschickt Urinstinkte.
Wohlwollend wachsam-wagemutiger Wachhund „Wotan" wird wahrscheinlich wütend werden,
wegen Wegnehmens wahrlich wehrhaft wachsenden, wuchtig wogenden Widerstandes.
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Na ja, eben – ein Versuch. Hausaufgabe als erfüllt abgehakt. Aber es ist ja so, dass nicht nur Herr Brandt eine solche Idee für uns hatte. In naher Zukunft werden wir erfahren, dass ein anderer gewiss viel größerer DDR-Geist (als wir Lehrlinge es sind) ebenfalls in dieser Art arbeitet und das Werk sogar mit einer Melodie untermalen ließ. So trällert uns bald aus dem Radio der Schlager entgegen:
„Milch macht müde Männer munter, Milch macht Männern Mut“ ...
Das passt doch sogar ganz vorzüglich zu uns, die wir die von den Kühen bereitgestellte Milch „ernten“ und bei diesem dünnen Medium versuchen, so manches zu dichten.
Weil Hausaufgaben Spaß machen, – eine kleine Zugabe – wenn's auch nicht immer völlig gelingt:
Arme attackierte arabische Ameisen arbeiten am Abend auf anderen Aeckern.
Berliner Bären backen bisweilen bärbeißig billiges braunes Brombeer-Brot.
Beide bitterbösen Buben betrachten bildschön-bunte Bilderbogenbildungsblätter.
Beuthener braungebrannte Bullenhirten baden bisweilen barfüßig! – bisschen belanglos?
Dieser Diesel-Dampfer darf deswegen diesmal durchaus dringend dreimal dröhnen.
Dreimal dreister Draufgänger: Der dümmliche doch drahtige Dachdecker Daniel Dumphdehmel,
dieser Döspaddel, drückte damals den Dieter Dahlburg, Drehorgel-Dirigent des Dorfes
Droßdreuthen, durch die Dachluke des dreckigen Drempels des Dorfdoms.
Danke dir dafür: Ein Erfreuliches Ereignis –
Emil Erich Effenberger erfindet endlich ernsthaft et eilends energiesparende Erntemaschine.
Feine fidele frische Frösche forschen froh für fantastisch flink fliegende Fische.
Fantasievoll flinke Faultiere finden freitags Futter. Fabian fertigt faule Fabeln für frische Fibel.
Gerhards gelbe Gänseküken gehen geflissentlich gen guten Gänseblümchen gerne geradeaus.
Hartherziger Halunke Horst Hornauer haut hiesigem Hammel heute heimlich Heu hinters Haus.
Jule Jaguar jagt jammernd janz jute Jänse. Keine kleine Katze kaut kunterbunte Kohlrüben.
Kuno Krauses kauziger Kanarien-Kater, kein Kannibale, knabbert knusprigen Keks.
Kinobetreuer Klaus kaut knackend kalkhaltige Knoblauchknospen, kein Kanabis!.
Lustige leise Libellen lieben laue Lüfte – landen lieber langsam.
Liebe langbeinige liebäugelnde Lore! Lerne lieber listig-leise lustigen Lehrstoff.
Lieschen Lauenstein löscht leise Licht, lässt lustige Liebe locker leben.
Maltas magere Mutter-Mäuse mögen mittags mal mehr Marmelade mit Mus.
Manch müder Maler mampft missmutig mächtiges Müsli mal mit Margarine, mal mit Mett.
Maximilian Müllers marode Mühle mahlt Mittwoch-Mittag mühsam minderwertiges Mehl.
Noch niemals nahte Nilpferd Nante nüchtern – nutzte neulich Nashorns neuen Napf.
Nonsens: Nirgens Nachtigallen – nur nichtige Nerze, Nashornkäfer, Nilpferde, Nebelkerzen.
Nichts! Nun nur noch natürlich nahender Nachthimmel.
Onkel Ottos opulenter Opa orgelt ordentlich oder organisiert osmanische Orangen.
Pausbäckiger Posaunist Paul Pampel pöbelt putzige Pauline Pergamon penetrant per Post.
Quicklebendig quakender Quacksalber quetscht Quarkkeulchen. Quatschkopp!
Quabbelige Qualle quillt qualmend. Kwelgeist quirlt quasi Quantum Quarz & Quecksilber.
Süße Stimmen singender Sirenen säuseln sicher sanft seinen schönen Schlaf.
Unglaublich: Unbeauftragter und ungeschickter U-Boot-Untergang. Ungesetzlich!
Unter Umständen unkt Uwe unerschrocken ueber unseren unbeliebten Unteroffizier. (Da vorletzte „un-“ sofort streichen – denn das darf ja gar nicht sein.)
Volkskünstlerin Vera verfolgt vehement vegetarisch verdauenden Verkehrspolizisten.
Viel Veilchenduft vergnügter Veronica, vertreibt Verwesungsgestank vom vandalistisch
verteufelten Vampir – vielfachem Venen-Verbrecher!
Yankee Yves ysst Yoghurt.
Zehntausende zirpende Zikaden zieren zerfallenen Zaun zu Zerberus' Zorn.
Zum Zirkus, zu zahlreichen Zebras, ziehen zögernd zahlende zerzauste Zuschauer.
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Mit vielen solcher Themen kann man also in Kontakt kommen, sobald man sich bei uns für eine Lehre in der Landwirtschaft, sich für Rinder, Schweine und die Pflanzen auf dem Acker interessiert. Ich vermute aber, dass nicht an jeder Bauernschule dieses breit gefächerte Spektrum angeboten wird. Ich denke, nicht unbedingt der Lehrplan gab das so vor, sondern wurde maßgeblich vom Interesse des Herrn Brandt mitbestimmt.
Aber warum haben wir hier solch einen tollen Lehrer? Herr Brandt wohnt ja „eigentlich“ in Berlin-Weißensee, wohin er an den Wochenenden zu seinen Angehörigen fährt. Dort, in der Hauptstadt, gibt es relativ kurze Wege zu sehr anspruchsvollen Bildungsstätten. Wer oder was mag ihn weitab hierher in dieses eher unscheinbare Dörfchen verschlagen haben? Das Leben anderer mag voller Geheimnisse stecken – manchmal auch nicht. Herr Brandt war nach meiner Auffassung sehr von den Zielen und den Grundzügen des Sozialismus überzeugt. Er mochte wohlbegründete Sachgespräche über diesen Themenkreis ... und er hatte dabei seine Ansichten zu der Wahl bester Wege zu diesen Zielen, zur praktischen politischen Ausformung im Alltag geäußert und auch vertreten, was wohl nicht allen Maßgeblichen in ihrem Kram passte – und das war vermutlich der Grund, dass ich hier in Großbeuthen mit Herrn Hugo Brandt einen der besten Lehrer meines Lebens fand.
Die Erzieher der Lehrlinge im Wohnheim
Am ersten Tag des Hierseins war ich total begeistert, als ich hörte, es gäbe in Großbeuthen ein Ehepaar namens Helmboldt. Sie Erzieherin und er Lehrausbilder. „Sofort sah mein Gehirn eine möglicher Weise ideale Doppelkreuzung“ der beiden zeitweilig in Potsdam lebenden Herren Hermann v. Helmholtz & Alexander v. Humboldt ... und hier auch die Möglichkeit, dass sich die geistigen Kompetenzen dieser bekannten Überragenden in einer solchen buchstäblichen Überlagerung gleichsam mindestens verdoppelt haben könnten, besser noch potenziert hätten und wir deshalb hier schier unglaubliche Bildungs- und Erziehungsgenüsse erleben dürfen. Ach, kaum auszudenken, wie schön! Alle Wege geistig und körperlich tätigen Lernens und Schaffens und Entfaltens überhaupt, ständen uns ohne äußere Begrenzungen offen – wie nie zuvor. –
Es zeigte sich aber geradezu unheimlich, wie schnell ich von derartigen Wunschgedankenflügen recht herb auf den Erdenboden der Großbeuthener Realität zurück gezogen wurde:
Mit den Erziehern war es nach meinem Empfinden nicht so prächtig bestellt, wie mit den Lehrern. Die uns Erziehenden schienen eher ein Gegensatzprogramm darzustellen, damit wir nicht vor übergroßer Freude gar übermütig würden. Die reguläre DDR-Ausbildung der „Erzieher für Horte und Heime“ schloss ja die Qualifikation als Unterstufen-Lehrer mit ein. Nun waren wir aber bereits vor dem Lehrbeginn der schulischen Unterstufe entwachsen und etwas älter als Hortkinder ebenso. – Das Erzieher-Personal schien schon stärker dem Rentenalter entgegen zu eilen, als sich der entfernten eigenen Jugendzeit entsinnen zu können. Das zumindest ist solch ein Eindruck der entstehen kann, wenn man selber sehr jung ist.
Ich denke, es waren eher „Quereinsteiger“ aus anderen dörflichen Grundtätigkeiten, die hier ihr Ein- und Auskommen gefunden hatten – die an geeigneten Politunterrichten, vielleicht sogar an Pädagogik-Schulungsstunden teilgenommen hatten? Deren Lehrinhalte zur Anwendung in der täglichen Praxis können sich mit der Zeit auch mal verlieren. Das weiß doch jeder! Wer aber nährte solche Annahmen? Nun, nur die Betrachteten selber! Uns versuchten dort zu hüten:
1. Frau Hel. Sie war freundlich, weichlich und stocktrockenkonservativ in ihren Ansichten. Sie behielt wohl auch nicht alles, was sie so hörte oder was ihr anvertraut wurde, für sich. Sie saß wohl zu nahe „an der großen Glocke“.
1.1 Erst nach meiner Zeit wurde dann der Erzieher, Herr Meyer, eingestellt. Es war der Mann der nach und anstelle von Frau Hel. kam.
2. Dem Erzieher Herrn Wag., mit einem bereits schütterem Haarkranz ausgestattet, spendierten die Lehrlinge aus ihrem schmalen Etat ab und zu so lange den von ihm begehrten Schnaps, bis er sich willig im Erzieherzimmer zur Ruhe auf dem Bereitschaft-Sofa ausstreckte und sich dort gern einschließen ließ, auf dass sein Tagesschlaf nicht gestört werde. Derartige Wiederholungen haben dem Beibehalten seines Dienstpostens nicht geschadet. Sein Ruhen fiel auch nicht weiter auf, denn sollte mal ganz unerwartet eine wichtige organisatorische Frage zu beantworten, ein Problem zu lösen sein, hatten wir im Tag- und Nachtdienst, also rund um die Uhr, sowieso unseren „LvD“, den Lehrling vom Dienst als Ansprechpartner – also uns selber. Das klappte recht gut, ja, ganz ausgezeichnet.
Die Einteilung der LvD wurde nach dem Rotationsprinzip wirksam. Der Dienst bedeutete soviel wie tagsüber der Ansprechpartner für Jeden und „Mädchen für alles“ zu sein, und so auch u. a. in den Blumenrabatten vor dem Hause Wildkräuter zu zupfen, nachts hingegen als Pförtner zu dienen, als Nachtwächter und Still-Weckdienst für die Lehrlinge, die bei den Tieren mit sehr frühem Arbeitsbeginn tätig waren und deshalb morgens zu unterschiedlichen Zeiten aufstehen mussten – um 3.00 Uhr für die Rinderbetreuung, 5.00 Uhr das Wecken für die Schweineversorger. Mancher LvD vertraute der Uhr, seinem Wecker, aber andere ließen sich vom Fernmelde-Dienst der Post telefonisch wach rütteln.
Diese gereiften „Erziehenden“ hätten also eher daselbst ausgezeichnete Erziehungssubjekte abgegeben. Ob jedoch fruchtbar-dankbare, also erfolgreiche Objekte, weiß ich nicht zu sagen.
3. Der hart aber ebenfalls nicht gerade sonderlich klug erscheinende Herr Bra. kam 1963 als Verwaltungsleiter mit Pädagogik-Aufgaben zu uns. Warum? – das wurde mir nicht klar. Auch dieser hatte es schwer mit sich. Bevor er zu uns stieß, hatte er wohl eine Stelle im Jugendwerkhof inne.
Anmerkung zum Jugendwerkhof: Das ist / war ein Kinder- und Jugendgefängnis oder eine Besserungs-Anstalt mit haftähnlichen Bedingungen bei Arbeit und (ideologischer) Schulung für „Schwer-Erziehbare“, auch für politisch Auffällige. Die Ziele: Störende Gedanken und / oder renitentes Verhalten beseitigen, die jungen Menschen formen, biegen oder brechen, um damit einen Boden für eine im Sinne des sozialistischen Staates üblicher Weise anerkannte Gesinnung und Entwicklung zu bereiten.
Die Information über den neuen Erzieher und seine Werkhof-Herkunft ging wohl fast schon vor seiner Ankunft wie ein Lauffeuer durchs Wohnheim. Der schmallippige Bra. trug stets eine steinhart-ernste Aufpasser-Miene. Er vermittelte uns zuverlässig den Eindruck, als missverstehe er seine pädagogische Aufgabe grundsätzlich und fühle sich als Aufseher über eine Verbrecherbande berufen. Es schien uns, als sei er von anderen und auch in sich selbst gefangen. Auch Herr Bra. war uns also kein erziehend-beratender Kamerad. Herr Bra. ließ sich so herrlich verulken, was von einigen Lehrlingen unverblümt praktiziert aber von ihm offenbar nicht erkannt wurde. Deshalb schmerzten ihn diese Vorgänge um seine Person herum wahrscheinlich auch nicht wesentlich.
4. Es gab noch den Herrn Ma., der sich meiner Erinnerung zufolge eigenartiger Weise völlig unauffällig-neutral zeigte, so dass ich nichts besonders Kennzeichnendes zu berichten weiß.
Den Erziehern oblag aber nicht nur die schwere Aufgabe die Lehrlinge zu hüten, sondern vor allem auch das Organisatorische, das Haus mit seiner einfachen Ausstattung zu verwalten – ein überschaubares Spektrum kleiner Aufgaben. Und ich konnte mich gefühlsmäßig zwar durchaus in sie hineinversetzen, fühlte mich dabei aber schon gedanklich in der Nähe dieses vorgenannten sozialistischen Erzieher-Kollektivs äußerst unwohl.
Ein kurzer Gedankenausflug:
Vom Prinzip her habe ich einen Einblick in solche Aufgabenfelder des Sach-Verwaltens, gewürzt mit pädagogischen Ansätzen. Waren doch aus der Reihe meiner Vorfahren-Familien die Herren Carl Keilbach (1811–1878) und Rudolf Mahnkopf (1847–1938), beide vorher schon gestandene Handwerksmeister, nacheinander rund 70 Jahre lang die Verwalter und Koordinatoren im „Palais Barberini“ am Alten Markt in Potsdam, Humboldtstraße 5-6. Grad' gegenüber dem Stadtschloss von Wenzeslaus Knobelsdorff – und der Nikolaikirche von Karl Friedrich Schinkel und Ludwig Persius.
Für wen und wofür hatten „meine“ damaligen Verwalter im Vorgänger-Gebäude technisch-organisatorisch-„pädagogisch“ etwas zu richten?
Eine größere Anzahl von Vereinen und Organisationen hatten dort ihre Heimstatt und jene begeisterten auch das Publikum mit den Ergebnissen ihrer Tätigkeit:
Die Philharmonische Gesellschaft. Gegründet 1816. Etwa 130 aktive Mitglieder.
Der
Gesangsverein für Klassische Musik mit Proben und Veranstaltungen,
etwa
106 Mitglieder zählend.
Der Verein für Opernmusik mit Orchester- und Chorbeiträgen.
Der Potsdamer Männergesangsverein, von 1886, mit etwa 200 Sängern.
Die „Liedertafel“ für volksnahe Musik, bereits 1826 gegründet, etwa 25 Teilnehmer .
Die
Konzertreihen (mit Clara Schumann, Wilhelm Kempff, Prof. Otto
Becker,
Anton Rubinstein, Wilhelm Furtwängler und vielen,
vielen weiteren Künstlern) –
Im Konzertsaal auch die Lichtspiele (Kino-Veranstaltungen).
Der Verein für geistliche Musik, später Bachverein genannt, von Wilhelm Kempff, sen. im Jahre 1901 gegründet.
Der Madrigalchor mit etwa 55 Stimmen.
Die Literarische Gesellschaft las dort im Palais und trug vor.
Die Tanzschule lehrte dort die Tanzbeine schwingen und außerdem Umgangsformen.
Die Volks- und Stadtbücherei bildete an dieser Stelle.
Die Schule für Zeichen- und Malunterricht mit reger Ausstellungstätigkeit (hier saß oder stand auch der Verwalter, der „Kastellan“ Rudolf Mahnkopf und seine Frau Bertha geborene Sommer, oftmals als Modell).
Der Potsdamer Kunstverein mit seinen vielfältigen Arbeiten.
Vortragsreihen aus verschiedensten Wissenschaftsgebieten. Denken wir als Beispiel an die Vorträge des Potsdamer Naturwissenschaftlers Ernst Haeckel, „des deutschen Darwin“, mit seinem Wirken in Potsdam und in Jena.
Des Weiteren gab es im Palais auch
Wohnungen für etliche Familien
Räume als Tagungsorte des Stadtparlaments
Büroleben der Verwaltung
Die Jugendherberge
Einige Verkaufsläden und eine Gaststätte
Viele dieser Leute jener aufgezählten Vereine und Einrichtungen brauchten ständig irgendetwas recht unterschiedliches an Material, kleineren handwerklichen Leistungen oder das Lösen von organisatiorischen Problemen vom Verwalter, abgesehen von den wechselnden Bestuhlungen, der Verwahrung von Groß-Instrumenten für die Musiker, tägliche Terminabstimmungen, Koordinieren der Reinigungsarbeiten und ebenso immer dabei: der „pädagogisch“ jeweils angepasste Umgang mit verschiedensten Leuten wie Lehrern, Schauspielern, Kunst-Malern, Musikern, Ärzten, anderen Wissenschaftlern und deren Ansprüchen. Alles war termingerecht und möglichst zur Zufriedenheit dieser Menschen unterschiedlichster Berufe zu richten – mit Sachkenntnis, Freundlichkeit und Geduld sowie etwas „pädagogischem Geschick“ gepaart. Keine leichte Aufgabe. Ein volles Programm.
Dieses „Palais“ war, wie das gesamte Zentrum der Stadt Potsdam, kurz vor Kriegsende, am späten Abend des 14. April 1945 zerbombt worden.
Ein gleichartiges Gebäude steht nun nach sieben Jahrzehnten Brache, seit 2017 dort, in neuem Glanz, so schön wie noch nie – durch die Initiative und mit der Finanzierung seitens des Herrn Prof. Dr. mult. Hasso Plattner, als Gemälde-Museum wieder aufgebaut.
Etwas anders gelagert war die Tätigkeit mit „Verwaltung und Pädagogik“ bei meinem Vorfahren Georg Weltzer (1864 bis 1946) im Schloss-Park Babelsberg. Jener war Kaiserlicher Schlossdiener, sowohl als Dienender, wie auch als Anleitender / Lehrender für den Nachwuchs. Seine Wohnung befand sich im Wirtschaftsgebäude, der so genannten Schlossküche im Park, die mit dem Schloss unterirdisch verbunden ist.
Später war Georg Weltzer ins „Neuen Palais“ nach Potsdam, Park von Sanssouci, versetzt worden und lebte in dem nördlichen Gebäude der gegenüberliegenden Communs (Wirtschaftsgebäude) – bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Zur Tätigkeit des Georg Weltzer gehörten nicht nur die Arbeitsinhalte des Verwaltens, man brauchte außer den Fachkenntnissen zusätzlich das eher schwierigere Fingerspitzengefühl, um sowohl „von unten her“ bei den anderen Beschäftigten anerkannt zu bleiben, gleichsam aber „nach oben“ fehlerfrei die höfische Etikette zu beachten und zu leben – gewiss oft kein einfacher Balanceakt – und des Weiteren, nachfolgende junge Menschen in diesem Sinne lehrend anzuleiten.
Jetzt aber sind wir wieder in Großbeuthen im Jahr 1962:
Ich stelle mir nach obigen Ausführungen lebhaft das Erscheinungsbild und das Verhalten unserer sozialistischen verwaltenden Erzieher vor, – diese Leute ins Palais und in das Kaiser-Schloss versetzt. Oh, oh – und solche, wie die vorgenannten Aufgaben in Menge und Komplexität der täglichen Arbeitsansprüche kam auf unsere heutigen Erzieher nun wirklich nicht zu. Sie hatten es wohl „recht gut bei uns und vor allem einfach mit uns“, denn wir verwalteten uns im Wesentlichen selber und waren auch nicht direkt unerzogen.
Eine große willkommene Hilfe für unsere Lehrlings-Gemeinschaft wäre es allerdings schon gewesen, hätte man diese Erziehenden, die Lehrlings-Verwalter, eingespart, ihnen zeitlich früher einen geruhsamen Lebensabend zukommen lassen. Wir hätten es ihnen neidlos gegönnt und uns gewünscht.
Ansonsten war im Lehrlingswohnheim fast alles „dufte und schau“, also „Große Klasse“ und wir Lehrlinge vertrugen uns gut miteinander, benötigten weder Aufpasser und noch menschlich-künstliche Hindernisse.
Die Lehrausbilder in der praktischen Berufsausbildung
Herr Ernst Lobbes, gut für Acker- und Pflanzenbau, ließ es sich nicht nehmen, extra wegen uns mit seinem Moped SR-2(Stadtroller Simson, aus Suhl, 2. Entwicklungsstufe, mit Motor+Pedalen) aus der Ahrensdorfer Hauptstraße 8, täglich zu uns nach Großbeuthen zu kommen. Na gut, er verdiente ja damit auch das Geld für seine täglichen Brötchen.
Dann bildete Herr Konarski aus und in den Rinderställen die Lehrfacharbeiterin Rosemarie Hannemann und Lehrmeister Christian Köhn. Natürlich gab es auch einen Schweinemeister. Richtiger: während unserer Zeit gab es zwei Meister nacheinander. Nur bei der Kunst der Schafhaltung blieben schulische und praktische Lehrinhalte aus, wurden wir ausgeklammert, obwohl für das umsichtige Hüten selbst Hunde als zugelassen galten. Schäfer sollten wir aber nicht werden. Nur beim seltenen Ausmisten des Schafstalls durften wir tätig sein – und das war eine besonders zählebige und auch zähklebrige, ja fast harte Arbeit.
Der leutselige Ausbilder Herr Helmboldt hatte das freundliche Aussehen eines körperlich kleinen Groß-Knechts aber dann doch mehr nach Gutsherrenart, weil stets in Reithosen und -Stiefeln unterwegs. Nur die Sporen fehlten ihm. Hatte er sich diese noch immer nicht verdient?
Herr
Gützkow unterwies uns als Fahrschullehrer sehr gut und mit
unendlicher Geduld, vor allem auf dem Traktor vom Typ „Pionier“
aus der 40-PS-Klasse. Im Januar 1963 hatte unsere Klasse
Lw A1
die Fahrprüfung der Klasse III auf diesem stolzen Fahrzeug und
seither diese Fahrerlaubnis. Na Klasse! (Lw A 1: davon gab es im
Laufe der Zeit mehrere Klassen aber später wurden die
Klassenbezeichnungen wesentlich verändert)
Außer mit den Lehrausbildern hatten wir natürlich auch den täglichen Umgang mit den lebens- und arbeitserfahrenen Landarbeiterinnen und Landarbeitern. Von jedem konnte man wohl etwas lernen, konnte jene fragen, vor allem: etwas von ihnen abgucken, mit ihnen in der Mittagspause am Feldrain kurz über Alltagskram schwatzen. Ich entsinne mich unter anderen der Frau Berger und des Herrn Behm, der mit nur einem verbliebenen Arm die täglichen Aufgaben souverän meisterte.
Auch der Landarbeiter und Pferdefuhrwerkslenker Norbert, der mich deshalb, wegen der Pferde, sogleich an die Jugendjahre meines Großvaters erinnerte, hinterließ bei mir lebhafte Eindrücke. Dann gab es noch den „Sputnik“, dessen Ruf-Name wohl so nicht in seinem Personalausweis vermerkt war.
In meiner verkürzten Lehrzeit hatte ich leider nicht den intensiven Kontakt zu allen Spezialisten. Über die fehlenden Personen sollten deshalb andere ehemalige Lehrlinge etwas Gutes schreiben, denke ich 1963. – ... und da kommt bereits der erste Beitrag!
Nach einer wie im Fluge vergangenen Zeit von inzwischen reichlich 6 Jahrzehnten erhält mein „Mitlehrling“ Joachim Böttcher Ende des Jahres 2024 die Anregung, etwas über den Großbeuthener Lehrmeister Jost zu schreiben. (War Herr Lobbes für Goofy der Lehrmeister, so war für die Klasse des Achim Böttcher Herr Jost der Ausbilder.) Flugs setzt sich Achim hin und notiert Erinnerungen an die damalige Zeit mit Herrn Jost, die hier sinnentsprechend gelesen werden können. Ich kann Euch schon sagen – es ist ein verdientes und bleibendes Denkmal für Hans-Joachim Jost aus Großbeuthen geworden:
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Hans-Joachim Jost, Lehrmeister für Feldwirtschaft.
„1961 startete meine Lehrzeit in Großbeuthen (schreibt also 'Achim Böttcher im Jahr 2024). Abitur und Berufsausbildung als Landwirt in der Feldwirtschaft war das Ziel.
Die fachlich-theoretische Ausbildung erfolgte im Berufsschul-Unterricht mit Acker- und Pflanzenbau, Pflanzenzucht und Pflanzenschutz, Bodenbiologie, Fruchtfolgeregeln, Landtechnik und Tierzucht, usw. Dazu kamen allgemeine Schulfächer, die zum Erwerb des Abiturs vermittelt und gelehrt wurden: Mathematik, Chemie, Physik, Geografie, Russisch, Deutsch und natürlich Staatsbürgerkunde. Den Lehrstoff boten uns mehrere Fachlehrer, natürlich Kenner der jeweiligen Disziplinen. Die Wissensvermittlung erfolgte in der damals üblichen Schulform – vorne der Lehrer und vor ihm an den Tischreihen wir Lehrlinge als Hörer und Beteiligte. –
Unsere fachlich-praktische Ausbildung dagegen wurde von einem Lehrausbilder, auch Lehrmeister genannt, begleitet. Dieser war für uns Herr Hans-Joachim Jost. Die Sie-Anrede für ihn war üblich, während wir uns gerne Du-zen ließen.
Jeder Arbeitstag begann mit der Einteilung der Arbeiten. Es wurden dem Arbeitskollektiv bestimmte Arbeiten zugewiesen, an denen wir neben den erwachsenen Angestellten des Volksgutes (den Landarbeitern) beteiligt waren. Ein Traktorist ,der mit seinem Traktor einen Feldhäcksler zog, erhielt beispielsweise einen Lehrling zugeteilt, der den Feldhäcksler zu bedienen hatte. Was heute vollautomatisiert abläuft, war in damaliger Zeit noch „händisch“, in Handarbeit, auszuführen. Man saß auf dem Feldhäcksler und bestimmte mittels Hydraulik die Schnitthöhe, in der zum Beispiel der Mais geschnitten werden sollte. Der Mais wurde in kleine Stücke gehäckselt und mit einem Gebläse auf den daneben herfahrenden Anhänger geblasen. Der Auswurfbogen des Gebläses wurde ebenfalls von diesem Lehrling gelenkt und zwar möglichst so, dass vom Erntegut nichts am parallel daneben fahrenden Anhänger vorbei, wieder auf das Feld geblasen wurde. Ein anderer Lehrling hatte den zweiten Zugtraktor zu fahren, der dann den gehäckselten Mais zum Durchfahr-Silo brachte. Dort waren weitere Lehrlinge damit befasst, den Mais auf dem Silo gleichmäßig zu verteilen und zum Schluss mit dem Gewicht des Kettenschleppers zu verdichten. Bald konnten die Bakterien beginnen, die Pflanzenmasse im Gärprozess reifen zu lassen, bis daraus Winter-Futter für die Rinder, „Sauerkraut“, entstand. –
An einem anderen Tage – die Getreideernte. Ein entsprechend ausgebildeter Erwachsener wurde als Fahrer des Mähdreschers bestimmt. Ihm zur Seite stand ein Lehrling, der sich als Maschinist um die Technik des Mähdreschers zu kümmern hatte. Somit gehörte zu dessen Aufgaben auch das Abschmieren der zahlreichen Schmierstellen mit einer Fettpresse. Ferner war im laufenden Betrieb darauf zu achten, dass der Körnerbunker nicht zu voll wurde. Auch das genaue Hören, das Achten auf Nebengeräusche, die auf einen Fehler, einen kommenden Schaden hinweisen könnten und das zweckmäßige Handeln dabei, gehörte zu den Aufgaben des Lehrlings.
Das auf dem Feld verbleibende Stroh wurde anschließend mit einer Presse aufgenommen, zu quaderförmigen Ballen gepresst, auf einen Anhänger geschoben und in die Höhe gestapelt. Auch hierbei gab es mehrere Arbeitsplätze für Lehrlinge.
Wir sehen, dass die Lehrlinge während der Ausbildung meist in einer Zusammenarbeit mit den erfahrenen Facharbeitern eingebunden waren. Solche, wie die genannten und andere Arbeiten gab es in großer Zahl, so dass die Landarbeiter und die Lehrlinge das gesamte Jahr über zu tun hatten.
Die Aufgabe des Lehrmeisters bestand unter anderem auch darin, sich mit seinem Fahrrad an die uns zugeteilten, oft sehr weit auseinanderliegenden Arbeitsplätze zu begeben. Hans Jost radelte also auf das Maisfeld, beobachtete uns bei der Arbeit und sprach mit dem Traktoristen, der den Mähhäcksler mit seinem Traktor zog. Dabei erfuhr er, ob wir uns blöd oder gut gekonnt anstellten. Wenn erforderlich, erhielten wir entsprechende Hinweise. Bei vielen Arbeiten zeigte uns Herr Jost die Handgriffe, wie man richtig, zügig und sicher arbeitet.
Ein Lehrausbilder in der Tierzucht hatte es da leichter. Dessen Lehrlinge arbeiteten, gut zu überblicken, alle in der Stallanlage unter einem Dach zusammen.
Hans Jost hatte dagegen im Feldbau große Entfernungen zu bewältigen, da bereits eine Ackerfläche mehrere 100 ha (Hektar) aufweisen konnte. Eine der vom Ort entferntesten Ackerflächen wurde als „Tertian“ bezeichnet, ein anderes Feld war das „Birkenstück“ – Feldflurnamen zum Teil aus alter Zeit – oder der Arbeitsort wurde einfach moderner als „Schlag 4 oder Schlag 5“ bezeichnet.
Unser Lehrmeister wusste, zu welchen Tätigkeiten er uns eingeteilt hatte, wo und mit wem wir arbeiteten und er entschied dann, wohin er sich mit seinem Fahrrad auf den Weg begab.
Das betone ich deshalb, weil sich Hans Jost, wohl irgendwann im Jahr 1962, ein Moped SR-2 anschaffen konnte. Das war nicht etwa ein Firmenfahrzeug. Soviel ich weiß, war das sein privater Kauf, mit einer Wartezeit zwischen Bestellung und Auslieferung verbunden – wenn diese auch nicht so lang war, wie bei einem Pkw.
Ich erinnere mich, wie er uns das neue wertvolle Fahrzeug vorführte und mit besonderem Stolz betonte, dass die Farbe ein blauer Hammerschlag sei. Im Allgemeinen waren als Standard-Farbtöne ein helles Beigegrau oder eine sehr dunkle rötlich-braune Farbgebung üblich.
Mit diesem Fahrzeug war Hans Jost natürlich auf den weiten Strecken bedeutend mobiler und er hatte uns dann öfter bei der Arbeit besuchen können. Hans war uns gegenüber bei den Arbeiten immer hilfreich unterstützend. Es gab wohl keinen Lehrling, der von ihm „heruntergeputzt“ oder „niedergemacht“ wurde, obwohl wir bestimmt nicht immer fehlerfrei und zufriedenstellend gearbeitet hatten. Waren doch viele Arbeiten auch schwer und weit entfernt von dem, was man sich gerne wünschte: Einen Traktor fahren, war etwas anderes, als auf einem Anhänger schwere gepresste Strohballen zu stapeln. Und wer war schon wild darauf, eine ganze Woche lang auf dem Kartoffelacker Knollen aufzusammeln? Auch da mussten wir durch, war es doch notwendig! In solchem Fall konnte uns der Lehrausbilder nur gut zureden und die Hoffnung geben, dass auch diese wichtige Ernte bald ein Ende haben würde. –
Hans Jost kannten wir aber auch in einem völlig anderen Zusammenhang:
In Großbeuthen, mit einem Wohnheim für ca. 100 Lehrlinge, gab es neben Schule und Arbeit auch Freizeit, die gestaltet werden sollte. So gab es in der BBS (Betriebs-Berufsschule) die GST (Gesellschaft für Sport und Technik / vormilitärische Ausbildung). Wir hatten eine Sektion Funk- und Nachrichtentechnik und eine Sektion „militärischer Mehrkampf“. In Letztgenanter war Hans Jost unser Ausbilder. Es gab mehrere Mannschaften, bestehend aus drei Personen je Mannschaft, sowohl bei den Männern, als auch bei den jungen Frauen. Meisterschaften in dieser Disziplin fanden lokal in Beuthen, darüber hinaus auf der Ebene des Kreises Zossen, dann weiter im Bezirk Potsdam und schließlich im Rahmen von DDR-Meisterschaften statt.
Ich erzähle nun von der Mannschaft in der ich Teilnehmer war: Gert Mag., Lutz Gör. und ich bildeten ein sehr erfolgreiches Dreier-Team: Wir waren die Besten im Kreis Zossen und danach die beste Mannschaft des Bezirks Potsdam bei den Meisterschaften auf dem Potsdamer Brauhausberg. Außerdem wurden wir zu den Deutschen Meisterschaften in Jüterbog nominiert. Dort allerdings hatten wir bei einigen Disziplinen unnötig viel Zeit „verschenkt“ und es reichte nicht, um einen der ersten drei Plätze zu belegen. Ärgerlich war für uns, dass eine andere Mannschaft vor uns besser benotet wurde, obwohl wir nachweisen konnten, dass jene drei Teilnehmer die Strecke eines Geländeabschnitts, der mit einer Gasmaske auf dem Kopf zu durchqueren war, deshalb schneller zurücklegte, weil sie zu große, zu weite Gasmasken trugen und somit fälschlich viel besser Atemluft bekamen, als wir mit den richtig eng anliegenden Masken.
Wir wollten gegen die Entscheidung der Jury zur Platzierung Protest einlegen, aber Hans Jost hat uns beruhigend gut zugeredet darauf zu verzichten, denn das hätte an unserer ungünstigeren Platzierung wohl nichts geändert. Man müsse lernen, im Leben auch mal mit einer ungerechten Entscheidung umzugehen, sagte Hans Jost.
Bei unseren Wettkämpfen war Hans Jost immer dabei. Gab es etwas worum man sich kümmern mußte, dann half er.
Bestandteil der Trainings für die Männer- und Frauenmannschaft war das regelmäßige Schießen mit dem KK-Gewehr (Kleinkaliber). Dazu trafen sich die Mannschaften dann in Beuthen hinter der alten Schäferei. Hier gab es einen Schießstand – ein etwa 50 m langer extra ausgehobener Graben mit Sandwällen an den Seiten. Bei einem ersten Umgang mit den KK-Gewehr erfolgte die Unterweisung durch Hans Jost – Laden, Sichern, Kimme und Korn, richtiges Zielen – das war der wesentliche Inhalt dieser Unterweisung.
Über unsere sehr guten Erfolge im militärischen Mehrkampf gibt es mehrere Urkunden und auch Bildmaterial.
Hans Jost war für uns ein kompetenter, freundlicher und stets zuverlässiger Ausbilder!“ –
Soweit einige der vielen Gedanken von Joachim Böttcher über die ferne Vergangenheit. – Nun gibt er den „Federhalter“ wieder an Chris-Goofy ab.
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Bauernregeln hatten wir in der Schule nicht zu lernen – als Ausgleich streue ich hier ab und zu einen Spruch ein:
Wie Straßen- und Witterungsverhältnisse demnächst ab Februar – also im „Hornung“ aussehen, das verrät uns der hundertjährige Bauernkalender:
Nordwind bei Vollmond sagt, dass uns der Frost drei Wochen plagt. Je feuchter ist der Februar, desto nasser wird das ganze Jahr. Viel Regen im Februar – viel Regen im gesamten Jahr. Ein Februar mit Schnee und Eis – macht den langen Sommer heiß. Ist's zu Lichtmess (2. Februar) hell und rein, wirds ein langer Winter sein.
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Das Lehrlingswohnheim
Wir lebten im Lehrlingswohnheim, andere sagten „im Internat“, in einem modernen Bau, der 1956 / '57 errichtet worden war und in den die erste Lehrlingsgruppe im Herbst 1957 einzog. Wir also zogen wir in ein Gebäude, das auch bei uns noch so gut wie fast neu aber schon trockengewohnt war. Herr Bruno Abromeit war dort bereits seit 1956 der Direktor des leeren Gebäudes, also Organisator im Zuge der Baufertigstellung und des umgebenden Geländes sowie auch verantwortlich für's möglichst einfache und zweckmäßige Einrichten der Räume mit Mobiliar.
Fast alle Zimmer hatten die Größe zwischen 11 und 12 m², zumeist eine Grundfläche von 4,00 m x 2,90 m. Auf dieser Fläche lebten im Allgemeinen drei Lehrlinge. Ausgestattet waren die Räume dann mit drei Betten, einem Tisch, drei Stühlen und einem Kleiderschrank. Damit sah das Zimmer bereits reichlich gefüllt aus. Ich wohnte im Hochparterre, in dem (von außen gesehen) linken Gebäude-Flügel, etwa mittig zwischen dem noch schmaleren Zimmer des „Lehrling vom Dienst“ und der Behausung des Lehrers Hugo Brandt, dieser ganz links. Ja, dort, wo das Regenfallrohr von der Dachrinne aus senkrecht hinunter zur Grundleitung führt, lebte auch ich.
Das Areal vor dem Wohnheim, eine Grünfläche mit großem Blumenbeet, war von den Erziehern und den „Lehrlingen vom Dienst“ immer gut gepflegt. Vor uns, nahe beim Wohnheim, im ehemaligen Gutshaus unter großen alten Bäumen stehend, war die Betriebsberufsschule (BBS), untergebracht. Ein nur kurzer Schulweg.
Jener Zeitpunkt, der September 1962, war für den Lehrbeginn ein guter. Einige Zeit später fiel allerdings die Rohbraunkohle-Heizanlage aus, nur eben so, weil die Zeit wohl dafür reif war. Es lag also, bitte, nicht an uns. Das allein war eigentlich nicht so schlimm, denn die Herbstwitterung war mild. Und doch war es selbst für angehende Cowgirls und Cowboys schon gewöhnungsbedürftig, unter eiskalter Dusche den anhaftenden kräftig-würzigen Stallgeruch von Rindern und Schweinen abzuschrubben, um wieder sauber zu sein. „Emil Zatopek duscht auch stets kalt“, so die Presse.
(Emil Zatopek,1922–2000, ein tschechoslowakischer Leichtathlet, gewann unter anderen Erfolgen, bei bei den Olympischen Sommerspielen in Helsinki, genau vor 10 Jahren, also 1952, drei Goldmedaillen.)
Nun gut, nach einiger Zeit half die Reparaturleistung diesem Umstand dann wieder ab.
Aber mit der Heizerei gab es nicht nur bei uns Schwierigkeiten. Wir erinnern uns: Bald darauf hatte nebenan die Stadt Ludwigsfelde, ihr erstes so richtig sozialistisches Hochhaus an der Potsdamer Straße errichten lassen, aus bekannten Gründen freundlich „Sachsensilo“ genannt.
(Was für Gründe? Die heimische Rand-Berliner Bevölkerung war kräftig mit frischem südlich-auswärtigen Blut, aus Zoll, Polizei und anderen zuverlässigen Genossen bestehend, zu durchmischen und diese Anreisenden benötigten Neubau-Wohnraum).
Dieses Hochhaus wurde damals im Winter vorerst extern von einer kleinen schwarzen Dampf-Lokomotive beheizt, die unweit des Hauses auf der Straße stand. Der lange harte Winter kam wohl nach dem Einziehen der Mieter unplanmäßig früh, nicht etwa die vorgesehene Heizungsanlage zu spät. War „hübsch“ anzusehen – ein zeitgenössisches Bild. Man muss sich nur zu helfen wissen – und das wussten wir doch irgendwie alle recht gut! –
Regelmäßig, einmal wöchentlich, fand abends im Lehrlingswohnheim der Zimmerdurchgang mit Punkte-Bewertung statt. Dabei ging es nicht nur um Ordnung und Sauberkeit, sondern auch um die „Kultur“, ging es um die individuelle Ausgestaltung des Raumes, die sich nun allerdings nicht in jeder Woche steigernd änderte. In unserem Zimmer bestand der Kultur-Schmuck in Folgendem: Adrette privat-individuelle Tischdecke. In Zimmermitte, immer im Weg, die dicke Bambusstange, senkrecht zwischen Fußboden und Zimmerdecke eingespannt, behängt mit Grünliliengewächsen (Chlorophytum comosum, zu den Spargelpflanzen zählend) und Rankelphilodendron-Töpfen. Der Wandbehang aus grobem Zuckersack-Gewebe mit den aufgemalten Kakteen, war ein selbst gearbeitetes Geschenk meiner Mutter und meiner Schwester. Die Gitarre an der Wand mit Palmen-Dekor, auf der Bernd Hei. ab und zu, hin und wieder ein Liedchen klimperte, uns zu Gehör brachte. Auf dem Wandbord mein lindgrüner Wecker mit den Leuchtzeigern, den wir benutzten, wenn wir „Lehrling vom Dienst“ waren, also sehr früh morgens Weckdienst hatten.
Dann gab es noch, allerdings meist nicht sichtbar, und außerhalb des bewerteten Zimmerschmucks, die dringend benötigte Taschenuhr, welche sich durch schlichte Eleganz auszeichnete (ganz neu: 8,00 Mark der DDR), mit dem zuverlässigen Gangwerk des VEB UMF-Ruhla. Das Uhrgehäuse von einer metallenen Staubschutzkapsel mit Rundfenster umhüllt, so richtig robust und damit für den Acker-Einsatz vorzüglich geeignet. Der VEB Uhren- und Maschinen-Fabrik UMF besteht nun genau 10 Jahre. Davor gehörte diese Produktionsstätte der Familie Thiel, danach ab 1952, wurde die Fabrik sozialistisches Volkseigentum.
An der „Pinnwand“ des Zimmers fand sich ebenfalls Kultur, eine geordnete Sammlung farbiger Ansichtskarten, vorzugsweise von unseren Brief- und Karten-Partnerinnen aus irgendwelchen Bruderländern und dem begehrten ungarischen Schwesterland. „Parlament in Budapest“, „Elisabethbrücke“, „Fischerbastei bei Tag und Nacht“, der „Flachwasser-Balaton“ für Nichtschwimmer usw. hingen dort. Erinnerungen – „Ich denke oft an Piroschka“. Film vor sieben Jahren mit Liselotte Pulver. Schreibend aber gingen meine Grüße nicht zu Lilo, sondern zu Emese nach Budapescht. Welch ein schön klingender Name. – In der Heimat wurde das Mädel aber in Wirklichkeit „Ämmäsche“ gerufen, wie ich erst viele Jahre später erfuhr. „Emese“ lag mir aber viel näher – trotz der großen Entfernung. Ich hätte sie also gerne, für sie sehr ungewohnt, viel lieber schmiegsam-weiblicher angesprochen, als es bei ihr Daheim üblich war. Dazu kam es aber nicht.
Auch das Muster-Bohnern des rotbraun gestrichenen Anhydrit-Fußbodens (Gips) mit dem gewichtigen gußeisernen Block, dem Bohner-„Besen“ brachte Punkte für die Bewertung beim Zimmerdurchgang und letztlich gab es für „die Sieger“ den Wanderwimpel für eine sehr gute, andauernde Zimmerordnung – auch für die im Spinde. Trostpreise wurden nicht vergeben!
Eng war es allerdings schon im Zimmer – aber Hausaufgaben = Schularbeiten am Tisch konnten wir auch im großen Speisesaal erledigen oder wenn es die Witterung zuließ, zum Teil auch in der freien Natur, z. B. verbunden mit lernend lesen – dösen – Trance – Lernen im Schlaf – ein Ausflug in die Suggestopädie ... „nur mal für ein Viertelstündchen“, sehr effektiv.
Zur Platzeinsparung in der engen Bude hatten wir, also nur wir in unserem Zimmer, die drei Betten übereinander geschraubt und gesichert – statisch einwandfrei – nicht zu beanstanden!
Auf Grund eines Beschlusses des „ängstlichen Erzieher-Kollektivs“, das hier auch dem Mathe- und Physiklehrer nicht getraut hätte, mussten wir unsere schöne Kreation, die bis knapp unter die Zimmerdecke reichte, jedoch leider bald wieder auf das Doppelstock-Bettmaß zurückschrauben. Niemand der Erziehenden sollte ja dauerhaft in Angst leben oder wir vielleicht Ärger bekommen.
Zu Essen gab es im Wohnheim stets reichlich – und sahen die guten fleißigen Köchinnen und die freundlichen Kellfrauen des Dorfes (es waren beileibe keine Kellnerinnen im gewohnten Sinne) den Boden der sich schnell leerenden Riesen-Töpfe, so wurde sogar mittags fix ein Schmalzstullen-Nachschub angeboten. Alles blieb somit im Bereich der Zufriedenheit. Es gab dabei nichts herumzuklagen.
Unser Großbeuthener-Jugendlied
Klassenkamerad Gerd Rauter komponierte und textete im 1. Lehrjahr, im Herbst 1962, ein
Jugendlied, das in den Strophen 3 und 4 (die uns erhalten blieben) so lautete:
Vorgezogener Nachtrag: Unlängst hörte ich, dass Gerd Rauter bereits vor Jahren gestorben sei. Deshalb schrieb ich anstelle der verlorenen gegangenen Textteile, die vier Ersatz-Strophen 1, 2, 5 und 6, neu, heute am 10. September 2016, am Abend nach unserem „Lehrlingstreffen“ in Thyrow und Großbeuthen. Nun stelle euch das ergänzte Lied hier vor.
Unser Großbeuthener Jugendlied
1. Nach der Schulzeit in der Heimat kamen wir in Beuthen an, um zu lernen, um zu wissen, um zu stehen unsern Mann. Wir fanden im September uns hier gemeinsam ein: Drei Jahre Jugendleben – was könnte besser sein?
2. Wir lernen unsre Welt hier völlig neu versteh'n in einem regen Austausch – und das ist wunderschön mit Spaß, auch Ernst und mit viel Heiterkeit ist es eine gute Zeit.
3. Jeden Abend an der Ecke heulen Motorräder auf und du schwingst dich jeden Abend auf ein' Jawa-Sozius drauf. Ich steh' mit meinem Fahrrad hier einsam und allein – und trau mich nicht zu sagen: Baby, komm und sei doch mein.
4. Ja, dann könnten wir zwei die Welt ganz anders seh'n, ohne Feuerstuhl und ohne die Chausseen, denn nicht ein Motorrad macht eine Liebe schön, sondern wie wir uns versteh'n.
5. Morgens geh'n wir in die Schule, auf den Acker, in den Stall, pflegen Kuh, das Schwein, die Katz' – man sieht uns überall. Am Abend zum Baden an unsern See wir zieh'n. In Beuthen ist das Leben für uns doch so sehr schön.
6. Verliebte gibts bei uns zu jeder Zeit, manchmal ist die Hochzeit auch nicht mehr so weit. Auf dem Land zu leben, eine lange Zeit – dazu sind wir gern bereit.
