Einige Notizen zum Wirken des Architekten Konrad Wachsmann (1901–1980)

Zusammengestellt von Chris. Janecke, im Mai 2023.
Leserhinweise werden gern gesehen. E-Mail: christoph@janecke.name

Es handelt sich um eine Auswahl von Stationen mit Ereignissen im Leben des Konrad Wachsmann. Es sind wenige Ausschnitte von Begebenheiten, die nur einen schmalen Blick auf die Fülle des Lebens geben, mit all den Sorgen, Wünschen, Freuden und auch Entbehrungen, die kaum erkennbar darin enthalten sind – Notizen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben wollen.

1901
Konrad Ludwig Wachsmann wird am 16. Mai 1901 in Frankfurt an der Oder als Apothekersohn jüdischer Abstammung geboren. Seine Eltern sind Adolf Wachsmann (Ratibor 1861, bis Eberswalde 1908) und dessen Ehefrau Else geborene Bodenstein (Preußisch Stargard 1872, bis Riga 1942). Die bekannte Apotheke, Konrads Elternhaus, steht in der Bischofstraße 15 am Rathausmarkt. Konrad ist nach seinem Bruder Heinz (*1896, dieser fiel als junger Soldat im Ersten Weltkrieg) und nach seiner Schwester Charlotte, (1899–1942) geboren worden. Dem Konrad folgte als viertes Kind in der Familie Wachsmann die Margarethe, innerfamiliär Marga genannt (1906–2000).

Wir wissen, dass in der Zeit des National-Sozialismus das jüdische Gemeindeleben auch in Frankfurt grausam vernichtet wurde. Das bezog sich auf die Menschen jüdischen Glaubens, als auch auf die Gebäude und das Kulturgut. Was nicht von der Nazis zerstört wurde, fiel dann zum Teil noch Kriegsereignissen zum Opfer. Die Jüdische Gemeinde hatte ihre Synagoge in der Tuchmacherstraße 30. Ein neues Zuhause fand sie nach der „politischen Wende“ im Hause Halbe Stadt 30. –
Mir ist nicht bekannt, wie sehr Familie Wachsmann in der Ausübung der Religion verwurzelt war. – Obwohl es nicht mit dem jüdischen Glauben zusammenhängt, erlaube ich mir einige Bilder von den Kunstschätzen aus dem sakralen Leben Frankfurts zu zeigen, denn der Krieg machte auch vor den christlichen Kirchen nicht halt. Ich hoffe, das es die gewünschte Toleranz findet. –

Auch die Frankfurter Marienkirche wurde durch die Kriegsereignisse schwer beschädigt. Seit Jahren befindet sie sich im Wiederaufbau. Was aber sah man dort in des Wachsmanns Kindertagen und noch viel, viel früher?

Die Frankfurter Marienkirche.
Ein Blick in den Chorraum des bereits teilweise sanierten Kirchenschiffs der Marienkirche.

Das Kirchenschiff ist insgesamt 77 m lang und 45 m breit.
Die Kunstschätze aus dieser leeren Kirche sind in der Kirche Sankt Gertraud untergebracht. Dorthin gehen wir jetzt:

Die Gertraudenkirche

Die inneren Schätze der Kirche St. Gertraud. Dazu gehören:
„Der Kandelaber“ oder „der Siebenarmige Leuchter“ wurde in der Zeit um 1374 kunstvoll hergestellt. Er ist etwas mehr als vier Meter hoch und lädt ebenso weit in seiner Breite aus.

Der Hochaltar mit reichem Bilderschmuck ist der Jesus-Mutter Maria geweiht. Das Kunstwerk wurde 1489 fertiggestellt.

Das aufwendige Taufbecken aus Bronze wurde gegen Ende des 14. Jahrhunderts gearbeitet, also eventuell nach 1390 ... .

Ein Detail der Gestaltung des Taufbeckens in dessen Fußbereich.
Damit schließen wir den kurzen Gang durch die mittelalterliche Kulturgeschichte ab und wenden uns der Entwicklung des jungen Konrad Wachsmann zu:

Ab 1915

Nach dem Ende der Schulzeit lernt Konrad das Tischlerhandwerk in der Werkstatt des Meisters Münnich und anschließend auch das Zimmerei-Handwerk.
Sein großes Ziel ist eine Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Architektur.

