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#Zur Ahnenliste „Janecke“, Familienverband „Sommer“ gehörend.


Tabellarischer Lebenslauf zum Leben des Ehepaares


Richard Eschert oo Franziska Runge


Lebenszeit hauptsächlich in Berlin, von 1872 bis 1945.


Zum vorliegenden Text gibt es auch einige Bilder – bitte hier klicken.


Ein Beitrag zur Ahnen- und Familienforschung


Autor und Kontaktpartner für Fragen, Meinungen oder Ergänzungen: Chris Janecke,

Bearbeitungsstand: September 2021 E-Mail: christoph@janecke.name



Wir Menschen sind wie die Glieder einer Kette,

von der wir nicht wissen,

wo und wann sie für unsere Vorfahren begann

und wohin sie unsere Nachkommen einst führen wird.


Verfasser unbekannt


Wegweiser für die Beziehung zwischen den Hauptpersonen (Probanden) dieser Niederschrift und den heute lebenden Personen des „Familienzweiges“.

Diese Liste kann auch gern von unten (aus der Gegenwart) nach oben gelesen werden.



Genera-tion

Zeitraum

Namen des jeweiligen Ehepaares


08–12


Natürlich reicht diese Liste viel weiter in die Vergangenheit zurück aber solche Angaben sind momentan für die Darstellung des Lebens des Paares Eschert oo Runge nicht vordringlich.


07

ca. 1780 bis etwa 1840

Johann Friedrich Daniel Runge oo Dorothea Sophie Seeger

2 Kinder


06

1815 bis 1892

Erdmann Daniel Franz Runge oo

Johanne Friederike Henriette Ehm, 8 Kinder


05

I. 1846–1901

II. 1846–1946

I. Ehe: Franz Runge oo Marie Josephine Glaeser

6 Kinder.

II. Ehe: Franz Runge oo Anna Louise Ulrich geb. Schütte

1 weiteres Kind: Franz, * 1903


04


1872 bis 1945

Zu diesen 6 Kindern gehören auch Franziska Runge oo Eschert

und

Anna Margarethe Runge, oo Rudolf Max Sommer



04

1875 bis 1949


03

1900 bis 2003

Anne-Marie Sommer oo Alfred Richard Janecke, 3 Kinder


02

1945 bis

Der Autor dieser Niederschrift – Chris Janecke


01


Die Söhne des Autors

(zu näheren Angaben besteht ein noch gewünschter Datenschutz)



Zu den vorgenannten Ehepaaren gibt es auf dieser Internetseite Kurzlebensläufe.






Die Großeltern (Generation 05)


Eschert


Hoppe

Name


Runge


Glaeser


Wilhelm Friedrich August


Johanna Sophie Louise

Vornamen

Carl Heinrich Franz

Marie Josephin



Geboren

Berlin, 11. Mai 1846

Hamburg,

15. Februar 1845


Schlossermeister

Mutter und Hausfrau

Beruf

Maurer- und Zimmermeister

Mutter und Hausfrau


(um 1903) Berlin, Zehdenicker Straße 28

Wohnung

Berlin,

(um 1901 bis nach 1903), Neuendorf bei Potsdam, Luisenstraße 16


Hamburg und Neu-Weißensee bei Berlin


Berlin, vor 1903


Gestorben

Berlin-Charlottenburg, 19. Januar 1936

Neu-Weißensee

27. Juli 1901





Generation 04:

Die sechs Kinder des Elternpaares:

Carl Heinrich Franz Runge und Marie Josephine Glaeser

- das also sind meine Geschwister und bin auch ich daselbst -


Anmerkung: Der Name des Kindes, das die Ahnenfolge in gerader Linie zu den jüngsten Probanden des Familienzweiges (in Richtung Janecke) weiterführt, ist fett gedruckt.


Nr.

Name:

Runge


Lebensdaten der Kinder

1

Carl Robert Franz Runge


oo


Helene Beerbaum


(Eltern von

Hellmut Runge)


Carl wurde in Berlin am 16. Juli 1871 geboren und am 24. September in der St.-Markus-Kirche getauft. Die Taufzeugen sind: 1. Carl Götte,

2. Herr Kläpius, 3. Herr Kufstaedt, 4. Robert Hass und 5. Fräulein Johanne Göcking.

Carl lernt als Heranwachsener Elektriker und fährt auch einige Zeit zur See. Ein paar Jahre ist er bei dem Ehemann seiner jüngeren Schwester Margarethe (in der Elektrofirma Max Sommer, in Nowawes) als Elektromonteur beschäftigt.

Geheiratet hat er in Berlin am 30. September 1902 die Helene Auguste Beerbaum. Helene war am 13. April 1870 in Biesdorf bei Wiezen geboren worden.

Das einzige Kind des Paares, Hellmut Franz Ernst Runge, wurde in Berlin am

09. August 1903 geboren.

Diese Ehe wurde später geschieden. Carl wohnte zu Neuendorf in der Blücherstraße 5 (nach dem Zweiten Weltkrieg in Fultonstraße umbenannt). Carl wechselte die Wohnung, zog im Alter in das Altersheim in Drewitz, Lindenstraße. Dort starb er am 05. Juli 1946, um 21.30 Uhr kurz vor seinem 75-sten Geburtstag an Altersschwäche und Gehirnembolie.

Quelle: Standesamt Potsdam-Babelsberg, C 790 /1946.


Helene betrieb mit der Unterstützung durch ihren Sohn Hellmut (Cousin von Anne-Marie Janecke, geb. Sommer), in der Nowaweser Lindenstraße 40 einen Verkaufsladen für Spielwaren und Sportartikel.

Helene starb am 30. Oktober 1961 um 17 Uhr, 91-jährig, im Potsdamer Altenpflegeheim Holzmarktstraße 5, nach mehrjährigem Aufenthalt. (Zimmerfenster Hochparterre links von der Eingangstür ... kann Chris Janecke von seinen Besuchen bei ihr berichten).

Es gibt dazu den Sterbe-Eintrag des Standesamtes Potsdam, C 1166 / 1961, auf Film P 211, Seite 346.

Dieser Eintrag ist unvollständig, da dort der Geburtsname nicht erwähnt werden konnte und vermutet wurde, dass Helene unverheiratet gewesen sei. Ihr Sohn Hellmut konnte nicht befragt werden, da er in Berlin-West lebt. Anm. Chris Jan.

–––––

Ihr Sohn Hellmut Runge heiratete am 02. September 1930 die Telefonistin Margarete Lucie Hoepfner, die in Nowawes am 08. Dezember 1907 geboren war. Nach neun Jahren wurde diese Ehe im September 1939 in Potsdam geschieden. Zwei Kinder, Dietrich und Lucie gingen aus dieser Ehe (1932 und 1936) hervor. Hellmut unterstützte seine ehemalige Ehefrau, die in Babelsberg, Kleiststraße 17, später in der Friesenstraße lebte, auch noch in der Zeit der Teilung Deutschlands, bei Besuchen von Berlin-West aus.

Hellmut ging am 15. Dezember 1955 eine zweite Ehe ein, mit Brunhilde Eva Behrend aus Lübben; dort am 11. August 1916 geboren. Die Runges wohnten in Berlin-Steglitz, in dem großen Miethaus Schützenstraße 3, Ecke Mittelstraße und später, bis zu ihrem Lebensende in Charlottenburg, Altenburger Allee 8, Tel. 3 04 82 90.

Hellmut starb sehr unerwartet bei einem kleineren chirurgischen Darmeingriff, d. h. dieser war wohl gut gelungen aber er wachte aus der Narkose nicht wieder auf. Sein Todestag war der 23. Mai 1985. Hellmut war derjenige, der Chris Janecke zu dem Bemühen um die Familienforschung angeregt hatte. Eigentlich wollte Hellmut (mit 81 Jahren) noch mit Chris gemeinsam etwas forschen, dabei zeltend unterwegs sein, doch dazu kam es dann eben nicht mehr. Nur soviel, dass wohl der Großteil seiner Ergebnisse der jahrelangen Ahnenforschung, mit Dokumenten und Bildern, in die Müllbehälter gegeben wurden, sofern er nicht vorher auszugsweise Kopien an Verwandte gegeben hatte. Seine Frau Brunhilde starb am 09. August 2003.


2

Johanna Wilhelmine Marie

Runge


oo I:

29.12.1891

Friedrich

Dankhoff










oo II:

08.08. 1896

Emil Seehafer



Johanna, genannt Hannchen, wurde in Weißensee bei Berlin am

11. März 1873 abends ¼ 9 Uhr als zweites Kind der Familie Runge geboren. Die Taufe durch den Prediger Schadow fand am 01. Juni 1873 in der Dorfkirche zu Weißensee statt. Das Taufdatum war in jenem Jahr der

1. Pfingstfeiertag. Die Paten:

1. Herr C. Glaeser (Großvater aus Hamburg), 2. Herr W. Schmidt, 3. A. Sieke, 4. Frl. Johanna Goecking, 5. Herr Baez. Kirchenbuch Weißensee 5 / 1873. Zentralarchiv Berlin, S. 470, Microfiche-Gruppe 8858.

Am 7. März 1889 wurde Johanna in der evangelischen Kirche St. Markus zu Berlin konfirmiert.

Ihre erste Ehe schloss sie mit 18 Jahren in Berlin am 29. Dezember 1891 mit dem Fleischermeister Friedrich Wilhelm Dankhoff (oder Dankhof geschrieben), der in Zeitz am 09. Juni 1865 geboren war. Bereits knapp zwei Jahre nach Eheschließung starb er mit 28 Jahren in Berlin, am

23. Oktober 1893 an der Lungenschwindsucht. Am 27. Oktober beerdigte man ihn auf dem Friedhof der Moabiter Johanniskirche.

––––––

Aus dieser kurzen Ehezeit stammte die Tochter Frieda Johanna Dankhoff (genannt Friedel), die in Berlin am 07. Oktober 1892 geboren war. Witwe Friedel heiratete den jungen Gustav Hermann Gottfried Liebnow (geboren am 30. Mai 1898) in Berlin, am 22. Oktober 1923.

Das Ehepaar lebte in Berlin-Pankow, Miltenberger Weg 16, 2 Treppen hoch. Diese Ehe blieb kinderlos. Gustav war ein höherer Beamter, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat fiel. Friedel lebte nach dem Tod ihres Mannes bei ihrer Halbschwester Dörthe Kühnbaum in Neukölln, Treseburger Ufer 44.

In den 1950-er Jahren hatte Friedel eine Brustoperation und seitdem einen ständig stark geschwollenen, schmerzenden, kaum bewegbaren Arm. Im höheren Alter wurde dieser Arm amputiert und von da an ging es ihr relativ besser. Zum Lebensabend wohnte Friedel in einer kleinen Wohnung im Britzer Damm 106, Tel. 6 06 74 52. Ihr kleines Vermögen sollte eigentlich der Tierpflege zugute kommen. Friedel starb am 23. Februar 1982 unter seltsamen, wohl nie zufriedenstellend aufgeklärten Umständen. Ihr Testament wurde kurz vor ihrem Ableben geändert, zugunsten einer Person des Pflegedienstes.

–––––––

Nun aber zurück zur Mutter Johanna: Knapp drei Jahre nach dem Ableben von Friedrich Wilhelm Dankhoff heiratete Johanna am 08. August 1896 den Emil Julius Seehafer, geb. 05. November 1865 zu Althof im Kreis Bromberg, einen Sohn des Ackerwirts Friedrich Seehafer und seiner Ehefrau Albertine Caroline geborene Diedrich. Johanna und Emil wohnten gemeinsam mit Johannas Geschwistern (aber in getrennten Wohnungen) im Hause Spenerstraße 32, in Berlin-Moabit, in dem Haus, dass ihr Vater Carl Heinrich Franz Runge (Zimmer- und Maurermeister) gebaut hatte. Um etwa 1907 bis 1928 lebten sie in Pankow, Blankenburger Straße 2, II.

Gestorben ist Johanna in Berlin-Niederschönhausen, am 12. August 1942.


3

Henriette Bertha Franziska

Runge,


diese also bin ich


oo



Richard Oscar

Eschert



Franziska wurde in Weißensee, Goethestraße 25, am 04. Juli 1874 früh um
½ 4 Uhr geboren. Die Taufe in der Kirche Weißensee vollzog am 30. August Prediger Betke. Die Taufpaten waren: 1. Herr Laas, 2. Frau Laas, 3. Frau Runge – alle aus Berlin. KB Weißensee 16 / 1874.

Zentralarchiv Berlin S. 470, Microfiche-Gruppe 8858.

Man nannte das Kind „Fränzi“. Geheiratet hat sie in Neuendorf bei Potsdam, in der neu erbauten Bethlehemkirche, am 19. Januar 1903 den Gustav Richard Oscar Eschert. Dieser war in Berlin am 11. Oktober 1872 geboren worden. Sein Vater war der Berliner Schlosser Wilhelm Friedrich August Eschert. Die Eschert-Sippe waren Neuendorfer Einwohner aber auch in Berlin ansässig. Die Verbindung wurde wohl dadurch gefördert, dass ihr Vater seit längerer Zeit bereits in Neuendorf lebte.

Der Wohnort von Franziska und Richard Oscar war später in Berlin, u. a. in der Spenerstraße 32, in dem Haus, welches ihr Vater / sein Schwiegervater Franz Runge erbaut hatte. Sie wohnten im 2. Obergeschoss. Für dieses Haus war Richard Eschert als Verwalter eingesetzt.


Franziska und Richard hatten zwei Kinder:


- Franziska Luise Gertrud Eschert, geboren in Berlin am 06. Januar 1904. Gertrud blieb unverehelicht und hatte keine Kinder. Sie starb wohl 1993 in Frankfurt (Main).


- Franz Wilhelm Günther Eschert, geboren in Berlin am 24. Juni 1906.

Er heiratete mit 28 Jahren die bald zehn Jahre ältere Anni Wassermann, (geboren am 21. Juni 1896). Die Ehe dieser beiden blieb kinderlos.


Mutter Franziska starb in Berlin am 22. Juli 1945.

Vater Richard starb in Berlin am 15. August 1945.


4

Bertha Amalie

Runge



Sie erblickte in Weißensee bei Berlin am 19. September 1875 um 7 Uhr morgens das Licht der Welt. (Standesamtsregister Weißensee Nr. 94 / 1875, Standesbeamter Liebheim). Getauft wurde sie von Prediger Toepfer am 16. Oktober 1875. Die Paten: - Herr Direktor Feldmann und Frau, - Gärtner Pengel mit Frau und Tochter, - Bauerngutsbesitzer Herr Wegner und Frau, - Cossäth Meisvier und Frau, - Gütjartow(?), Schuhmacher und Frau.

Quelle: Kirchenbuch der Dorfkirche in Weißensee Nr. A 49 / 1875.

Zentralarchiv Berlin S. 470, Microfiche-Gruppe 8858.

Ein reichliches Jahr nach der Geburt, am 15. Oktober 1876, vormittags

10 ½ Uhr, verstarb das Kleinstkind, Greifswalder Straße 9, in Weißensee. (Berlin Standesamt VIII, Königsstadt, Nr. 2204).


5

Anna Margarete

Runge


oo Nowawes-Neuendorf,

am 29.06. 1905


Max Sommer



Margarethe wurde in Weißensee am 05. Januar des Jahres 1880 geboren. Sie lernte später im Lette-Verein in Berlin Hauswirtschaft und war dann in einem jüdischen Haushalt (Oppenheim?) in Berlin als Wirtschafterin tätig.

Geheiratet hat sie Rudolf Max Sommer, Schlosser und Elektrotechniker in Potsdam und Nowawes/Babelsberg, der am 21. September 1875 geboren war. Die Trauung fand am 29. Juli 1905 in Neuendorf, in der Bethlehemkirche, statt.

Wohnung: Nowawes, Priesterstraße 68 = Babelsberg, Karl-Liebknecht-Straße 121.


Das Ehepaar hatte zwei Kinder:

- Max Fritz Franz Sommer (genannt Hans), geboren in Nowawes am

05. Mai 1906. Nach dem Besuch der Beethovenschule (Realgymnasium) lernte er Elektroinstallateur im Betrieb seines Vaters. Beim Hockeyspiel zog er sich eine Knieverletzung zu. Das Gewebe entartete. Das Bein musste amputiert werden. Hans starb am 03. September 1926 (unverheiratet und kinderlos) im Alter von reichlich 20 Jahren an Krebs.


- Das zweite und letzte Kind war Anne-Marie Sommer. Sie wurde in Nowawes am 06. Juli 1913 geboren und heiratete mit 28 Jahren den Techniker Alfred Richard Janecke.


Vater Max Sommer starb in Babelsberg, Städtisches Krankenhaus, am
23. November 1945.

Mutter Margarethe Runge, verheiratete Sommer, starb ebendort am

03. November 1949. Sie ruhen auf dem Friedhof an der Goethestraße in Potsdam-Babelsberg.


6

Paul Runge


oo Berlin-Moabit, am

29.09.1938


Margarete Lehrke

Paul ist als letztes Kind des Ehepaares Runge in Weißensee bei Berlin am 09. August 1885 geboren worden. Während seiner Geburt erlitt wohl die inzwischen 40-jährige Mutter einen Schlaganfall, der ihre Lebensqualität von diesem Zeitpunkt an stark beeinträchtigen sollte.

Paul war um 1838 in Berlin als Stadtassessor tätig.

Paul lebte als Junggeselle (etwa von 1930 bis vor 1938) im rechten Seitenflügel des Hauses Berlin-Moabit, Spenerstraße 32, das sein Vater gebaut hatte. Seine letzte Anschrift: Alt Moabit 19.

Eine Ehe, als sein letzter Wunsch, wurde am 29. September 1938 im Krankenhaus geschlossen, als er im Alter von 53 Jahren wegen Magenkrebs auf dem Sterbebett lag – mit der von ihm verehrten Margarete Lehrke (Margrete war im Berliner Südosten (späteres Kreuzberg) am 14. Juli 1872 geboren worden. Sie ist die Mutter einer Tochter und als Sekretärin tätig. Margarete ist Witwe des Drogisten Friedrich Lehrke, der am 26. April 1934 in der Wohnung Moabit Jagowstr. 24 starb).

Paul starb noch am Tag der Trauung, den 29. September 1938 – mit seinem größten und erfüllten Wunsch. Paul hatte keine Kinder.

Quellen: Sterbereg. der St.-Johannis-Kirche Moabit und StA Schmargendorf C 540 / 1938.