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Dieweil neben anderen Jungen auch Gerd Rauter in die Saiten seines Klampfholzes griff, hämmerte Christian Feu. auf dem Klavier, dem für diesen Sound zwischen die Hämmer und Saiten Ölpapier eingelegt wurde, damit das Instrument bloß nicht etwa klingen sollte (es hörte sich dann mehr an wie ein Klafünf), sehr gekonnt Bill Haleys und Elvis' Lebensgefühle im Rock'n Roll herunter. Elvis Presley hätte auch ebensogut zwischen uns sitzen können, denn er stammte ja nicht von den alten Ureinwohnern der Neuen Welt ab. Seine deutschen Vorfahren, mit Namen „Breßler / Pressler“, waren etwas südlicher von uns, wohl in Thüringen und in der Pfalz beheimatet, bevor ein Teil der Sippe „über den großen Teich“ ausgewandert war. Bressel / Bressler und Preßler gelten als Ableitungen vom Namen „Ambrosius“, was soviel wie „der Unsterbliche“ bedeutet. Daher kommt es, dass Elvis bei uns durchaus als freier DDR-Bürger hätte „durchgehen können“ und ohnehin unvergessen war und bleibt.
Aber unser Christian Feu. bot nicht nur Schlager dar, sondern auch gern, gekonnt und sehr gefühlvoll, die Wiedergabe von Volksliedern.
Erst nach unserer Beuthener Zeit wird „die reinigende Anti-Sint-Flut“ kommen, der Sündenpfuhl also etwas trockener gelegt werden – es wird mit der Musikauswahl einfach schwieriger sein, doch gleichsam auch um so einiges „erleichtert“ und auch erheblich „bereinigt“, denn am 18. Dezember 1965 wird der Vorsitzende des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), der Genosse Walter Ulbricht (* Leipzig, 1893, † Berlin, 01. August 1973), auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), als eine der Weihnachtsüberraschungen in gewohnter Diplomatenausdrucksweise die markig-martialischen Worte sprechen:
„Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck der vom Westen kommt, ja?, kopieren müssen?
Ich denke, Genossen, mit der Monotonie dieses Je, Je, Je und wie das alles heißt,
sollte man doch Schluss machen“.
Das war keine Frage oder Meinungsäußerung an sich. Es schien, „so hoch angebunden“, wohl fast eines der brennendsten Probleme unserer Zeit für die DDR-Führung zu sein. Es bedurfte endlich eines letzten Machtwortes des höchsten Staatsrepräsentanten und dieses war ein Befehl!
Zu den Verursachern des Unmuts, vom Vorsitzenden als nur ein Beispiel dargebracht, gehörte die britische Musikgruppe „The Beatles“ (Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr und George Harrison) mit ihrem Liebes-Lied:
„She loves you, yeah“
(in der nachdichtenden Übersetzung):
„Sie liebt dich –
ja, sie liebt dich, schöner kann es gar nicht sein. –
Ja, sie liebt dich – und da solltest du dich freu'n“.
Ja, solch ein West-Dreck aus dem Vereinigten Königreich! Schon allein Königreich!!! Und dann
Liebe ohne eine Erwähnung von Sozialismus. Kein Arbeiter genannt. Kein Bauer eingebracht. Ergo: Mit solchen dreckigen kapitalistischen Auswüchsen werden wir Schluss machen!
(Das Lied war auf der ersten „Goldene Schallplatte“ der Beatles. Bei mir Tränen in den Augen – nicht zuletzt deshalb, weil unsere Welt hier verkehrt wird – weil aus fröhlichen unbeschwerten Jugendliedern der Anlass zu einem gewaltigen politischen Staatsakt gemacht wird, es dagegen bei den tatsächlichen großen Problemen des Landes, mit überlebenswichtigen Aufgaben sozialpolitischer und wirtschaftlicher Art, an sinnvoll gestaltenden Maßnahmen mangelt.)
Auch alle anderen Lieder der Beatles enthalten wie dieses keinerlei Textelemente, die der so genannten „sozialistischen Moral und Ethik“ entgegenstehen. Sie entbehren allerdings konkreter Hinweise auf den stets und ständig erforderlichen Klassenkampf der Arbeiter und Bauern. – Vielleicht hätte der Ulbricht, vor einem eingeläuteten Verbot den Großmut besitzen können, an „Intertext“ einen Übersetzungsbefehl zu erteilen oder er hätte schlicht einen der Wissenden unter den hunderttausenden Schülern dazu befragen können, was dieser unverständlich englische Liedtext wohl auf gut sächsisch bedeuten mag. Solch ein „Großmut“, das notwendige Wissen zu erlangen bevor Entscheidungen getroffen werden, in groben Zügen verstanden zu haben worum es überhaupt geht, bevor man richtet, solch ein „Großmut“ zum Normalen bestand in den höchsten Regierungskreisen nicht.
Walter Ulbricht hatte sich schon während der schlimmen Kriegszeit als ein Freund der russischen Sprache versucht und man kann durchaus nachvollziehen, wie lieblich ihm das oben genannte Musikstück mit dem wiederholt-verstärkenden „Ja“ in russischer Sprache erschienen wäre: Nicht mehr dieses „Je, Je, Je“, sondern auf gut russisch: dieses „Da, Da, Da – und wie das alles heißt“, wäre dabei herausgekommen und hätte vermutlich seine Ohren umschmeichelt. Über eine solche real-denkbare Übersetzungsvariante hätten sich gewiss nicht nur die befreundeten Sowjetmenschen, sondern eventuell sogar auch die Da-Da-isten ein bisschen gefreut – aber eben doch nicht mit allumfassender, sondern nur in gedämpfter Freude, denn auch diese Da-Da-isten-Leute waren und sind wohl größtenteils eher freiheitsliebend, verabscheuen Zwänge, Bevormundung und Gewalt durch die Obrigkeit und Jedermann.
Hätte man dem Ulbricht das Lied doch bloß zumindest in Leipziger Mundart vorgetragen und dazu im niveauvollen Lipsi-Schritt getanzt, den Helga Brauer als geeignet erscheinende Werbeträgerin gerade in jenen Tagen zu besingen hatte! – ohne dass man diesem fleißigen Bemühen hätte einen Erfolg nachrühmen können (siehe Schlagertext: „Alle jungen Leute tanzen heute nur im Lipsi-Schritt, im Lipsi Schritt ...“).
Die zu ihrer Zeit dort in England lebenden Altväter Karl Marx und Friedrich Engels hätten das mit der Musik vermutlich lockerer gesehen, als der Staatsratvorsitzende Genosse Ulbricht und wohl nicht erwartet, dass die Liverpooler Boys eher mitteldeutsch hätten singen sollen, um in ihrer Heimat besser verstanden zu werden.
Ein wenig Affinität zur Verwandtschaft statt schroffer Ablehnung wünscht man sich ebenfalls – denn schließlich sind die Baetles waschechte Angel-Sachsen, wenn auch mit dem Makel behaftet, nicht, wie Walter U. ebenfalls in Leipzsch das Licht der Welt erblickt zu haben.
Warum nur fiel gerade dieses als beispielhaft auszumerzende englische „Ja, sie liebt dich“ der Beatles dem W. U. so sehr schwer in die Ohren? Er hätte doch schon mal, vielleicht sogar aus eigenem Antrieb, ganz leicht als Übung, als Beginn solch einer Aufräumaktion, den von den West-Alliierten „Checkpoint Charlie“ genannten >Kontrollpunkt C< an der Berliner Friedrichstraße auf der DDR-Seite einfach in „Grenzübergangsstelle (GÜST) Carl / Karl“ umbenennen können. Das hätte das negativ Englische eliminierend positiviert und des Weiteren feinsinnig an den Altvater Marx erinnern können – in Verbindung zur nahegelegenen Karl-Marx-Allee, die vorher an dem Ehrennamen des Diktators J. W. Stalin (dem Stählernden, ein Name nach seiner Eigenwahl) schwer zu tragen oder langfristig zu leiden hatte. Wäre das nicht ein schöner Anfang gewesen? Aber nein, njet!
Warum bitte, frage ich sehr ernsthaft, hat es keiner, nicht einer der sozialistischen DDR-Musiker und Texter übernommen, niemand vom Zentralkomitee angeregt oder vom Politbüro heiß fordernd gewünscht, eine schöne zukunftsweisende Liebes-Hymne über Lotte & Walter U. zu schreiben? Nicht mal zu seinem 70. Wiegenfeste. Vielleicht hätte so etwas dessen häufig aufschäumende Gemütswogen besänftigen können? Warum also nicht? – hatte da vielleicht gar eine gewisse Bockigkeit Kulturschaffender ihre Finger im Spiele? –
Hätte, hätte, – Großmut hin, Verständnis her – was soll denn das? Immer wieder solche komischen Fragen und Vorschläge. – Um es kurz zu machen: „Die Partei hat immer recht, sie irrt sich nie“. Punktum – auch wenn sie sich oft nicht um das einfache Wissen und Verstehen bemüht, als eine Grundvoraussetzung für kluge Entscheidungen. Das ist üblich und es ist schmerzlich. Das wird so bleiben bis zum Schluss im '89-er Jahr – auch wenn es schöner wäre, das Beste für uns, für das Land und sein Volk zu denken und anschließend auch nach dem Gedachten – das Beste zu tun.
Eine neue Eiszeit kommt also auch in der Musik auf uns zu. Es gab immerhin vorher, ebenfalls von den Beatles gesungen, das Lied. „I want to hold your hand", das gut zu dem vorgenannten Titel passt. In der DDR durfte es noch in der nachgedichtenden Übersetzung als „Komm, gib mir deine Hand“, von den „Amigos“ gesungen, auf Schallplatte erscheinen. Nun aber wird die Schraube stärker angezogen. Das Verbot des öffentlichen Nachspielens und Nachsingens bundesdeutscher Titel wurde von den oben genannten Worten des Staatsratsvorsitzenden „eingeläutet“. Dazu gehörten eben auch solche Lieder, die in fremder, „sehr schwer kontrollierbarer Sprache“, die Liebe der Menschen besingen.
Als Vorbild, Gegenpol und Ausweich gilt für uns: „Die Sowjetmenschen haben schöne Weisen“. Das ist unbestreitbar wahr! Und also bitteschön: „Von Freunden sollt ihr für das Leben lernen".
Aber die Säuberung vom „westlichen Dreck“ betraf selbst Texte der landeseigenen Produktionen. So wurden nun solche Interpretationen, auch die des Publikumslieblings Frank Schöbel von der Zensur wie „Looky, looky ...“, „Baby, du bist okay“, „Teenager-Träume ... und wohl noch weitere Schlager erfasst. Aussortiert. Verboten! Sie durften nicht mehr bleiben, nicht mal textlos, instrumental oder textgemodelt. Bei dem sensiblen Slow-Fox „Teenager-Träume“ war mir ohnehin von Anfang an so, als hätte Frank singen wollen / können: „Die Mädchenträume sind Träume vom Glück...“ – aber man nagte einfach eher unbedarft am Tee und sägte an Ulbrichts Wurzelnerv – obwohl doch nichts weiter dabei war? Ach und Musik mit Textverbot – diese scharfe Schwert wird dann sogar auf unsere eigne DDR-Nationalhymne herniedersausen. –
Ja, erst in der Rückschau, sehe ich selbstkritisch, nun aber überdeutlich, dass beispielsweise wir Lehrlinge des werktätigen Volkes ein gerüttelt Maß zu dieser schmerzlichen Entwicklung beigetragen haben. Wir selber tragen an großer Schuld: Unsere Mit-Lehrlinge bekamen solche kurzen Ruf- oder Beinamen wie Bobby, Jacky, Jimmy, Goofy und Satchmo. Warum nur - warum? Zum Glück fehlte aber zumindest „Bummi“ nicht in unseren Reihen. Der allein aber konnte nun wirklich nicht alles kompensieren und geradebiegen oder zumindest herausreißen.
Für eines unserer lieben Mädchen (H. Bor.) war der Name „Texas-Mary“ geläufig. Weshalb? Na?
Wir hatten offenbar Denk-Unterlassungen begangen, denn keiner, nicht einer von uns Einfaltspinseln, ganz zu schweigen von unseren Mitschülern aus Offiziersfamilien der NVA oder anderen höheren Funktionärskreisen, hatte ernsthaft in Erwägung gezogen und hilfreiche Vorschläge unterbreitet, das Mädel doch besser mit solch einem liebevollen Kosenamen wie „Sibirien-Natascha“ oder auch „Uns're Olga von der Wolga" zu würdigen und damit auszuzeichnen – vielleicht zu ihrem Geburtstag. Oder zum 1. Mai, eventuell zum 7. Oktober. Das wäre etwas gewesen, das hätte sie gewiss begeistert. Und nicht nur sie – vielleicht hätte es auch die Oberhäupter der „Staatlichen Organe“ etwas beruhigt oder sogar befriedigt. Aber nein, aber nein – es sollte Texas-Mary sein. Ausgerechnet eine Marie aus der blöden öden, verdörrt-staubigen texanischen Steppe. So 'was aber auch.
Mit Katja, mit Katjuschenka hingegen wären wir besser gefahren oder gelaufen. Ihr wisst schon – das berühmte Lied: „Raswjetali Jabloni i Gruschi ...“. Diese Katjuscha, schlank wie eine Gerte, mit baikalblauen unergründlich tiefen, leicht irisierenden Augen und ihren frühstückssemmelblonden Zöpfen, ähnlich aussehend wie der reife wogende Weizen der fruchtbaren fetten Schwarzerde in der ruhmreichen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetvolksrepublik oder so schön wie meine Briefpartnerin Elena Ost. (<= der stoppende Punkt ist auch hier dem Datenschutz gewidtmet). Dieser Helene sandte ich zum Geburtstag ein bescheidenes Arm-Angebinde aus Edelmetall ins Freundesland nach Odessa. Es kam wohl zwar dort an – aber eben nicht bei ihr persönlich. Höchstwahrscheinlich hatten die teuren sowjetischen Genossen von Post, Zoll oder Tscheka schon aufgrund der Zollinhaltserklärung der Sendung, leicht einen Eigenbedarf erkannt. Kurz: Es gibt so sehr viel Schönes ... auch im Nahen Osten. Warum also in die Ferne schweifen, fragt uns selbst des Dichters Wort. –
Die unreife Jugend aber allerdings mitunter andere Gedankengänge, als die Gereiften sie verfolgen und umsetzen.
Zurück zur Musik: Dabei hat die Partei, also, die führende, es noch 1963 im Guten versucht, als sie die nette Ruth Brandin und „die Kolibris“ den zielgerichteten Schlager mit heißem Rhythmus, diesen „Knüller“, zwitschern ließ:
„Warum nennt man dich Sunnyboy, warum nicht einfach Werner,
warum ist das moderner? Warum?“
Der lyrisierte Fragenkatalog in einem DDR-Schlager. Ja, warum nur, warum? Bohrende Fragen, deren Antwort die Kulturschaffenden, selbst die Partei, im Text dieses Auftragswerkes grundsätzlicher Art und Bedeutung, offen ließen. Und sogar der sonnige Werner ließ die gute Ruth ohne Antwort im Regen steh'n. Das gehört sich nie und nimmer. Das hat sie nicht verdient. – Immerhin aber haben wir diesem vorerwähnten Westdreck-Song der Beatles damit ein klassenbewusstes starkes Liedgut entgegenzusetzen gewusst! –
Diese Ruth Brandin bzw. der Texter aber macht leider diesen guten Ansatz wieder zunichte, weil in einem anderen Schlager bald geträllert wird: „Dort treff' ich Dich Charlie und das macht mich, Charlie, mich, Charlie mich – immer wieder verliebt – ob du's glaubst oder nicht“. Das erinnert doch herb daran, dass Ende der 50-er Jahre schon mal der „Charlie Brown“ aus dem Westen zu uns herüber schwappte: „Wer lernt die Vokabeln nicht? Wer spielt Skat im Englisch-Untericht? Der Charlie Brown ...“. – Oder auch Conny Froboess mit „Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein und dann nichts wie 'raus zum Wannsee“, der ja inzwischen in Berlin-West lag. Damals konnte es die DDR in einer Nachvariante noch zum „Waldsee“ umbiegen, bevor diese unautorisierte Veränderung in der Versenkung verschwand. –
Wie also konnte dieser erneute Reinfall als Eigentor jetzt nur passieren? Fehlte eine Nachhaltigkeit bei der Diskussion um die ernsten Gründe des vorgenannten Sonnyboy-Schlagerauftragswerkes? Hatten denn die Ruth und vor allem der Texter des Machwerks überhaupt regelmäßig am Parteilehrjahr teilgenommen und dort die gegenwärtigen Arbeiten der Kritik und der Selbstkritik unterzogen? Irgend etwas ist dort den Prüfenden gründlich durch ihre sprichwörtlichen Lappen gegangen, total schief gelaufen.
Statt Charlie zu besingen – Wasja wäre ja günstiger gewählt, was ja fraglos schöner ist – aber Walter wäre noch viel besser. Auch Karli, statt nun ausgerechnet Charlie, hätte man als gereift akzeptieren können. Ich hatte sowas bereits oben empfohlen – aber auf mich hört ja niemand. Wir haben in Potsdam-Babelsberg auch das Karli – das Karl-Liebknecht-Stadion, wo der Ball über den Rasen rollt. Geht doch. (Den Rollrasen aber gab es damals hier noch nicht) – .
Meine Tochter soll mal „Concordia“ heißen. „Eintracht“, „Einigkeit“, falls meine spätere Frau es auch dringend so möchte, wie mein Harmoniebedürfnis es anstrebt. Hoffentlich machen Gleichaltrige nicht sofort „Conny“ oder „Cordi“ daraus. Sollte es aber doch geschehen – mein großes Indianer-Ehrenwort: Ich würde solches bestimmt nicht öffentlich, „von Staats wegen“ verbieten lassen wollen.
Zurück zum Thema. Wir sehen: genutzt hat das Bisherige überhaupt nichts. Es war daher eine schärfere Gangart angezeigt, um derartigen ungesunden Tendenzen die Wurzeln zu ziehen.
Doch schon ein kleines Jahrzehnt später, im August 1973, hatte Genosse W. Ulbricht dann eine ganz persönliche Frostperiode, eine kalte Wartezeit, als die Staatstrauer für sein Ableben bis nach dem Ende der X. Weltfestspiele in Berlin aufgeschoben wurde und er dann, der vormalige Vorsitzende, auf der Armee-Lafette hinter einem Ludwigsfelder Lkw vom Typ „W(erdau) 50“ durch einige große Berliner Straßen zum Zwecke des Abschied-Nehmens durch die Reihen der Spalier-Stehenden geeilt wurde. (Auch ich war dabei und hatte meine Finger am Puls der Zeit.) Das „würdig rasante Tempo“ durch die Karl-Marx-Allee hatte dann bereits der „Ziehsohn“ und Nachfolger, Erich Honecker mit seinen Mannen, vorgegeben. Er ist nun, der neue Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Vorsitzender des Politbüros des Zentralkomitees der SED, Staatsratsvorsitzender der Deutschen Demokratischen Republik sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates – so die nun auch ihn ehrende, wenn auch ein wenig sperrige Titelfolge, in den täglichen Nachrichtensendungen und in den Zeitungen stets präsent. Ja, so schnelllebig ist die Geschichte. Auch für diesen Erben und Nachfolger, den angelernten Dachdeckerhelfer, den Freund der Jugend und zentralen FDJ-Sekretär sowie Staatsratsvorsitzenden pp., endete seine Zeit ja ebenfalls nicht gar zu prächtig.
An besinnlichen Abenden sangen wir gern Volkslieder, öfter jedoch, waren viele aktuelle Schlager zu trällern, wie beispielsweise einige aus jener Liste des Jahres 1962:
Abends kommen die Sterne und die Schiffe zum Hafen, abends kommen die Träume und abends kom. |
Bärbel Wachholz // Helga Brauer // Ulla W. |
Addios Amigo, sie war schön die Zeit |
Sacha Distel |
Afrikaan – Beat |
Bert Kaempfert |
Aloh – Ahe, die Heimat der Matrosen, Weine nicht bei |
Freddy Quinn |
Ask me why |
The Beatles: |
Auf der Sonnenseite |
Manfred Krug |
Auf meiner Ranch bin ich König, die weite Welt lockt |
Peter Hinnen |
Badewannen-Tango |
Günter Hapke // Lutz Jahoda? |
Bobbys Girl. Ich wär' so gern B. G., ich könnte ja so treu und zärtlich sein |
Lil Malmkwist // Susan Maughan // Marcie Blane |
Bonanza. Tag und Nacht denk ich an dich – Bonanza |
J. Cash // P. Paulsen // R. Bendix |
Butterfly |
Danyel Gerard |
Cara-Caramel Chocolat, so ist jeder Kuss von dir, jeder ... |
Günter Hapke |
Carolin, Carolina, jede Nacht träum' ich nur von dir |
Peter Beil // Perikles Fotopoulos |
Dip, dip, dip. Er kam auf einer Party mit 'ner Ander'n an |
Dorthe |
Don't break the Heart that loves you |
Connie Francis |
Dort treff' ich dich, Charlie ... und das macht mich |
Ruth Brandin |
Du darfst mich nie belügen, denn ich vertraue dir so |
Fanny Daal |
Du schaust mich an, so als wärst du sehr verliebt |
Peter Beil |
Ein Herz, das kann man nicht kaufen, auch wenn sich |
Margot Eskens |
Einmal weht der Südwind wieder. Unter Sternen am |
Rica Déus / Nana Mouskouri |
Elisabeth Serenade. Hör' mein Wort Elisabeth |
R. Binge // Günter-Kallmann-Chor |
Fiesta Brasiliana |
Mina Mazzini |
Für Gaby tu‘ ich alles. Ich schau im Städtchen nicht |
Gerd Böttcher // Günter Hapke |
Geld wie Heu. Mein Herz ist voller Liebe, denn Susi |
Gerd Böttcher |
Gib mein Herz mir wieder, bitte gib es mir zurück. Du |
? |
Glory, glory Hallelujah |
(bereits viel früher und) // Ronny |
Hämmerchen Polka |
Heinz Erhardt // Chris Howland |
Heißer Sand und ein verlorenes Land, und ein Leben |
Mina Mazzini |
Iwan Iwanowitsch |
Anna-Lena Löfgren, Schweden |
Jeden Abend an der Ecke heulen Motorräder auf, und |
Gerd Rauter |
Junge, komm bald wieder, bald wieder nach Haus, J. |
Freddy Quinn |
Just tell her Jim said Hello |
Elvis Presley |
Kenn ein Land, irgendwo, scheint alle Tage die Sonne |
Ronny |
Kiss me quick |
Elvis Presley |
Lady Sunshine und Mister Moon |
Conny Froboess + Peter Weck // Ruth + Evelyn |
Lass' die Liebe, die große Liebe aus dem Spiel |
Anita Lindblom // Helen Shapiro? |
Let's dance |
Chris Montez |
Limbo Rock, Every night ... |
Chubby Checker |
Let's Twist again. Come let's .. |
Chubby Checker |
Locomotion, come Baby to the L. |
Little Eva |
Love me do |
The Beatles |
Love me tender, love me sweet |
Connie Francis // Elvis Presley |
Medehav och Sol // Melodien und Sonnenschein |
Lil Malmkwist |
Mexico |
Bob Moore |
Mit Siebzehn |
Peter Kraus |
II:Monsieur:II ich habe Sie erkannt. II:M.:II Sie sind... |
Petula Clark |
Oh, Lago Maggiore |
Rica Déus |
Oh, Mein Bräutigam, der macht mir Sorgen, doch wenn er heut' nicht kommt, verschieben wir's auf m. |
West: Anna-Lena Löfgren, Ost: Karin Prohaska // Rica Deus |
Ohne Krimi geht die Mimmi nie ins Bett |
Bill Ramsey |
Oh when the saint, go marching in |
Louis Armstrong |
Only you |
Elvis Presley // Brenda Lee |
Paradiso unterm Sternenzelt, Paradies am Palmen. |
Connie Francis |
Peppermint-Twist. Wisst ihr, wo ich gestern Abend war |
Caterina + Silvio Fr.// Vince Taylor // The Sweet // Chubby Checker |
Popocatepetl-Twist |
Caterina Valente + S. Francesco |
Please, Please me (Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr, George Harrison) |
The Beatles, das sind <---- |
Quando. Sag mir Quando, sag mir wann ich dich wiedersehen kann. |
Caterina V. + Silvio Francesco // Tony Renis |
II:Renata:II, ich sing dir heut‘ keine Serenada, weil man beim Singen nicht küssen kann |
Vico Torriani |
Return to sender |
Elvis Presley |
Ricki-Ticki-Tim |
Ruth Brandin, Orch. G. Gollasch |
Sag no zu ihm . Wenn einer kommt und dir erklärt, ich |
Cliff Richard |
Saint Tropez Twist |
Peppino di Capri |
II:Salute:II oh, Carolina du bist wunderschön, ich muss |
Perikles Fotopoulos, Columbia |
„Skip do ba do my Darling“ |
Nat King Cole |
Speedy Gonzales. In einer kleinen Stadt in Mexico lebte die schöne Juanita, doch sie war nicht froh. Sie |
Pat Boone // Rex Gildow // Peppino di Capri |
Spiel noch einmal für mich Habanero |
Caterina Valente |
Steig in das Traumboot der Liebe |
Caterina Valente |
Stranger on the shore |
Mr. Acker Bilk |
St. Tropez-Twist |
Peppino di Capri |
Süßer kleiner Teufel. Ich lieb' dich, s. k.T. Morgens in |
Hartmut Eichler |
Sweety, wo schaust du denn nur hin, sweety, was hast |
Peter Kraus |
Täglich ein paar nette Worte |
Hartmut Eichler |
Tanze mit mir in den Morgen, tanze mit mir in das Glück |
Karlheinz Reichert // Gerhard Wendland |
Telestar. Irgendwann erwacht ein neuer Tag (Anlässlich der Inbetriebnahme des Fernseh- und Telefon-Satelliten zwischen Amerika und West-Europa) |
Camillo Felgen |
The locomotion |
Little Eva |
II: Treu sein :II muss ein Mann, dem ich mich für's L. |
Bärbel Wachholz |
Wenn du gehst. Bleib' bei mir und sei mein, lass' mich |
Connie Francis |
Wenn wir zwei uns wiedersehn, dann wird alles wieder schön – im September. |
Vivi (Vivienne) Bach |
Weißer Holunder erblühte im Garten |
Bärbel Wachholz // Lolita |
Zwei kleine Italiener. Eine Reise in den Süden ist für |
Conny Froboess |
Zwischendurch schaue ich mal auf die Uhr: Es ist jetzt April oder auch Ostermond und für diese Zeit klären uns die bäuerlichen Erkenntnisse auf:
Ein Wind in der Nacht – am Tage Wasser macht. Helle Wolken, wenig Regen – dunkle Wolken bringen Segen. Stößt der April gar wild ins Horn, so steht es gut um Heu und Korn. Ist der Aprilis feucht und kalt – wächst unser Korn grad wie ein Wald. Ist vierter Monat kalt und trocken, lässt er dann alles Wachstum stocken.
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Aus dem Angebot der Lieder des Jahres 1963 wählten wir auch einige:
In der DDR wird der Tanz „Patschula“ aus Ungarn eingeführt und der „Letkiss“, nach einem finnischen Volkstanz vorgestellt. |
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Abends kommen die Sterne und die Schiffe zum Hafen |
Jane Sward // Bärbel Wachholz |
Aber dich gibt’s nur einmal für mich |
Rocco Granata // Semino Rossi |
A taste of Honey // Ein Kuss zum Abschied |
Esther Ofarim // The Beatles |
Atlantis |
The Apaches // The Shadows |
Ave Maria (als Calypso). Immer wieder sind es jene alten L. |
Perikles Fotopoulos, Die Perdidos |
Barcarole in der Nacht, du hast Tränen mir gebracht. Er |
Connie Francis // Elly de Wit |
Blowing in the Wind |
Peter, Paul and Mary |
Blue Bayou |
Roy Orbison // Paola |
Buona Notte Bambino mio |
Rocca Granata, geb. in Süditalien, Sohn belgischer Einwanderer. |
II:Casanova baciami:II Casanova kisse me. Sind auch |
Petula Clark / Erika Bartova |
Café Oriental. Im Orient gibt's ein Lokal - das Café O. |
Bill Ramsey |
Cape Town Boy |
Bärbel Wachholz |
Cha Cha Ballahoo |
Esther & Abi Ofarim |
Cherio, I love him |
Petula Clark |
Cotton fields (Baumwollfelder) … man kann heut' viele tausend Meilen in entfernte Länder reisen, doch darauf |
Esther & Abi Ofarim |
Da doo ron ron |
Ted Herold |
Wenn du willst ... Das kannst du mir nicht verbieten, dich zu lieben alle Zeit, ganz genauso wie heut' ... |
Bernd Spier // Ulli Martin |
Der Platz neben mir ist leer, ich seh' deinen Schatten |
Sacha Distel // Hartmut Eichler |
Der Schatz im Silbersee |
Medium-Terzett |
Dirty old town |
Esther und Abraham Ofarim |
Doch Betty kann so furchtbar lieb sein |
Volkmar Böhm |
Dominique, geht so fröhlich durch die Welt |
Schwester Soeur Sourire, Nonne |
Do you want to know a secret |
The Beatles |
Drei Musketiere, die zieh'n um die Welt. Für sie ist |
Conny Froboess |
Du, du, du gehst vorüber |
Suzie Peereboom, NL / Schweden |
Ein Souvenir. Schenk' mir ein Bild von dir, gern, nimm' |
Peter Kraus + Conny Froboess |
Eldorado |
Vanna Oliveri (Frankreich) |
Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier, d'rum fahr' |
Paul Kuhn |
From me to you |
The Beatles |
Gaucho Mexicano – Im Tal der blauen Berge, da bau'n wir u |
Geschwister R. + W. Leismann |
Gehn sie aus, im Stadtpark, die Laternen |
G. Haenning und Rex Gildow |
Gib mein Herz mir wieder, bitte gib es mir zurück. Du hast |
Steffen Reuter |
II: Gitarren :II im Mai, Gitarren, die waren dabei. Sie werden |
Bärbel Wachholz |
How do you do it? |
Gerry & The Peacemakers |
Ich will 'nen Cowboy als Mann Gi meg en Cowboy til mann |
Gitte Haenning. * 1946, Wencke Myhre, Lil Malmkwist * 1938 |
Ich geh' noch zur Schule, ich hab' keine Zeit. Ich muss |
Manuela (Doris Wegener, * Berlin 1943, † 2001). |
Ich hab' die goldene Sonne und den Silbermond (aus dem Musical: Annie get your Gun). |
Heidi Brühl |
I want to hold your hand / Komm, gib mir deine Hand (Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr, George Harrison) |
The Beatles |
I will follow him |
Peggy March |
II: Johnny komm' :II und erzähl' mir 'was aber II: bitte :II was Originaltitel: Johnny loves me. |
Suzie Peereboom |
Junge komm‘ bald wieder, bald wieder nach Haus', Junge |
Freddy Quinn |
Kiss me quick |
Elvis Presley |
Kleines Haus am Wald (ein Twist nach dem Volkslied) |
|
Liebeskummer lohnt sich nicht my Darling. Schade um |
Siw Malmquist, Helga Brauer |
Little Child |
The Beatles |
Love me Tonight |
Elvis Presley |
Meine große Liebe wohnt in einer kleinen Stadt |
Eden Kane (oder Kent?) |
Melodie einer Nacht, sie begann wie ein Traum … bleibe |
Esther & Abi Ofarim |
Misery |
The Beatles |
Mister Casanova, mit dem schwarzen Haar, ist, was du |
Siw Malmquist // Ruth+Evelyn |
Mitsou, mein ganzes Glück bist du. Laternen in den |
Jaqueline Boyer |
II: Monsieur :II ich habe Sie erkannt. Sie sind galant und |
Nicole Felix |
II: Muss i denn :II zum Städtele hinaus |
Volkslied // Elvis Pr. // G. Backus |
Ob in Bombay, ob in Rio |
Margot Eskens |
Okay, ich sage nicht nee |
Lil Malmkwist |
O Waly waly |
Esther Ofarim |
Pense á moi |
France Gall |
Papagei-Twist. Allerlei hat der Papagei mir von dir erzählt |
Ruth Brandin |
Please, Mister Postmann |
The Beatles |
Poetry in motion |
Johnny Tillotson |
Put your Head on my Shoulder |
Paul Anka |
Ring of fire |
Johnny Cash |
Robinson, du hast keine Ahnung, du weißt nicht |
Vanna Olivieri |
Rote Lippen soll man küssen . Ich sah ein schönes Fräulein |
G. Backus / Cl. Richard / P. Kraus |
Roter Mohn wird wieder blüh‘n |
Heidi Kempa |
Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben? |
Neuauflage: Marlene Dietrich |
Schuld war nur der Bossa Nova. Als die kleine Jane |
Manuela (Doris Wegener, * 1943, † 2001) // Liane Monti |
Schwarzer Kater Stanislaus, schnurre di burre di bumm |
Helga Brauer (1936 – 1991) |
Seemann, deine Heimat ist das Meer |
Lolita |
Sheila |
Tommy Roe |
She loves you, yeah, yeah, yeah (Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr, George Harrison) |
The Beatles: Das war ihre erste goldene Schallplatte |
Sole, Sole, Sole heißt die liebe Sonne. Immer scheint sie, wenn ich zu dir komme - Der Himmel sieht blau aus, |
Caterina Valente // Bärbel Wachholz |
II:Sugar Baby:II, sei doch lieb zu mir |
Peter Kraus |
Täglich ein paar nette Worte |
Hartmut Eichler |
The ring of fire |
Johnny Cash |
Tino |
Peggy March |
Verliebt, verlobt, verheiratet, so heißt das Spiel zu zwei'n |
Conny Froboess |
Vom Stadtpark die Laternen. Geh'n sie aus im Stadtpark |
Gitte Haenning + Rex Gildo |
Warum scheinen heut' die Sterne so hell? |
Die Rockies |
Wenn erst der Abend kommt |
Peter Alexander |
Wenn ich ein Junge wär, mit einem Motorrad, dann wär' |
Rita Pavone |
Why |
The Beatles |
II:Wini-wini:II, II:wana-wana:II Die Trommel ruft zum Tanz. |
Waikiki Tamoure // Thahiti Tamoures // Jane Sward, Schweden |
You really Got hold on me |
The Beatles |
Schluss nun mit dieser Aufstellung. Weitere Schlagertitel anderer Jahre könnt ihr auf der gleichen Internetseite www.janecke.name unter „Unterhaltungsmusik“ finden. –
Es drängt mich sehr, hier eine Notiz über die im Herbst '62 weltpolitisch brisanten Ereignisse einzufügen: Die Kuba-Krise. Es war etwa so, dass sich im 1962-er Jahr die sowjetische Regierung, also bloß zur Verteidigung des eigenen Landes anschickte, auf der fernen Insel Kuba etwas Militärisches zu installieren. Also „vor der Haustür“ der USA. Das Militärische, was dort bei San Cristobal Einzug hielt, waren etwa 40.000 fast allseits befreundete Sowjetsoldaten und zahlreiche Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen – in einer solchen Anzahl und möglichen Wirkkraft, die nicht mit den schrecklichen beiden „kleinen Bomben“, die 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, vergleichbar wären. Der Aufklärung der USA blieben der emsige Schiffsverkehr und auch der Bau von Startrampen für die Raketen aber nicht verborgen. So erfolgte ein eiliges diplomatisches Gezerre zwischen den militärischen Supermächten mit den entsprechenden Drohgebärden und den zahlreichen dazwischen liegenden menschlichen Schwachstellen wie Flugzeugpiloten, Schiffskommandanten, Geheimdienst-Mitarbeiter, bei denen ein Denk-, Befehls- oder Handlungsfehler genauso wie eine Fehlhandlung auf höchster Regierungsebene, einen Dritten Weltkrieg hätten auslösen können ... und dazwischen auch noch unser DDR-Urlauberschiff „Völkerfreundschaft“, dessen Genosse Kapitän absichtlich den Sperrgürtel der amerikanischen Kriegs-Schiffe vor Kuba, die die sowjetischen Waffentransporte abweisen sollten, ignorierte. Der Genosse Kapitän wollte dem USA-Militär die sozialistische Stärke und den verdienstvollen DDR-Werktätigen auf dem Urlauberschiff die Insel Kuba ein Stück näherbringen. Es gab also eine Anzahl von Punkten, die als kriegsauslösendes Moment hätten wirken können.
In unserem Unterricht fand sich kein Platz, ein solches aktuelles Thema zu erörtern – es passte weder in die Fächer Deutsch, noch in Staatsbürgerkunde oder in die Geschichte der Arbeiterklasse hinein – in Acker- und Pflanzenbau oder Tierhaltung wollte es sich ebenfalls nicht unterbringen lassen. Es war nicht die richtige Zeit – es gab wohl noch keine Direktive aus Moskau, keine Vorgabe aus Berlin als Hauptstadt der DDR war bis nach Großbeuthen gedrungen, in welcher Art und Weise diese Problematik erwähnt werden dürfe oder gar zu diskutieren sei.
Wir hatten ja auch ohnehin genug damit zu tun, ideologisch bewusst die Kartoffeln zu sammeln und mit durchaus klarem Klassenstandpunkt den Schweinestall richtig auszumisten.
Es schien so „als sei >man< klassenbewust und stark verunsichert“. Ein militärischer Konflikt hätte wahrscheinlich auch uns, an der Nahtstelle zwischen den politischen Weltsystemen wohnend, stark betroffen – möglicher Weise zunichte gemacht.
Letztendlich wurde der gefährliche Konflikt Ende Oktober mit dem Ultimatum des Präsidenten John Fitzgerald Kennedy an den Ministerpräsidenten Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, dieses Vorhaben sofort aufzugeben, beigelegt. Letzterer war so klug und gab den Befehl, die Bauarbeiten auf Kuba einzustellen und die Raketen mit ihrer todbringenden Fracht in die Sowjetunion zurückzuholen, und ebenso, die dort inzwischen auf Kuba stationierte Sowjetarmee. – Die USA holten dagegen die in der Türkei stationierten Waffen zurück – wenn ich die einseitig dürren Informationen richtig zusammenreimte.
An DDR-Weltliteratur gab es damals ganz frisch den sozialistischen Jugendroman „Egon und das achte Weltwunder“. Ich sah das nämlich ausschnittsweise höchst aktuell, als ich der zauberhaften Gabriele beim Lesen über die Schulter blickte. In dem Buch geht es um des Egon Brümmers Wandlung innerhalb weniger Tage vom Bau-Hilfsarbeiter, Kammblas-Bandmusiker und Rowdy – zum leuchtenden Vorbild für uns alle. Wie war das bloß möglich? Infolge des unvorhersehbaren Erwachens plötzlicher Liebe zur sozialistischen Arbeit und einer Verliebtheit zu Christine. Diese ist das achte Weltwunder. Eine Spielart von „realem märchenhaften Sozialismus“. Es liest sich wie ein Auftragswerk. Na, klar! Einen Erinnerungsgruß dazu wird 1966 Herbert Otto senden, wenn er Susanne Krug und Christian Smolny durch die „Zeit der Störche“ reisen lassen wird. –
Zurück nun aber in die Beuthener Lehrtage.
Mein kleines Zusatz-Reich im Lehrlingswohnheim war der Sanitätsraum im rechten Flügel des Erdgeschosses zur Hofseite, den ich übernommen hatte, um bei Bedarf so nebenbei in der Kleinchirurgie Gutes zu tun. So konnte ich das Erzieherkollektiv von einer ihrer schwierigsten, verantwortungsvollen Aufgaben etwas entlasten. Auch sollten meine veterinärmedizinischen Kenntnisse hier Anwendung finden und vorher hatte ich in der Schule sowieso die Arbeitsgemeinschaft „Junge Sanitäter“ angeleitet. Selbst bei dieser „segensreichen Tätigkeit“ ging es für mich aber nicht ohne verschiedene Gewissenskonflikte ab. Beispielsweise meinte Werner Roh., im Winter wäre es unerlässlich (und nun ohne die Erzieherklippe endlich möglich), in diesem Sanitätsraum seinen emsig gepflegten Zimmerpflanzen die ihnen zustehenden Kur-Portionen an medizinisch-ultravioletter Höhensonne angedeihen zu lassen.
Zwischendurch aber rät uns Ludwig Uhland (1786–1862) das ebenfalls Wesentliche nicht zu vergessen, das uns als ein alter zu beherzigender Bauernspruch entgegenkommt:
Im Sommer such ein Liebchen dir in Garten und Gefild! Da sind die Tage lang genug. Da sind die Nächte mild. Im Winter muss der süße Bund schon fest geschlossen sein, So darfst nicht lange stehn im Schnee, bei kaltem Mondenschein.
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Im Keller des Wohnheims hatten wir für interessierte Spezialisten den GST-Raum (Gesellschaft für Sport und Technik). – Der Raum war ursprünglich nur als Kammer für vormilitärische Ausbildung gedacht. Hier konnten wir eine zeitlang des Nachts, also jeder der wenigen Eingeweihten und damit Zugelassenen unseres Clubs, ganz in Ruhe, völlig freizügig und ungegängelt von irgendwelchen diensthabenden Erziehern, den individuellen Neigungen nachgehen. Hier stand sogar ein einsatzbereites Funk-Gerät mit unerhörter Reichweite. Das soll uns aber nicht etwa an karnevalistische Freuden mit weiblichen Funkenmariechen erinnern, sondern eher an Herrn Samuel Morse. Wenn ihr auch mal dort hinein wollt – der Schlüssel hängt im Erzieherzimmer – von dort bekommt ihr ihn nicht. Aber den Zweitschlüssel hat Joachim. Diese heimliche Freizeittätigkeit im Heim ging solange gut, bis man davon auch mal etwas in offiziellen Radioprogrammen hörte. Also gut sprachlich allgemeinverständlich, ohne Morsekenntnisse. Über Dritte kam das selbst dem gestandenen Beuthener Landarbeiter und Fuhrwerkslenker Norbert zu Ohren und einer der letzten Radiohörer war Lehrer Brandt in seinem Zimmer eine Treppe höher über uns, der mit seinem plötzlichen und unerwarteten Besuch dem frohen Treiben vorsichtshalber ein jähes Ende bereitete. Wohl zu unser aller Glück – es hätte daraus sehr schnell eine zu große politisch aufgeblähte Sache werden können ... nicht auszudenken. Also: Schade und Danke!
Ein Blick zurück! Mein Großvater mütterlicherseits, der Potsdamer Schlosser und Elektrotechniker Max Sommer (1875 bis 1945 – meine Mutter also, war ein geborenes Fräulein Sommer) war 1897 handwerklich daran beteiligt, als unter der Leitung von Professor Slaby und Graf Arco von der Technischen Hochschule Charlottenburg bei Berlin, nach vielen Mühen der erste deutsche Funkspruch völlig ohne Draht, also durch den „Äther“ gesandt wurde. Das war in Potsdam. Vom Campagnile (freistehender Turm) der Sacrower Heilandskirche wurde gesendet, über den Jungfernsee hinweg, zur Kaiserlich-Königlichen Matrosenstation, dem kleinen „Wasserbahnhof“ für Schiffe an der Schwanenallee am „Neuen Garten“ als Empfangsort. Diese damalige große Mühe! Dort unter des Kaisers Wilhelm II. majestätisch-kritischen Augen wurden die Morse-Striche und -Punkte dechiffriert und ihm der kurze Text vorgelesen, der unsichtbar über den See geeilt war:
„Die Welt am Ende des Jahrhunderts steht im Zeichen des Verkehrs.“ So war das damals!
Ja genau, das war mein Opa Maxe, dessen Betrieb, wegen des großen Arbeitsumfanges vereint mit weiteren Firmen, auch die Kronleuchter im „Neuen Palais“, am westlicher Rande des Parks von Sanssouci liegend, von den ststs kleiner werdenden Wachskerzen auf elektrische Glühlampen umrüstete, ohne dass von der gesamten Technik etwas störend zu sehen sein durfte. Kaiser Wilhelm II. dankte es ihm – wie viel zu vielen anderen auch – indem er sie anschließend in einen geplanten Kurzkrieg schickte, der dann von 1914 bis 1918 währte. Mein Großvater Max beschäftigte sich also nicht ausschließlich mit der Funktechnik.
Heutzutage lötet Claus K. in Großbeuthen so etwas ganz locker schöpferisch zusammen, mit beträchtlicher Sendeleistung und sogar als Sprechverbindung. Damals, 1897 zeigte der Funk-„Spruch“ ja nur Morsezeichen auf dem Papierstreifen. Hätte nun Claus eine solche moderne Präsentation doch auch noch dem Kaiser zeigen können oder besser noch: dem Staatsratsvorsitzenden ... Ihr wisst ja – wir haben ihn seit zwei Jahren als Nachfolger des Präsidenten Wilhelm Pieck – ach – oder besser doch nicht alles zeigen, wer weiß?
In der Beuthener Dorfstraße wurde von vielen gern und lange die Gaststätte „Zu den drei Linden“ bei „Mutter Spiesecke und Sohn“ besucht. Manchmal so lange, wie das Geld reichte. Bei eingeladenen Mädchen schmolz deren Guthaben langsamer. Man kann auch angesichts der oft weit vorgerückten Stunden sagen, dass die Wirtsleute von den Heim-Lehrlingen regelrecht „heimgesucht“ wurden. Es gab zwar die festgelegte Schließzeit aber mitunter fragte man sich doch ernsthaft: warum jetzt überhaupt noch schlafen gehen, wenn man gegen 3.00 Uhr sowieso die Frühstücksvorbereitungen zu treffen hat, um pünktlich, frisch und munter in den Kuhstall zu gehen. Viel später mutieren dann die „Drei Linden“ „Zum braunen Ross“ und jenes wurde dann vom Ehepaar Batke bewirtschaftet – und jener Kulturbereich blieb leider völlig ohne Linden.
Essen gab es im Heim stets ausreichend aber manchmal bestand ein Sonderbedarf an Luxus. Hilfreich war da – „der KONSUM hat alles!“ Die Verkaufsstelle schräg gegenüber der Gaststätte, einige Stufen hoch. Nach der politischen Wende 1989 machte sich dann niemand mehr Sorgen um die Versorgung der Menschen. Die Einkaufsstätte wurde geschlossen und zum Wohngebäude umgerüstet – die Kneipe ebenso. Wann genau weiß ich nicht, denn ich kam in späteren Zeiten nur in größeren Abständen zum Besuch nach Großbeuthen.
Aus dem Ausbildungs-Alltag (Tierwirtschaft)
Als wir in Großbeuthen die Lehrzeit begannen, ging gerade der so schmerzhaft-dümmliche Versuch mit Rinder-Offenställen, der im Jahre 1958 begonnen hatte, zur Neige. Von diesem hatten sich die, die Landwirtschaft Planenden, die mitunter völlig berufsfremden Genossen gegenseitig versprochen, dass sich das schwarz-weiße DDR-Niederungs-Milchvieh ganz schnell freiwillig zu polarharten Pelztieren qualifizieren wird, wenn man im Winter nur die Stalltür fest genug verschließt und die Lebewesen draußen erkalten lässt. Zum Teil ließen die Tiere sich an den Hufen aber noch mit der Spitzhacke aus dem Eis schlagen, weiß die junge Geschichtsschreibung. Darüber gab es manche schlimmen Berichte.
Woher und von wem solche zentralen Anweisungen kamen, die dem weiteren Aufblühen des Sozialismus dienen sollten, wissen wir zur Genüge. Wie aber kann es aber sein, dass den Anordnenden und deren Entscheidungs-Vorbereitern die jeweils erforderliche Fachkenntnis fehlte oder warum auch jene nicht auf die Leute hörten, die ihr Fach von der Pike auf gelernt und jahrzehntelang erfolgreich ausgeübt hatten? Auf diese Frage werden wir immer wieder zurückkommen müssen, schon deshalb, weil diese so Wichtige unbeantwortet blieb.
Vielleicht hatte jemand der befehlenden Laien, jemand dieser „Spezialisten“, mal „ganz aus der Ferne“ davon gehört, dass sich im hohen skandinavischen Norden wilde Fjäll-Rinder ganzjährig in der freien Natur aufhalten, sich selber überhaupt keinen Stall bauen. Die Bisons / Büffel, die Wisente und auch Elche ... können auch bei winterlichen Entbehrungen so leben – wenn's für sie auch hart ist.
Unsere Hauskühe (die Rauhfutter verzehrende Großvieheinheit, sagt Jochen Petersdorf) können das nicht! Das wusste „man“ – also „der kleine Mann“, das bäuerliche Volk. Das Thema hätte sich generell viel schneller und für die Tiere freundlicher erledigt, hätte man die anweisenden Funktionäre mit ähnlicher Körpertemperatur, ähnlicher „Bekleidung“, bei -10°C nur wenige Tage und Nächte in im knöchelhohen Hart-Schlamm außen vor der Haustür stehend angebunden.