1920 bis 1924

In jener Zeit besucht Konrad die Kunstgewerbeschule in Berlin und studiert danach Architektur an der Kunstakademie in der sächsischen Stadt Dresden.
Nach dem Abschluss des Studiums ist er als Meisterschüler von Hans Poelzig tätig. Poelzig (Berlin 1869–Berlin 1936, 67 J.) ist Maler, Bühnenbildner, Architekt und auch als Hochschullehrer ist er tätig. Poelzig vermittelt den Konrad Wachsmann zur Firma Christoph & Unmack nach Niesky in der Oberlausitz. Das ist zu dieser Zeit der größte Betrieb, der sich mit der Fertigung von Holzbauten befasst, deren großformatige Bauelemente bereits beim Hersteller maschinell vorgefertigt werden. Hier fühlt sich Konrad vorerst „in seinem Element“.

1925 bis 1929
Während eines relativ kurzen Zeitraums steigt Konrad W. bei der Fa. Christoph & Unmack vom Technischen Zeichner zum Chefarchitekten auf – mit 25 Jahren. In jener Zeit entstehen mehrere Bauten aus industriell vorgefertigten Bautafeln, so auch
- das Direktoren-Wohnhaus der Firma Christoph & Unmack in Niesky, Goethestraße 2. Es wird später das Konrad-Wachsmann-Haus genannt und als Museum genutzt. Des Weiteren werden unter seiner maßgeblichen Gestaltung gebaut:
- Das Walderholungsheim für Kinder in Spremberg,
- die Lungenheilstätte Kaufungen bei Kassel,
- das Erdwissenschaftliche Institut in Ratibor (Oberschlesien), heute Polen,
- der Entwurf für eine Jugendherberge im Riesengebirge,
- der Verwaltungsbau der Berliner Verkehrsbetriebe.

1929 / 1930
Inzwischen ist Konrad 28 Jahre alt. Er steigt aus der bisherigen Firma aus und ist fortan als Freier Architekt tätig.
Trotz der bisherigen Tätigkeit in jenem Holzbaubetrieb ist sein erstes völlig eigenständig erdachtes Gebäude ein traditionell aus Ziegeln gemauerter Massivbau – für Dr. med. Georg Estrich und seine Frau Emmi in Jüterbog. Es sollte sein einziger Massivbau bleiben.

Das Einsteinhaus in Caputh bei Potsdam

1929
Fast zeitgleich mit dem Haus für Dr. med. Estrich entsteht zwischen Frühjahr und Herbst '29 das Haus für Prof. Dr. Albert Einstein. Wachsmann liest in der Zeitung, dass im Berliner Raum für den weltberühmten Physiker ein Wohngebäude errichtet werden soll. Er bewirbt sich sofort persönlich bei den Einsteins in Berlin, um den Auftrag zu erhalten. Da er sich als kontaktfreudig erweist und nach dem erstem Gespräch einfühlsam einen Angebots-Entwurf außerordentlich fleißig (noch mit Unterstützung der Zeichner und Ingenieure der Fa. Christoph & Unmack) binnen weniger Stunden erarbeitet, dabei flexibel-kooperativ auf die Wünsche des Bauherrn eingeht, gewinnt er schnell das Vertrauen und erhält den Auftrag unverzüglich.
Dieses Haus an diesem Ort wird für die Einsteins zu einem Hort, in dem sich Albert Einstein erstmals heimisch und geborgen fühlt. Auch für Konrad Wachsmann sind Grundstück und Gebäude bedeutsam und sein Herz hängt bis zu seinem Lebensende daran.