Mein Vater Franz Runge, so wird Franziska später sagen, schreibt ein Tagebuch, in dem so manches aus der Zeitgeschichte aufgezeichnet ist und er streut dabei unsere wichtigsten Familienereignisse lose in den Text mit ein. Deshalb ist in diesem Bericht auch von mir, seiner Tochter, und von meinem Ehemann die Rede – genauso sind hierin unsere Kinder erwähnt aber selbstverständlich ebenfalls meine Geschwister. Und nicht zuletzt der Kaiser.

(Eine Anmerkung, der Ehrlichkeit halber: Es gab kein Tagebuch – sein Urenkel Chris Janecke führte ihm mehr als einhundert Jahre später gedanklich die Hand für diese folgenden Notizen):

1871

Und wir gewannen schon wieder einen Krieg, den viele, kaum zählbare Soldaten auszubaden hatten. Unser König erhält dagegen die verdiente Kaiserwürde – am 18. Januar '71. Die Krone wird ihm aber nicht etwa in einer der Residenzen Berlin oder Potsdam aufs Haupt gedrückt, nein es wird ein Ausflug bevorzugt, um dieses Fest im gerade niedergerungenen Frankreich zu feiern. In dessen Residenz. Im Schloss Versailles. Das ist schon mehr als eine starke Geste.

Aber immerhin sind wir nicht mehr nur Preußen, sondern (noch ungewohnt) das Deutsche Reich. Das zweite Reich sozusagen, denn ein Deutschland unter Kaisern gab es ja schon einmal im Mittelalter, allerdings damals noch mehr römisch und auch recht heilig. Nun wird auch eine neue Währung eingeführt. Ein etwas komischer Name: Die „Mark“ zu einhundert Pfennigen. Komisch, weil wir ja in der Mark Brandenburg leben, im früheren Grenzland zwischen Slawen und germanischen Stämmen und eine neue Währungsbezeichnung ist ja sowieso gewöhnungsbedürftig. Taler, Groschen und Sechser des Nordens gelten von nun an ebenso wenig, wie im Süden die bisherigen Gulden und Kreuzer. Die Zukunft weiß, dass dies bis zum Ende des Jahres 2001 auch so bleiben wird.

Von diesem Jahr an gibt es Korrespondenzkarten für kürzere Mitteilungen. Man braucht keine Briefe mehr zu falten – jeder kann alles lesen.

Marie gebar dann, wie etwa vorauszusehen, am 16. Juli unser erstes, ja schon ein bisschen bekanntes Liebes-Kind, das am 24. September in der St.-Marcus-Kirche getauft wird und das wir Carl nennen. Carl Robert Franz Runge. Ein schöner Name. Alt und deutsch. Die Taufzeugen sind: Carl Götte, Herr Kläpius, Herr Kufstaedt, Robert Hass und Fräulein Johanne Göcking.

Ja, ja, später merken wir, dass Sohn Carl von uns beiden Elternteilen etwas mitbekommen hat. Von Marie die Liebe zum Meer (das ist auch sicherer), denn er wird Seemann, von mir die Freude am Handwerk. Er wird im Elektrofach lernen.

Da wir, wie geschildert und leise verraten, gut in Übung sind, erweitert sich unsere Familie in den Jahren um einige Mädchen. Eigentlich sollte ein Junge dabei sein, damit ich mal wieder den ehrenvollen Namen „Franz“ einstreuen kann. Mal sehen, wie ich das gestalten werde.

1872

Am Mittwoch, dem 24. Januar, erlischt das Lebenslicht meiner Schwiegermutter Johanne Magdalene Karoline Glaeser, geborene Fohrmann, in der Hansestadt Hamburg. Sie wurde 68 Jahre alt. Im Kirchenkreis St. Pauli findet sie ihre letzte Ruh’.

1873

Unsere Johanna Wilhelmine Marie wird am 11. März 1873 geboren.

In Berlin beginnt man die Abwässer zentral zu erfassen. Vorerst werden in den Straßen Kanalisationsleitungen verlegt und in den Häusern, oft auf den Treppenabsätzen Klosetts installiert. Nun werden die Straßen sauberer und die Profession der Emmas, die bislang in der Nacht diese Art von Geschirren leerten, wird wohl aussterben. Der alten Methode wird wohl niemand eine Träne hinterher weinen.

1874

Von dem nächsten Mädchen wurde Marie am 04. Juli 1874 entbunden. Marie steuerte die Namen Henriette und Bertha hinzu und ich wählte den Hauptnamen Franziska aus. Na, geht doch.

1875

Bertha! Das „Licht der Welt“ sah die Kleine erstmals am 19. September 1875. Bertha wird in unserer Erinnerung ewig die Kleine bleiben, denn sie starb am Beginn ihres zweiten Lebensjahres, im Oktober '76.

Unser Preuße Heinrich Schliemann hat sich die Aufgabe gestellt, im osmanischen Reich die fast vergessene, sagenhafte Stadt Troja zu finden und auszugraben. Und ich befasse mich nur mit einzelnen Bauwerken, errichte nicht gleich ganze Städte.

1876

Es kommt schon etwas überraschend: Ich werde plötzlich 30 Jahre alt. Wir wohnen nun in der Greifswalder Straße 9. (E!). Dieser Buchstabe bezeichnet nicht das Erdgeschoss, sondern steht bitte für Eigentümer. Wir sind inzwischen schon ein bisschen „Wer“!

Tief betrübt hat uns, wie ihr es euch vorstellen könnt, das Ableben unserer kleinen Bertha.

Der Erfinder Nikolaus Otto stellt einen Viertakt-Benzin-Motor vor, den er im Austausch mit den Pferden vor die Kutsche spannen will.

1877

Gemeinsam mit dem befreundeten Zimmermeister Friedrich Wilhelm Julius Schmidt kaufe ich ein Haus in der Stralauer Straße No. 49. Nicht, um da zu wohnen – wir denken, diese Anlageform des Geldes wird sich mit den Mieteinnahmen günstig entwickeln. Dieses Haus ist ein altehrwürdiger Bau. Er wurde anno 1690 als Wohn- und Brauhaus errichtet und später mit einem Seiten- und Quergebäude auf dem Hofe und auf der Wiese erweitert. Ein Gang am Hause führt zur Spree hinunter. Ein schönes Spree-Wassergrundstück. Wie ein „Filet“ nimmt es sich zwischen den Nachbarflächen aus.

Dieser Tage wurden von der Postverwaltung die ersten beiden Telefonanschlüsse fest miteinander verkabelt. Wenn das Mode wird, wird ja die Luft über einigen Straßen wie Spinnengewebe aussehen – oder wie?

1878

In Hamburg, im Kirchenkreis von St. Pauli, stirbt nun auch mein Schwiegervater, der Maurermeister Johann Christoph Glaeser, am 19. September, 74 Jahre alt.

Zwei Attentate auf den Kaiser sind in Berlin zu beklagen, doch er ist diesen nicht zum Opfer gefallen.

1879

Berlin macht wieder von sich reden: Siemens und Halske bauten die erste kleine elektrische Lokomotive der Welt. Jene bekam Wägelchen angehängt und so zuckelt der Zug mit den Besuchern der Gewerbeausstellung durch das Schaugebiet. Siemens beleuchtete auch versuchsweise die Leipziger Straße elektrisch.

1880

Unser Töchterchen Anna Margarethe wird am 05. Januar 1880 geboren. (Sie wird eine der Großmütter des Autors dieses Berichts werden. Sie weiß es aber noch nicht).

Seit einem Jahrzehnt bin ich nun Zimmermeister. Ihr müsst euch das anders vorstellen, als ihr, die viel später Geborenen, das kennengelernt habt. Zu meiner Zeit errichtet ein guter Zimmer-Meister oder ein Maurer-Meister die Gebäude komplett. Vom Grundstückserwerb begonnen, über die Gebäudeplanung, das Verfassen der Entwürfe. Dazu gehörend die Baubeschreibungen, alle Finanzierungs- und Materialzusammenstellungen, die statischen Berechnungen, das Abstimmen aller Gewerke untereinander, die handwerkliche Ausführung – dafür stand letztlich ein Mann in der Verantwortung. Also: Maurer-Meister oder Zimmer-Meister bauen diese herrlichen Wohnhäuser. Große Ingenieur- und Architekturbüros (wie sie später in eurer Zeit, in hundert Jahren, üblich sind), in denen immer einer ein bisschen was vom Ganzen versteht und bearbeitet, sind uns nicht geläufig. Selbst Wenzeslaus v. Knobelsdorff und Karl Friedrich Schinkel trugen vorerst den schlichten Titel „Baumeister“ und waren doch auf der ganzen Linie, allumfassend, einfach genial.

Wissenschaftler der Medizin entdeckten verschiedene Bakterienarten, die für übertragbare Krankheiten verantwortlich sind. Und verantwortlich fühlen sich manche Wissenschaftler für die Suche nach Mitteln und Methoden, um diese Krankheitserreger zu bekämpfen, was sehr schwierig scheint, obwohl jene Erreger so „lächerlich“ klein sind. Kein Grund zum Lachen.

1881

Zar Alexander II von Russland stirbt nach einem Bombenattentat.

Doch das Leben geht weiter. Siemens und Halske stellen nun die erste elektrische Straßenbahn der Welt vor. Diese Linie führt vom Bahnhof Lichterfelde-Ost zur Hauptkadettenanstalt (und zurück). Mit 40 km/h braust sie während des Testbetriebes davon. Leichthin. Vollbeladen. Später, im regulären Betrieb, darf sie nur halb so schnell sein. Amtsvorschrift! Wie sollten sonst Pferdefuhrwerke oder Passanten fix genug ausweichen oder der Gendarm einen mit der Bahn flüchtenden Dieb verfolgen können?

Das Berliner Telefonnetz besitzt inzwischen 99 Anschlüsse. Es gibt dazu das „Begleitbuch der 99 Namen“ mit einer ausführlichen Benutzungsanleitung ... wie man die Hörmuschel von der Gabel abnimmt, wie man das Frollein vom Amt richtig anspricht, um sich verbinden zu lassen ... .

1882

Herr Dr. Ernst v. Bergmann, der berühmte Arzt, bringt Trapp in seine Kollegenschaft – zumindest in jene, die ihm untersteht (andere belächeln ihn noch nachsichtig). Er fordert von jedem Arzt, sich vor der Behandlung die Hände zu waschen! Er verbannt die schwarzen Fracks aus den Krankenhäusern, die vom Fleiß ihrer Träger künden, wenn sie steif stehen von getrocknetem Blut und Eiter. Er führt helle waschbare und desinfizierbare Kittel und Schürzen ein und hat damit gute Erfolge. Wunden heilen besser. Wesentlich weniger Verletzte sterben in seiner Einrichtung.

Versuchsweise beginnt man das holprige Straßenpflaster mit einer Schicht heißen Asphalts zu überziehen, der eine schöne, glatte Oberfläche ergibt.

Siemens & Halske lassen in Berlin einen elektrischen Oberleitungsbus fahren – mit gutem Erfolg (besonders auf dem Asphalt rollen die Holzspeichenräder mit ihren Eisenreifen leiser).

1883

Es stirbt am 31. Januar nun auch mein Vater, der Zimmermann Erdmann Daniel Franz Runge, im Alter von 67 Jahren, in seiner Wohnung in Weißensee, Falkenberger Straße 32. Wir tragen ihn am 04. Februar zu Grabe. Im Kirchenbuch findet man die pfarramtliche Eintragung unter der Nr. 7 / 1883.

Die Welt wird erschüttert von des Ausbrüchen des Vulkans Krakatau in Indonesien. Die Berichte sprechen von grausamen Auswirkungen. Allein schon die Druckwelle konnte auf der gesamten Erde! gespürt werden.

1884

Deutschland wird Kolonialmacht, genau so, wie der Kaiser es schon immer gerne wollte.

1885

Unser zweiter Sohn schließt nach den Mädchen, den Reigen der Kinder ab. Paul – „der Kleine“ heißt er. Er ist unser letztes Kind. Marie ist jetzt im 40. und sechs Geburten sind ja auch ausreichend. Denken wir. Müssen wir denken, denn Marie wurde doch in dieser Schwangerschaft absonderlicher als zuvor und erlitt während der Geburt auch einen Zusammenbruch, den die Ärzteschaft als Schlaganfall bezeichnete, der seine Spuren dauerhaft in ihrem Geist, ihrer Seele und der Körperkraft hinterließ.

Der „Petroleum-Reitwagen“, das ist das erste Motorrad der Welt. Es wurde von Gottlieb Daimler im wesentlichen aus Eichenholz gefertigt (der Motor beispielsweise aber nicht). Ebenso kennzeichnet das erste dreirädrige Automobil von Carl Benz, die weitere stürmische Entwicklung in unserer Zeit.

Auf der Havel zwischen Spandau und Potsdam leben etwa 2.000 Schwäne. Denen scheint es hier auch zu gefallen.

1886

Nun habe ich schon das 40. Lebensjahr erreicht.

Irgendwie läuft unsere Ehe nicht mehr so. Mit Marie wird es schwieriger, ihr Verhalten ist oft seltsam. Konflikte hatten sich schon über lange Zeit angebahnt, doch wir fanden immer wieder zusammen. Zumindest ist diese Ehe nicht mehr von Zuneigung und immer währendem Verständnis getragen, obwohl wir ja in den vergangenen 15 Jahren immerhin sechs Kinder miteinander zeugten und uns bemühten. Marie wohnt in Weißensee, im Kolonistenhaus Goethestraße 25, wir aber, also die größeren Kinder und ich, wohnen inzwischen separiert in Weißensee, Elbinger Straße 11. Ich möchte auch nicht, dass die Großen ihre Mutter in Weißensee besuchen – es sind doch zu schwierige Verhältnisse, bedauernswerte Zu- und Umstände, da Marie den Kindern nichts geben kann, eher selber einer pflegenden Stützung bedarf.

Über die Pfingstfeiertage fahre ich mit den Töchtern Johanna, Franziska und Margarethe in das Riesengebirge. Wir wollen diese Tage gern an und auf der Schneekoppe verleben. Nach langer Wanderung kommen wir abends müde bei der Baude an. Die regulären Unterkünfte waren zwar schon belegt, aber da es bereits dunkelte und man mich nicht gut mit den drei Kindern in der Nacht in die unbekannten Gegend schicken konnte, erhielten wir eine Notunterkunft. Nach heißem Tee und kräftigem Essen erwachten die Lebensgeister der Gören wieder und statt auch mir etwas Ruhe zu gönnen, entbrannte zwischen den Mädels eine Kissenschlacht, eine übermütige schwesterliche Balgerei, in deren Verlauf ein fußloser Mädchenschnürstiefel gegen die Holzbretterwand der Kammer flog. Aus dem Nebenraum ertönte das sonore mäßige Räuspern eines ebenfalls ruhebedürftigen Nachbarn, das durch die leichte Holzwand sehr gut vernehmbar war, was die Kinder erschreckte und ihnen augenblicklich Ruhe gebot.

Am nächsten Morgen grüßte uns vom Nebentisch zur Frühstückszeit ein gut situierter Herr. Es war der Pastor Dr. Hoppe, der Vorsteher von dem bekannten Nowaweser Oberlin-Haus. Er meinte augenzwinkernd – er habe fast die ganze Nacht kein Auge schließen können, da er doch (im benachbarten Notquartier) auf das Poltern eines zweiten Stiefels gewartet habe.

Nachbemerkung mit einer Sicht in die Zukunft: Meine spätere kleine Enkelin Anne-Marie Sommer wird um 1920 mit ihrer Mutter, also meiner vorgenannten Tochter Margarethe (wie fast täglich zum Einkauf) durch Nowawes gehen. Ganz erstaunt ist sie, als ihre nun schon über 40-jährige Mutter Margarethe plötzlich einen Knicks vor einem älteren Herrn als Zeichen der Ehrerbietung macht, als sie sich begegnen. Es war wieder der Pastor Dr. Hoppe aus der Baude von der Schneekoppe. Ja, manche verhalten geräusperten pädagogischen Winke haben eine jahrzehntelange Wirkung.

Nachdem ich nun mit Erfolg verschiedene Wohnbauten errichtet habe, will ich daran gehen und ein Haus bauen, in dem später auch meine Kinder leben können – wenn sie wollen. Es soll sehr gut und solide ausgeführt werden, eben ein Haus von typischer Runge-Qualität und womöglich einen Jahrhunderte langen Bestand haben. Dafür denke ich mit Bedacht an das Moabiter Gebiet, das gegenwärtig erschlossen wird.

Es findet sich auch der finanzkräftige Auftraggeber, also der Bauherr (denn ich baue zwar, habe aber nicht so viel Geld flüssig). Die Urkunde für das Grundstück ist vorerst ausgestellt auf: Straße 15 a, Parzelle 1, in Moabit, Kreis Niederbarnim, bei Berlin. Die Erwerber dieses Landstücks, wie auch der benachbarten Parzelle 2, sind „N. Oppenheim und Söhne“. (Inhaber der Bankgeschäfte Julius und Louis Oppenheim, Jerusalemer Straße 19 und 20). Die Verhandlungen mit ihm gehen zügig voran, ich bekomme den Zuschlag für das Bauen. Oppenheim folgt meinen Empfehlungen. Er ist ein gewiefter Geschäftsmann. Die Verwaltung kommt gar nicht so schnell nach, wie sie von den Bauwilligen gedrängt wird. Schon muss die Baugrundstücksnummerierung neu geordnet werden. Jetzt ist es an gleicher Stelle die Parzelle Nr. 35. Schon wird die Bauflucht mit dem Absteckungs-Attest festgelegt: Am 25. April 1886 sind in der Straße 15 a für die Parzelle 35, (bald in Parzelle 46 umgeschrieben), vom Maurerpolier Herrn Fick, die Winkelzeichen in die Bordschwelle (der Granitkante zwischen Fahrbahn und Bürgersteig) für den Oppenheimschen Neubau eingemeißelt worden.

Inzwischen erarbeite ich sämtliche Bauunterlagen für das Haus und für die Baupolizei, natürlich komplett einschließlich der detaillierten Baubeschreibung, der Zeichnungen und statischen Berechnungen usw. usf.

Am 17. Dezember 1886 ist dann der „Bau-Erlaubnis-Schein“ Nr. 2420 für „die unbenannte Straße 15 a“, Parzelle Nr. 46, ausgestellt worden. Es darf ein Wohngebäude in folgender, beantragter Kubatur errichtet werden:

1. Vorderhaus: 18,83 m lang; 14,10 m tief; 22,95 m hoch.

2. Seitenflügel, rechts: 14,41 m lang; 6,74 m tief; 22,95 m hoch.

3. Seitenflügel, links: 14,40 m lang; 6,74 m tief; 22,95 m hoch.

4. Quergebäude: 18,83 m lang; 11,60 m tief; 22,95 m hoch.

5. Anbau im 2. Hof, rechts: 5,34 m lang; 2,80 m tief; 20 m hoch.

6. Anbau im 2. Hof, links: 5,34 m lang; 2,80 m tief; 20 m hoch.

Noch am Tage der Ausstellung des Bau-Erlaubnis-Scheines ist Baubeginn.