Den meisten der viehverständigen Landwirte gefiel diese Tierquälerei wohl nicht und auch schon solch ein Umstand war mal wieder einer der Gründe, der Bürger zum Verbrechen des Versuchs der Flucht aus der DDRepublik anregte, dazu trieb – zumindest bis zum 13. August des Vorjahres '61. Für jene, die es später dennoch versuchten, bestand ein genügendes Angebot an Gefängnisplätzen, um nun solche widerspenstigen Menschen ebenfalls und noch gezielter zu quälen. Aber eine größere Anzahl duckte sich wohl einfach und fügte sich, tat das Angeordnete, tat widerwillig das ihnen widersinnig Erscheinende, dem bösen Scheinfrieden zuliebe – wie so oft.
Der Überzahl unserer Lehrlinge hätte man die neue Einsicht zum Unsinn der untauglichen Rinder-Offenstall-Methode nicht im Unterricht vermitteln müssen. Das aber tat vorsichtshalber auch ohnehin niemand.
Unser Ziel ist ein uneingeschränktes Einvernehmen mit dem Wohl und dem ungebrochenen Lebensgefühl des Tieres, das alles Gute in uns erklingen lassen sollte.
Franz Marc, Kunstmaler, * München 1880 bis † vor Verdun 1916, als Soldat im Ersten Weltkrieg.
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Schade auch, aber genau in dieses Bild passend, dass unser theoretisches neues Schulwissen, beispielsweise bezüglich der gründlichen täglichen Euterpflege (warmes Wasser, Trocknung, Massage mit Melkfett – eben, das fachgerechte „Anrüsten“ vor dem Melken) von den Ausbildern, den Meistern ihres Faches, die vor uns aus denselben oder vergleichbaren Büchern gelernt hatten, nicht praktiziert wurde. Und auch uns Lehrlingen fehlte dafür die Zeitvorgabe. Ferner hatten wir überhaupt nicht die vorgenannten Mittel (warmes Wasser, saubere Tücher, Melkfett) zur Verfügung, um so zu arbeiten, wie es das Lehrbuch, wie es das Fachwissen schlicht vorgab oder wie es die lange Einzelbauernschaft wohl wissend praktizierte. Mit derartigen Widersprüchen konnte man die „Spezialisten“ des Volkseigenen Betriebes nicht konfrontieren, um Gehör zu finden, denn sie befanden sich selber in einer Zwickmühle äußeren Drucks gegenüber dem eigenem Wissen – oder in einer gewissen Gleichgültigkeit. Da keimte dann bei uns das Reden von „Marx in der Theorie“ und von „Murks in der Praxis“ auf. Nichts aber ist umsonst in der Welt: Wir hoben das Angelernte im Kopf sorgfältig für die theoretische Prüfung auf – obwohl wir es eigentlich im täglichen Tier-Leben und damit auch in unserem Leben anwenden wollten. –
Die Kühe befanden sich im Anbindestall fest an ihrem Ort, zumindest im Winterhalbjahr Tag und Nacht, Woche für Woche, Monat um Monat fest auf der Stelle auf dem Betonboden, ohne laufen zu können – also unter extremer Bewegungsarmut, was für die Gesundheit, das Wohlbefinden eine Quälerei darstellt und auch die Milchleistung nicht erhöht.
Ja doch, mir ist z. B. von Besuchen in Bayern, also „im Westen“, ein halbes Jahrhundert später, bekannt, dass die Methode auch dann und dort immer noch ebenso „gepflegt“ wird. „Wie denn auch sonst? Das war doch schon immer so“.
Für das wirkliche Können gibt es nur einen Beweis: Das Richtige tun.
nach Marie von Ebner-Eschenbach, Schriftstellerin, 1830–1916
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Wir wissen ja: Mit Vorschlägen, mit kritischen aber konkret helfenden Hinweisen zur Verbesserung, konnte man die Führungsspitzen kaum erfreuen – das ging so bis nach oben in die Regierung und wurde von dort üblicher Weise und überschnell als „negativ-feindlich“ eingestuft. Oder wohl richtiger: Von dieser Regierung ging solches Verhalten, gingen derartige Fehlreaktionen aus, bis in die unterste Ebene. Wie sagte doch Ulbricht gern, wenn er am Ende seiner Argumente, seines „sächsischen Lateins“ war? „Wenn Sie nicht so wollen, wie ich ... dann sprechen wir uns woanders wieder.“ Woanders? Wo war das? – Er war doch als Staatsratsvorsitzender bereits die höchste Instanz. Der andere gemeinte Ort war dann die Gefängniszelle. Und es strebten wohl so einige Leute an, die Karriereleiter in diese befehlenden Regionen zu erklimmen.
Ein anderes Problem war das seltenere, wenn auch notwendige Vorstellen von Verletzungen beim Tierarzt – ich denke da nur allein an eine größere offene behandlungsbedürftige eiternde Wunde (mir unklarer Herkunft) mit Fliegenbesatz an einer Milchkuh. „Ob ein Tierarzt notwendig ist, das entscheidest nicht du, Lehrling!“ Das tat mir für das Tier weh. Ich hatte durchaus ernste Sorge um die Gesundheit der Kuh aber ebenfalls hatte ich das empfindliche Lebensmittel, die Milch, vor Augen und dann auch die Säuglinge und Kleinkinder, die diese Milch trinken sollten. Verhältnisse, die sich gegenseitig ausschlossen. Aber nur in der Theorie – die Praxis machte es durchaus möglich.
Wo immer ein Tier in den Dienst für den Menschen gezwungen wird, gehen die Leiden, die es erduldet, uns alle an.
Prof. Dr. Albert Schweitzer
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Ein gütiger Hinweis, ein Vorschlag, der auf einen unhaltbaren Zustand helfend einwirkt und einen einfachen Ausweg zeigt, ist keine gedankenlose Meckerei. Mißachtet man den Rat, nur weil er von einem Lehrling kommt, dann bleibt es so, obwohl deutlich als ungut erkannt. So unzureichend bleibt es, wie es ist und verschlimmert sich. Deshalb sollte man solche Hinweise auch annehmen – nicht diesen Vorschlag oder dessen Absender verwerfen. Die Ausbildenden konnten sich offenbar nicht vorstellen, dass auch ein Lehrling etwas weiß, sich Gedanken macht – in manchen Punkten wohl anders, manchmal auch beser, als der Ausbilder es in seinem Kopf hatte. Ich sah das nicht als schlimm an, erlebte in der Lehrzeit aber mehrmals eine unbegründete Ablehnung und vermisste den Fortschritt – das gemeinsame Voranschreiten zum Besten der Verhältnisse.
„Liebe Anne-Dore“, so fahre ich in meinem Brief fort, „Deine interessante Frage, ob ich derartige Zeilen auch schon Jahrzehnte früher, also „zeitgenössisch“ in dieser Art aufgeschrieben und veröffentlicht hätte, scheint mir normal und berechtigt. Nein, ist meine klare Antwort, hätte und habe ich nicht in dieser Art, nicht in dieser Form. Ich nutzte andere Ausdrucksweisen. Es hätte ohnehin anders ausgesehen, weil sich die Weite des eigenen Blickfeldes im Laufe der Jahre ändert, weil das Gewinnen weiterer Kenntnisse über jenen kleinen Teil der Gesamt-Ereignisse einen Prozess darstellt. Anwachsende eigene Erfahrungen verändern die Beschreibung eines Bildes. Letztendlich übt auch der sich verändernde Familienstand mit der Übernahme von Verantwortung für andere einen Einfluss aus. Ich hätte als politisch aufmerksamer, positiv denkender und freundlich-aktiv handelnder Mensch bereits wegen dieser Seiten hier ernsthafte Schwierigkeiten bekommen, – um es gelinde auszudrücken. Für das Gefängnisstrafmaß hätte ich nicht das Ende der Verhandlung abwarten brauchen – das hätte wohl bereits vorher, nach Katalog, festgestanden. Und ich gestehe es Dir freimütig: ich bin kein Märtyrer. Ich habe mich auf die mir gemäße Lebensart eingestellt und das getan, was mir möglich war, und so, wie es mir zweckmäßig erschien. Das bei immer neuen, meist erfolgreichen Versuchen, stets dem Guten zu dienen.
Einige Zeit nachdem John Fitzgerald Kennedy im Juni 1963 für wenige Stunden in West-Berlin weilte und vor dem Schöneberger Rathaus seine Rede hielt, die mit den Worten endete: „Ich bin ein Berliner“, entstand folgender Witz: Ulbricht und Kennedy sitzen zusammen beim Bier und tauschen Gedanken über ihre Hobbys aus. Kennedy: ... „ und ich sammele auch die Witze, die die Leute über mich machen“. Ulbricht erwidert: „Nu, da haben wir doch, ja?, sehr ähnliche Interessen. Ich sammele die Leute, die Witze über mich machen.“
Diese Darstellung ist keinesfalls übertrieben, auch wenn sich junge Menschen, die in der BRD aufgewachsen sind, oder heute, also viele Jahre später, hier aufwachsen, das gar nicht vorstellen können. Für einen politischen Witz den man erzählte, man musste nicht etwa der Urheber eines solchen Spaßes sein, konnte man für ein bis zwei Jahre ins Gefängsnis mit harter Zwangsarbeit kommen:
Ein Bekannter von mir war längere Zeit fort. Er wurde entfernt. Warum? Bei seiner Geburtstagsfeier in der kleinen, so freundlich-kumpelhaften Hausgemeinschaft hatte er zur unterhaltenden Umrahmung Musik vom Tonbandgerät gespielt. Dabei wurde auch etwas Alkohol getrunken – zumindest war die Aufmerksamkeit des gastgebenden Geburtstagskindes wohl nicht völlig auf dem benötigten Spitzenwert und die fröhliche Hausgemeinschaft hörte plötzlich zwischen den Musikbeiträgen vom Tonbandgerät den westdeutschen Entertainer und Komiker Peter Frankenfeld (Berlin 1913 – Hamburg 1979), der gerade einen Witz über einen DDR-Politiker zum Besten gab. Frankenfeld hatte die Lacher auf seiner Seite und niemand der kleinen Geburtstags-Gesellschaft schien Anstoß daran zu nehmen.
Manchmal ging auch mal einer hinaus, seine Blase zu entleeren – oder so.
Und einige Zeit später löste die von einem der lieben vertrauten Gäste still herbeigerufenen Volkspolizei die Feier auf und nahm das Tonbandgerät und dessen Besitzer „zur Klärung eines Sachverhalts“ in Gewahrsam. – Etwa eineinhalb Jahre später kam er zurück. Diese Zeitspanne kostete ihn die kurzzeitige, nur Sekunden währende, leichtfertige Unaufmerksamkeit. Er verbüßte diese Zeit im Gefängnis bei harter Straflagerarbeit in der Metallurgie, beim Erschmelzen von Roherz vor den Niederschachtöfen in Calbe. Das Tonbandgerät blieb „natürlich“ eingezogen, wurde vermutlich zum „Volkseigentum“ erklärt. Mit dem versehentlich abgespielten Witz hatte er die Arbeiterklasse der DDR beschmutzt und an die „Bonner Ultras“, die westdeutschen Militaristen, Revanchisten und Imperialisten verraten und in Tateinheit somit den Weltfrieden gefährdet ... möglicher Weise gab es noch weitere Anklagepunkte.
Ein größerer und stärkerer Geist wäre über solch ein Witzchen vom Tonband erhaben gewesen, hätte vielleicht darüber mitgeschmunzelt oder aber den Kopf geschüttelt. In der DDR zur Zeit des „kalten Krieges“ war das aber durchaus nicht so! Es war ein Straftatbestand!
Nun, Anne-Dore, mir ist die Meinung einiger Leute durchaus geläufig, die da sagen, dass ich hier meine Erinnerungen schlecht aufschreibe, weil in deren Gedanken- und Erlebniswelt über den Sozialismus vieles ganz anders lief und viel schöner war, als ich es an wenigen Beispielen hier erwähne. Jene meinen, dass die SED-Mitglieder, die Genossen Mitarbeiter besonderer „Staatlicher Organe“ nämlich überzeugte, klassenbewusste, grundehrliche Menschen waren und sind, die wohl alle nur das Beste wollten und auch taten / tuen. Sie hätten es nicht verdient, dass hier Punkte des täglichen Lebens kritisch betrachtet oder gar Vorschläge genannt werden, die mit den Führungsgedanken der SED-Parteifunktionäre nicht konform im Gleichschritt gehen. –
Gewiss gibt es viele Meinungen und unterschiedlichste Erfahrungen. Ich verfüge durchaus auch über gute Erfahrungen. Es gibt viele Teil-Wahrheiten und niemand sollte für sich in Anspruch nehmen die absolute Wahrheit zu besitzen und zu vertreten, geschweige denn, die eigene Ansicht mit Gewalt durchzusetzen.
Ich notiere Ereignisse und meine Gedanken über das Geschehen in meines Lebens Lauf in erster Linie für mich, um meinem Empfinden Ausdruck zu verleihen.
Ich schreibe es auf, um die Dauerhaftigkeit oder auch den Wandel meiner Gefühle den Gegebenheiten, den Situationen gegenüber, auch noch nach langer Zeit beobachten zu können.
Ich halte es fest, um prüfen zu können, ob es mir nach längerer Zeit der Wissensvermehrung, nach weiteren Erfahrungen, vielleicht so erscheint, dass ich mich in der damaligen Gegenwart irrte und ich deshalb später andere Einsichten gewinne oder Korrekturen für norwendig halte – oder aber Bestätigungen erfolgen. Auch das ist ganz natürlich eine Quelle für mein Verhalten in der Zukunft.
Die „Kommentare“, der Widerhall aus meinem Innern, zu den Gegebenheiten sind entscheidend für mich, für mein Erkennen, für die von mir empfundene Wahrheit und Gerechtigkeit im weitesten Sinne – also dieses ist mein Prinzip – nicht jene Ansichten und Vorgaben, die Herren wie U. und H. oder Damen wie Y. und Z. in uns einpflanzen wollten / wollen, egal, ob mit Lächeln oder mit Druck.
Ich muss vor mir bestehen können.
Das ist es. Ich stellte und lege jeweils meine Erfahrungen dar – und solche gibt es in größerer Bandbreite. Ich berichte an Beispielen über einige Facetten aus unserem Leben, die aus meinem eigenen Erleben stammen oder von Ereignissen aus meiner Umgebung. Es sind also nur kleine Ausschnitte aus der großen Menge von Beispielen aus der gängigen täglichen Praxis.
Es gibt Menschen, die auf vergleichbare Situationen mit ihren Augen, mit anders vorgeprägter Sichtweise und aus anderem Blickwinkel sahen und sehen – was Unterschiede in den individuellen Empfindungen erzeugt. Die Einen sehen eher dunkle Farbtöne, andere bewegen sich gerne in grauen Bereichen, wiederum weitere wählen zum Betrachten der Realität Brillen mit rosa eingefärbten Gläsern. Alle diese Verschiedenheiten tragen zu unterschiedlichen Beurteilungen des gleichen Geschehens. Hier ist Toleranz gefragt – so kann man sich „dem Objektiven“ nähern, nur so Ansichten bilden, die die Mehrheit der Menschen zu tragen bereit ist. Und ich weiß aber auch: Die Menschen vergessen im Laufe der Zeit. Harte Konturen werden oft gemildert, manchmal verschwimmen oder verschwinden sie, aber je nach der „Leute“ und Historiker Sym- oder Antipathien, werden sogar belegbare Tatsachen der Geschichte ins Gegenteil verkehrt – zumindest bei ausgewählten Beispielen.
Manchmal geht das sogar sehr schnell – denken wir nur an die letzten gestammelten Worte des Generals, des vormals gefürchteten Henkers, des Staatssicherheits-Ministers Erich Mielke, vor dem Parlament, den Abgeordneten der Volkskammer der DDR in deren Endphase: „Ich liebe euch, ich liebe euch doch alle“ – was nur noch mit bitterem Lachen der Volksvertreter beantwortet wurde.
Doch nun zurück zu den freundlichen Tieren in Großbeuthen!
Ich wiederhole für den gedanklichen Anschluss: Mich störte gleich am Anfang der Lehrzeit die Gestaltung eines Anbindestalls. Die Kühe stehen (abgesehen von der Sommerweide) Tag für Tag und Nacht für Nacht angebunden auf einem festen Platz, sofern sie sich nicht auf den Betonboden liegen. Woche um Woche. Monat für Monat, angekettet an der gleichen Stelle. Sie können sich kaum bewegen, also nicht etwa ein wenig umherlaufen. Das ist ihrer Gesundheit abträglich. – Man darf alles, angepasst, durchaus mit menschlichem Maß vergleichen – also: wie bekäme uns das?
Schon als Lehrling gefiel es mir nicht, dass die Tiere im feuchten Kot auf kaltem Beton (abgesehen von der Stroheinstreu) lagen. Das schon erzeugte Gefühle von Unwohlsein und Erkrankungen. Ich hatte ihnen zumindest Lattenroste gewünscht. Die Euter mit bakteriellem Kotkontakt – für das sehr sorgsam zu behandelnde Lebensmittel Milch – ein theoretisches Unding.
Zu
späterer Zeit wird es dann Versuche mit „Spaltenboden-Elementen“
aus Beton geben. –
Die tragenden Kühe in der Hoch-Tragezeit
(Tragezeit = Schwangerschaft) im Abkalbe-Stall. Nach dem Abkalben
(der Geburt) das Kälbchen sehr bald allein, abgesondert, ohne
mütterliche Wärme, Pflege und Zuwendung, die es im Bauch der Kuh
ein Dreivierteljahr hatte, nun Kälte, ohne körperliche und
seelische Stärkung seines Immunsystems. Ein schwerwiegender
Trennungsschmerz für beide Individuen, ein grausamer Eingriff in das
Leben – keinesfalls naturgegeben und artgerecht.
Und was meinen die ausbildenden Vorarbeiter sinngemäß zu einer solchen Frage? „Wir machen es so, wie wir es in der Praxis gelernt haben, so wie es Vorschrift ist. Was heißt hier Kuh- und Kalb-Bindung? Was hat das mit Wohlbefinden zu tun? – Die Kuh muss Leistung bringen, das ist ihr Lebenszweck. Bleib man schön auf dem Teppich und mach deine Arbeit".
Möglichst keine unbequemen Fragen nach einer Aufklärung, nach mehr Wissen, auch keine „neuen“ Gedanken oder Vorschläge äußern.
Aber alles Zweckmäßige als Unsinn abzutun, dagegen sprach nicht einmal nur die theoretische, hehre Wissenschaft, sondern auch der schlicht-gesunde Menschenverstand des Lehrlings. Die erfahrenen Genossen sahen vieles anders und gaben es so vor, wie ihr Horizont es ihnen ermöglichte.
Aber – aber später, viel später, werde ich erfahren, dass es in kapitalistischer Wirtschaftvergleichbar lief!
2005, erst 2005! werde ich im Fernsehen freudig eine Sendung verfolgen, in der ein „fortschrittlicher“ Rinderzüchter in Skandinavien dicke gelochte Gummiunterlagen einführt. Die Tiere ruhen nun viel lieber warm und trocken, entspannt ohne jeglichen Stress und sind gesund. Die Kühe werden nicht mehr angebunden, sondern dürfen sich im Stall bewegen, haben rotierende Reinigungs- und Massagebürsten an der Wand zu ihrer Verfügung, bekommen zeitweilig leise entspannende Musik im Stall zu hören und das Melken geschieht in Selbstbedienung, wenn die Kuh gemolken werden möchte, weil das Euter voll ist. Erfassung mit Infrarot-Sensoren, die signalisieren, wenn die Kuh den Melkstand betritt und die automatisierten Abläufe beginnen sollen.
Die Kühe fühlen sich sauwohl und sie geben sogar ganz freiwillig noch mehr Milch.
Wir glaubten damals als Lehrlinge, dass wir es gut und richtig machen würden, wenn wir könnten, es dürften, wenn wir über das „volkseigene Vieh“ hätten mitbestimmen dürfen oder wenn wir privat Tiere gehabt hätten – aber die staatliche Absicht bestand ja gerade in der Schulung und Festigung für die Einsicht in die „gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse und Notwendigkeiten“, z. B. des Kollektivierens der Bauern in LPG-en und der Landarbeiter in VEG', weil nach Angabe nur so und unter strenger Anleitung und den Vorgaben von Partei und Regierung, also unter deren „führender Rolle“, bessere Ergebnisse, als im freischaffendem Wachstum nach besten Erkenntnissen, erreicht werden könnten. Der Sozialismus wird mit der „Diktatur des Proletariats“ die Produktivität des Kapitalismus nun übertreffen, den Westen, die BRD, „überholen ohne sie einzuholen!“ heißt die aktuelle Devise. Jetzt! 1962. Hier und heute! – Bekanntgegeben hatte das Walter Ulbricht bereits am 20. August 1959 unter Bezugnahme auf den 7-Jahr-Plan der Volkswirtschaft:
„Die DDR wird auf allen wichtigen Gebieten der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Konsumgütern Westdeutschland einholen und zum Teil übertreffen!
Obwohl grundsätzlich die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung über das kapitalistische System in Westdeutschland schon jetzt feststeht, wird diese Überlegenheit in den nächsten Jahren auf allen Gebieten bewiesen und der Sozialismus durch die Vollendung des 7-Jahr-Planes (bis 1966) zum Siege geführt.“
Na ja, mal sehen – wollen wir alles Gute dazu tun, um es zu schaffen, diese Weissagung mit Leben zu erfüllen..
Alles, aber auch alles, die Vor- und Nachteile, die Missstände in der Praxis waren durchaus genannt und deshalb auch allgemein bekannt. Aber Irrtum, eine drakonische Fehl-Anordnung kam selten allein! Kam jedoch mit Durchsetzungsgewalt. – Halten wir uns doch lieber moralisch und fachlich die Augen und die Ohren zu. Halten wir uns lieber fest an dem glorreichen Lied:
„Die Partei, die Partei, die Partei hat immer recht“. In der SED haben wir die Genossen mit festem Klassenstandpunkt – die können sich nicht irren, die entscheiden nichts falsch, die haben immer recht!
So vieles führte wohl völlig unnötiger Weise dazu, dass der heroische zukunftsweisende Ruf:
„Der Sozialismus siegt“, von diesen Rufern in der Praxis mit Maßnahmen so umgesetzt wurde, dass es aus vielgestaltigen Gründen vom Volk leider übersetzt wurde, mit „Der Sozialismus siecht“.
Ich hätte mir einen fachlich-inhaltlich besseren und wahrhaft demokratischen, also freien Sozialstaat gewünscht. Doch es war schon immer so: Nicht alle Wünsche gehen vorerst in Erfüllung. Und manche nie. In einem Leben. –
Zur Arbeit bei den freundlichen Horntieren standen wir morgens um 3.00 Uhr aus den Betten auf, die Arbeit im Schweinestall ließ uns bis 5.00 Uhr ruhen.
Streng auf die Rinder bezogen, fallen mir als frühere namentliche Bekannte nur die beiden Zuchtbullen „Meister“ und „Danilo“ ein, die nicht bei den Milchkühen standen, sondern fein separiert vorne rechts auf dem Gutshof, gegenüber der Schnapsbrennerei ihren Stall hatten und den lieben langen Tag warteten und warteten. Aber nicht jeden Tag ohne ihren Einsatz.
Unsere Rinder erhielten die so genannte Schlämpe als Futterzusatz, suppige Rückstände der Schnapsbrennerei. Die war so dünn wie dicker Schlamm. Die Tiere lagen aber deshalb trotzdem nicht mehr als andere. Rum. Was aber war überhaupt mit diesem Schnaps los? Das war mir ein Rätsel. Nie habe ich im Sozialistischen Einzelhandel oder im Lehrlingswohnheim „Beuthener Goldwasser“ oder ein ähnliches Spitzenprodukt gesehen. Ich weiß: In der kurzen Zeit meiner Anwesenheit in Großbeuthen habe ich längst nicht alles erfahren. Mir fehlt noch vieles Wissen. Damals und heute. –
Gabriele teilt mir nun ein halbes Jahrhundert später auf meine erneute Frage kameradschaftlich ihre Kenntnisse mit. Sie verrät mir, dass diese Produkte langzeitig ausschließlich in der pharmazeutischen Produktion ihre Weiterverwendung fanden. So war das also, Aha!
Aber weshalb rechnete man dann die Erfolge einer „Schnaps-Brennerei“ ab und bezog sich nicht etwa auf die guten und harmlosen Ergebnisse einer „Alkanolischen Produktionslinie“?
Außerdem bekam das VEG als Futterzusatz zur Anreicherung des Speisezettels für die Tiere auch Zuckerrübenschnitzel. Die vegetarischen Schnitzel sind in Wirklichkeit mehr „Schnipsel“ oder bestenfalls „Schnetzel“. Diese stammen aus der Zuckerproduktion. So wie es Franz Carl Achard 1802 in seiner ersten Zuckersiederei auf Gut Kunern (an der Oder) vorgab, werden auch heute die Rüben gewaschen, zerschreddert, daraus Saft extrahiert usw. ... bis zum versandfertigen raffinierten Zuckerhut ... so wird es gemacht. Und was bedeutet: in seiner ersten Siederei? Es war die erste Fabrik auf diesem Erdball, in der aus Rüben Zucker gewonnen wurde. Der umtriebige Achard war „ein junger Neuerer“ in vielen Wissensgebieten. – Ach!
Die entsafteten Schnipsel werden also zum Tierfutterzusatz. Der Pansen der Rinder komme mit diesen vegetarischen Schnetzeln ausgezeichnet zurecht, sagt man. Übertreiben soll man es mit der Zufütterung trotzdem nicht. Denken wir allein an die potenziell mögliche Zunahme von Karies bei Rindern von dem vielem Zuckerzeug, an die weitere Verschlimmerung der ohnehn schon bestehenden Dauer-Durchfälle der Kühe. Auch soll sich die Volkskrankheit „Diabetes“ nun nicht auch noch unter dem Rindervolk ausbreiten. Ebenfalls sollen die Kühe ja keine Süßmilch produzieren. Für Pferde kommt das Abfallprodukt kaum zum Einsatz – höchstens als Kostprobe, vielleicht am Sonntag. Für Schweine gar nicht. Schweine ähneln in vieler Hinsicht sehr dem Menschen. Daher habe auch ich keine süßen Schnipsel gekaut.
Die Schweine wohnten zu jener Zeit (bis 1962) im Sommer in sogenannten Freiluft- „Schweinepilzen“. Hier aber scheint mir eine Warnung angebracht: Die humorvollen Wortschöpfer führen jeden Laien unter den Lesern auf einen sinnbildlichen Irrweg, denn die Vorstellung – „Aha! es handelt sich also um ein Bauwerk bestehend aus Stiel und Hut, etwa so, wie ein Steinpilz dreinschauend, nur eben hier eine Art „Holzpilz“, führt zu falschem Ziel, nämlich auf den Holzweg. Auch mit Trüffeln hat dieser „Schweinepilz“ im Aussehen nichts gemein und liegt selbst weit entfernt von einer kühlen Blonden mit einem „s“ an ihrem Ende.
Mein Aufklärungsversuch: Diese angebliche Pilz-Behausung sah in Wirklichkeit ungefähr so aus wie eine Jurte, die gerade auf- oder auch abgebaut wird. Ein Gestell also, durchsichtig und gut durchlüftet. Gefügt aus gewachsenem, kräftigen Stangenmaterial, wie es auch beim Bau der Einfriedung von Koppeln eingesetzt wird. Geschälte Stammstangen dünnerer Bäume. Der Durchmesser dieses Bauwerks – etwa 4 ... 5 Meter. In der Mitte ein Zentralmast und dessen oberes Ende als „Knotenpunkt“, als Auflager für die Sparren der Dachschrägen. Die Sparren deckelnd mit einer Sparschalung verbunden, belegt mit Reet / Rohr. Sehr schön anzusehen noch heute vor meinem „geistigen Auge“. – Ach was, ich lege euch einfach mal eine grobe Skizze in den Bildteil.
Diese „Pilze“ wurden während „unserer Zeit“ aber abgerissen. Die Tiere lebten dann in massiv gemauerten Schweinehäusern auf Betonboden mit einem kleinen Freiluft-Auslauf, einer angebauten „Terrasse“ sozusagen. Eine Sommer-Ferienreise in den Pilz war für sie dann nicht mehr aktuell.
In der Schweineküche gab es täglich (auch sonntags) ungepellte gesunde Pell-Kartoffeln aus dem garenden Dämpfer, dessen heiße Wolken uns beim Öffnen und Entleeren, besonders im Winter, für einige Zeit die Sicht nahmen und dessen Aroma dann den Schweinegeruch zeitweilig parfümierend überdeckte.
Ich sehe unseren alten Schweinemeister noch deutlich vor mir, das betagte aber superscharfe Vorkriegs-Küchenmesser in der Hand, mit dem er die unbetäubt schreienden Ferkel mit dem Geschick eines Chirurgen kastrierte. Die männlichen ihrer Art. Aber, so fragte ich mich als mitfühlender Interessent der Veterinärmedizin: Warum nehmen die Menschen die Kastration ohne örtliche Betäubung der Tiere vor? Millionenfach, Milliardenfach! Weil es den Vertretern erstgenannter Gruppe nicht weh tut?!! Das blöde Argument: „eine Narkose wäre zu zeitaufwendig und zu teuer, das kann sich niemand leisten“, zieht natürlich nicht. Eine Narkose sowieso nicht – eine kleine Spritze zur örtlichen Betäubung, würde den Kilopreis des späteren Schweinefleisches um maximal zwei Pfennige anheben. Es drängen sich mir auch Gedanken an Beschneidungen an den Menschen auf, die aus Gründen religiöser Tradition noch heute in einer Anzahl orientalischer Länder als üblich gelten. Aber dieses schmerzhafte unwürdige bisherige Verfahren wird unter den wissenden Spezialisten noch über das Jahr 2020 hinaus, als eine liebe praktizierte Gewohnheit angesehen. Es schmerzt ja schließlich nicht die Entscheidungsträger, diese Rechtsverzögerer. „Es gibt soviel anderes zu tun – vertagen wir dieses unangenehme Thema lieber auf später.“
Liebe bäuerliche Produktivkräfte! Vergesst bitte nicht den 06. Dezember / Julmond! Bei St. Nikolaus fallen Eigenheiten von Valentins- und Kindertag zusammen. Und noch mehr:
Gibt's Regen just zum Nikolaus, dann wird der Winter streng – oh, Graus.
Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit:
Ein trockener Sankt Nikolaus bringt milden Winter – rund ums Haus.
... und 20 Tage später soll es so sein:
Ist's zu Weihnachten recht mild – viel Kälte zu uns kommen will. Frostige Weihnacht, doch sonnig und klar, zeigt an ein günstiges neues Jahr.
Auf kalten Dezember mit reichlich Schnee, folgt ein gutes Jahr für Futter und Klee.
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Gegen die winterliche Kälte füllten wir unsere extra etwas größer gewählten Gummistiefel mit Stroh-Häcksel / „Kaff“ als Material zur Wärmedämmung für die Füße – und der Winter 1962 / '63 war ein strenger! In der letzten Januardekade fiel hier die Quecksilbersäule des Thermometers auf etwa -25°C! Auch in den ungeheizten Ställen war es nicht zu warm.
Mitten im Winter '62 zu '63 gab es einen Wechsel in der Schweinemeisterei, da der alte Ausbilder in das Rentnerdasein stapfte. In der Zeit nach seiner Ablösung kam er öfter zu Besuch – konnte noch nicht recht „loslassen“. Irgendwie tat er uns leid, von nun an als Gast zusehen zu müssen, wie sein großes Lebenswerk (es erinnert mich an den herrlichen „Zigeunerbaron“) nun von einem Jüngeren, dem Meister Kunze, leicht verändert weitergeführt wurde. Aber unser Mit-Trauern hielt nur kurz an, denn die alten Futtereimer mit den tief eingerissenen Rändern „flogen unter seiner Regie fort“ zu „Martin braucht Schrott“ (als Beigabe für den Siemens-Martin-Schmelzofen in der Eisenerzverhüttung in Unterwellenborn). Wir bekamen neue Eimer vom neuen Meister und erstmals jeder eine derbe Schürze, die unsere Arbeitskleidung vor der Verschmutzung und vor dem Durchnässen schützte, was sich besonders bei den winterlichen Minusgraden als angenehm zeigte. Der Wechsel brachte bei minimalem Aufwand, für uns einen erheblichen „Aufschwung“. Ja, ja, neue Besen kehren gut, sagen die Alten. Und siehe da – es lässt sich also tatsächlich manches Gute verwirklichen, wenn die Leitung es nur will – sogar bei permanent knappen Kassen. Wir waren dankbar dafür. Und die Gastbesuche des alten Meisters wurden, mit seiner Gewöhnung an das ruhige Dasein beim schmalen Ruhegeldempfang, seltener.
Geheimnisse aus dem bäuerlichen Erfahrungsschatz für den Monat Januar / Hartung:
Der Schnee, er ist ein wärmend Kleid, kommt er nur bald, zur rechten Zeit. Wenn's um Neujahr Regen gibt, um Ostern oft der Schnee noch liegt. Gab's bis Dreikönig (6. Januar) keinen Winter, so kommt auch keiner mehr dahinter.
Ist feucht und mild der Januar – sehr wenig taugt das ganze Jahr. Kommt der Januar uns gelind', Lenz und Sommer stürmisch sind. Gibt's im Hartung Mückentanz, verdirbt die Futterernte ganz. Der Januar muss vor Kälte krachen, wenn unsre Ernte gut soll sacken.
Steigt Nebel von gefror'nen Fließen, so ist auf strengen Frost zu schließen. Auf trocknen kalten Januar folgt sehr viel Schnee im Februar.
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Beispiele von Schildern in den Rinderställen, vor den Anbinde-Ständen der Kühe:
Ihr Personalausweis:
Kuh (Name):
Ohrmarke-Nr:________ geb. _____________ Stall-Nr. ____________
GT ________________ ZL ___________ Leuk. Stat: __________
Vater _______________________ Mutter ______________________
Gekalbt ____________________
besamt ____________________ TU ___________________________
X Leistung __________ kg Milch, ________% Fett, ___________kg Fett
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Datum |
Milch kg |
Fett % |
Eutervorn links vorn rechts |
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hinten links hinten rechts |
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Milchkuh: Emilie
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Rasse: Schwarzbuntes Niederungsvieh
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Vater: Danilo |
Mutter: Danula |
Besamt: (Trächtigkeit etwa 279 Tage) |
15. März 1962 |
Gekalbt: |
02. November 1962 |
Durchschnittliche Leistungen: |
13 kg Milch / d; 4.745 kg / a 3,96 % Fett 181 kg Fett im Jahr 3,37 % Eiweiß 165 kg Eiweiß im Jahr
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Normale Durchschnitts-Körpertemperatur: 38,5 – 39,5°C
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Beispiele für Schilder in den Schweineställen:
Das Betreten der Anlage ist nur den Viehpflegern gestattet und allen anderen Bürgern streng verboten!
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... und vor jeder Box:
Sau: Nr.: |
Gedeckt: |
Geferkelt: |
Wurf Stück: |
Abgesetzt Stück:
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Sau:
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Jolante |
Gedeckt: (Trächtigkeit 113 bis 116 Tage = 3 Monate + 3 Woch. + 3 Tage) |
20. Dezember 1962 |
Geferkelt: |
14. April 1963 |
Wurf: |
10 Ferkel |
Abgesetzt: (Nach 8 Wochen im Sommer, nach 11 Wochen im Winter) |
7 Ferkel am 17. Juni 62 3 Ferkel am 28. Juni 62 |
Normale Durchschnittswerte: Puls: 60 – 80 Schläge / Minute
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Temperatur: 38 – 39,5 °C |
Bucht Nr.
Datum |
Stück |
Fütterungs- gruppe |
Gewicht [kg] |
Gewichts- zunahme [kg] |
Zunahme je Schwein je Tag [g] |
Bemer- kungen |
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Zu den Schweineställen, die außerhalb des Dorfes in Richtung Kiesgrube lagen, fuhren wir mit den eigenen Fahrzeugen, zumeist auf unseren Rädern – viele mit Pedalen, manche mit einem Motor ausgestattet. – „Hallo, ihr lieben Schweine, wir sind bald bei euch, ihr könnt euch schon mal auf's Frühstück freuen." – Gewiss waren wir nicht frei von Jugend-Eseleien:
Im Winter, bei guten Schneeverhältnissen, zog selten auch mal ein Traktor in dunkel-früher Morgenstunde die gesamte Mannschaft auf einer Schleife oder Schleppe (einer großen Bohlenplattform auf Kufen) an einer Eisenkette hinter sich her – die verschneite, teils vereiste Straße entlang. – Aber, liebe Leser, bitte beachten – das ist hier keine Anregung! Ich erwähne das nur, weil im Moment keine „Weißen Mäuse“ zu sehen sind und ich schreibe das hier nur ganz leise und selbstkritisch, nicht ohne Scham auf – und nur als mahnendes Beispiel, mit der dringenden Warnung: Macht so etwas bitte nie nach!!! Es kann lebensgefährdend sein!!!
Die Straßenverkehrsordnung sieht solche Art von Personentransporten nicht vor – mithilfe einer Kette schon gar nicht. Sie verbietet so etwas prinzipiell zu recht. Das Ganze wäre seitens eines verantwortungsbewussten Traktor-Fahrers abgelehnt worden und wir polytechnisch vorgebildeten Jugendlichen hätten es bei ausreichender Überlegung wegen der technischen Unwägbarkeiten besser nicht praktizieren sollen.
Jeder Bauer hat so seine Regel – auch wenn das Wetter sich nicht immer danach richtet. Wir aber wollen die Erkenntnisse zu diesen drei Monaten nicht einfach unterschlagen. Nun denn: Die bäuerliche Kalenderkunde weißsagt uns für diese Zeit:
Der Februar hat seine Tücken – baut uns aus Eis oft feste Brücken. Wenns aber Nebel gibt im Februar, stehn wir im Regen das ganze Jahr. –––––––– Ein Märzenschnee, oh je – der tut den Saaten weh, doch lässt der März sich trocken an, gibt es bald Brot für jedermann. –––––––– Grollt der Donner im April, ist vorbei des Frostes Spiel. Zeigt der April sich windig und trocken, bringt er das Wachstum bald zum Stocken. Gibt‘s im April dann frischen Regen, kommt er der Pflanzen sehr gelegen.
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Aus dem Alltag (Pflanzenproduktion)
Eine der ersten Aufgaben zum Lehrbeginn war für unsere Arbeitsgruppe das Entladen eines großen 5-t-Anhängers, gefüllt mit Getreidekörnern. Dieser stand auf dem Gutshof vor der Schnapsbrenne ... pardon, vor dem „Brennerei-Gebäude für das Produzieren alkanolischen Destillats, in der Vorbereitung für die heilsamen Weiterbearbeitung in der pharmazeutischen Industrie“. Der Anhänger war kein Kipper – fünf Lehrlinge aus unserer Klasse hatten diesen leer zu schaufeln. Unser Lehrausbilder, der erfahrene Herr Ernst Lobbes, wies uns in die Arbeit ein und fuhr dann mit seinem Moped fort. – Später sah er wieder nach uns, als wir diesen Auftrag längst zu unserer Zufriedenheit erledigt hatten und über Erfahrungen aus unserer Vor-Lehrzeit sprachen. Sogleich zückte Herr Lobbes seine schwarze Kladde und verteilte die ersten Zensuren dieser Lehrzeit: Viermal eine 3 und einmal eine 1. Diese letzte Note erhielt Udo. Auf meine naiv-erstaunte Frage, wie diese hochqualitative Arbeitsbewertung zustande käme, für eine Leistung, bei der er als Ausbilder überhaupt nicht anwesend war, meinte er ruhig, überlegen und freundlich schmunzelnd: „Ich weiß: Udo kommt aus der Landwirtschaft, aus Paulinenaue, und ist schon älter und erfahren – ihr jüngeren Stadtjungen hattet doch noch nie eine Schaufel in der Hand. Ihr müsst den Umgang mit dem Werkzeug doch erst erlernen und üben. Ich brauche da nichts zu sehen. Vertraut nur meiner Erfahrung und meiner Menschenkenntnis!“ – Hoppla, solch ein Spruch – als Basis ausgerechnet für Vertrauen? „Na dann, Prost Mahlzeit, das kann ja gut werden“, dachte ich. Nicht: Anschauen und dann wissen, vielleicht helfend korrigieren und dann bewerten, sondern Vorurteil und diffuses Gefühl – so eine Art von Aberglauben an sich selbst oder „ein Wissen“ über die noch völlig unbekannten jungen Menschen durch gefühlte Hellseherei. Herr Landwirt Lobbes wusste mit jener Ahnung dann höchstwahrscheinlich auch, dass der Große Wissenschaftler des Acker- und Pflanzenbaus, Prof. Dr. Eilhard Alfred Mitscherlich (Nationalpreisträger 1. Klasse, Vaterländischer Verdienstorden in Gold), seine letzte Lebenszeit bis 1956 grad' dort in Paulinenaue als Leiter des „Institut zur Steigerung der Pflanzenerträge“ verbracht hat und er wird vielleicht auch recht sicher gefühlt haben, dass die Kenntnisse des Professors ja irgendwie auf unseren guten Udo abgefärbt haben müssten. Und deshalb eine „1“, na, dann ist ja alles klar –. Mit seiner Grundaussage hatte Herr Lobbes sowieso schon „so 'was von recht“ – Udo war ein Erfahrener, stand zum Lehrbeginn im 19. Lebensjahr und wir waren in der gleichen Klasse erst 16 Jahre alt, so auch ich, der noch völlig ungebildete Stadtjunge, der nach der Lobbes-Mutmaßung noch nie etwas von landwirtschaftlicher Tätigkeit gesehen hat. Ich hielt mich aber fein still zurück. Was hätte es gebracht, wenn ich beiläufig angemerkt hätte, dass ich bereits während zweier Jahre etwas in einem Volkseigenen landwirtschaftlichen Gut (VEG) gelernt und ebenfalls in jener Zeit, auch in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) den Umgang mit Schaufeln, Forken und Spaten geübt hatte. Deshalb kenne ich auch Kühe und Schweine hautnah und nicht nur aus dem Kinder-Bilderbuch. UTP, wurde das genannt – Unterricht in der sozialistischen Produktion. Das kannte Herr Landwirt Lobbes wohl nicht. Meine Jahre der täglichen mehrstündigen kleinlandwirtschaftlichen Kaninchenumsorgung in der Schule hätte ich sowieso unter den Tisch fallen lassen. Es waren also auch bei mir bereits mehrjährige „Bekanntschaften mit dem Land“ vorhanden. Das aber konnte das ansonsten hellseherische Auge des Lehrausbilders nicht erkennen und somit auch nicht in einer Bewertung berücksichtigen.
Und darüber hinaus: So etwas zu erwähnen, hätte mich wohl nicht auf das „Anfänger-Anlerntreppchen, 2. Stufe“, gehoben, sondern mein Diskussionsbeitrag wäre vermutlich als unangebrachte Angeberei angesehen worden und hätte mich eher in den Focus „besonderer Notwendigkeit des Beobachtens“ gerückt. Kurz: Ich sah voller Demut sofort ein, dass unser erfahrener Lehrausbilder den längeren Arm des doppelseitigen Hebels in seiner Hand hatte, der sich eben hier als Notizbleistift vergegenständlichte.
Mit der Art* und Weise der Bewertung unserer Leistungen blieb es dann auch das gesamte Jahr so. (* Der Begriff „Art“ ist hier bitte nicht mit „Kunst“ zu verwechseln). Es blieb deshalb so, weil (Zitat): „Ich euch die Möglichkeit geben muss, dass ihr euch mit den Noten bis zum Lehrabschluss ständig steigern könnt“, sagte er uns. Der Realität hätte er sich nach meinem Empfinden richtiger nähern können, wenn er gesagt hätte: „Ich will euch so gut anleiten, ich will mir selbst die Möglichkeit geben, dass ich eure Leistungen ansteigend benoten kann – wenn eure Leistungen es verdienen“. Aber Empfindungen zur Gerechtigkeit können unterschiedlich sein. Herr Lobbes war stets gleichbleibend ruhig und freundlich zu uns. Soviel zum ersten prägenden Tag der praktischen Berufsausbildung, „im Zweig der Pflanzenproduktion“.
Wenn wir im Sommer Heu- und Strohfuhren heimbrachten, fuhren wir oft mit drei Pferden. Die junge Rappenstute Karin („sie spielte rechts außen“) musste als Bei-Pferd öfter ernsthaft ermuntert werden, den Kopf beim Traben hochzunehmen, um die Gefahr des Stolperns zu mindern. Zu gern schaute sie in zügigem Lauf vielleicht nach Ameisen – oder Feuerwanzen? Man war um sie sowie um die gesamte Fuhre in steter Sorge. Aber sie verstand den Kutscher recht gut und korrigierte ihre Haltung – bis es ihr dann wieder aus dem Sinn ging. – Wenn ich mich richtig erinnere, fohlte Karin 1963 erstmals und wurde eine gute Pferde-Mutter.
Beim Einlagern von Stroh musste darauf geachtet werden, dass die Fuhren auf dem Wagen möglichst hoch aber nie zu hoch gepackt wurden, damit die quaderförmigen Pressballen beim zügigen Einfahren in die Halle nicht oben am „Torsturz“ hängenblieben und die Pferde bei solch einem unbeabsichtigten abrupten Stopp etwa auf der leicht schräg ansteigenden, glatten Betonfläche ausrutschten und stürzten.
Goldene Denksprüche zum Pflanzenbau und zur Nutztierhaltung für Lehrlinge, Meister und solche, die schon darüber hinausgekommen sind:
Gewiss, und ...
Na gut, dann gehe ich lieber zu den Kühen, da brauche ich erst morgens um 3.00 Uhr aus den Federn.
Ja, das wollen wir künfig gern beherzigen.
Auch in Pflege und Ernährung ist Vorbeugen besser als Heilen:
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Natürlich entsinne ich mich auch deutlich der Kartoffelernte auf den in der Länge und Breite nicht enden wollenden Schlägen (Ackerflächen) mit ihren leider recht niedrigen Ackerwertzahlen. Diese sind ein Kennzeichen für die Eigenschaften des Bodens, für dessen Qualität, als Grundlage zur Pflanzenernährung. In unseren Jahren bevorzugte man die Kartoffel-Sorten mit Vogelnamen, wie „Star“ und „Meise“. Des Morgens aus der kalten taufeuchten Erde geklaubt, die sich dann später mit dem Steigen der Sonne über der „Brandenburgischen Streusandbüchse“, als grauer märkischer „Zuckersand“ mit der Fachbezeichnung „Ranker“ zeigte.
Aber wieso überhaupt supergroße Feldflächen für „rationelles“ Bearbeiten? Hatten wir nicht, noch in der Schule, die Vergleiche der hässlich-profitsüchtigen kapitalistischen Großflächen-Wirtschaft mit Monokulturen und einer Bodenvernutzung kennengelernt – in Gegenüberstellung zur vorbildlichen sowjetischen Ackergestaltung, wo dort die Flächen als hübsch überschaubare „Beete“ angelegt werden? Diese Ackerbeete sind dort mittels Waldschutzstreifen getrennt und gegliedert. Mit Gehölz-Streifen und artenreichen Blüh-Wiesenzonen, die vielen Tierarten Lebensraum mit Nahrung und Unterschlupf bieten. Waldstreifen, die eine Winderosion der fruchtbaren Ackerkrume verhindern, dem Austrocknen der Böden wegen des Windeinflusses entgegenwirken. Die Gehölzstreifen stellen ganz hervorragende Wildwechsel-Verbindungen zwischen den großzügigen Wald- und Grünflächen dar, wo der Hirsch froh springt, das wilde Schwein es ähnlich hält, und wo die kriechenden Rächenwärmer, – diese regen Würmer, Insekten und Vögel sich ohne jegliche Pestizide tummeln können.
Farbenfrohe Drucke davon, von ganz echt gemalten Bildern, wenn auch keine Fotos, waren sogar in unserem Schul-Atlas enthalten. Traumhafte Verhältnisse im Sozialismus auf dem Weg zum Kommunismus! Wo sind bei uns in dieser Art gestaltete Ackerflächen (?) seit die belächelten „Handtuchfelder“ mit ihrer Artenvielfalt fort sind und mit denen auch die verhassten dummen aber enteigneten Junker und nun auch die Einzelbauern. – Wir haben das neue Gute, unser sozialistisches Vorbild, im Buch gesehen, wir wissen es also ... um es – nicht anzuwenden – wir machen es irgendwie und anders, eben „moderner“.