Albert Einstein und dessen zweite Ehefrau Elsa (sie ist seine Cousine) – die künftigen Einwohner von Caputh. Hier aber am 2. April 1921 bei der Ankunft des Schiffes „Rotterdam“ in New York.
Quelle: Underwood and Underwood, Einstein_Albert_Elsa_LOC_32096u, gemeinfrei

So sieht es in der nahen Umgebung der Baustelle in Caputh aus.
Der „Einstein-Blick“ am Steilhang, hoch über der Lage von Straße und Wasser. Dort unten am Gestade des Templiner Sees liegt die Einsteinsche Segeljolle „Tümmler“ vertäut. Für einen unverwachsenen Blick wäre es schön, „nach dem Ausästen“ wieder eine freie Sicht durch „dieses Fenster“ genießen zu können. – Gern unternimmt Albert Einstein lange, einsame Waldspaziergänge, begleitet nur von seiner regen Phantasie, die ohne jedwede Probleme sinnreich Tagträume füllt ... und diese füllt vorsichtshalber sein Notizbuch, auf dass nichts vom Erdachten, versehentlich entschlüpfen kann. Hier also hätten wir ihm begegnen können – in der zeitweiligen relativen Freiheit. Einem Menschen hätten wir hier im Wald begegnen können, mit Windjacke und in alten Cordhosen oder im Trainingsanzug. Einem Menschen, der sein unwahrscheinliches Wissen über Universum und Erde mühelos mit der Anteilnahme an den Sorgen und Freuden seiner Mitmenschen verknüpft – sich nie über jene erhebt.
Mit dem Boot ist er gern unterwegs. Es steht ihm die weitläufige Fluss- und Seenlandschaft des Havellandes – und viel mehr – zur Verfügung. So kann er von seinem Startpunkt Templiner See durch die „Caputher Enge“ in der Schwielowsee, nach Paretz und weit darüber hinaus zur Elbe, bis zur Nordsee ... oder in die entgegengesetzte Richtung nach Potsdam, nach Berlin ... und wenn Zeit und Willen es ihm geboten hätten, auch bis Stettin, Swinemünde an Haff und Ostsee.

Das Bild zeigt den 29-jährigen Konrad Wachsmann im Jahre 1929 auf der Terrasse des Einsteinhauses in Caputh (damals: Waldstraße 6–7, heutige Anschrift: Am Waldrand 15–17). Als Zeitpunkt „des Fototermins“ wird der Einzug der Einsteins im Monat September 1929 als sicher angenommen.
Die reine Montagezeit des Baukörpers in Caputh hatte zwei Wochen benötigt.
Bild: unbeschriftet, vermutlich von Ehefrau Anna Wachsmann fotografiert, als gemeinfrei geltend.

Ein weiteres historisches Foto aus jener Zeit können wir hier sehen – es zeigt Albert Einstein, Elsa Einstein, Konrad Wachsmann und – Anna Wachsmann drückt wohl gerade auf den Auslöser des Fotoapparats für diese bleibende Erinnerung. Bitte klicken auf:

https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Objekte/wachsmann-fotografie-einstein.html?catalog=1

Vor dem Wohnzimmer die Erdgeschoss-Terrasse. Genau hier entstand das vorherige historische Foto, das durch schwere Zeiten ging.

Das Einstein-Haus in Caputh bei Potsdam. – Die Gestaltung nach kurzen und intensiven Abstimmungen zwischen den Einsteins und ihrem Architekten Konrad Wachsmann, im Jahre 1929 aus vorgefertigten Holztafeln errichtet.
Ursprünglich hatte sich A. Einstein ein Blockhaus vorgestellt – gerade so, wie man (es dem Anschein nach) in Potsdam, in der „Russischen Kolonie Alexandrowka“ oder auf „Nikolskoe“ beispielhaft findet. Zum Anderen sah ein erster Wachsmann-Entwurf ein flacheres Dach vor. Man näherte sich im Gedankenaustausch und die Wünsche des Bauherrn wurden erfüllt.