1887

Am 07. Juli sichere ich mir ein Trennstück vom Bauland in der Größe von 8 Ar und 65 qm, durch Kauf bei der Aktiengesellschaft Alt-Moabit. Indessen geht die Vierseiten-Umbauung des Hofes wunschgemäß zügig voran. Alles läuft preußisch korrekt wie am Schnürchen.

Im Herbst können die Oppenheimers ein Richtfest geben. Am 26. November ist es soweit! Ich kann der Baupolizei im Königlichen Polizeipräsidium anzeigen, dass der Neubau in der Straße 15 a, Parzelle 46 fertig gestellt ist – bitte, zur gefälligen Abnahme desselben.

Nachtrag: Dieses Grundstück wird später, nachdem die Straßenzeile fertig bebaut ist, die Spenerstraße 32 sein. Nicht mal ein Jahr haben wir für das gewaltige Vier-Seiten-Gebäude benötigt. Nun kann dieser große Bau schon in diesem Winter trocken geheizt (gewohnt) werden.

Der Namensgeber für die Straße war Philipp Jakob Spener. Er lebte von 1635 bis 1705, war Probst in Berlin und gilt als Begründer des Pietismus. Wollen wir davon ausgehen, dass auch unser Haus unter seinem Segen steht. Wir aber wohnen weiterhin in Weißensee, Elbinger Str. 11.

1888

In diesem Jahr sieht Deutschland drei Kaiser. Der nun hochbetagte Kaiser Wilhelm I. starb. Nach 99 Tagen des Regierens folgte ihm sein krebskranker Sohn Kaiser Friedrich III. Und nun ist der erst 29-jährige Wilhelm II. unser Kaiser. Hoffentlich geht’s gut.

1889

Am 07. März wird Johanna eine Woche vor ihrem 16. Geburtstag in St. Markus konfirmiert.

Weltausstellung in Paris. Viele ganz hervorragende Ausstellungsstücke soll es geben (ich war ja nicht selber dort). Eines davon avanciert bereits zum neuen Wahrzeichen von Paris: Der 300 Meter hohe Stahlturm des Gustave Eiffel. Wenn das Schinkel hätte noch erleben dürfen.

(Für das Jahr 1889 steht im Berliner Adressbuch Herr Göttling, ein Kaufmann, als Eigentümer des Hauses Spener Straße 32).

1890

Nichts als Ärger mit den Leuten. Am 03. August entstand vormittags um 6 Uhr und 9 Minuten in der Frühe (so das überpeinlich genaue Polizeiprotokoll) ein Brand im Vorderhaus meines schönen Neubaus in der Spener Straße 32. Es brannten feucht eingelagerte Presskohlen im Keller nach Selbstentzündung. Nach dem Forträumen der Briketts wurde mit Wasser gelöscht.

(Für das Jahr 1890 steht im Berliner Adressbuch Herr Hornemann, Ziegeleibesitzer und Steinhändler, als Eigentümer des Hauses Spener Straße 32) – und inzwischen habe ich meinen schönen Großbau vom momentanen Besitzer erworben.

Gut gebaut – gut gekauft. Die Saat meiner Planung ist voll aufgegangen.

Doch keine Rose ohne Dornen: Von den Läden im Erdgeschoss habe ich auf Wunsch der Ladenmieter nachträglich je eine Wendeltreppe in den Keller (mit Klappe im Fußboden als Zutritt) vorgesehen. Eine kleine Leistung für den Baufachmann. Das kam jedoch dem Polizei-Lieutenant Albrecht zu Ohren und schon gab es eine Anzeige, da ich nicht vorher um eine Genehmigung zu dieser Baumaßnahme in meinem Hause! nachgesucht hatte, eine bürokratische Sache, die länger dauert, als die Bauleistung daselbst. Nun gut, ich habe das Gesuch beim Königlichen Polizei-Präsidium ohne weiteres schuldhaftes Verzögern ergebenst nachgeholt. Jetzt mag der Amtsschimmel ruhig wiehern und lange Zeit brauchen. Es ist ja schon alles schön fertig.

Der neue junge Kaiser hat Bismarck zum Herzog gemacht und ihn auf ein schönes Altenteil verschoben. Er wollte ihn einfach los sein. Junge und alte Ansichten vertragen sich oft nicht und beide wollten sie wohl manchmal mit dem Kopf durch die Wand.

1891

Meine Große, die Tochter Johanna, sie ist wohl von unserem Nachwuchs die Blitzgescheiteste, heiratet nun mit 18 Jahren und mitten im Winter, am 29. Dezember den Fleischermeister Friedrich Wilhelm Dankhoff. Da sitzt sie nah bei den Töpfen.

Otto Lilienthal segelt 15 Meter weit durch die Lüfte. Dr. Karl Ludwig Schleich hat die örtliche Betäubung erfunden. Jetzt können kleinere Probleme schmerzarm operiert werden, ohne den gesamten Menschen mit einem Gefühl des Erstickens in den Kunstschlaf zu bringen. –

In dem zurückliegenden Jahr sind in Preußen mehr als 36.000 Menschen an der Bräune gestorben. Zum Weihnachtsfest gelang es Dr. Emil v. Behring zahlreiche Kinder mit seinem neuen Heilserum vor dem Tode der „Diphtherie“ zu retten. Ein großartiges Geschenk.

1892

Der Bau der Transsibirischen Eisenbahn beginnt. Die Gewerkschaften beschließen, nun auch Frauen in die Reihen ihrer Mitglieder aufzunehmen.

In Hamburg bricht nochmals eine Cholera-Epidemie aus. Es wird die letzte sein, denn auch gegen diese Infektionskrankheit werden bald ausreichende Mengen des Schutzimpfstoffs anwendungsbereit sein.

Freude und Leid liegen oft dicht beieinander. Tochter Johanna (Dankhoff) entlässt Anfang Oktober ihre erste Tochter, Frieda, das lütte Friedelchen, aus dem Mutterschoße ins raue Leben.

Meine gute Mutter stirbt am 15. November 1892 in Weißensee im gesegneten Alter von 80 Jahren in ihrer Wohnung, Falkenberger Straße 32. Das Ableben ist im dortigen Kirchenbuch unter der Nr. 592 / 1892 vermerkt.

Ich sehe vor, demnächst in die Spener Straße 32 zu ziehen. Mit der Verwaltung des Hauses habe ich den Schuhmachermeister Lauk betraut. Das lässt sich für ihn günstig mit der Miete verrechnen.

1893

Nicht nur alte Menschen werden von höherer Stelle abberufen. Der junge Ehemann von Tochter Johanna, Fleischer Wilhelm Dankhoff, ist nach zweijähriger Ehe (und die war daran nicht schuld) im Alter von 28 Jahren an galoppierender Schwindsucht gestorben. Hannchen ist nun mit 23 Jahren Witwe, das kleine Friedelchen schon Halbwaise.

1894

Unsere Tochter Anna Margarethe hat nach den üblichen acht Jahren nun die Schulzeit abgeschlossen und wird im Lettehaus in die Geheimnisse der Hauswirtschaft eingeweiht. Dort ist sie auch im Internat untergebracht und während der Ausbildung am besten versorgt.

Der Grundstein für den neuen Dom an der Spree, an der Stelle des alten Gotteshauses von Boumann / Schinkel, wurde am 17. Juni gelegt. Das alte Gebäude war noch gut. Aber das neue Haus soll ein pompöses Bauwerk werden, um dem vatikanischen Dom auf dem Petersplatz „Paroli zu bieten“. Das Reichstagsgebäude nahe dem Brandenburger Tor ist fertig und wird am
05. Dezember eingeweiht. Es ist auch dieses ein prächtiges Bauwerk.

1895

Der norwegische Forscher Fridjof Nansen wollte mit einer großen Expedition den Nordpol erreichen, scheitete jedoch an den extremen Naturbedingungen.

Der Kaiser-Wilhelm-Kanal, der die Ostsee mit der Nordsee verbindet, ist fertig gestellt und wird feierlich dem Schiffsverkehr übergeben.

Am 01. November erlebte die Welt für einige lange Minuten die erste Filmvorführung der Welt mit. „Lebende“ Bilder, von einem Zelluloidstreifen, mit starker Lampe an die Wand geworfen. Erfinder sind die Brüder Skalandowski. Diese Neuvorstellung fand im Berliner Wintergarten statt – mit erklärenden Worten und Umrahmung vom Pianoforte. Unerhörtes Amüsement!

1896

Im Mai vollende ich mein 50. Lebensjahr. Tochter Johanna verlässt den Witwenstand, heiratet nun wieder und zwar den Wachtmeister Emil Julius Seehafer, der 1865 in Althof, Kreis Bromberg, geboren war. Er ist der Sohn des Ackerwirts Friedrich Seehafer und seiner Ehefrau Albertine Caroline (eine geborene Diedrich), die beide heute noch in Althof wohnen. Mein künftiger Wachtmeister-Schwiegersohn hat seine bisherige Wohnung hier in der Lehrter Straße 55 a. Johanna wohnt bereits in unserem Hause Spenerstraße 32.

Als Trauzeugen im Standesamt dienen ihnen bei der Eheschließung am 08. August '96 unser Freund, der 30-jährige Frisör August Tost aus der Rathenower Straße 104, und ich, als ihr Vater. Der Standesbeamte, der diensteifrige Herr Knörke, schreibt den Ehevollzug fein säuberlich unter Nr. 389 / 1896 in sein Urkundenbuch ein. Emil Seehafer wird ja dann auch in den nächsten Tagen in der Spenerstraße 32 einziehen. So wird aus diesem großen Mietgebäude beinahe noch ein „Einfamilienhaus“. Na, darin lag ja auch meine Absicht.

Verwalter des Hauses Spener Straße 32 ist inzwischen der Schlosser G. Zober.

37 Mieterfamilien bewohnen zurzeit mein Haus.

Freude und Leid liegen wie so oft dicht beieinander:

Der kühne Aviatiker Otto Lilienthal stürzt am 09. August '96 mit seinem Segler am Gollenberg im Rhinower Land aus etwa 15 Meter Höhe ab und wird dabei mit Wirbelbruch tödlich verletzt.

Am 18. August findet die Einweihung des Kyffhäuserdenkmals statt. Das Völkerschlachtdenkmal (des gleichen Architekten) ist bei Leipzig-Probstheida im Bau. Es soll die Erinnerung an die Befreiungskriege gegen Frankreich und wach halten und die vielen ungezählten Opfer ehren.

Die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit finden in Athen, bei den Griechen statt.

In Treptow läuft seit dem 1. Mai bis zum 15. Oktober die Gewerbeausstellung. Weil es ja fast eine Weltausstellung ist, eröffnete der Kaiser höchstpersönlich das große Spektakel. Unglaublich viele neue Entwicklungen gibt es zu sehen! Zu bestaunen!

1897

Am 21. April wird unsere Tochter Johanna (Seehafer) von einem gesunden Sohn entbunden. Er erhält die Namen Franz Friedrich.

In Potsdam gelingt die erste deutsche drahtlose Telegraphie von Prof. Slaby und Graf Arco.

1898

Erstes Autorennen zwischen Berlin und Potsdam und am 23. April das erste Motorradrennen in Berlin. Ab Herbst wird es in Berlin Miet-Kraftdroschken geben – „Taxis“ wird man sie später etwas einfacher, kurz und bündig, nennen.

Es stirbt am 30. Juli der betagte Otto, Fürst v. Bismarck-Schönhausen.

10. September: Es erschüttert uns die Nachricht über den Mordanschlag eines offenbar verwirrten Einzeltäters auf die Österreichische Kaiserin Elisabeth, als sie mit einer Freundin an der Anlegestelle auf ein Dampfschiff wartete. Der Stich mit einer spitzen Feile direkt ins Herz führte zu ihrem Ableben. Der Täter hatte es nicht speziell auf sie abgesehen. Sie war ihm persönlich gar nicht bekannt. Er wollte nur an irgendjemanden von den Reichen seinen Unmut kühlen.

Auch unser märkischer Schriftsteller Theodor Fontane stirbt. Er allerdings aus Altersgründen.

1900

Mit Tochter Margarethe wohne ich in inzwischen in Neuendorf bei Potsdam, in der Forststraße 15 (spätere Lützowstraße 15, spätere Dieselstraße 12). Ihr wisst ja:

Mit Marie, meiner Ehefrau, lebe ich seit vielen Jahren separiert. Sie wohnt in Neu-Weißensee, Goethestraße 25, in dem friedrizianischen Kolonistenhaus, dort, wo ich vor vielen Jahren meinen Zimmerplatz eingerichtet hatte. Geschiedene Leute sind wir von Amts wegen mitnichten. Aber das ist nur ein familienrechtlicher Unterschied. Es war zu schwierig, damals seit ihrem Schlaganfall, als dass ein erquickliches Zusammenleben noch möglich gewesen wäre.

Am 07. August stirbt Wilhelm Liebknecht, Führer der Deutschen Sozialdemokratie.

Graf v. Zeppelin entwickelt sein erstes starres Motor-Luftschiff.

In Österreich wird herausgefunden, warum es bei Blutübertragungsversuchen von Mensch zu Mensch immer wieder zu plötzlichen Todesfällen kommt. Herr Dr. Landsteiner erkennt, dass es wohl vier zu unterscheidende Gruppen von Blut gibt, die sich miteinander nicht vertragen und er benennt diese mit A, B, AB und 0.

Zwischen Wannsee und Zehlendorf wird der versuchsweise Betrieb mit einem elektrisch angetriebenen Zug aufgenommen.

Im Dezember hebt an der Glienicker Lake der Bau des Teltowkanals an. 1906 etwa soll er fertig sein.

In den Haushalten beginnt man elektrisches Licht zu installieren. Man hat dann statt der Petroleumlampe die nicht blakende Glühlampe aber für Ausfälle immer noch die bewährten Kerzen zur Hand, also „für gut“ sozusagen.

In Berlin wurden in diesem Jahr 2.712.200 Einwohner gezählt. Zu deren besserer Versorgung wurden kürzlich Markthallen eröffnet, weil die Emma-Läden das nicht schaffen können.

Wir begehen zum 31. Dezember eine Jahrhundertwende. Das erlebt nicht Jedermann. Hoffentlich bringt uns das neue Jahrhundert, das Zwanzigste, nur Gutes!

1901

Von diesem Jahr an, werden in Preußen alle erfassten Wetterdaten auch für die Nachwelt aufgehoben; die Wetterküche besitzt nunmehr regelmäßige Aufzeichnungen und hat ein Archiv.

Nichts als Ärger mit den Mietern (II): Unser Neuendorfer Postbote Müller (ein Königlicher Beamter, da kann ich als Zimmermeister und Maurermeister nicht mithalten) überbringt mir am 14. Februar eine amtliche Postzustellungsurkunde. Nanu – Post von der Regierung? Am 12. 02. im Berliner Amte verfasst. Der urkundliche Siegel-Brief enthält für mich die Nachricht, dass der Schuhmachermeister W. Husemann, der in meinem Hause Moabit, Spenerstraße 32, sein Ladengeschäft betreibt, im Lager-Keller eine Werkstatt für seinen Gesellen eingerichtet habe – ganz im Widerspruch zur Baupolizeiordnung stehend, denn der Keller ist nur 1,90 m hoch, wenn just auch dieser Geselle kleinerer Statur. Ständige Arbeit bei Lampenlicht und Kleber-Geruch ohne Fenster. Das erinnert doch etwas an Sklavenhalterei. Sieh’ mal da, wenn man nicht als Herr im Hause die Allgegenwärtigkeit zeigt, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Das habe ich nun von meiner schnellen Gutmütigkeit mit Falltür und Wendeltreppe zwischen Laden und Keller. So muss ich nun reagieren und dem Schuhflicker wird es saurer, das tägliche Brot gleichermaßen zu verdienen.

Am 01. Mai hat meine Tochter Johanna (Seehafer) nun nach Frieda und Franz, ihr drittes Kind geboren. Das Mädelchen soll in der Taufe den Namen Dorothea erhalten und dann auch gerne tragen. Vorerst wird sie schon mal Dörthchen gerufen – nur, dass sie noch nicht darauf hört und reagiert.

Am 27. Juli 1901, zur Mittagszeit, ist meine Ehefrau Marie Josephine mit 55 Jahren in Weißensee, in der Wohnung Goethestraße 25, für immer entschlafen. (Kirchenbuch Nr. 525 / 1901). Nun findet die gequälte Seele ihre Ruhe. Ich fahre noch einmal nach Hamburg (zu meinem Neffen Glaeser), um alles Erforderliche zu regeln.

Wieder ist ein Lebensabschnitt beendet.

Ich wohne, wie ihr wisst, inzwischen in Neuendorf bei Potsdam in der Luisenstraße 16 (das ist die spätere Wollestraße) in einem ebensolchen Kolonistenhaus aus der Zeit Friedrichs des Großen, ähnlich dem, wie wir es in Weißensee hatten. Ich bin Zimmermeister nun zwar noch, übe diese Tätigkeit aber seit einigen Jahren nicht mehr aus, überlasse diese Arbeit den Jüngeren. Ich trete ruhiger und werde im Adressbuch als Rentier geführt, was bitte nie schwedisch, sondern stets französisch auszusprechen ist. Das übliche deutsche Wort „Ruhegeldempfänger“ mag ich nicht, denn einerseits habe ich viel zu tun und überhaupt keine Ruhe, andererseits unterscheidet jenes auch nicht, ob die Rentenkasse oder wie in meinem Falle, ich selber etwas an mich auszahle – und das ist ein wesentlicher Unterschied!

Hier am Orte in Neuendorf, fand ich den Kontakt zu Anna Ulrich (geb. Schütte), die im Alter von 36 Jahren steht und verwitwet ist. Sie führt die Gaststätte „Deutsches Wirtshaus“ in der Potsdamer Straße 9 (spätere Wilhelmstraße 15, nahe Linden- und Charlottenstraße gelegen). Ihr Ehemann war Georg Adolf Hermann Ulrich, ausgebildet am Lehrerseminar in Neuruppin. Anschließend hatte er sich einige Zeit in den USA aufgehalten und nach der Rückkehr ein Porzellangeschäft in Cassel eröffnet. Zu jener Zeit lernte der Porzellan-Pädagoge dort wohl das zarte, noch halbe Kind Anna Schütte kennen, das in Cassel zu Besuch weilte. Viel später aber wechselte er in die Berliner Gastronomie, vielleicht, weil sein Bruder Walter Ulrich auch in dieser Branche tätig war und ist. Am 27. November des Jahres 1900, nachmittags um 2 Uhr war er in seiner Wohnung ganz plötzlich nach einem Schlaganfall im 44. Lebensjahr verschieden. (KB Neuendorf Nr. 62 / 1900: Alter: 43 / 8 / 2, Anzeige durch Wilhelm Schmidt aus Rixdorf. Bestattet am 01. Dez.1900). Er hinterließ die Witwe Anna mit den beiden majorennen Söhnen Walter und Hermann, die damals noch in Cassel zur Welt gekommen waren.