Doch es heißt: „Von Freunden sollt ihr lernen!“ Gab es diese Gestaltung damals, gibt es sie tatsächlich in der ruhmreichen Sowjetunion? Oder war das eher eine nur gemalte uns vorgegaukelte sagenhafte Vision? Nur ein Bild – für unsere Bildung?
Über Landschaftsgestaltung und Landschaftspflege, auch im vorgenannten Sinne, habe ich in Großbeuthen leider nichts gelernt. Kenntnisse darüber brauchte ich jedoch nicht auf Dauer zu entbehren. Außer dem autodidaktischen Bemühen gehörte das Jahre später auch zum Unterricht an der Dresdener Technischen Universität, wo ich einen Platz im ersten Studiengang des postgradualen Fernstudiums >Umweltschutz< belegen durfte. Auch dort gibt es sehr gute Lehrer.
Weiter in der Kartoffelernte: Die Maschinen hatten gute Vorarbeit für unser Knollensammeln geleistet: Der Schleuderrad-Roder hinter dem Traktor bot uns die Knollen vom kühnen Schwung seiner Rotations-Gabeln freigelegt und zur Seite gefegt zum Aufsammeln an. Ein Siebketten-Vorrats-Roder pflügte sie dagegen sanft aus dem Boden hoch und breitete die Kartoffeln in mindestens zwei Reihen hinter sich aus.
Oder man sammelt momentan nicht, sondern ist zeitweilig „Abträger“ der vollen Kiepen. Auch sitzt man mal auf dem Traktor „Pionier“ (40 PS) oder auf dem neueren „Famulus“, die die vollen Kartoffel-Wagen fortbringen oder man hockt auf dem leichten Geräteträger / Radschlepper RS 09, der zeitweilig trotz seiner nur 15-PS-Leistung als „Zugtier“ selbst für die schweren Kartoffelanhänger diente und er diese Aufgabe wegen seines 8-Gang-Zweirichtungs-Getriebes sogar gut bewältigte.
Wie schmeckte da doch zwischendurch das köstliche Mahl, die Kartoffelsuppe, an des Feldes Rain, den Aluminiumlöffel in der Suppe, mit den rauh-sandigen Fingern umgriffen. (Bitte mit dem Alu-Löffel nicht versehentlich an eine Amalgamzahnfüllung kommen – „so 'was verbindet“).
Landwirtschaftliche Güter oder Produktions-Genossenschaften, die nicht über ein Lehrlingsheer verfügten, so wie wir es waren, setzten bereits in „unserer Zeit“ Vollerntemaschinen, so genannte „Kartoffel-Kombines“ ein. Wir aber wollten ja das Sammeln der Kartoffeln und das Schleppen der Kiepen gern mehrjährig, erst mal so richtig gründlich „von der Pike auf“ erlernen und üben – abgesehen davon, dass auch während der zurückliegenden Schulzeit in den Herbstferien die Pflicht-Einsätze der Schüler als Erntehelfer bei der Kartoffelernte üblich waren. Die Lern-Tätgkeit war uns seit Jahren vertraut. Kombines kosten viel Geld.
Aus dem Almanach der Landwirte : Glückselig ist der Bauersmann, der's Wetter recht erkennen kann.
Für den Herbst:
Sieht man Vögel gar früh schon ziehn – vor baldiger Kälte diese flieh'n. Rüsten Schwalben und Störche sich zur Reis', dauerts nicht lange – dann kommt das Eis. (Aber gemach – doch noch nicht gleich!)
Für Monat Dezember oder Julmond:
Vieler Regen – wenig Schnee tun Feldern und den Bäumen weh. Die Erde muss ihr Bett-Tuch haben, soll sie der Winterschlummer laben. Nach reichlich Wind an Weihnachtstagen – auch reichlich Obst die Bäume tragen.
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Obschon das Jahr sich neigte, war bei weitem noch nicht „Plansilvester“ im Volkseigenen Gut. Na gut – als der Dezember-Schnee leise rieselte und andere Menschen an die Stille Nacht, Heilige Nacht oder an die sozialistische Jahresend-Feier dachten, wurde für uns gedacht, nun an die Ernte der Mohrrüben zu gehen. Erntezeit – schöne Zeit. Von Süßkartoffeln, die vor Zeiten wohl ausschließlich auf dem südamerikanischen Festland beheimatet waren, hatten wir ja bereits gehört. Auch davon, dass die süßen Zuckerrüben aus den Runkeln gezüchtet worden waren. Süße Mohrrüben jedoch – waren uns vorerst unbekannt. Man lernt eben nicht aus. Rüben im Winter vom gefrorenem Boden sammeln? Etwas planmäßig völlig Neugeschöpftes?
Allerdings waren unsere Finger bei diesem kalten Langzeit-Geschäfte stark exponiert und es dunkelte am Nachmittag zeitig – die Rübchen hielten sich zum Sammeln dort auf, wo sie einst gesät / ausgedrillt worden waren, eben dort, wo der weiße Schnee gerade der frisch gepflügten dunklen Erde gewichen war. Wir konnten die Orangenen deshalb auf dem Acker auch im fast Dunkeln an jener optischen Leitlinie noch leidlich finden.
Immer wenn die Maschine eine Runde gepflügt hatte, sammelten wir fix unser Strecken-Teilstück ab und hatten dann eine kurze Zeit, um einige der gefrorenen Süß-Möhren in der heißen Asche am „Lager“-Feuer zu garen und heiß zu verspeisen, bis sich uns der Traktor mit Pflug in seiner nächsten Runde wieder näherte. „Frisch aus der Asche schmecken sie am besten“. Für die ursprünglich vorgesehene Nutzung waren angefrorene Möhren nicht mehr zu gebrauchen. Ob sich das ein Einzelbauer geleistet hätte – bezogen auf sein Ansehen im Dorf, mit dem zu erwartenden Spott und dem wirtschaftlichen Verlust? Hier bei uns im sozialistisch gelenkten Betrieb spielt er offenbar nicht die gleiche Rolle, hat er ein nur geringes Gewicht. Gewinne oder Verluste – alles ist Volkseigentum! Warum es mit einem zeitrichtigen Erntetermin bei der Leitung nicht geklappt hatte? Ganz schön lange Leitung, ja? – Vielleicht sogar bloß den Acker vergessen, weil diesen zu selten besucht? – denn wir erntenden Lehrlinge waren täglich anwesend, waren zum rechtzeitigen Ernteeinsatz stets verfügbar. Sogar zu einem früheren herbstlichen Sondereinsatz. „Seid bereit! – Immer bereit!“ oder zu einem „Subbotnik“ an einem Sonnabend. Und trotzdem gab es wohl gewichtige unbekannte Gründe es anders zu halten? – oder eben gar keine.
Die Bauernregeln wissen zu dieser Problematik verschiedenes und lehren es uns seit uralter Zeit:
- Das vergangene Jahr soll stets ein guter Lehrmeister für uns sein. - Wer achtsam schaut nach seinem Feld, der findet ständig dort sein Geld. - Wer sein Feld „recht gut“ will sehn, muss täglich selber dorthin gehn. - Wie der Vater, so die Bübchen – wie der Landwirt, so die Rübchen. - Nur ein wahrer Wackermann ist ein rechter Ackermann. - Besser gute Vorsorge treiben, als bei schlechter Nachsorge leiden. - Es ist keine Kunst, den Kalenderplan zu machen, wenn das Jahr vorbei ist.
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Ich sehe unseren Ausbilder Ernst Lobbes vor mir. Er war nicht der Mann vieler Worte. Wohl auch nicht der Mann großer Widerworte. Er hatte sich scheinbar eingerichtet. Er lächelte zum Thema des Tages bedeutsam still. Es bedurfte ja auch keiner Erklärung gegenüber uns kleinen Lehrlings-Lichtern. Er kannte vielleicht die Gründe und Hintergründe eines solchen Ernteverfahrens. Er stand als wissender Landwirt und Ausbilder mit seinen Beinen inmitten der sozialistischen dörflichen Produktion. „Wir sollen das erst einmal lernen“, wie er öfter sagte.
Gewiss, das schon – aber so? – Welche Noten hätte er für solche Verfahrensweisen den erfahrenen Leitungskadern der sozialistischen Landwirtschaft in seine schwarze Kladde geschrieben? Nun, in diesem Falle war ja diesmal er abhängig von den teuren Genossen und deren Planung und Leitung – und teurer als notwendig kann uns allen eine solche Arbeitsweise durchaus zu stehen kommen.
Ich möchte ja nicht wissen, wie souverän Herr Lobbes über solche Verfahrensweisen z. B. mit meinem eingangs erwähnten landwirtschaftskundigen Onkel, Prof. Dr. Sauerlandt, dem aus Braunschweig, gefachsimpelt hätte oder mit unserem Prof. Mitscherlich – ach, wir haben gewiss so sehr viele und gute Spezialisten. Nun, Herr Lobbes und noch eher die anderen Leitkader wurden vor derartigen Konfrontationen bewahrt. Sie werden den Erfolg schon abgebucht haben. – In unseren Lehrlingsköpfen aber standen öfter mal Fragezeichen zu den Methoden der sozialistischen Art des Aufbaus und des Betreibens der Landwirtschaft. In der Industrie wird es vergleichbare Beispiele gegeben haben. So falsch wie es gemacht wurde, musste es eben scheinbar sein, es ging wohl gar nicht anders und wurde zum Schluss als richtig angesehen oder zumindest so dargestellt und als große Leistung abgerechnet, mitunter mit Prämien gewürdigt.
Der Genosse Rudolf Bahro wird später sinngemäß sagen: „Wie oft denkt man – dümmer gehts nimmer – aber die Realität beweist uns immer wieder – es geht, es geht!“
Diesen Spruch hat wohl zwar nicht Bahro erdacht – aber es gibt viele Menschen, die es täglich genau so sehen, die es mit ansehen müssen. – Ihm rechneten die Genossen auch dieses Zitat als „negativ-feindlich“ an – und noch viel mehr. (Rudolf Bahro 1935–1997. Sozialwissenschaftler, Schriftsteller. Verfechter eines „Dritten Weges“ zum Sozialismus. Wegen kritischer Schriften 1978 aus der SED ausgeschlossen und zu langjähriger Haftstrafe verurteilt. Nach allgemeiner Amnestie zum 30. Jahrestag der DDR entlassen aber ausgebürgert, in die BRD abgeschoben. Dort Arbeit in der Umweltbewegung. Dissertation über Arbeitsbedingungen im real existierenden Sozialismus. Krebserkrankung. Tod mit 62 Jahren.)
Geschieht etwas, das wir als ungünstig, ungeschickt, dumm oder als verwerflich geneigt sind zu bezeichnen, dann hilft es wenig, daran festzuhalten, darüber zu schweigen, nur still darüber hinweg zu lächeln, um vielleicht scheinbar „die eigene Autorität“ zu wahren oder sich nicht selber Ärger einzuhandeln. Eher wird dadurch „das Dumme“ bewahrt, gehätschelt und gewinnt an Macht. Freimütig heißt es hier Ursachen und Wirkungen zu erkunden, um es das nächste Mal besser zu machen. Ein Prozess, der allerdings ein gewisses Maß an Ehrlichkeit, Offenheit und Lernbereitschaft erfordert. Nur richtig angefasst und ausgeräumt kann eine überwundene Dummheit – zum Motor für die Besserung werden. Ansonsten bleibt es beim gewohnten alten – die Qualität nimmt ab und man befindet sich auf einer Abwärts-Spirale. Das sollte eigentlich zum Allgemeinwissen gehören.
Warum ich mit leichtem Stirnrunzeln immer mal wieder in diesem Text und somit im Leben etwas denke, frage und weiterhin fragen werde und dabei oft auch eigene Antworten finde?
Bertold Brecht lehrt es uns – nur richtet sich nicht jeder nach Herrn Brecht:
- Die erste Allgemeine Verunsicherung -
Scheue dich nicht, zu fragen, Genosse! Lass dir nichts einreden, sieh selber nach! Was du nicht selber weißt, weißt du nicht. Prüfe die Rechnung, du musst sie bezahlen. Lege den Finger auf jeden Posten, frage: wie kommt er hierher?
Bertolt Brecht
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Hier ein Erinnerungs-Ausflug: Eine gute Bekannte von mir bekam auch mal mit der Landwirtschaft Kontakt, denn sie wollte partout Lehrerin in der Stadt werden. Das war vor 3 Jahren, 1959.
So hatten sie, diese noch etwas unsicheren, weniger lebenserfahrenen, 16-jährigen Stadtmädchen im ersten Lehrerinnen-Studienjahr als pädagogische Übung im Fach „Agitation und Propaganda des wissenschaftlichen Sozialismus“ den Auftrag, in „Dreiergrüppchen“ jene alten Landwirte, die erfahrenen Bauern, die sich sträubten den LPG-en beizutreten, aufzuklären. Sie darüber aufzuklären, welche fachlichen Vorteile es bringt, wenn man unter der führenden Rolle der Genossen mit festen Klassenstandpunkt, seine Kühe, die als echte Familienglieder galten, anderen Leuten in den Großstall übergibt. Leuten, denen die Tiere vielleicht eher „0-8-15-egal“ sein würden, den Leuten, deren Stärken und auch Schwächen ja jeder im Dorf kannte. Den Leuten, die eben vielleicht nicht mehr das Euter waschen und es fettend pflegen würden wie bisher ... und so weiter. Wir kennen und praktizieren das ja selber – oder eben auch eher nicht – und wissen es deshalb hinreichend gut genug.
Die Mädchen, diese angehenden Lehrerinnen, sollten ohne eigenes landwirtschaftliches Wissen und Können bei den erfahrenen Bauern aufklärend wirken, beauftragt von Politniks und letztlich von den Pädagogen ihres Studieninstituts, von denen mancher selbst kaum je eine Kuh gesehen, kaum eine Kartoffel gesammelt, kaum Kenntnis von der Landwirtschaft hatte. Beauftragt von Leuten, die es aber sehr wohl intensiv gelernt hatten oder es „von Natur aus beherrschten“, Druck auf andere Menschen auszuüben.
Manch ein Landwirt zeigte den Lehrerinnen-Schülerinnen die treuen Hunde seines Hofes oder wies mit dem Daumen rückwärts oder mit dem Zeigefinger am ausgestreckten Arm vorwärts zum Ausgang ihres Grundstücks. Andere schlugen die Hände über dem (eigenen) Kopf zusammen und meinten zu den Pädagogik-Studentinnen etwa: „Ach, ihr arglosen, unwissenden, verblendeten Kinder“. Solche Versuche endeten wohl in der Überzahl mit wenig positiven Ergebnissen, waren kontraproduktiv für die beabsichtigte Überzeugung der Bauern zum Eintritt in die Genossenschaft.
Durchschnittlich normal Denkende wussten das. Bereits vorher. Gemacht werden musste es trotzdem. Die Berichte darüber innerhalb der Partei und in den Zeitungen ließen aber Hurra-Getön sehen, denn wie's auch kommt: „Die Partei hat immer recht“ – und wenn sie auch auf ihrem Weg das von ihr angepeilte Ziel arg verfehlt und sie Unmengen an feinem, wertvollen Porzellan zerschlägt, das dringend benötigt wird.
Warum aber überhaupt dieses ganze unverständliche Gerangel? – fragten mich später Geborene. Also – in groben Zügen war es so:
Das Junkerland, das Besitztum des Adels, die Rittergüter, das Land der Großbauern, wurde bereits 1945 den bisherigen Besitzern entschädigungslos fortgenommen, also enteignet und dem Staat (der Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone) übergeben. Was mit den enteigneten Menschen geschah, mit den von ihrem Wohnsitz und Arbeitsort Vertriebenen, ist ein weiteres, oftmals sehr trauriges Kapitel. Die staatliche Verwaltung bildete aus dem neuen Besitz volkseigene Güter oder teilte diese Flächen bei der Bodenreform auf, gab etwas den Kleinbauern, den mittellosen Landarbeitern, den Flüchtlingen (Umsiedlern aus dem Osten) – eine großzügige Geste? – Eine dringend notwendige Maßnahme, denn wer sollte sonst die Ernährungsgrundlage für die Bevölkerung schaffen? Doch nicht jeder der nun mit Landeigentum Begünstigten hatte die hinreichende Kenntnis des Wirtschaftens auf bäuerlichem Gebiet, viele nicht die eigene Kraft und es mangelte ohnehin an technischer Ausstattung, so dass die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aus der Landwirtschaft schwieriger wurde, statt, wie geplant und erwartet, besser.
Nur wenige Jahre später hieß es deshalb: „Gebt euer Stück privates Land auf, tut es zusammen, bringt es in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) ein. Gebt das individuell betriebene Arbeiten auf – ihr werdet es leichter und besser haben und die Produktivität wird außerdem steigen“. Bisherigen privaten Besitz an Land fortzugeben, zusammenzulegen, möglichst auch die Tiere und die Maschinen – das war die neue Devise. Das betraf nun aber nicht nur die Menschen, die erst vor wenigen Jahren Land erhalten hatten, sondern genauso jene, die seit langer Zeit, seit Generationen, die eigene Scholle, ihr Eigentum bewirtschaftet hatten. Das ging so ab etwa 1952 bis nach 1961, mitunter freiwillig, oft in der gruppendynamischen Mitläuferschaft um des lieben Friedens Willen, selten gleichgültig-bequem, oft mit starkem politischen Druck, dessen Methoden sehr viele Menschen aus dem Land trieben, verschiedene auch in den vorzeitigen Tod.
Zur „Eintrittswerbung“ der Bauern wurden mehrere Werber gemeinsam geschickt, um die „säumig-unentschlossenen“ freien Bauern zum Eintritt in die LPG zu „überzeugen“ und um sich gegenseitig Mut zu machen und auch „auf Linie“ zu halten. Diese uneingeladenen Besuche wiederholten sich oft täglich und die Besucher kamen mitunter auch über den Zaun, wenn das Hoftor geschlossen war. In die Dörfer wurden mitunter bis zu 60 „Werber“ geschickt, die dort ausschwärmten und jeden der Grundstückseigentümer bearbeiteten. Vor der Darlegung und schamlosen Verbreitung von Unwahrheiten, selbst in den Zeitungen, schreckten diese Leute nicht zurück. Teilweise wurden den unbescholtenen Bauern auch die Personalausweise abgenommen, um deren Aktionsradius (und eine Flucht in die BRD) drastisch einzuschränken. Diese „Eintritts-Werber“ kamen manches Mal in Polizeibegleitung oder es wurde zeitgleich die Nationale Volksarmee im Ort stationiert.
Auch fuhren mitunter Polizei- und Militärfahrzeuge mit Lautsprechern durch die Dörfer und forderten die Bauern öffentlich lautstark und mit Namensnennung zum Eintritt in die LPG auf, wobei persönlich-diffamierende Angriffe, wie das Verbreiten von Lügen über die Lautsprecher als Druckmittel eingesetzt wurden. Verschiedene Landwirte hielten das nervlich nicht aus, andere versteckten sich zeitweilig, um dem übermäßigen Druck versuchsweise zu entgehen ... und nun kamen auch noch diese Pädagogik-Studentinnen, quasi als letztes Aufgebot oder wie es hieß ... „die junge Garde, als Kampfreserve der Partei.“ Und es hieß Ruhe bewahren, um nicht aus der Haut zu fahren.
In den Zeitungen konnte man anschließend so etwas lesen wie: „Der Landwirt XYZ hat nach den aufklärenden Gesprächen mit den Genossen der Partei auf freiwilliger Basis den Weg vom >Ich zum Wir< gefunden. Wir gratulieren ihm zu seinem Entschluss, in unseren Reihen nun ebenfalls den Frieden zu schützen und damit die Bonner Militaristen in die Schranken zu weisen“.
So oder ähnlich konnte es sich entwickeln, wenn der Bedrängte nicht vorher in die Bundesrepublik Deutschland floh oder in zahlreichen Fällen den Frei-Tod, das Sterben wählte, um frei sein zu können.
Wer als Einzelbauer sein Abgabe-Soll, das „Kontingent“ nicht erfüllen konnte (z. B. bei Milch infolge von zu wenig Futter oder jenes in minderer Qualität, dem wurden Kühe mitunter von seinem Hof geholt, gewaltsam, ohne Entschädigung, also vom Staat gestohlen – der Besitzer bei Widerstand gegen die Staatsgewalt ins Gefängnis gebracht. Weitere triftige Gründe für solche Maßnahmen ließen sich unschwer konstruieren.
Auch gab es die Fälle, in denen Einzel-Landwirte ihr „Soll“, die staatliche Vorgabe, nicht erfüllen konnten, weil ihnen untergewichtige Läufer (Jungschweine) aus dem Stall geholt wurden, weil die Partei sagte: Wir brauchen jetzt das Fleisch für die Bevölkerung, nicht erst, wenn die Schweine das vorgegebene Gewicht haben.
Andererseits kam es auch vor, dass der Staat den Einzelbauern als Druckmittel deren Erzeugnisse nicht abnahm – und die Bauern somit keine Einnahmen hatten, denn sie durften nichts frei verkaufen. So mussten sie entweder in die LPG oder in den Westen fliehen.
Das etwa war die Situation in der Landwirtschaft in der Phase des Aufbaus des Sozialismus während der Zeit vor dem Beginn unserer landwirtschaftlichen Lehre.
Trotz alledem: Wir haben schnurstracks zu gehen – (Lied): „Auf dem Wege weiter, den uns die Partei gewiesen. Vorwärts, junger Streiter ...“ nicht etwa auf dem Weg mit fundiertem Wissen und Können und mit der Kraft eigenen Denkens, des eigenen Charakters.
Dabei wäre vieles mit etwas Einfühlungswillen und -vermögen, wie auch kluger Wissensnutzung besser gegangen, denn verschiedene Vorteile und Erleichterungen in einer Zusammenarbeit ließen sich ja nicht von der Hand weisen. Warum mit immer wiederholtem dümmlich-plump drohenden Druck gegen Landwirte agieren? Warum nur, wurde dieses wertvolle Potenzial der Menschen von den Regierenden der SED jahrelang, jahrzehntelang sehenden Auges missachtet? Warum wurden fachlich-begründet Mahnende und kritisch-kreative Unterstützer der Republik, als „negativ-feindliche Kräfte“ gebrandmarkt, eher in ihrer Existenz bedroht, statt mit ihnen das Beste für das Volk und seine Wirtschaft zu schaffen? Nicht jede lang anhaltende Kurzsichtigkeit kann ein Optiker korrigieren. Insgesamt waren es wohl etwa zweieinhalb Millionen Menschen (also nicht nur Landwirte), die zwischen 1949 und 1961 aus der DDR flohen.
Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht mahnte vorerst, also vor dem Bau seiner Mauer:
„Jeder, der die DDR verlässt, übt Verrat an der Sache des Friedens und
unterstützt die Bundesrepublik, die einen Atomkrieg vorbereitet“. –
Da haben wir den Salat. Genau dahin führt auch das Bearbeiten-wollen der eigenen Scholle, das Füttern der eigenen Familien-Tiere! – letztlich in den Atomkrieg! Das musste mal gesagt werden!
Und wie war es doch gleich mit der Wahrheitsliebe unserer Staatsführung? Oder sollte diese Thematik eher in das Schubfach „Durchdachte Strategie und Taktik“ verschoben werden? Wir erinnern uns nur 'mal so eines weiteren Beispiels aus vielen – für die später Geborenen:
Ein Rückblick: Am 15. Juni 1961, zwei Wochen vor seinem 69. Geburtstag, gab der Staatsratsvorsitzende der Deutschen Demokratischen Republik, Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Vorsitzender des Politbüros des Zentralkomitees der SED sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, Walter Ulbricht, (–so war wohl die offizielle Benennung in den Rundfunk- und Fernsehmeldungen sowie in den Zeitungsartikeln–), wieder mal eine Pressekonferenz. Zu seinen Ausführungen fragte die westdeutsche Journalistin Annamarie Doherr von der Frankfurter Rundschau zu „gewissen Planungen in der DDR“: „Bedeutet Ihre Absicht der Bildung einer >freien Stadt< (Berlin), dass die (DDR-) Staatsgrenze (auch) am Brandenburger Tor errichtet wird?“
Und der Staatsratsvorsitzende Ulbricht antwortet – anscheinend nicht so recht passend – aber er wollte offenbar „seinen Punkt“ unbedingt noch irgendwie in seinen Ausführungen unterbringen:
„Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. (und nun als Lehrsatz mit erhobenem Zeigefinger:) Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt sind hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigt, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt."
Das war ja so 'was von eindeutig und grundehrlich! Recht so! So soll man es den Leuten beibringen, damit sie es verstehen!
Somit prägte der SED-Genosse Walter Ulbricht vorerst fest den Begriff „Die Mauer“ für den Ausbau der Grenzbefestigungs- und Grenzsicherungs-Anlagen der DDR. –
Nur zwei kurze Monate später, am Sonntag, den 13. August 1961 war es dann aber schon soweit:
Ab 1 Uhr in der Nacht begann die Nationale Volksarmee der DDR, die lange vorbereitete rund 145 km lange DDR-Grenzbefestigung um West-Berlin zu ziehen. Der vor kurzer Zeit von Ulbricht erwähnte und von ihm „absolut ausgeschlossene Bau einer Mauer“, von dem er ohnehin gar nichts wusste, wird in der Wirklichkeit bereits betoniert! Die bisher durchlässige Grenze wird geschlossen, um uns, die Bürger der DDR, vor der gefährlichen West-Berliner Bevölkerung und vor den „Bonner Ultras“ (wie es W. U. gerne ausdrückt) zu schützen. Zu schützen vor den gegen die DDR lang gehegten Blitzkriegsplänen, mit oder ohne Atombomben, so sagt man uns. Dem westdeutschen Faschismus begegne man nun mit einem antifaschistischen Schutzwall. Und auch die etwa 1.300 km lange Grenze der DDR zur BRD wird ausgebaut und auf unserer, der DDR-Seite, über lange Strecken u. a. mit Teller-Tretminen und Selbstschussanlagen ausgestattet. Diese nur für oder gegen unsere DDR-Bürger aber außerdem für den Weltfrieden.
„Die Mauer“ wird seitens der DDR-Führung nach neuer Überlegung, künftig nun umtituliert, nicht länger als die Mauer, sondern eben als „Antifaschistischer Schutzwall“ präsentiert. Jeder, der nicht allzu verblendet ist, weiß natürlich, dass sich Mauer und Waffen im Wesentlichen gegen die eigene Bevölkerung der DDR richten, um die bisherige unwahrscheinlich starke Fluchtbewegung aus dem Land zu stoppen, nicht mit vernunftgeführten Inhalten, sondern erneut mit Gewalt gegen das eigene Volk.
Und mit der Art der „Wahrheitsliebe“, mitunter auch mit der staatlichen Kriminaliät, für die es ungezählte Beispiele gibt, wird es weiterhin so gehalten, bis zu der von der Regierung angeordneten Wahlfälschung 1989 – und bald danach wird Schluss sein, weiß die Geschichte.
Aber wir als Lehrlinge werden indessen natürlich weiterhin hübsch zu echt sozialistischer Wahrheitsliebe erzogen, sofern wir diese nicht ohnehin bereits vom Elternhaus mitbekamen.
Das Volk ist jedoch – hinter vorgehaltener Hand – hinsichtlich des Humors findig:
– Walter Ulbricht erhielt den weiteren Spitznamen: „August, der XIII.“
– Treffen sich zwei Maulwürfe an der Mauer. „Los“, sagt der Eine, „so, wie wir heute arbeiten,
werden wir morgen leben!“ (Ein typischer Spruch, eine offizielle „Kampflosung“).
Und wir wissen ja: Die Vielzahl der Ungereimtheiten, die Maßnahmen, die oftmals Schwierigkeiten brachten, viele unsinnig erscheinende Weisungen der Regierenden, nicht etwa kameradschaftliche Zusammenarbeit der Besten, sondern die bange Sorge um das Aufrechterhalten des absoluten Machtanspruchs der „Führungsrolle der SED“ um jeden Preis. Und schließlich war dieser Art von DDR, nur möglich, durch die Stützung seitens der Sowjetunion und ihrer hier stationierten Streitkräfte. War des Weiteren nur möglich durch das von dieser Partei, der SED, für sich selbst geschaffene, sie „beschützende Schild und hinrichtende Schwert“: der „Organe des Ministeriums für Staatssicherheit“, von deren Chef General Mielke gerne als „wir Tschekisten“ bezeichnet.
Gewiss agierte deren Personalbestand auch selbständig – aber die SED war mit ihren Führungskräften der Auftraggeber der Staatssicherheit für die Gräueltaten gegen die eigene Bevölkerung. Für Überwachung, für das vernichtende Verbreiten von Lügen und Falschgerüchten über Mitmenschen, für die geplante Zersetzung von Personen und Personengruppen, für Diskriminierung, für Unterdrückung, für das Wegsperren in Gefängnisse und Zuchthäuser, für Folter und Hinrichtung mit und ohne Gerichtsverfahren und -urteile. Die SED mit ihren maßgeblichen Kadern im Zentralkomitee und Politbüro, bis hinunter zu den Bezirks- und Kreisverwaltungen, war der Auftraggeber für die Ausführenden der Staatssicherheit!
Ein Blick in die Zukunft: So werden es bis zu etwa 90.000 hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi, zuzüglich etwa 170.000 bis 180.000 nebenberufliche „Informelle Mitarbeiter“ sein. Letztgenannte sind Personen, die eine Verpflichtungserklärung zur Spitzel-Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit unterschrieben haben. Es kamen auf jeweils etwa 180 DDR-Bürger zu deren Überwachung im Durchschnitt ein hauptberuflicher Staatssicherheits-Mitarbeiter und zwei weitere nebenberuflich gedungene oder „ehrenamtliche“ Spitzel. Soweit des Eisbergs Spitze! Hinzuschätzen müssen wir die die riesige Anzahl der zeitweiligen „Auskunftspersonen“ (die nicht den Status des Informellen Mitarbeiters innehatten), die drohend streng vergattert wurden über die Befragungen und über deren Inhalte zu schweigen, die betroffenen Menschen nicht zu informieren. Dazu gehörten die staatlichen und betrieblichen Amtsträger, beispielsweise die Leute der Kaderabteilungen = Personalbüros aller Betriebe, darüber hinaus Mitarbeiter in allen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen, Arbeitskollegen, Nachbarn, Hausbuchbeauftragten ... bis hin zu Ehepartnern, so dass der Staatssicherheitsdienst auf Informationen von schätzungsweise jedem 16. Bürger als Zuträger zurückgriff, was rund 1 Million Personen bedeutet, die Auskünfte erteilten.
Allein von den rund zwei Millionen SED-Mitgliedern waren wohl schon etwa 4,5% hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter, zuzüglich der IM, von denen schätzungsweise die Hälfte ebenfalls Mitglieder der SED waren. (Quelle: XVIII. Bautzen-Forum, 2007, Eisel / Giesecke, Friedrich-Ebert-Stiftung).
Dieser
Staatssicherheits-Kaderbestand wurde in besonderen Ausbildungsstätten
geschult. So z. B. im Dorf Golm bei Potsdam – in der ab 1965 mit
dem neuem Decknamen: „Juristische Hochschule der DDR, Eiche“,
bestehenden Einrichtung und den ihr nachgeordneten Fachschulen.
Stätten, in denen etwa 30.000 Personen in der Aus- und Weiterbildung
alle Techniken des „Stasi-Rüstzeugs“ erwarben. Psychologisch und
handwerklich, von Einschüchterung bis zum Mord. In dieser
„Juristischen Hochschule“ bei Potsdam erwarben 4.492
hauptberufliche Mitarbeiter ihren Stasi-Diplom-Abschluss und 485
promovierten hier zum Dr. jur. der Stasi. So auch der Oberst
Dr.
Alexander Schalck-Golodkowski, der „Geheime kommerzielle
Koordinator“, der seine Doktorarbeit über die Möglichkeiten der
Erwirtschaftung / Beschaffung zusätzlicher Devisen, harter Währung
für die DDR-Führung (auch mittels Diebstahl, Erpressung und Raub
von Kunstgütern) schrieb. – Geld-Beschaffung mit Methoden, die
wiederum eine Anzahl unserer Menschen zum Ausreiseantrag oder auch in
den Tod trieben.
Der vormals wohl eher mittelmäßige Schüler, spätere Mörder, dann höchstgefährlicher DDR-Minister und Stasi-General Erich Mielke gehörte zu Schalck-Golodkowskis „Doktorvätern“. – „Natürlich“ werden diesen Leuten, die andere Menschen oft grundlos quälten, auch nach dem Beitritt der DDR zur BRD ihre akademischen Stasi-Abschlüsse weiterhin anerkannt. Und deren sehr gute Gehälter bilden dann auch eine ebenso ausgezeichnete Grundlage für eine weit überdurchschnittliche staatliche Altersversorgung in der BRD. Der Dank des Vaterlandes ist treuen Dienern gewiss. Darüber kann die Masse ehrlicher, fleißiger Arbeiter wohl nur traurig staunen.
Und viele Tausende der nun wirklich und wahrhaftig teuren und aufrechten SED-Mitglieder haben später nach der „politischen Wende“ (so, wie es wohl in jeder Zeitepoche und in jeder Gesellschaftsordnung üblich ist) gesagt: „Ach, davon habe ich ja gar nichts gewusst, nicht einmal im aktiven Parteileben etwas davon mitbekommen“. Oder: „Ich war doch nur so ein kleines unbedeutendes Rädchen im Getriebe und habe überhaupt nichts von Bedeutung mitentschieden“.
Gewiss ist auch: durchaus nicht jeder Bürger wurde mit der Stasi in einer für ihn dramatischen Art und Weise konfrontiert. Und vielen wurde die Überwachung durch Unauffällige: seitens guter Bekannter, Arbeitskollegen, Nachbarn, selbst durch Ehepartner, auch nicht immer bewusst. –
Nun, das hier kurz Notierte ist inzwischen in vielen Büchern ausführlich lesbar. Es sind keine Geheimnisse mehr. –
Es gab auch in nächster Großbeuthener Umgebung Lehrlinge, die kaum viel empfanden, kaum selbst denken, kaum selbst erfahren und danach handeln wollten. Einer unserer Klassen-Kameraden strebte an, bald Offizier zu werden, so wie sein Vater. Mit ihm (dem Sohn) war es kaum möglich, eine Unterhaltung über gesellschaftliche Fragen der Zeit zu führen. Für ihn war schon vor einem Gesprächsbeginn klar: „Was Zentralkomitee und Politbüro der SED vorgeben, das sei richtig. Was die Partei beschließt, das wird sein!“ Punktum. Und übrigens: „Die Partei sind viele – die können sich nicht irren“. Schluss mit dem Beginn eines Gesprächs. Schluss mit dem eigenem Denkprozess. – Da schien mir einfach Achtsamkeit und Zurückhaltung geboten. Gewiss formt uns die Erziehung bedeutend. Den Einen mehr, den andern weniger dauerhaft.
Lebenserfahrungen des Jünglings: Auflehnen. – Wer das nicht kann, nicht frühzeitig unternimmt, wird allemalen ein Gegängelter bleiben. Nur in der Auflehnung finden wir uns selbst.
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (Königsberg 1776–Berlin 1822)
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Wir übersehen es nicht, wir vergessen auch nichts vom Guten, das uns im täglichen Leben begegnet, das wir durchleben, das wir genießen dürfen und achten! Damals so wie heute.
Die Partei- und Staatsführung hatte schon früh, ach, so schöne Sprüche herausgebracht, unter anderem auch über die Sozialistische Landwirtschaft. Es waren viele Reimwerke solcher Art:
Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein – einer der bedeutenden Rufe des Genossen Walter Stranka mit dem Ziel der landwirtschaftlichen Weltrevolution in der DDR. Ähnliche Reimwerke, auch hier zu lesen, erarbeitet er wohl fast pausenlos, kaum zählbar.
Gute Schläge unsrer Bauern, sind Schläge gegen Adenauer(n). (Erster BRD-Kanzler)
Sei wachsam und bereit, die Normen zu erfüllen in kürzester Zeit!
Ludwigsfelde steht fest an der Seite Kubas! (Örtliches Transparent zum 1. Mai)
Erntehelfer aus der Stadt – machen viele Menschen satt ... (besonders notwendig, weil viele Landwirte in den Westen geflohen waren.)
Du kannst nicht für den Frieden sein, stellst du das Westfernsehen ein.
Reift das Korn und sprießt der Klee – wächst die Kraft des VEG!
Wir bringen die Silage ein und schlagen so des Volkes Feind.
Wer fleißig lernt, erreicht auch viel – der Sozialismus ist das Ziel.
Wie erwähnt, war bereits 1961 das Jahr, in dem die DDR den „Pro-Kopf-Verbrauch“ der BRD-Bürger an guten Lebensmitteln und Konsumgütern „überflügelt“ haben wollte.
Oder hatte? – (Die Historiker werden viel später anmerken, dass das gründlich schief ging.)
Für diesen zumindest geplanten Erfolgsflug gab es unter anderem folgende „Losungen“:
„Überholen ohne einzuholen“. (Die DDR wird spielend den Lebensstandard der BRD überflügeln. Eine sinngemäße Weissagung des Walter Ulbricht). Und des Weiteren:
Mein Arbeitsplatz ist mein Kampfplatz für den Frieden.
Arbeite mit, plane mit, regiere mit!
Ich leiste was – ich leiste mir was!
Je mehr wir uns um unsere Tiere kümmern, desto besser schmecken sie uns.
Unser Dank gilt der Partei, wenn sie ruft, sind wir dabei!
Vorwärts immer – rückwärts nimmer! (Kampfruf E. Honeckers)
Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!
Meine Hand für mein Produkt!
Der Sozialismus siegt!
Aus den Volkseigenen Betrieben ist viel mehr herauszuholen! (Zitat: W. Ulbricht)
Mein persönlich schöpferischer Plan im Kampf um die „Goldene Hausnummer“, ist mein Beitrag zur Stärkung des Weltfriedens.
So, wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben!
Der Subbotnik (unbezahlte Wochenend-Arbeit) ist unsere Friedensinitiative gegen den Imperialismus.
Je stärker der Sozialismus, desto sicherer der Frieden!
Chemie bringt Brot, Wohlstand und Schönheit!
Spare jede Minute Arbeitszeit, jede Mark Selbstkosten und jedes Gramm Material – dein Beitrag für den Frieden.
Und noch etwas Schönes vom Dichterling Walter Stranka im Sinne des Politbüros der SED und für den Alltagsbedarf aller DDR-Bürger guten Willens zum Erhalten des Friedens:
Die (*) Republik füllt dir den Bauch, (*Regierung der)
gibt dir Sardinen und Pasteten,
ein Gläschen guten Kümmel auch.
Sie lässt dich findig sein und beten.
Ach, wie ist das schön. Danken wir doch hier – ihr mal dafür.
Alles Gute ist vorhanden – und jeder soll nach seiner Facon selig werden, sagten schon der Brandenburgische Große Kurfürst und auch König Friedrich II. Aktuell – gab es wohl nichts tiefgreifend verbesserndes hinzuzufügen.
Goldene Worte vom VII. Parteitag der SED (17. bis 22. April 1967):
In der kommunistischen Bewegung kennen wir weder führende, noch geführte Parteien. Doch die Kommunisten der ganzen Welt wissen, dass die Geschichte der Partei Lenins, der kommunistischen Partei der Sowjetunion, die Rolle des Pioniers des Menschheitsfortschritts, der Avantgarde der internationalen Bewegung zugewiesen hat. (Erich Honecker, Mitglied des Politbüros des ZK der SED).
Die Vervollständigung der staatlichen Souveränität unserer sozialistischen DDR – insbesondere durch die Sicherung der Staatsgrenze in Berlin – hat sich für jeden Bürger und für unsere gesamte sozialistische Gesellschaft als vorteilhaft und fruchtbringend erwiesen.
Die Arbeiterklasse der beiden deutschen Staaten wird die Spaltung Deutschlands zusammenfügen. Doch bevor das geschehen kann und damit das geschehen kann, müssen sich die Arbeiterklasse der DDR und die Arbeiterklasse Westdeutschlands zum gemeinsamen Handeln vereinigen.
(Walter Ulbricht. – Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzender des Staatsrates der DDR sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik, – so etwa die volle Namens- und Titelnennung in den täglichen Rundfunk- und Fernseh-Nachrichten und in den Zeitungen).
Wenn man vom deutschen Wirtschaftswunder sprechen will, darf man nicht nach Westdeutschland schauen, sondern muss dorthin blicken, wo ein wirkliches Wunder geschehen ist, nämlich nach der DDR. (William Kashtan, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kanadas).
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Im Lehrlingswohnheim Großbeuthen werden wir in den späteren 1980-er Jahren, also vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR, unter anderen Losungen auch diese lesen:
„Hohes Leistungswachstum durch steigende Arbeitsproduktivität, Effektivität und Qualität – alles für das Wohl des Volkes und den Frieden“.
– Beim Kreis-Erntefest zeigt das Spruchband unserer Betriebs-Berufs-Schule die
zusammengefassten guten Gedanken, die den Lehrlingen zugeschrieben werden:
„Wissenschaft und Technik + bäuerliche Praxis = Höchstleistung!“
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Wenn es mit der Versorgung an landwirtschaftlichen Produkten zu deutlich mangelte, formulierte das Volk – aber eher im Stillen:
Frühling, Sommer, Herbst und Winter sind die vier Feinde des Sozialismus.
Als es mit der Fleischversorgung kritisch knapp war, ermunterte die Regierung fröhlich:
Der Mais, der Mais, wie jeder weiß, das ist die Wurst am Stengel.
Oder von Schlichtheit verbrämt riet man (statt des Fleischkaufs) dazu:
Nimm ein Ei mehr!
Dazu passt von des Volkes Seite naturgemäß auch diese ewig provozierende Frage:
„Was gab es früher – das Huhn oder das Ei?“ Antwort: „Früher gab es beides!“
Es wurden in der DDR viele hervorragende Fleischerzeugnisse produziert –
ein übergroßer Teil davon ging allerdings als Devisenbringer in den Westteil Deutschlands.
Ich meine hier nur das Fleisch geschlachteter Tiere.
DDR-Menschen wurden aber ebenso devisenbringend an die BRD nach dem Freikaufsystem „überstellt“. Das wissen wir alle – hier nur, damit es nicht vergessen wird ...
Viel später, als es noch schlimmer stand, ließ die Regierungsspitze selbstermutigend und beweihräuchernd ertönen:
Den Sozialismus in seinem Lauf – hält weder Ochs noch Esel auf.
War es nicht eine riesige Peinlichkeit, wenn höchste Regierungsvertreter, „Diplomaten“, der Staatsratsvorsitzende (dann ab Mitte 1973: Erich Honecker), Sprüche oder „Losungen“ solcher Art auf „Kundgebungen“ und im Fernsehen, laut in die Welt hinaus riefen? –
Ja, „manch kleiner Mann“ empfand es als ein Unding, sich so aufzuführen. Die Regierung, das Zentralkomitee, das Politbüro der SED sahen es wohl durchaus anders. Man war voll überzeugt von sich und zufrieden darüber, dem „Klassenfeind“ einen solch hehren Spruch entgegen geschleudert zu haben. Eine völlige Realitätsferne und Wirklichkeitsnegierung in der Regierungsspitze – obwohl die Klarheit war, doch so sehr nah. Man wollte die Realität einfach nicht sehen. Ohne Kenntnisnahme und Anerkennung der Wirklichkeit schien das Leben doch viel schöner.
Ein Großteil des Volkes allerdings wusste durchaus um die Art der politisch-ideologischen Güte sowie der wirtschaftlichen Zwänge des real existierenden Sozialismus, wusste um seine Nachteile, Abhängigkeiten und Vorteile – und um die Qualitäten der führenden Köpfe.
Wenn auch viele gingen – in die innere Emigration, in die deutsche Bundesrepublik flüchteten oder es versuchten – „wir“ aber träumten nicht vom Weggehen in ein Land „Utopia“. Ich hörte 'mal den frühen Treueschwur: „Und ist der Weg auch hulperich – wir bleiben doch bei Ulbericht!“ ... & Co.
Viel später wird manches an Nebensächlichkeiten verändert sein, als die Partei und Regierung als Hilfe zur Mobilisierung von Reserven z. B. die Neuerbewegung, das Neuererwesen für sich entdeckt. Von dieser Zeit an hieß es: Macht individuelle Neuerervorschläge (in der BRD: Verbesserungs-Vorschläge), schließt gezielte Neuerervereinbarungen ab. Schaut, wie es andere Betriebe schaffen und schließt dazu Nachnutzungsverträge über deren Ideen zum gegenseitigen Vorteil. Gebt Selbstverpflichtungen in eurem PSP ab (Persönlich-Schöpferische-Plan). Erstürmt die Höhen der Wissenschaft. Bringt eure Spitzenprodukte auf die „MMM“ („Messe der Meister von Morgen“ / in der BRD: „Jugend forscht“). Den Titel „Kollektiv der Sozialistischen Arbeit“ könnt ihr erringen, wenn ihr euch zu hervorragenden Leistungen verpflichtet und diese nachweisbar abrechnet. (Zu diesem Verfahren, bezogen auf Großbeuthen, einige Ausführungen in der Anlage 2 dieses Dokuments.)
Und stets auch: „Von der Sowjetunion lernen – heißt siegen lernen“.
Eben, viel später. Na ja, alles sehr schön. Auch ich war dabei – mit des Kopfes klarem Verstand, mit den Händen, die keine Arbeit scheuten und sehr oft mit dem Herzen.
Doch dann gab es auch gleich wieder die Staatliche Planauflage, die zu erfüllen war, um die Wirtschaft über Wasser zu halten. Die als Antwort zur verpflichtenden Vorgabe aufgeschriebene Übererfüllung, die oft erpressten Meldungen oder schleimdienernden Falsch-Erfolgsabrechnungen, die der Realität entgegenstanden, waren eine „Ehrensache“. Und auch mit solchen Abrechnungen ließen sich selbstverständlich Prämien, Orden, Urkunden und Blümchen gewinnen. So war's eben.
Aus der landwirtschaftlichen Natur-Beobachtung haben wir gelernt:
Es gibt nur einen Sommer in diesem Jahr!
Im Juli ein Tag Regen – tränkt sieben trockne Wochen – und ist für uns ein Segen. Gewitter in der Vollmondzeit bringt sicher Regen weit und breit. Wenn gedeihen soll der Wein, muss der Juli trocken sein. –––––––––––––
Gerad' im Monat Ernting, dem August, ist in diesem Jahr die Erntezeit.
Fängt der August mit Donnern an, er 's bis zum End' nicht lassen kann. Ist der August am Anfang heiß, bleibt uns der Winter lange weiß. Hagel im Juli und im August bringt allen Bauern großen Frust – doch Morgentau in dem August, ist für den Landwirt eine Lust.
Große Dürre schadet wohl aber sie verdirbt's nicht. Ein trockenes Jahr ist nicht unfruchtbar. Wenn im August zu warm es war, folgt oft ein milder Februar. (aber meist erst ein halbes Jahr später).
Wenn Tage im August sich trocken zeigen, (Laurentius, um den 10. 8. und Bartholomäus um den 24. 8.) – die Herbstmonde genauso sich erweisen. Auf die besten Sommertage folgt häufig heft'ge Wetterlage. Wenn es im August nicht regnet – der Winter wird mit Schnee gesegnet. Sieht man roten Mond und helle Sterne? So sind Gewitter oft nicht ferne.
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Was sonst noch geschah – Erinnerungsstücke, wohl fast ohne Lücke
Na ja, die Spitznamen-Wahl fand in den ersten Tagen statt, als man noch nicht direkt nach den Charaktereigenschaften oder dem Leistungsvermögen aussuchen konnte, sondern „nur so“ die Auswahl traf ... vielleicht nach „edlem Klang“.
Doch wie schon angedeutet: Bei mir sollte es in der Entwicklung stets nur aufwärts gehen! Und so erfüllte es sich auch – und so erfüllte ich es auch.