Vorn rechts das Arbeits- und Schlafzimmer von Albert Einstein. Links daneben, mit Rundfenster, das Bad, dann Elsas Zimmer und im Anschluss daran das Wohnzimmer unter der Obergeschoss-Terrasse. Die Räume sind zum großen Teil mit „französischen Fenstern“ ausgestattet, also als Fenstertüren gestaltet, mit einem halbhohen Gitter davor.
Von diesem traumhaften Rückzugsort für Arbeit und Erholung pendelte Albert Einstein zu seiner Tätigkeit in den Instituten zwischen Berlin, Potsdam und Caputh ... und „anderswo“.
Leider können die Einsteins, das neue Haus, das Anwesen, nur in den Jahren 1929–1932 nutzen. Vor der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten rettete Albert Einstein das Leben seiner Familie durch die Ausreise in die USA.
Nachdem die Einsteins 1932 aus Deutschland in die USA emigriert waren, wurde das Haus sehr unterschiedlich genutzt.
Von den Raumausstattungen der Einsteins wurde nichts aufbewahrt. Niemand der Entscheidungsträger der Vorkriegszeit hatte beabsichtigt, aus dem Anwesen etwa ein Museum, geschweige denn, einen Gedenkort zu gestalten. Das gegenwärtig sichtbare Mobiliar stammt also nicht von der Familie Einstein. Der Autor Chris J. nimmt an, dass dieses auch nicht dem Geschmack, dem Wunsch Albert Einsteins entsprochen hätte.
Albert Einstein hatte gewünscht – diese Grundstück, sein Haus, möge ein friedlicher Ort bleiben, für den fruchtbaren Gedankenaustausch von Wissenschaftlern.

Das kombinierte Arbeits- und Schlafzimmer des Hausherrn, Prof. Dr. Albert Einstein.
Er bevorzugte klare Linien. Eine Ausstattung ohne überflüssige Aufwendungen, Tand, Zierade oder gar Pomp waren nicht sein Begehr. Sachlich und zweckmäßig. Schlicht. Eben das, was für die Nutzung wesentlich ist. – Der wahre Reichtum liegt im Menschen, in den Beziehungen der Menschen zueinander.
Den kleinen Raum füllen ein nur mittelgroßer Schreibtisch, Stuhl, Bücherregal sowie ein Einbauschrank und das schmale Bett (nicht im Bild) hinten rechts in der Raumnische. Die Wände und das Mobiliar in „warmen“ Holzfarbtönen gehalten.
Allein für diesen Arbeits- und Schlafraum von Albert Einstein im Erdgeschoss wurde das Mobiliar der originalen Ausstattung nachgestaltet.

In das Obergeschoss führt die langgezogene, bequem begehbare Treppe. Legte der Hausherr im Erdgeschoss großen Wert auf die Verwendung der Holzfarbtöne, so durften im Obergeschoss für seine Stieftöchter und die Gäste hellere Töne unterschiedlicher Farbrichtung zum Einsatz kommen – jedoch ausschließlich in zurückhaltenden „beruhigenden“ Pastell-Tönungen.

Eines der Gästezimmer. Das hier sichtbare Mobiliar stammt nicht von Familie Einstein. Der Raum wirkt schlicht und nüchtern. Sparsam. Der Einbauschrank erübrigt das Vollstellen des knapp bemessenen Platzes mit weiterem Mobiliar. Die Verbindung zur großzügig weiten Außenwelt (Terrasse, Garten, Wald) ist mit wenigen Schritten gegeben.

Jedes der Gästezimmer verfügt über einen separaten „Einbau-Waschraum“. „Bitte nicht so sehr plan(t)schen – bei den Einsteins ist alles aus Holz – aber zusätzlich gibt es ja auch unten das Bad – und den Templiner See“.

Ein weiterer Gästeraum, etwa 11 m² groß. Die Nische ist für die Länge eines Bettes vorgesehen. Ein Einbauschrank, Tisch und Stuhl vervollständigen die Zimmerausstattung.
Mehr benötigt man nicht, um sich zurückzuziehen, zum Schlafen, Lesen oder Schreiben.

Vom Korridor der oberen Etage kann man die Treppe innerhalb des Hauses nach unten gehen oder vom Korridor auf die obere Terrasse treten.

Der Korridor des Obergeschosses führt auf die rund 70 m² riesengroßzügige Sonnen-Terrasse. Hier werden jedem Bewegungsdrang weitreichende Möglichkeiten geboten, alle nur denkbaren Wünsche vom Platzangebot erfüllt.

Nun heißt es für uns vom Anwesen der Familie Einstein wieder Abschied zu nehmen. Wir dürfen es jederzeit besuchen. Den Einsteins war es dagegen nur gegönnt das Haus ihrer Träume drei kurze Jahre zu nutzen. Der aufstrebende Antisemitismus in Deutschland, die gesellschaftspolitischen Verhältnisse, die letztendlich zum Zweiten Weltkrieg führen, macht auch vor den geistigen Größen von Weltrang nicht Halt.
Die Einsteins und die Wachsmanns halten trotz dramatischer Einschnitte im Leben miteinander eine Freundschaft, die bis zum Lebensende hält.

