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Mein kurzer Lebensabschnitt in Großbeuthen

Einige meiner Erinnerungen an die Jahre 1962 / 1963.

Lehrausbildung im landwirtschaftlichen Volkseigenen Gut,

einem Betriebsteil des „VEG 1. Mai Siethen“,

im damaligen Kreis Zossen, (nach 1990: Kreis Teltow-Fläming),

in der Deutschen Demokratischen Republik.

Einige Notizen über das Lernen in der Betriebsberufsschule,

zum Leben im Lehrlingswohnheim und zu verschiedenen

Begebenheiten in der praktischen Berufsausbildung, ...

verbunden mit einem Ausblick auf eine spätere Zeit

aus jener gewählt: die Jahre 1987 / 1988.


Autor: Chris Janecke, E-Mail: christoph@janecke.name

Internetadresse: www.janecke.name Aktualisiert: April 2023


Zu diesem Text gibt es hier einige Bilder.


Diese Notizen über die Erinnerungen sind gegliedert in:

* Vorbemerkungen

* Nun geht es los ...

* Der Hauptteil: Mein Brief an Anne-Dore

* Nachsätze

* Hinweis auf das Gästebuch

* Anhang 1: Erläuterungen zu den Abkürzungen und zur zeitgenössischen Wortwahl
* Anhang 2: ... über jüngere Schriften ... das Programm der Pädagogen in Großbeuthen zum Kampf um den staatlichen Ehrentitel „Kollektiv der Sozialistischen Arbeit“

* Anhang 3: Einige Einblicke in das damalige Zeitgeschehen.



Wir sind jung, die Welt ist offen (Wanderlied in der Arbeiterbewegung)


Wir sind jung, die Welt ist offen. Oh' du schöne weite Welt.

Unser Sehnen, unser Hoffen, zieht hinaus in Wald und Feld.

Bruder lass' den Kopf nicht hängen, kannst ja nicht die Sterne seh'n.

Aufwärts blicken, vorwärts drängen! Wir sind jung und das ist schön.

Aufwärts blicken, vorwärts drängen! Wir sind jung – die Welt ist schön.


Liegt dort hinter jenem Walde nicht ein fernes fremdes Land?

Blüht auf grüner Bergeshalde nicht ein Blümlein – unbekannt?

Lasst uns schweifen ins Gelände, über Täler, über Höh'n,

wohin auch der Weg sich wende – wir sind jung und das ist schön.

Wohin auch der Weg sich wende – wir sind jung – die Welt ist schön.


Auf denn auf, die Sonne zeiget uns den Weg durch Feld und Hain,

geht dabei der Tag zur Neige, leuchtet uns der Sternenschein.

Bruder, schnall den Rucksack über, heute soll's ins Weite gehn.

Regen, Wind, wir lachen drüber. Wir sind jung und das ist schön.

Regen, Wind, wir lachen drüber, wir sind jung – die Welt ist schön.


Text: Bremen 1914 von Jürgen Brand = Lehrer Emil Sonnemann (1869–1959),

Musik: Michael Englert / Heinrich Schoof / Hermann Böse




Vorbemerkungen:


Nun geht es los – mit der Vorbereitung der Lehrzeit:

Vor meinem Abschluss des 10. Schuljahres an der „ZAPO“, der Zehnklassigen Allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule in Potsdam-Babelsberg, steht vor mir die Frage meiner weiteren Entwicklung: Was nun? Klar ist schon mal: 'Was Tun! Etwas Gutes, Sinnvolles, was Freude und Erfüllung bringt – suchen wir also das Beste!


Als erstrebenswerter Inhalt erschien mir der freundliche Umgang mit etwas Lebendigem. Bereits unser bekanntes Grimm-sches Rumpelstilzchen hatte das seinerzeit als genauso begehrenswert empfunden: „Etwas Lebendiges ist mir lieber, als alle Schätze der Welt“, rief es damals laut aus – „es darf ein Schätzelein wohl auch sein“, so seine eindeutige Meinung, – der ich mich unbesorgt anschließen kann.

Eine Tätigkeit mit Pflanzen, Tieren und Menschen sollte es also möglichst sein – auf dem Lande.


Was hatte ich als Stadtkind aber denn schon bisher für Einblicke in die Natur gehabt, die eine „amtliche“ Wertung bei der Bewerberauswahl für eine Lehrausbildung finden könnten?




Vielleicht ist eine besondere Zuneigung zu Tieren irgendwo in meinen Genen zu finden. Schon mein Großvater, er hieß August Janecke (obwohl er erst im September geboren wurde, 1869–1950), ging bereits als Junge mit Pferden um. Sein humorvoller Onkel, August Zelm, sorgte aus „Jux und Tollerei“ dafür, dass er, sein Neffe, bereits 1881, im Alter von 12 Jahren, in das Kaiserliche Adressbuch der Stadt Berlin als „Fuhrherr August Janecke“ aufgenommen wurde. Dieser Spaß ist keinem Uneingeweihten aufgefallen, denn die damit angeregten Aufträge für Lohnfuhren erledigte dann der Onkel, mit Unterstützung des Neffen und hauptsächlich mit der Kraft seiner Pferde Hans und Liese. Solche Späße, das Leben deftig zu würzen, gab es wohl viele.


Doch solche Alltags-Romantik bestand nicht ewig. Mein Großvater war dann im Ersten Weltkrieg als Train-Soldat (Transport-Soldat) eingesetzt. Er hatte unter anderen Aufgaben mit den Zug-Pferden, den scheuen Fluchttieren, die Geschütze durch's schwere Gelände, mitunter im Stahlhagel, in die vordersten Linien zu schleppen, dort zu positionieren – und große Pferde duckten sich selten in einen Schützengraben. Trotzdem kam er aus dem Krieg zurück. Sein jüngerer Bruder Wilhelm, der Zimmermann aus Wittenberge, also mein Großonkel, dagegen nicht. Er fiel 1918 als Soldat „auf dem Felde der Ehre für Kaiser, Volk und Vaterland.“

Mein Großvater August half „im Felde“ häufig den Tierärzten und war bei ungezählten zu Tode verletzten Pferden, die selber wirklich niemandem etwas zu Leide getan hatten. Das alles ging ihm sehr zu Herzen, lief seinen eher pazifistischen Anschauungen zuwider, ihm, der die Tiere sonst aktiv mit intensiven Gedanken bedachte und mit nur leisen Worten lenkte.


Zurück in meine Alltage – oder wollen wir diese vorsorglich zu Festtagen erheben!: Im Frühjahr des 1962-er Jahres hatte unser guter Lehrer und Kunstmaler, Herr Willy Donath (1910–1997) uns Schüler beauftragt, für das Fach „Technisches Zeichnen“ einen Wohnzimmergrundriss zu erarbeiten. Herr Donath kam von seinem Wohnsitz aus Bergholz-Rehbrücke jeden Tag, bei Sonne, Regen, Wind und Wetter, bei Eis und Schnee auf seinem Fahrrad zu uns nach Babelsberg geradelt. Vor dem Krieg trug er den Titel eines Studienrates (in der DDR-Zeit dann nicht mehr).

Meine leichte Begeisterungsfähigkeit auch zu dieser Hausaufgaben-Thematik führte dann allerdings über die Aufgabe des Zimmergrundrisses hinaus, zum zusätzlichen Bau des Papp-Modells „Haus einer Tierklinik“ und einer Anzahl von Zimmer-Grundriss-Zeichnungen, auch für die dazugehörigen Wohnungen, einschließlich deren Möbelierung. Das Gebäude hielt sich in seinen Grundsätzen und dem Aussehen etwas „an das Gefühl und die Fußstapfen“ der Bauhaus-Architekten (Gründer: Walter Gropius, 1883–1969), die in Weimar, Dessau und Berlin ihre jeweils nur viel zu kurze Heimstatt fanden aber trotzdem auch in anderen Orten nutzbare „Bau-Denkmale dieser modernsten Strömung ihrer Zeit" errichteten. Viel zu kurz – weil sie in Architektur, Malerei und der Formgestaltung von Gebrauchsgütern, der Führung der National-Sozialistischen Arbeiterpartei, der Diktatur des „nationalen Sozialismus“, nicht passten – und das galt als gefährlich für die Freidenker, für die Könner. Es sind aber gerade diese Kultur-Stätten, die ich später besuchen und intensiv studieren werde. Das wusste ich aber damals (mit 16 Jahren) noch nicht. So etwas muss sich erst in Ruhe entwickeln, benötigt Reifung. Aber ich wusste natürlich bereits in jener Zeit, dass mich solche kreativen Unterrichts-Themen erheblich mehr dazu anregen für das Leben etwas zu tun, als das Lösen notwendiger, aber scheinbar „unfruchtbarer“ anderer Hausaufgaben.

Was lag also näher, als ... ? Doch vor solchen hochfliegenden Plänen stand vorerst die Notwendigkeit einer soliden Grundausbildung zum Facharbeiter für ... für etwas Geeignetem.


Ein großherziges Ausbildungsangebot erreichte mich vom Zoologischen Institut Potsdam, idyllisch im Park Sanssouci gelegen. Der Professor nahm sich viel Zeit für mich und stellte mir ausführlich und in den schillerndsten Farben die Arbeitsweisen und Tätigkeitsergebnisse eines Tier-Präparators vor. Doch ich Undankbarer verabschiedete mich zwar warmherzig, aber ohne sein Angebot anzunehmen – denn jene Tiere die ich hier betreuen sollte, waren für meine Vorstellungen schon viel zu tot.

Sehr bald fiel meine Wahl auf den Ort Großbeuthen im Kreis Zossen. Landwirtschaftliche Lehre im „Volkseigenen Gut Siethen, Betriebsteil Großbeuthen“, mit Acker- und Pflanzenbau sowie Tierhaltung, mit dem Betreuen von Rindern und Schweinen. Das ist doch 'was Lebendig-lebensfrohes! Seit dem Herbst des Jahres 1961 gibt es außerdem in der DDR und auch gleich dort in Großbeuthen, die Möglichkeit der „Berufsausbildung mit Abitur". Wie günstig – ein „Sprungbrett“, wenn man noch weiter lernen oder gar studieren möchte. Die erste Frage, die ich nur mir leise stellte, lautete: Warum kürzt man Volkseigenes Gut ausgerechnet in der Schreibweise „VEG“ ab?

Zum Bewerbungs- und Vorstellungsgespräch holte uns, meine Mutter und mich, der Direktor der Berufsschule, Herr Bruno Abromeit, persönlich mit dem Auto, einem Trabant-Kombi 600, vom Bahnhof Thyrow ab.

(Also „Herr“ schreibe ich nur in Gedanken an meine Mutter. In der DDR war das sonst eher unüblich. Die „Werktätigen“ sind „Kollegen", besser noch „Genossen“. In Akademiker-Kreisen spricht man sich auch mal mit „Frau Kollegin“ oder „Herr Kollege“ an – das sind so Ausnahmen, die wahrscheinlich dort im Großbeuthener Schweinestall gewiss eher nicht üblich sind).

Vom Ort Thyrow aus rollen wir auf dem Sandweg etwa 4 Kilometer durch den Wald nach Großbeuthen. Dort plaudern wir über meine soziale Herkunft, mein bisheriges, schon 16 Jahre langes Leben, meine Weltanschauung und die Parteilichkeit im Allgemeinen und im Besonderen, also über meinen „Klassenstandpunkt“. (Das Lied dazu: „Sag mir wo du stehst!“, wird erst später, etwa 1966, von Hartmut König geschrieben werden). Über Hobbys sprechen wir, über meine gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten und über die bisherigen schulischen Leistungen – ob diese wohl einer Ausbildung auf dem Lande würdig sind?


Es schließt sich ein Rundgang über das Betriebsgelände und durch die Schule sowie das Wohnheim an. Ein inhaltsreicher Nachmittag, bis uns der Chef des Hauses wieder nach Thyrow zum Bahnhof bringt. Ein erstaunlicher, ein sehr zu würdigender Aufwand, der einem jeden eventuell künftigen Lehrling entgegengebracht wird? Ich kann es kaum glauben – hat der Direktor etwa solche Individualveranstaltungen ca. 120 x in jeweils drei Lehrjahren vollbracht, denn es kommen ja in jedem Jahr zwei neue Klassen, also etwa 40 neue Lehrlinge dazu – um „den Verlust“ der fertigen Facharbeiter wieder aufzufüllen ... oder wie verlief dieser „Schnupperbesuch“ bei anderen Bewerbern?

Nun ja, viel später vernahm ich, dass zumindest das Abholen vom Bahnhof für uns eher eine Ausnahme gewesen sei. Womit mögen wir das nur verdient haben? Ich werde es nie erfahren. Andere, die ebenfalls kein Auto besaßen, mussten das selber organisieren.