Mich begleitete dieser freundliche Spitzname, für den Harald Kun. verantwortlich zeichnet, bis heute. Ich bin ihm dankbar dafür. Er hielt mich, wenn auch von ihm unbeabsichtigt, dazu an, den Lebensumständen nie überheblich, sondern stets mit einer gewissen Demut aber mit der Kraft des Denkens zu begegnen und danach zu handeln. Seit 1995 wohne ich sogar in der GoFi – Straße. Es ist am Rand der Stadt Potsdam die Straße „Golmer Fichten“. Das ist „ganz charakteristisch“ genau dort, wo kein Nadelbaum zu finden ist.
Nun weiter im Jahr 1962: Vorhin hatte ich kurz im Sekretariat der Betriebsberufsschule zu tun. Auf dem Schreibtisch von Frau Mal. lagen zahlreiche braune Schnellhefter, neu eingerichtet, mit jeweils dem Namen eines Lehrlings beschriftet. Aha, das werden die „Kaderakten” sein. Ein Teil ist wohl so leer, wie ein unbeschriebenes Blatt Papier, andere, das werden wir erst sehr viel später wissen können, enthalten bereits Einträge aus der Kindergarten- oder der Schulzeit. Diese Akte wird mit ihrem Inhalt für einen Jeden von uns ein Geheimnis sein und bleiben. Nur Kaderleiter (Personalchefs), „andere berechtigte Personen“, also bestimmte Vertreter „staatlicher Organe“ dürfen Einblick nehmen. Das bedeutet: Nicht etwa jeder DDR-Betrieb legt sich für die Dauer des Beschäftigungszeitraumes solch eine Kladde an, nein, die einmal begonnenen Aufzeichnungen „wandern“ das gesamte Arbeitsleben des Menschen von Betrieb zu Betrieb mit. Jeder der Berechtigten soll wissen, was mit diesem Bürger los ist. Die Akte wächst im Umfang, denn jeder Berechtigte darf sich darin auslassen, lediglich der Betroffene darf nicht wissen was darin steht. Er darf nicht lesen, was alles so über ihn geschrieben wurde. Nur ihm ist seine Akte unbekannt. Nur die offiziellen Beurteilungen, z. B. beim Ausscheiden aus dem Betrieb kennt er, weil er davon sowieso eine Ausfertigung erhält. Ich selber werde meine Akte (erst in der BRD-Zeit) zum Eintritt in das Rentenalter erstmals durchblättern dürfen – und ein bisschen stärker kopfschüttelnd staunen.
Die Mähdrescherfahrer der E 512-Kombines (Getreide-Vollernte-Maschinen) wurden in der Zeitung stolz „Unsere Erntekapitäne“ genannt. Es kann nicht überall zeitgleich geerntet werden. Die teuren Mähdrescher stellen eine „Zentrale Erntetechnik“ dar. Mit ihnen wird in mehreren Bezirken nacheinander gearbeitet. So fahren die relativ langsamen und sehr breiten Maschinen in Konvois auch auf den „schnellen Autobahnen“ zu den nächsten Einsatzorten. Das waren aber keine schlimmen Hindernisse. Die Autobahnen in der DDR waren „in unserer Zeit“ meist ziemlich leer.
Als mein Moped mal streikte, hockte ich hinter einem Traktor auf einem Milchsammel-Anhänger und fuhr so mit nach Potsdam. Auf dem Anhänger stand bereits unser großer voller Aluminiumtank aus dem Melkhaus des VEG – und ich hob auf dem Wege die weiteren Kannen von den Milch-Bänken auf den Hänger hinüber. Das freute den Fahrer, den Traktoristen, der die Milch zur Molkerei Potsdam, Leninallee, zu bringen hatte. Er sparte somit den erzwungenen Frühsport ein, der für ihn sonst an jeder Milchbank üblich war.
Ein anderes Mal ging ich nachts zu Fuß von Großbeuthen nach Babelsberg. Es war (und ist) eine Strecke von etwa 21 km; nur eine halbe Marathon-Distanz. Manches war leicht möglich. Ich erwähne es, denn es war damals wichtig, es war ja in dieser Zeit nur möglich mit einem eigenen Fahrzeug oder zu Fuß gut nach Großbeuthen zu gelangen.
Der Bauer kennt die September-Sprüche aus der Zeit vor dem jüngeren Klimawandel:
An einem gut' Gewitter-Regen, ist jedem Bauern sehr gelegen. Wenn du vor'm Blitz nur sicher bist – gewalt'ges Donnern schadet nicht. Wenn der Achte schönes Wetter zeigt – es den Monat über bleibt. Die gefährlichsten Sommer sind die furchtbarsten und auch die fruchtbarsten.
Gewitterts im September noch, dann liegt der Schnee zur Weihnacht hoch. Septemberwetter warm und klar – dann gibt's ein gutes nächstes Jahr. Fällt's Laub im Frühherbst schon recht schnell, ist auch der Winter früh zur Stell'. Fliegen Zugvögel zeitig heim, kann früh und streng der Winter sein.
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Im September waren Christian Feu. und Chris Jan. Kühe hüten, etwas entfernt vom Ort. Ein frühherbstliches Spätsommer-Gewitter zog auf. Sie suchten den Regenschutz in einer Feldscheune und tauschten viele Erfahrungen über das lange, rund 17 Jahre alte Leben aus. Bald war der Regen fort – aber die Kühe auch – und sie konnten rennen wie die Hasen, um die lieben milchspendenden Horntiere wieder einzufangen. Aus Fehlern lernt man besonders gut für's Leben. Nach getaner Einfang-Arbeit schien ihnen das anschließende Abendessen etwas knapper als sonst und hatte wieder vorzüglich geschmeckt. Die Rinder trugen damals selbstredend stolz und wehrhaft ihre Hörner, waren noch nicht verunstaltet, wie man sie später häufig antraf.
Werner Roh. besaß als erster von uns ein West-Nylon-Hemd. „Welch' Erstaunen“, wie er es (vor allem den Kragen innen) mit einem Schwämmchen einfach schnell im Waschbecken reinigte und nach Sonnen- und Windtrocknung schon kurz darauf wieder anzog. Na ja, als ich viel später auch mal ein solches Hemd hatte, merkte ich bald, wie unangenehm man darin verstärkt transpirierte.
Im Märzen der Bauer ... oder ... Im Lenzing der Buer ... :
Dunkle Wolken, starker Wind, selten ohne Regen sind. Nicht immer kommt ein Regen, wenn Wolken sich bewegen. Auf einen unfreundlichen März folgt ein freundlicher April.
Wenn bei dir die Drossel schreit, dann ist der Lenz gar nicht mehr weit. Die Witterung vom Frühlingsanfang (21. März) hält sich den ganzen Sommer lang. Wie's Wetter ist zum Ende März, wird's auch im Juli – ohne Scherz.
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Ach, da haben wir doch noch ein anderes, recht bekanntes Lied-Dichtwerk für diese Jahreszeit:
Der Bauer im Märzen |
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Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt. Er setzt seine Felder und Wiesen instand. Er pflüget die Erde, er egget und sät und regt seine Hände von frühe bis spät.
Die Knechte, die Mägde, sie dürfen nicht ruh'n, sie haben im Stall und im Garten zu tun. Die Bäu'rin sie pfleget derweilen das Haus – bereitet für alle zum Abend den Schmaus.
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Den Rechen, den Spaten, die nimmt er zur Hand Er pflegt all die Bäume auf sei-nem Land, auch edelt er Bäume mit wertvollem Reis, er spart nicht an Arbeit und Mühe, noch Fleiß.
So geht bei der Arbeit das Frühjahr vorbei, nun birget der Landwirt das duftende Heu. Er mäht das Getreide, dann drischt er er aus, erst später am Abend kehrt er dann Nachhaus. |
Volkslied in verschiedenen Wandlungen, das – eher aus der Sicht von Stadtleuten – in idealisierender Weise das tatsächlich harte Leben auf dem Land darzustellen versucht. Herkunft des Liedes: Vermutlich aus Nordmähren des 19. Jahrhunderts.
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Ich wurde neulich freundlich darauf aufmerksam gemacht, dass ich in der Zusammenstellung dieses Berichts das nun folgende kleine Ereignis vergessen hätte und doch nachtragen solle. Also: Ich hatte es natürlich nicht vergessen, doch ich schreibe nicht alles auf und bewahre ohnehin stets absolutes Stillschweigen, die Diskretion, wenn Belange anderer Menschen berührt werden. Aber wenn es nun wirklich geschrieben werden soll, dann frischauf: Im Frühjahr 1963 wurde eines unserer vielen Mädchen, die liebreizende Gab., von plötzlichen grässlichen Bauchschmerzen geplagt. Sie musste zur ärztlichen Untersuchung ... und kam nicht mehr zurück – vorerst – aber dann später dafür wesentlich erleichtert. Im Krankenhaus Ludwigsfelde, Außenstelle Gröben, ließ sie den schrecklich entzündeten Wurmfortsatz ihres Blinddarms. Für immer. Das war zu „unserer Zeit“, als es noch nicht so wie heute üblich war, mit kleiner Spritze süß einzuschlummern bis der Bauch wieder zugenäht und alles vorbei war. Nein, damals gab es gleich Äther auf den noch wachen, „lebendigen“ Menschen – bis man das entsetzliche Erstickungsgefühl der Sauerstoffarmut nicht mehr aushielt und dann „im letzten Moment“ einschlief. Ich weiß das so genau, weil ich es eine Weile vor der Gab., an mir selbst erlebt hatte.
Im Krankenhaus, also im Gesundungsgebäude, traf ich geraume Zeit nach der Operation etwa zeitgleich mit Gab's Eltern zum Besuch ein. Ich wartete also höflich und hatte die Zeit, mich gedanklich in die bereits vergangene Situation hinein zu fühlen, roch wieder den Narkose-Äther, erlebte erneut das Erstickungsgefühl, sah vor meinem „geistigen Auge den Film“, wie die Medizinmenschen in des schönen Mädchens geöffnetem Bauch hilfreich herum schnipperten, hörte, wie die mir bekannten Instrumente klapperten, klickend einrasteten, sah die Tampons neu-weiß und benutzt-rot. Ich konnte nachträglich die Prozedur geistig recht genau verfolgen. Vor lauter leisem aber heißem Mitgefühl wurde meinem Blut-Kreislauf plötzlich schlecht dabei, ich fühlte den Blutdruck rapide sinken, sah nur noch rote und schwarze Tupfer vor mir tanzen, bis es mir einen Moment später völlig schwarz vor Augen war und mir „der Boden unter den Füßen fortrutschte“, ich für einen Moment „wegtrat“. Bisher hatte ich eben nur die Gelegenheit gehabt, interessiert in verschiedene geöffnete Tierbäuche Einblick zu nehmen aber in ein freundliches Mädchen hinein, hatte ich noch nie so tief geblickt. Nicht mal in dessen Augen. Das war etwas völlig anderes! So, das hatte ich noch erwähnen sollen, um den Bericht unserer Lehr-Erlebnisse schmückend abzurunden und weil es ja wahr war. Nicht wahr? – Ich hoffe, das Thema hat euch doch gut gefallen – ansonsten hättet ihr bestimmt etwas vermisst.
Aus dem bäuerlichen Spruchbeutel für den lieblichen Monat Mai geschüttelt – dieser auch Wonnemond genannt –:
Solang' die Heiligen nicht vorbei, ist nie vor Kält' bewahrt der Mai. (Die vier „Eis-Heiligen“: Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sophie in den Tagen vom 12. bis 15. Mai). Der Reif in einer einz'gen Nacht, hat oft den Blüten Tod gebracht. Kommt Nebel, wenn die Bäume bliehn, dann wirst du nicht viel Obst erzieln. Kommt gar ein Frost nochmals heran, mach Feuer, stell den Sprenger an.
Bei Blüte mild und auch kein Regen, verspricht dem Obst den großen Segen. Wenn die Sonne scheint sehr bleich, ist die Luft an Regen reich. Zuweilen ein Regen, ist fürs Land ein Segen -– hingegen täglich Regen, kommt den Pflanzen ungelegen.
Hat der Mond heut einen Ring, folget Nässe allerdings. Auf Morgenrot ein Regen droht. (und ebenso:) Rote Sonn' zur Morgenstund' tut den bald'gen Regen kund.
Früh am Morgen Sonnenschein, bringt oft am Abend Regen ein. Ist der Maien frisch und kühl, gibt's gute Ernte, sagt's Gefühl.
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„1. Mai! Kampf- und Feiertag der werktätigen Massen!“ „Perwaja Maja.“ „Kampf- und Feiertag der Klasse der Arbeiter und Bauern im unverbrüchlichen Verbund mit den anderen Werktätigen“. „Erster Mai, erster Mai, alle Menschen werden frei!“ Letztgenannter Spruch wurde zu jener Zeit vorsichtshalber schon nicht mehr gerufen – um der Frage: „Ja, wann denn?“ vorzubeugen. Bei mir ist das aber aus Tradition noch so drin – und als konservierte Zukunftsmusik.
Damals war es guter Brauch und also Sitte, dass wir zur machtvollen Kampfdemonstration festlich gekleidet auf der Ladefläche der Anhänger hinter den Traktoren Platz nahmen und dieselnd nach Siethen zum Hauptsitz des VEG töfften. Dort angekommen, marschierten wir dreimal um die Kirche, mit dem eher verhaltenen, textarmen Brummen markiger Kampfeslieder zwischen den Lippen, was im Anschluss an die üblichen Ansprachen in eine Art netten Kleinkirmes mündete. Sehr schön war das.
Viel fröhlicher war es hier in Siethen und Großbeuthen, als bei unseren vorherigen jahrelang geübten, disziplinierend bewachten Schulmarschierereien von Babelsberg nach Potsdam zur Haupttribüne am „Louisen-Platz der Nationen“, mit den irre langen Stau-Steh-Aufenthalten auf dem Weg dorthin. Das machtvolle Einfädeln der Demonstranten, die aus zwei Straßen kamen und am „Leipziger Dreieck“ zu einem Y-Menschen-Hauptstrom zusammengeführt werden sollten, hatte in der Praxis nie geklappt. Wir kennen das ausgezeichnet funktionierende Prinzip vom Reißverschluss und vom Plakatbild des Vereinigungs-Parteitages der kleinen KPD mit der großen SPD. Dort lief alles wie gemalt. Offenbar waren „in meinen späteren Jahren“ zu viele verpflichtete interessierte Teilnehmer unterwegs und zu viele inkompetente „Ordner“ noch dazu.
Auch zum 1. Mai passt sehr schön, denke ich, unsere gute „Deutsche Nationalhymne“ der DDR von 1949. Text von Johannes Robert Becher, Melodie von Hanns Eisler:
Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt. lass' uns dir zum Guten dienen, Deutschland einig Vaterland. Alte Not gilt es zu zwingen, und wir zwingen sie vereint, denn es wird uns doch gelingen, dass die Sonne, schön wie nie, I: über Deutschland scheint. :I
Glück und Frieden sei beschieden, Deutschland, unserm Vaterland, alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern eure Hand. Wenn wir brüderlich uns einen, schlagen wir des Volkes Feind. Lasst das Licht des Friedens scheinen, dass nie eine Mutter mehr I: ihren Sohn beweint. :I
Lasst uns pflügen, lasst uns bauen, lernt und schafft wie nie zuvor, und der eignen Kraft vertrauend steigt ein neu Geschlecht empor. Deutsche Jugend, bestes Streben unsres Volks in dir vereint, wirst du Deutschlands neues Leben. Und die Sonne schön wie nie, I: über Deutschland scheint.:I
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Ein schönes Lied, welch gutes Lied. Langzeitig wurde daran herum gekrittelt und ver-gebessert. Später aber entschied sich die DDR-Regierung dazu, dass es am besten sei, diese machtvolle Nationalhymne, des Volkes Lied, überhaupt nicht mehr zu singen. Die Zeit sei darüber hinweggegangen aber instrumental darf die dritte Strophe noch vorgetragen werden, weil man davon ausgehen kann, dass nunmehr niemand einen ernsthaften Schaden davon bekommt.
Inzwischen ist es Juni (Brachet) Das jahrhundertealte bäuerliche Wissen gibt uns auf, diese Ratschläge zu beachten:
Stellt der Juni mild sich ein, wird's mild auch im September sein. Bringt der Juni vielen Donner, folgt auf ihn ein trüber Sommer. Nachts ein Regen, tags die Sonne – füll'n dem Bauern Scheun' und Tonne. Wenn die Schwalben niedrig fliegen, werden wir bald Regen kriegen. Ist Monat Juni kalt und nass, bleibt Scheune leer und auch das Fass. –––––––––––––– Im Juli (Heuert) singen manche Kinder von Genossenschaftsbauern und Landarbeiter-Eltern:
Liebe, liebe Sonne lass' den Regen oben, dann wollen wir dich loben. Einer schließt den Himmel auf – kommt die liebe Sonne 'raus.
Die Pflanzen aber singen (noch etwas leiser aber eine Oktave höher): Lieber, lieber Regen, komm' ein bisschen runter, mach uns frisch und munter. Einer schließt die Wolken auf – kommt erfrischend Regen 'raus.
und auch dieses mag gelten:
Beginnt der Juli mit mildem Regen, hält's vier Wochen so – es ist ein Segen. Wie's Wetter am Siebenschläfertag (7. Juli), es sieben Wochen halten mag.
Nimmer wird ein Bauer arm, bleibt‘s im Juli feucht und warm. Im Juli sehr viel Sonnenschein wird jedem Landwirt recht schon sein. Obwohl der Hahn kräht auf dem Mist, mag alles bleiben wie es ist.
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Den Arbeitsstaub vom Körper abzuspülen, hatten wir bei Großbeuthen am Ortsausgang, also in Richtung der Schweinezucht- und Mastanlage die ehemalige Kiesgrube. Sie war voll Wasser gelaufen und sie war angenehm für unsere Nutzung. Erstaunlicher Weise war aber auch diese beim Füllvorgang nicht übergelaufen – jemand hatte die Zulaufquelle wohl gerade noch rechtzeitig gestöpselt. Für „unsere Nutzung“ bedeutet hier ganz kumpelhaft: Für die Menschen, unsere Pferde, einige Hunde. Mit den Amöben und Kaulquappen badeten wir sowieso gemeinsam und an dramatische Zusammenstöße mit Fischen kann ich mich nicht erinnern. Ein Hai war nicht dabei. Die Kiesgrube, unser See, war groß genug, romantisch gelegen, teilweise von Bäumen umstanden und mit einer Insel versehen. Herr Bruno Abromeit, ihr wisst schon, der zeitgenössische Leiter der Betriebsberufsschule – bitte seinen Namen noch etwas „härter“ aussprechen, denn seine Sippe kam aus der schönen baltischen Gegend Litauens –, hatte in seiner Fürsorglichkeit und in Erwartung von Lehrlingen, die vielleicht der Schwimmkunst noch nicht mächtig seien, von einer Raupe (Kettenschlepper) mit Schiebeschild am Rand des Gewässers zusätzlich das flache, bald nach ihm zu seiner Ehre benannte „Abromeit-Planschbecken“ ausschürfen lassen (oh nein, bitte nicht versehentlich: „ausschlürfen“ lesen), das jedoch unter der Ufererosion bald wieder versandete, sich nivellierte. Aber die Kaulquappen und ihre Froscheltern waren zeitweilig voll des Dankes dafür. Die Kiesgrube – ein herrliches „Naherholungsgebiet“ für uns. Joachim sagte noch viel später voller Freude (bitte nicht lesen, sondern nur zuhören – das ist effektvoller): „Wenn ich meinen See seh', brauche ich kein Meer mehr“. Zwar haben das schon mehrere Leute so empfunden und gesagt aber manch' Schönes im Leben soll man ruhig öfter wiederholen.
Herrlich also war es an unserem See, bis dass es später die befreundeten, in Militärmäntel gehüllten Sowjetmenschen ebenfalls erkannten, es genauso sahen, es annektierten und daraus ein Übungsbad zur Ertüchtigung der Kampfeskraft ihrer Schwimmpanzer und ähnlichem kriegerischen Verteidigungsgerät machten. Mit vielen schillernden Öl- und Benzin-Beigaben. Die spätestens nach 30 Jahren, ab 1994 herrenlose Kommando-Zentrale ragt noch weit ins 21. Jahrhundert über die Kiesgrube und in den blauen Himmel hinein, als ein Mahnmal an die heißen Tage des „Kalten Krieges“. Den vielen Jungsozialisten des Volkseigenen Gutes und den Dorfbewohnern blieben aber auch in jener Zeit durchaus noch das häusliche Waschbecken und, wer sie hatte, die Dusche. Trotz all dieses neuzeitlichen Komforts: in unserer alten Zeit hatten wir Jungen es eben aber noch viel schöner.
Joachim B. hatte den Zugang zu den schönsten Schallplatten, die er bereitwillig zu Gehör brachte und sogar durfte. Es wurde bei öffiziösen Veranstaltungen im Speisesaal nur darauf hingewiesen, dass er als „Diskjockey“ die vorgegebene 60/40-Mindest-Quotenregelung einzuhalten habe. (Anteile der Schlager: Ost/West). Nicht immer gelang es so vollendet – das störte aber niemanden von uns. Wir waren ihm, unserem Joachim, dankbar und freuten uns alle!
Grund zur Freude gab es immer wieder: Es ist kein Geheimnis, dass eine Anzahl von Lehrlingen heiratete (ich meine hier miteinander unter-/ und übereinander, also nicht nur nach „auswärts“).
Landwirtschaftliche Erfahrungen für den Oktober oder Gilbhart:
Ist der Gilbhart warm und fein, folgt oft ein scharfer Winter d'rein. Ist er aber feucht und kühl, mild der Winter werden will. Bringt Oktober viel vom Regen, wird er für die Saat ein Segen. Wenn Eichen reichlich Früchte geben, wir lange Winterzeit erleben.
Wenn der Nebel fällt zur Erden, wird bald gutes Wetter werden. Zieht der Nebel Richtung Dach, folgt bald größ'rer Regen nach.
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Tradition war das „Moto-Herbstcross“ für die Lehrlinge mit ihren Privatfahrzeugen. Das Überstehen eines Geschicklichkeitsturniers, so wie ich es schon damals im Verkehrserziehungs-Zirkel meiner alten Babelsberger Schule praktiziert hatte, war gefragt, darunter auch das Einhand-Kreisfahren mit dem gefüllten Wasserglas in der Hand. Die übliche Wippe, die Spurgasse, gefolgt vom Bezwingen einer sich anschließenden Trial-Geländestrecke. Ein technischer Defekt an meinem Moped ließ mich auf diesem letzten Teilstück zeitlich weit nach hinten fallen. Da lieh mir Bernd H., der nur als Zuschauer gekommen war, sein Jawa-Moped – ach war das ein niedriges und kurzes Dingel. Damit hätte ich in der Slalomkurvengasse die leider schon hinter mir lag ein „leichteres Spiel“ gehabt. Nun, „eine goldene Palme“ konnte ich nicht gewinnen aber schon das Dabeisein hat Spaß gemacht.
Unser Mitschüler Werner Roh., der Athlet unter den Lehrlingen, nannte ein Motorrad vom Typ RT 125 / 3 sein eigen. „RT“ – stand selbst in der DDR noch immer für „Reichs-Typ“, abgeleitet von „Deutsches Reich“. Verstehe das, wer's kann und will. Eine ursprüngliche Vorkriegs-Entwicklung von DKW, ein zuverlässiges kleines Gefährt, das in der Nachkriegszeit in mehreren Ländern Nachahmung (richtiger: „Abkupferung“) erfuhr. Es war bei Werners Maschinchen wohl ein ungewöhnlich zeitig eingestellter Zündzeitpunkt, die „Frühzündung“, daran schuld, dass er uns Zirkusvorstellungen bieten konnte. Auf jeden Fall war es so, dass die Pleuelstange aus jenem Grund die Kurbelwelle auch mal anders herum antreiben konnte und diese wirkte übers Getriebe und die Kette entsprechend auf das Hinterrad, so dass es ihm möglich war, im Vorwärtsgang – rückwärts zu fahren. Aber eben: nicht nur rückwärts, sondern auch mal anders. Eintrittsgeld hat er für seine Vorführungen nie genommen. Ein Kumpel ist er durch und durch.
Im zweiten Lehrjahr wird die Klasse dann mal zu einer Veranstaltung in die Berliner „Volksbühne“ fahren und auch ins Kino, beispielsweise zu „Die Abenteuer des Werner Holt“ – im Krieg.
Spätherbst-Erkenntnisse zur Witterung im Monat „Nebelung“:
Der Abend rot und weiß der Morgen – so macht das Wetter keine Sorgen. Zeigt der November Morgenrot – ein gar langer Regen droht. Tritt zwar November hart herein, muss doch nicht viel dahinter sein. Friert im Nebelung zeitig das Wasser, wird es im Januar um so nasser. Je stärker ein Novemberschnee, je besser werden Korn und Klee. Wenn am Martini Nebel sind, so wird der Winter meist gelind'. (Namenstag des Heiligen Martin: 11. November des Jahres).
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Horst Sch. erhält von unserem Lehrer Herrn Hugo Brandt, eine mündliche Anerkennung: In einem (Lehr)-Jahr hat er es geschafft, sich dass Spielen der Gitarre fast ganz alleine beizubringen – mit einigen guten Ratschlägen und Übungsunterstützungen Erfahrener.
Unwichtige „Randnotiz“ zu der ewig jungen Frage an mich, warum ich denn nur ein Jahr in Großbeuthen weilte – über drei Jahre Lehrzeit hätte ich doch gewiss mehr zu berichten gewusst und außerdem einen ordentlichen Abschluss als Facharbeiter gehabt. – Nun denn, das war so: Nach einem kleinen Ausrutscher und anhaltenden Schmerzen im unteren Rückenbereich, überwies mich die Poliklinik Ludwigsfelde vorsichtshalber sofort zur orthopädisch-chirurgischen Klinik nach Potsdam-Babelsberg. Man behielt mich gleich dort – vom Mai bis zum Juli 1963. Ich bekam eine individuell angeformte „Liegeschale“ aus Gips, welche die unter Belastung durcheinander geratenen Wirbelstellungen korrigieren sollte. Bei der Entlassung aus der Klinik bekam ich die Gipsschale mit nach Großbeuthen (für die Zeit der Nachtruhe) und den guten Rat, die gerade hingebogenen Wirbel bloß nicht wieder gleichermaßen zu belasten, die landwirtschaftliche Tätigkeit und somit diese Lehre aufzugeben. Ganz echt war ich also leider nur gerade ein dreiviertel Jahr in Großbeuthen, wenn man den Klinikausflug von dem einen Lehrjahr abzieht.
In den „Sommerferien“, im Monat August, fahren wir Beuthener (die bisherige LwA1, die sich nun vorbereitet die LwA2 zu werden) zu den so genannten Studientagen in die Ostseenähe, nach Bad Doberan und ich darf trotz der bevorstehenden Auflösung des Lehrvertrages noch mitfahren. Vormittags Schulunterricht, am Nachmittag Freizeit. Schlafen in Zelten auf dem Jugendherbergs-Waldgelände, die Armee-Schlafdecken mit dem wichtigen Aufdruck „Fußende“ versehen, um mit jener Seite lieber nicht die Nase zu bedecken. Diese Tage waren mit erlebnisreichen Ausflügen angereichert: durch Bad Doberan (Münster), nach Rostock (Hafenrundfahrt), mit Eisenbahn „Molli“ nach Heiligendamm und Kühlungsborn (Bäderarchitektur) sowie auch auf die Insel Rügen nach Sassnitz, zum Königsstuhl und der Stubbenkammer. Sogar die Insel Hiddensee besuchten wir. Zahlreiche prächtige Angebote innerhalb unserer kleinen Welt. Abstand vom Rhythmus des Alltags. Vielen Dank an alle, die das ermöglichten!
Erst am Ende des Jahres hörte ich zufällig, dass man(che/r) in Großbeuthen auch mit einer kürzeren Lehrzeit abschließen könne – beispielsweise mit einem Übergang zur Weiter-Bildung an der Agrar-Ingenieurschule im Luisenhof, in Oranienburg-Eden. Ein interessantes Thema. Seit 1922 besteht dort die Landwirtschaftliche Schule – aber begonnen hatte alles bereits im Jahr 1893 mit der genossenschaftlich betriebenen Obstanbaugemeinschaft auf 125 ha, vorerst mit 18 Familien, bald aber in 80 Gärten, denen dann die Errichtung der eigenen Schule, ein Gasthaus, ein Ferienheim, Obstverarbeitungsstätten und eine eigene Druckerei folgten – alles nach den Grundsätzen sehr sozialer Strukturen, einer Boden-, Wirtschafts- und Lebensreform. Freizügigkeit und Gleichberechtigung für alle Mitglieder. Angestrebte paradiesische Verhältnisse: Eden – eben!
Und uns geht es hier in Großbeuthen ebenfalls gut. Ja, mit mancher kleineren Unzulänglichkeit und trotz „grundsätzlich erscheinender politisch-ideologischen Unstimmigkeiten da oben“, lebten wir auf dem Lande freundlich „unser ganz normales ordentliches Leben“.
Ein Jahr ist vorüber
Vor dem Beginn des neuen Lehrjahres wird mein Lehrvertrag dann unter Knurrlauten des Direktors im gegenseitigen Einverständnis aufgelöst. Schade aber notwendig.
Ich werte die Zeit in Großbeuthen durchaus nicht als verloren, nicht als umsonst, sondern als ein wertvolles berufspraktisches Jahr. Eine Zeit, die ich nicht missen möchte. Ein Jahr für die weitere Orientierung im Leben.
Lehrer Brandt fragte mich: „Was wirst Du nun in naher Zukunft tun?“ Oh, auf diese Frage war ich nicht vorbereitet, mir selber noch nicht im Klaren darüber, was aus dem „abgebrochenen Landarbeiter“ werden könnte – die Zeit und die Möglichkeiten waren einfach noch nicht da, um vom ausgefüllten Arbeits-Alltag in Großbeuthen, meine Fühler in die Welt strecken zu können, zu suchen, mich aus der Ferne (und ohne Telefon) irgendwo zu bewerben. Ich meinte, mehr „so aus dem Handgelenk“: „Vielleicht als erste Etappe eine schnelle Ausbildung zum Fahrschullehrer (mir schwebte dabei die Seelengeduld und Freundlichkeit unseres Fahrlehrers Herrn Gützkow vor Augen) – dann hätte ich weiterhin stets mit Menschen zu tun, mit etwas Pädagogik / Psychologie ebenso, stets mit neuerer Technik, ein bisschen mit Medizin, wenn ich auch die erforderliche Erste-Hilfe-Ausbildung der Fahrschüler mit einbeziehen würde. Schon in der Schule hatte ich ja für die jüngeren Schüler Verkehrsunterricht gegeben und auch die Sanitätergruppe der Schüler angeleitet und bin ebenso hier in Großbeuthen „Vater der Sanitätsstelle“. Ich werde an der Volkshochschule umgehend einen Platz für das 12. Schuljahr belegen ... . – Vielleicht ist das einer von gewiss mehreren möglichen Wegen, um nicht in eine Leerlaufsituation vor einer erneuten Ausbildungssuche zu geraten.“
„Cui bono?“, fragte Herr Brandt kurz nach meiner Bemerkung zum Fahrschullehrer (wem nützt das, für wen ist das gut?) – Herr Brandt liebte es, hier und da leichte Wendungen aus dem Lateinischen und dem Griechischen in seine Rede einzumischen – ohne weitere Erklärung – man sollte besser selber denken. „Überlege es Dir in Ruhe reiflich und mache das Beste aus Deinem Leben“, gab er mir zum Handschlag mit auf meinen Weg. Ich dankte und überlegte also reiflich.
Vielleicht wird doch noch irgendetwas Vernünftiges aus mir – dachte ich, mich plötzlich etwas einsam sehend. – Schade, dass ich das Leben, die Erlebnisse einiger Großbeuthener und Ludwigsfelder freundlicher Menschen nun nicht mehr so wie bisher miterleben kann und auch auf den anregend-spannenden Unterricht des Herrn Brandt verzichten muss.
Nun, ich wurde also kein vollständig ausgebildeter Bauer-Facharbeiter und auch kein Veterinär-Medizinmann. Ich wurde auch kein Fahrschullehrer, obwohl ich künftig nebenberuflich sowohl Verkehrsunterricht als auch Seminare über Medizinisches hielt.
Zumindest hatte ich mich sofort in der Potsdamer Volkshochschule zur Abiturvorbereitung angemeldet und bald erwarb ich als Mitglied des Deutschen Roten Kreuzes auch die Lehrbefähigung, die Lehrerlaubnis, erlangte ferner den Motorbootsführerschein, falls auch auf dem Gebiet der Wasserrettung ... und hielt dann ehrenamtlich, also in den Feierabendstunden und vergütungsfrei, Schulungen über Gesundheitsschutz, Hygiene, Unfallverhütung, Erste medizinische Hilfe und deren Randgebiete. Über viele Jahre.
Hauptberuflich ging ich vorerst in das Gesundheitswesen – zuerst ins Armeelazarett (als Gesunder) und später zum Rat des Kreises Zossen, Abteilung Gesundheitswesen.
Es folgte im Fernstudium die Ingenieurweiterbildung und Tätigkeit auf dem Gebiet der
Technischen Gebäudeausrüstung, später ergänzt durch arbeitswissenschaftliche Fern-Studiengänge und erweitert mit den Fachgebieten des Umweltschutzes und der Arbeits-Sicherheit sowie Seminaren über zweckmäßige technische Formgestaltung von Konsumgütern und Arbeitsmitteln. Das Gesamt-Berufsspektrum könnte man also kurz mit
„Gesundheits-Ingenieur“ beschreiben, um lange Aufzählungen zu sparen.
Rückschauend darf ich heute feststellen, (heute: das ist ein halbes Jahrhundert nach dieser Beuthener Zeit, die ich hier beschreibe), dass sich meine geordneten Wege durch das Berufsleben gut gestalten ließen. Das lebenslange Lernen und die Tätigkeiten, die ich wählte, waren in ihren Spektren vielseitig angelegt, abwechselungsreich und aufeinander abgestimmt. Sie stellten stets neuartige, erweiternde Anforderungen an mich. Alles Gelernte konnte ich gut anwenden. Ein prall gefülltes und farbiges Arbeitsleben!
Zurück in das Jahr 1963: Immer noch besuchte ich nach dem Ausscheiden aus Großbeuthen dort meine Kumpelinen und Kumpel in unregelmäßigen größeren Abständen – versuchte die Kontakte zu halten.
So kann ich euch erzählen:
Vorige Woche (Herbst 1963) fragte mich Heidi Sch., ob ich mich preisgünstig um ihre drei Hunde-Welpchen kümmern könnte? Na klar – ein paar Tage später bekamen sie vorerst ihre Wurmkur in Beuthen und danach die Anti-Staupe-Impfung in der Babelsberger Tierarztpraxis.
Am heutigen Sonnabend speiste ich „auswärts“ in Blankenfelde, August-Bebel-Straße 35. Ein schöner Tag, um bei Karins Großmutter eine Ganztags-Runde Holz zu hacken. Es ist fabelhaft, würzig duftendes Kiefernholz zu spalten – und das bei ausgezeichneter Essen-Versorgung.
Unsere Mitschüler Udo Kri. (17.07.1944 – 08.12.2002) und Gerd Bug. waren waren 1964 wichtige Schauspieler in der Verfilmung des Buches von 1962: „Egon und das achte Weltwunder“. Autor: Joachim Wohlgemuth. Nun erschien der gleichnamige Film unter der Regie von Christian Steinke, DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg. Der Stoff – ein bisschen sehr unwirklich, also durchaus realistisch-sozialistisch geboten. Der Rabauke, kammblasender Bandmusiker und Bauhilfsarbeiter Egon Brümmer entwickelt sich, nachdem er sich in die schöne Bestschülerin und Abiturientin Christine Lange verliebt hat (sie gilt als das achte Weltwunder), binnen weniger Tage zum Vorbild. Ja, ja, die Macht der Frauen und der Liebe und des Sozialismus überhaupt und so! Daran sollte man nicht nur am 8. März denken! Hauptspielort ist „Borkenheide an der Großen Moorländer Wiese" Hauptdarsteller: Gunter Schoß und Traudl Kulikowski, des Weiteren: Heinz Behrens, Eckart Friedrichson (alias Meister Nadelöhr) und viele weitere bedeutende Jugendliche und auch wenige etwas ältere Leute. Udo und Gerd, also unsere Beuthener Helden, werden im Filmabspann unter der Sammelbezeichnung „und andere“ unnamentlich erwähnt. Es bot sich ihnen nicht, große Mühe für's Lernen von Texten aufwenden zu dürfen. Udo war dort beim Filmstoff gefühlsmäßig vielleicht fast zu Hause, denn in der Nähe seines Wohnorts Paulinenaue erstreckt sich das Rhin-Luch, das zu den Meliorationsobjekten gehörte. (Siehe auch die Schlacht bei Fehrbellin, nicht jene von 1675, sondern die, welche Genosse Volker Braun aktuell bedichtet hatte).
Unser Mitschüler Klaus – fiel neulich aus. Ei, der Daus. Er hatte sich als Schaden leider einen Schlüsselbeinbruch zugezogen. Ooch. Und das kam so – wollt ihr das wirklich wissen? Also:
Zwei Radfahrer bewegten sich in dunkler Nacht auf ihren Fahrrädern. Der Eine wusste nichts von dem Anderen und umgekehrt schon gar nichts. Beide rollten ohne Beleuchtung (man soll sparen, denn „Sparen hilft dem Aufbau – sparen hilft auch dir“). Der Eine rollte auf dem tiefdunklen Waldweg von Großbeuthen nach Thyrow, der Andere auf dem Waldweg von Thyrow nach Großbeuthen in schwärzlicher Umgebung. Etwa auf halben Wege trafen sie sich. An der gleichen Stelle. Ohne Absprache und sehr direkt.
Von einem nächtlichen Zusammentreffen mit Wildschweinen gibt es hingegen hier nichts zu berichten. Das ist eine ganz andere Geschichte, die dann allerdings mir und viel später passierte.
Inzwischen höre ich, dass junge Ehepaare unter den Lehrlingen nicht getrennt im Wohnheim leben müssen, sondern ein 2-Personen „Familienzimmer“ bekommen. Da muss man sich wohl beeilen, denn die Regelung gilt nur, solange der Vorrat an freien Zimmern reicht.
„Ja, liebe Anne-Dore“ (so fahre ich in meinem Brief fort), „reif wäre die Zeit für ein Treffen schon, denn die Ludwigsfelder Klassen sah ich das vorige / das vorerst letzte Mal 1964 beim großen Schul-Sportfest auf dem Babelsberger Sportplatz „Sandscholle“. Ich, als eingeladener interessierter Zuschauer, versorgte euch aktive Sportler dort mit Dextropur vor den Wettkämpfen und mit Kuchen nach den Wettkampf-Siegen oder auch zum Trost. Dieser Unterschied war mir völlig egal. Die Sorten-Auswahl: Pflaumenkuchen, Butterkuchen, Bienenstich-gefüllt (ohne Bienen) oblag beim gemeinsamen Einkauf Ingrid Män. (eine EOS-Klasse über Dir). Ja, Trost ist manchmal wichtig. Ich mag es nicht so sehr, wenn sich alle große Mühe geben, einer gewinnt und die anderen „verlieren“. Manchmal hat das Siegertreppchen zumindest schon mal drei Stufen. Am besten scheint es mir, wenn alle, die sich mühten, wissen dürfen: Wir haben dabei gemeinsam viel gewonnen“.
Und es geht bereits (mit mir als seltenem Gast) das nächste Lehrjahr seinem Ende zu.
Die Lehrlinge der jetzigen LwA 3, die nun ihren Lehrabschluss begehen und ihren „Facharbeiterbrief mit Abiturzeugnis“ druckfrisch bekommen, verpflichteten sich zum großen Teil nach Nackel zu gehen – das ist ein Dorf in der Prignitz, östlich der Fernverkehrsstraße 5 gelegen, zwischen Friesack und Wusterhausen / Dosse, im Kreis Kyritz, um sozialistische Hilfe zu leisten. Dort besteht ein großer Arbeitskräftebedarf. (Wo nicht?) Die LPG Nackel (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), in der unsere Beuthener arbeiten werden, wurde bereits 1953 gegründet. Zu ihr gehörten damals 14 Neubauern, die dort 1946 mit der Bodenreform Land erhielten. Am 14. Juli 1964 werden die frischgebackenen Facharbeiter von Großbeuthen mit einem Lkw der LPG Segeletz, einem Dorf an der Fernverkehrsstraße 5 unweit von Nackel liegend, abgeholt.
Nackel, ist ein Steno-Begriff aus dem Slawischen und bedeutet in Langschrift etwa „eine erhöhte trockene Insel im Feuchtgebiet“, so etwa wie auch „Schlaatz“ (das sah früher dort mooriger aus als heute). Urkundlich erwähnt wird Nackel bereits im Jahre 1319 aber was heißt das schon – archäologische Forschungen erkennen Siedlungsspuren, die gewiss 12.000 Jahre zurück reichen. Unsere Beuthener werden aber in Nackel nicht allein sein. Der Ort hat rund 650 Einwohner und unsere Leute werden diese Zahl bestimmt erfolgreich erhöhen! –
Aber, oh, – 2005 wird sich die Einwohnerzahl dann um die Hälfte, auf 320 reduziert haben – der Ort scheint vielleicht leicht magisch aber doch nicht zu sehr magnetisch zu sein.
Sogar eine Schule hat das Dorf 1963 ff. – in dem heruntergekommenen Gutshaus der Familie v. Hagen, die bis 1945 darin wohnen durfte.
Später wird über diese Beuthener Truppe der Filmstreifen „Gold in Nackel“ gedreht. Gold, das sind die goldigen Jungs, die Mädchen aber noch vor ihnen an erster Stelle und der weiße Goldstrom der Kuhmilch sowieso. Leider habe ich aber dieses Filmwerk nicht gesehen, nicht rechtzeitig von seiner Existenz erfahren und auch nicht im Angebot von Alt-DEFA-Filmen gefunden. Deshalb muss ein anderer, ein Kundiger, bitte darüber berichten.
Auch in anderen Dörfern sieht man einen Mangel an fleißigen, kräftigen Händen und munter-flexiblen Köpfen, allein schon wegen der überall bis zum 13. August '61 aufgetretenen Verluste. Diese Lücken konnten anderweitig nicht aufgefüllt werden – von wem denn auch? Das Land „blutete“ jahrelang aus und der Zustrom vom Westen in den Osten war Erstgenanntem nicht ebenbürtig. Etwa 2,7 Millionen Menschen hatten zwischen 1949 und August 1961 unser so schönes kleines DDR-Land auf Fluchtwegen verlassen. Rund 150.000 versuchten es auch noch nach dem 13. August 1961, ungefähr 12.300 Menschen soll die Flucht aus der DDR „auf direktem Wege“ noch gelungen sein und wohl knapp 30.000 auf dem Umweg über befreundete Bruder-Drittländer. Zehntausende kamen wegen Fluchtversuchs oder Fluchthilfe in die Gefängnisse. Die „Diktatur des Proletariats“ sperrte ihre eigenen Arbeiter, Bauern, Angestellte und Angehörige der Intelligenz ein. Diese Zahlen werden nach der „Politischen Wende“ in der BRD veröffentlicht; es gibt aber dabei auch unterschiedliche Zahlenangaben.
Warum war das so? – und noch viel wichtiger: nach welchen Grundregeln hätte man es besser machen können? Erkenntnisse dazu sind nicht neu:
Bereits in der Zeit der französischen Revolution, deren Grundsätze wir ja lieben, wurde proklamiert, dass die Menschen frei sein sollen, frei von aufgezwungenen Bindungen des Staates oder irgendwelcher Organisationen, – weil sonst früher oder später etwas schief zu laufen droht. Wir haben von den Klassikern gelernt – aber nicht alle von uns.
Als prinzipiell gleichwertig und gleichberechtigt gelten die Menschen, ohne eine wertende zwangsweise Einfügung in einen Stand, eine Klasse. Gleich versorgt sein sollen sie mit Rechten und gleichbehandelt vom Gesetz, ohne Ansehen der Person.
Das „geschwisterlich“-solidarische Miteinander soll vom Staat gefördert werden.
Das Regieren soll ein hilfreiches Leiten sein ohne Despotismus, ohne Diktatur, soll nicht ein entmündigendes Bestimmen von oben sein, sondern im Einklang mit dem Willen des regierten Volkes und also auch mit dem Verzicht auf Anwendung von Gewalt.
Die Einflussnahme des Regierens soll dann und dort aufhören, bevor sie unerwünscht in die persönliche Freiheit (die in den Grenzen allgemein-gültiger Moralauffassungen ausgestaltet wird) eingreifen könne. Diese Grenzen wären in Rechtsordnungen (Gesetzen) per Übereinkunft zwischen Volk und Regierung, allgemeinverständlich und beispielhaft zu definieren.
Die Regierung soll die Rechte aller Bürger grundsätzlich gewährleisten und schützen. –
Derartige einfach erscheinende Grundsätze, so zeigt es die Geschichte, werden aber selten gewahrt. Persönliches Machtstreben, Geldgier, Durchsetzungsanspruch für bestimmte Ideologien und auch persönliche Unfähigkeit in den Führungsriegen gehören wohl zu den vielen möglichen Hemmnissen einer Best-Entwicklung. Und man muss immer wieder fragen: Was ist das Beste für den Großteil der Bevölkerung, möglichst das Beste für alle, dass es zu gestalten gibt.
Die DDR-Regierung bewarb sich seit 1963, also in unserer hier beschriebenen Zeit, um die Aufnahme in die UNO, verpflichtete sich dabei, alle 31 Artikel der Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Vergleichbare Grundsätze finden wir ein Jahrzehnt später, auch in der Arbeit der „Konferenz für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit“ (KSZE), die in ihrer Schlussakte von Helsinki die Selbstverpflichtung zu den Menschenrechten und die Gewährung der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Reise-/ Aufenthaltsfreiheit, Überzeugungsfreiheit ohne Beeinträchtigungen der Menschen, enthält.
In der Praxis wurden diese Verpflichtungen in verschiedenen wichtigen Punkten / Artikeln, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, jedoch weder bis zum Vollzug der Aufnahme in die UNO 1973, noch bis zum Ende, zum „Austritt der DDR“ aus der UNO im Jahre 1990 erfüllt bzw. eingehalten. –
Freitag. Es war im Januar 1965. Draußen fällt schon den ganzen Tag Schnee. Seit Stunden tagen wir vom Rat des Kreises Zossen in Großbeuthen zu einer so genannten Komplexkontrolle in der BBS. Ich war einer der Teilnehmer in diesem Beraterkollektiv, abgesandt von der Abteilung Gesundheitswesen des Rates (in der ich inzwischen arbeite) und von der Arbeiter- und Bauern-Inspektion des Kreises Zossen. Ich erinnere mich etwas schmunzelnd des zu Beginn vorerst fassungslosen Gesichtsausdrucks des Chefs des Hauses, Herrn Direktor Abromeit. – „Es könne doch wohl nicht angehen, dass ein ehemaliger Lehrling der BBS ... jetzt, hier seine Arbeit, die der Pädagogen, der Lehrausbilder, den Zustand in der BBS mit bewertet und dazu Vorschläge erarbeitet und vorträgt.“ – Er müsse den Beginn der Sitzung verschieben und darüber vorerst mit dem Rat des Kreises, mit der Kreisärztin, telefonieren ... und er erhielt von dort die Bestätigung der Richtigkeit der Sachlage für meine Anwesenheit. Mit generöser Geste, wohl aber innerlich zerknirscht, gab er nunmehr sein Einverständnis für mein Dasein mit den Worten: „Walten Sie Ihres Amtes“.
Ja doch, die Arbeiter- und Bauernmacht hatte mich zur Teilnahme bestimmt, weil ich die internen Verhältnisse doch besser kannte als jene Verwaltungsangestellten, die eben nur mal kurz zum Besuch kamen. Und ich denke, es hat niemandem geschadet, nur freundlich Nutzen gebracht. Ich kannte einen Teil der Unzulänglichkeiten die gebessert oder wenn möglich, behoben werden sollten und konnten. Und sogar der Chef der BBS hat seinen Kummer darüber, unbeschadet an Leib und Seele, hinreichend gut überlebt. –
Dieses Thema fortsetzend, die spannende Frage: „Was hat die Führung der Schule, des Heims und des Volkseigenen Guts daraus gelernt? – Die recht klare und einfache Antwort ist in diesem Dokument zu lesen, im Anhang 2:
„Programm der Pädagogen im Kampf um den Staatstitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“.