Das ist zum Abschluss eine eigentliche Vorrede. Die Fortsetzung folgt im Jahre 1902. Ihr könnt diese im Lebenslauf Runge oo Schütte mit durchleben.

Karl Heinrich Franz Runge erzählt uns ein wenig aus der Zeit um 1900, aus der Zeit vor dieser 2. Ehe.

Mit Tochter Margarethe wohne ich in inzwischen in Neuendorf bei Potsdam, in der Forststraße 15 (das ist die spätere Lützowstraße 15, nach 1945 wird das die Dieselstraße 12 sein).

Ihr wisst ja noch? Mit Marie, meiner Ehefrau, lebe ich seit vielen Jahren separiert. Sie wohnt in Neu-Weißensee, Goethestraße 25, in dem friedrizianischen Kolonistenhaus meiner Eltern, dort, wo ich vor vielen Jahren meinen Zimmerplatz, den Bau- und Lagerplatz eingerichtet hatte. Geschiedene Leute sind wir von Amts wegen mitnichten. Aber das ist nur ein familienrechtlicher Unterschied. Das Zusammenleben war in den Zeiten nach ihrem Schlaganfall zu schwierig, als dass ein erquickliches Zusammenleben noch möglich gewesen wäre.

1900, nur einige Notizen zu diesem bewegten Jahr:

- Am 07. August stirbt Wilhelm Liebknecht, Führer der Deutschen Sozialdemokratie.

- Graf v. Zeppelin entwickelt sein erstes starres Motor-Luftschiff.

- In Österreich wird herausgefunden, warum es bei Blutübertragungs-Versuchen von Mensch zu Mensch immer wieder zu plötzlichen Todesfällen kommt. Herr Dr. Landsteiner erkennt, dass es wohl vier zu unterscheidende Gruppen von Blut gibt, die sich miteinander nicht vertragen und benennt diese mit A, B, AB und 0.

- Zwischen Wannsee und Zehlendorf bei Berlin wird der versuchsweise Betrieb mit einem elektrisch angetriebenen Zug aufgenommen.

- Im Dezember hebt an der Glienicker Lake der Bau des Teltowkanals an. 1906 etwa soll er fertig sein.

- In den Haushalten beginnt man elektrisches Licht zu installieren. Man hat dann statt der Petroleumlampe nun die nicht blakende Glühlampe im Einsatz aber für deren eventuelle Ausfälle oder auch Feierlichkeiten, also „für gut“, immer noch die bewährten Kerzen zur Hand.

- In Berlin wurden in diesem Jahr 2.712.200 Einwohner gezählt. Solch eine Riesen-Menschenmenge benötigt unwahrscheinlich viel an Lebensmitteln. Das schaffen die Emma-Läden nicht. Zur besseren Versorgung wurden kürzlich Markthallen eröffnet.

- Wir begehen am 31. Dezember eine Jahrhundertwende. Das erlebt nicht Jedermann. Hoffentlich bringt uns das neue Jahrhundert, das Zwanzigste, nur Gutes!


1901

- Von diesem Jahr an, werden in Preußen alle erfassten Wetterdaten auch für die Nachwelt aufgehoben; die Wetterküche besitzt nunmehr regelmäßige Aufzeichnungen und ein Archiv.

Nichts als Ärger mit den Mietern: Unser Neuendorfer Postbote Müller (ein Königlicher Beamter, in diesem Punkt kann ich als Maurer- und Zimmermeister nicht mithalten, – ich bin eben ein Freier) überbringt mir am 14. Februar eine amtliche Postzustellungsurkunde. Nanu – Post von der Regierung? Am 12. 02. im Berliner Amte verfasst. Der urkundliche Siegel-Brief enthält für mich die Nachricht, dass der Schuhmachermeister W. Husemann, der in meinem Hause Moabit, Spenerstraße 32, sein Ladengeschäft betreibt, im Lager-Keller eine Werkstatt für seinen Gesellen eingerichtet habe – ganz im Widerspruch zur Baupolizei–Ordnung stehend, denn der Keller ist nur 1,90 m hoch, wenn just auch dieser Geselle kleinerer Statur. Ständige Arbeit bei Lampenlicht und Leimgedünst. Das erinnert doch etwas an Sklavenhalterei. Sieh’ mal da, wenn man nicht als Herr im Hause die Allgegenwart zeigt, tanzen die Mäuse auf dem Tisch herum. Das habe ich nun von meiner schnellen Gutmütigkeit mit Falltür und Wendeltreppe zwischen Laden und Keller. So muss ich nun reagieren und ihm wird es saurer, das tägliche Brot gleichermaßen zu verdienen.

Am 01. Mai hat meine Tochter Johanna (Seehafer) nun nach Frieda und Franz, ihr drittes Kind geboren. Das Mädelchen soll in der Taufe den Namen Dorothea erhalten und dann auch gerne tragen. Vorerst wird sie schon mal Dörthchen gerufen – nur, dass sie noch nicht darauf hört und reagiert aber man muss sie ja langsam dran gewöhnen.

Am 27. Juli, zur Mittagszeit, ist meine Frau Marie Josephine Runge, geborene Glaeser mit 55 Jahren in Weißensee, in der Wohnung Goethestraße 25, für immer entschlafen. (Kirchenbuch Nr. 525 / 1901). Nun findet die gequälte Seele ihre Ruhe. Ich fahre noch einmal nach Hamburg (zu meinem Neffen Glaeser), um alles Erforderliche zu regeln.

Ich wohne, wie ihr wisst, inzwischen in Neuendorf bei Potsdam in der Luisenstraße 16 (nach 1945 Wollestraße) in einem ebensolchen Kolonistenhaus aus der Zeit Friedrichs des Großen, ähnlich dem, wie wir es in Weißensee hatten. Ich bin Zimmermeister nun zwar immer noch, übe diese Tätigkeit aber seit einigen Jahren nicht mehr aus, überlasse diese Arbeit den Jüngeren. Ich trete ruhiger und werde im Adressbuch als Rentier geführt, was bitte nie schwedisch, sondern stets französisch auszusprechen ist. Das übliche deutsche Wort „Ruhegeldempfänger“ mag ich nicht, denn einerseits habe ich viel zu tun und überhaupt keine Ruhe, andererseits unterscheidet jenes auch nicht, ob die Rentenkasse oder wie in meinem Falle, ich selber etwas an mich auszahle – und das ist ein wesentlicher Unterschied!

Hier am Orte in Neuendorf, fand ich den Kontakt zu Anna Ulrich (geborene Schütte), die im Alter von 36 Jahren steht und verwitwet ist. Eine proppere Person. Ansehnlich! Sie führt die Gaststätte „Deutsches Wirtshaus“ in der Potsdamer Straße 9 (spätere Wilhelmstraße 15, nahe Linden- und Charlottenstraße gelegen). Ihr Ehemann war Georg Adolf Hermann Ulrich, ausgebildet am Lehrerseminar in Neuruppin. Anschließend hatte er sich einige Zeit in den Vereinigten Staaten von Nordamerika aufgehalten und eröffnete nach der Rückkehr ein Porzellangeschäft in Cassel. Zu jener Zeit lernte der Porzellan-Pädagoge dort wohl das zarte, noch halbe Kind Anna Louise Schütte kennen, das in Cassel zu Besuch weilte. Viel später aber wechselte er in die Berliner Gastronomie, weil sein Bruder Walter Ulrich auch in dieser Branche tätig war und ist. Am 27. November des Jahres 1900, nachmittags um 2 Uhr war er, der Hermann Ulrich, in seiner Wohnung ganz plötzlich nach einem Schlaganfall im 44. Lebensjahr verschieden. (KB Neuendorf Nr. 62 / 1900: Alter: 43 J / 8M / 2 Tge, Anzeige durch Wilhelm Schmidt aus Rixdorf, aus der Schütte'schen Verwandtschaft. Bestattet am 01. Dez. 1900). Hermann Ulrich hinterließ die Witwe Anna mit den beiden majorennen Söhnen Walter und Hermann, die damals noch in Cassel zur Welt gekommen waren.

In Neuendorf lerne ich den Zeichner und Landschaftsmaler Otto Thomasczek kennen, der unter vielen anderen Ortsansichten auch ein hübsches „Konterfei“ vom Ulrich'schen „Deutschen Wirtshaus“ gezeichnet hat. Eine größere Anzahl seiner Zeichnungen halten die Partien in ihrem Aussehen wunderschön fest. Bleibende Erinnerungen, die hauptsächlich in dem Schöneberger Postkartenverlag „Sommer“ auf Ansichtskarten fixiert werden. Vom „Wirtshaus“ und wenigen anderen Motiven gibt es aber keine Ansichtskarten. Die hat er wohl insgeheim nur Anna verehrt.

Die schwebenden Wissenschaftler Arthur Berson aus Berlin und Reinhard Süring aus Potsdam bewiesen bei einer Ballonfahrt das Vorhandensein einer Stratosphäre. Sie erreichten 10.800 Höhenmeter, wurden dort aber wegen der Kälte und des Sauerstoffmangels ohnmächtig, bis die abkühlende Luft die Sinkfahrt des Ballons selbsttätig einleitete und damit die Beiden rettete. Im Hochsommer herrschte dort oben eine Temperatur von etwa - 40°C oder noch weniger (also höheren Werten). Fernost-Sibirische Verhältnisse also.

Die Zeitungen berichten uns, dass im sibirischen Frostboden kürzlich ein vollständiges Mammut gefunden wurde. Nicht nur ein Skelett, sondern uraltes Frischfleisch.

Auf der Militärbahnstrecke Berlin – Zossen erreichte ein Elektrotriebwagen die noch nie da gewesene Geschwindigkeit von mehr als 200 km /h. Na, hoffentlich hat es das Messgerät nicht zu gut mit den Erbauern gemeint.

1902

Fortsetzung meiner ganz persönlichen Worte von 1901: Nun, da seit Maries Ableben Zeit ins Land gegangen ist ergibt es sich so, dass ich mich wieder binden möchte. Anna Schütte und Franz Runge sind ja beide verwitwet und frei. Nun, der jüngsten Einer bin ich nicht mehr, doch so ganz ohne Wünsche braucht man auch noch nicht sein.

Am Sonnabend, dem 05. Juli 1902, heiraten wir, Anna Louise Schütte verwitwete Ulrich, 37 Jahre und ich, gestandene 56 Jahre alt. Annas Vater war Landwirt in Stüdenitz bei Breddin, das in der Prignitz südwestlich von Kyritz liegt. Im Alter von 15 Jahren zog Anna von dort nach Berlin, weil sich ihr die Möglichkeit auftat, sich ab 1880 im Mädchenlyzeum (Moabit) weiterzubilden und dann eine Lehre im Bankgeschäft in Rixdorf (später Neukölln) aufzunehmen. Der gewandte und außerdem Verwandte Onkel Schmidt aus Rixdorf (einer der Brüder des Stüdenitzer Fleischers) vermittelte hier hilfreich und auch im Stüdenitzer Pastor hatte sie einen Befürworter ihrer Vorhaben.

Unsere kirchliche Trauung findet in der erst vor drei Jahren fertig gestellten Neuendorfer Bethlehemkirche statt. Ein stolzer neugotischer Bau von Ludwig v. Tiedemann, mit einem Glockenturm, der 55 Meter hoch in den Himmel ragt. Herr Pfarrer Karl Schlunk, der seit einem Jahrzehnt Pastor dieser Gemeinde ist, traut uns und trägt diese frohe Denkwürdigkeit in das Kirchenbuch Neuendorf unter Nr. 17 / 1902 ein. Auf dem Standesamt im Rathaus waren wir bereits am Vormittag des gleichen Tages. Eigentlich hätte es auch gern eine doppelte Hochzeit mit halbierten Kosten geben können: Mein Ältester, Sohn Carl Robert, heiratet am 30. September die Helene Beerbaum aus Biesdorf bei Wriezen. Und irgendwie scheint das ansteckend zu sein, wie es sich im Folgenden zeigt.

Das Jahr 1903

Meine Tochter Franziska heiratet als Jungfrau, gleich uns, in der Bethlehemkirche zu Neuendorf, am 19. Januar 1903 mit 28 ½ Jahren den Junggesellen und Buchhalter Gustav Richard Oscar Eschert, 30 ¼ Jahre alt (Nr. 02 / 1903 im Kirchenbuch). Die Escherts haben in Nowawes ihren Familienstammsitz, auch wenn Oscar in Berlin arbeitet.




Das Ehepaar = Die Eltern (Generation 04)

Richard Eschert oo Franziska Runge


Die Bedeutung dieser

Familien-Namen:

1. Möglicherweise auf die Baumart „Esche“ bezogen aber 2. auch zum mittelhochdeutschen Wort „escher“ (ausgelaugte Asche) als Berufs-Namen für einen Seifensieder oder Tierhautgerber passend.


Mittelhochdeutscher Über-Name. Es bezeichnet die senkrecht angeordneten Stangen zwischen dem oberen und dem unteren Holm an einem Leiterwagen. Berufs-Name für einen Stellmacher, Wagenbauer = Wagner und weitere Bezeichnungen.


Name:

Eschert

Runge


Vornamen:

Gustav Richard Oscar

Henriette Bertha Franziska


geboren:

Berlin, 11. Oktober 1872

Weißensee, Kreis Niederbarnim, bei Berlin, am 04. Juli 1874


Die Eltern:

in der

Gen. 05

Vater:




Wilhelm Friedrich August Eschert.

Ein vor 1903 in Berlin verstorbener Schlosser.


Johanne Sophie Louise Hoppe


Franz Karl Heinrich Runge,

Maurer- und Zimmermeister.



Marie Josephine Glaeser

Mutter:

Beruf / Stand:

Buchhalter (in Berlin)


Mutter und Hausfrau

Wohnung vor der Trauung:

Berlin, Zehdenicker Straße 28

Neuendorf bei Potsdam, Luisenstraße 16,

beim Vater wohnend.


Heirat / Trauung:

Neuendorf bei Potsdam, am 19. Januar 1903.

Als Zeugen der Bürgerlichen Eheschließung waren hinzugezogen und erschienen: Der Rentier Franz Runge (Brautvater), 56 Jahre alt, wohnhaft in Neuendorf bei Potsdam, Luisenstraße 16 und der Büroassistent Emil Seehafer, (der älteste Schwiegersohn des Brautvaters), 37 Jahre alt, wohnhaft in Berlin-Moabit, Spenerstraße 32.

Quelle: Eintrag des Standesamtes Neuendorf Nr. B 2 / 1903, Film P 275,

Seite 79.

Die kirchliche Trauung fand ebenfalls am 19. Januar 1903 statt. Diese erfolgte durch Pastor Schlunk und wurde im Kirchenbuch der Bethlehem-Gemeinde in Neuendorf ebenfalls unter Nr. 2 / 1903 registriert. Der Bräutigam ist Junggesell und 30 ¼ Jahre alt. Die Braut ist jungfräulich und 28 ½ Jahre jung.


Gemeinsame Wohnung:


Berlin-Moabit, Spenerstraße 32. Es ist eines der großen Häuser, die der Brautvater entwarf, berechnete und errichtete (letzteres aber nicht allein). Das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. Aber bereits vorher erfolgte nochmals ein Wohnungswechsel nach Berlin-Neukölln, Böhmische Straße 15.


Gestorben:

Berlin-Neukölln, im Hospital Mariendorfer Weg, am
15. August 1945. 72 Jahre alt.

Standesamt: Bln.-Neuk. C 7637

Berlin-Neukölln, Böhm. Straße 15,
am 22. Juli 1945, 71 Jahre alt.

Anzeige von Gertrud Eschert,

Standesamt C 6611 / 1945.









(sinngemäße Abschrift) B


Eintrag der Eheschließung Nr. 2 / 1903


des Standesamtes in Neuendorf bei Potsdam

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Neuendorf, am 19. Januar 1903


Vor dem unterzeichneten Standesbeamten erschienen heute

zum Zwecke der Eheschließung:



1. Der Buchhalter Gustav Richard Oscar Eschert


der Persönlichkeit nach bekannt, evangelischer Religion,

geboren am 11. October des Jahres 1872 zu Berlin,

wohnhaft in Berlin, Zehdenicker Straße 28,



Sohn des verstorbenen Schlossermeisters

Wilhelm Friedrich August Eschert,

zuletzt wohnhaft in Berlin und dessen Ehefrau

Johanna Sophie Louise, geborenen Hoppe,

wohnhaft in Berlin, Zehdenicker Straße 28.



2. Die Henriette Bertha Franziska Runge,

ohne besonderen Stand,


der Persönlichkeit nach bekannt, evangelischer Religion,

geboren am 4. Juli des Jahres 1874 zu Weißensee, Kreis Niederbarnim

wohnhaft in Neuendorf bei Potsdam, Luisenstraße 16,



Tochter des

Rentiers Carl Heinrich Franz Runge,

wohnhaft in Neuendorf bei Potsdam und dessen verstorbenen Ehefrau

Marie Josephine Glaeser,

zuletzt wohnhaft in Neu-Weißensee.



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Als Zeugen waren zugezogen und erschienen:



3. Der Rentier Franz Runge

(Brautvater)


der Persönlichkeit nach bekannt


56 Jahre alt, wohnhaft in Neuendorf bei Potsdam, Luisenstraße 16



4. Der Büroassistent Emil Seehafer

(Ehemann der Braut-Schwester Johanna, geb. Runge)


der Persönlichkeit nach durch den von Person bekannten


Zeugen zu 3. anerkannt,


37 Jahre alt, wohnhaft in Berlin, Spenerstraße 32.



    Der Standesbeamte richtete an die Verlobten einzeln und nacheinander die Frage:

    ob sie die Ehe miteinander eingehen wollen.

    Die Verlobten bejahten diese Frage und der Standesbeamte sprach hierauf aus,

    daß sie kraft des Bürgerlichen Gesetzbuches nunmehr

    rechtmäßig verbundene Eheleute seien.



Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben


gez. Richard Eschert


gez. Franziska Eschert, geborene Runge


gez. Franz Runge


gez. Emil Seehafer



Der Standesbeamte


gez. Mücke



Quelle: StA Neuendorf B 2 / 1903, Film P 275, Seite 79. Sinngemäße Abschrift: Chris Janecke






Die Kinder (Generation 03) von

Richard Eschert und Franziska, geborene Runge


Nr.

Name:


Lebensdaten der Kinder

1

Franziska Luise Gertrud Eschert

Geboren wurde Gertrud in Berlin am 06. Januar 1904.


Gertrud blieb unverehelicht und hatte auch keine Kinder.

Gertrud ist ca.1993 in Frankfurt am Main gestorben.


2

Franz Wilhelm Günther Eschert


oo Berlin,

am 03. Mai 1934


Anni Wassermann


Geboren wurde Günther in Berlin am 24. Juni 1906.


Er heiratete in Berlin am 03. Mai 1934 Anni Wassermann, die am 21. Juni 1896 geboren war.

Diese Ehe blieb kinderlos.

Günther Eschert ist in Berlin gestorben. Seine Frau Anni vermutlich ebenfalls.


Das Haus in Moabit, Spenerstraße 32 lasse ich nun von meiner Tochter Franziska und ihrem buchhalterisch geschulten Mann verwalten. Sie können dafür auch günstig dort im Hause wohnen und mir spart es die Arbeit.

Ihre Wohnung (links) hat folgende Größe und Ausstattung:

Ihr wisst ja: Schauen die Bewohner nach rechts aus unserem Haus, liegt 150 Schritte weiter an der Straße „Alt Moabit“ das Kriminalgericht mit Haftanstalt – kurze Wege! Lieber gucken sie deshalb nach links und bevorzugen die schönere Aussicht, also wie der Name schon andeutet, in Richtung Bahnhof „Bellevue“.

Ein völlig anderes aber auch interessantes Thema: Man entdeckte kürzlich die Überreste eines großen Raubsauriers, der zu Lebzeiten etwa 8 t auf die Waage gebracht hätte; bei einer Körperlänge von 15 Metern. Erst jetzt, etwas sehr spät, erhielt er seinen Namen: „Tyrannosaurus Rex“.

Auf dem Brauhausberg in Potsdam beendeten die Bauleute das Gebäude der neuen Kriegsschule, vom Architekten Schwechten gestaltet.

In diesem Jahr wird am 09. August in Berlin mein Enkel Hellmut Franz Ernst Runge, Sohn meines Sohnes Carl Robert und seiner Frau Helene, geboren. Sie wohnten bislang in Berlin, Pasewalker Straße 8, nahe am Bahnhof Wedding, unmittelbar an der Ecke zur Gerichtstraße mit dem Krematorium.

Aber auch wir sind nicht untätig. In der Neuendorfer Luisenstraße 16 gebiert Anna am 22. Oktober 1903 unseren Sohn Georg Franz. Das würfelt die vorher sauber geschichteten Generationen ein wenig durcheinander, nicht wahr?

Die Brüder Wright aus den USA, sie sind fleißige Fahrradmechaniker, bauen den ersten Motor-Aeroplan der Weltgeschichte (später Flugzeug genannt), während andere wohl noch im Geheimen basteln, um ebenfalls zu den ersten zu gehören.

Am Potsdamer Wilhelmplatz wird neben der Kaiserlichen Hauptpost eine Synagoge aus rotem Sandstein errichtet. Der Entwurf stammt vom Architekten Kerwin, der auch das Nowaweser Rathaus baute.

1904

Und schon wieder ist ein jüngster Säugling zu begrüßen. Diesmal ist die Kindsmutter meine Tochter Franziska (Eschert). Geboren hat sie ihre Tochter Gertrud am 06. Januar 1904. Wir hingegen lassen unser Söhnchen Georg Franz am 04. April 1904, am 2. Osterfeiertag, von Herrn Pfarrer Schlunk in der Neuendorfer Bethlehemkirche taufen. Als Kindstaufpaten baten wir das Frollein Marie Ebert aus Velgast, Georg Brücker aus Minden und Selma Quappe hier aus Nowawes-Neuendorf. Frau Quappe aus der Wilhelmstraße 1, Fernsprecher No. 54, nennt eine Tuchfabrikations-Niederlage ihr Eigen – mit dem „Aushänge-Schild“: „Feine Damentuche, Kostümstoffe, Jackett- und Mantelstoffe, Herrenanzugs- und Paletot-Stoffe.

Der gute Maler Otto Thomasczek hat unsere Gegend wieder verlassen und zieht in das Thüringer Eichsfeld, nach Mühlhausen. Einige persönliche Heimatblätter von seiner Hand haben wir als Erinnerung an ihn. Viele beliebte Post-Ansichtskarten, mit Motiven die er zeichnete und malte sind im Umlauf. Seit dem Jahre 1888 lebte er hier in Klein Glienicke und Nowawes. So, wie Theodor Fontane durch die Lande reiste und Geschichten aufschrieb, so etwa zeichnete und malte er Motive aus unserer Heimat.

1905

Meine Tochter Margarethe (25 Jahre jung) und der in Potsdam und Nowawes ansässige Schlosser und Elektrotechniker Max Sommer (30 Jahre alt) heiraten am 29. Juli 1905. Natürlich findet die Trauung auch in der Neuendorfer Bethlehemkirche bei Herrn Pfarrer Karl Christian Schlunk statt. (Dieser Max war als junger Handwerker auch an der Einführung der drahtlosen Telegraphie nach dem verbesserten System Marconi beteiligt. Ich berichtete 1897 kurz davon. Mehr kann er euch natürlich selber erzählen). Wohnen werden sie in der Nowaweser Priesterstraße 68, ja, unmittelbar neben Carl Gruhl mit seinem „Restaurant zu Markthalle“, Priester- 69. So ist auch Margarethe hinreichend gut unter die Haube gekommen. Wieder eine Sorge weniger. Ihre große Schwester Johanna, die Frau vom Emil Seehafer, zeigt ihr dann, wie es so weitergeht im Leben, denn am
02. Oktober bringt jene ihr viertes Kind, die „Anneliese“ auf die Welt.

1906

Am Morgen des 08. April kam es in San Francisco zu einem gewaltigen Erdbeben, weil zwei Erdplatten ganz langsam aber heftig, mit brachialer Kraft aneinander stießen. Die Großstadt liegt in Trümmern darnieder und ein Feuersturm brachte die Einwohner um die Reste von Hab und Gut. –

Und Professor Albert Einstein stellt seine Relativitätstheorie vor.

Es gelingt erstmals ein die Erdkugel umlaufendes Telefongespräch ohne Draht. Das ist spannend. Ermöglicht wurde es von den riesigen Sende- und Empfangsantennen der neuen Großfunkstation in Nauen, im Havelland.

In der Spandauer Straße 32–33 zu Potsdam ist der neue Verwaltungskomplex für die Provinzialregierung Brandenburg fertig gestellt worden. (Genau 100 Jahre später wird dort in jenem Gebäudekomplex mein Urgroßenkel Chris Janecke den letzten Tag seiner Lebensarbeitszeit begehen und beenden).

Kinder, wie die Zeit vergeht! 60 Jahre zähle ich nun schon. Meine Tochter Grete (Margarethe Sommer, geb. Runge) hat am 05. Mai ihren ersten Sohn zur Welt gebracht. Wie er heißt? Die Familientradition gebietet es doch, dass auch er Franz heißt. Max Fritz Franz. Es gibt aber gewisse Leute, die meine Traditionsvorstellungen nicht so recht annehmen und umsetzen wollen – oder hat es noch andere Gründe? Denn es stellt sich später heraus, dass die Eltern dieses Kind immer nur „Hans“ rufen werden, obwohl diese Bezeichnung keineswegs sein „eingetragenes Warenzeichen“ ist. Soll er denn tatsächlich mehr nach Johannes, denn nach Franciskus geraten?

Kaum kommt man dazu, in Ruhe Atem zu schöpfen, bei all’ diesen Aufregungen, denn nun bringt auch meine Tochter Fränzi (Eschert) am 24. Juni ihr zweites Kind in der Moabiter Spener' 32 zur Welt. Wie im Wettlauf, diese Töchter. Ausgerechnet Günther soll er heißen – mein neuer Enkel (also ohne irgendeine Spur von Franz).

Der Teltow-Kanal, die südliche Berlin-Umfahrung ist fertig geworden. Ein Hoch auf den Landrat, auf den Chef Ernst v. Stubenrauch! (Lebenszeit: * Sagan 1853– Schierke im Harz1909).

1907

Kürzlich zogen mein Sohn Carl und Helene ebenfalls nach Neuendorf und bekamen in der Blücherstraße 5 (nach 1945 Fultonstraße 5) eine gute Wohnung. in einem Neubau Die Straße ist hübsch mit jungen Rotdornbäumen bepflanzt.

Mein Enkelsohn Hellmut (von Robert und Helene Beerbaum) wird in der Blücher' 5 schon früh eine Murmelfreundschaft mit dem Töchterchen der Nachbar-Familie (Blobel) beginnen, die „dem Vernehmen der Zukunft nach“ ein Leben lang anhalten soll.

Unsere Sippe wird wohl nicht so schnell aussterben. Nach ihrem vierten Kind „Anneliese“ hat Tochter Johanna als fünftes Kind nun eine „Irmgard“ auf die Welt gebracht. Sippe hin, Sippe her – dieser Nachwuchs heißt ja, wenn auch zur Hälfte unser eigen Fleisch und Blut, nicht mehr so richtig Runge, sondern mehr Seehafer. Aber was tut’s? Hauptsache gesund und friedlich.

Das Leben wird noch sauberer und schmackhafter: Der Apotheker Meyenburg in Dresden hat eine Paste (beileibe keine Salbe!) erfunden, mit der man sich die Zähne blank bürsten soll. Also selbst gesunde Zähne! Er hat diese Paste „Chlorodont“ getauft. Pasten-Taufe all' ohne Pastor.

Seit dem 02. September rollt nun auch durch Potsdam die „Elektrische“. Eine großartige Umstellung von der Pferdestraßenbahn bei laufendem Betrieb, der nicht unterbrochen werden durfte. Ein lebhaftes Volksfest rund um die geschmückten Bahnen an diesem Tage. Kinder liefen hinterher, kühne Radfahrer suchten die Wagen zu überholen. Hunde schauten sehr verdutzt – allein die meisten Pferde standen nicht mehr im Mittelpunkt, sondern in ihrem Stall. Sind nun aktive Pferde nicht mehr, sondern Rentiere, aso so wie auch ich.

Am Ende der neuen Königsstraße wird am Jagdschoss Glienicke eine neue Brücke über die Havel geschlagen. Die bisherige gute, inzwischen aber zu schmale Schinkelsche hat damit ausgedient. Die neue ist eine wunderbar „leicht hoch über dem Wasser schwebende“ Stahlkonstruktion.

1908

Am 30. Juni gab es einen die Erde streifenden Zusammenstoß mit einem Außerirdischen, wohl einem Meteor von vielleicht 30 bis 60 Metern im Durchmesser – ich habe diesen nicht gesehen, denn er ging in einem ausgedehnten sibirischen Sumpfgebiet nahe der Faktorei Wanawara nieder oder in der Tunguska, wie auch gesagt wird. Ein ungeheurer Aufprall in diesem zum Glück wenig besiedelten Gebiet, mit der Verwüstung des Waldes in mindestens 30 Kilometer Umkreis. Die Druckwelle nach dem Aufschlag war auf allen Erdteilen zu spüren und auch über Europa war der Nachthimmel erhellt.

Messina wird von einem starken Erdbeben heimgesucht. Etwa 86.000 Menschen sterben.

Die weltweit erste Lokomotive mit einem Dieselmotor statt der Dampfmaschine geht in Betrieb.

Henry Ford und seine Mannen stellen in den USA am „Fließband“ ein Auto, „die Blechliesel“, her. Welch ein stolzer Name für ein Automobil.

Das neue Märkische Museum in Berlin, ein architektonisches Glanzlicht am Ufer der Spree, öffnet seine Pforten für die Besucher.

Das erste öffentliche Familienfreibad, also ohne Trennung von Frauen und Männern mittels einer Holzwand ohne Astlöcher, wird nahe Berlin am Wannsee eröffnet. Ein Schritt zum Verfall der Sitten? Der Pinselheinrich Zille wird wohl auch dort gern Studienobjekte finden – falls der Schutzmann nicht dagegen einschreitet.

Zur Vorweihnachtszeit sehen wir erstmals so genannte Adventskalender für die Kinder, mit Fenstern und einer Tür, „um die Wartezeit bis zum Fest anzuzeigen und spannend abzukürzen“. Hinter jedem der Fenster, von denen täglich eines (mit Datum versehen) geöffnet werden darf, ist ein Bildchen betrachtbar. – Auch Himmelstreppen lassen sich erwerben. Ein Bild auf Karton, das den Weg von der Erde zum Himmel darstellt, mit eingeschlitzten Stufen, auf denen das liebe Kind oder wer auch immer, täglich eine Stufe bis zum Himmelstor vorrücken darf.

1909

Der Amerikaner Edwin Peary gelangt als erster an den Nordpol unseres Heimatplaneten. Pinguine konnte er dort nicht photographieren.

Ein Sechstage-Fahrradrenen findet zum ersten Mal statt. Es ist der Auftakt für eine lange Veranstaltungsreihe im neuen Sportpalast, der in der Potsdamer Straße in Berlin errichtet wurde. Im Palast finden 12.000! (Potztausend) Zuschauer bequem Platz. Wegen des großen Erfolges soll das Rennen nun alljährlich wiederholt werden. Eigens dazu wurde ein Sportpalastwalzer komponiert und dieser wird nun in allen Straßen und Gassen gesungen oder gebrummt und natürlich auch gepfiffen. Dieser wird ähnlich volkstümlich berühmt, wie der damalige Webersche „Jungfernkranz“, der im „Freischütz“ seinen Platz fand.

Im August wird das Jugendherbergswerk gegründet, das unter dem Motto steht: „Begegnung – Gemeinschaft – Toleranz“. Eine gute Sache für die Freizeit junger Menschen.

1910

Im August stelle ich einen Antrag an die Moabiter Bau-Polizei-Behörde, in meinem Hause Spenerstraße 32 nachträglich Badestuben einrichten zu dürfen. Das ist neuzeitlich, für feinere Leute modern und auch zweckmäßig, der Volksgesundheit dienend. Diesmal überholte vorsichtshalber die Bauausführung den Antrag nicht, sondern hielt die vorgegebene Reihenfolge peinlich genau ein. Alles nach den Buchstaben des Gesetzes, alles hübsch nach Vorschrift!

Der Halleysche Komet ist für uns am Nachthimmel gut erkennbar. Obwohl er in jedem Moment seines Fluges bedeutend an Masse verliert, soll er nach den Berechnungen im Jahre 1986 wieder Erdnähe erreichen und für uns immer noch scheinbar genauso groß zu sehen sein. Also, das gilt dann für mich nicht mehr. Da können „die Nächsten“ mal prüfen, ob er wirklich wiederkommen wird und ihn vielleicht sogar ebenfalls sehen.

Die zulässige Geschwindigkeit des Verkehrs mit motorisierten Fahrzeugen wurde jetzt unter dem Drucke des bestehenden Bedarfs heraufgesetzt. Die Automobile dürfen jetzt mit einer Geschwindigkeit bis zu 25 Kilometer pro Stunde durch die Straßen jagen. Eine hohe Verantwortung für die Automobillenker, denn bei solcher Geschwindigkeit kann dem Automobil nun wirklich kein Pferdegespann oder Handkarren schnell ausweichen.

1911

Am 31. Januar stirbt der beliebte Abgeordnete der SPD, Paul Singer, in Berlin. Fast eine Million Menschen, so die amtlichen Schätzungen, geben im das Geleit auf seinem letzten Weg. Schade, das er das nicht mehr miterleben konnte. Oder vielleicht doch? –

Im März wird, von den Linken angeregt, zum ersten Mal der internationale Frauentag begangen, ein Erinnerungstag, der stets neuen Aufschwung geben soll, hinsichtlich des ständigen Kampfes um die politische und soziale Gleichberechtigung der Frauen, besonders derer, die sich nicht ausschließlich mit Kirche, Küche und Kindern befassen wollen – aber auch.

August Bebel hat die Vision, dass Deutschland auf einen neuen Krieg zugeht. Er mahnt und warnt die Parlamentarier. Wollen wir hoffen, dass es eine übertriebene Vorsicht ist und er nicht recht hat. Aber wenn doch, dann möge der Kaiser es verhüten.

Am Templiner See, in der Potsdamer Pirschheide, entsteht ein Luftschiff-Lande- und Startplatz für die Zeppeline, werden Hallen und Werkstätten für die Luftschiffe errichtet.

Nun bauen auch die Herren Schütte und Lanz (beide 1873 geboren) Luftschiffe.

In Potsdam fanden die Archäologen bei hochsommerlichem Niedrigwasser an der Heiligengeistkirche die Reste eines Palisadenringwalls, der als Schutz das slawische Dorf Potztupimi umschlossen hatte, das es bereits lange vor dem „Potsdamer Gründungsjahr 993“ gab. Nimmt man an. Es war von uns ja niemand dabei. Dieses Potztupimi, die Wallanlage in der Havel, gilt nun neben der „Siedlung am Kiez“ als „die älteste Wiege“ der Stadt Potsdam.

Das neue, zweite Berliner Rathaus, das Stadthaus am Molkenmarkt, wird am 29. Oktober der Verwaltung zur Nutzung übergeben. Architekt ist Herr Hoffmann.

Am Berliner Bahnhof Friedrichstraße öffnet der neue Admiralspalast.

Am 14. November erreicht der Norweger Roald Amundsen mit seiner Expedition, wohl als die erste Menschengruppe überhaupt, den unwirtlichen Südpol der Erde. Dem Vernehmen nach sind ihnen dort keine Eisbären begegnet, die das Gebiet gegenüber den Neuen verteidigten.

1912

Meine Tochter Johanna Seehafer wohnt nun mit der Familie in Nieder-Schönhausen, Blankenburger Straße 2, zwei Treppen hoch.

Kürzlich habe ich den kleinen Neubau in der Neuendorfer Schulstraße 15 erworben; bisher n Baustelle. Auf diesem Grundstück wohnten Ulrichs, also Anna, früher vor einem Jahrzehnt.

Die Verbindung mit Anna läuft leider doch nicht so uneingeschränkt reibungslos. Viele andere sind mit ihrem Familien-Los zufrieden. Ich aber spüre nie, irgendwo endlich angekommen zu sein. Franz wächst weiter bei Anna auf; ich gehe fürderhin wieder nach Berlin. Das Neuendorfer Adressbuch weist mich in diesem Jahr aber noch aus: Franz Runge, Maurer- und Zimmermeister, Wilhelmstraße 15, also am Standort der Gaststätte. Ein kurzes Andenken – mit langen Nachwirkungen.