Herr Abromeit fährt mit seiner Beinprothese nicht nur Auto; zuweilen benutzt er sogar das Touren-Awo-Motorrad. – Ach so, ja, ich wurde als Lehrling angenommen.


Was ich bisher über diesen meinen künftigen Lebensmittelpunkt Großbeuthen weiß?

Dieses Wenige lese ich jedoch erst später nach.


Im Moment (Juli / August 1962) sind aber Ferien. Meine letzten großen Sommer-Schulferien. Mit meinem Moped rolle ich rund 600 Kilometer kreuz und quer durch die Bezirke Potsdam, Magdeburg und Schwerin. Dafür reicht gerade eine Tankfüllung von 12 Litern. Ich habe ein Moped, wie man es in der gesamten DDR nicht nochmals findet: Metallic-weinrot lackiert, Grundkonstruktion SR 1 (Simson-Suhl) aber mit Sitzbank vom Motorroller „Wiesel“ und dem Motorrad-Tank der AWO (nach meiner eigenen Umbau-Konstruktion, geschweißt von meinem verehrten väterlichen Freund, dem Fahrzeug-, Bau- und Reparatur-Schlosser Erich Quast in Potsdam-Babelsberg, Fultonstraße 5).

Für die jüngeren Leser: „AWO“ heißt hier nicht Arbeiterwohlfahrt, sondern ist die Abkürzung von „AWTOVELO“, einer russischen Bezeichnung für die Sowjetisch-DDR-Zweirad-Fahrzeug-Aktiengesellschaft, die in der schönen thüringischen Stadt Suhl ihren Sitz hatte – in den Fabrikanlagen des früheren privaten Betriebes der jüdischen Familie Simson.


An dieser Stelle gebe ich euch ausnahmsweise einen Brief zur Kenntnis, den ich rund ein halbes Jahrhundert nach dieser Zeit schreibe:


Liebe Anne-Dore, (Das ist aus gewünschten Datenschutzgründen der einzige frei erfundene

Name. Alle anderen, die ich in diesem Text nennen werde, sind ziemlich echt).


als Antwort auf Deine Fragen zu Großbeuthen habe ich zusammengetragen und im Folgenden aufgeschrieben, woran ich mich erinnern kann. Wahrscheinlich fiele uns, wenn wir jung Gebliebenen gemeinsam über die alte Zeit schwatzen würden, weitaus mehr ein. Zu meinen Notizen muss ich angesichts deren „Lückenhaftigkeit“ aber sagen, dass ich wegen des notwendigen Abbruchs der Lehre nur während der zu kurzen Zeit von September 1962 bis September 1963 in Großbeuthen weilte. Somit bin ich eigentlich ein Wenig-Wissender und habe nicht viel zu sagen. Deshalb kann ich mich mit meinen Erinnerungen auch kurz fassen. Zumindest relativ. – Von dem Wenigen das ich weiß, schreibe ich aber auch nicht alles auf, wenn es bestimmte Interessen anderer lebender Menschen berührt und deshalb besser Diskretion angemessen scheint.

Wie Du Dich richtig erinnerst, war unsere Schule in die Klassen Lw A 1 bis Lw A 3 und Lw 1 bis
Lw 3 gegliedert (Landwirtschaftliche Berufsausbildung mit Abitur, 1., 2., 3. Lehrjahr, beziehungsweise auch ohne – bei gleicher Ausbildungsdauer); bei Euch, den Klassen aus der Erweiterten Oberschule Ludwigsfelde, war die Bezeichnung wohl umgekehrt: „Abitur mit landwirtschaftlicher Berufsausbildung“ oder so ähnlich. Trotz meines verkürzten Aufenthaltes war diese Zeit für mein Leben sehr wichtig und ich will die Erinnerungen an dieses Jahr und dabei vor allem an Euch sowie auch die Erfahrungen, die mir dieses Gemeinschaftsleben brachten, nicht missen.

Nun ist seit jenen Tagen aber mehr als ein halbes Jahrhundert mit uns durch Land geeilt ... und auch ich fand die Bremse nicht, um die Zeit anzuhalten. Manches mag in diesem Zeitraum in meiner Erinnerung verblasst sein, verschiedenes steht mir aber deutlich vor Augen. Gewiss haben wir noch Erinnerungen an gemeinsame Mitschüler. Allein die Großbeuthener Lehrlinge = Berufsschüler waren zu dieser Zeit (siehe oben) in sechs Klassen gegliedert – etwa 120 Lehrlinge und dazu noch Ihr, die Ludwigsfelder Mädchen. Eure männlichen Klassenkameraden wurden ja wohl hauptsächlich zum „Abitur mit Facharbeiter des Landmaschinenschlosserhandwerks“ im Kreisbetrieb für Landtechnik, in Nächst Neuendorf untergebracht. Und das war ja auch sehr gut so – für uns Jungs in Großbeuthen.

Einige der Mitschülerein Abschnitt, der für Außenstehende höchst langweilig ist.

An eine Reihe von Mit-Lehrlingen kann ich mich noch lebhaft erinnern, sehe sie auch heute als 14- bis 18-Jährige vor mir. Ich werde hier aus dem Grunde des Datenschutzes nicht die vollen Namen erwähnen, obwohl es mir bei fast allen möglich ist ... aber ich kann nicht jeden erreichen und um eine Zustimmung bitten – aber wem wie mir das Herz noch jugendlich überquillt, dem läuft auch die Erinnerung leicht aus der Feder und vielleicht denkt ein Leser sogar konkret an jene Menschen und an die hier beschriebene Umgebung, eingebettet in die damalige Zeitgeschichte. So stehen diese Namen nicht zum Selbstzweck hier, sondern regen ehemalige Mit-Lehrlinge eventuell zu Erinnerungen an.

Aus unseren Lw- und LwA-Klassen erinnere ich mich z. B. unter anderen an:

A: Achim Ne. - Anita Ru.,

B: Bärbel Wil. - Bernd Ha. - Bernd Hei. - Bernd Kr. - Bodo Kin.

C: Claus Kar.: immer sorgfältig gescheiteltes Haar, mit „Glätt-Pflege“, Besitzer eines Fahrrades mit Anbaumotor, von anderen respektlos „Hühnerschreck“ genannt. In der Freizeit bastelte er gern. Kein defektes Radio war vor seinen Reparatur-Künsten sicher. – Dann Christian Feu. (Jimmy) - Chris Jan. (Goofy),

D: Detlef W.

E: Egbert Mäc. - Erika Ebe. - Erika Let. - Erika Zim. - Erwin Bow. (Bobby) - Eva Kre.
F: Ferdinand Rib.

G: Gabriele Köh. - Gerd Lin.: Er saß besonders gern und oft auf dem Raupenschlepper, so auch, wenn es galt, Sauerkraut (Silagefutter) herzustellen. – Des Weiteren: Gerd Mag. - Gerd Mül.
Gerd Rau.: oft die Gitarre zur Hand, komponierte und textete auch selber, so das Beuthen-Lied: „Jeden Abend an der Ecke ...“. - Gerd Sva. - Günter Böh.

H: Hannelore Bor. - Hannelore Rie. - Hans-Joachim Soy. (Jacky) - Hans-Joachim Vog. (Satchmo),

Hans-Jörg Bug. - Hans-Jürgen Sch. - Harald But. - Harald Kun. - Harald S. - Hartmut Brü., Heidemarie He. - Heidi Rub. - Heidi Sch. mit langem, superweich-gepflegtem Blond-Haar -
Heidrun Cel. - Helmut Pla., der eine 125-er Jawa besaß und auch ein Banjo. - Horst Fel.
Horst Hap. - Horst Sch. - Horst We.

I: Ilsetraut (IIle) Kup. - Inge Tom., blond-gelockt und ihr Verlobter, dessen Name mir entfallen ist. Ingrid Sch., sehr kumpelhaft, gelassen und eine stets freundliche Seele. - Ingo Mro.

J: Jens Te. - Joachim Böt. - Jürgen Söh. (Bummi, gastweise auf der MZ - ES 250).

K: Karin Hae., mit kurzem Ratzeputzhaarschnitt, fast immer vergnügt. Mit diesem freundlichen Weibchen konnte man Pferde stehlen gehen (was aber nicht nötig war – wir hatten ja genügend). Klaus Eis. - Klaus Mül. - Kurt Qua.

M: Margarete Sch. - Marlis Spe., auch sie ein freundliches großes Seelchen und prima Kumpel. Manfred Bo. - Michael Son. - Monika Hel.

O: Otto Bul. - Otto Jac.

P: Peter Fe. - Peter Kri., besaß als Motorrad, eine tschechoslowakische rote 250-er Jawa.

Peter Wie. - Peter Val. (Uhu), durfte als einer der Ältesten sogar mit seinem Jagdhund gemeinsam in einem Zimmer wohnen.

R: Rainer W. - Renate Puh. - Renate Ri. - Rolf Toc. - Siegfried Hof. - Sonja Kir. - Udo Kri., der noch damals in Ostpreußen geboren war, sah er schon als Kleinster viel Leid auf der „Reise“ ins Brandenburger Land. Er wurde 58 Jahre alt (1944–2002) und ruht im Babelsberger Friedgarten an der Goethestraße.

U: Ursula Nie. - Ursula Fe. - Ursula Pfa. - Uta Geb.

V: Vera Cha. - Vera Nis.

W: Werner Fue. - Werner Roh. - Wilhelm Ru. - Willi F. - Wolfgang Sch. I - Wolfgang Sch. II.

Z: wie zusätzlich ... viele andere, deren Namen ich nach diesen Jahrzehnten nicht mehr im Kopf habe, denn es waren ja mehr als 120 Jugendliche, aber auch diese sollen nicht vergessen sein.

Was hatten die elterlichen Naturen doch oft für reizende Menschen hervorgebracht!

Ich hoffe inständig, dass die Liste zumindest eine Anregung für die Wahl althergebrachter Namen für die eigenen Ur-Enkel-Kinder bietet.

Zu Hause waren die Mitschüler in Alt Krüssow, Babelsberg, Berlin, Blankenfelde, Brandenburg, Glienick, Kleinmachnow, Nauen, Paulinenaue, Potsdam, Radewege, Roskow, Stahnsdorf, Werder (Havel) und in vielen weiteren Orten.

Die Mädchen aus Ludwigsfelde

Vom Ludwigsfelder Oberschul-Internat, also aus der Klasse, die zeitgleich mit unserer 11. im Herbst 1962 in Großbeuthen das 9. Schuljahr begannen, gehen mir nicht aus dem Kopf: Das sehr sympathische Mädchen Helga Thy., aus Neu-Wünsdorf, die üblicher Weise mit violetter Tinte schrieb und der leider ein nur sehr kurzes Leben beschieden war. Die liebe Gabriele Die., die zierliche Angelika Kla., dann die blonde Monika Bec. und auch Monika Grz., diese aber dunkler, Ingrid Mae., Barbara Mie., Ginga Eic. es waren weitaus mehr.

Dann aus der Klasse, die im Herbst 1963 zu uns kam, die Biggi, von der es ein „Prinzessinnen-Bild” im Petticoat auf der „Wartburg"-Motorhaube sitzend gibt und daneben in Natur genau das gleiche aber lebendige sonnengebräunte Mädchen, geradewegs vom Acker kommend, ein starker natürlich-reizvoller Kontrast. Dann Marion Ni. aus dem gleichen Jahrgang und viele andere mehr.

Insgesamt waren es eben doch noch viele mehr. Sie waren zu Hause in Klausdorf, Ludwigsfelde, Wünsdorf, Rangsdorf, Trebbin, Zossen und sonst wo.

Ich sehe alle fröhlich und gesund wie damals, auch in diesen heutigen Tagen vor meinem „geistigen Auge“, obwohl ich weiß, dass jetzt (2020) eine Anzahl dieser damaligen Mitschülerinnen und Mitschüler nicht mehr am Leben ist, die ich zumindest in Gedanken hier aber ebenfalls erwähnen und damit ehren möchte.

Ihr Mädchen aus dem Ludwigsfelder Oberschulinternat ward sowohl in unserer Schule, also im Obergeschoss des alten Gutshauses, über den Klassenräumen untergebracht, wie auch im Wohnheim „in der Aula“, also im Saal über dem Eingang, der wohl sonst zu jener Zeit nur selten anderen Zwecken diente. Ich entsinne mich daran, dass zum Lehrjahresbeginn die künftigen Lehrlinge und ihre Eltern im Speiseraum mit einer Festrede begrüßt wurden, dann jedoch die der SED-angehörenden Eltern aufgefordert wurden, sich zwecks Konstituierung einer Eltern-Parteigruppe in eben jenen Saal zurückzuziehen, um das eigentlich Wesentliche, das noch Wichtigere, dessen Inhalt nicht zum Gemeinwissen werden sollte, etwas abgesondert zu besprechen. Ich nahm an, dass sich eine solche wichtige Elternparteigruppe wohl kaum im gleichen Kreise je im Leben nochmals zusammenfinden und wiederbegegnen würde.