Am späten Nachmittag dieses Sitzungstages setzte dann Schneesturm ein und unsere Karin (Lehrlingin) bat mich, sie mit nach Hause, mit nach Blankenfelde zu nehmen. So kuschelte sie sich in der Dunkelheit in die Decke ein, setzte sich mit dieser in den ungeheizten Superelastic-Beiwagen der Sport-AWO und sah bei der Fahrt im Schneetreiben – überhaupt nichts mehr, konnte nur hin und wieder das Klacken des Schaltgetriebes am monoton brummenden Motor hören, bis wir dann später wohlbehalten vor ihrem Haus hielten.
Nun aber ein großer Zeitschritt nach vorn – in die Tage des Jahres 2015:
„Liebe Anne-Dore, nun habe ich Dich mit meinen Erinnerungen genug strapaziert. Ich weiß ja nicht, ob Deine Gedanken und Gefühle ähnliche Anknüpfungspunkte fanden, weiß nicht, wie Du einzelne Probleme in Großbeuthen oder allgemein in der Gesellschaft sahest. Aber eigentlich ist das auch nicht entscheidend für meine Darlegungen, denn ich schrieb ja nur aus meiner eigenwilligen Sicht, was also keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. Der Ausdruck meines Erlebens kann nicht den unterschiedlichsten Erfahrungen aller Leser gerecht werden. Bei kritischen Anmerkungen war es von mir keine gedankenlose Meckerei – ich legte meine Meinung dar, wenn ich eine Möglichkeit sah, das gegenwärtig Praktizierte besser zu machen, als jene Art und Weise, wie diese offiziell in der Praxis beschritten wurde und zeigte auch meist einen Weg sowie das mögliche bessere Ergebnis auf. Wegekorrekturen scheinen oftmals günstiger, als starres Beharren in ungünstiger Richtung. So habe ich es immer gehalten.
Schön wäre es zu erfahren, ob Dir von den damaligen Leuten auch noch jemand „gegenwärtig“ ist, auch wenn eure Klasse in das Dorf kam, kurz bevor ich ging, Großbeuthen verließ. Vielleicht hattest du noch völlig andere Erlebnisse, kennst weitere Anekdoten. Natürlich wäre ich daran interessiert, mit Dir in einem Gedankenaustausch zu schwelgen, um Vergessenes wieder auszugraben.
Schade, dass heute solch ein Gemeinschaftsleben, lernen und arbeiten dort in Großbeuthen undenkbar geworden ist. Und schade, dass dieses zu unserer Zeit ziemlich neue Wohnheim nach der „Politischen Wende“, bald nach 1989, immer weiter verfiel, ebenso das Gutshaus, das zwei Jahre vorher noch mit sehr viel Mühe renoviert wurde. Das Grundstück erinnerte bei meinem vorigen Besuch eher an ein Dornröschen-Märchen, bloß nicht so romantisch-märchenhaft und ohne Dornröschen – doch wer weiß? – ich war schon längere Zeit nicht mehr in Großbeuthen. Vielleicht ist inzwischen alles viel besser und viel schöner, als bei meinem vorigen Besuch?
Die Hoffnung – lebt immer – solange es ihr möglich ist.
Für heute, liebe Anne-Dore, beende ich meinen Brief.
Viele Grüße an Dich – ach was, an Euch alle – wo auch immer Ihr lebt."
Chris Janecke
Unsere Gegenwart erscheint in diesem Augenblick als das Wichtigere ... aber:
Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen was jener will.
Heinrich Heine
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Nachsätze:
Nun habe ich in meinem Kopf mit mäßigem Erfolg nach einigen Begebenheiten und Anekdötchen gesucht und diese notiert.
Ich bin noch nachträglich froh und dankbar, dass ich dieses eine Jahr im Zeitraum 1962–'63 in Großbeuthen miterleben durfte. Wir hatten den Schulunterricht, konnten die Schulhausaufgaben erledigen und taten die Tagesarbeiten auf dem Feld und im Stall. Am Abend Freizeit, die wir eigenständig gestalteten. Wir hatten unsere Bade-Kiesgrube, Tätigkeiten in den drei Arbeitsgemeinschaften, sangen, tanzten – oder hörten Musik, lasen, diskutierten.
Ich denke, wir hatten dabei den Eindruck, es fehle uns an nichts Wesentlichem.
Um 1990
Der erste Einschnitt über das Wissen des Lebens in Großbeuthen erfolgte im Zuge der so genannten „Abwicklung“, der Auflösung von Betriebsberufsschule und Lehrlingswohnheim in der Folge der Änderung des Gesellschaftssystems. Wichtige, interessante oder einfach nur schöne Unterlagen verschwanden offenbar in großem Stil – egal nun, ob aus plötzlich geänderter politischer Sichtweise oder aus Desinteresse der Verantwortlichen am Bewahren des Erarbeiteten. Verschwanden – vielleicht teilweise in Privathand übergehend, wahrscheinlich zum Teil in die Müllcontainer.
Von 2015 bis 2025
Über die Anzahl von Jahren hat sich eine Gruppe „Ehemaliger“ – ehemaliger Lehrlinge, in wechselnder Zusammensetzung immer wieder in Großbeuthen eingefunden, um sich nicht ganz aus den Augen zu verlieren, sich der Lehrzeit zu erinnern, Gedanken in Worten und auch in Bildern auszutauschen.
In jener Zeit wurde von diesem Freundeskreis, auch von anderen Besuchern, versucht, statt des bedauerten Vernichtetem nochmals ersatzweise etwas an Material zusammenzutragen. So gab es mehrere schriftliche Zeitzeugenberichte, eine Vielzahl von Fotos aus der damaligen Zeit, die Sammlung von Gebrauchsgegenständen der damaligen DDR-Alltagskultur, eine Reihe von Ausstellungstafeln aussagestarken Inhalts.
All das, was erneut über den Ort und die Ausbildungsstätte zusammengetragen wurde, fand eine geordnete Aufnahme in der Heimatstube des Ortes.
An diese Stelle gehört ein riesiges >Dankeschön<:
Für diese Gruppe Ehemaliger, für uns und viele anderen Besucher, hat Familie Saalfeld: Martina, Bernd und ihre beiden Töchter als Vorstand des Heimatvereins, auch an jenen Samstagen im September immer wieder ihre Freizeit geopfert und die Voraussetzungen für unsere erfolgreichen Treffen in der Heimatstube des Ortes bzw. im Garten ermöglicht, diese auch thematisch und organisatorisch mit eigenen Beiträgen aufgewertet und uns darüber hinaus mit einer prima Versorgung mit Kaffee und selbstgebackenem leckeren Kuchen größerer Auswahl erfreut und verwöhnt – solche uneigennützig engagierten, freundlichen und zuverlässigen Menschen findet man in Beuthen.
Danke, liebe Familie Saalfeld!
2025
Schon wieder ist ein weiteres Jahrzehnt vergangen, zehn Jahre in denen die Großbeuthener Heimatstube und vor allem deren wertvoller Inhalt besteht.
Aber da erreicht uns die Nachricht über den großen zweiten Einschnitt, über die nunmehrige Auflösung des ersatzweise mühsam-freudig erneut Gesammelten.
Die Nachricht für uns lautet:
Kleinbeuthen, 1. Febr. 2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Heimatstube Beuthen im Bürgerhaus Großbeuthen, 14959 Trebbin, Am Anger 18 wird zum 15.05.2025 geschlossen.
Wir bitten hiermit alle Eigentümer von Dauerleihgaben sich per Mail bis Montag, 17.03.2025 zu melden, um einen Termin für die Rückgabe abzusprechen.
Allen Besuchern, die in den letzten 10 Jahren auf ein Stück selbst gemachten Kuchen vorbeischauten, in alten Fotos und Unterlagen bei Grammophonmusik schmökerten oder dabei unverhofft Schulfreunde aus den (Geburtsjahrgängen der) 1940-igerJahre wieder trafen, unsere Feste und Aktivitäten besuchten, Zeitungsberichte und Jahrbuchtexte mit Genuss lasen oder schon mit Ungeduld erwarteten, als Stammgäste unser Archiv mit Geschichten, Fotos, Geschenken und Andenken - sogar aus Frankreich und Wales - bereicherten, durchstöberten oder einfach nur neugierig oder regelmäßig - selbst bei Regen - vorbei kamen, möchten wir unseren wirklichen und herzlichen Dank aussprechen:
Denn genau das war es, was uns 10 Jahre lang angetrieben hat. Interesse, Neugierde, Offenheit, Wärme, Unterstützung, Zuspruch – von freundlichen Menschen.
Ein weiterer Dank, ein sehr großer Dank, geht an die Stadtverwaltung Trebbin, die uns ziemlich genau 10 Jahre lang die Räumlichkeiten in Großbeuthen zur Verfügung stellte und natürlich auch an die Redakteure von regionalen Zeitungen oder Fernsehsendern, ohne deren Mitwirken ein Bekanntheitsgrad der Heimatstube nicht möglich gewesen wäre.
Fotos und Unterlagen werden gesichert, Exponate zurückgegeben.
Der Heimatverein Beuthen ist weiterhin an seiner Adresse: Kleinbeuthener Dorfstraße 39, 14959 Trebbin OT Kleinbeuthen, per Mail: heimatverein.beuthen@t-online.de oder den bekannten Rufnummern 033731/14691 bzw. 0179/2491593 erreichbar. Er wird versuchen sein "Historisches Gedächtnis" für die beiden Orte Groß- und Kleinbeuthen, für die Umgebung und für die "gute" alte Zeit auch ohne Heimatstube weiterzuführen oder Fragen zu beantworten.
Veranstaltungen werden in den Zeitungen oder auf Wunsch auch persönlich und telefonisch bekannt gegeben.
Bernd Saalfeld, Heimatverein Beuthen
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Gästebuch
Gern kannst du einen weiteren Bericht oder eine Ergänzung mit Deinen eigenen Erinnerungen schreiben. Richte diesen bitte an die
E-Mail-Adresse: chris@janecke.name
Soll Dein Kommentar hier veröffentlicht werden? Wenn ja, unter welcher Namensbezeichnung oder mit welchem Kürzel? Mit einer Absenderanschrift – oder ohne?
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Anhang 1
Erläuterungen zu gebräuchlichen Abkürzungen und zu zeitgenössischen Ausdrücken der DDR-Zeit, in der Reihenfolge, wie diese im vorstehenden Text auftraten
ZAPO Zehnklassige Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule, mit der Unterteilung: Unterstufe: 1. bis 4. Schuljahr, Mittelstufe: 5. bis 8. Schuljahr, Oberstufe: 9. und 10. Schuljahr.
Im Schultyp: Erweiterte Oberschule (EOS) gibt es die Klassen 9 – 12.
Zeitlich davor gab es die Bezeichnungen: Grundschule: 1. bis 8. Schuljahr, Mittelschule 9. und 10. Schuljahr, Oberschule: 11. und 12. Schuljahr.
„Junge
Kaninchenzüchter“ Kaninchen züchteten wir früher mit viel Spaß und großer Arbeitsleistung in den Ställen auf dem Schulhof – angesichts des mahnenden Auf- und Ausrufs: „Mehr Fleisch für die Volkswirtschaft, Genossen, ja?“ (um Versorgungsengpässe zu überwinden). Der Hilfe-Rufer hieß Walter Ulbricht und war der Staatsratsvorsitzende. Die Genossen Lehrer reagierten schnell Hilferuf und wir Schüler bauten deshalb die Ställe, beschafften Tiere, misteten aus, besorgten am Nachmittag von den Wiesen Grünfutter, fütterten vor Schulbeginn bis zum Abend, sprachen und kuschelten mit den Kaninchen ... und die Schulleitung verkaufte später das geschlachtete fleischige Ergebnis dem Staat bzw. die Lehrer aßen sie auch selber. Uns Schülern blieb das freudige Tun „für den weiteren Aufbau der DDR“. Fürs Leben lernen – lebenslang!
BBS Betriebs-Berufs-Schule. Schulbildung neben der berufspraktischen Lehrzeit.
SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, 1949 zusammengeschlossen aus SPD und KPD, auf das Betreiben der weitaus kleineren KPD. (Die Moskauer Regierung half beim Durchsetzen recht brüderlich).
Maximus – Lenimus Eine „Verballhornung“ von Marxismus – Leninismus, als sozialistische Theorien.
Stabü. Schulunterrichtsfach „Staatsbürgerkunde“.
53 17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR. Ausgangssituation: Proteste der Arbeiter gegen das Verschärfen von Arbeitsnormen ohne verbesserte technisch-organisatorische Grundlagen, bei der Beibehaltung (also relativen Senkung) des Lohnes. Beginn: im Berliner Bauwesen, Stalinallee. Niedergeschlagen von der Arbeiter-Regierung, auch mit Hilfe sowjetischer Panzer.
(Einen weiteren Aufstand gab es 1956 in Ungarn – dort ebenfalls militärisch mit Hilfe der Sowjetunion niedergeschlagen.)
68 Sommer 1968: Bürgeraufstand in der Tschechoslowakei für mehr Freiheit in Kultur, Politik, Öffentlichem Leben, .... (Prager Frühling). Dieser Aufstand wurde nach dem Hilferuf der Arbeiterregierung an die Sowjetunion durch militärische Niederschlagung und Besetzung des Landes erstickt. Die DDR-Regierung hätte die Nationale Volksarmee der DDR gerne mitmachen lassen aber die Führung der Sowjetunion genehmigte „diese Unterstützung“ nicht.
1961 Ab Sonntag, 13. August 1961, fast undurchlässiges Schließen aller Grenzen der DDR. Bau einer Mauer mit Vorzäunen (Stacheldraht, Minen, Selbstschussanlagen, Wachtürmen, Hundelaufstrecken, ...) auch um Berlin-West (bis 9. 11. 1989 wirksam bestehend).
„Die Mauer“, von Walter Ulbricht so geheißen, später aber von der DDR-Führung lieber „Der antifaschistische Schutzwall" genannt – gegen die eigene (aus dem Land fliehende) Bevölkerung gerichtet.
Weiße Maus freundlich-scherzhafte Bezeichnung für einen Verkehrspolizisten. In der DDR trugen ausschließlich die Polizisten, die im / für den Straßenverkehr eingesetzt waren, eine weiße Mütze. Daher diese Scherzbezeichnung.
VEAB Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb für landwirtschaftliche und gärtnerische Produkte.
VPKA Volkspolizeikreisamt. Polizeiamt eines Stadt- oder Landkreises. (In der Bundesrepublik: Polizeipräsidium).
Jugendwerkhof Geschlossene Einrichtung in der DDR für Straftäter, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und auch für „schwer erziehbare renitente größere Kinder und Jugendliche“, für politisch auffällig Unzuverlässige.
LWH Lehrlingswohnheim, eine weniger strenge Bezeichnung als „Internat“.
Anhydrit halbflüssig gegossener, daher bei seiner Herstellung in Grenzen selbst nivellierender Fußboden, der nach dem Abbindeprozess erstarrt – und anschließend rotbraun gestrichen und von uns gebohnert wurde. Eigentlich benötigt das Material und seine Farbschicht kein Wachs, wie beispielsweise ein Holzfußboden es sich wünscht.
Das Material erinnerte mich an einen Erholungsaufenthalt in Rottleben am Kyffhäusergebirge, wo ich drei Jahre vorher (1959) sein durfte. Dort haben wir zwischen der Barbarossahöhle und Bad Frankenhausen natürliche Anhydritvorkommen als Gestein des Gebirges vorliegen. Hier im Lehrlingswohnheim-Fußboden das gleiche Material aber vorher gebrochen, gemahlen, mit Wasser angesetzt und dann als „Brei-Fußboden“ gegossen.
DDR Deutsche Demokratische Republik. Sie bestand vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Okt.1990.
Einleitung des Endes der DDR 1989 mit dem letzten staatlichen Wahlbetrug der eigenen Regierung. Gefühltes Ende der DDR, mit der Bekanntgabe der Öffnung der Grenzen am 9. Nov.1989 (seitens des Politbüromitgliedes Günter Schabrowski). Rechtliches Ende mit dem Beitritt der DDR zur BRD, Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Die DDR ist wie die BRD nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Deutschen Reich hervorgegangen.
Frostperiode, eine persönliche. Der Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Vorsitzender des Politbüros im Zentralkomitee, Staatsratsvorsitzender der Deutschen Demokratischen Republik sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, Walter Ulbricht (30. Juni 1893 – 01. Aug. 1973) starb kurz vor dem Beginn der X. Weltfestspiele in Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR (die Hauptstadt der BRD war damals die Stadt Bonn). Um die Stimmung und das Organisieren der Spiele (Staatstrauer wäre erforderlich gewesen) nicht zu stören, wurde der teure Leichnam eben länger gekühlt und sein Ableben erst nach dem Ende der Festspiele bekanntgegeben. Ein Anekdötchen darüber sagt, dass diese Verfahrensweise Ulbrichts letzter Wunsch auf dem Totenbette gewesen sei, dem man einfach ihm zuliebe entsprochen habe.
W 50 Diesel-Lastkraftwagen, im Autowerk Ludwigsfelde gebaut, Tragkraft
5 t. In viele Länder des Ostblocks = Staaten des Warschauer Vertrages sowie nach Afrika und Asien exportiert.
Das „W“ steht für Werdau in Sachsen, wo er eigentlich ursprünglich produziert werden sollte. Das etwa gleich aussehende Nachfolgemodell hieß L 60; das „L“. dann für Ludwigsfelde.
GST-Keller Geräteraum der „Gesellschaft für Sport und Technik“, einer auf vielen Gebieten „vormilitärisch ausbildenden Organisation“. (Kraftfahrzeugsport, Reiten, Körpersport, Schießen, Funken, Schifffahrt, Flugwesen, Flugmodellsport und wahrscheinlich noch manch anderes mehr).
VEG Volkseigenes Gut. Staatsgut, aus dem 1945 enteigneten Ländereien (Rittergüter) gebildet. Deren Arbeitskräfte bezeichnete man als Landarbeiter.
LPG Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaft. Zusammenschluss der Feldflächen oder / und des Viehbestandes der Bauern / Landwirte auf „freiwilliger Basis durch Einsicht“, das hieß: „freudige Abgabe des privaten Eigentums, alter Rechte der Bauern bzw. Wiederhergabe des nach der Bodenreform zugemessenen Landes in einen großen Topf“ zur gemeinsamen Bewirtschaftung. (Siehe LPG Typ I, Typ II, Typ III).
RS 09 Ein Geräte tragender Rad-Schlepper, bedeutet hier etwa: Leichter Traktor mit wahlweiser Anbaumöglichkeit vielartiger landwirtschaftlicher Geräte. Dessen Vorgänger war der RS 08, der Nachfolger hieß GT 124. (GT = Geräteträger)
Plansilvester Die Jahresarbeit und deren Erträge wurden geplant. Betriebe hatten die Vorgabe oder auch den Ehrgeiz, „das Soll“ der Staatlichen Produktionsauflage schon früher als zum 31. Dezember zu erfüllen oder besser noch: in der Menge zu überbieten.
Deshalb „feierten“ sie schon mal die vorab erreichte Jahresleistung oder eben „Plansilvester“ vor dem kalendarischen Jahresende.
Agitprop Ausbildung darin, wie man andere Menschen durch „Agitation und Propaganda“ von einer Sache überzeugen sollte / könnte. Also Aufklärung, Belehrung, oft mit dem „Holzhammer“ und gegen den Willen und die Einsicht des Gesprächspartners.
0-8-15 bedeutet sinngemäß: Gleichgültigkeit, Interessenlosigkeit, gegenüber einer Sache, einem Zustand, einer Verfahrensweise, einem Lebewesen.
Raupe Kettenschlepper, schwerer Traktor (nicht auf Rädern mit Luftreifen, sondern eben auf Ketten – wie auch vom Panzer bekannt).
EOS Erweiterte Oberschule, damals die Zeitspanne vom Beginn des 9. bis zum Abschluss des 12. Schuljahre umfassend.
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Anhang 2
Über jüngere Schriften der Bildungs-Einrichtung, die nach unserem
Aufenthalt in Großbeuthen entstanden sind, gibt es in diesem Anhang
einige Meinungsäußerungen. So auch über das Programm der
Pädagogen zum Kampf um den Staatstitel
„Kollektiv der sozialistischen Arbeit“.
Später, so mein subjektiver Eindruck nach dem Sichten einiger weniger erhaltenden Akten, bestand in der BBS weniger Frohsinn als zu unserer Zeit, wurde die „Freizeit“ von oben organisatorisch stärker gefüllt, gab es vielerlei politische Vorgaben, die „das Leben straffen“ sollten – vielleicht wie häufig überorganisiert. – Dabei fiel auf, dass dabei, in jenem Zeitabschnitt, die Disziplin und die Arbeitsmoral offensichtlich rapide sanken. Ein unerkanntes Warnsignal. Wen mag das heute wundern? Aber auch weitere Einflüsse können dazu leider wirksam geworden sein.
Viele zumeist durch ständiges Wiederholen abgenutzt und „staubig“ erscheinende Schlagworte aus der „damaligen Zeit“ finden sich in den Dokumenten über die Arbeit mit den Lehrlingen. Zu den Begriffen für Vorhaben, die den Ablauf der Tage bestimmten, finden sich in dem Schrifttum häufig:
- Abrechnung - Appell - Arbeitseinsätze - Ausbildung von Gruppenführern - lehrplangerechtere Ausbildung - Auswertung des XI. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands - Berufswettbewerb - Vorbereitung der Demokratischen Volkswahlen - Disziplinmängel -
Ehrentitel „Sozialistische Brigade“ - FDJ-Jugendclub (Arbeitsplan) - FDJ-Jugendkollektiv -
FDJ-Studienjahr (permanente Polit-Schulung) - Fernwettkampf: stärkster Lehrling - Forum mit dem Wehrkreiskommando - Friedensdemonstration - Friedenslauf - Jungwählerforum - Kampfprogramm Kampf um das Sportabzeichen „Bereit zur Arbeit und Verteidigung der Heimat“ - Kampf um den Staatstitel „Kollektiv der Sozialistischen Arbeit“ - Kommunalwahlen - Werbung: Soldat auf Zeit -
Kampf um die „Urkunde des Staatsratsvorsitzenden“ - Militärische Nachwuchsgewinnung -
Lager für Arbeit und Erholung - Schießwettbewerb - Aufklärungsforen für die Volkswahlen -Erreichen der Lernziele (versuchsweises Senken der Hängenbleiberquote) - Verpflichtungen -Organisation der Zusammenarbeit der FDJ der BBS mit der Dorfbevölkerung - Probleme der Disziplin - Probleme von Ordnung und Sauberkeit - Vormilitärische Ausbildung - Verteidigung -
Tätigkeit von 20 Arbeitsgemeinschaften (wahlweise) – welch ein Angebot!!! - Zivilverteidigung: Übungen der ZV - Rechenschaftsberichte - Arbeitsbummelei von Lehrlingen, die hier wohnen - Versammlung der Betriebsgruppe der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft - Leistungsplanung -Wahl in der Grundorganisation der Freien Deutschen Jugend - Wandzeitungsgestaltung.
Eine Mehrzahl dieser Begriffe und deren pratkische Umsetzung hinterlassen bei mir Gefühle von Bürokratismus, Verstaubtheit, Gängelei, Einengungen für Körper, Geist und Seele – weit entfernt vom Wecken der Begeisterung zu kreativem Tun einer „Freien Deutschen Jugend“.
Vorgenannte Schlagworte spiegeln sich in den Brigadetagebüchern (als schriftliche Quelle über die Zeit von 1983 bis 1989) und in den Unterlagen zum Titelkampf: „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ der Pädagogen (Lehrer, Erzieher, Lehrmeister / Lehrausbilder) wider. Jene Aufzeichnungen künden vom unermüdlichen Ringen der Lehrer und Erzieher sowie Ausbilder, und listen teilweise deren Erfolge auf, was uns nebenbei auch einen Einblick in das Lehrlingsleben während dieser Jahre vermittelt.
Vorausschicken möchte ich, dass inzwischen gegenüber der vorher von mir beschriebenen Zeit 1962 / 1963 ein natürlicher Wechsel beim Personal stattgefunden hat. Wir treffen also in jener Zeit (außer vorerst noch dem Genossen Direktor Abromeit) keinen der von mir eingangs genannten Lehrer und Erzieher wieder.
Einige Gedanken zum Kampf des Pädagogenkollektivs um den Staatstitel
„Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ ab 1987
(- Auch diese sind inzwischen ein Beitrag zur Geschichte einer längst vergangenen Zeitepoche -)
Beim Lesen des „hochqualifizierten Kampfprogramms der Pädagogen-Brigade“ fühlte ich mich tatsächlich aus dem Jahr 2016 in die damalige Zeit der 1980-er Jahre zurück versetzt. Eine Anzahl der Punkte, die dort die souveränen Pädagogen-Akademiker zu Papier brachten, wirken nebulös bis krampfhaft und durchaus nichtssagend. Das hat mich nicht erstaunt – es war eben sehr häufig so. – Die Nachwirkung auf mich ist trotzdem auch heute noch beklemmend. Kein Wunder, dass dadurch die sozialistische Lebensfreude verbürokratisiert wurde und auch ablehnende Haltungen hervorrief.
Erkennbar ist aus dem Schriftgut, dass es die Pädagogen schwer hatten, – sie es bereits mit sich selber wohl nicht leicht hatten. So wirken die zur Erhöhung ihrer eigenen Kampfkraft, freiwillig auf's Papier gesetzten Selbstverpflichtungen mit den weiteren Zielen zur Erhaltung des Weltfriedens und zur Ehre des Vaterlandes, für den aufmerksamen Leser recht lieblos , inhaltsarm oder eben auch gequält. Als wesentlich bedeutsamer scheint es mir, dass eben die Lehrlinge / die FDJ-Mitglieder genau in dieser Art angeleitet, „zu echten sozialistischen Persönlichkeiten mit festem Klassenstandpunkt und als Kampfreserve der Partei“ erzogen wurden / werden sollten. – Nicht weit fallen sollen die Äpfel vom Stamm.
Nicht jeder der damals aktiv Beteiligten oder auch der heutigen Leser wird meine Gefühle, Gedanken, Äußerungen gleichermaßen mit mir teilen wollen oder können. Ich kann das leicht nachvollziehen und akzeptiere Unterschiede im individuellen Empfinden. Ich habe hier auch nur Punkte ausgewählt bei denen sich eine Möglichkeit des Verbesserns anbietet oder sich gar eine damalige Überarbeitungsnotwendigkeit der von den Pädagogen aufgeschriebenen Eigenverpflichtungen aufdrängt, ohne dass in der Praxis eine verbessernde Bearbeitung stattgefunden hätte. Man war zufrieden mit sich und mit seinem nicht erreichten Mittelmaß.
Ich habe diese Punkte mit Fragen oder Vorschlägen kommentiert. Es ist also eine einseitige Zusammenstellung. Das bedeutet auch: auf nette Lehrerausflüge, Jahresend-Feiern der Leitungskader, gemütliche Kegelabende und viele andere schöne Aktivitäten der Pädagogen, nehme ich hier keinen Bezug. Diese sind ja alle im „Brigadetagebuch“ beschrieben. Sie gelten also als an anderer Stelle ausreichend berücksichtigt und gewürdigt.
Für die Selbstverpflichtungen war es vom Staat vorgesehen, dass die Erfüllung jener Ziele nach der Dauer eines Kampfjahres konkret abzurechnen waren, um Geldprämien, warme Begleitworte und Blumen entgegennehmen zu dürfen.
So verpflichtete sich die Schulleitung als eines der Kampfziele – zum Thema „Schulräume“:
„Um unsere Bildungs- und Erziehungsarbeit effektiver zu gestalten, werden (von uns Pädagogen) die Unterrichtskabinette konsequent weiterentwickelt.“
Feststellung, Fragen und Vorschläge: Ach, schön. Konkrete Aussagen fehlen völlig zur „Verpflichtung“ – von einer nicht möglichen Abrechenbarkeit von Ergebnissen ganz zu schweigen. Hat das niemanden interessiert? Im Brigadebuch, das alle Initiativen und Erfolge erfasst, steht darüber ebenfalls nichts.
Was und wie wurde von wem und wofür „konsequent weiterentwickelt“, nachdem bereits von 1960 bis 1987 ständig entwickelt wurde. Was wurde in den Unterrichtsräumen während jener Zeit nun tatsächlich positiv verändert? Was hatte das für positive Wirkungen und für welche Schulfächer (leichtere Anschaulichkeit / Fasslichkeit des Stoffes?) Gab es in der Folge dieser gewiss wertvollen, wenn auch nicht genannten Maßnahmen eventuell Verbesserungen der Lehrmöglichkeiten, auch der Lernleistungen / des Zensurendurchschnitts der Schüler? Gab es vielleicht sogar greifbare Erfolge?
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Verpflichtung und Kampfpunkt zur Senkung der Arbeitsbummelei, also zum unentschuldbaren Fernbleiben von Lehrlingen von der Arbeit:
„Zur weiteren Durchsetzung der Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit – wird der Kampf um unentschuldigtes Fehlen in der Berufsausbildung konsequent weitergeführt. Wir (die Pädagogen) stellen uns das Ziel, das unentschuldigte Fehlen auf ein Mindestmaß zu senken."
Fragen: Wenn eine konsequente Weiterführung des Kampfes vorgesehen ist, erhebt sich die Frage: Was wurde bisher gegen den Schlendrian, gegen das Nichterscheinen von Lehrlingen zur Arbeit „konsequent“ getan? Worauf baut man auf? Das bleibt leider völlig offen. (Man hätte vielleicht besser gegen unentschuldigtes Fehlen kämpfen sollen? – kleine Polemik von mir.) Etwas Sinnvolles unternehmen gegen die Disziplinlosigkeit der Arbeitsbummelei von Lehrlingen, die schließlich hier im Internat wohnen, die also täglich greifbar sind, schiene angezeigt. Das aber wird nicht genannt. Wieso soll nun aber gerade das – was bisher leider nicht zum Erfolg führte, um Himmels Willen auch noch „konsequent weitergeführt“ werden? Warum haben die bisherigen sozialpädagogischen oder disziplinarischen Maßnahmen keinerlei der gewünschten Ergebnisse gebracht? Wer und was hat da versagt? Und warum? Wurde das jemals von den Pädagogen analysiert? Was muss das Pädagogenkollektiv künftig anders / besser machen als bisher? Benötigt es vielleicht eher selber fachliche Hilfe, externe Beratung, statt einer inhaltslosen Verpflichtung?
Was verstehen diese Pädagogen unter einem für die Zukunft anzustrebenden ominösen Mindestmaß an unentschuldbarem Fehlen, (welches demnach noch tolerierbar wäre) ... das sie mit ihrem konsequenten Kampf erringen wollen? Wie und womit wollen sie dieses äußerst merkwürdige Ziel im sozialistischen Kampf künftig erreichen? Warum nicht den Schlendrian des unentschuldigten Fehlens generell ausmerzen? Kennen diese Pädagogen tatsächlich ein anzustrebendes bestimmtes Mindestmaß an Arbeitsbummelei – so wie sie es auf's Papier bringen – oder ist es ihnen eher gleichgültig wozu sie sich verpflichten?
Auch die Erfolge dieser pädagogischen Kampf-Bemühungen werden, obwohl im Brigadebuch sonst die tollen Ergebnisse aufgeführt werden, nicht dargestellt. Gab es keine?
Die eingangs nur in der Überschrift erwähnten, sachbezogenen Punkte: Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit auf dem Grundstück werden hier mit dem verhaltensbezogenen Aspekt der Disziplinschwierigkeit / Arbeitsbummelei „unorganisch-künstlich“ vermengt. Wozu das? War den Pädagogen die Verschiedenheit der Begriffsinhalte nicht geläufig?
Trotz aller Kämpfe in der Erziehungsarbeit muss der Genosse BBS-Direktor auch an anderen Stellen mehrmals die mangelnden Verhaltensweisen von Lehrlingen kritisieren. Er führt aus, dass von den Pädagogen strenger darauf geachtet werden müsse, dass der Zustand des Lehrlingswohnheimes (trotz der Nutzung durch die Lehrlinge) möglichst erhalten bliebe.
An derartige Probleme kann ich mich für meine Zeit (ein Vierteljahrhundert früher) beim besten Willen nicht erinnern!
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Kampfziel und Verpflichtung: Wahrnehmung der Verantwortung seitens der Erzieher:
„In der Heimerziehung ist die bereits eingeleitete Erhöhung der Verantwortung der Erzieher ... weiter zu erhöhen und abrechenbar zu gestalten.“
Fragen und Vorschläge: Waren den Pädagogen nach den 30 Jahren Jahren des Bestehens von Berufsschule und Lehrlingswohnheim ihre Aufgaben, ihre Verantwortung noch immer nicht so ganz klar? Von einem hier nicht dargelegten und deshalb auch nicht als Basis verwertbaren >Stand X< wurde die Verantwortung der Erzieher bereits auf einen >Stand Y< erhöht und jetzt / künftig wird die Verantwortung „noch weiter erhöht“, also auf einen >Stand Z< gebracht. Aber warum? Und warum erst jetzt? Und mit welchen Zielen, mit welchen zusätzlichen verantwortungsvollen, wichtigen Aufgaben, die bisher nicht als notwendig erkannt und nicht wahrgenommen wurden? Obwohl man nunmehr schon theoretisch richtig erkannte: diese Ziele müssen für eine Abrechnung konkret formuliert sein, die Aufgaben müssen also vorher bekannt gegeben werden. Trotzdem werden diese aber mit keinem Wort genannt. Man nennt sie nicht – man kennt sie nicht – wie will man die Ziele, die Verbesserungen erreichen, um jene wie üblich „heroisch kämpfen“? Man ist eben hauptsächlich wie immer vorerst einmal total „konsequent“.
Hätte man besser etwas in der Art schreiben sollen: „Es liegt uns das bisherige Aufgabenblatt (Muster) für die Erzieher vor. Weil die Erzieher zeitlich nicht ausgelastet scheinen und weil deren Arbeit trotzdem zum Teil nicht zufriedenstellend erfüllt wurde, haben wir nun gemeinsam dieses neue, ab 1. September verbindliche Aufgabenblatt (Funktionsplan, Stellenbeschreibung) aufgestellt. Alle sind damit zufrieden. Alle kennen nun ihre bisherigen und die wenigen neu hinzugekommenen Aufgaben, die bisherige Lücken schließen. Jedem liegt dieses Aufgabenblatt als Bestandteil des Arbeitsvertrages und zur Erinnerung schriftlich vor. Und dieses Aufgabenblatt ist auch Anhang dieses Kampfprogramms, anhand dessen die auswertende Abrechnung geschehenn wird.
Wir versprechen uns damit die Verbesserung der Arbeit der Erzieher und berichten im nächsten Quartal / im nächsten Jahr zu den einzelnen Ergebnissen“. – Das wäre etwas Normales, etwas Greifbares gewesen! – Endlich abrechenbare Hausaufgaben, so wie sie seitens dieser Pädagogen von den Schülern seit Jahren verlangt werden. Gab es vom Ministerium für Volksbildung keinen Rahmenplan als Hilfe, gar keine Anleitung für die Aufgaben von Lehrern und Erziehern?
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Leitspruch der Pädagogen, unter den sie ihre Arbeit, also ihren täglichen Kampf stellen:
Als Hauptfeld unserer Bewährung sehen wir die Ausbildung junger sozialistischer Facharbeiter für die Landwirtschaft, die Bildungs- und Erziehungsarbeit sowie die Schaffung verbesserter materieller Bedingungen für die Ausbildung! Nur so erreichen wir mit steigendem Leistungswachstum eine hohe Arbeitsproduktivität.
Dazu die Kampf-Verpflichtung zu Wiederholungsprüfungen bei Durchfallgefährdeten:
„Durch gute Vorbereitung der Lehrlinge auf die Abschlussprüfungen wollen wir den Anteil der nötigen Wiederholungsprüfungen von 23 auf 17 im kommenden Jahr senken.“
Fragen und Vorschläge: Warum waren 23 Lehrlinge zum Abschluss durchfallgefährdet? Konnten sie die Leistungen von ihrer Auffassungsgabe her nicht erbringen oder waren sie einfach nur faul? Nur das kann doch Auskunft darüber geben, ob dieses angestrebte Senken um etwa ein Viertel, viel oder wenig ist, die gedachten Maßnahmen sinnvoll oder unzureichend. Warum Durchfallgefährdung zum Abschluss der Lehrzeit? Konnte man diese Gefährdung nicht schon früher erkennen und die Schüler fordern und fördern? Arbeitsgemeinschaften zur organisierten, gelenkten Freizeit gab es zu jener Zeit zwanzig!!! – keine einzige! aber, die sich mit der Hilfe und Unterstützung beim Festigen des Lehrstoffs für bestimmte Lehrlinge beschäftigt hätte. Darauf ist man im sozialistischen Pädagogenkollektiv offenbar nicht gekommen oder hat es nicht gewollt? Auch von der Möglichkeit persönlicher Patenschaften wird nichts erwähnt. Hätte man leider dann richtiger sagen müssen: Dieser Lehrling schafft's intellektuell nimmer – und notfalls ... auf einen ordentlichen Teilfacharbeiter-Abschluss hingearbeitet? Allein Wiederholungsprüfungen (als Momentanbild) zum gerade so Durchschleusen?
Was soll, wenn es um junge Menschen geht, die das Leben vor sich haben, denen wertvolle Tiere, hochwertige Fahrzeuge und Maschinen in ihre Obhut gegeben werden sollen, was soll da ein gerade so Durchschleusen, um die Prozentzahl der Pädagogen-Selbstverpflichtung zu erfüllen? Was sind da zwei nackte „Stückzahlen“ vom „Ist“ zum „Soll“ – völlig ohne Aussagekraft. Schon Goethe meinte, dass die Kunst darin bestünde, alle Menschen dahin zu bringen, wohin sie zu bringen sind. Das hieße hier: Zwar mit unterschiedlichen Anforderungen (Niveau) des Lehrabschlusses aber letztendlich zu beiderseitigem Vorteil – nicht unbedingt, eine Anzahl-Senkung derer, die die Prüfungen nicht bestehen, um gerade ein Viertel. Und die anderen Kandidaten, die Mehrzahl der gefährdeten Lehrlinge – einfach fallen lassen? Oder anders gefragt: Wie können die Lehrer als ihr sozialistisches Arbeitsziel von vornherein einplanen / vorgeben / festlegen, dass bei höchstem Einsatz ihrer pädagogischen Kunst auch im kommenden Jahr wieder mindestens 17 Lehrlinge den Berufsabschluss nicht schaffen werden – falls dieses hoch gesteckte Ziel überhaupt erreicht wird.
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Verpflichtung und Kampfpunkt zur Energie-Einsparung und zum bewussten Umgang mit wertvollen Ressourcen:
„Um Energie einzusparen, werden folgende Maßnahmen durchgeführt: * Kontrolle der notwendigen Beleuchtung, * tägliche Kontrolle der Raumtemperaturen, * Künftig achten die Lehrmeister auf die vernünftige Nutzung von Dieselkraftstoff, um Einsparungen zu erzielen.“
Fragen und Vorschläge: Stellen sich nicht auch diese Verpflichtungen sowohl qualitativ als auch quantitativ als nebulös dar? Sind diese in die Zukunft schauenden Verpflichtungen nicht allesamt Selbstverständlichkeiten für und von „vorgestern und gestern“?
Nur als Beispiele des durchaus möglichen Konkretisierens: „Wir legen fest: Am Tage wird die Beleuchtung in den Fluren ab sofort prinzipiell ausgeschaltet! Statt der 4 x 80 Watt Leuchtstofflampen in den Fluren richten wir für die Nachtstunden eine orientierende Beleuchtung mit 3 Stück 25-Watt-Lampen ein. Das ergibt im Jahr eine Einsparung von etwa XX,xx Mark.“ (Die Leuchtstoff–Leuchten waren ohnehin nicht die größten Verbraucher im Haus). –
Die halb versteckte Aussage, die Lehrmeister, also die ausbildenden Pädagogen und Meister ihres Fachs, hätten bisher nicht auf den vernünftigen Umgang mit dem Treibstoff geachtet, nimmt sich nicht gut aus. Wurde seitens der Ausbilder oder unter deren Augen zu viel Kraftstoff verplempert? Wo ist jener geblieben? (im Erdboden versickert?) Woran lag es konkret? Angepeilte Ziele, greifbare Maßnahmen und gar ein konkreter Maßstab für die Erfüllung zu diesen „Verpflichtungen“ werden aber auch hier nicht ausgewiesen. Hätte man nicht bitte etwas Sinnvolles aufnehmen können, statt: Wir Führungskräfte verpflichten uns, anders als in den vergangenen Jahren, künftig vernünftig mit Dieselkraftstoff umzugehen – und dann: daraus auch noch „Einsparungen“ abzuleiten – nein, diese „neue Verpflichtung“ benennt lediglich vorsichtig-pauschal und unkonkret den Schlendrian, die bisherige Unvernunft der verantwortlichen Erzieher und Ausbilder, und möchte dazu anhalten, künftig das Normale zu tun!
Man hätte doch auch sagen können: „Wir müssen selbstkritisch einschätzen: Stichproben unserer Eigenkontrolle oder Hinweise von unseren Lehrlingen ergaben, dass abgestellte Arbeitsmaschinen in Anwesenheit unserer Meister oft 20 bis 30 min. im Leerlauf tuckern. Wir legen gegen diese Praxis also verbindlich fest: Steht der Traktor länger als zwei Minuten ungenutzt am Arbeitsort, ist der Motor abzustellen. Wir verbrauchen damit geschätzt 570 Liter Dieselkraftstoff im Jahr weniger, schützen die Umwelt und erreichen damit nun auch einen sonst als üblich geltenden Arbeitsstand“.
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Punkt: Messe der Meister von Morgen
Kommentar: Etwas mehr an Ausführungen hätte ich mir auch zu den MMM gewünscht. Welche Themen waren das im Einzelnen? Von wem kamen die Themen-Ideen? Wer erarbeitete die Aufgabenstellungen, wer die Lösungen? Hatten die Ergebnisse ideelle Werte oder wurden materielle Erfolge für den Betrieb erzielt (Senkung der Kosten, Einsparung an Material, Verringerung des Aufwandes an Arbeitszeit, Erleichterung an körperlich schwerer Arbeit, Schutz der Umwelt, verbesserte Landschaftspflege und ähnliche Faktoren) – alles bleibt ungenannt.
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Meine zusammenfassende Meinung zu diesem Kampfprogramm der Pädagogen
Vielleicht hätte man beim Aufstellen eines solchen Kampfprogramms der Lehrenden und der Erziehenden durchaus auch einige „aufgeweckte und noch unverbildete“ Jugendliche als Berater heranziehen sollen. Hätte man mich gebeten – ich hätte gesagt: „Bitte gerne, bin immer bereit“.
Ich hätte gerne mit klarem Kopf und leichter Hand geholfen, die Qualität auch dieser vorgenannten Lehrer- und Erzieherarbeit wesentlich zu bessern!
Nun
gut. Ich bin kein akademisch gebildeter Pädagoge, nur ein einfacher
Mensch. Wäre ich aber Mitarbeiter einer Jury zur Begutachtung des
Programms und der Erfolge des Titelkampfes dieses
Pädagogen-Kollektivs gewesen und hätte mir ein Genosse BBS-Direktor
ein solches Kampfprogramm mit derartigen Wettbewerbs-Verpflichtungen
zur Zustimmung und zwecks erwarteter Auszeichnung überreicht und
dabei solche üblich schönen Worte gewählt wie:
Das ist die
„Darlegung unserer konkret abrechenbaren Höchstleistungen für
Frieden und Sozialismus“
oder
„Unser Beitrag im Sozialistischen Wettbewerb zu Ehren des Vaterlands und zum Erhalten des Weltfriedens“,
dann hätte ich dieses Programm ... mit helfenden Änderungsbeispielen zurückgewiesen.
(Ich habe hier eine sehr zurückhaltende Ausdrucksweise gewählt, die nicht meine Gefühlsaufwallung widerspiegelt).
Es ist ein Spiegel: Was die zum Teil akademisch gebildeten Pädagogen hier ablieferten – in genau dieser Art wurden die Lehrlinge v-erzogen. Genau so sollten auch wir werden, genau so trocken-staubig, ewig gestrig-voranstürmend. Parteisoldaten. Ideenarmut. Nichts Originelles – aber Phrasen am laufenden Band. Wundern wir uns also bitte nicht darüber, dass diese Menschen Probleme miteinander hatten. Hier vermisse ich kreative Denkprozesse, Denkergebnisse und deren Umsetzung, die imstande sind, andere Menschen zu begeistern, sie mitzureißen.
Aber dieser „Kampf“, ein Krampf in der Praxis: Nun, ich weiß ja wie das lief ... es musste irgendwie laufen. ...
Wahrscheinlich wäre ich in einer Jury, in einer Beurteilungsgruppe zur Entgegennahme derartiger „glorreicher Kampfleistungen“ mit meiner konstruktiv-helfenden Einstellung, die wie üblich wohl als „negativ-feindlich“ bezeichnet worden wäre, die längste Zeit Jurymitarbeiter gewesen. – Und in der Wirklichkeit bekam ja das Pädagogen-Kollektiv sowieso unproblematisch auch für diese mindere Qualität die Urkunden, die kleinen materiellen Prämien, die Orden, die roten Nelken oder Alpenveilchen (je nach Jahreszeit). Das sollte eben so sein und deshalb blieb auch alles beim alten ... und wurde, weil die Qualität so blieb, gesamtgesellschaftlich eher noch dürftiger. –
Sagen wir optimistisch und unkritisch-positiv als Zeichen dieser Zeit und der Gesellschaftsordnung:
„Dieses Programm spiegelt die Qualität, den Fleiß und die vielfältigen Initiativen der sozialistischen Pädagogen beim täglichen unermüdlichen Ringen um das Erreichen des Staatstitels wider.“
Trotzdem haben mich über Jahrzehnte solche Fragen bewegt: Warum ist das auch mit den Lehrern und Erziehern so? Konnten oder wollten sie diesen Biegeprozess an ihrem Geist nicht erkennen? Konnten oder wollten sie kein anderes eigenes Verhalten, als sich verbiegen zu lassen? War es ihr „natürliches Ziel“ uns Lehrlinge ebenso zu verbiegen – auf Biegen und vielleicht Brechen – auf dem Wege zu „allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten“– wie es üblicherweise hieß.
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Das „Brigadebuch" der Lehrer, Erzieher und Ausbilder weist u. a. auch darauf hin:
Aus dem „Brigadetagebuch“: Arbeitspunkt >Erfahrungsaustausch in Freundesland<
Im Mai fuhr eine Lehrlingsgruppe aus der Tierproduktion in den Partnerbetrieb der polnischen Freunde nach Karpacz. Hierfür wurden unsere Lehrlinge alle mit einer ansprechenden vollständigen, einheitlichen Arbeitskleidung ausgestattet.
Kommentar: Wie vom Deutschen Modeinstitut der DDR gestaltet und maßgeschneidert. Und warum? Sollten die polnischen Freunde denken, dass bei uns die Lehrlinge stets mit einer modischen Einheitskleidung bedacht werden, die der Betrieb zur Verfügung stellt? Eigentlich sollten wir bei den noch etwas einfacher gestellten Nachbarn weder Neid noch Fehleindrücke erzeugen, zumal diese vorgeführte Ausstattung nicht die üblichen, wahren Verhältnisse zeigt! Warum fuhren sie überhaupt als Gäste in der (neuen) Arbeitskleidung ins Nachbarland? Was sollte diese Maßnahme eigentlich bewirken? ... und wie hatte sie gewirkt? Auch das fehlt. Alles Wesentliche fehlt.
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Wie kommt das Lehrlings-Wohnheim zu seinem Ehren-Namen „Siegfried Widera“?
Wir haben eine Festwoche zum 30-jährigen Bestehen der BBS 1957–1987. Die offizielle Festveranstaltung findet dazu am 04. Juni 1987 statt. Am Vormittag das Sportfest. Ein ausführliches Programm wird vorgestellt. – Zu diesem festlichen Anlass erhält die BBS / das LWH am Nachmittag den Ehrennamen „Siegfried Widera“.