Die Gaststätte „Deutsches Wirtshaus“ in der Wilhelmstraße 15, Telephon: 357, führt der Schwager von Anna, der Bruder ihres verstorbenen ersten Mannes Walter Ulrich, weiter. Er war früher Koch im Centralhotel und auch im Wintergarten von Berlin.

Nationale „Draufgänger“ gründen den deutschen „Wehrverein“. Die großspurigen Äußerungen erwecken den Anschein, als seien sie aktiv um Krieg, denn um Abwehr bemüht.

Eine Katastrophe – der größte und „sicherste“ Passagierdampfer den es je gab – sinkt auf seiner Jungfernfahrt nach der Kollision mit einem Eisberg in der Nacht vom 14. zum 15. April im Nordatlantik. Das Eis (das so schnell weich wird und schmilzt, wenn man es in der Hand hält) hatte „ganz einfach“ die zentimeterdicken Stahlplatten des Schiffes aufgeschlitzt. Die meisten der Reisenden ertranken jämmerlich im eiskalten Wasser. Gnade ihren armen Seelen.

In Berlin-Dahlem nehmen eine Anzahl wissenschaftlicher Institute („Kaiser-Wilhelm-Institute“) ihre Arbeiten auf. „Höhere Mädchenschulen“ werden jetzt offiziell eingerichtet.

Die Olympiade findet in diesem Jahr in und um Stockholm herum statt. Zu den sportlichen Wettbewerben gehören auch das Tauziehen und das Seilklettern. Unter den Athleten sind sogar schon Damen zugelassen und auch zu finden.

Der Archäologe Ludwig Borchardt gräbt in Ägypten die farbige Kalksteinbüste der Nofretete, der Gattin Echnatons aus und bringt sie mit nach Berlin. Sie ist inzwischen etwa 3.300 Jahre alt. Deren Sohn soll den Vermutungen nach der ebenfalls berühmte Tutanchamun sein.

1913

Am 06. Juli wurde meine Enkelin Anne-Marie Sommer in Nowawes geboren. Das zweite Kind meiner Tochter Margarethe Sommer, also der Grete. Sie wohnt dort der fischreichen Havel nicht weit entfernt.

Großes Begängnis des 200-sten Geburtstages des „Alten Fritzen“. Verschiedene Festredner erinnern an die Gefahr möglicher heutiger Anschläge der Nachbarn. Das erinnert indirekt daran, dass Friedrich der Große auch nicht nur technischen Fortschritt und Toleranz brachte, sondern eine Anzahl unnötiger Kriege mit viel Leid führte, er diese begann. So hatten die Festredner es aber nicht gemeint, kann ich euch versichern.

Der Arzt und Organist Dr. Albert Schweitzer aus Elsaß-Lothringen ist jetzt in dem Urwalddorf Lambarene am Ogowe in Französisch-Kongo tätig. Er will etwas davon gut machen, was die Kolonialpolitik den Afrikanern genommen hat. Heilen und nicht zu viel missionieren.

Die Flugmaschinen, die Aeroplane, werden immer größer und schneller. Herr Sikorski baute jetzt ein Riesenflugzeug mit 28 Metern Flügelspannweite und vier Motoren mit einer Leistung von je 100 Pferdestärken. Ob da die sehr langen, sehr schweren Flügel ausreichend fest mit der Fahrgastkabine verbunden werden können – und sich alles trägt? Bei meiner Maurerei und den Zimmerei-Ergebnissen hatte ich nie solche Bedenken zur Statik. Da war alles wie bei „Ein feste Burg ...“, würde Luther gesagt haben.

Der Berliner Untergrundbahnhof „Alexanderplatz“ wird dem Verkehr und damit auch dem Publikum übergeben – ein Gedenkort für den russischen Zaren..

Die Nowaweser Sternwarte erhielt ein Fernrohr mit 65 Zentimetern Linsendurchmesser. Nun kann man die fernen Sonnen noch viel schöner sehen, deren Wege wesentlich weiter zurück verfolgen.

Für das Kronprinzenpaar Wilhelm und Cecilie (welch ein schönes Monogramm sie doch haben) entsteht im Potsdamer „Neuen Garten“ am Jungfernsee ein Wohnschloss im englischen Fachwerk-Landhausstil. Der Architekt ist Meister Schultze-Naumburg.

1914

Am 28. Juni: Schüsse in Sarajewo. Zwei serbische Attentöter greifen bei einer Kutschfahrt den Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich an. Er erliegt diesem Anschlag. Begründet wird das Attentat damit, dass Österreich das Serbische Volk unterdrückt. Der österreichische Kaiser will einen Rache-Krieg gegen ganz Serbien und unser Kaiser Wilhelm II. sieht sich leider in einer Bündnispflicht zu Österreich stehend, glaubt, im Rahmen der Rache für dieses Attentat, Österreich mit vorerst Hunderten Soldaten beispringen zu müssen. Letztendlich werden die Verhältnisse später so dargestellt, als hätte nur Deutschland einen Krieg gegen die halbe Welt begonnen. Viele deutsche Freiwillige sind leider für ein schnelles siegreiches Scharmützel zu begeistern – doch wir werden später wissen, dass dieser Krieg sich zu einem jahrelangen Völkermorden auswächst, mit unglaublichen, noch nie dagewesenen und unsinnigen Verlusten für alle Beteiligten.

1915

Ein schrecklicher Stellungskrieg in Frankreich vor Verdun. Unsere Militärs, unsere Industrie, unsere Wissenschaftler setzen jetzt sogar Giftgas ein „um Bewegung in die Fronten“ zu bringen. Allein bei Verdun gibt es etwa eine Million getöteter Soldaten ohne irgendeinen Sinn oder Gewinn. Selbst die noch junge Aeroplan-Entwicklung setzt schon fliegende Kampfmaschinen ein. Ihr wisst ja: Aeroplane - das sind diese leichten Rohrgestelle mit lackiertem Segeltuch bespannt und vorn dem schweren Motor dran. Und hinten mit dem schweren Maschinengewehr.

Prof. Hugo Junkers entwickelt das erste Ganzmetall-Flugzeug, dessen Flügel sogar ohne Drahtseilverspannungen halten.

In den Schulen wird statt der bisherigen althergebrachten Deutschen Kurrent-Schrift, die einheitliche Schreibweise nach des Sütterlins Methode eingeführt („rauf, runter, rauf, Pünktchen drauf)“. Einfacher und recht spitzig das Ganze, wenn es auch Ähnlichkeiten zum Bisherigen hat. Da müssen wir vielleicht auch noch mal umlernen. Na ja, die Jüngeren werden damit umgehen.

Oh, ha, hier in Berlin läuft mir doch das hübsche Ding, die Maria Zborowski, über den Weg. Eine ansehnliche Erscheinung, lebhaftes Auge sowieso. Sie ist eine Kathol’sche aber den schönen und auch deftigen Seiten des Lebens wohl nicht abgeneigt. Von ihrer Profession her, ist sie Zimmervermieterin, obwohl nicht Eigentümerin des Hauses. (Jene Position gebührt der Rentiere, Frau Lüssow). Maria Z. lebt im Hause Kirchbachstraße 19, in Berlin-W 57, Schöneberg, und – potzblitz, daselbst nun auch ich. Das Grundstück liegt nahe der Potsdamer Straße, ein Eckgebäude zur Alvenslebenstraße.

Bei „Kirchbach“ denke ich eigentlich nicht an die Großstadt Berlin oder an den Namensgeber – es drängen sich eher romantische Gefühle in Richtung Waldeslust, Vögelgesängen und erquickendem Quell auf. Nicht wahr? Nichts da: Der Namensgeber für diese gerade reichlich einhundert Meter kurze Straße war Herr Hugo Ewald Graf v. Kirchbach, geboren am 23. Mai 1809, gestorben am 06. Oktober 1887. Er war General der Infanterie, im Kriege 1870 / 71 Kommandierender General des 5. Armeecorps. So ernüchternd also kann das Leben sein. Hoffentlich wohnte zumindest der erste Träger dieses Namens aus seiner Sippe an einem Bach nahe der Kirch'.

(Anmerkung Chris J.: Auch in der Kirchbachstraße gab es im Zweiten Weltkrieg so große Kriegsschäden, dass die Straße neu bebaut wurde – sie zeigt also kein historisches familiär nutzbares Bild mehr, das für ein zeitgenössisches Foto geeignet wäre).

1916

Es ist kaum zu fassen. Ich stehe inzwischen schon mitten im 7. Jahrzehnt meines Lebens. So sehr viel Neues kann nun für mich wohl nicht mehr kommen.

Anna wohnt noch immer in Nowawes. Söhnchen Franz ist inzwischen 13 Jahre alt. Stiefsohn und Halbbruder Walter Ulrich geht mit unserem Fränzchen gern ins „Waldschlösschen“, Stahnsdorfer Straße 101, zum Kegeln. Das Waldschlösschen hatte der Thomasczek auch gemalt.

Der große Krieg geht unvermindert weiter. Auch in unserer kriegsverschonten Heimat wird gehungert. Der „Kohlrübenwinter“ 1916 / 17 wird schmerzlich Eingang in die Geschichte finden. Nach der Rationierung des Brotes, führt die Regierung nun auch die Fleischkarte ein. Es wird alles immer knapper. Schwiegersohn Max Sommer wird nun auch zu Preußens eingezogen, um mit der Waffe in der Hand die Elektroleitungen zu verlegen.

Architekten und Künstler von Werkbund- und Bauhausbewegung beginnen die Gestalt künftiger Gebäude und Gebrauchsgegenstände radikal zu reformieren.

Anmerkung: Die Adressbücher von Berlin weisen für den Zeitraum 1916 bis 1922 als Wohnort für Runge, Franz, Rentier, aus: SW 68 Markgrafenstraße 1, II. Eigentümer.

1917

Der Krieg soll wohl nach dem Willen von Regierung und Rüstungsindustrie immer weiter gehen – bis zum Erreichen eines schönen „Siegfriedens“. Dazu gibt es Gegenstimmen im Parlament – von weiter links – zumal ein solcher Frieden weder am Horizont noch in näherer Sichtweite scheint.

Innerhalb von Russland rumort es mächtig. Verschiedene Bewegungen sind für uns undurchsichtig. Erst sind viele Bürger gegen den Zaren. Danach Putschversuche gegen die junge bürgerliche Regierung. Im Spätherbst kommt es dort zur Großen Revolution, in der die Sozialisten / Kommunisten die Macht beanspruchen.

In all' diesem Trubel gründet man in Neubabelsberg die Universum-Film-Aktiengesellschaft, kurz „Ufa“ genannt.

1918

Anna verkauft das „Deutsche Wirtshaus“ in Nowawes. Der neue Inhaber oder zumindest zeitweilige Verwalter der schönen Gaststätte soll ein Herr namens „Blau“ sein. Wenn das kein gutes Aushängeschild für Leute mit übergroßem Durst ist –.

Der russische Zar Nikolaus II. und seine Familie werden von den Bolschewiki hingerichtet. Vorher hatte der Zar den Bruder des Arbeiterführers Uljanows / Lenins umbringen lassen. Man hätte sich die Fogen ausrechnen können.

Deutschland ist mit seiner Kampfkraft am Ende. Die Generäle Hindenburg und Ludendorff haben die Absicht des Siegfriedens aufgegeben und bitten um einen Waffenstillstand. Der Kaiser hält sich zurück, tritt aber nicht zurück. Das besorgt ohne des Kaisers Wissen, der Prinz Max von Baden hilfreich für ihn.

Die kaiserliche Familie flieht, recht gut ausgestattet, in die Niederlande. Gut ausgestattet bedeutet: Vom Kaiserbahnhof Potsdam-Wildpark begleitet ihre Flucht mehr als nur ein Güterzug, beladen mit den wichtigsten Sächelchen des Hausrats. Was man in der Fremde eben so benötigt. Max v. Baden legt die Regierungsgewalt in die Hände von Friedrich Ebert (SPD).

Am 09. November wird von Philipp Scheidemann in Berlin die bürgerliche Regierung ausgerufen. Zwei Stunden später lässt Dr. Karl Liebknecht einen ähnlichen Ruf über den Schlossplatz erschallen, der aber doch ein ganz anderer ist: Er ruft eine sozialistische Republik aus. Es ist nicht leicht, die verlorene Macht aufzunehmen, ohne in ein Gerangel zu geraten, denn so richtig war ja darauf niemand vorbereitet.

1919

Anna wohnt inzwischen in Charlottenburg, Grolmannstraße 22, mit unserem 16-jährigen Franz. Außerdem mit ihrem großen Sohn Walter Ulrich (aus ihrer ersten Ehe) und dessen Frau Frieda, geborene Hahn (aus Nowawes) zusammen. Die Wohnung in der Grolmannstraße liegt auf dem Straßenstück zwischen Pestalozzistraße und Savignyplatz; ein fünfgeschossiger Bau. Die Straße ist mit Linden bepflanzt. Es geht hier turbulent zu, denn es befinden sich viele Gaststätten in dieser Straße. Eine wahre Flaniermeile.

Am 02. September wird dort Ulrichs Tochter namens Senta Annemarie geboren.

Unser Franz kommt mehr nach Anna. Er ist immer so zurückhaltend, freundlich, aber schüchtern. Das hat er nicht von mir geerbt. Er wird wohl mit diesem eher zarten Gemüt nicht gleich mir ins raue Baufach einschlagen.

Anna verdient sich ihren Lebensunterhalt als Verkäuferin in der „Confiserie Eyssenhardt“ in der Neuen Kantstraße 26 in Charlottenburg, handelt also mit Zuckerwerk und Pralinen – diese hoffentlich nicht so hart wie Eyssen. Die Eyssenhardtsche Chefin und Besitzerin, eine große elegante Person mit modernen Ansichten und mit Ausstrahlung wohnt gleich über dem Geschäftsraum in der Belle-Etage.

Später hat Anna einen eigenen Laden mit dem gleichen Verkaufsangebot in der Augsburger Straße 30 eröffnet. Hier wohnt sie auch in den Räumen hinter dem Laden. Das Haus gehört Herrn Baldermann, der auf der anderen Seite des Hausflures, ebenfalls im Erdgeschoss, eine Porzellanwarenhandlung betreibt. Das erinnert sie bestimmt an ihre früheren Casseler Besuche. Im Hause leben zehn Mietparteien. Jetzt, nach dem großen Krieg, wird es nicht gern gelitten, französische Begriffe zu verwenden. Aus diesem Grunde erscheint auch der Begriff „Confiserie“ dieses Geschäftszweiges nicht im Berliner Adressbuch, sondern es wurde schlichtweg gottesfürchtig und irreführend mit „Konfitürenladen“ übersetzt und auch so eingetragen.

Tochter Margarethe Sommer war mit meiner Enkelin Anne-Marie zu Besuch bei Stiefmamá Anna in diesem besagten Konfitürengeschäfte. Anna hatte gerade das Mittagessen zubereitet, als ein Praliné-Handelsvertreter kam. So roch es ihm im Choco-Laden mehr nach Weißkohl, denn nach Cacao-Erzeugnissen. Damit soll man vorsichtig umgehen. Das sprach sich bis zu mir herum.

Walter Ulrich und sein Freund Alfred Kunze (der wie Erstgenannter ein renommierter Koch ist) bewirtschaften nun gemeinsam in Charlottenburg die Menzelklause „Zum Augustiner“, die ebenfalls in der Grolmannstraße liegt.

Das waren Notizen zu „der kleinen Welt“. Ansonsten zeigt die allgemeine politische Lage Gewalt, Revolten, Morde, Massendemonstrationen und Strikes. Zwei völlig verschiedene Bilder in einer Stadt. Am 15. Januar ermorden rechtsradikale Offiziere Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ohne einen diesbezüglichen Gerichtsbeschluss und werfen sie anschließend in den Landwehrkanal. Das Leben und Streben des Einzelnen, die Achtung vor dem Menschen, gilt nichts mehr. Eine abzulehnende Welt.

Am 18. Januar wird in Versailles der Friedensvertrag geschlossen. Deutschland wird in 440 Artikeln geknebelt, so niedergedrückt, dass es nie wieder als moderner Industriestaat für einen Angriffskrieg aufrüsten kann. Vieles wird uns verboten. Die Reparationsansprüche sind erdrückend und werden sich über viele Jahrzehnte dieses Jahrhunderts hinziehen. In Weimar, nicht etwa in Berlin, wird am 19. Januar die Nationalversammlung gewählt, eine neue Verfassung ausgearbeitet.

Erstmals erhalten auch die Frauen in Deutschland das politisch aktive Wahlrecht. Der Acht-Stunden-Arbeitstag wird gesetzlich eingeführt. Es gründet sich die Deutsche Arbeiterpartei.

Die Firma Krupp baut den ersten Motorroller. Hugo Junkers stellt das erste Serien-Passagierflugzeug her. Es ist die „F 13“ – nun erstmals ein Fluggerät mit geschlossener, windabweisender Kabine. In Berlin spricht man von den Versuchen, einen „Tonfilm“ herzustellen. An der Warschauer Straße wird das Glühlampenwerk „Osram“ gegründet. Der Bedarf an Glühlampen im Lande ist riesengroß.

In diesem Jahr herrscht eine weltweite Grippe-Epidemie. Eine Pandemie wird sie genannt. Allein in Deutschland fallen ihr rund 200.000 Menschen zum Opfer.

1920

Groß-Berlin“ entsteht! Am 01. April, das ist kein Scherz, ist die Hauptstadt quasi über Nacht um 29 Orts-Gemeinden und deren Ländereien und damit um ein Vielfaches seiner Fläche gewachsen. Es entsteht damit ein riesiges Gebiet, das wir nicht mehr wie bisher in einem längeren Spaziergang von einem zum anderen Ende durchmessen können. Man kann sagen, dass die deutsche Reichs- Hauptstadt nun im wesentlichen aus Dörfern besteht. Damit wächst die Einwohnerzahl Berlins mit einem Schlag auf knapp 4 Millionen Menschen. Die meisten der Ortsnamen bleiben erhalten, nur dass jetzt immer „Berlin-“ davor steht.