Mit dem Beginn der Lehre wurden wir Lehrlinge fast automatisch Mitglieder des FDGB, also des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, Gewerkschaft Land und Forst.


Unsere Postanschrift lautete nun:

Lehrling Maxine oder Maximilian Mustermann,

Volkseigenes Gut Siethen, Betriebsteil Großbeuthen,

Betriebsberufsschule / Lehrlingswohnheim Großbeuthen,

Kreis Zossen, Telefon: Trebbin 531 (Schulsekretariat)


Das Angeben von Straße und Hausnummer ist nicht erforderlich. Es wäre überflüssig.


So also! Und ich fühlte mich inzwischen ganz schön reich:

Wir erhalten 75,- Mark „Lehrlingsrente“ pro Monat im ersten Lehrjahr. 30,- Mark wurden abgezogen für die Unterkunft und das gute Essen. Blieben dem Lehrling satte 45,- Mark der DDR / Monat für vielerlei kleine Ausgaben „des täglichen Bedarfs“ Mancher gab davon bei den Eltern etwas ab.


Die Ausbildungsfächer in der Berufsschule


Mathematik

Russisch

Englisch

Fütterungslehre

Physik

Staatsbürgerkunde

Betriebsökonomie

Landtechnik

Chemie

Geschichte

Tierhaltung

Innenmechanisierung

Biologie

Sportunterricht

Rinderzucht

Erdkunde

Deutsche Sprache –

Literatur

Acker- und

Pflanzenbau


Die Bewertungskriterien in der berufspraktischen Ausbildung


Arbeitsweise

Theoretische Lehrstoffe im berufspraktischen

Unterricht

Qualität der Arbeit

Hausarbeit > Praxis < am Ende des Lehrjahres

Einhaltung der Zeitvorgabe bzw. quantitative

Leistung



Unsere Lehrer in der Betriebs-Berufsschule

Von den Lehrern hast Du, liebe Anne-Dore, kaum jemanden gesehen, da Euer Unterricht an der EOS in Ludwigsfelde stattfand. Mit den Pädagogen hatten wir ein sehr gutes Einvernehmen. Es waren großartige Menschen. Unser künftiges Wissen hielten für uns vorrätig und vermittelten es uns:


Herr Bruno Abromeit (1923–1989, sein Name vom Litauischen ins Deutsche übersetzt: Ein Nachkomme des Abraham, hier aber bei ihm inzwischen wohl ohne einen Anhauch des Mosaischen. Er war von Beruf Landwirt und Berufsschullehrer, war von 1956–1984 der Direktor der BBS und außerdem stellvertretender Parteisekretär der SED des Volkseigenen Gutes Siethen. Er hatte im Sommer 1962 einen nagelneuen „Trabant-Kombi 500“ – wohl ein Dienstfahrzeug – bekommen. Außen lindgrün, innen beige mit hellbraunen Kunstleder-Sitzbezügen. Den Wagen durften wir gleich ausprobieren, als er uns zum Vorstellungsgespräch vom Bahnhof Thyrow nach Großbeuthen abholte.

Herrn Abromeits Lebenskreis schloss sich mit 65 Jahren, mit seinem Eintritt in das Rentenalter, im Jahre 1989. Er erlebte die politische Wende – eine Zerstörung seines Lebenswerkes – nicht mehr.

Herr Konrad Utemann, unser Klassenlehrer, lehrte unter anderem Acker- und Pflanzenbau, Biologie und Landtechnik. Er wohnte an der Großbeuthener Dorfaue, nahe bei der Kirche.

Ein zartnervig-sensibler, sparsamer und verständnisvoller und stets freundlicher Mensch.

Herr Hugo Brandt hinterließ zwar äußerlich den Eindruck von Gelassenheit, „brannte“ aber tatsächlich in Leidenschaft für seine Lehrtätigkeit. Er kam aus Berlin-Weißensee, bewohnte aber im Lehrlingswohnheim eines der bescheidenen Zimmer. Er unterrichtete uns in „Maximus – Lenimus“ (Staatsbürgerkunde, Geschichte und Deutsch). In seinem interessanten Deutsch-Unterricht behandelten wir unter anderem die frühe Bilderschrift, streiften oberflächlich die germanischen Runen, hörten Alt- und Mittelhochdeutsches, lernten dabei den Stabreim kennen – die beiden Merseburger Zaubersprüche und das Hildebrandlied bzw. des Hildebrands Lied. Selbstverständlich beschäftigten wir uns mit dem bedeutend jüngeren Nibelungenlied, das erst um 1210 entstand und vielem mehr. Darauf komme ich aber später nochmals zurück.


Natürlich wurden auch den Unterrichtsstoff würzende aktuell-politische Fragen behandelt, zum Beispiel solche: „Wie sollte man das Brudervolk der Volksrepublik Polen auf dem festen Kurs zum Sozialismus halten, den die Staaten des Warschauer Vertrages pflegen?“ Schließlich wurden dort in Polen seit kurzer Zeit in abweichlerischer Manier Bluejeans, Arbeitshosen, beinahe-fast nach USA-Vorbild produziert – dort in Polen aber eher als Festgewand genutzt. (Pfui Teufel, noch eins)! Zwar waren diese Beinkleider aus Mangel an geeignetem Material keine so völlig echten und festen Niethosen aber immerhin dünnere, weichere blaue „Nahthosen“ mit zwar nur entfernt bestehenden, doch unverkennbaren ideologischen Ähnlichkeiten. Klar, wir wissen: alle Hosen haben Nähte. Diese hier waren jedoch als Schmuck- und Ziernähte extra mit gelbbraunem Zwirn kontrastierend hervorgehoben. „Man erkennt die eindeutige Absicht – und ist verstimmt“.


Und hatte mal wirklich einer von uns ein Original-Kleidungsstück dieser Art aus dem Westen, so musste zumindest das lederne Herstellerzeichen abgetrennt oder abgeschnitten werden.

Wir laufen nicht Reklame für den Westen!“ „Wir brauchen keine Nieten in Nieten-Hosen“ so die staatliche Botschaft. – Was sollte aber das Abtrennen, was sollte der eigenartige beabsichtigte Schein, – dass die tollen Hosen eher auf unserem Staats-Boden geschneidert worden seien? –

Ja, es gab besonders zwischen 1953 und 1968 doch immer wieder solche dramatischen „bedenklichen Tendenzen“, denen es (z. B. mit dem Abschneiden des Lederstückchens) parteilich klar, gefestigt und klassenbewusst entgegen zu treten galt. Wie gut, dass wir doch seit 1961 „von der Mauer“, dem „Antifaschistischen Schutzwall“ beschützt wurden. – Möglicher Weise erörterte man in der eingangs erwähnten Teil-Elternversammlung auch ähnliche wichtigen Themenkreise. Wie auch immer – wir waren ja nicht dabei, wir hörten absolut nichts darüber, was über uns und unsere Ausbildung Gutes besprochen wurde.

Einige Blicke in Deutsch-Unterrichtsstunden

Unser Lehrer Hugo Brandt besprach mit uns auch die noch druckfrischen Gedichte des Volker Braun über die moderne „Schlacht bei Fehrbellin“ und das „Jugendobjekt“ im Rhin-Havel-Luch.

Volker Braun war 1939 geboren worden, seit 1960 und wohl bis '64 ein Student der Philosophie in Leipzig und von der SED als Parteigruppenorganisator bestimmt. In den Semesterferien im Juli und August '62 war auch er im Jugendobjekt Rhin-Havel-Luch zum Arbeitseinsatz. Dieses Luch, ein sehr feuchtes Niederungsgebiet, liegt etwas nördlich von Paulinenaue, wo unser Mitschüler Udo Kri. zu Hause ist.

Es geht im Gedicht „Die Schlacht ...“ darum: Die hier eingesetzten Leipziger Studenten, suchen nach des Tages Arbeits-Schlammschlacht zur Erholung die gastliche Stätte des Ortes auf. Als sie nachts den Saal verlassen, werden sie von einheimischen Jugendlichen angegriffen. Es gibt ein kleines aber heftiges Schlachtgetümmel. Das Gedicht zielt auf die Kernfrage ab: Wir auswärtigen Studenten legen hier das Luch in eurer Region trocken. Wo aber seid ihr, die hier Geborenen? Wie dürftig sieht euer Wille zur Mitarbeit aus? Was hattet ihr aber stattdessen geplant? Eine Antwort der Befragten, der Gegenseite, ist im Gedicht noch nicht enthalten. Vielleicht erfolgt eine Fortsetzung dieses Dichtwerkes? Das erschiene zweckmäßig.

Das zweite Werk „Jugendobjekt“ befasst sich auch mit der Arbeit. Beim meliorativen Schaufeln von Gräben für den Abzug des Wassers machte er, Volker Braun, sich so seine Gedanken über eben diese Tätigkeit. So teilt er uns im Gedicht seine bei der Arbeit frisch gewonnenen Erfahrungen als Student der marxistischen Philosophie und Parteigruppenorganisator der Sozialistischen Einheitspartei (SED) mit. Das Denkergebnis erscheint mir als sehr ehrlich aber auch ungewohnt, ist mir fremder, als die Gedichte der Herren Goethe und Schiller. Das aber ist nur mein unmaßgeblicher Eindruck. Vielleicht habe ich nicht alles genau so verstanden, wie es sich aus ihm, dem Dichter, herausdrängte. Er ist ja immerhin schon 23 Jahre alt und erfahren. Wenn er uns doch selbst die Schönheit seiner Dichtkunst erläutern würde – das aber ist nicht im Lehrplan vorgesehen.

Seine für uns noch ungewohnte Textgestaltung wurde wohl von verschiedenen Leuten der eigenen Partei strenger kritisch beäugt, von anderen mit Freude und großem Wohlwollen aufgenommen. Hier könnt ihr es lesen, um neues Wissen zu erwerben und Euch eine eigene Meinung zu bilden:


Jugendobjekt


Blaßrot ziehn sie die Sonnenscheibe hoch über dem Rhinluch

Blaßrot und rund schwimmt sie in der Himmelssuppe

Blaßrot und rund und spät, wenn wir schon wackeln


Wenn wir schon wackeln in der unnachgiebigen Erdsuppe

Wenn wir schon wackeln und schwitzen an diesen lumpigen Handbaggern

Unter der blauen Sonnenfahne, wenn wir schon schwitzen


Eh sie die Sonne hochziehn und für die paar Piepen

Für den versengten Rücken und Dreck im Ohr und billige Blutwurst

Und für getrocknete Felder und Butter, Leute, Butter!


Ja, für Butter, mit diesen erbärmlichen Handbaggern, schaufeln wir

Uns die Brust voll Ruhm und Hoffnung, schaufeln ein Vaterland her

Eh sie noch richtig hochkommt, die Sonne, über den Gräben im Rhinluch


Eh sie noch richtig gelb und bunt durch den blauen Himmel schwingt

Schwingen wir unsere lumpigen Suppenschaufeln unter der Sonnenfahne

Eh sie noch gelb und bunt wie blanke Butter hochschwingt, die Gute!


–––––


Das war also ein Teil der Gedanken des Volker Braun über seinen schier heldenhaften Arbeitseinsatz im Rhinluch, im praktischen Leben während des „Studentensommer 1962“.

Begriffe wie „Landmelioration“, „FDJ-Jugendobjekt Milchader“, „Egon und das achte Weltwunder“ fallen mir leicht bei dieser Dichtung ein und etwa dorthin wird später auch die „Zeit der Störche“ passen. Nun, alle Vergleiche dürfen auch ruhig mal ein bisschen hinken.


Nachtrag: 60 Jahre später machen wir uns Gedanken darüber, die in den 1960-ern entwässerten und trockengelegten Moore und Sumpfgebiete zu rekultivieren, wieder für eine Bewässerung zu sorgen, die Flächen der Natur zurückzugeben, weil das inzwischen in mehrfacher Hinsicht als vorteilhaft erscheint.


Was aber mag der Partei (den Beurteilern der SED), vielleicht auch anderen Lesern, am Dichtwerk überhaupt nicht oder aber besonders gefallen haben? Schlüpfen wir nun also gedanklich in einige Menschen hinein, sinnen kurz über das Für und Wider nach und geben einige der Gedanken zu Papier. So, wie wir es im Unterricht taten.