1929
Mit sehr gutem Erfolg nimmt Konrad Wachsmann an einem Wettbewerb teil, der unter dem Titel steht: „60 billige zeitgemäße Eigenhäuser“.

1930
Wachsmann publiziert sein Werk über den Holzhausbau. Es entstehen verschiedene Industriebauten und Wohngebäude.
Nicht nur dem Bauen mit großformatigen Bautafeln, die auch Teilwände mit eingebauten Türen und Fenstern einschließen, sondern ebenso der Stahlkonstruktion gilt sein Interesse. In jenem Jahr ist es ein Stahlrohrgerüst, dass als Skelett für ein Gebäude dient. Auch den Bau einer Brücke konzipiert Wachsmann. –

Das Estrich-Haus in Jüterbog im Fläming

Inzwischen ist das Haus für Dr. med. Estrich in Jüterbog fertig. Der Bau wurde im Zeitraum 1929 / 1930 realisiert. Wir können uns das Gebäude ansehen – die folgenden Fotos sind allerdings erst im Frühjahr 2023 entstanden.
Nicht Äußerlichkeiten haben bei diesem Gebäude den Gestaltungsvorrang, sondern hohe Materialgüte und hervorragende Funktionalität. Die inneren Werte der Erlebenswelt sind entscheidend. Aus diesem Grund wird die Unterschiedlichkeit jeder der asymmetrisch erscheinenden Fassaden bewusst zugelassen, was, wenn man ausschließlich der Tradition folgt, etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen mag. Die Bauwünsche und das Technisch-gestalterische werden eng zwischen dem Bauherrn und seinem Architekten abgestimmt. Es entsteht ein gelbes „Würfelhaus mit Zeltdach“. Im Parterre über dem hoch liegenden Keller werden die Räume für die Familie angeordnet, Räume, die sich ferner auf einen eingeschossigen Anbau erstrecken. Im Obergeschoss befindet sich die Arztpraxis.

Wir kommen aus dem Zentrum der Stadt Jüterbog und schauen in die Straße namens >Bleichhag<. Hinten links: Das Goethe-Schiller-Gymnasium. Der graue Bau, nahe der Bildmitte, ist die ehemalige Mehrzweckhalle / das Kino „Schauburg“, in den Jahren 1935 / 36 vom Architekten Paul Backes gestaltet. Vorn links: Der Konrad Wachsmann-Parkplatz. Hinten rechts, der gelbe „Würfelbau mit Zeltdach“ in der Straße Bleichhag Nr. 6, ist das Haus des Dr. med. Estrich, vom Architekten Konrad Wachsmann entworfen. Handwerklich errichtet hat es die Jüterboger Baufirma des Paul Schaefer. Jedoch ist es nicht der Würfel allein – unlösbar verbunden gehört dazu der Flachbau, der Räume mit wichtigen Funktionen für die Familie aufnimmt. Vom Bleichhag aus ist dieser flache Gebäudeteil kaum zu sehen. Dieses Wachsmann-Estrich-Gebäude steht unter Denkmalschutz!

Nähern wir uns dem berühmten Gebäude aus Richtung Schillerstraße, so sehen wir die breite Außentreppe. Die Eingangstür rechts leitet die Patienten zur Treppe zu den Praxisräumen, die sich in der oberen Etage befinden. Die linke Tür führt zu den Privaträumen der Familie Estrich. Über den Eingängen Bänder aus Glasbausteinen für die Treppenhausbelichtung am Tage. Unten rechts die Küche, daneben in der Straßenfront die Wohnzimmer-Fenstertür. Im Obergeschoss ganz rechts: Der Patienten-Warteraum mit dreigeteiltem Fenster und über dem Eingangsbereich das Treppenhaus-Fenster. Ganz links im eingeschossigen Teil, die Badfenster und darunter die beheizbare Garage.