Das Jahr ist wie im Fluge vergangen. Weihnachten. Erstmals werden von der Postsendestation Königswusterhausen Nachrichten nicht mehr durch den Draht oder als Morsezeichen weitergeleitet, sondern als richtige Sprache oder Musik übertragen. Man kann sie gut mit dem Kristalldetektor und dem Kopfhörer empfangen. Zum Auftakt wird ein kleines Weihnachtskonzert geboten. Weil wir nur einen Kopfhörer mit 2 Hörmuscheln für eine Person haben, liegt dieser in der großen Emailleschüssel, die uns als verstärkender Schalltrichter dient. In der Zukunft, in ein paar Jahren, soll es dann regelmäßig lange, sogar mehrstündige „Rundfunksendungen“ geben.

1922

Am 10. November verkaufe ich in (trotz) der Inflation mein Haus in Berlin-Moabit, Spenerstraße 32, an den Kaufmann Heinrich Heschel-Bregmann aus Zoppot und dessen Ehefrau Bella Bregmann. Sie kommt aber nicht aus Zoppot, sondern ist eine geborene Sackheim aus Charlottenburg. Wir benötigten somit für die Verkaufsverhandlungen keinen Dolmetscher. Ob das die günstigste Entscheidung ist –, sagen die neunmalklugen Kinder –, wird die Zukunft besser wissen. Sie sind nicht begeistert von dem Auflösen dieser doch so schönen poteziellen Erbmasse, das sieht man bereits von weitem an der Stellung ihrer Mundwinkel. Die Kinder erben ja sowieso den reichlichen Rest und sind noch jung genug, um für sich selbst zu sorgen. Ich aber bin jetzt immerhin 76 Jahre alt und denke an die „Greifbarkeit“ und „momentane Flüssigkeit“ der finanziellen Absicherung meines Lebensabends und damit auch an das Beibehalten der bisherigen Lebensweise.

Stiefsohn Walter Ulrich hat sich ein Motorrad, eine Harley-Davidson, gekauft. Er war wohl nicht der einzige Interessent an diesem fremdländischen Modell, denn er ist einem kürzlich gegründeten Liebhaberclub beigetreten, in dem natürlich viel gefachsimpelt wird, als wären es alles „alte Harley-Hasen“. Das neue Fahrzeug hat bis hierher schon eine weite Reise hinter sich. Es wird eine Weile dauern, bis es eine ebensolche Strecke nochmals „auf eigenen Achsen“ zurück gelegt hat.

In Italien findet ein Machtwechsel statt. Der Faschist Mussolini geht als Sieger hervor. Faschismus, abgeleitet von den gebündelten Rutenstücken (Faschinen) bedeutet zumindest vom Wort her wohl etwa soviel wie „Einigkeit macht stark“.

1923

Am 05. Januar sende ich Tochter Margarethe Sommer zum Geburtstag meine Grüße nach Nowawes. „Die Zinsen von den 3.000 Mark für die Enkel habe ich mit 5½ % für die Zeit vom
15. November bis 31. Dezember 1922 von dem jetzigen Eigentümer meines Hauses erhalten und werde dieselben bei Gelegenheit an Euch abführen“, schreibe ich zu diesem Sümmchen eines „Vorab-Erbes“. Ihr wisst ja, wenn die Hand noch warm ist, vererbt es sich schöner – man selbst hat dann auch noch eine kleine Freude daran.

Eine spätere Einsicht: Natürlich konnte ich nicht wissen, dass bereits im Herbst dieses stolze kleine Guthaben keinen Pfennig mehr Wert war, hoffentlich haben es die Kinder nicht gespart, sondern schnell ausgegeben.

Im April heiratet mein Enkel Franz Seehafer eine gewisse Gertrud Stoyke. Ist das denn möglich – wenn ich so zurück denke – er war doch vor einigen Jahren noch so klein.

Ebenso zweckoptimistisch wie ich, ist auch meine Enkelin Frieda Dankhoff, Johannas Große. Sie heiratet in diesem äußerst schwierigen Jahr am 22. Oktober Herrn Gustav Liebnow.

Frankreich und Belgien besetzen das deutsche Ruhrgebiet, weil unsere Regierung nicht in der Lage ist, die Reparationsforderungen zu zahlen.

Ständig werden wegen des Zwangs der Inflation neue Geldscheine und andere Wertpapiere gedruckt, denen jedoch die Waren als Gegenwert fehlen. So rutscht Deutschland rasend schnell immer tiefer in die Inflation. Die Geldscheine verlieren fast täglich an Wert. Fürs Geld bekommt man nicht mehr viel zu kaufen. Der Tauschhandel (wer was hat, der kann's) setzt ein, so z. B. entberbare Teppiche, Mobiliar und Kunstgegenstände gegen dringend benötigte Lebensmittel.

In der Superinflation, die im November ihren Gipfel und Endstand der Krise findet, die zum totalen Zusammenbruch des Finanzsystems und des Wirtschaftslebens führt, verloren viele Menschen ihr Hab und Gut. Sehr viele Menschen sind völlig verarmt.

Am 01. Dezember aber ist diese schwindelerregende „Karussell-Fahrt“ zu Ende. Die „Rentenmark“ oder auch die Goldmark, die Reichsmark wird eingeführt.

Das Schicksal hat auch um mich keinen Bogen gemacht. Meine Ersparnisse, der Erlös aus dem Verkauf des Hauses Spenerstraße 32, sind auf einen lächerlich kleinen, kaum noch bezifferbaren Wert abgesunken. Ich bin praktisch trotz lebenslanger Arbeit mittellos an Barem. Da helfen keine Vorwürfe, da hilft kein Schimpfen, es rettet kein Zagen. Man wird sich hoffentlich wieder erholen. Kopf hoch!

Der britische Archäologe Howard Carter legt in Luxor (Ägypten) das Grab des Kindkönigs Tutanchamun frei. Unermessliche Schätze kommen ans Tageslicht. Wie mag es da erst in den Gräbern der „gestandenen“ Herrscher ausgesehen haben? Diese bisher gefundenen anderen Grabstätten waren bereits alle vor Zeiten ausgeraubt. Wo mögen diese Schätze geblieben sein? In Nordafrika? – am 05. Mai haben wir hier bei uns rund 30°C im Schatten. Eine ungewöhnliche Wetterkapriole.Temperaturen wie in Afrika.

1924

Ein Mitglied der Arbeiterpartei, ein gewisser Hitler, wird verurteilt wegen eines blutigen Putsch-Versuches. Wollte sich anmaßen, das etwas wackelige Weimarer Reich umzukippen, der schneidige Gefreite, dat Männeken.

Ein Zeppelin Luftschiff, die LZ 126, mit Dr. Hugo Eckener als Kapitän an Bord, überquert zum ersten Mal den Atlantik nach Lakehurst. Reichlich 71 Stunden dauert die Passage. Das Luftschiff bleibt aber drüben. Es ist als Reparationsleistung gedacht, denn Deutschland darf nach dem Versailler Vertrag ja keine derartige Flottille mehr unterhalten. Wie schade!

Unsere Vorortbahnen nach Berlin werden in diesem Jahr auf Elektrobetrieb umgestellt.

1925

Elsaß und Lothringen fallen endgültig an Frankreich.

Es gibt Versuche nicht nur Sprache und Musik, sondern sogar Bilder über weite Strecken drahtlos durch die Luft zu schicken. Das steht aber erst in den Köpfen beziehungsweise im Versuchsstadium – aber schon nicht mehr nur in den Sternen.

Prof. Hugo Junkers regt den Zusammenschluss von vorerst 12 Staaten zu einer „Europa-Union“ an – etwa nach dem Vorbild der USA aber noch verbessert.

1926 – mein 80. Lebensjahr

Meinen 80. Geburtstag begehen wir im Garten des „Spandauer Bock“ mit meinen Kindern und deren Ehe-Spusis.

Anna hat inzwischen den Süßwarenladen aufgegeben und wohnt als Rentnerin in Berlin-NW 21, in der Wilsnacker Straße 60.

Unser jüngster Sohn Franz Runge hatte mit der Harley-Davidson seines Halbbruders Walter Ulrich einen Sturz. Der Junge ist schwer verletzt. Ein Milz- und ein Leberriss wurden im Krankenhaus am Theodor-Heuss-Platz (Nähe Funkturm) wieder geflickt. Nun soll er zur Nachsorgekur in den Schwarzwald. Dazu leiht er sich bei meiner Tochter Margarethe Sommer in Nowawes, seiner großen Halbschwester, eine finanzielle Unterstützung (das heißt: diese eigentlich von Max Sommer).

Meine Enkelin Anne-Marie Sommer, des Maxens Tochter, machte bei meinem Besuch kürzlich in Nowawes, dort im Hausgarten der Priesterstraße 68, einige photographische Aufnahmen von mir, ihrem alten Großvater Franz. Der Anlass meines Besuches war allerdings ein trauriger: Ihr großer Bruder Franz Sommer starb am 03. September an Krebs, der sich nach einer Knieverletzung beim Hockeyspiel ausbreitete. Da half selbst die Amputation des Beines nichts mehr. Traurig, gerade 20 Jahre alt ist er geworden und sollte doch später die Elektro-Firma des Vaters übernehmen.

Deutschland wird im September in den Völkerbund aufgenommen, nicht mehr als Kriegsaggressor geächtet. So kann man wieder etwas aufatmen und die Hanse der Lüfte darf auch als ziviles Flugunternehmen gegründet werden. Der ehemalige Exerzierplatz Tempelhofer Feld ist in den vergangenen Jahren zu einem Flugplatz umgebaut worden. So öffnet in diesem Jahr hier der weltweit erste zivile Flughafen für den Linienverkehr.

Die Zukunft will wissen: Für immer geschlossen werden soll er im November 2008, zugunsten des dann am Stadtrand liegenden „Großflughafens Berlin-Schönefeld // Berlin – Brandenburg – International“ – aber die Vorausschau traf nicht termingemäß ein. Mancherlei Verzögerungen mit Baukosten in ungeplanter schwindelnder Höhe führen dazu, dass der Neubau-Teil des Flugplatzes Ende Oktober 2020! dem Luftverkehr übergeben wird. Einige Tage später wird der Flugplatz Tegel für immer geschlossen).

1927

Schweren Herzens hatte ich mich entschieden, nun doch in das „Städtische Bürgerhaus“, das Altenheim, zu ziehen. Das gibt dem Leben Ruhe und einen Angelpunkt mit festen Regeln sowie bescheidener ordentlicher Versorgung. Die Adresse in Charlottenburg ist Sophie-Charlottenstraße 115 aber der Eingang durch den Torbogen und den kleinen Hauspark in der Mollwitzstraße ist wesentlich schöner.

Spaziergänge in der Stadt, allein und mit Maria sind trotz meines jetzigen Wohnens im „Stiftszimmer“ nicht ausgeschlossen. Maria bleibt hingegen in der Kirchbachstraße 19 wohnen.

Trotz meines damaligen Verkaufs des Hauses in der Spenerstraße ist Schwiegersohn Richard Eschert noch immer als Verwalter des Hauses bestellt. In diesem Jahr ist es Zeit, die Fugen der Schornsteinköpfe zu überarbeiten und die Verschlussbleche der Reinigungsöffnungen im Keller erneuern zu lassen. Als Hausbesitzer und Verhandlungspartner tritt inzwischen nicht mehr der Kaufmann Heschel-Bregmann, sondern ausschließlich seine Frau, inzwischen bitte Frau Dr. jur. Bella Bregmann, auf.

Der Brite Sir Alexander Fleming entdeckt aus Versehen einen Schimmelpilz mit bakterientötenden Eigenschaften in seinem Labor. Hieraus wird ein Antibiotikum, das Penicillin, entwickelt. Bisher hatte man zur Bekämpfung unerwünschter Bakterien Schwefelpräparate (Sulfonamide) zur Verfügung.

Die Firma Opel in Rüsselsheim testet ein Automobil mit Raketenantrieb.

Der amerikanische Postflieger Charles Lindbergh fliegt als erster Mensch völlig allein von New York nach Paris. Sein Flugzeug ist die „Spirit of St. Louis“ und stellt umgebaut quasi einen fliegenden Sprit-Tank dar. Doppelt so schnell wie das Luftschiff war er und benötigte ohne Schlaf, ohne Ablösung, 33,5 Stunden ununterbrochener Flugzeit. Eine schier übermenschliche Leistung. Viel Chocolade soll er verzehrt haben.

1928

Kinder, wie die Zeit wegrennt! Am 19. Januar: Feier der Silbernen Hochzeit meiner Tochter Franziska und Richard Eschert in meinem „alten“ Hause in Moabit, Spenerstraße 32. 15 Mann hoch waren da: Liebnows, die Eschert-Kinder, deren Freundschaft, Anna, ihre Kinder und Enkel sind dabei. Ich aber nich.



Foto vom Tage der Silberhochzeit von Richard und Franziska Eschert, am
19. Januar 1928 mit ihren Gästen aus der Verwandtschaft und Bekanntschaft, im Hause Runge, Berlin-Moabit, Spenerstraße 32.

- Das Foto ist im Bildanhang zu sehen -


hintere Reihe:







1


2

3

4

5

6

7

8

Gustav Liebnow




* Berlin,

30.5.1898




(Ehemann von 4)

Frieda Ulrich,

geb. Hahn,



*Nowawes,

22. 7. 1897




(Schwieger-tochter von 9)

Walter Ulrich




* Cassel

3.6.1890




(Sohn

von 9)

Friedel Liebnow, geborene Dankhoff


* 06. Okt. 1892

† 23. Febr. 1982


(Nichte von 10)

Günther Eschert




* 24. Juni 1906

oo Berlin,

3.5.1934


(Sohn von 10 und 11)

Anni Wasser-mann


* 21. Juni 1896


(künftige Ehefrau von 5, oo Berlin, 3.5.1934), ohne Kinder


Freund von Günther Eschert

Vera Egsdorff,


eine

gute Freundin von Günther Escher


mittlere Reihe


9


10

11

12

13

Anna Schütte, verw. Ulrich. verehel. Runge


* Stüdenitz (Prignitz)

28. Mai 1865


um neun Jahre ältere „Stiefmutter“ der Silberbraut.


Silber-Braut

Franziska Eschert

geb. Runge


* Weißensee, Krs. Nieder Barnim,

am 04. Juli1874

Silber-Bräutigam

Richard Eschert



* Berlin, am

11. Oktober 1872

ein befreundetes, uns aber namentlich nicht bekanntes Paar

vordere Reihe:

14


15

Karl-Heinz Ulrich

* Berlin-Moabit, 21. Dezember 1922

(Sohn von 2 und 3)

† Melbeck bei Lüneburg 2008.

Senta Annemarie Ulrich,

* Charlottenburg b. Berlin, 02. September 1919

(Tochter von 2 und 3),

verehelichte / verwitwete Robin

† Berlin, am 14. März 2009.



Am 21. Oktober wird das Mariannchen als Kind meines Enkels Franz Seehafer geboren. Bei seiner Frau Gertrud haben bereits zu Hause die Wehen eingesetzt, aber sie soll ihr Kind in der schon vorbestimmten Klinik in Berlin-Mitte zur Welt bringen. Deshalb wird eine schnelle Droschke gerufen. Die Fahrt führt sie aber in eine eher unbekannte Gegend, weil der Fahrer den Weg zu einem gleichnamigen Krankenhaus in Steglitz kennt und einschlägt. Helle Aufregung und Kehrtwendung! Ganz knapp, mit Müh, in höchster Not, erreichen sie grad' noch den richtigen Ort. Und der werdende Vater Franz ist bei der Geburt seiner Ersten und Einzigen mit dabei – eine seltene Ausnahme.

Der Krieg als Mittel zur Lösung politischer Probleme wird geächtet“. Dieser Übereinkunft tritt auch Deutschland bei. Man hofft wieder auf mehr Stabilität und Sicherheit.

Die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt aber leider bei einem neuen Höhepunkt der Wirtschaftskrise auf etwa zwei Millionen Menschen an.

In der Berliner Funkausstellung können wir heute zum ersten Mal „fern sehen“. Ganz nah. Das „Fernsehen“ ist erfunden. Ein großer Holzkasten mit einem etwa 3 x 4 cm großen Bild in der Vorderfront, das uns schemenhaft irgendetwas nettes andeuten möchte. Gewiss ein hervorragender Fortschritt fürs Laboratorium – aber vom Mann auf der Straße nicht so recht zu nutzen und ein deutliches Bildchen, beispielsweise auf einer Streichholzschachtel, ist doch dagegen noch etwas größer und viel Klara.

Ende Mai stürzt der italienische General Umberto Nobile mit dem Luftschiff „Italia“ in der Nordpolar-Region ab. Ein Teil der Besatzung flog nach dem kurzen, harten Aufprall auf das Eis in dem zerrissenen nicht lenkbaren Luftschiff davon und wurde nie wieder gefunden. Einige andere waren bei der Total-Havarie auf das Eis gestürzt, darunter auch der Kapitän und wurden, nach einem Monat des Wartens in grimmiger Kälte bei geringen Proviantresten, von Suchtrupps aufgespürt und gerettet.

Die elektrische S-Bahn (Schnellbahn, auch Stadtbahn aber noch ohne Speisewagen) nimmt zwischen Potsdam und Berlin-Friedrichstraße ihren durchgehenden Betrieb auf.

Nun wird der angekündigte Tonfilm Wirklichkeit. Klavierspieler und Filmerklärer sind jetzt nur noch Zuschauer – falls sie es wollen.

1929

Wieder Ärger mit den Leuten in der Spenerstraße 32 („3. Akt des Dramas in >meinem< Hause“). In der Nacht vom 2. zum 3. Februar herrschen hier - 23°C. Klirrende Kälte. Ein kalter Winter bei extrem niedrigen Temperaturen. Am 16. Februar bricht in der Wohnung des Schneidermeisters Karvet ein Schadensfeuer aus. Infolge der Unvorsichtigkeit beim versuchsweisen Auftauen von Wasserleitung und Abflussrohr, kohlen ihm die Fußbodendielen und daselbst Balken unter den Fußsohlen an. Was soll der Mensch dazu sagen? Schade drum. Aber mich geht das alles nichts mehr an, obwohl ich gerade eben wieder fühlte: „meine Dielen“ seien verkohlt. Das ist doch allein ein typischer Fall für den Schwiegersohn, Verwalter Eschert.

Seit dem 11. Februar besteht innerhalb der Stadt Rom, der Vatikanstaat mit 850 Einwohnern. –

Die Politiker Briand und Stresemann legen nun ebenfalls einen Plan für ein vereintes Europa vor.

Das Luftschiff „Graf Zeppelin“ LZ 127 umrundet den Erdball zuverlässig in 20 Tagen und legt dabei 24.000 Kilometer zurück.

Der „schwarze Freitag“ mit dem Börsenkrach in den USA hat Auswirkungen auch auf das Ausland. Auf unser Inland. Die Weltwirtschaftskrise beginnt, die bis nach 1933 andauern wird. Immer mehr Leute werden arbeitslos. Die grandiose Arbeitslosenunterstützung beträgt 10 Pfennige am Tag.