Zu jenen Gedanken gehörten auch solche, denen wir hier nachstehend eine Stimme geben. Es sind keine Zitate damaliger Lehrlingsäußerungen, sondern der Versuch solche nachzugestalten:




Volker Braun ist wohl recht produktiv, schreibt gern und schnell über gar manches – zu vielen Situationen und Begebenheiten des Lebens hat er uns Tiefgehendes ins Poesiealbum zu sprechen.– Und so freut er sich auch, dass er dort im moorigen Luch als Parteiarbeiter nicht alleine für Ruhm, Hoffnung und Vaterland geschaufelt hatte, sondern ehrt das Wissen und das Tun der Massen mit seinem nun folgenden Lobgedicht. Dieses Werk wirkt nach dem vorigen so, als hätte man Volker Br. zwischenzeitlich mit schönem Erfolg in ein gehirnläuterndes Reinigungsbad geschubst – vielleicht erschien es ihm aber auch als angeraten, mehr oder weniger freiwillig hinein zu plumpsen? Wer von uns Außenstehenden weiß das schon? – Wir waren ja bei der erziehenden Diskussion mit ihm nicht dabei. Wir lesen lediglich eines seiner nächsten Werke:


Lob der Massen


Die Partei arbeitet für alle

Aber sie schafft nicht alle Arbeit.

Die Partei weist einen Weg

Aber sie braucht die Weisheit aller.

Nur alle sind gerade genug.


Von ihnen geht sie aus, und zu ihnen geht sie

Aber in ihnen wird sie aufgehen ganz.


Sie sind die Kraft der Partei.

Sie sagt: richtet euch auf!

Und sie erreichen die volle Größe.

Die Partei ist der Vortrupp

Aber sie sind das Heer

Das die Schlacht schlägt.


Hübsch, nich? – Dann bot uns unser exzellenter Lehrer Hugo Brandt ein weiteres Gedicht an – vom sowjetischen Dichter Wladimir Wladimirowitsch Majakowski (1893–1930).

Jener nannte seine offenen Worte „Geheimnis der Jugend“ und es liest sich so:


Geheimnis der Jugend


Nein, nicht jene sind jung,

die gelümmelt ins Boot und auf Wiesen

mit Grölen und Johlen den Trunk

sich hinter die Binde gießen.


Nicht jene nenne ich jung

die nachts, unter Frühlingshimmeln,

als Modenarren mit Schwung

glockenhosig am Bummelplatz bimmeln.


Nein, nicht jene sind jung,

die des Lebens Frührotfreuden

beim frühesten Knospensprung

in Liebschaften billig vergeuden.


Heißt das etwa Jugend?

Nein.

Es genügt nicht achtzehn zu sein.


Jung nenne ich jenen, der unverzagt,

zur gelichteten Kampfesschar der Alten,

im Namen der Nachgeborenen sagt:

Wir werden das Dasein umgestalten.


Jugend – der Name ist Gabe, die ehrt,

an die junge Garde der Zukunftsmacht,

an den, der uns streitbaren Frohsinn beschert

und unsere Tage glücklich macht.


... und auch über dieses Gedicht diskutierten wir im Unterricht. Worüber wir aber nicht sprachen: ich finde, man muss den nicht genannten und uns unbekannten Übersetzer, aus dem Russischen ins Deutsche, ebenfalls ehren. Zwar sind es wohl die originalen Gedanken von Majakowski aber das Finden der rechten Worte und das reimende Zusammenfügen in unserer Sprache – beim Beibehalten des ursprünglichen Inhalts – das ist doch auch eine nicht zu unterschätzende Kunst.

Soviel nun „als Kostproben“ zum Inhalt, zur Praxis des Reimens und der Dichtkunst überhaupt.


Herr Brandt fuhr mit uns sogar in die Berliner Staatsoper zu Richard Wagners „Tannhäuser“, den er auch als Unterrichtsstoff ansah. Seine Gedanken zu diesem Werk hatte er bereits vorher an uns weitergegeben. Es war für uns wie eine Auszeichnung aber trotzdem nicht leicht: Nach dem Arbeitstag verpackten wir uns, also jeder sich selber, in eine eher selten genutzte Festrobe (Anzug, Kleid) und so angetan bewältigten wir den Vier-Kilometer-Marsch auf dem Wald- und Feldweg von Großbeuthen zum Bahnhof Thyrow. Die Dampflokomotive des einfahrenden Zuges hüllte uns und die bereits leicht angeschwitzten weißen Blusen und Hemden in schwärzlichen Rauch. Sodann begann die etwa eineinhalbstündige entspannende Fahrt nach Berlin. Anschließend saßen wir drei Stunden müde im preisgünstigsten sehr warmen obersten Rang der Staatsoper, um der Darbietung zu folgen. Zum Glück war mir dank meiner Eltern die herrliche Musik Richard Wagners und der Text auch dieser Oper seit langem gut bekannt, sonst hätte es auch mir recht schwer werden können, dort wach durchzuhalten. Na, und der Rückweg, allerdings in erfrischender Nachtkühle, erfolgte dann in vergleichbarer Weise. Ein großer und langer Abend!

Beim Lehrer, Herrn Hugo Brandt, besprachen wir auch alte Monatsnamen – und das ging etwa so:

Die Monatsbezeichnungen zur Zeit Karl des Großen (Carolus Magnus, 768-814)


Monat

lateinische Bezeichnung

Benennung nach

Karl dem Großen

Erläuterung, und german. Bezeichnungen

01

Ianuarium

uuintarmanoth => Wintar-Manoth, auch hartung

Winter-Monat

der Härteste (Kälteste)

02

Februarium

hornung

Hornung. Beginn des Hörnerwachstums (Hirsche ...)

03

Martium

lenzin-manoth

Lenz-Monat, Frühling

04

Aprilem

ostar-manoth

nach der Frühlingsgöttin Ostera

Oster-Monat,

05

Maium

uuinnemanoth => Winne-Manoth

Weide-Monat

06

Iunium

brach-manoth

Brach-Monat, Bearbeitung brachliegender Äcker

07

Iulium

heuui-manoth => Hewin-Manoth

Grasschnitt, Heu-Monat

08

Augustum

aran-manoth

Ernting, Ernte-Monat

09

Septembrem

uuitu-manoth => Witu-Manoth

Holz(fäll)-Monat od. Scheiding (Abschied vom Sommer)

10

Octobrem

uuindume-manoth => Windume-Manoth

Weinlese-Monat od. Gilbert (Vergilben der Blätter)

11

Novembrem

Herbist-Manoth

Herbst-Monat oder Nebelung,

nebelreicher Monat

12

Decembrem

Heilag-Manoth

Heilig-Monat oder Julmond = Monat d. Julfestes (Scherzfest)


Wie ich eben bereits erwähnte, hatten wir im gleichen Lehrabschnitt „Deutsche Sprache - Literatur“ unter anderem auch die Kunst des Reimens. Ich frische euer umfangreiches Wissen hier kurz auf.

(Die folgenden Texte konnte ich allerdings nicht auswendig und habe daher ein halbes Jahrhundert später – also jetzt – bei Wikipedia im Internet frisches Wissen „nachgetankt“).


Der Beginn des Hildebrands-Liedes (geschrieben um das Jahr 800 nach Christus oder n. „u. Z.“):


Althochdeutscher Stabreim

Neuhochdeutsche Übersetzung (ungereimt)

Ik gihorta dat seggen

dat sih urhettun aenon muotin,

Hilitbrant enti Hadubrant untar herium tuem

sunufatarungo iro saro rihtun.

gartun se iro gudhamun, gurtun sih iro suet ana,

helidos, ubar hringa, do sih to dero hiltiu ritun,

Hiltibrant gimahalta (Heribrantes sunu)

her uuas herero man ....

Ich hörte es sagen,

dass sich die Herausforderer begegneten,

Hildebrand und Hadubrand zwischen zwei Heeren,

Sohn und Vater richteten ihre Kampfgewänder,

gürteten sich ihre Schwerter um,

die Helden, über Rüstungen, als sie zum Kampf ritten, Hildebrand (Heribrands Sohn) sprach,

er war der ältere Mann ...



Den ersten der beiden nun folgenden Merseburger Zaubersprüche behandelten wir nicht im Unterricht – aber ich stelle diesen trotzdem vor. Diese germanischen heidnischen Sprüche haben übrigens mit Merseburg nichts zu tun. Sie wurden dort lediglich im Domstiftsarchiv zwischen den Sammlungen des religiösen Schrifttums nach unbekannt langer Ablagerungszeit wieder entdeckt.


Es folgt der erste Merseburger Zauberspruch in einer der möglichen Übersetzungen. Der Spruch beschreibt, wie eine Anzahl von Idisen, also zauberkräftige edle Frauen oder ehrwürdigen Mütter, auf dem Schlachtfeld Gefangene von ihren Fesseln befreien. Der Spruch könnte etwa um 700 n. Chr. in Germanien entstanden sein. Die Vermutungen verschiedener Spezialisten haben aber einen größeren zeitlichen Spielraum.

Es handelt sich um einen Befreiungszauber, auch als Lösesegen bezeichnet.


Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder.

suma haft heftidun, suma heri lêzidun,
suma clûbodun umbi cuniowidi:
insprinc haftbandun, infar wîgandun.

Einstmals setzten sich Frauen, setzten sich hierhin und dorthin.
Einige hefteten Hafte, andere hemmten das Heer,
andere nestelten (lösend) an den festen Fesseln:
Entspring den Haftbanden, entfahre den Feinden.


Übersetzungs-Variante 2 für die oberste Zeile:


Einstmals setzten sich Idisen, setzten sich hehre Mütter hin.




Und nun der zweite Merseburger Zauberspruch über die Heilung eines jungen verletzten Pferdes:


Althochdeutscher Stabreim

Neuhochdeutsch


Phôl ende Wuodan fuorun zi holza.
dû wart demo balderes folon sîn fuoz birenkit.
thû biguol en Sinthgunt, Sunna era swister;
thû biguol en Frîja, Folla era swister;
thû biguol en Wuodan, sô hê wola conda:
sôse bênrenki, sôse bluotrenki,
sôse lidirenki:
bên zi bêna, bluot zi bluoda,
glid zi geliden, sôse gelîmida sîn.


Phol und Wodan begaben sich in den Wald.
Da wurde des Balders Fohlen (sein) Fuß
verrenkt.
Da besprach ihn Sinthgunt, die Schwester der Sunna.
Da besprach ihn Frija, die Schwester der Volla.
Da besprach ihn Wodan, wie er es wohl konnte:
So Beinrenkung, so Blutrenkung,
so Gliedrenkung:
Bein zu Bein, Blut zu Blut,
Glied zu Glied, wie wenn sie geleimt seien.


Meine kurze Erläuterung der vorgenannten Namen.

Es geht um germanische Gottheiten, die (um Hilfe und Schutz) gebeten, „Angerufenen werden, weil sie das „All-Gute“ darstellen und deshalb besonders geehrt und „gefürchtet“ sind.


1. Gott Phol, wahrscheinlich gleichbedeutend mit Balder / Baldur = der Herr, die Verkörperung der Tapferkeit, Gott der Sonne, des Lichts, des Frühlings und der Gerechtigkeit – ein Sinnbild des Guten. Er ist der Sohn von Wotan und Frigga. Seine Ehefrau ist die Göttin Nanna.


2. Gott Wodan / Wotan / Uuodan / Oden / Odin / Allvader. Oberster Gott, Götterkönig, Vater der Götter, aber auch: der Wütende. Siehe: englisch für Mittwoch: Wednesday = Wodans Tag. Wotan ist mit einigen Göttinnen, so auch mit Frigg(a) verheiratet.


3. Göttin Sinthgunt, die Schwester der Sunna / Sol.


4. Göttin Sunna / Sol, die den Sonnenwagen Lenkende, siehe Wochentag: Sonntag, englisch Sunday = Sonnentag). Sie ist die Schwester der Sinthgunt.


5. Göttin Frija / Frigg(a), bedeutet „Frau, Geliebte“, ist eine der Frauen des Wotan. Sie ist die ranghöchste der Göttinnen, Schutzgöttin von Ehe und Mutterschaft, Familie, Haus und Hof. Sie ist eine Schwester der Volla.