Der Name ist bereits in großen Lettern am Eingang zum Wohnheim angebracht. Wer aber ist / wer war Siegfried Widera? – Siegfried Widera, geboren am 12. Februar 1941, war Stabsgefreiter, posthum zum Unteroffizier befördert. Er versah seinen Dienst bei den Grenztruppen im demokratischen Teil von Berlin (DDR) und wurde am 23. August 1963 von zwei republikflüchtigen DDR-Bauarbeitern, die im Grenzgebiet tätig waren, mit einem stählernen Werkzeug angegriffen und kampfunfähig geschlagen. Dabei erlitt Siegfried Widera einen Schädelbasisbruch, an dem er am 8. September 1963 verstarb. Wir werden sein Andenken stets in Ehren halten.
Kommentar: Es ist schrecklich, wie viele Menschen an der Grenze zwischen beiden deutschen Staaten starben und unter welchen Umständen!
Ihnen und ihren Angehörigen gehört unser tiefes und anhaltendes Mitgefühl!
Was aber gehörte zu den Umständen des Vorgangs, was blieb für uns bei der Feier ungesagt, was blieb uns an Informationen verborgen? Versuchen wir die Tatsachen festzuhalten:
Im Grenzgebiet, also unmittelbar an der Grenze, wurden als Bauarbeiter nur „handverlesene“, zuverlässige klassenbewusste Genossen eingesetzt. Wir wissen aber, dass auch sehr oft treue und teure SED-Genossen zwei Gesichter hatten und (hier) den illegalen, ungenehmigten Grenzübertritt beabsichtigten und dabei nicht vor Mord und Totschlag an anderen Genossen zurückschreckten.
Der Zeitpunkt dieser Tat und der Flucht aus der DDR lag außerhalb der Arbeitszeit der Bauarbeiter-Truppe. Die beiden später Flüchtenden wollten eben hier (außerhalb des zugelassenen offiziellen Arbeitsprogramms bei dem jeder jeden beobachtete) „nach Arbeitsende noch ein wenig hierbleiben, noch etwas richten“ – was prinzipiell als unzulässig galt.
Die beiden unsere Staatsgrenze schützenden Armeeposten hätten die Bauarbeiter auch schon zur normalen Arbeitszeit mit Abstand und der Waffe in der Hand beobachten müssen, wie es die Dienstvorschrift vorgab. Sie aber ließen sich (in Körpernähe) auf ein kumpelhaftes Schwätzchen unter zuverlässigen Genossen mit den nicht arbeitenden, doch mit „schweren Schlagzeugen“ versehenen Bauarbeitern ein, so dass sie trotz ihrer Bewaffnung tätlich angegriffen und überwältigt wurden, kampfunfähig waren. Die Genossen Bauarbeiter überwanden anschließend unbehelligt die Grenzanlage in den Westteil Berlins.
Wäre Siegfried Widera nicht an der Folge dieses Angriffs gestorben, wäre wohl die posthume militärische Beförderung ausgeblieben. Er hätte sich eher vor dem Militärgericht wegen der grundsätzlichen Vernachlässigung seiner Dienstpflichten verantworten müssen, vermute ich.
Widera hätte eher eine Strafe bekommen und das Lehrlingswohnheim Großbeuthen hätte nicht diesen Ehrennamen für vernachlässigte Dienstpflichten und anlässlich des Totschlags oder Mordes unter ehrenwerten Genossen erhalten. – Das alles aber wurde den Lehrlingen bei der Verleihung des Ehrennamens nicht gesagt.
Die junge Geschichte zeigt, dass sich das Thema, neben dem tragischen persönlichen Ergebnis, auch sehr gut politisch nutzen ließ. Aber das ist wie stets nur meine persönliche Ansicht.
Die Pädagogenführung sah das völlig anders – gegenteilig. Dagegen kann ich nichts machen.
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Problemdarstellung: Mangel an Disziplin. Mängel in Organisation und beim Material.
Sehr hilflos wirken die Ausführungen des Genossen BBS-Direktors namens Pfannkuchen zur „Komplexkontrolle“ des Rates des Kreises (Zeitung vom 24. Nov. 1988) wenn er sinngemäß und wiederholt über die mangelnde Disziplin von Lehrlingen spricht und er ausführt, dass er die Funktion des BBS-Direktors vor 4 Jahren (von Genossen Abromeit) übernommen habe, sich aber jetzt, in seinem 5. Regierungsjahr, etwas ändern müsse, weil es mit diesen angehäuften großen Problemen nicht so weiterginge!
Ja, warum und womit kamen die diplomierten Pädagogen mit einem Teil der jungen Menschen nicht klar? Was wollte er eigentlich damit (außer einem ungewollt selbstkritischen Klagelied) den Beratern des Rates des Kreises mit auf ihren Weg geben?
Was wollte der Chef sich nun selber zukunftsweisend vorschlagen, (es müsse sich was ändern, – irgendetwas?) worüber er schon mit seinem Pädagogenkollektiv vier Jahre lang ergebnisarm nachgedacht hatte? Das, und somit das Wesentliche, kam leider wie üblich nicht zur Sprache!
Offenbar hatte das Pädagogenkollektiv auch aktuell keinerlei Konzepte und es hat vermutlich auch niemand nachgefragt oder ihnen seitens der Verwaltung im Rat des Kreises geholfen.
Des Genossen Direktors Klagen über die Materialsituation im Land, darüber, dass das Organisieren und Koordinieren einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit als Pädagoge und Direktor verschlänge, war ja so was von mutig aber bestimmt auch verzweifelt. Merkte er dabei überhaupt gar nicht, dass er und seine kritischen Worte sich bereits in der Zone bewegten, die üblicher Weise als „negativ-feindlich“ bezeichnet wurde? Man könnte also auch zusammenfassend sagen: „Großes Glück hat er gehabt“. Natürlich – es war aus seiner Sicht bloß ein momentanes Ablassen seines psychischen „Dampfdrucks“ – geändert hat es an den Verhältnissen in Großbeuthen oder am Wirtschaftssystem der DDR überhaupt nichts.
Trotzdem wurden beispielsweise die Großvorhaben des Anlegens eines Sportplatzes und der Halle für Sport und Ausbildung realisiert. Das muss in der damaligen Zeit als eine große Leistung angesehen und gewürdigt werden!!! Diese Art von Schwierigkeiten und den unökonomischem Organisationsaufwand, besonders für einen Nicht-Baufachmann, kann sich wohl heute kaum jemand mehr vorstellen. – Also: Alle Achtung, Herrn Pfannkuchen und seinen Mitarbeitern! Und es gab natürlich eine Anzahl weiterer schöner Initiativen.
Viele der Beschäftigten haben daran lange in ihrer Freizeit mitgearbeitet, Ihr Herzblut dafür gegeben! Das wollen wir nicht vergessen, sondern es ihnen auch hier danken!!!
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Thema Arbeitsgemeinschaften
Es gibt bei uns eine große Anzahl von Arbeitsgemeinschaften: - Volleyball, - Elektronik, - Technisches Basteln, - Reitsport, - Fußball, - Weltgeschichte, - Fotografie, - Textiles Gestalten, - Aquarienfreunde, - Kulturgruppe, - Schießen, - Tischtennis, - Schwimmen, - Billard, - Popgymnastik, - Motorsport, - Kraftsport, - BBS-Chronik, - Kochen, - Nähen.
Kommentar: Das liest sich traumhaft – es war zu unserer Zeit wesentlich schlichter. Eine aufopferungsvolle Leistung der Leiterinnen und Leiter dieser Arbeits-Gemeinschaften. Schade aber, dass trotz des langzeitig erkannten dringenden Bedarfs keine Gemeinschaft zur Unterstützung schwächerer Schüler, gegen die Durchfallquote, zum gemeinsamen Erreichen der Unterrichts- und praktischen Ausbildungsziele eingerichtet wurde (ich erwähnte das bereits vorstehend).
Hätte
die Großbeuthener Heimatstube heute die Aufzeichnungen der
Arbeitsgemeinschaften, so
z. B. auch die der AG BBS-Chronik,
– es wäre wundervoll. Ein Fundus für das gute Leben in
Großbeuthen. Wohin mögen die Pädagogen oder sonstige Aufräumer
all die wertvollen Dokumentationen, die Zeugnisse der Zeitgeschichte,
„verbracht oder aufbewahrt“ haben, als der Betrieb aufgelöst
wurde, so, dass diese nicht mehr auffindbar waren, leider als nicht
mehr existierend galten und gelten? Die wahre Geschichte zu negieren,
verschwinden zu lassen, bedeutet eben nicht, diese bewahrt oder
aufgearbeitet, daraus gelernt zu haben.
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Auszeichnung '88?
Irgendwann in diesem Jahr lasen wir in einem der sozialistischen Presseorgane die wichtige Meldung, dass der frühere Lehrling (1961–1964) aus unserer BBS, Günter Böhme, in Würdigung seiner Leistungen beim weiteren sozialistischen Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik nun auch mit dem „Vaterländischen Verdienstorden in Gold" ausgezeichnet wurde.
Unsere Gratulation! Nun, um Missverständnissen vorzubeugen: Diesen verdienten Orden erhielt nicht der Land-Arbeiter oder der Landwirt Gü. Bö., denn er hatte schnell den Weg einer politischen Karriere gewählt. Gü. Bö. war von jeher ein Leistungsausgezeichneter und ein Gewandter. Entsinne ich mich richtig – so schrieb er bereits als Lehrling für den Direktor die Goldenen Worte zu hohen Staatsfeiertagen, die dann jener nur noch, genauso edel, vom Blatt ablesen brauchte. Das war eine kleine willkommene Entlastung für den Direktor Abromeit aber das Ergebnis war trotz aller Mühe nicht sonderlich auffallend, das dann Vorgetragene nicht gerade originell. Wohl alle Redevorbereiter, auch Zeitungsjournalisten, bedienten sich aus Gründen der gleichen Worte und Redewendungen der Einheitspartei-Phraseologie. Gü. Bö. hat viel des Lobes verdient. Und jetzt, mehr als zwei Jahrzehnte später, wissen andere: Er füllt seine äußerst wichtige, sehr schwierige und umfangreiche Funktionärstätigkeit als stellvertretender Abteilungsleiter beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei hervorragend aus. – So ähnlich wie Millionen Arbeiter, Beschäftigte im Handwerk, wie ungezählte Angestellte und Vertreter der Intelligenz.
Diese
wichtige Zeitungsnotiz schnitten wir sorgfältig für die BBS-Chronik
aus aber leider ging uns dabei im doch verständlichen Eifer die
Angabe, aus welchem Presseorgan der Artikel stammte und auch das
Erscheinungsdatum verlustig. Wir vermuten zuversichtlich, dass es
wahrscheinlich zum
1. Mai
war!
Kampftag. Oder
doch vielleicht eher
zum 7. Oktober?
Gründungstag, vor 39 Jahren. Es war aber höchstwahrscheinlich wohl
ziemlich zuverlässig irgendwann 1988. Der Geehrte wird ganz sicher
einen Nachweis in seiner Auszeichnungs- und Ordenssammlung besitzen.
Es wird also am Wissen zu dem Datum im Prinzip nicht mangeln.
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Diese wenigen Punkte zum täglichen Kampf und über das ständige Ringen, waren nur einige Beispiele aus den Darstellungen des tatsächlichen, ganz wirklichen Lebens, die schon einige Jahre später (nach der politischen Wende 1989) eher etwas eigenartig anmuten. In unserer kleinen Welt wurden diesen aber äußerste Wichtigkeit beigemessen. – Gab es aber, schaute man über den „Deckelrand“ hinweg, nicht weitaus größere Probleme? Und auch bessere Lösungen?
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Anhang 3
Einige Einblicke in das damalige Zeitgeschehen
„Wir Leser sind erst nach der beschriebenen Zeit geboren worden, haben jene Zeit also nicht selbst miterlebt. Es ergeben sich also Fragen wie: In welchem gesellschaftlichen Kontext ist denn diese Zeit in Großbeuthen zu sehen? Wie war denn die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage zu jener Zeit in Deutschland, wie die Stimmungen der Bevölkerung im Lande? Was tat sich zu der Zeit in den Ländern, mit denen Deutschland einen engeren Kontakt pflegte? –
Was beeinflusste in den Jahren 1960 bis 1965 das Leben der damaligen DDR-Bürger?“
Hier mein Versuch aus der Vielzahl von Ereignissen einige Beispiele aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und unserem Alltag darzustellen
Zur Zeitgeschichte im Jahr 1960
Politik in der DDR:
Zu den Osterfeiertagen flüchten etwa 4.000 DDR-Bürger nach West-Berlin. –
Das Schiff „Völkerfreundschaft“ tritt zu seiner ersten Reise als Urlauberschiff des FDGB an. (Es wurde 1944 in Schweden gebaut). Sein Einsatz dient der Erholung ausgewählter verdienter Werktätiger und Parteiarbeiter sowie Veteranen. –
Am 22. Juli 1960 wird das Solidaritätskomitee der DDR gegründet. –
Am 07. September stirbt Wilhelm Pieck (geboren 1876, Mitglied der KPD, dann SED), der erste und letzte Präsident der DDR. Das Präsidentenamt wird nach seinem Ableben abgeschafft.
Am 12. September beschließt die Volkskammer der DDR auf ihrer 14. Tagung bereits das „Gesetz über die Bildung des Staatsrates der DDR“. Das enthält aber keinen Katalog von Bildungsmaßnahmen wie man vermuten könnte, sondern legt fest, welche Amtspersonen sich zur Führung des Staates zusammentun. Der Vorsitzende dieses Rates wird Walter Ulbricht und außerdem ist er Erster Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, wie auch Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates. Bei allen Nachrichten, bei denen sein Name erwähnt wird, gehört auch das Nennen zumindest der wichtigsten Funktionen, die tägliche Bekanntgabe der Machtfülle untrennbar dazu. Das, was ja jeder wusste, gebärdete sich immer etwas überlang und recht sperrig, schien aber wohl unerlässlich zu sein.
W. Ulbricht führt erklärend aus, dass die Bauern in der DDR durch die (Zwangs-) Kollektivierung befreit worden seien. Er meint damit: Erstmals werden die Bauern nicht mehr vom Feudalherrn / Großgrundbesitzern / Junkern unterdrückt, die die Landbevölkerung noch bis vor 15 Jahren ausgesaugt hatten (das wussten die meisten schon). Die Menschen hätten erstmals eine geregelte Arbeitszeit, Anspruch auf Urlaub, erstmals gibt es eine staatlich organisierte Kinderbetreuung und die Sozialversorgung. Die Möglichkeit der gemeinsamen Maschinennutzung, die der Einzelne sich meist finanziell nicht leisten könne, sei gegeben. Damit seien also auch gewaltige Arbeitserleichterungen verbunden. Völlig unverständlich erschiene es ihm, warum Menschen, darunter auch viele Landwirte, der DDR den Rücken kehren, das Land fluchtartig verlassen. Ulbricht erklärt die Kollektivierung im April 1960 als abgeschlossen – (in der Praxis ist das aber nicht genau so).
Vom 15. September 1960 an, dürfen Bürger aus der BRD nur noch mit einer auf die Person ausgestellten Einreisegenehmigung in die DDR einreisen, die vorher schriftlich in der DDR zu beantragen ist. Die Pässe Westberliner Bürger werden nicht mehr anerkannt. –
In diesem Jahr werden knapp 200.000 DDR-Bürger ihre Heimat verlassen haben. Aus Gründen. –
Politik in der BRD:
Schnellgerichte werden tätig, um auf die vielen antisemitischen Schmierereien zu reagieren.
Bundeskanzler Adenauer trifft am 14. März den israelischen Präsidenten Ben Gurion in New York. Es geht um die Weiterzahlung von finanziellen Leistungen als „Wiedergutmachung“ der Gräuel während der Naziherrschaft, die Aufarbeitung der jüngsten antijüdischen Vorkommnisse und vor allem um die Lieferung militärischen Geräts nach Israel. –
Der BRD-Vertriebenen-Minister Theodor Oberländer tritt zurück. Er war in der DDR – in seiner Abwesenheit – wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine und im Kaukasus sowie der Vorbereitung der räuberischen Übernahme und Nutzung landwirtschaftlicher Flächen in diesen Gebieten durch Deutschland, zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt worden. – Er reiste jedoch nicht in die DDR, um diese Haftstrafe abzusitzen.
Politik im Ausland:
Der
Bürgerrechtler Nelson Mandela wird in Südafrika wegen seiner
freiheitlichen Gesinnung und wegen des friedlichen Auflehnens gegen
die Apartheid für 27 Jahre eingekerkert. Erst am
12. Februar
1990 wird er wieder die Freiheit erlangen. –
Bürgerkrieg
im Kongo (1960–1963). Die UNO greift ein, um dem Krieg ein Ende zu
bereiten. Am
1. August wurde Französisch-Kongo frei und
erhielt den Namen Republik Gabun. In diesem Land arbeitet auch Prof.
Dr. Albert Schweitzer im Dorf Lambarene am Fluss Ogowe.
Ihre Unabhängigkeit erhalten in diesem Jahr 14 afrikanische Länder, die bisher (auf Zeit) Kolonien europäischer Staaten waren. –
Am 08. November gewinnt in den USA John Fitzgerald Kennedy (mit Unterstützung des Texaners Lyndon Baines Johnson, Vizepräsident, Demokrat) hauchdünn die Präsidentschaftswahlen gegen Nixon (Republikaner). Kennedy ist der 35. Präsident der USA. In den USA herrscht eine Aufbruchstimmung, die von dem relativ jungen Präsidenten John Fitzgerald Kennedy ausgeht. Ein Hoffnungsträger für eine neue, gerechtere Politik. Am 19. Mai wurde er 43 Jahre alt. –
Die Schauspielerin Grace Kelly wird durch Heirat mit Fürst Rainier II. Grimaldi, zur Fürstin Gracia Patricia von Monaco. –
In Jerusalem wird Adolf Eichmann, einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der jüdischen Menschen im Zweiten Weltkrieg, vor Gericht gestellt. Zur Nazizeit war er Obersturmbannführer bei der berüchtigten SS („Schutzstaffel“) und Leiter des Referats IV B4 (Judenangelegenheiten). Nach 15 Jahren Suche hat der israelische Geheimdienst ihn trotz seiner neuen Identität in seinem argentinischen Versteck aufgespürt und nach Israel gebracht. Der Gerichtsprozess dauerte sechs Monate. Am 15. Dezember 1960 wird Eichmann zum Tode verurteilt, im Sommer 1962 gehängt und seine Asche ins Meer gestreut. –
In den Jahren 1959–1961 verordnet China seiner Wirtschaft „den großen Sprung nach vorn“. Jedes Dorf wird zwangskollektiviert, der Agrarstaat soll weitgehend industrialisiert werden – was wohl aber in der Folge nicht so recht gelingt. – Dieser „Sprung“ fordert ungezählte Menschenleben.
Wissenschaft:
Der schweizerische Tiefseeforscher Jaques Picard und der US-Marineleutnant Don Walsh dringen am 23. Januar 1960 mit dem Tauchboot „Trieste“ zum Grund des Marianengrabens im Pazifik vor. Sie erreichen mit -10.916 m den tiefsten bisher erkannten Punkt der Weltmeere. Diese Expedition erbringt auch aufsehenerregende Erkenntnisse über die Strömungsverläufe im Stillen Ozean und die geophysikalische Beschaffenheit des Meeresbodens. –
Die sowjetische Weltraumkapsel „Sputnik 5“ brachte ihre Test-Tiere wohlbehalten zur Erde zurück.
Medizin in der DDR, 1960:
Im April erfolgreiche Impfaktion gegen Kinderlähmung (Polio, Poliomyelitis). Der Impfstoff wurde von Albert Sabin in den USA entwickelt. Die DDR bezieht den Impfstoff aber aus der UdSSR. Die Impfaktion führt zu einem positiv durchschlagenden Erfolg. Es sind später nur noch vier Neuerkrankungen im gesamten Lande. Polio gilt als ausgerottet. –
Medizin in der BRD:
In der BRD wird es im Jahre 1961 mehr als 5.600 Neuerkrankungen an Polio geben. Auch in der BRD wird die Sabin-Impfung, mit zeitlicher Verzögerung, 1962 eingeführt. –
Wirtschaft in der DDR:
Schwedt an der Oder wird am 11. November '60 zur „Chemiestadt“ erhoben. Hier endet die Erdölrohrleitung aus der Sowjetunion, Pipeline genannt. – Gebrauchsartikel aus Kunststoff sind begehrt. „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“ lautet die Devise. –
Wirtschaft in der BRD:
Es gibt im Lande mehr als 5.250.000 Fahrzeuge, das sind fünfmal soviel wie 1950. –
Auf-Bauen in Berlin:
Die neue Gedächtniskirche für Berlin-West (vom Volksmund „Lippenstift und Puderdose“ genannt), ist im Bau, (Bauzeit 1957–63). Diese neue Kirche ist ein Ersatzbau in der Folge der zerstörten, als Kriegsmahnmal gesicherten Kaiser-Friedrich Wilhelm-Gedächtniskirche am Bahnhof Zoo in Berlin.
Ihr Architekt ist Egon Eiermann 1904–1970, einer der bedeutendsten Architekten Deutschlands im 20. Jahrhundert. Geboren 1904 in Neuendorf bei Potsdam im Kreis Teltow (heute Potsdam-Babelsberg). Er schuf u. a. das Abgeordnetenhaus in Bonn (1966–69). Er ist Dozent an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Sein Leben wird 1970 in Baden-Baden enden. –
Ab-Bauen in Potsdam:
Am 09. Januar 1960: Sprengung des Fortunaportals der Ruine des Stadtschlosses. Abriss der Stadtschlossruine am Alten Markt. Einarbeitung des Bauschutts und des Schutts von Bürgerhäusern mit vielen wertvollen Architektur- und Ausstattungsdetails in die Sandwälle des Ovals für die entstehenden Besuchersitzreihen des Ernst-Thälmann-Stadions im ehemaligen Kaiserlich-Königlichem Lustgarten. –
Kultur / Unterhaltung in der DDR:
In unserem Fernsehprogramm fördert Heinz Quermann junge Talente in der Sendereihe „Herzklopfen kostenlos“. Es erscheint das DDR-Sandmännchen jetzt ansprechender gestaltet. Wunderschön anzusehen, mit angenehmer Vor- und Abspannmusik und guten Inhalten – davon kann sich der komische Westsandmann eine dicke Scheibe abschneiden. Meister Nadelöhr und Professor Flimmerich erfreuen die Kinder ebenfalls; etwa so wie Flax und Krümel mit Struppi beim Maler Tadeusz Punkt. –
Als Anti–Unterhalter nimmt am 21. März '60 der Genosse Karl Eduard von Schnitzler (im Volksmund bald Sudel-Ede genannt) die Polit-Sendung „Der schwarze Kanal“ auf, in der ausschließlich gegen die BRD kommentiert, polemisiert und gehetzt wird. 30 Jahre werden die mehr als 1.500 Sendefolgen anhalten – bald bis zum Ende der DDR, obwohl die Einschaltquoten sehr niedrig liegen. –
Unterhaltung in der BRD:
Am 23. März 1960: Filmvorführung im ersten Autokino Deutschlands. –
Besuchsweise kehrt Marlene Dietrich (als USA-Staatsbürgerin) aus den USA nach Deutschland, in die BRD, zurück. Sie erfährt sowohl Jubel, als auch Ablehnung (Eier- und Tomatenwürfe). 15 Jahre sind es seit ihrem vorigen Besuch her – damals, 1945, kam sie als singende Truppenbetreuerin der US-Streitkräfte in amerikanischer Uniform. Marlene Dietrich schämt sich für das Unwesen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und hält immer noch Distanz zum offiziellen Deutschland. Nach ihrem Tode im Jahr 1992 wird sie, auf ihren Wunsch hin, trotzdem in Berlin bestattet werden. –
Unterhaltung, weltweit:
Die Beatles aus dem britischen Liverpool treten auf deutscher Bildfläche (in Hamburg) auf. –
Ein Schiff wird kommen, Ich bin ein Mädchen von Piräus ... werden gesungen (nicht von den Beatles). – Bist du einsam heut Nacht, fragt Elvis Presley in englisch – bald darauf tut es Peter Alexander auf deutsch. Geisterreiter = Ghostrider erwärmen die Gemüter.
Sport:
Olympische Winterspiele 1960 in Squaw Valley mit einer gesamtdeutschen Mannschaft. Helmut Recknagel aus der DDR erringt beim Skispringen mit 85 m Weite eine Goldmedaille.
In Rom finden die Olympischen Sommerspiele statt. Auch hier nimmt eine gemeinsame deutsche Mannschaft an den Wettkämpfen teil. Noch verhinderte das Nationale Olympische Komitee (BRD), dass zwei einzelne deutsche Mannschaften auftreten. Es werden keine unterschiedlichen deutschen Nationalhymnen gespielt, sondern Beethovens „Ode an die Freude“, aus der Neunten Sinfonie. Die schwarz-rot-goldene Fahne zeigt auf dem roten Mittelstreifen die fünf olympischen Ringe. Die vier Kanuten (zwei Ost, zwei West) erringen die Goldmedaille. Armin Harry läuft den Olympiarekord über 100 m. Ingrid Krämer (zweimal Gold für das Kunstspringen vom Turm) und Gustav Adolf (Täve) Schur (Radrennen) werden als große Athleten gefeiert. –
Bildung:
Zum September 1960 werden für die Schulen der DDR die Bezeichnungen der Zensurenskala geändert:
„Note“ |
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
bisher: |
sehr gut |
gut |
genügend |
mangelhaft |
ungenügend |
neu: |
sehr gut |
gut |
befriedigend |
genügend |
ungenügend |
Es ist eine komische Milde etwa im Mittelfeld angesiedelt worden: Die Leistung, die bisher noch genügte, befriedigt nun die Lehrer. Zu dem mit Mängeln Behafteten sagt man nun: Uns genügts.
DDR. Alltag:
Im Zwickauer Steinkohlenbergbau ereignet sich am 22. Februar 1960 ein Methangas-Unglück. Wegen des ausbrechenden Feuers sterben 123 Bergleute. 49 können gerettet werden. –
Im Jahre 1960 informiert die Post in der DDR zur Einführung von Hausbriefkästen (kompakte Postzustellanlagen im Erdgeschoss des Hauses), um eine beschleunigte Zustellung ermöglichen zu können. Das Personal reicht nicht mehr aus – es werden immer weniger Zusteller. Bisher mussten die Briefträger treppauf, treppab bis zu jeder Wohnungstür laufen. – Ähnliches wird später auch mit größeren Metallboxen als Paketzustellanlage eingeführt, die alle paar Straßenzüge zur Selbstbedienung aufgestellt werden. Diese verschwinden jedoch einige Jahre später wieder aus dem Straßenbild. –
BRD: Vom 1. März 1960 an, wird im Anschluss an die Tagesschau des Fernsehens jetzt auch der Wetterbericht an einer Wetterkarte erläutert. –
Der US-Amerikanische Schauspieler Clark Gable („Vom Winde verweht“) stirbt im Alter von 59 Jahren im November 1960 an einer Herzattacke. Er war ein Starkraucher. Seine fünfte Ehefrau erwartet gerade wieder ein Kind von ihm. – Ein Tanz namens „Twist“ kommt auf. –
Im Westen gibt es „Kofferradios“, die aber wesentlich kleiner sind, als ein Durchschnitts-Koffer. Bei uns in der DDR sieht man die kleinen „Pralinenschachtelradios“ namens „Sternchen“, vom VEB Sternradio Berlin. –
Die Weltbevölkerung wurde für das Jahr 1700 auf 560 Millionen Menschen geschätzt. Im Jahre 1800 schätzte man die Erdbevölkerung auf 800 Millionen Menschen. Derzeit (1960) beträgt die Erdbevölkerung bereits über 3 Milliarden Menschen und ein weiteres Ansteigen ist vorauszusehen. Nachtrag: Ja, tatsächlich: 2024 sind es 8,15 Milliarden und für 2050 werden etwa 9,5 Milliarden prognostiziert.
Naturgewalten:
Der 3.236 m, hohe Ätna auf Sizilien ist ausgebrochen. –
Tiefen-Temperatur: Im Forschungsstützpunkt Wostok in der Antarktis wurde im August 1960 der Kälterekord von - 88,3°C gemessen. –
In diesem Jahr wurde die Ursache des geografischen „Vredefort-Ringes nahe Johannesburg (Südafrika) erforscht. Der Kraterdurchmesser des „Ringes“ beträgt fast 220 km. Ergebnis: Die Ursache war ein Meteor-Einschlag vor etwa 250.000 Jahren. Der Meteor wird einen Durchmesser von 1,5 bis 2,0 km gehabt haben. Wahrscheinlich wurde beim Einschlag ein sehr starkes Erdbeben ausgelöst. –
Ebenfalls in diesem Jahr wurde erneut der „Barringer-Krater“ in Arizona untersucht, der von einem Meteor-Absturz vor etwa 25.000 Jahren herrühren soll. Dr. E. M. Shoemaker vom Geologischen Bundesamt Washington ermittelte einen Einschlagkessel von 1,2 km Durchmesser und einer Tiefe von 174 m. Am Kraterboden wurden viele Metallbrocken gefunden. Der Sandstein des Kraters ist glasartig geschmolzen. Hier tritt auch das Mineral „Coesit“ auf, das stets während der Einschläge von Meteoriten gebildet wird. –
Dr. Shoemaker untersuchte auch das „Nördlinger Ries“, nördlich der Donau, zwischen Ulm und Ingolstadt. Die Senke des Ries’ teilt die Höhenzüge der schwäbischen Alb von denen der fränkischen Alb. Der Kessel hat einen Durchmesser von 25 km und besteht aus einem Feld von Granittrümmern aus den Zeiten Jura und Trias, die teilweise glasüberzogen sind. Auch hier wurde also das Coesit vorgefunden. Es wird geschätzt, dass hier ein Meteor-Einschlag vor 15 ... 20 Millionen Jahren stattgefunden habe. –
Ein schweres Zugunglück am 15. Mai 1960 in der DDR. Wegen einer falsch gestellten Weiche kollidierten gegen 20.20 Uhr die Züge Halle – Leipzig und Halberstadt – Bad Schandau miteinander. 54 Menschen verlieren ihr Leben, eine große Anzahl Reisender ist verletzt. –
Zeitgeschehen im Jahre 1961
Politik der DDR:
Die DDR setzt mit dem Schiff „Fritz Heckert“ ein zweites Urlauberschiff ein. Wegen wiederholten Abspringens von zuverlässigen, ausgesuchten Urlauber-Kadern während der Fahrt des Schiffes (so genannte „auswärtige Republikflucht“), führen die Ferien-Routen nun nicht mehr vorzugsweise nach Spanien oder durch das Mittelmeer in die Türkei, sondern eher nach Murmansk und auch in Richtung Kuba. Das ist wesentlich sicherer und noch viel schöner. –
Im Juli verkündet das zentrale Presseorgan (Zeitung) der SED „Neues Deutschland“, dass der Sozialismus in der DDR zwischen 1961 und 1980 aufgebaut werden soll. Dazu werden Teilziele und Arbeitsinhalte als Mark- und Merk-Steine bekannt gegeben. –
Die Massenflucht der DDR-Bevölkerung nimmt unwahrscheinliche Ausmaße an. Das Land blutet aus, dem Staat laufen seit 1949 seine Bürger davon. Täglich fliehen etwa 1.000 Bürger in Richtung West-Berlin, Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde – das ist eine gefährliche Existenzbedrohung für die DDR. Zwischen Weihnachten '60 und Neujahr '61 wurden 2.800 Flüchtlinge gezählt, 5.000 dann zu Ostern. Allein im Monat Juli mehr als 30.400 Flüchtlinge. Auch viele ausgezeichnete Fachkräfte gehen ins Ausland. Eine innenpolitische Katastrophe droht. Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht mahnt mit erhobenem Zeigefinger: „Jeder, der die DDR verlässt, übt Verrat an der Sache des Friedens und unterstützt die Bundesrepublik, die einen Atomkrieg vorbereitet“. –
Wirtschaftliche Probleme treten verstärkt auf, die Versorgungslage für die Bevölkerung ist als kritisch anzusehen. Lebensmittel werden wieder rationiert. Bei den Engpässen der Versorgung mit Fleisch, Milch und Butter, spricht Walter Ulbricht beispielsweise: Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft – ja? – sollte man nicht zu viel Butter essen. Das fördert die Arteriosklerose“. –Widerstände ruft auch die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft hervor, die doch noch nicht abgeschlossen zu sein scheint, wie verkündet. – Die einseitige Art von Reisefreiheit, die nicht bestehende Meinungsfreiheit, das Fehlen freier geheimer Wahlen, tragen zu dieser Situation bei. –
Die Regierung bittet Moskau um Duldung und Unterstützung, die DDR mit militärischer Macht abriegeln zu dürfen, um das Überleben des Staates zu sichern. Eine Einverleibung von Westberlin in das Gebiet der DDR droht erneut. –
Im Juni '61 fragt die westdeutsche Journalistin Frau Doherr in einer Pressekonferenz, ob es stimme, dass die DDR ihre Grenze am Brandenburger Tor einrichten wolle. Walter Ulbricht antwortet darauf. „ ... Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ („Niemand hat die Absicht“, das ist die bisherige Haltung der Sowjetunion, die um Erlaubnis ersucht werden muss) ansonsten aber gilt Ulbrichts Spruch bekannter Maßen als dicke fette Lüge – denn am Sonntag den 13. August ist es dann soweit: „Aktion Rose“. Ost- und West-Berlin werden durch Zäune und eine zirka 155 km lange Mauer getrennt, die vorerst hundert Jahre Bestand haben soll (aber 28 Jahre Bestand haben wird). „Die Volks-Abstimmung mit den (forteilenden) Füßen“ hat ein jähes Ende gefunden. Der stark belebte Potsdamer Platz in Berlin wird ein völlig kahles Niemandsland zwischen Ost und West. West-Berlin ruft zum Boykott der S-Bahn auf, die zur DDR gehört. Auf Westberliner Gebiet entstehen Geister-Bahnhöfe. Westberliner Züge durchfahren den Ostteil Berlins ohne Halt (z. B. den Potsdamer Platz, Unter den Linden). Gleis A des Bahnhofs Friedrichstraße liegt im Westen, Gleis B im Osten, voneinander getrennt mit einer Stahlwand. Eine Verbindung besteht nur über „eine Schlaufe“ durch den „Tränenpalast“ (Glashalle zur Pass- und Personenkontrolle und zum Abschied). –
Auch die etwa 1.300 km lange innerdeutsche Grenze wird mit Mauern, Stacheldrahtzäunen, Wachtürmen, Selbstschussanlagen in Richtung DDR-Gebiet und Minenstreifen, befahrbaren Kontrollstreifen für Autos aber auch mit Hunde-Laufstreifen befestigt. Die BRD nennt diese Grenzbefestigung „Der eiserne Vorhang" / „die Mauer“ / „der Todesstreifen“, die DDR-Führung spricht inzwischen nicht mehr von der „Mauer“, sondern vom „Antifaschistischen Schutzwall zur Sicherung der Staatsgrenze“, einer Grenze gegen „die Bonner Ultras“, einer Grenze, die sich allerdings in Wirklichkeit hauptsächlich gegen die Flucht der eigenen Bevölkerung richtet.
Die Westmächte protestieren, greifen aber nicht ein, um wegen der eingesperrten 17 Millionen Ostdeutschen nicht etwa einen Dritten Weltkrieg zu riskieren. Mit der Grenzverstärkung ist der Strom der bisher geflüchteten 2,76 Millionen DDR-Bürger fast abrupt gestoppt. Nur noch 12.316 Personen gelingt die Flucht im Zeitraum der geschlossenen Grenze zwischen 1961 und 1989. (Es werden verschiedene Zahlen veröffentlicht). Dem weiteren Aufbau des Sozialismus und Kommunismus kann nun relativ ungestört nachgegangen werden. –
Mitglieder der FDJ erhalten den Auftrag, an Wohnungstüren zu horchen, welche Radio- und Fernsehsender genutzt werden und entsprechende Notizen darüber weiterzuleiten. Auch werden die Empfangsantennen auf ihre Stellung geprüft, mitunter gen Ost-Sender umgedreht oder auch abgebrochen. –
Kleine Kinder werden in der Schule gefragt, ob die Uhren in ihrem Fernsehapparat zu Hause Punkte oder Striche für die Stundenmarkierung zeigen. So wird von den Pädagogen „erforscht“, ob in den Familien ihrer Schüler Ost- oder Westnachrichten gehört / gesehen werden.
Nachdem die Nationalhymne der DDR „Auferstanden aus Ruinen … lass’ es dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland“, nur noch ohne Text, instrumental vortragen werden darf, spielt man auch solche Lieder nicht mehr wie: „Wir sind jung, die Welt ist offen“, obwohl, wenn der Urlaub lange genug währt, man doch durchaus Visum und Fahrkarte für die Transsibirische Eisenbahn durch die Sowjetunion bis nach Wladiwostok „am Ende der Welt“ / am Stillen Ozean beantragen kann. –
In der DDR fehlen viele Arbeitskräfte – allein in Ostberlin 40.000 bis 50.000 Werktätige. –
Am 07. September 1961 wird Ost-Berlin (wegen des Viermächte-Abkommens bisher immer mit Sonderstatus) nun offiziell die Hauptstadt der DDR und gleichzeitig der 15. Bezirk der DDR. –
Ein Wohnungszuzug nach Berlin ist nicht möglich, es sei denn durch den Antrag eines wichtigen Beschäftigungsbetriebes, für eine wichtige Tätigkeit, dem eine Überprüfung der Person und eventuell eine Genehmigung folgt. Nur über diesen Betrieb läuft dann die Wohnraumzuweisung. –
Politik in Berlin-West:
19. August: Der US-Vizepräsident Lyndon B. Johnson und General Lucius D. Clay, der 1948 / 1949 die „Luftbrücke“ für Westberlin organisiert hatte, besuchen Westberlin und beide werden begeistert begrüßt. –
BRD
Bundestagswahl am 17. September '61. Die CDU / CSU erreichen 45,3%, die SPD 36,2 und die FDP erringt 12,8% der Wählerstimmen. Herr Lemmer ist Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen. – Handel, Wirtschaft, Wohlstand gelten als Eckpfeiler der Politik. Franz Josef Strauß wird Vorsitzender der CSU. Zum ersten Mal gibt es in der BRD nun einen weiblichen Minister, eine Ministerin für das neu gegründete Gesundheitsministerium: Dr. Elisabeth Schwarzhaupt. Adenauer wird zum vierten Mal Bundeskanzler. – Die BRD erlässt ein Sozialhilfegesetz.
Die Arbeitslosenquote beträgt 0,8 %. –
Politik im Ausland:
... oder doch noch in Deutschland: In der Berliner Friedrichstraße stehen sich am Check Point Charlie (Grenz-Kontrollpunkt „C“) sowjetische und amerikanische Panzer bedrohlich gegenüber, weil den West-Alliierten der Zugang nach Ost-Berlin verweigert wurde. Eine starke Drohgebärde innerhalb des „Kalten Krieges“, die zum Glück nicht zu einer weitergehenden militärischen Auseinandersetzung führt. –
Den Friedensnobelpreis erhält der Generalsekretär der UNO: der Schwede Dag Hammerskjöld. –
Der Bürgerrechtler und Präsident des Kongos: Patrice Lumumba wird ermordet. –
Zu den politischen Größen dieser Zeit gehören Molotow, Malenko, Nikita Sergejewitsch Chruschtschow (alle Sowjetunion), Indira Gandhi (Indien), Habib Burgiba (Tunesischer Präsident), McNamara, Henry Kissinger, Generalstaatsanwalt Robert (Bobby) Kennedy, Außenminister Dean Rusk, (alle USA). De Gaulle (Frankreich), Kaiser Haile Selassi v. Äthiopien und andere. –
Auf Kuba schlägt der Versuch, Fidel Castro zu stürzen, fehl. –
Wissenschaft und Technik:
Und schon wieder ein neuer Schock für die USA. Nach dem Sputnik 1 (Okt. 1957) und dem Start der Hündin „Laika“, schießt die UdSSR am 12. April den ersten Menschen in einer ballistischen Flugbahn durch das Weltall, den Fliegerkosmonauten, Major Juri Alexejewitsch Gagarin, Sohn eines russischen Bauern aus dem Rayon Smolensk. Der Start erfolgte in Baikonur (Kasachstan). Nach 10 Minuten Flug erreichte die Rakete den Erdabstand für die Umlaufbahn. Gagarin bleibt etwa 108 Minuten in der Schwerelosigkeit, umkreist dabei die Erde. Man sagt: er erlebte als erster Mensch den Blick auf den Heimatplaneten aus der Ferne. Die Landung erfolgt planmäßig in Südrussland nahe der Stadt Engels. –
Der Astronaut der NASA Alan B. Shepard hüpft im Mai dagegen nur einmal kurz zum Weltall. –
Westdeutschland erhält seinen ersten Atomstrom vom Versuchskraftwerk Kahl bei Aschaffenburg.
In Texas stieß bei einer Erdölbohrung der Bohrer in einer Tiefe von 500 m auf Eisen. Natürliche Vorkommen an Eisen sind hier jedoch erdgeologisch ausschließbar. Man hatte einen Meteoriten erbohrt, der 500 m tief in der Erdkruste steckt. Er besteht zu 82% aus Eisen, 10% Nickel und Spuren weiterer Elemente. –
Am 13. Oktober wird in der DDR zusätzlich zu den Lichtfarben der Verkehrsampeln -rot-gelb-grün- das „Ampelmännchen“ für Fußgänger in den Farben rot und grün eingeführt. –
Es kann erstmals eine Stereo-Rundfunk-Sendung empfangen werden, wenn man die technische Einrichtung dafür schon zu Hause hat. –
Maschinenbau:
Die westdeutsche Autofirma Borgward, die seit 1954 die schöne „Isabella“ produziert hatte, geht in Konkurs. –
In der DDR wird die Produktion des Kleintransporters „Barkas B 1000“ aufgenommen. Ein formschön-elegant erscheinendes Nutzfahrzeug mit dem Zweitakt-Motor des Pkw „Wartburg“. –
Medizin:
In Westdeutschland kommt am 1. Juni 1961 die Anti-Baby-Pille auf den Markt – nach ärztlicher Verschreibung und anfangs nur an verheiratete Frauen. Ein Aufschrei, besonders aus den Reihen der katholischen Kirche geht um die Welt. „Die Pille automatisiert die Liebe und versaut die Moral“ aber die große Mehrheit der Frauen ist damit einverstanden und außerdem zufrieden. –
Bauen in Potsdam:
Die kriegsbeschädigte Nikolaikirche am Alten Markt trägt ein Gerüst zur Aufnahme der neuen Kuppelbeplankung aus Kupferblech. –
Wirtschaft:
In der DDR werden die bis dahin noch selbständigen kleinen bäuerlichen Betriebe zum Teil mit staatlichem Druck (nach dem offiziell verkündeten Abschluss der Maßnahmen) weiterhin kollektiviert. Das Flüchten in den Westen ist ja nun nicht mehr möglich, so dass die Zusammenschlüsse unter Druck erfolgreicher verlaufen, sofern nicht verschiedenen Bauern den letzten Ausweg in der Selbsttötung suchen. –
Die Wartezeit (von der Bestellung bis zur Lieferung) für einen Personenkraftwagen vom Typ „Trabant“ beträgt derzeitig etwa sieben Jahre. Die Wartezeiten werden künftig steigen. –
Mit Elektro-Loks bis zum Baikal. Am 10. Oktober '61 ist die Elektrifizierung des 5.500 km langen Teilstücks der Transsibirischen Eisenbahn zwischen Moskau und dem Baikalsee beendet. Die Bahnlinie, die von Moskau bis Wladiwostok am Pazifik führt, ist die Hauptverkehrsader Sibiriens. –
Es beginnt das filmische Großvorhaben: „Die Kinder von Golzow“. Es wird begonnen, das Leben im Dorf Golzow an der Oder biographisch über einen sehr langen Zeitraum zu verfolgen ... und das wird über 1989 hinausgehen. –
Der Tanz „Twist“ hält in der BRD Einzug. Orthopäden warnen vor der ungewohnten Belastung der Knie, andere beschimpfen den Tanz als „ein Sexualtrauma“. Die DDR-Führung gibt als sozialistisches Gegengewicht einen „anständigen Tanz“ in Auftrag. „Alles tanzt im Lipsi-Schritt“. Der verordnete Lipsi aus Leipzig kann sich aber nicht durchsetzen. Der Twist wird von der Jugend geliebt. –
Schule:
Mit diesem Herbst beginnend, bietet sich die Möglichkeit einer Berufsausbildung mit Abitur und dem Abitur mit Berufsausbildung. Die Schwerpunkte sind etwas unterschiedlich angelegt aber die Abschlüsse gelten als gleichwertig. –
Alltag 1961:
Die Stalinallee in Ost-Berlin wird „geteilt“ und in Karl-Marx-Allee und Frankfurter Allee umbenannt, nachdem der frühere sowjetische Staatschef Josef W. Stalin wegen seiner entsetzlichen Untaten bei der jetzigen Moskauer Regierung posthum in Ungnade gefallen ist. 1953 war er gestorben. –
In der DDR besitzt derzeitig schon etwa jede vierte Familie einen Fernsehapparat. –
Vom 29. Juli an, erhalten berufstätige Frauen in der DDR pro Monat einen freien und bezahlten Haushaltstag.
Zu den weltbekannten Persönlichkeiten der Gegenwart werden gezählt:
Die Sängerin Maria Callas, Geliebte des griechischen Milliardärs Aristoteles Onassis (Ari),
Marilyn
Monroe, Greta Garbo (Die Göttliche), Christiaan Banard, (Herzchirurg
in Südafrika),
Frank Sinatra (Sänger) und viele andere.
Einige Informationen zum Jahre 1962
Politik in der DDR:
Am 24. Januar 1962 tritt das „Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht in Kraft“. –
Die Chruschtschow-Rede am 25. Februar weckt in der Bevölkerung der DDR die Forderungen nach Reformen. Zitat aus der Rede: „Stalin war ein Diktator“. Solche freimütigen Äußerungen werden bereits als Zeichen eines beginnenden „Tauwetters“ gedeutet. – Auch die DDR beginnt in der UdSSR-Folge nun eine Ent-Stalinisierung. (Der Diktator Stalin war 1953! gestorben.) Forderungen nach weitergehender Demokratisierung werden hörbar. –
Wolfgang Harich und Walter Janka werden verhaftet, wegen angegebener Vorbereitung eines „revolutionären Umsturzes“ der DDR. –
Auf die Initiative der Kirche werden in der DDR „Bausoldaten“ zugelassen, die den Dienst mit der Waffe aus „Glaubensgewissensgründen“ verweigern. Wer sich gegenüber der Wehrpflicht jedoch als Totalverweigerer bekennt, wandert auch jetzt ins Gefängnis. Zwei Jahre beträgt dafür die Normzeit – immerhin ein halbes Jahr länger, als der Dienst mit dem Spaten. –
Am 22. April '62 wird bekannt gegeben, dass sowjetische Fernmeldetechniker in Altglienicke (Berlin-Treptow) einen 450 m langen Spionagetunnel entdeckt hätten, von dem 11 Monate lang die sowjetische Telefonverbindung von Wünsdorf bei Zossen nach Moskau abgehört werden konnte. Der Tunnel sei vom amerikanischen / britischen Geheimdienst gegraben und ausgestattet worden.
Die DDR-Bürger Helmut Kulbeik und sein Freund, der 18-jährige Baufacharbeiter Peter Fechter versuchen die DDR-Grenzanlagen an der Berliner Zimmerstraße nahe dem Checkpoint Charlie zu überwinden. Kulbeik gelingt die Flucht, Fechter bleibt angeschossen im Stacheldraht hängen und verblutet dort. Erst nach einer Dreiviertelstunde wird er in ein Ostberliner Krankenhaus gebracht. Weder das anwesende amerikanische Militär, noch die West-Berliner Polizei konnte oder wollte helfend eingreifen. –
Im November erhält Premnitz das Stadtrecht. Die jüngste Stadt der DDR zählt 10.000 Einwohner.