Für diesen Blick haben wir die Mehrzweckhalle / das Kino „Schauburg“ hinter unserem Rücken. Unten mittig: Das eine Fenster des Wohnzimmers und oben, rechts, der >Behandlungsraum 1< hinter dem Fenster. Ganz rechts im Bild der historische, etwas geneigte Wehrturm im Sträßlein „Am Frauentor“.

Schauen wir auf die am stärksten besonnte Südseite des Hauses, so haben wir unten, vom Grün verdeckt, die Fenstertür und das Fenster des großzügigen Wohnzimmers. Weiter rechts, im derzeitig grauen Flachbau, folgen Kinderzimmer, Spielzimmer und der Schlafraum der Eltern. Aus dem Hause tritt man auf eine weitläufige Terrasse, die sich vor den Räumen erstreckt. Darunter im Kellergeschoss die Waschküche, das Platzangebot für die Vorratshaltung, der Werk-Arbeitsraum sowie ein Hobby- und Bastelraum und die ebenfalls beheizbare Garage. Das Haus wird mit einer Gas-Warmwasserheizung mit Wärme versorgt.
In der oberen Etage befindet sich hinter dem Fenster der vertraulich-geschlossene kleinere Raum für die Behandlungs-Dokumentationen der Patienten.

Folgen wir aus der Stadt kommend der Mönchenstraße und biegen in die kleine Straße „Am Frauentor“ ein, sind wir kurz nach dem Passieren des schiefen Wehrturms auch schon am Estrich-Grundstück. An dieser Stelle ist die Stadtmauer nicht mehr völlig historisch. So ist bei ihrer geringeren Höhe für die Estrichs der Sonnenschein aufs Haus gewährleistet und für uns ist nur deshalb ein Fotoblick überhaupt möglich. – Die originale Stadtmauer hat eine Höhe von 5 Metern.
Unten im niedrigen Anbau, vom Grün verdeckt: links Kinderschlafraum, mittig das Spielzimmer, rechts das Elternschlafzimmer. Über diesem Flachbau der gläserne Dachaufsatz für den Lichteinfall in die Räume von oben.
In der oberen Etage des Würfelhauses: links der Patienten-Behandlungsraum, dann ein Fenster des kleinen Raumes für Laboruntersuchungen und direkt rechts anschließend: das 5-geteilte Fensterband mit großzügigem Ausblick auf die Stadt, zum so genannten „Sprechzimmer“ gehörend.
Links hinten im Bild: Der spitze Kirchturm der Liebfrauenkirche, die innerhalb des Friedgartens steht, rechts daneben ein Bauwerk des ehemaligen Klosters, heute zum Grundstück der Evangelischen Grundschule gehörend. Ganz rechts die graue Wand gehört zur Ruine der Mehrzweckhalle / des Kinos.

Der Familie Estrich gefällt das Haus. – Es verbinden die Estrichs lebenslange freundschaftliche Beziehungen zu den Wachsmanns. – Bei dem denkmalgeschützten Gebäude oder am Straßenschild „Konrad-Wachsmann-Platz“ findet sich momentan noch kein erläuternder Hinweis auf den Architekten – als eine mögliche Maßnahme der Volksbildung.

Konrad Wachsmann hat im Gegensatz zu anderen Baumeistern und Architekten nur ein einziges Haus in Jüterbog gestaltet und doch wird er auch hier hoch geehrt. Selbst eine Parkanlage, also der zentrale Autoabstellplatz, wurde nach ihm benannt.

1932
Wachsmann erhält dern „Rom-Preis“, eine finanzielle Zuwendung für den Studienaufenthalt in Rom. Dieses Stipendium, das er eigentlich dringend benötigt, wird er ...

1933
... nach Auseinandersetzungen im aufkeimenden Antisemitismus zwischen Nazis und demokratisch-fortschrittlichen Kräften, bei denen er auch mit Arno Breker aneinander gerät, ungenutzt zurückgeben. (Arno Breker ist ein dem Regime nahestehender Grafiker, Bildhauer und Architekt.)
Wachsmann erläutert seinen Entschluss: „Nach Goebbels wahnwitzigem Attentat auf die Kultur und den Geist unseres Volkes blieb mir keine andere Wahl. Ich konnte mich unmöglich mit dem Staat identifizieren, der sich offen zur Barberei bekannt hatte.“
Daraufhin wird ihm die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen – er wird aus seiner Heimat zwangsweise ausgebürgert. Wegen nun fehlender gültiger Ausweispapiere kann er die vor ihm liegende lang andauernde Flucht nur mit anderer Identität, mit gefälschten Papieren organisieren.