6. Göttin Volla / Folla / Fulla / Uolla / Sif ist die Göttin der Fülle, des Überflusses und der Fruchtbarkeit.


Herr Brandt stellte uns die kurzweilige Beschäftigung mit diesen Texten, als einen Ausflug in die germanische Mythologie vor. Kulturerbe – man will ja wissen woher man kommt. Er sagte, Wotan und Frija / Frigga (nicht verwechseln mit Freja / Freya) seien erdachte Naturgötter, Baldur – sei noch in anderen Aufzeichnungen erwähnt. Die anderen seien uns unbekannt, weil uns aus jener Zeit nur sehr wenig weiteres Schrifttum erhalten blieb. – – –

Ich aber konnte es kaum glauben was ich da hörte und las, noch wollte ich mit jemandem darüber reden, sondern nur still verarbeiten, mir mein Teil denken: Heute lesen wir, lernen wir im Deutschunterricht so ganz nebenbei diesen Spruch „über das Heilen durch Besprechen“ im 8. oder 9. Jahrhundert, wir lesen über eine der Methoden, die offenbar bei unseren germanischen Vorfahren hier „auf unserem Boden“ vor rund 1.200 Jahren als eine natürliche und erfolgreiche Heil-Anwendung galt, die vermutlich gang und gäbe war. In diesem Spruch wurde sie als Heil-Kunst der Götter (als Quelle) genannt, die jenes Wissen den Menschen weitergaben, so dass diese die Heilmethoden praktizieren konnten.

Ich denke daran, wie auch mein Großvater August Janecke heilend mit den Tieren umzugehen wusste. Heute aber sind derartige geistige Heilanwendungen bei uns in der DDR grundsätzlich verpönt.

Bei solchen Gesprächsinhalten würde man eher als anstaltsreif angesehen werden ... den Scheiterhaufen gibt es ja nicht mehr ganz so direkt. Bestenfalls „im Dunkeln“ geht jemand heutzutage, also eher heutzunacht, zum „Kräuterweiblein“, um vielleicht seine Gürtelrose „besprechen“ zu lassen oder seine Warzen, wenn anderes nach ärztlichem Rat aus der Schulmedizin nicht half ... ansonsten: ist das alles Mumpitz, Humbug oder Quatsch – denn die marxistisch-leninistisch-sozialistisch-materialistische Weltanschauung lehrt uns sinngemäß:


„Was des Arbeiters Finger und Kopf nicht be-greifen können, was das wissenschaftlich geschulte Auge des DDR-Bauern nicht sieht, das existiert auch nicht!

Alles weitere sind Hirngespinste, die zu den zu verwerfenden idealistischen Anschauungen des überholten, verfaulenden kapitalistischen Gesellschaftssystems gehören.“


So etwa. Was sollte ich mich da als Alleinstehender mit einem Diskussionsbeitrag unnötig aufs Spott-Glatteis begeben?

Ich versuche also nur gedanklich dagegen zu setzen: Warum so unsensibel-barsch, warum so arrogant? Warum nur die eine „eigene“ Meinung des begrenzten Wissens gelten lassen, diese als allein gültige Wahrheit darstellen und durchsetzen wollen?

Man wird nachweisen, dass derartige abwertende Meinungen des „sozialistisch naiven Realismus'“, als die subjektive Weltanschauung einiger älterer Männer, als allgemein gültige „Staatsauffassungen“, auf Dauer nicht tragbar sind.


Spätestens seit der Antike gab es da bereits völlig andere, umfassendere Anschauungen, die als wertvoll galten und gelten.

Plato(n) zum Beispiel lebte im 5. bis 4. Jahrhundert v. u. Z. in Griechenland, also zeitlich zwischen Sokrates und Aristoteles. Er befasste sich in seinen vielen Abhandlungen auch mit der Erkenntnistheorie, mit der Erkennbarkeit der Wirklichkeit dieser Welt und kam zu dem Schluss, dass es wohl vieles gibt, was unser Bewusstsein nicht zu erfassen vermag, weil dieses während der Stammesentwicklung des Menschen offenbar dafür nicht eingerichtet wurde.

Viel schrieb er über gesichertes Wissen im Gegensatz zu den vielfältigen bloßen Äußerungen von Meinungen, die ihren Ursprung in dem beschränkten Erkennen haben – über unterschiedlichste Meinungen, die aber gern als das jeweils einzig Wahre dargestellt werden.


So lehrte uns Paracelsus (1493–1541): „Wir müssen unsere Betrachtung der Dinge erweitern und wissen, dass die Welt und alles, was wir von ihr sehen, nur ein Teil dieser Welt ist.“ Gewiss ist, Paracelsus war kein guter Sozialist.


Der italienische Mönch Philosoph und Astronom Giodarno Bruno (1548–1600), sagte unter anderem, dass die Realität der Welt nicht deckungsgleich übereinstimmt mit der Art und Weise wie wir als Menschen die Welt erleben oder diese uns vorstellen – andere Bereiche der Realität deswegen als Gegenstände des Glaubens betrachtet werden müssen. Für seine grundlegenden, zeitlich oft weit vorausschauenden Gedanken und schriftliche Arbeiten wurde er verbannt und nach acht Jahren Kerkerhaft im Jahre 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. So erging es damals leider vielen Menschen., die ihre Erkenntnisse frei äußerten.


William Shakespeare (1564–1616) gab uns beispielsweise etwa im Jahre 1602 sinngemäß zu bedenken, dass es weit mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen ließe (nach Hamlet, 1. Akt, 5. Szene).


Im 17. Jahrhundert legte der französische Naturforscher, Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal (1623–1662) sowie auch andere forschende Autoren, etwa dar: Unklar scheint lediglich, was wir oder wieviel wir, welchen Ausschnitt wir gegenwärtig und künftig von der tatsächlichen umfassenden Realität der Welt, also der Erde und des Universums, von Zuständen und Abläufen, mit unserem Bewusstsein überhaupt wahrnehmen können, dass ja lediglich für das Erkennen-können der Naturgesetze, an Raum und Zeit gebunden, nach Ursache und Wirkung ausgerichtet ist.


Sehr volkstümlich und eingängig wird ein Aspekt angesprochen, dessen Änderungen wir aber erkennen können, in dem alten Gedicht und Volkslied von 1779: „Der Mond ist aufgegangen“.

Text von Matthias Claudius (1740–1815), Melodie von Johann Abraham Peter Schulz, Berlin 1790. Der dritte Vers, die dritte Strophe, möchte uns einladen zum Innehalten, zum Be-denken, um es nicht zu vergessen – und er wählt dieses einfache Beispiel:


Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön;

so sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen – weil unsre Augen sie nicht sehn.“


... denn unser Vermögen zu Erkennen, unser Begreifen-Können, ist begrenzt.

Literarisch gestaltend kleidet Antoine de Saint-Exupéry (1900–1944, Französischer Philosoph, Ingenieur, Erfinder, Schriftsteller, Pilot – im Jahre 1943, bevor sein Flugzeug von einem Deutschen abgeschossen wurde, sein Wissen und seine Erfahrungen auch in diese Worte:


Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“,

sagte der Fuchs zum Kleinen Prinzen und jener wiederholte es, um es sich zu merken,

weil es ihm als wichtig erschien:

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar". –


Doch das Wissen der Menschheit schreitet voran. Einiges, was vor einiger Zeit noch als „Wunder“ galt oder das man (deshalb) als „Glaubensgegenstand“ bezeichnete, ist man heute in der Lage zu erkennen – und morgen wird es einen weiteren Zuwachs des Wissens, der Entdeckung, der Entwicklung geben. Wir sollten nicht überheblich mit unserem vorläufigen Unwissen oder Halbverstehen prahlen und anderes, was uns nicht sofort als sinnfällig erscheint, negieren, also verwerfen, Menschen anderer Ansichten deshalb hässlich verlachen oder gar hart bestrafen.


Wir aber sollen kritiklos auf unsere ganz modernen älteren Männer hören, die wohl z. T. selbst nur wenig Möglichkeiten besaßen oder nutzten, sich mit den Werken der Geistesgrößen dieser Welt zu beschäftigen. Wir sollen nur auf jene hören, welche die ihnen gut dünkenden Meinungen wohl eher aus ihrem eigenen Kopf schöpften und sich gegenseitig deren Richtigkeit bestätigten.

Ich möchte nicht zu diesen „modernen ewig Vorgestrigen“ gehören und die Erkenntnisse, die zum Teil in weit über 2.000 Jahren reiften und weiter verfeinert wurden, einfach negieren. Ich möchte noch eine Weile dazulernen.



Wunder, was sind Wunder? Versuche von Definitionen.


Ein Wunder ist ein als ungewöhnlich erscheinendes Ereignis, von dem wir annehmen,
dass es normalerweise nicht geschehen würde. – nach Norman Geisler.

Ein Wunder ist ein Ereignis, welches nicht durch uns bekannte natürliche Vorgänge erzeugt werden kann. – nach Prof. William Craig.

Das Wunder erscheint als ein übernatürlicher, als göttlicher Eingriff in den normalen Ablauf

der Welt oder als eine Unterbrechung dieses Ablaufs.

Ein Wunder ist ein Außerkraftsetzen der (irdischen) Naturgesetze durch ein übernatürliches Eingreifen, wenn also etwas passiert, was niemand von uns hätte erwarten können.

Wunder sind naturwissenschaftlich nicht erklärbar, sie liegen deshalb außerhalb der Forschungsgebiete, des Forschungsinteresses der Wissenschaft.



Es ist vieles so sehr spannend – die entstehenden Fragen scheinen oft viel wichtiger für das Denken, als vorgefertigte und vorgegebene Antworten anderer Leute es für uns sein könnten.

Und ich meine: Wenn damals Menschen wenig aufschrieben oder zumindest für uns wenig davon erhalten blieb, dann werden es keine völlig beliebigen, belanglosen Texte gewesen sein, sondern Wesentliches! Nicht unbedingt ein frei erfundener sagenhafter Kurzroman wird es sein. Nur weil wir heute nicht (mehr) genug wissen, deutet man es so. Könnte es sein, dass die heutige offizielle Annahme: „unwesentliches Zeug – da stapften einige sagenhafte Figuren aus der nur erdachten Welt der Natur-Götter, durch den germanischen Forst“ –, schlicht und einfach unzureichend ist und es sich um eine mythologische Paralleldarstellung zur Heilkunst der damals lebenden Menschen handelt, die hier in der Dichtform dankbar den Göttern gewidmet wurde?

Wodurch wird „der heutige gültige Stand des Wissens“, den wir gedankenlos lernend übernehmen sollen, gestützt oder gar bestätigt?


Und jene von alters her bekannten Heilweisen? Viele Jahre wird es noch dauern, bis auch für uns in der DDR Lebenden, Literatur darüber leichter erreichbar ist, die entsprechende Beispiele erfolgreicher Heilmethoden in Amerika, Asien und Australien und sonst wo darstellt. Sie werden uns aus historischen Zeiten überliefert und zeigen, dass sie auch in der Gegenwart ausgeübt werden – in reicher Vielfalt! Ungeahnte, ja schier für unglaublich gehaltene Einflussmöglichkeiten auf die Gesundung und Gesundheit. Anfangs des neuen Jahrtausends werde ich erste praktische Kontakte dazu gewinnen dürfen. Und auch Ergebnisse erfahren. Welch eine späte Erweiterung des Horizonts. Schade, dass ich darüber nicht mehr mit Herrn Brandt plaudern kann.


Ein Nachtrag zur steten Aktualität der vorgenannten Merseburger Zaubersprüche an nur zwei Beispielen aus einem Grenzbereich der von uns miterlebbaren Realität. Diese Beispiele bedeuten uns einen Brückenschlag von der Zeit um 800 (Merseburger Zaubersprüche) bis zum Ende unseres Jahrtausends – und gleichsam eine Rückschau vom Ende dieses Jahrhunderts (Jahr 2000) in unsere Großbeuthener Zeit 1962 / 1963:



Schade auch, dass von unserer germanischen National-Literatur jener Zeit für uns kaum etwas erhalten geblieben ist. Die großen Zeitspannen, die Art der noch nicht so dauerhaften Schreibmaterialen und das eher feucht-kühle Klima hierzulande, mögen dazu beigetragen haben. Aber es gab sowohl beiläufige, als auch zielgerichtete weitere Ursachen. Wir wissen zum Beispiel, dass Karl der Große eine umfangreiche Sammlung von Heldenliedern seiner Zeit angelegt hatte. Seinem Sohn Ludwig war dieses Nationalerbe aber eher gleichgültig und es war somit vor Verlusten nicht geschützt, sondern dem Untergang preisgegeben. Bekannt ist ebenso, dass die „heidnisch-mythologischen“ Inhalte dieser germanischen Literatur der christlichen Religion „ein Dorn im Auge“ waren, die von ihnen misstrauisch, ja feindselig angesehen, später rundweg verboten wurden. Die Kenntnis der Texte und das Detail-Wissen um diese Literatur erlosch. Damit ist die frühe Literatur aus unseren Landen bis auf wenige Einzelfälle oder Bruchstücke uns für immer verloren gegangen. Bisher wurden aus jener Zeit zwei „Zaubersprüche“ 1841 in der Dombibliothek zu Merseburg entdeckt und auch zwei weitere Schriftstücke solcher Art 1857 in Wien gefunden, die etwa aus der Zeit um 800 stammen und ansonsten wohl nur weniges mehr.