Politik in der BRD:
Der Besuch des französischen Staatschefs Charles de Gaulle bildet den Beginn einer engeren französisch-westdeutschen Zusammenarbeit (Ein Freundschaftsvertrag wird vorbereitet). –
Hanns Peter Herz moderiert im RIAS die Sendung „Aus der Zone, für die Zone“, politische Kommentare zur Situation, mit der besonders die DDR-Bürger angesprochen werden sollen. –
Die BRD benötigt Arbeiter aus Italien. Gastarbeiter auf Zeit, die so lang ist wie der Bedarf, sind gefragt. Prompt singt Conny Froboes über das Heimweh von zwei kleinen Italienern. Die BRD-Bürger packt hingegen eher das Fernweh. Immer mehr BRD-Menschen verbringen ihren Urlaub südlich der Alpen – eben in Italien. Wir eher im schönen Thüringen soweit die FDGB-Ferienplätze reichen. –
Politik im Ausland:
Ein unbemanntes Aufklärungsflugzeug der USA vom Typ U 2 entdeckt im Oktober den Bau von Raketen-Hangars auf Kuba und dort auch bereits erste Raketen sowjetischer Bauart. (Der Staat Kuba überlebt durch die materielle Versorgung seitens der Sowjetunion, daher ist das Stationieren nicht gut ausschlagbar). Das Stationieren sowjetischer Atomraketen auf Kuba führt zur Kuba-Krise, bei der die Welt erzittert. Steht die Erde am Rande des Dritten Weltkrieges – diesmal eines atomaren? Die USA befürchtet eine Invasion seitens der SU von Kuba aus. Daher veranlasst der Präsident der USA eine Seeblockade Kubas gegenüber den Militärschiffen der SU und droht mit einer Invasion Kubas. Das Militär der USA und das der Warschauer-Pakt-Staaten stehen in Alarmbereitschaft. Nach dieser gefährlichen Situation drehen letztendlich die mit Raketen bestückten Schiffe der UdSSR den Rückweg an. Der vorbereitete sowjetische Stützpunkt „vor der Haustür der USA“ wird aufgegeben. Der persönliche Kontakt zwischen Nikita Sergejewitsch Chruschtschow und John Fitzgerald Kennedy erbrachte diesen Ausweg aus der Krise. Kuba soll seinen Sozialismus alleine weiter aufbauen. Und die USA, das war eine Voraussetzung für den Abzug, nehmen ihre Raketen aus der Türkei, die dort schon seit 1959 und damit genauso „vor der Haustür der Sowjetunion“ stationiert sind, ebenfalls zurück. Das ist noch einmal gut gegangen. –
Zwischen den unverbrüchlichen sozialistischen Bruderländern UdSSR und Volksrepublik China gibt es einen ernsten kriegerischen Konflikt um die Zugehörigkeit bestimmter Inseln. –
Hungersnot in China. Es werden die Opfer auf etwa 30 Millionen Menschen geschätzt. –
Nach sechsjährigen Kämpfen erzwingen die Algerier die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. –
Ab 23. Oktober 1962: Aufstand der Reformer in Ungarn für Freiheit und Demokratie. Ungarn tritt aus dem östlichen Militärbündnis „Warschauer Pakt“ aus. Ab 04. November schlägt die Armee der Sowjetunion erneut einen Aufstand nieder. Die Kämpfe enden am 11. November. Knapp 1.000 Menschen starben dabei. Tausende Verhaftungen und hunderte Hinrichtungen folgen.
Etwa 200.000 Ungarn fliehen in den Westen. –
BRD. Pharmazeutische Industrie:
Das „harmlose“ Schlafmittel „Contergan“ führt seit Herbst 1961 zu erheblichen vorgeburtlichen Missbildungen. Es ist rezeptfrei, „weil unschädlich, wie Zuckerplätzchen" und ist trotz inzwischen erkannter Schädigungen noch immer nicht vom Markt genommen. Etwa 10.000 Kinder werden geschädigt, davon etwa die Hälfte in Westdeutschland. Es wird lange dauern, bis den Betroffenen eine gewisse Art von Gerechtigkeit widerfährt. 1970 wird der Gerichtsprozess gegen den Hersteller, die „Pharmazeutische Chemie Grünenthal GmbH“ eingestellt, da der Hersteller bereit ist, für lebenslange Renten der Geschädigten aufzukommen. –
Im Mai hält Herr Dr. Dr. Heinz Dombrowski vom Institut für Physikalische Medizin in Bad Nauheim Aufsehen erregende Vorträge, so z. B. vor der New Yorker Akademie der Wissenschaften: In einer Salzprobe aus Irkutsk hatte er Mikrobenarten gefunden, bei denen die einzelnen Individuen 650 Millionen Jahre alt sind. Die Bakterienkulturen wurden 1.400 m tief unter der Erdoberfläche lebens- und keimfähig eingeschlossen, in den festen Kristallkörpern des „Zechsteinmeeres“ aufgefunden. Sie gelten derzeit als älteste Lebewesen – also tatsächlich nicht die Bakterienart, sondern das einzelne Lebewesen ist gemeint. Auch in einem kanadischen Salzstock fanden sich in 1.000 m Tiefe Bakterien, die lebensfähig sind. Das Salz wurde nach seiner geologischen Schichtung auf ein Alter von 380 Mio. Jahren geschätzt. –
Forschungen von Jaques Yves Cousteau mit dem Forschungsschiff „Calypso“: Im Atlantik werden in Nord-Süd-Richtung verlaufende Unterwassergebirge, eine ungeheure unterseeische Gebirgskette mit aktiven Vulkanen geortet. Während der Aktion Précontinent I vom 14.–21. September '62 wird das Unterwasserhaus „Diogène“ erfolgreich erprobt. –
Technik:
In der BRD erscheint die erste elektrische Schreibmaschine auf dem Markt. –
In Japan kommen als Schreibgeräte „Filzstifte“ in den Handel – in Deutschland erheblich später. –
In Zwickau (DDR) beginnt die Produktion des Pkw „Trabant P 60“, als Nachfolger des „P 70“, des ersten nach dem Zweiten Weltkrieg gefertigten Fahrzeugs mit einer Kunststoffkarosserie. Die Kombi-Variante des „Trabant“ wird in Halle an der Saale gebaut. –
DDR-Wirtschaft:
Kartoffelkrise ab Juli. Zu den Ursachen zählen die verfehlte Landwirtschaftspolitik (Flucht der Bauern), eine unausgereifte Wirtschaftsplanung, zu kleine Anbauflächen im Verhältnis zum Bedarf der Bevölkerung und die erhebliche Last der Kriegsreparationen, die allein die DDR für Gesamt-Deutschland an die Sowjetunion zu zahlen hat. Kartoffeln werden auf Bezugsschein ausgegeben. Funktionäre werden aufs Land geschickt wo sie „es richten“ sollen. Die Bevölkerung soll auf andere Gerichte ausweichen – warum denn auch so häufig Kartoffeln, Fleisch, Eier und Butter auf dem Tisch? – und das alles in diesem Jahr, da doch die DDR nach wissenschaftlicher Prognose jetzt gerade die BRD im Pro-Kopf-Angebot überholt. „Überholen ohne einzuholen“ ist die Devise der Regierung. –
Die VMI wird ins Leben gerufen – die Volkswirtschaftliche Masseninitiative. War es in den 1950-er Jahren das Ziel, mit dem Nationalen Aufbauwerk (NAW) Kriegsschäden zu beseitigen, so geht es jetzt um kostenlose freiwillige und gemeinnützige Arbeit zu Verschönerung von Grünanlagen, Spielplätzen, Aufräumaktionen und Hilfe beim staatlich organisierten Wohnungsbau. Wieder gibt es Einsatzkarten mit Klebemarken. Wer sich also eine eigene Wohnung wünscht, möge hier seine fleißige Beteiligung nachweisen.
Betriebe führen mit Arbeitern und Angestellten, „von oben“ organisiert, gemeinsame Arbeitseinsätze am freien Sonnabend durch. Dann werden sie nach sowjetischem Vorbild gern Subbotnik genannt. (Subbota = Samstag). –
Premnitz ist ein Standort der Chemiefaserproduktion. Zur Produktionspalette gehören: „DEDERON“, (DDRon) ist eine Modifikation des früher gesamtdeutschen „Perlon“ bzw. des amerikanischen „Nylon“. Ferner „Wolpryla“, (Wolfen-Premnitz-Polyacrylnitrit) und „GRISUTEN“ eine Polyesterfaser. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg wurden dort „VISTRA“ und „TRAVIS“ (Kunstfaser+Seide) hergestellt. –
In der DDR werden Intershops eingerichtet. Das sind Läden für „exquisite Artikel“, für gehobene Ansprüche. Die Waren kann man nur mit Geld der BRD kaufen. Es soll somit „harte Währung“, die eventuell westdeutsche Bürger ihren Ost-Verwandten mitbrachten, abgeschöpft werden. Nicht jeder Bürger verfügt darüber. Und die DDR-Gesellschaft spaltet sich dadurch ein wenig weiter. –
Bauen in Potsdam:
Im April '62 wird das Reiterstandbild Friedrich des Großen im Hippodrom des Parks von Sanssouci aufgestellt. Dort wird es bis 1980 verweilen, um es dann wieder nach Berlin „Unter den Linden“ „reisen“ zu lassen, also dort platziert zu werden. –
Religion:
Papst Johannes XXIII. erkennt, dass es Zeit wird, die katholische Kirche reformieren. –
Musik:
In Ost-Berlin ist Hanns Eisler gestorben. Sein Begräbnis wird musikalisch begleitet. –
Unterhaltung:
In diesem Jahr beginnen die Dreharbeiten zu der Filmserie James Bond – Agent 007 – mit dem Film „James Bond jagt Dr. No“. –
Im Fernsehen läuft die Krimi-Serie „Stahlnetz“ in Westdeutschland und „Blaulicht“ in der DDR. Aber es erscheinen auch regelmäßig der Fernsehkoch Kurt Drummer und der Fischkoch Kroboth aus Rostock, um Situationen des vorgenannten Beitrags wieder zu entspannen. –
In der Musik kam aus den USA der Twist als Tanzschrittfolge nach Deutschland. In der BRD zwei Filme: „Twist ..., dass die Röcke fliegen“ und „Außer Rand und Band mit Twist“ mit dem Schlager von Chubby Checker „Let's twist again“. –
Cornelia Froboess (in Wriezen im Oderland geboren aber in West-Berlin lebend) singt: „Zwei kleine Italiener“, erwähnte ich bereits. –
Am 23. Juli gibt es in der BRD für knapp zwei Stunden erstmals Fernsehbeiträge aus den USA – übertragen von dem Telekommunikations-Satelliten „Telestar“. –
Alltag:
05. August '62: Angebliche Selbsttötung von Marilyn Monroe (ihr bürgerlicher Name: Norma Jean). Nach den von zwei Ärzten verordneten aber miteinander nicht verträglichen Schlaf- und Beruhigungsmitteln stirbt sie des Nachts im Schlaf im Alter von nur 36 Jahren. –
Im West-Fernsehen läuft die Dauerserie „Familie Hesselbach“. –
In der BRD kommt das glasklare Klebeband „Tesa-Film“ auf. In der DDR gibt es vergleichbar „Prena-Band“ und später „Nadir-Band“. –
Am 26. Dezember, am 2. Weihnachtsfeiertag, durchbricht bei Dreilinden (Kleinmachnow, im Bezirk Potsdam, DDR) ein mit Panzerplatten geschützter Bus die DDR-Grenzanlagen nach West-Berlin. Die Flüchtlinge sind zwei Familien (acht Personen), denen diese Flucht gelingt. Sie kamen aus Sachsen. Das Fahrzeug wies anschließend acht Einschüsse auf. –
In diesem Jahr überwanden 5.761 Personen die Mauer von Ost nach West und 10.980 flohen über Drittländer aus der DDR. –
Mode:
Von England aus „geht der Minirock“ um die Welt. –
Sport:
Sportler des Jahres wird in der DDR der Skispringer Helmut Recknagel. –
Naturgewalten und Unglücksfälle:
Januar 1962: Ein recht strenger Winter. Im Januar bis - 21°C.
Schwere Stürme vor Island. Das Containerfrachtschiff „Irina“ sinkt, weitere Schiffe ebenso. Auch die Bohrinsel „Frieda“ muss in der Nordsee aufgegeben werden.
Bei einer schweren Sturmkatastrophe am 15., 16., und 17. Januar an der deutschen Nordseeküste sterben 395 Menschen und etwa 100.000 werden obdachlos.
Am 16. und 17. Februar muss Hamburg eine große Sturmflut erleben. Der Orkan drückt die Wassermassen in die Elbmündung. Sturm mit 120 km/h. Am Abend des 16. Februar brechen in Hamburg die Deiche. Das Wasser steigt auf 5,70 m über Normalnull. Es ist die größte Flut, die seit 1825 auftrat ( 5,27 m). Ein Sechstel der Stadt Hamburg steht unter Wasser. 20.000 Menschen müssen evakuiert werden. Viele sterben. Besonders heftig betroffen ist der Stadtteil Hamburg-Wilhelmsburg. Allein hier werden 15.000 Personen von den Wassermassen eingeschlossen. Viele Nachkriegs-Behelfsheime, die in Laubenkolonien stehen, sind besonders stark betroffen. 6.000 Gebäude werden zerstört. Die Verwaltung war unvorbereitet und noch am ersten Tag ziemlich hilflos – wie gelähmt. Es bestand keine Katastrophenvorsorge, niemand hatte mit solch einem Ereignis gerechnet.
Helmut Schmidt, Innensenator in Hamburg, leitet die Katastropheneinsätze. Er bringt die Bundeswehr und den NATO-Oberbefehlshaber in Paris dazu, militärische Hilfe zu schicken (Hubschrauber, Lkw, Zelte, Decken). Am 26. Februar findet auf dem Hamburger Rathausplatz die Trauerfeier für die 318 Gestorbenen statt.
DDR, Bezirk Potsdam, 1. März 1962. Ein Eisenbahnzug des sowjetischen Militärs fährt von Jüterbog in Richtung Berlin. Auf dem Nachbargleis begegnet ihm nahe des Ortes Trebbin der D-Zug Berlin – Leipzig. Kurz vor dem Begegnen schwenkt eine versehentlich ungesicherte Panzerkanone herum und reißt drei Reisezugwagen der Länge nach auf. Der Panzer stürzt dabei vom Güterzug und der Militärzug entgleist. Insgesamt verlieren mindestens 80 Sowjetsoldaten ihr Leben (die genaue Anzahl wird nie bekannt werden). Hunderte Verletzte sind zu beklagen. Fast ausschließlich sind Rotarmisten betroffen. Dieses große Unglück wird vor der DDR-Bevölkerung weitmöglich geheimgehalten. (Dazu gibt es auf dieser Internetseite in der Rubrik >Lebensläufe< des Inhaltsverzeichnisses eine ausführliche Darstellung. Bitte Lebenslauf janecke-chris 3 anklicken und dann 1962 aufsuchen.)
Einige Informationen aus dem Jahre 1963
Politik in der DDR:
Ab 01. Februar darf die Zeitung „Sportecho“ erscheinen. –
Auf dem VI. Parteitag der SED verkündet Walter Ulbricht, dass in der DDR nun das Zeitalter des Aufbaus des Sozialismus begonnen habe. Es wird das „NÖSPL“ eingeführt, das „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft". Angesichts der vielen Engpässe, ist darin die stärkere Mitgestaltung des Lebens, die stärkere Mitverantwortung der Arbeiter, Bauern, Ingenieure und Wissenschaftler gefragt. Es wird Verantwortung für die Planung und Leitung der Wirtschaft, Verantwortung für die Ergebnisse, versuchsweise auf breitere Schultern verteilt. – Die Starrheit der Planung von Art und Menge der Produktion nach dem Gutdünken der Partei (SED), der Regierung, bleibt aber prinzipiell erhalten.
Mit Wirkung vom 14. Mai '63 gibt es eine „Arbeiter- und Bauern-Inspektion“ (ABI) als gesellschaftliches Kontrollorgan, in der hauptsächlich Werktätige ehrenamtlich tätig sind, die auf die Einhaltung des geltenden Rechts achten und auch an der Bearbeitung von Eingaben und Beschwerden der Bürger mitwirken. –
Am 14. November wird Margot Honecker Ministerin für Volksbildung (bis 1989, bis zum Ende der DDR wird sie diesen Posten innehaben). –
Ab 12. Dezember 1963 gibt es die erste Passierschein-Regelung, das bedeutet, nach dem Errichten des „Antifaschistischen Schutzwalls“ dürfen Westberliner Bürger nach Antrag / schriftlicher Einladung und im Falle der Genehmigung durch die DDR-Behörden, über Weihnachten (19. Dezember bis 05. Januar) Verwandte im Ostteil Berlins besuchen, sofern nichts dagegen steht. Die Besucher haben sich sofort nach der Ankunft bei den Besuchten, in das jeweilige Hausbuch einzutragen. Das Hausbuch ist die stille Auskunftei – eine „schwarze Kladde“ (für die besonderen Staatlichen Organe), in einem hellgrünen Heftklammer-Einband auf dem das Staatswappen der DDR prangt. Hat aber der zu besuchende DDR-Bürger keine eigene Wohnung in Ostberlin, so verbringt man die Besuchszeit beispielsweise gemeinsam auf der Straße, im Tierpark oder in einer Gaststätte, so man Plätze bekommt. 700.000 West-Berliner nutzen diese Zeit zu 1,2 Millionen Besuchen in DDR-Berlin. –
Politik in der BRD:
Kanzler Konrad Adenauer und sein französischer Amtskollege Charles de Gaulle unterzeichnen am 22. Januar den (Elysée-) Vertrag zur deutsch-französischen Zusammenarbeit. Die Vergangenheit zeigt: 5 Kriege in 200 Jahren gegeneinander – diese „Erbfeindschaft“ soll für immer beendet sein. –
Berlin-West
Vier Wochen nach seinem 46. Geburtstag, am 26. Juni 63, ist John Fitzgerald Kennedy bei einem achtstündigen Kurzbesuch Besuch (in West-Berlin) . Er übt Solidarität mit den Bewohnern der geteilten Stadt. Er versichert der Bevölkerung, am Schöneberger Rathaus und an der Grenz-Mauer stehend, dass die USA, stärkend hinter ihnen steht. Zum Schluss seiner kurzen ergreifenden Rede fasst er (zwischen Konrad Adenauer und Willy Brandt stehend) seine Verbundenheit in die deutschen Worte: „Ich bin ein Berliner“, mit denen er einen stürmischen Jubel auslöste. Er gilt als Symbolfigur der Freiheit und wurde begeistert empfangen. –
Am 15. Oktober, nach 14 Jahren der Regierungszeit als Bundeskanzler, tritt Konrad Adenauer mit 87 Jahren, wenn wohl auch ungern, in den Ruhestand. Sein Nachfolger ist der bisherige Wirtschaftsminister: Prof. Ludwig Erhard, 66 Jahre jung.
Verbrechen in den USA:
Am 22. November 1963 wird der 35. USA-Präsident John Fitzgerald Kennedy, der sich für die Bürgerrechte einsetzte, für die Gleichberechtigung der Menschen afrikanischer und lateinamerikanischer Herkunft, hinterrücks ermordet. Mit seinem Engagement hatte er sich den Hass weißer, eher mäßig gebildeter Südstaatler zugezogen. Die Schüsse trafen ihn in Dallas (Texas) bei einer Autofahrt durch die Stadt. Der Täter zielte um 13.30 von weitem aus einem Fensterspalt der 5. Etage eines Schulbuchverlages. Wahrscheinlich lauerten dem Präsidenten mehrere potenzielle Täter auf. Zwei Schüsse trafen J. F. Kennedy, und ein Schuss den Gouverneur von Texas John Conally. J. F. Kennedy wurde auf dem Arlington-National-Friedhof beerdigt. – Der Mord wurde nie wirklich eindeutig aufgeklärt. Nachfolge-Präsident wird Lyndon B. Johnson, der bisherige Vize-Präsident.
Am 24. November wurde der vermutliche Täter, Lee Harvey Oswald, als Gefangener zwischen zwei Polizisten gehend, erschossen, von Jack Ruby, der ebenfalls festgenommen wurde. Waren die Auftraggeber vielleicht dem CIA zuzurechnen, dem FBI, der Mafia oder sollten es wirklich nur ein, zwei verrückte Einzeltäter aus eigenem Interesse, ohne Auftraggeber gewesen sein?
Wissenschaft / Raumfahrt:
16. Juni 1963: Die erste Frau im Weltall ist die 26-jährige Sowjet-Offizierin Walentina Nikolajewna Tereschkowa, „Walja“. Sie blieb fast einen ganzen Tag allein im Weltall und umrundete unsere Erde 49 mal. Wohlbehalten kam sie wieder zur Erde zurück. –
Die Forscher um Jaques Cousteau erproben erfolgreich Précontinent II, ein kleines „Unterwasserdorf“, errichtet im Roten Meer, an einem unterseeischen Abhang in 11 bis 28 m Tiefe. Zwischen Haien, anderen gefährlichen Fischen, Seeschlangen und vielen anderen Tieren wird hier der Film „Welt ohne Sonne“ gedreht. –
Wirtschaft:
In verschiedenen Branchen wird in der DDR ab September das 3-Schicht-System eingeführt. –
Beginn der Produktion des „Trabant P 601“ in Zwickau. –
Bautechnik:
Der Dresdener Zwinger, der, wie große Flächen der Stadt, am 13. Februar 1945 zerbombt wurde, ist jetzt im August wieder vollständig aufgebaut und erstrahlt neu in altem Glanz. Nebenan, die ehemalige Frauenkirche, bildet als Trümmerhaufen ein bleibendes Mahnmal: „Nie wieder Krieg – wie oft haben das „die kleinen Leute“ schon gesagt, gewünscht, gefordert. Die Großen jedoch ... .
Am 15. Oktober 63 wird in West-Berlin die neue Philharmonie, mit einem Dach, wie ein Zelt aussehend, eingeweiht. Der Architekt ist Hans Scharoun. Die Eröffnung geschieht mit einem festlichen Konzert, das Herbert v. Karajan dirigiert. (Die alte Philharmonie war 1944 zerbombt worden). –
Religion:
Es stirbt im Juni in Rom Papst Johannes XXIII. Als sein Nachfolger wird Papst Paul VI. gewählt, der das Amt bis zu seinem Tode im Jahre 1978 ausüben wird. –
Sport:
Die DDR spielt Eishockey gegen die BRD und gewinnt relativ 2 : 4. –
Im Mai gewinnt der DDR-Radrennfahrer Klaus Ampler die Friedensfahrt, das größte Amateurradrennen unserer Welt durch die Länder DDR, Polen, CSR. Er wird auch als Sportler des Jahres gekürt und ebenso Ingrid Krämer als Springerin vom Turm ins Wasserbecken. –
24. August: Eine neue Fußball-Bundesliga wird „geboren“. Die BRD konnte mit ihren Amateuren bei den Berufsfußballspielern der Nachbarländer nicht mehr mithalten. Nun hat die BRD ebenfalls eine Profimannschaft und die Erfolge geben dieser Entscheidung recht. 200,- D-Mark im Monat, zuzüglich einer Siegprämie darf ein Fußballspieler verdienen. –
Unterhaltung:
Am 01. April 1963 nimmt ein zweiter Fernsehkanal Westdeutschlands, das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) den Sendebetrieb auf. Und alles kann aus einem Kasten kommen. Nacheinander. –
Im April kommt der Film „Nackt unter Wölfen“ von Frank Beyer, nach dem Buch von Bruno Apitz in die DDR-Kinos. Er zeigt Ausschnitte aus dem Leben im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar (kommunistischer Widerstand), wenn auch die Darstellung nicht in allen Punkten als realitätsnah angesehen wird. – Von Rolf Hochhut gibt es „Der Stellvertreter“. –
Gitte Haenning, ein bildhübsches Mädchen aus Dänemark, singt mit 16 Jahren am 15. Juni in Baden-Baden: „Ich will 'nen Cowboy als Mann“. –
Das 11. Plenum des Zentralkomitee der SED zieht die erforderliche „Sicherheit und Ordnung“ stärker an: Bereits gedrehte DEFA-Filme wie „Die Sprengung“, „Die Spur der Steine“, mit Manfred Krug oder „Das Kaninchen bin ich“, mit Angelika Waller, werden trotz Drehbuchgenehmigung nach ihrer Fertigstellung verboten, kommen nicht in die Kinos. – Außer hohen Produktionskosten und Spesen – nichts gewesen.
Dagegen startet die Überraschungsserie „Mit dem Herzen dabei“, moderiert von Hans-Jürgen Ponesky (wenn auch recht hölzern) im Fernsehen der DDR. – Hier läuft im Sommer zurzeit der Mehrteiler „Das grüne Ungeheuer“ über die Machenschaften der United Fruit Compagny in Guatemala mit Kathi Szekeli und Jürgen Frohriep. –
In der DDR werden neue Tänze eingeführt: Der „Patschula“, der aus Ungarn kommt und der „Letkiss“, von einem finnisches Volkstanz abgeleitet. –
Das DDR-Fernsehen beginnt mit der Sendefolge „Prisma“ in denen Eingaben / Beschwerdegründe aus der Bevölkerung diskutiert und der Rechtsweg, sowie Ergebnisse aufgezeigt werden. Diese Sendereihe wird recht beliebt.
Alltag:
In der DDR haben wir jetzt den gefriergetrockneten Mocca „Presto“ im Handel. Er ist portionsweise, also in Ein-Tassen-Menge in Aluminiumtütchen luftdicht abgepackt.
Naturgewalten:
Vor der Küste Islands bricht ein Vulkan aus, der eine neue Insel erschafft, die „Surtsey“ genannt wird. – (Der „Surt“ ist ein Feuerriese in der nordischen Mythologie). –
Im westdeutschen Erz-Bergbaugebiet in Lengede (Niedersachsen) sterben Bergleute. Es brach ein oberirdischer Klärteich in den Untergrund hinein und flutete die Grube „Mathilde“. 129 Arbeiter wurden verschüttet. 79 können sich retten. Bis zum 01. November werden fast täglich weitere Bergleute gerettet und zwei Wochen nach dem Unglück nochmals 11 Überlebende – auf Initiative und hartnäckiges Drängen der Bergleute – „Das Wunder von Lengede“. –
Neues aus dem Jahre 1964
Politik in der DDR:
Ab 02. Januar 1964 gibt es pflichtgemäß neue Personalausweise (blaue Heftchen). Beim Abholen sind dafür 2,00 Mark zu entrichten. –
Am 12. Juni wird ein Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der DDR unterzeichnet, in dem unter anderem die Existenz zweier deutscher souveräner Staaten erwähnt und West-Berlin als selbständige politische Einheit bezeichnet wird. –
Der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow wird von seinem „Brudergenossen“ und Nachfolger Leonid Breshnew entmachtet. –
Vom 16. Mai bis zum 18. Mai '64 findet in Berlin das verkürzte und letzte Deutschlandtreffen der Jugend nach bisheriger Art statt. 500.000 Jugendliche verleben hier frohe, inhaltsreiche Tage. Bald wird aus den Radio-Sendungen dieses Treffens das Jugendstudio DT 64 erwachsen und später ein eigener Jugendsender. –
DDR - BRD: Nach dem 01. November 1964 dürfen (seit dem 13. August 1961) Rentner der DDR (aber eben nur diese), erstmals wieder nach geprüftem Antrag und dessen Genehmigung, Besuchsreisen in die BRD unternehmen, wenn dem nichts entgegensteht. Vielleicht gefällt das einem Teil der Rentengeldempfänger und sie bleiben für immer dort am Ziel ihrer Wünsche? Schön, eine Rentner-Belastung weniger für die DDR. In diesen Fällen brauchen wir dann nicht über einen Verrat an der Arbeiterklasse und der Gefährdung des Weltfriedens lamentieren.
Im September 64 gibt es einen Erlass des Staatsrates der DDR. Er hat die Amnestie für alle „kriminellen Elemente“ zum Inhalt, welche die DDR vor dem 13. August 1961 ohne Staatliche Erlaubnis zu verlassen versuchten. Für jene Strafgefangenen öffnen sich die Zuchthaustore. –
Der nunmehr als Regimekritiker bekannte Prof. Robert Havemann war bis 1963 Mitglied der SED und der Volkskammer. 1964 wurde er aus der SED, wegen geäußerter eigener Gedanken, ausgeschlossen und auch aus seiner Tätigkeit als Hochschul-Dozent entfernt. –
Das Chemiezentrum „Leuna – Buna“ wird ausgebaut. –
Im September wird für die Armee das Bausoldatentum eingeführt. Falls nachvollziehbar, also wenn glaubhaft Gewissensgründe vorliegen, darf der Wehrpflichtige seinen (längeren) Wehrdienst ohne Waffe, mit dem Spaten leisten. –
Am 21. September '64 stirbt Otto Grotewohl (SPD => SED), der frühere stellvertretende Präsident der DDR. –
Am 03. Oktober wird in Berlin wieder ein Fluchttunnel fertig. Er führt von der Bernauer Straße (West), 145 m lang zur Strelitzer Straße (Ost). In zwei Nächten fliehen 57 Menschen durch diesen Tunnel. Bei der 3. Fluchtaktion am 05. Oktober kommen Grenzsoldaten der DDR hinzu. Es kommt zum Schusswechsel. Der 21-jährige Unteroffizier der DDR Egon Schultz wird dabei getötet. Die DDR-Führung stellt das als feigen Mord eines Westagenten und Menschenhändlers dar, obwohl es ihr anders und richtig bekannt ist. Erst nach 1989, nach Öffnung der Archive der Staatssicherheit der DDR, tritt nun auch öffentlich zutage, dass die tödlichen Schüsse in der Dunkelheit von DDR-Soldaten abgegeben wurden. Dieser Vorfall war für den Egon und seine Angehörigen schlimm. Das gesamte Ereignis, die Gründe dafür im „kalten Krieg“, waren für das gesamte Volk fürchterlich traurig, genauso wie die erst spät erkannten Lügen der DDR-Regierung zum Vorgang. Zu Ehren von Schultz werden u. a., zumindest auf Zeit, Straßen nach ihm, dem Ermordeten, benannt und jene werden dann ab 1990 wieder ihre ursprünglichen Namen zurück erhalten. –
Ab 02. Dezember gilt für in die DDR einreisende BRD-Besucher die Mindestumtauschpflicht von 5,00 DM im Kurs 1:1, d. h. sie bekommen für 5 West-Mark, 5 Ostmark, damit sie während des Besuches bei uns weder verhungern, noch gar den Brötchen-Händler der DDR mit BRD-Geld entlohnen müssen. Dieser kleine Umtauschbetrag wird sich in der Zukunft erhöhen – aber rücktauschen (weil man ja nur eines Brötchens bedurfte oder sich dieses mitbrachte) kann man nichts. Die DDR-Regierung benötigt die Westwährung ganz dringend für den sozialistischen Aufbau – oder so. –
Politik in der BRD:
Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, wird ab 16. Februar als Nachfolger von Erich Ollenhauer, Vorsitzender der SPD. Brandt behält diese Aufgabe 23 Jahre lang, dann wird der Vorsitz an Hans-Jochen Vogel übergehen. –
Die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik beträgt 0,6%. In Westdeutschland werden Gastarbeiter aus Süd- und Osteuropa angeworben, weil die Arbeitskräfte nicht ausreichen, vor allem auch für die Tätigkeiten, die nicht so sehr beliebt sind. Das große Defizit konnten nicht einmal die „eingereisten“ DDR-Bürger ausgleichen. –
Politik im Ausland:
Nachdem Frankreich 1946 den Vietnamkrieg begann und eine Niederlage erlitt, übernehmen jetzt die USA diesen unsinnigen Krieg gegen das nordvietnamesische Volk, der bis 1975 andauern wird – bis auch die USA dieses zerstörte, vergiftete, verbrannte Land fluchtartig verlassen. Es ist ein Krieg ohne Kriegserklärung, ohne einen erkennbaren Grund, ist aber ein Krieg der unterschiedlichen Ideologien von Ost und West, der hier in diesem Land unschuldiger Menschen mit allen verfügbaren militärischen Mitteln ausgetragen wird. –
Papst Paul VI. richtet am 26. August einen eindringlichen Friedensappell an die Völker der Welt und erinnert dabei an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 50 Jahren und an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor 25 Jahren. –
Medizin:
In der Bundesrepublik wird das Schlafmittel „Contergan“, das so vielen Neugeborenen lebenslang unendliches Leid bringt, endlich vom Markt genommen. –
Wissenschaft / Raumfahrt:
Am 12. Oktober 1964 umkreisten zum ersten Mal mehrere Menschen in einem Raumschiff die Erde. Es sind die sowjetischen Kosmonauten Komarow, Feokisto und Jegorow an Bord der Raumkapsel Woschod 1.
Technik:
Das Fahrzeug- und Gerätewerk in Suhl bringt das verbesserte Moped (Kunstwort für Motor+Pedale), den Stadtroller „SR 2 E“ auf den Markt. Nach dem KR 50 (Kleinroller mit 50 ccm), wird ab 01. Februar auch das KR 51, die legendäre „Schwalbe“, in später immer weiter verbesserten Varianten hergestellt. –
Ab 01. März läuft in der DDR der „Trabant 601“ vom Band. Er bleibt in Form und wesentlicher Ausstattung als „Klassiker“ erhalten, weil die DDR-Führung aus Kostengründen Weiterentwicklungen untersagt. –
Das historische Baudenkmal (Weltkulturerbe) des Tempels von Abu Simel (Ägypten) wird in mehrjähriger Arbeit vor den Fluten des Nils gerettet. –
In Betrieb genommen werden kann die Verrazano-Hängebrücke in New York, mit größtem Stützpfeilerabstand von 1.298 m. –
Wirtschaft:
In der BRD wird der Einmillionste Gastarbeiter begrüßt. Es ist ein 38-jähriger Zimmermann aus Portugal. Er bekommt Blumen, eine Urkunde und ein Moped. Sein Vordermann geht genauso wie sein „Nachkomme“, der nächst folgende Arbeiter, leider leer aus. Hoffentlich hatte sich niemand verzählt. –
Am 01. August 1964 werden in der DDR wieder eine neue Art von Geldscheinen ausgegeben. –
Am 01. Oktober werden in der DDR Postleitzahlen eingeführt. –
Bau:
In DDR-Berlin wird das neue Haus des Lehrers mit der farbigen Mosaikbauchbinde in der Nähe des Alexanderplatzes sowie auch die Kongresshalle fertig und dem Volke übergeben. –
Am 15. Juli wird der Grundstein für das Neubaugebiet Halle-Neustadt gelegt, das im Volksmund bald („Ha-Neu“) genannt wird. Es hört sich so schön brüderlich mit Vietnam verbunden, nach „Hanoi“ an. –
Am 03. Oktober ist das Staatsratsgebäude mit dem umgehängten „Liebknecht-Balkon“ des früheren Berliner Schlosses fertig gestellt worden. Diese Schaufassade zeigt zum Marx-Engels-Platz, einer riesengroßen kahlen Beton-Fläche, die nur zu Großdemonstrationen (1. Mai und 7. Oktober) belebt wird. Früher war das der Schlossplatz mit dem Schloss, dem Dom gegenüberstehend.
Bildung:
Misere in der BRD: Kritisiert werden inhaltlich völlig veraltete Schulbücher. Ebenso wird die Klassenstärke in den Grundschulen von durchaus 40 Kindern im Raum, beanstandet.
Auch die Studienprogramme an Universitäten und Hochschulen seien rückständig, heißt es. –
Kultur / Unterhaltung:
Im Januar kommt der erste eigene Western in die West-Kinos: „Der Schatz im Silbersee“ nach Karl May. – Ab Januar moderiert Hans-Joachim Kuhlenkampf die neue BRD-Fernseh-Sendereihe „Einer wird gewinnen“ (EWG). Diese erfolgreiche Reihe wird mit 82 Folgen bis November 1987 laufen. – „Lausbubengeschichten“ mit Hansi Kraus, geht in der BRD in die Kinos. –
Am 26. Juni 1964 sind die „Beatles“ zum ersten Mal im BRD-Fernsehen zu sehen. Sie singen „Please, please me“ und „She loves you“ – (obschon Ulbricht das gar nicht mag). Die Liverpooler haben damit Hochkonjunktur. Die noch jüngere Gruppe „Rolling Stones“ formiert sich. –
Die Sendung mit Heinz Quermann „Da lacht der Bär“ (deutsch-deutsche Verständigung in Berlin) wird von der DDR eingestellt. – Frank Schöbel singt „Party –Twist“ und „Mädchen, du bist schön“ Frank darf erstmals in den staatlich verpönten Bluejeans auf der Bühne stehen. Na, das ist doch 'was, eine generöse Extra-Erlaubnis „für das Beinkleid“. Aber warum, fragt sich der Laie?
Sport:
Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler werden am 26. Februar zum zweiten Mal Weltmeister im Amateur-Eiskunstlauf. Anschließend wechseln sie zu den Profis. –
Der farbige Boxer Cassius Clay („Ich bin der Größte“) legt mit 22 Jahren seinen, wie er sagt: Den amerikanischen Sklavennamen ab, tritt zum Islam über und nennt sich künftig Muhammed Ali. Für den Vietnam-Krieg verweigert er den Kriegsdienst als Soldat. – Recht so. –
Am 24. August wird der 1. Fußballclub Köln Meister im Profi-Fußball. –
Religion:
Am 01. Juli 1964 predigt der farbige US-amerikanische Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King in der Berliner Sophienkirche. Das Haus ist voll. –
Natur:
Im Mai wird bei uns im Raum Berlin die für diese Zeit eher ungewöhnliche Temperatur von etwa 30° C erreicht. Nach dem langjährigen Mittel wären etwa 17°C als normal anzusehen. –
Naturkatastrophen:
In diesem Jahr häufen sich die Erdbeben. Sie traten in Italien, in der UdSSR, in China, in der Türkei, in Indonesien, auf den Philippinen und in Guatemala auf. –
Einige „Gedächtnispunkte“ zum Jahr 1965 / 66
Politik in der DDR:
Beim Zentralkomitee (ZK) der SED wird zum Jahresbeginn ein „Institut für Meinungsforschung“ gebildet. (Oh, ha, da scheint ja der Dienstweg für die Aufträge an das Ministerium für Staatssicherheit ein besonders kurzer zu sein). –
Ägypten: Gamal abd el Nasser empfängt Walter Ulbricht. Das sozialistische Lager steht an der Seite der arabischen Staaten, während die USA und die BRD den Staat Israel unterstützen. Als Antwort auf diesen Besuch streicht die BRD die Wirtschaftshilfe für Ägypten. –
Politik in der BRD:
Bundestagsdebatte am 10. März zu Verjährung von Mord und Völkermord. Hintergrund dazu ist der Auschwitz-Prozess (der 20 Monate dauert) und Enthüllungen (aus der DDR) über Nazi-Karrieren von BRD-Politikern. Eine Entscheidung über Verjährungsfragen wird hinausgeschoben. Erst 1979 wird man die Verjährung gänzlich abschaffen. –
Eine Sitzung des bundesdeutschen Parlaments wird am 07. April nach West-Berlin einberufen (sonst stets nach Bonn). Die DDR-Führung empfindet das bei dem Sonderstatus von West-Berlin, als eine Provokation und stört die Sitzung mit Tiefflügen von Düsenflugzeugen, die über die Stadt hinweg donnern. Natürlich sind die Menschen auf den Straßen von diesem Lärm stark betroffen, – die Politiker im schallgeschützten Kongress-Saal merken wohl kaum etwas davon. Außerdem sperrt die DDR für einige Tage die Transitstrecken zwischen Berlin und der BRD zu Wasser und zu Lande. Das hatten wir bereits zweimal.
Der Bundestag beschließt, keine Waffen mehr in Konfliktgebiete zu liefern. – Ach nee. Eine schöne Theorie über die beste Geldeinnahmequelle. –
Die BRD nimmt am 12. Mai '65 diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Fünf arabische Staaten ziehen daraufhin ihre Botschafter aus der BRD ab. –
Politik im Ausland:
Portugal ist die letzte europäische Kolonialmacht. Deren Regierung unterstützt den Kampf gegen die Freiheitsbewegungen in Mocambique und Angola. –
Somalische und äthiopische Soldaten kämpfen gegeneinander. Dabei werden auch Waffen aus der BRD eingesetzt. Ebenso tauchen im Kongo / Gabun bundesdeutsche Waffen auf. –
Der sinnlose Krieg der Amerikaner als Kriegsherren (nun nach den Franzosen) in Vietnam breitet sich immer weiter aus. Die vietnamesische Bevölkerung, die den Amerikanern noch nie etwas antat, hat unter den Bombenangriffen sehr zu leiden. Napalm, Gifte, Entlaubungsmittel „für bessere Sichtverhältnisse“ werden bei den Bombardements eingesetzt. Der Vietnam-Krieg wird noch Jahre dauern, zehn stehen noch bevor. –
Es entsteht zwischen Indien und Pakistan der Kaschmir-Konflikt. –
Der Führer der Schwarzen in den USA, der noch vor kurzem bei uns zu Besuch war: Dr. Martin Luther King, wurde ermordet. Er hatte sich sehr für die Gleichberechtigung der farbigen Menschen eingesetzt. Und sein legendärer Traum von gleicher Würde der Menschen, von Freiheit und Gerechtigkeit, über den er am 28. August 1963 auf dem Marsch nach Washington zum amerikanischen Volk sprach, wird blutig begraben. –
In vielen Ländern Afrikas finden in den Jahren 1965–67 Militärputsche statt. –
Der britische Ministerpräsident Churchill stirbt. –
Der „Politische Erdball“ ist derzeit in 144 Staaten gegliedert. –
Wissenschaft:
Der
sowjetische Kosmonaut Leonow ist der erste Mensch, der sich frei im
Weltraum bewegt. Er verlässt am 18. März '65 das Raumschiff Woschod
2 für zehn Minuten – so auch später, am
03. Juni '65 der
Astronaut E. H. White aus den USA. –
Die weiche Augenkontaktlinse wurde entwickelt. –
Der Forscher Jaques Cousteau und seine Mannen errichten im Ozean, in 100 m Tiefe, die Anlage Précontinent III auf dem Unterwasserfestlandsockel des Meeres. Einen Monat lang halten sich die Wissenschaftler ununterbrochen in dieser Meerestiefe auf.
Technik:
Erstmals in der Geschichte der Bundesbahn erreicht am 26. Juni 1965 ein fahrplanmäßiger Schnellzug auf der Strecke von Augsburg nach München die Geschwindigkeit von 200 km/h. – In früherer Zeit, bei der Reichsbahn, hatten wir das bereits auch schon. –
Im Pionierpark in der Ost-Berliner Wuhlheide (Karlshorst) wird eine Pioniereisenbahn in Betrieb genommen, die von Jugendlichen und Kindern betrieben wird. Sie dient der sinnvollen Freizeitgestaltung und hat vielen eine Berufsorientierung gegeben. Spurweite: 600 mm. Dampf- und Diesellokomotiven. Im Jahr 1979 wird die Betriebsführung an die Deutsche Reichsbahn (DR) übergeben. 1993 wird die gesamte Anlage restauriert (auch Bahnhöfe und Nebeneinrichtungen) sowie die Spurweite auf 700 mm vergrößert. Ihr Name ist dann: „Parkeisenbahn“ aber die Höchstgeschwindigkeit bleibt, wie schon vorher, bei unter 200 km/h. –
Wirtschaft:
Februar '65: Zur diesjährigen Mustermesse in Leipzig sind auch eine Reihe von Unterhaltungskünstlern aus dem Westen eingeladen und angereist, so Mr. Acker Bilk, Wolfgang Sauer, Gus Backus. Auch Fips Fleischer und Gerti Möller sind anwesend. –
Am 18. Juli 1965 verlässt der erste 5-t-Lkw „W 50“ das Montageband in Ludwigsfelde. Er wird fast gleich aussehend, später als „L 60“ wohl bis 1990 produziert. Vorher wurden im IWL, Industriewerk Ludwigsfelde, die Motorroller „Pitty“, dann der „Wiesel“, später der „Berlin“ und etwas kurzzeitiger, der „Troll“, der Tourenroller sowie der Einrad-Anhänger „Campi“ gebaut. –
Im Herbst öffnet die Leipziger Messe zum 800-sten mal ihre „Pforten“. –
Bauen:
Im Sommer, am 05. August 1965 wird mit dem Bau des später rund 360 m hohen Fernsehturmes in Ost-Berlin am Alexanderplatz begonnen. Vorerst liegt noch keine Baugenehmigung vor, noch ist die Finanzierung dieses gigantischen Baues unklar aber auf Befehl Walter Ulbrichts wird das Prestige-Objekt eben begonnen. Vier Jahre wird die Bauzeit betragen. –
Der Wiederaufbau des Leipziger Hauptbahnhofs nach den Weltkriegsschäden ist abgeschlossen. Er ist mit 26(?) Gleisen der größte Kopfbahnhof Europas. –
Medizin:
In der DDR wird ein Schutzimpfungsprogramm gegen Virusgrippe mittels Nasalspray (Parfumzerstäuber / Glasbehälter mit Gummiballpumpe und Verbindungsschlauch) eingeführt. –
Der VEB Jenapharm bringt eine ganz besondere Tablette auf den Markt. Es ist nicht wie in der BRD die „Anti-Baby-Pille“, sondern die „Wunschkindpille“ der DDR. Auch diese ist streng verschreibungspflichtig. –
Musik / Unterhaltung:
Hans Rosenthal beginnt in West-Berlin die Sendereihe „Das klingende Sonntagsrätsel“. –
Der Musik-Film „Reise ins Ehebett“ mit Anna Prucnal, Eva-Maria Hagen, Günther Simon und Frank Schöbel als Schiffs-Stewart wird gedreht (und 1966 gezeigt). –
Der Liedertexter und Sänger Wolf Biermann, der aus Hamburg (BRD) kommend, in das bessere Gesellschaftssytem der DDR übergesiedelt war, erhält hier sein erstes Auftrittsverbot wegen kritischer Gedanken zum System und vor allem wegen seiner Äußerungen darüber. –
Die „Rolling Stones“ spielen in der West-Berliner Waldbühne am Olympia-Stadion. Die Anlage ist danach von fanatischen Anhängern / Fans zertrümmert, sieht aus wie ein „Schlachtfeld“. Der Begriff „Konzert“ weckt bei uns andere Vorstellungen. –
Der Schlager „Marmor, Stein und Eisen bricht“, gesungen von Drafi Deutscher ist aktuell. Deutschlehrer meinen aber, dass es Marmor, Stein und Eisen brechen heißen müsse. Richtig! Richtig? Marmor bricht, anderer Stein bricht auch und sprödes Eisen ebenfalls. Aber wenn schon >brechen<, wer konstruiert den Reim darauf? – Das blieb offen, den lieferten sie nicht mit.
Bei uns läuft der englische (?) Film Honeymoon 65. über die schönen Flitterwochen im Leben.
Kunst:
Der alte, erneuerte Dresdener Zwinger eröffnet im Oktober die „Galerie Neue Meister“ – viele sehr alte Gemälde sind zu sehen. –
„Technisches Naturereignis“:
Bei Knoblauch (Raum Potsdam) wurde in eine unterirdische Gesteinsformationen Erdgas eingespeichert. Es kam daraufhin 1966 zu einer Gaseruption mit Erdbeben, so dass auch in den Häusern und Ställen eine explosible bis lebensgefährdende Gaskonzentration zu verzeichnen war. Die Bewohner kamen in Notunterkünfte. Später wurden sie nach Ketzin und Falkenrhede umgesiedelt. Das alte Dorf Knoblauch wurde abgerissen. (Modernes Fracking lässt grüßen). –
Alltag:
Etwa 30 Jahre lang wird ein Trockenmilchprodukt das „Babysan“ vom VEB Dauermilchwerke Stendal hergestellt werden und ebenso lange schaut das gleiche niedliche Baby aus jedem Ladenregal der DDR freundlich die Käufer an. Auch von den Packungen Milasan und Citrosan blickt es auf uns. Das liebe Babygesicht auf der Verpackung gehört zu Susan Wanke – die aber kein Säugling blieb, sondern später Lehrerin wurde. –
Sport:
Sportler des Jahres gibt es eine ganze Menge. Es sind: Die Leichtathletin Hannelore Supp, der Leichtathlet Jürgen May und die DDR-National-Fußballmannschaft. –
- Vorläufiges Ende? -
Wie es weitergeht mit einigen Dingen in der Welt, kann man auf der gleichen Internetseite lesen: www.janecke.name
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