Am 10. Mai '33 finden, von den Nationalsozialisten in Szene gesetzt, an vielen Orten in Deutschland Bücherverbrennungen „undeutschen Schrifttums“ statt. Dazu werden Regale in Bibliotheken ausgeräumt und privater Besitz vernichtet. Unter den Autoren solcher Werke finden sich Bertolt Brecht, Albert Einstein, Heinrich Heine, Erich Kästner, die Brüder Heinrich und Thomas Mann, Carl von Ossietzky, Anna Seghers, Kurt Tucholsky und sehr viele weitere – etwa 300 Schriftsteller. Es betrifft Wissenschaftswerke genauso wie Gedichtbände und Romane ebenso wie politische Schriften. Der Propagandaminister Goebbels verkündet: „Der jüdische Intellektualismus ist tot!“ – Auch der Name des weltberühmten Albert Einstein steht bereits auf einer Liste der zu ermordenden Menschen.

1934
Was man als Außenstehender nicht erkennen kann: Trotz ordentlichen Lebenswandels und sehr guter beruflicher Erfolge befindet sich Konrad Wachsmann wohl häufig in finanzieller Notlage – einem Problem, mit dem er wohl im Wesentlichen allein dasteht, ohne tiefgreifend-helfende Möglichkeiten anderer Menschen.

1935
Eines der Vorhaben dieses Jahres ist der Wachsmann-Entwurf für den Bau einer Großmarkthalle in Rom.

um 1936
Etwa in diesem Zeitraum wird nach seiner Entwurfsarbeit eine Holzhaussiedlung in Ludwigsfelde, ca. 20 km südlich von Potsdam errichtet.
(Diese Zeitangabe muss noch konkretisiert oder berichtigt werden, denn einerseits lebt Wachsmann zu dieser Zeit bereits mehrere Jahre nicht mehr in Deutschland, zum anderen werden Holzhäuser, zumindest als Erweiterung der Daimler-Werkswohnanlagen, wohl erst während der Kriegszeit errichtet).

1938
Im faschistischen Mussolini-Italien wird der bisher wegen seiner Leistungen sehr gefragte Konrad Wachsmann nun wegen seiner jüdischen Abstammung festgesetzt, „in Schutzhaft“ genommen. Nachdem er wieder freikommt, flüchtet er zu Fuß nach Frankreich. Hier meldet er sich zwar als Freiwilliger in der französischen Armee, wird jedoch stattdessen „als feindlicher Ausländer“ in verschiedenen Lagern interniert. Anschließend flieht er über Spanien in die USA.

Zwischen 1838 und 1941
Prof. Albert Einstein und Walter Gropuis setzen sich von den USA aus mit Empfehlungsschreiben unterstützend für Thomas Mann, Konrad Wachsmann und weitere Künstler und Gelehrte jüdischer Abstammung ein, um Einreisegenehmigungen in die USA zu erleichtern oder überhaupt zu ermöglichen.

Nach 1941
Wachsmann unterrichtet unter anderen Stätten am Illinois-Institut für Technologie in Chicago. Gemeinsam mit dem Gründer des Bauhauses, Walter Gropius, entwickelt er das bisherige System „Fertighaus“ weiter zum „General Panel System“ und beide gründen eine Fabrik für vorgefertigte Holzhäuser. Ein wesentlicher technischer Entwicklungsschritt ist der Verbindungswürfel für die Wände mit der Decke und dem Fußboden.

1942
Konrad Wachsmanns Mutter Else, seine Schwester Charlotte sowie deren 16-jähriger Sohn waren vorerst in Frankfurt / O. verblieben, hielten sich dann in Leipzig auf. Sie wurden in das Ghetto der Stadt Riga deportiert und dort von den Nazis ermordet.

1944 / 1945
Wachsmann entwirft eine transportable Flugzeughalle.