Mir waren aber einige dieser „germanischen Unbekannten“ aus der Mythologie, zumindest ihren Namen nach, durchaus ein Begriff. Wir haben in Potsdam-Babelsberg nämlich ein Stadtviertel, in dem verschiedene Namen germanischer göttlicher Helden wie Baldur, Donar, Freya, Heimdall, Odin ... als Straßenbezeichnungen genutzt wurden – ja, genau, in der Nähe der Karl-Marx-Straße, in der unser Mit-Lehrling Helmut Pla. am Wochenende wohnt, wenn er nicht in Großbeuthen ist. – Dort finden sich also:

- Baldur / Balder, Gott der Sonne, der Unschuld, des Lichts, des Frühlings und der Gerechtigkeit. Der Tapfere. Ein Sohn von Wotan und Frigga. Er ist verheiratet mit Nanna.

- Donar / Thor / Akethor, der Donnergott, der Gott des Gewitters und der Kraft – daher der Wochentag: Donnerstag. Donar ist verheiratet mit Sif. (Die skandinavische Schlagersängerin Siw Malmquist / Malmkvist trägt also den Namen einer Göttin.)

- Freya / Freija / Freja, (daher der Wochentag Freitag = Freias Tag). Sie ist die Göttin der Liebe und der Schönheit. Sie trägt auch noch den Beinamen „Wanadis“, weil sie aus dem Stamme der Wanen kommt. Sie ist eine Schwester des Freij, der ein Fruchtbarkeitsgott und außerdem mit Gerda, der schönsten aller Göttinnen, verheiratet ist.

- Heimdal / Heimdall, Gott der Weisheit, Wächter auf der Regenbogenbrücke „Bifrost“.


Das waren die Straßennamen in Potsdam-Babelsberg.

Sind wir aber bereit noch ein wenig tiefer zu pflügen, als in diesem hervorragenden Unterricht, so könnten wir in Wald und Flur, Heim und Hof, Stall oder Scheune weitere germanische Natur-Gottheiten kennen lernen, die von unseren Vorfahren geehrt wurden – wie:

- Aegir, der Meeresgott. Seine Frau heißt Rau.

- Astrild, ein Liebesgott.

- Brage / Bragi. Er ist der Gott der Dichtkunst.

- Erpo. Die Erdmutter

- Folla / Fulla / Volla, die Göttin von Überfluss und Fruchtbarkeit.

- Forseti, Gott der Gerechtigkeit, ein Schlichter jeglichen Streites.

- Gesion. Sie ist die Göttin und Beschützerin der Jungfrauen – solange diese es möchten.

- Hela / Helja. Göttin des Todes, der Hölle und der Unterwelt ganz allgemein.

- Hildur. Die Göttin des Krieges.

- Höder / Hödr, der blinde Bruder von Baldur, Symbol der Nacht.

- Idun(a), die Ehefrau von Brage, Göttin des wiederkehrenden Frühlings und der Jugend.

- Lofu, die Göttin der (glücklichen) Ehe.

- Loke / Loki, Gott des Feuers und der List (des Bösen), ein Verwandlungskünstler.

- Mani, er lenkt den Mondwagen – daher unser Wochentag Montag.

- Ostara, die Göttin des Frühlings. Daher die Bezeichnung Ostarfest = Osterfest.

- Saga. Die Göttin der Geschichte, eine der Gemahlinnen Odins.

- Skuld, die Schicksalsgöttin der Zukunft. Sie ist eine der Nornen.

- Surtur. Der Gott des Feuers.

- Tir / Tyr / Tiuz / Teiwaz ist der Gott des Rechts, Beschützer des Thing (der Versammlungs- und

Gerichtsstätte) und Kriegsgott. Von seinem Namen abgeleitet ist der Dienstag (engl. Tuesday,

Tisdag = Tag des Tuiz.

- Ullr der Gott der Jagd.

- Urda / Urde, die älteste Schicksalsgöttin der Nornen oder Parzen, das sind Göttinnen der

Vergangenheit.

- Walkyren / Walküren. Sie sind die Göttinnen der Schlachten

- War. Die Göttin der Eide und Verträge.

- Ferner: - Gautaz, - Njörd, - Sinthgunt, ... die ebenfalls, so wie wir, nur Gutes wollten.


Wir erhielten von Herrn Brandt die Hausaufgabe, möglichst viele Worte mit gleichen Anfangsbuchstaben als Reim aneinander zu reihen. Das Ergebnis war dann vorzutragen.

Schön wäre es“, meinte Herr Brandt, „wenn ihr dabei Worte der Landwirtschaft ein wenig berücksichtigen würdet, damit wir im Rahmen des Gesamtthemas bleiben".

Hier nun mein Versuch – für euch als ein schwaches Beispiel dieser „großen Kleinkunst“:




Nacht! Nobler Neumond, Niesel, Nachtigall! Na, nun noch neuer Nebel!

Mandolinen mit Mondschein machen mich milden Munteren meist musisch.

Kläffender Katen-Köter „Karo“ kennt keine Katze. Kappt kauend klirrende kurze Kette,

läuft leider leichtfertig, lieber lodderig-leger, leise lechzend los, bloß bisschen bravourös beißend.

Bärtiger Bangbüx badet bisweilen bei böse blökenden Böcken, bei bieder bunt blühenden Blumen.



Tieftraurig: Trotzig-tobsüchtig-temperamentvolles Tier trägt Tollwuterreger,

wie weiland wiederkäuender, wollüstig-warmer, warnend-winselnd wütender Wolf.

Terror tötet total tausend Tapire, Termiten, Tiger, Tintenfische, Trakehner, Tümmler, Tuberkel,

Kängurus, Kamele, Katzen, klitze-kleine Kälber, Knurrhähne, Kobras, Kühe, Kuschel-Kaninchen.

Höhere Halbinsel-Heimat: Hierauf heute heißhungrig harrend, heulender Haufen hütender Hirten.


Schon sehr schön sprung-sprintender Schäfer schafft schnell Schutzwall

ringsum reichlich raunende, richtig ranzig-räudige, reinrassig-ranke, rigoros-rasende Rinder.

Wohlwollend wachsamer, wagemutiger Wachhund „Wotan" wird wahrscheinlich wütend werden,

wegen Wegnehmens wahrlich warmen, wehrhaft wachsenden, wuchtig wogenden Widerstandes.


Herbei, herbei! Hurtig Hilfe heischend, holt herber Herr der Herde hoheitsvoll

huldreiche Hünen, herrlich helfende Hirten, humane Hausierer, hübsche Hostessen heran,

bisweilen bangend, bußfertig-bescheidene, besonders bemühte bierbäuchige Bauern,

ebenfalls ehrlich, eisernen Ernstes, ebenmäßig-eifrig, effektiv-eilend, emsig eure eindrucksvolle


Ernte einbringend.




Na ja, eben – ein Versuch. Hausaufgabe als erfüllt abgehakt. Aber es ist ja so, dass nicht nur Herr Brandt eine solche Idee für uns hatte. In naher Zukunft werden wir erfahren, dass ein anderer gewiss viel größerer DDR-Geist (als wir Lehrlinge es sind) ebenfalls in dieser Art reimt und sein Werk sogar mit einer Melodie untermalen ließ. So trällert uns bald aus dem Radio der Schlager entgegen:

Milch macht müde Männer munter, Milch macht Männern Mut.“

Das passt ja sogar ganz vorzüglich zu uns, die wir die von den Kühen bereitgestellte Milch ernten und dabei versuchen, so manches zu dichten.



Und weil's Spaß macht – eine kleine Zugabe – wenn's auch nicht immer gleich gelingt:



Arme attackierte arabische Ameisen arbeiten am Abend auf anderen Aeckern.


Berliner Bären backen bisweilen bärbeißig billiges braunes Brombeer-Brot.


Beide bitterbösen Buben betrachten bildschön-bunte Bilderbogenbildungsblätter.


Beuthener braungebrannte Bullenhirten baden bisweilen barfüßig! – bisschen belanglos?


Dieser Diesel-Dampfer darf diesmal durchaus dringend dreimal dröhnen.


Erfreulich: Erich Effenberger erfindet ernsthaft et eilends energiesparende Erntemaschine.


Feine fidele frische Frösche forschen froh für fantastisch flink fliegende Fische.


Jule Jaguar jagt jammernd janz jute Jänse. Keine kleine Katze kaut kunterbunte Kohlrüben.


Kuno Krauses kauziger Kanarien-Kater, kein Kannibale, knabbert knusprigen Keks.


Lustige leise Libellen lieben laue Lüfte – landen lieber langsam.


Liebe langbeinige liebäugelnde Lore! Lerne lieber listig-leise lustigen Lehrstoff.


Lieschen Lauenstein löscht leise Licht, lässt lustige Liebe locker leben.


Maltas magere Mutter-Mäuse mögen mittags Marmelade mal mehr mit Mus.


Manch müder Maler mampft missmutig mächtiges Müsli mit Margarine.


Maximilian Müllers marode Mühle mahlt mühsam minderwertiges Mehl.


Noch niemals nahte Nilpferd Nante nüchtern – nutzte neulich Nashorns Napf.


Onkel Ottos opulenter Opa orgelt ordentlich oder organisiert osmanische Orangen.


Pausbäckiger Posaunist Paul Pampel prostet Pauline Pergamon penetrant per Post.


Süße Stimmen singender Sirenen säuseln sicher sanft seinen Schlaf.


Zehntausende zirpende Zikaden zieren zerfallenen Zaun zu Zerberus' Zorn.


Zum Zirkus, zu zahlreichen Zebras, ziehen zögernd zahlende zerzauste Zuschauer.




Mit vielen solcher Themen kann man also in Kontakt kommen, sobald man sich bei uns für eine Lehre in der Landwirtschaft, sich für Rinder, Schweine und die Pflanzen auf dem Acker interessiert ... und wenn man einen Lehrer wie Herrn Hugo Brandt hat.

Aber warum haben wir hier solch einen tollen Lehrer? Herr Brandt wohnte ja „eigentlich“ in Berlin-Weißensee, wohin er an den Wochenenden zu seinen Angehörigen fährt. Dort, in der Hauptstadt, gibt es relativ kurze Wege zu sehr anspruchsvollen Bildungsstätten. Wer oder was mag ihn weitab hierher in dieses eher unscheinbare Dörfchen verschlagen haben? Das Leben anderer mag voller Geheimnisse stecken – manchmal auch nicht. Herr Brandt war nach meiner Auffassung sehr von den Zielen und den Grundzügen des Sozialismus überzeugt. Er mochte wohlbegründete Sachgespräche über diesen Themenkreis ... und er hatte dabei seine Ansichten zu der Wahl bester Wege zu den Zielen, zur praktischen politischen Ausformung im Alltag vertreten, die wohl nicht allen Maßgeblichen in ihrem Kram passten – und das war vermutlich der Grund, dass ich hier in Großbeuthen mit Herrn Hugo Brandt einen der besten Lehrer meines Lebens fand.



Aber es gab ja noch weitere Lehrer:

Unser Klassenlehrer in Großbeuthen, Herr Utemann, den ich sehr schätzte, ermahnte mich freundlich gegen Ende des ersten Lehrjahres mit solchen Worten: Chris, Du liest viel und denkst über manches nach. Es droht wohl, dass du dabei ein Individualist, ein Einzelgänger werden könntest. Du solltest dich stärker auf das Jugendkollektiv stützen.