1930

Mein kleiner Enkel Hellmut Runge, der 1903 geboren wurde, so wie unser letzter Sohn Franz, (also der Sohn von meinem Sohn Carl und Helene – erwähne ich, damit ihr nicht durcheinander kommt), heiratet am 02. September die Telefonistin Lucie Höpfner. Mögen sie glücklich werden und sich Geborgenheit geben – die ich eigentlich immer suchte – und auf Dauer nie erreichte.

Die Weltwirtschaftskrise drückt auch Deutschland immer tiefer. 4,4 Millionen Arbeitslose sind es bereits. Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (NSDAP) wird nach der SPD zweitstärkste Partei.

Damit haben wir zwei Arbeiter-Parteien – da sollte es, vielleicht gemeinsam, schon 'was Großes werden, denn auch die SPD ist ja mit ihrem linken Flügel ebenfalls sozialistisch. Ich selber aber, bewege mich vom Gefühl her eher in der Mitte.

Mahatma Gandhi ruft das indische Volk zum gewaltfreien Widerstand gegen die ausbeutenden Kolonialherren auf. Das „Mutterland“ England reagiert mit militärischer Härte, mit Gewalt. Kein engelsgleiches Walten.

Ein kleiner, sonnenferner Planet wurde in unserer Milchstraße entdeckt und Pluto benannt.


Prof. Albert Einstein eröffnete die diesjährige Funkausstellung. Mit Rundfunkübertragung!

Der Berliner Max Schmeling wird Boxweltmeister.

Es kommen schnelle Schneuztücher aus weichem Papier auf den Markt; „Tempo“ mit Namen.

1931

Neuerlicher Ärger mit den Leuten (4. Akt) in der Moabiter Spenerstraße 32. Im Mai gibt es eine Ofenexplosion, ausgerechnet in der Wohnung des Kriminalassistenten A. Peter. Explosionen in >meinem< guten Hause! Schon allein der Umstand gemahnt an eine Kriminalgeschichte. Der Mensch (A. Peter) konnte aber nichts dafür. Schuld daran war der darunter wohnende Tischler Masch, weil er spiritusgetränkte Lappen im Ofen verbrannte. Man hört es so – bis hierher!. Was sind das bloß für Mieter – aber es ist ja nicht mehr meine Sache. Doch die gar strenge Juristin Bella Bregmann wird es gar nicht sehr erfreut haben.

Die Arbeitslosigkeit steigt in diesem Jahr auf fast 5,7 Millionen Menschen. Ist denn der Tiefpunkt, sind denn die mal wieder schwersten Zeiten, noch immer nicht erreicht?

Auf der diesjährigen Funkausstellung erneut Fernsehfreuden. Diesmal kann man schon mehr auf den Bildern erkennen. Hier ist nicht mehr die Nipkowscheibe, sondern ein elektronischer Strahl in einer Braunschen Röhre eingesetzt, um uns Bilder vorzugaukeln.

Siemens kann nicht nur große Maschinen bauen: Kürzlich hat er einen kleinen elektrischen Rasierapparat namens „Sirama“ vorgestellt. Der funktioniert ohne das Einseifen des Gesichts und schaben der Haut. Er macht alles im Trocken-Verfahren. Es gibt auch kein >sich verletzendes Schneiden< mehr.

1932

Es müssen in diesem Jahr knapp sieben Millionen Arbeitslose gezählt werden. Bei der Reichspräsidentenwahl erhält der 85-jährige Paul Hindenburg 53% der Stimmen (bei aller Achtung – was soll das – einen Knaben meines Alters und seiner Gebrechen an die Spitze des Staates zu schieben). Der vormals putschende kriminelle Hilfsbibliothekar und angehende Möchtegern-Kunstmaler Hitler bekommt 37% der Stimmen und der Kommunist Thälmann 10%. Gemeinsam verhindern getrennt die Deutsch-Nationalen, die nationalen Sozialisten und die Kommunisten eine neue ordentliche, demokratische Regierung.

Die Olympischen Spiele finden in diesem Jahr in Los Angeles statt.

1933

Am 27. Februar hat es im Reichstagsgebäude gebrannt. Nicht so von ganz alleine. Vermutlich Brandstiftung. Dort und jetzt – aus Gründen?

Bei der Reichstagswahl am 05. März erreichen die Nationalsozialistische Arbeiterpartei und die Deutsch-Nationalen vereint, die absolute Mehrheit. Wegen der Brandschäden und des unerhörten Gestanks im Hause, so heißt es, findet die erste Sitzung des Reichstages der neuen Wahlperiode mit der symbolischen Übergabe der Regierungsgeschäfte von Hindenburg an Hitler, nun nicht im Berliner Reichstagsgebäude statt. Als Ausweichstandort und Notquartier für die paar Stunden, hat man mit Bedacht die Wahl getroffen, den Festakt auf die Plätze vor und in der früheren Potsdamer Hof- und Garnisonkirche zu verlegen, obwohl es in Berlin viele geeignete Säle und Kirchen gibt.

Am 30. April wird Hitler Reichskanzler. Bald werden alle Parteien außer der Hitler-Partei verboten. Die Gewerkschaften sowieso. Eine unerhörte Hetz-Propagandamaschinerie beginnt zu laufen. Kunst, Geistesschaffen und Zeitungen werden „gleichgeschaltet“ und streng zensiert. Abweichungen von der Linie geächtet, wohl bald verfolgt.

Ab Mai fegt der „Fliegende Hamburger“ ein dieselelektrischer Schnelltriebwagen durch das Land. Seine Reisegeschwindigkeit beträgt 125 Kilometer je Stunde. Die Höchstgeschwindigkeit wird mit 160 km/h angegeben.

1934

Mein Enkel Günther Eschert hält Hochzeit. (Ich erinnere mich noch seiner Taufe, als ob es neulich gewesen wäre). Er ehelicht die im Alter um bereits 10 Jahre über ihm stehende Anni Wassermann. Versteh’s wer will. Irgendetwas muss schon an ihr sein? Bei mir zumindest wurden die Damen meines Interesses mit meinem steigenden Alter eher jünger.

Hitler, so sickert durch, habe Angst vor vorhandenen starken Nebenbuhlern. Wegen des „Röhmputsches“ lässt er viele höhergestellte Leute, selbst Führungskräfte mit ihm gleicher Gesinnung, ermorden. Ebenso Intellektuelle, starke Charaktere, bei denen er eine mögliche Gegnerschaft wittert. Auch die erfolgreichen jüdischen Mitbürger scheinen besonders gefährdet.

Gegründet wurde, im krassen Gegensatz dazu und besonders sozial erscheinend, die gleichgeschaltete Volkserholungs-Organisation „Kraft durch Freude“.

1935

Nun bin ich schon häufiger recht schnell müde – trotz ordentlicher Essensversorgung und bar jeglicher anstrengenden Tätigkeit. Mit 89 Jahren darf es ja wohl auch sein. Jede kleinere Verrichtung, jeder längere Gang, strengt mich an und es stellten sich im Laufe der Zeit doch immer mehr körperliche Schwierigkeiten ein. Die Zeit des Bäumeausreißens liegt hinter mir. Mit einigen wenigen der vielen Alten halte ich noch den Gedankenaustausch oder gehe spazieren, lasse die Bilder dieses merkwürdigen, „in gebogenen Linien“ durchlebten Erdendaseins an mir vorbeiziehen.

Neues interessiert mich nicht mehr so sehr – gut, technische Entwicklungen schon, das stürmische Bauwesen. Seltener mal zu hören, wie es bei den Kindern und Enkeln weitergeht. Aber ansonsten ... und vor der neuen Politik des 1.000-jährigen Reiches kann’s Einen bestenfalls grausen.

Am 16. März wird die Wehrpflicht eingeführt unter Verletzung der Auflagen des Versailler Vertrages. Ab 15. September ermöglichen es die „Nürnberger Gesetze“ anders denkende Mitmenschen, Menschen fremder Religion oder ausländischer Herkunft zu drangsalieren. „Konzentrationslager“ werden errichtet. Diese haben den Zweck erfasste missliebige Personen aufzunehmen (und derer scheint es plötzlich viele zu geben).

Trotz alledem laufen in den Kinos, wie ich höre, nun sogar die ersten Farbfilme.

Die erste landwirtschaftliche Ausstellung, „Die Grüne Woche“, findet am Berliner Funkturm statt.

1936

Heute, am Sonntag, dem 19. Januar 1936, endet mein Leben im Charlottenburger Heim, im Städtischen Bürgerhaus, infolge meiner fortschreitenden Altersschwäche. Nun ja, zwar wollte ich hier mein Dasein gern mit einer „90“ (mit Eichenlaub) eher abrunden als krönen, es hat aber nicht sollen sein. Als einzigen verbliebenen Besitz habe ich einen schönen Ring mit einem Onyx-Halbedelstein. Eben, es war nicht alles edel. Viel mehr ist nicht zu vererben.

Meine inzwischen schon 22-jährige Enkelin Anne-Marie Sommer (in Nowawes) hat es übernommen, die Benachrichtigungen über das Ende meines Erden-Ende an Freunde und Bekannte zu schreiben. Viele sind es nicht mehr, denn die meisten sind schon lange vor mir gegangen. Deshalb kann diese Post nicht mehr viele freuen. Manche werden zeitweilig ein Gedenken an mich bewahren.

Am 24. Januar trete ich, nun bereits der schweren Bürde des Alters ledig, in Ruhe und mit Leichtigkeit die letzte Fahrt an – zum Krematorium in der Gerichtsstraße 37 / 38, in der Nähe des Bahnhofs Berlin-Wedding. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass alles sauber, alles rein ist und auch kein Erdgetier sich an mir laben wird. Dort im Krematorium haben wir Kolumbarien (Urnen-Nischen) aber auch draußen begrünte Freiflächen. Ich werde mich in jedem Falle vorerst gut aufgehoben fühlen und dann mag von mir aus irgendwann das Große Gericht kommen und über mein vergangenes Leben prüfend befinden..

––––––––––––

Einige Nachbemerkungen:

1937

Im April wird das große Vierseiten-Runge-Haus in Berlin-Moabit, Spenerstraße 32, dessen Verkaufserlös während der Inflationszeit vor einem reichlichen Jahrzehnt kaum mehr etwas wert war, nun für 118.000 Reichsmark von Frau Dr. Bregmann weiterverkauft an ihren Berufskollegen Herrn Dr. Ludwig Ketteler, Rechtsanwalt und Notar aus Düsseldorf, der derzeitig in Berlin W 50, Prager Straße 22 wohnt. Immobilien sind oftmals Sicherheiten. In sicheren Zeiten.

Wenige Jahre später

Im Zweiten Weltkrieg verlassen die Verwalter, Familie Eschert, von einer Vorahnung nach den ersten Flugzeug-Bombenangriffen getrieben, das vorgenannte Haus und suchen für einige Zeit Unterkunft bei Schwester Margarethe (Sommer) in der Nowaweser Priesterstraße 68. Sie hatten es in der Spenerstraße 32, als der Krieg nach Berlin zurückkehrte, bei den Übergriffen und beim Sperrenbau, nicht mehr aushalten wollen. Und das war gut so, denn am Ende des Krieges wird auch dieses Haus bombardiert. Enkelin Friedel Liebnow, die Älteste von meiner Tochter Johanna, hat aus den Schuttbergen nur noch eine Fußbodenfliese des Hausflures als Andenken an das Werk ihres Großvaters bergen können.

Immobilien erweisen sich mitunter als relative Sicherheiten. Manchmal.

1941

Anna Runge und die Ulrichs (der Sohn Walter mit Familie) wohnen seit 1926 in Berlin-NW 21 in der Wilsnacker Straße 60, Ecke Birkenstraße. Wie der Name schon sagt, ist die Straße mit Birken bestanden, deren lichtes Grün sie erfreut. Von hier aus sind es nur wenige Schritte bis zu der großen „Heilige-Geist-Kirche“ in der Birkenstraße, Ecke Perleberger Straße. Aber es muss nochmals ein Wohnungswechsel stattfinden, weil sie hier im Kriege ausgebombt werden – aber überleben. Das Notdomizil befindet sich in der Nähe der Deutschen Oper vor dem Neuen Tor. Aber nach dieser Notunterkunft gibt es später für die Familie nochmals eine eigene Wohnung: Brunnenstraße 42.

1945

Vor neun Jahren, nach dem Ableben des Vaters, nahmen wir, die Eschert-Eltern, ohne eigenes Dazutun, die Lebens-Spitzenposition der Ältesten ein. Der schreckliche Krieg ist nun vorbei - man müsste froh sein aber es herrschen Krankheit und Hunger. Die Stadt Berlin ist ein Trümmerfeld und diese Trümmerlandschaft ist besetzt und aufgeteilt unter vier Siegermächten.

Zwar wollen wir nicht mehr klagen als nötig, aber hinreichend gut geht es uns allen nicht.


Meine, Franziska Escherts irdische Lebensuhr, kommt in unserer Wohnung, in Berlin-Neukölln, Böhmischen Straße 15, am 22. Juli 1945, zum endgültigen Stillstand, gerade, da ich das 72. Lebensjahr begann.

Richard kann nicht mehr allein zu Hause bleiben. Er bekommt zur Behandlung einen Platz im Hospital Neukölln, Mariendorfer Weg. Dort endet sein Leben, nur wenige Tage nach mir, am
05. August 1945, in seinem 73. Lebensjahr.



1953

Seit dem Monat März wird an dem Abriss der Ruine dieses zerbombten vormals schönen, großen Hauskomplexes Spenerstraße 32 gearbeitet. Der Zimmereibetrieb Fritz Reichert ist damit beauftragt. Die Abbruch-Aufsicht obliegt dem Zimmerer Max Geissler aus der Essener Straße 10. Der gewaltige Häuserkomplex, dessen Errichtung ein knappes Jahr währte, bestand nur etwa ein halbes Jahrhundert. Er ist nicht mehr.

1955

Mit dem neuen Generalbebauungsplan von diesem Jahr, wird auch die Gesamt-Beräumung mehrerer Nachbargrundstücke beschlossen und ...

1958

am 29. April begonnen. Ausgeführt werden die Abrissarbeiten von der Firma Karl Barthel, Lichterfelde-West, Malvenstraße 1. Die Arbeiten wurden am 22. Juli 1958 beendet. Seither erinnern an das Haus Spenerstraße 32 und Umgebung nur noch die hier ausgewerteten Bauakten, einige alte Fotos und eine Fußbodenfliese aus jenem Haus, in dem auch die Runge-Kinder mit ihren Familien lebten. Eine Erinnerungs-Fliese unter der Kaffeekanne von Friedel Liebnow.

Die Akte für dieses Haus auf Flur 52, Flurstück 114, Liegenschaftsbuch = Gebäudebuch-Nr.1540, 553 / 100, im Grundbuch Band 68 Nr. 3024 und Band 74 Blatt 3189 des Grundbuchamtes Tiergarten (bisher Moabit) wurde für immer geschlossen. (Die Bauakte wurde von Chris J. im Jahre 1994 im Landesarchiv Berlin, Kalckreuthstraße 1-2, 10777 Berlin, eingesehen und ausgewertet).

Auf dem gleichen Wohnplatz der Grundstücke werden in den 1960-er Jahren Neubauten entstehen, an deren Rückfront sich ein kleiner Park anschließt.




(Sinngemäße Abschrift) C


Sterbe-Anzeige und -Eintrag Nr. 6611 / 1945


des Standesamtes in Berlin-Neukölln



Berlin-Neukölln, den 23. Juli 1945


Die Ehefrau

Henriette Berta Franziska Eschert geborene Runge


wohnhaft in Berlin-Neukölln, Böhmische Straße 15,

ist am 22. Juli 1945 um 23 Uhr 45 Minuten in Berlin-Neukölln

in der Wohnung verstorben.

Die Verstorbene war geboren am 04. Juli 1874 in Weißensee,

jetzt Berlin-Weißensee.


Vater: Franz Karl Heinrich Runge, zuletzt wohnhaft in Berlin-Westend.

Mutter: Marie Josephine Runge geborene Glaeser,

zuletzt wohnhaft in Berlin-Weißensee.

Die Verstorbene war verheiratet mit dem Ruhegehaltsempfänger


Gustav Richard Oskar Eschert,


wohnhaft in Berlin-Neukölln, Böhmische Straße 15.


Eingetragen auf mündliche Anzeige der Tochter Gertrud Eschert,

wohnhaft in Berlin-Neukölln, Böhmische Straße 15.

Die Anzeigende wies sich durch Geburtsschein aus,

und erklärte, bei dem Sterbefall zugegen gewesen zu sein.


Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben


gez. Gertrud Eschert


Der Standesbeamte

In Vertretung


gez. Unterschrift




Todesursachen: Akute Darmentzündung, Kreislaufschwäche.

Eheschließung der Verstorbenenam 19. Januar 1903 in Neuendorf bei Potsdam.

Quelle: Standesamt Neuendorf B 2 / 1903.



Schulze-Scan: C F Eschert 1945 - 017 Sinngemäße Abschrift: Chris Janecke





(Sinngemäße Abschrift) C


Sterbe-Anzeige und -Eintrag Nr. 7637 / 1945


des Standesamtes in Berlin-Neukölln



Berlin-Neukölln, den 15. August 1945



Der Rentenempfänger


Gustav Richard Oscar Eschert


wohnhaft in Berlin-Neukölln Böhmische Straße 15,

ist am 15. August 1945 um 06 Uhr 50 Minuten

in Berlin-Neukölln, im Hospital Mariendorfer Weg, verstorben.


Der Verstorbene war geboren am 11. Oktober 1872 in Berlin.


Vater: Wilhelm Friedrich August Eschert

Mutter: Johanne Sophie Luise Eschert geborene Hoppe,

beide zuletzt wohnhaft in Berlin.


Der Verstorbene war verheiratet mit der bereits verstorbenen


Henriette Bertha Franziska Eschert geborenen Runge.


Eingetragen auf schriftliche Anzeige des Leiters des

Städtischen Krankenhauses Neukölln II, Abteilung Hospital.


Der Standesbeamte

In Vertretung


gez. Unterschrift





Todesursachen: Vergrößerung der Vorsteherdrüse, Arterienverkalkung.

Eheschließung des Verstorbenen am 19. Januar 1903 in Neuendorf bei Potsdam.

Quelle: Standesamt Neuendorf bei Potsdam B 2 / 1903.



Schulze-Scan: C R Eschert 1945 - 443 Sinngemäße Abschrift: Chris Janecke