1947
Nach der bisherigen Duldung des Aufenthaltes in den USA, erfolgt jetzt (1947) die Einbürgerung Konrad Wachsmanns.

Ab 1949
Konrad Wachsmann konzentriert seine Kräfte auf Lehre und Forschung. Er erhält eine Professur am Institut für Gestaltung in Chikago. Nun ist sein offizieller Titel: Prof. Dr. Ing. Wachsmann.

1954
Tätigkeit als Gastlektor in Deutschland, an der Hochschule Karlsruhe am Lehrstuhl Eiermann. Egon Eiermann ist Architekt, Möbelgestalter, Hochschullehrer ... geboren in Neuendorf (heute ein Teli von Potsdam-Babelsberg), im Jahre 1904, gestorben in Baden-Baden 1970. Jener entwirft neben vielen Gebäuden u. a. den Neubau der kriegszerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, nahe dem Zoologischen Garten in Berlin. Er belebt in den Nachkriegsjahren die fortschrittlichen Gedanken und Gestaltungen von Werkbund und Bauhaus wieder.

1955 / 1956
Konrad W. befindet sich auf einer Weltreise, die ihn mit Vorträgen und Seminaren von den USA aus unter anderen Ländern auch wieder durch Deutschland und Österreich aber auch Israel und Japan führt.

Ab 1956
Wachsmann obliegt das Leiten der Architekturklasse in der „Sommerakademie für Bildende Kunst“ in Salzburg, Österreich.

1958
Wachsmanns umfassende Wander-Ausstellung „Bauen in unserer Zeit“, wird in Amsterdam, Delft, Essen, München, Rom, Wien und Zürich gezeigt.

1959
Wachsmann veröffentlicht seine Arbeit: „Wendepunkt im Bauen“ als Buch, das auch besonders für heutige Gegebenheiten (2023) in Zeiten des Klimawandels und der Knappheit an Ressourcen, eine ungebrochene Aktualität besitzt.

1960
Eheschließung zwischen Konrad und Judith.

1961
Geburt der Tochter namens „Ray“. Nun gibt es eine neue, ganz junge Familie Wachsmann.

1962–1964
Entwurf eines 50-geschossigen Hochhauses in Stahlskelettbauweise für Genua und mehrere Gebäude und Anlagen für das Hafenviertel in Genua.

1964
Wohnungswechsel nach Los Angeles. Hier konzipiert er große freitragende Hallen.
Professur an der Universität Süd-Californien.

1969
Mitgliedschaft im Vorstand des Bauhaus-Archivs in Berlin.

1970
Konrad Wachsmann erhält die Goldmedaille des Senats der Republik Italien für seine in diesem Land erbrachten Leistungen. – Es erfolgt eine Reise in die Sowjetunion, die einen Erfahrungsaustausch über moderne Bauweisen zum Inhalt hat.

1973
Der Architekt wird Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. – Die Technische Universität Stuttgart verleiht ihm ehrenhalber die Doktorwürde.

Seit 1976
Ehrenmitglied des Amerikanischen Architektur-Institutes.

1977
Auch von der University of Southern California wird ihm ein Dr. ehrenhalber angetragen.

1979
Wachsmann besucht nochmals seine Geburtsstadt Frankfurt (O.). Er wird eingeladen, um das Einsteinhaus in Caputh nach dem Abschluss der Sanierungsarbeiten zu besichtigen und wird von der DDR mit dem Einsteinpreis ausgezeichnet.

1980
Das sehr bewegte von anhaltenden Tiefen und hart erarbeiteten Höhen gezeichnete inhaltsreiche Leben von Konrad Wachsmann endet in Los Angeles, Kalifornien, USA, am 25. / 26. November 1980.

1981
Die Bestattung der Urne Konrad Wachsmanns findet nach seinem Wunsch in seiner Geburtsstadt, auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt an der Oder statt.

Nachtrag:
2012
Für Else, Charlotte und Konrad Wachsmann wurden in den Fußweg vor dem ehemaligen Wohnhaus in Frankfurt (O.) zum Gedenken an Familie Wachsmann und zur Mahnung an ihr Schicksal in jener Zeit, „Stolpersteine“ gesetzt.