Es ist schon so: manchmal reicht solch ein beliebiges Stichwort und man kann einen Roman dazu antworten. Ich schlage ungern einen unerbetenen ausgezeichneten Rat in den Wind, sah das jedoch nicht so ernsthaft wie der Lehrer. Zwar fühlte ich mich von keinem zerstörerischen Individualismus stärklich bedroht, hielt aber dennoch eine widerspenstelige Antwort zurück, denn erstens erkannte ich, dass es schließlich nur um Kleines, mehr noch, um Kleinliches und Belangloses ging, um das sich kein Wortgefecht lohnte und zweitens war Herr Utemann ein Guter, ein Freundlicher, dem man nicht mit forscher Entgegnung weh tun wollte. So dachte ich nur bei mir: „Mein lieber Scholli“ oder war es eher – „mein lieber Herr Gesangsverein“: Mehr sozialistisches Kollektiv – wie das? Und noch dazu: stark darauf abstützen, um meine freudige Lesestärke abzuschwächen, damit man mit weniger mehr vom Leben hat? Wir Lehrlinge verbringen die gesamten Arbeitstage miteinander, mitunter ja auch an den Wochenenden im Stall und auf der Weide – so etwa wie Ausflügler derweil im Wald und auf der Heide. Wir besuchen gemeinsam die gleiche Schule, wir erledigen mehr oder weniger gemeinsam die Schulaufgaben im Speisesaal, sind gemeinsam bei Baden, Lachen und Sonnenschein an unserer Kiesgrube oder sonst wo. Auch bei abendlichen Besuchen „Zu den drei Linden“, sah man kaum jemanden allein, und so auch mich nicht, Nur einige wenige Dorfbewohner – ansonsten der Gastraum vor Lehrlingen, also vom sozialistischen Jugendkollektiv, fast „aus den Nähten platzend“. Und anschließend, lieber Lehrer? Wir schliefen sogar im Kollektiv gemeinsam getrennt in den engen Zimmern. An den Wochenenden, an denen wir frei hatten, fuhren wir allerdings mitunter zu den Eltern oder zu Freizeitbildungszielen.

Da blieb schon nicht zu viel Zeit für individuelles Lesen, Kleinhobby, Denken oder mal allein in Ruhe die Seele baumeln lassen. Für eine ernstlich drohende individualistische Vereinsamung bestand bei mir keine große Sorge oder gar Gefährdung. Ganz wirklich nicht.

Meine nur gedachte Gegenfrage zum Lesen: Wie sollen wir künftigen Bauern bitte nach Feierabend auftragsgemäß die Höhen von Kultur und Wissenschaft erklimmen, ja, erstürmen? Ausschließlich in kollektiver Anstrengung oder jede/r so, wie es ihr/ihm nach persönlicher Neigung, Verschiedenheit der Interessengebiete und Fähigkeiten angemessen und optimal erscheint?

Ich hielt es für sinnvoll, beispielsweise über Gelesenes ganz nebenbei auch mal nachzudenken, meine Gedankengänge weitgehend selber zu bestimmen, also „eigenmächtig“ über diese zu entscheiden und nach freundlich-optimistisch Gedachtem auch entsprechend zu handeln. Noch mehr Kollektiv – vielleicht ist das im ruhmreichen größten Freundesland denkbar oder in der Kitaiskischen Volksrepublik üblich. Ich aber möchte so sehr gerne meine gegenwärtige Lebensart wahren.


Herr Kupsch, gut nicht nur für Mathematik und Physik, er ist eine Seele von Mensch und ein Kumpel „durch und durch“, munterte manchen in schwierig erscheinenden Mathe-Situationen mit derartigen Worten auf: „Jungchen, willst du nicht oder kannst du das noch nicht? – Versuch's doch noch mal!“ Sein Familien-Name ist eine „Verkosung“ des Vornamens Jakob/Jakub, so wie bei Ille.

Unser Englischlehrer, Herr Fenster mit Namen, verbat es sich von vornherein freundlich, also schon vorbeugend, etwa mit „Mr. Window“ angeredet zu werden. Er fuhr einen Czeczeta-Motorroller, ein Fahrzeug aus der befreundeten CSR, der späteren CSSR.

Diese Namens-Erweiterung wird die tschecho-slowakische Republik, nach 1968 erhalten, wenn sie sich „nach jenem Frühling in Prag“ anschickt, nun endlich wirklich als fest integriertes Bruderland die gleiche Form des Sozialismus anzustreben wie wir und nicht etwa weiter auf der Suche nach einem „dritten Weg mit durchweg menschlichem Antlitz“ in die Irre läuft, denn „wir“, also die brüderlichen Nachbarn, werden befürchten: solch eine Suche kann auch weg-führen oder abwegig sein, wie die Bezeichnung schon ahnen lässt.

Der frühere Staatsgründer, der Herr Tschech, hatte damals aber noch ganz andere Gedanken.

Ganz wichtig war Frau Hildegard Mal. als stets freundliche Schul-Sekretärin, die oft von Ihrem Mann abgeholt wurde, der als eine beliebte „Weiße Maus“ tätig war. Sehr beliebt? Die Einen sahen es so, andere wiederum anders – ich persönlich kann nur Gutes sagen – falls ich mal gefragt werden sollte.

Das Erzieher-Kollektiv im Lehrlingswohnheim

Mit den Erziehern war es nach meinem allerdings unmaßgeblichen Empfinden nicht so prächtig bestellt, wie mit den Lehrern. Jene schienen eher ein Gegensatzprogramm darzustellen, damit wir nicht vor übergroßer Freude übermütig würden. Die reguläre DDR-Ausbildung der „Erzieher für Horte und Heime“ schloss ja die Qualifikation als Unterstufen-Lehrer mit ein. Nun waren wir schon vor dem Lehrbeginn etwas älter als Hortkinder, auch der schulischen Unterstufe bereits entwachsen. Das Erzieher-Personal ebenfalls. Es schien schon stärker dem Rentenalter entgegen zu eilen, als sich der entfernten eigenen Jugendzeit erinnern zu können. Das zumindest ist solch ein Eindruck der entstehen kann, wenn man selber sehr jung ist.

Ich denke, es waren eher „Quereinsteiger“ aus anderen Grundberufen, die hier ihr Ein- und Auskommen gefunden hatten – die an geeigneten Politunterrichten, vielleicht sogar an Pädagogik-Schulungsstunden teilgenommen hatten? Deren Lehrinhalte können sich mit der Zeit auch mal verlieren. Wer weiß das schon so genau? Ich kann sie heute nicht mehr fragen. Was aber nährte solchen Verdacht? Nun, nur die Betrachteten selber! Uns versuchten dort zu hüten:


1. Frau Hel. Sie war freundlich, weichlich, stockkonservativ in ihren Anschauungen und behielt wohl auch nicht alles, was sie so hörte, für sich. Sie saß wohl zu nahe „an der großen Glocke“.

1.1 Erst nach meiner Zeit wurde dann der Erzieher, Herr Meyer, eingestellt. Es war der Mann der nach und anstelle von Frau Hel. kam.


2. Dem Erzieher Herrn Wag., mit einem bereits schütterem Haarkranz ausgestattet, spendierten die Lehrlinge aus ihrem schmalen Etat ab und zu so lange den von ihm begehrten Schnaps, bis er sich willig im Erzieherzimmer zur Ruhe auf dem Bereitschaft-Sofa ausstreckte und sich dort gern einschließen ließ, auf dass er nicht gestört werde. So etwas hat dem Beibehalten seines Dienstpostens nicht geschadet. Sein Ruhen fiel auch nicht weiter auf, denn sollte mal ganz unerwartet eine wichtige organisatorische Frage zu beantworten, ein Problem zu klären sein, hatten wir im Tag- und Nachtdienst, also rund um die Uhr, sowieso unseren „LvD“, den Lehrling vom Dienst als Ansprechpartner – also uns selber. Das klappte gut, ja, ganz ausgezeichnet.

Die Einteilung der LvD wurde nach dem Rotationsprinzip wirksam. Der Dienst bedeutete soviel wie tagsüber der Ansprechpartner für Jeden und „Mädchen für alles“ zu sein, und so auch u. a. in den Blumenrabatten vor dem Hause Wildkräuter zu zupfen, nachts hingegen als Pförtner zu dienen, als Nachtwächter und Still-Weckdienst für die Lehrlinge, die bei den Tieren mit sehr frühem Arbeitsbeginn tätig waren und deshalb morgens zu unterschiedlichen Zeiten aufstehen mussten. Mancher LvD vertraute der Uhr, seinen Wecker, andere ließen sich vom Fernmelde-Dienst der Post telefonisch wach rütteln.


3. Der hart aber nicht gerade sonderlich klug erscheinende Herr Bra. kam 1963 als Verwaltungsleiter mit Pädagogik-Aufgaben zu uns. Warum? – das wurde mir nicht klar. Auch dieser hatte es schwer mit sich. Bevor er zu uns stieß, hatte er wohl eine Stelle im Jugendwerkhof inne.

Anmerkung zum Jugendwerkhof: Das ist ein Kinder- und Jugendgefängnis oder eine Besserungs-Anstalt mit haftähnlichen Bedingungen bei Arbeit und (ideologischer) Schulung für „Schwer Erziehbare“, auch für politisch Auffällige. Die Ziele: Störende Gedanken und / oder renitentes Verhalten beseitigen, die jungen Menschen formen, biegen oder brechen, um den Boden für eine im Sinne des sozialistischen Staates üblicher Weise anerkannte Gesinnung und Entwicklung zu bereiten.

Die Information über den neuen Erzieher und seine Herkunft ging (wohl fast schon vor seiner Ankunft) wie ein Lauffeuer durchs Wohnheim. Der schmallippige Bra. trug stets eine steinhart-ernste Aufpasser-Miene. Er vermittelte uns zuverlässig den Eindruck, als missverstehe er seine Aufgabe grundsätzlich und fühle sich als Aufseher über eine Verbrecherbande berufen. Es schien uns, als sei er von anderen und in sich selbst gefangen. Auch er war uns also kein erziehend-beratender Kamerad. Herr Bra. ließ sich so herrlich verulken, was von einigen Lehrlingen unverblümt praktiziert aber von ihm offenbar nicht erkannt wurde. Deshalb schmerzten ihn diese Vorgänge um seine Person herum wahrscheinlich auch nicht wesentlich.


4. Es gab noch den Herrn Ma., der sich meiner Erinnerung zufolge eigenartiger Weise völlig unauffällig-neutral zeigte, so dass ich nichts besonders Kennzeichnendes zu berichten weiß.


Den Erziehern oblag aber nicht nur die schwere Aufgabe die Lehrlinge zu hüten, sondern vor allem auch das Organisatorische, das Haus mit seiner einfachen Ausstattung zu verwalten – ein überschaubares Spektrum kleinerer Aufgaben. Und ich konnte mich gefühlsmäßig zwar durchaus in sie hineinversetzen, fühlte mich dabei aber schon gedanklich in diesem vorgenannten Erzieher-Kollektiv nicht so recht wohl.


Ein kurzer Gedankenausflug:

Vom Prinzip her habe ich einen Einblick in solche Aufgabenfelder des Sach-Verwaltens, gewürzt mit pädagogischen Ansätzen. Waren doch aus der Reihe meiner Vorfahren-Familien die Herren Carl Keilbach und Rudolf Mahnkopf nacheinander rund 70 Jahre lang die Verwalter des „Palais Barberini“ am Alten Markt in Potsdam, Humboldtstraße 5-6, grad' gegenüber dem Stadtschloss von Wenzeslaus Knobelsdorff und der Nikolaikirche von Karl Friedrich Schinkel und Ludwig Persius.

Dieses „Palais“ war, wie das gesamte Zentrum der Stadt Potsdam, kurz vor Kriegsende, am späten Abend des 14. April 1945 zerbombt worden.

Ein gleichartiges Gebäude steht nun nach sieben Jahrzehnten Brache, seit 2017 dort, in neuem Glanz, so schön wie noch nie – unter der Initiative und der Finanzierung seitens des Prof. Dr. mult. Hasso Plattner als Gemälde-Museum wieder aufgebaut.


Und was alles hatten diese damaligen Verwalter im Vorgänger-Gebäude technisch-organisatorisch zu richten!

Eine größere Anzahl von Vereinen und Organisationen hatten dort ihre Heimstatt:

Viele dieser Leute brauchten ständig irgendetwas recht unterschiedliches an Material oder Organisation vom Verwalter, abgesehen von den wechselnden Bestuhlungen, der Verwahrung von Groß-Instrumenten für die Musiker, tägliche Terminabstimmungen, kleinere handwerklichen Leistungen, Koordinieren der Reinigungsarbeiten und ebenso immer dabei: der „pädagogisch“ jeweils angepasste Umgang mit verschiedensten Leuten wie Lehrern, Schauspielern, Kunst-Malern, Musikern, Ärzten, Wissenschaftlern und deren Ansprüchen sowie das alles termingerecht und möglichst zur Zufriedenheit dieser Menschen. Viel Organisation mit „pädagogischem“ Geschick im Umgang mit den Menschen unterschiedlichster Berufe gewürzt. Ein volles Programm.


Etwas anders gelagert war die Tätigkeit mit „Verwaltung und Pädagogik“ bei meinem Vorfahren Georg Weltzer (1864 bis 1946) im Schloss-Park Babelsberg. Jener war Kaiserlicher Schlossdiener, sowohl als Dienender, wie auch als Anleitender / Lehrender für den Nachwuchs. Seine Wohnung befand sich im Wirtschaftsgebäude, der so genannten Schlossküche im Park, die mit dem Schloss unterirdisch verbunden ist.

Später war Georg Weltzer ins „Neuen Palais“ nach Potsdam, Park von Sanssouci, versetzt worden und lebte in dem nördlichen Gebäude der gegenüberliegenden Communs (Wirtschaftsgebäude) – bis nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Zur Tätigkeit des Georg Weltzer gehörten nicht nur die Arbeitsinhalte des Verwaltens, denn da brauchte man außer den Fachkenntnissen auch das eher schwierigere Fingerspitzengefühl, um sowohl „von unten her“ anerkannt zu bleiben, gleichsam aber „nach oben“ fehlerfrei die höfische Etikette zu leben – gewiss oft kein einfacher Balanceakt – und des Weiteren, nachfolgende junge Menschen in diesem Sinne lehrend anzuleiten.


Jetzt aber sind wir wieder in Großbeuthen im Jahr 1962:

Ich stelle mir nach obigen Ausführungen lebhaft das Erscheinungsbild und das Verhalten unserer sozialistischen verwaltenden Erzieher, diese ins Palais und ins Kaiser-Schloss versetzt, vor. Solche, wie die vorgenannten Aufgaben in Menge und Komplexität des täglichen Arbeitslebens kam auf unsere heutigen Erzieher nun wirklich nicht zu. Sie hatten es wohl „recht gut und vor allem einfach“ mit uns, denn wir verwalteten uns im Wesentlichen selber und waren auch nicht direkt unerzogen.

Eine große Hilfe für unsere Gemeinschaft wäre es allerdings schon gewesen, hätte man diese Erziehenden, die Lehrlings-Verwalter, eingespart, ihnen früher einen geruhsamen Lebensabend zukommen lassen. Wir hätten es ihnen neidlos gegönnt und uns gewünscht.

Aber ansonsten war im Lehrlingswohnheim fast alles „dufte und schau“, also „Große Klasse“ und wir Lehrlinge vertrugen uns gut miteinander, benötigten keine Aufpasser und keinerlei künstlichen Hindernisse.


Die Lehrausbilder in der praktischen Berufsausbildung

Herr Ernst Lobbes, gut für Acker- und Pflanzenbau, ließ es sich nicht nehmen, extra wegen uns mit seinem SR 2-Moped (Stadtroller Simson, aus Suhl, 2. Entwicklungsstufe, mit Motor+Pedalen) aus der Ahrensdorfer Hauptstraße 8, täglich zu uns nach Großbeuthen zu kommen. Na gut, er verdiente ja damit auch das Geld für seine täglichen Brötchen.

Dann bildete Herr Konarski aus und in den Rinderställen die Lehrfacharbeiterin Rosemarie Hannemann und Lehrmeister Christian Köhn. Natürlich gab es auch einen Schweinemeister. Richtiger: während unserer Zeit gab es zwei Meister nacheinander. Nur bei der Kunst der Schafhaltung blieben schulische und praktische Lehrinhalte aus, wurden wir ausgeklammert, obwohl für das umsichtige Hüten selbst Hunde als zugelassen galten. Schäfer sollten wir aber nicht werden. Nur beim seltenen Ausmisten des Schafstalls durften wir tätig sein – und das war eine besonders „zählebige“, ja fast harte Arbeit.


Der leutselige Ausbilder Herr Helmboldt hatte das freundliche Aussehen eines körperlich kleinen Groß-Knechts aber dann doch mehr nach Gutsherrenart, weil stets in Reithosen und -Stiefeln unterwegs. Nur die Sporen fehlten ihm.


Herr Gützkow unterwies uns als Fahrschullehrer sehr gut und mit unendlicher Geduld, vor allem auf dem Traktor vom Typ „Pionier“. Im Januar 1963 hatte unsere Klasse Lw A1 (davon gab es im Laufe der Zeit mehrere aber später wurden die Klassenbezeichnungen wesentlich verändert) die Fahrprüfung der Klasse III auf diesem stolzen Fahrzeug und seither diese Fahrerlaubnis.

Außer mit den Lehrausbildern hatten wir natürlich auch den täglichen Umgang mit den lebens- und arbeitserfahrenen Landarbeiterinnen und Landarbeitern. Von jedem konnte man wohl etwas lernen, diese fragen, etwas von ihnen abgucken, mit ihnen in der Mittagspause am Feldrain über Alltagskram schwatzen. Ich entsinne mich unter anderen der Frau Berger und des Herrn Behm, der mit nur einem verbliebenen Arm die täglichen Aufgaben souverän meisterte.

Auch der Landarbeiter und Pferdefuhrwerkslenker Norbert, der mich sogleich an die Jugendjahre meines Großvaters erinnerte, hinterließ bei mir lebhafte Eindrücke. Dann gab es noch den „Sputnik“, dessen Ruf-Name wohl so nicht in seinem Personalausweis vermerkt war.

Bauernregeln hatten wir in der Schule nicht zu lernen – dafür kommt hier ab und zu ein Ausgleich:



Wie Straßen- und Witterungsverhältnisse demnächst ab Februar – also im „Hornung“

aussehen, das verrät uns der hundertjährige Bauernkalender:


Nordwind bei Vollmond sagt, dass uns der Frost drei Wochen plagt.

Je feuchter der Februar, desto nasser das ganze Jahr.

Viel Regen im Februar – viel Regen im gesamten Jahr.

Der Februar mit Schnee und Eis – macht den langen Sommer heiß.





Das Lehrlingswohnheim

Wir lebten im Lehrlingswohnheim, andere sagten „Internat“, in einem modernen Bau, der 1956 / 57 errichtet wurde und in den die erste Lehrlingsgruppe im Herbst 1957 einzog. Wir also zogen wir in ein Gebäude, das auch bei uns noch so gut wie fast neu war. Herr Bruno Abromeit war dort bereits seit 1956 der Direktor des leeren Gebäudes, also Organisator im Zuge der Baufertigstellung und des umgebenden Geländes sowie auch verantwortlich für's zweckmäßige Einrichten der Räume.

Fast alle Zimmer hatten die Größe zwischen 11 und 12 m², zumeist eine Grundfläche von 4,00 m x 2,90 m. Auf dieser Fläche lebten im Allgemeinen drei Lehrlinge. Ausgestattet waren die Räume dann mit drei Betten, einem Tisch, drei Stühlen und dem Kleiderschrank. Damit sah das Zimmer bereits reichlich gefüllt aus. Ich wohnte im Hochparterre, in dem (von außen gesehen) linken Gebäude-Flügel, etwa mittig zwischen dem noch schmaleren Zimmer des „Lehrling vom Dienst“ und der Behausung des Lehrers Hugo Brandt, dieser ganz links. Ja, dort, wo das Regenfallrohr von der Dachrinne aus senkrecht hinunter zur Grundleitung führt.

Das Areal vor dem Wohnheim, eine Grünfläche mit großem Blumenbeet, war von den Erziehern und den „Lehrlingen vom Dienst“ immer gut gepflegt. Nahe beim Wohnheim, im ehemaligen Gutshaus unter großen alten Bäumen stehend, war die Betriebsberufsschule (BBS), untergebracht. Ein nur kurzer Schulweg.

Jener Zeitpunkt, der September 1962, war für den Lehrbeginn ein guter. Einige Zeit später fiel allerdings die Rohbraunkohle-Heizanlage aus, nur eben so, weil die Zeit wohl dafür reif war. Es lag also, bitte, nicht an uns. Das allein war eigentlich nicht so schlimm, denn die Herbstwitterung war mild, doch es war selbst für angehende Cowgirls und Cowboys schon gewöhnungsbedürftig, unter eiskalter Dusche den anhaftenden kräftig-würzigen Stallgeruch von Rindern und Schweinen abzuschrubben, um wieder sauber zu sein.Emil Zatopeck duscht auch stets kalt“, so die Presse.

Nun gut, nach einiger Zeit half die Reparaturleistung diesem Umstand dann wieder ab.

Aber mit der Heizerei gab es nicht nur bei uns Anfangsschwierigkeiten. Wir erinnern uns: Bald darauf hatte nebenan die Stadt Ludwigsfelde, ihr erstes so richtig sozialistisches Hochhaus an der Potsdamer Straße errichten lassen, aus bekannten Gründen freundlich „Sachsensilo“ genannt.

(Was für Gründe? Die heimische Rand-Berliner Bevölkerung war kräftig mit frischem südlich-auswärtigen Blut, so aus Zoll, Polizei und anderen zuverlässigen Genossen bestehend, zu durchmischen und diese benötigten Neubau-Wohnraum).

Dieses Hochhaus wurde damals im Winter vorerst extern von einer kleinen schwarzen Dampf-Lokomotive beheizt. Der lange harte Winter kam wohl nach dem Einziehen der Mieter unplanmäßig früh, nicht etwa die vorgesehene Heizungsanlage zu spät. War „hübsch“ anzusehen – ein zeitgenössisches Bild. Man muss sich nur zu helfen wissen – und das wussten wir doch irgendwie alle recht gut!

Regelmäßig, einmal wöchentlich, fand abends im Lehrlingswohnheim der Zimmerdurchgang mit Punkte-Bewertung statt. Dabei ging es nicht nur um Ordnung und Sauberkeit, sondern auch um die „Kultur“, ging es um die individuelle Ausgestaltung des Raumes, die sich nun allerdings nicht in jeder Woche steigernd änderte. In unserem Zimmer bestand der Kultur-Schmuck in Folgendem: Adrette Tischdecke, in Zimmermitte die dicke Bambusstange, senkrecht zwischen Fußboden und Zimmerdecke eingespannt, behängt mit Grünlilien- und Rankelphilodendron-Töpfen. Der Wandbehang aus groben Zuckersack-Gewebe mit den aufgemalten Kakteen war ein selbst gearbeitetes Geschenk meiner Mutter und Schwester. Die Gitarre an der Wand mit Palmen-Dekor, auf der Bernd Hei. ab und zu, hin und wieder ein Liedchen klimperte, uns zu Gehör brachte. Auf dem Wandbord mein lindgrüner Wecker mit den Leuchtzeigern, den wir benutzten, wenn wir „Lehrling vom Dienst“ waren, also Weckdienst hatten.

Dann gab es noch, allerdings meist nicht sichtbar, die dringend benötigte Taschenuhr, welche sich durch schlichte Eleganz auszeichnete (ganz neu: 8,00 Mark der DDR), mit dem zuverlässigen Gangwerk des VEB UMF-Ruhla. Das Uhrgehäuse wird von einer metallenen Staubschutzkapsel mit Rundfenster umhüllt, so richtig robust und damit für den Acker-Einsatz vorzüglich geeignet. Der VEB Uhren- und Maschinen-Fabrik UMF besteht genau 10 Jahre. Davor gehörte diese Produktionsstätte der Familie Thiel, danach wurde das Werk sozialistisches Volkseigentum.

An der „Pinnwand“ des Zimmers fand sich eine geordnete Sammlung farbiger Ansichtskarten, vorzugsweise von unseren Brief- und Karten-Partnerinnen aus irgendwelchen Bruderländern und dem begehrten ungarischen Schwesterland. „Parlament in Budapest“, „Elisabethbrücke“, „Fischerbastei bei Tag und Nacht“, der „Flachwasser-Balaton“ für Nichtschwimmer usw. hingen dort. Erinnerungen – „Ich denke oft an Piroschka.“ Film vor sieben Jahren mit Liselotte Pulver. Schreibend aber gingen meine Grüße nicht zu Liselotte, sondern zu Emese nach Budapescht. Welch ein schön klingender Name. – In der Heimat wurde das Mädel aber in Wirklichkeit „Ämmäsche“ gerufen, wie ich erst viele Jahre später erfuhr. „Emese“ lag mir aber viel näher – trotz der großen Entfernung. Ich hätte sie also gerne, für sie sehr ungewohnt, viel schmiegsam-weiblicher angesprochen, als es bei ihr Daheim üblich war. Dazu kam es aber nicht.


Auch das Muster-Bohnern des rotbraun gestrichenen Anhydrit-Fußbodens (Gips) mit dem gewichtigen gußeisernen Block, dem Bohner-„Besen“ brachte Punkte für die Bewertung beim Zimmerdurchgang und letztlich gab es für „die Sieger“ den Wanderwimpel für eine sehr gute, andauernde Zimmerordnung – auch für die im Spinde. Trostpreise wurden nicht vergeben!

Eng war es allerdings schon im Zimmer – aber Hausaufgaben = Schularbeiten am Tisch konnten wir auch im großen Speisesaal erledigen oder wenn es die Witterung zuließ, zum Teil auch in der freien Natur, z. B. verbunden mit lernend lesen – dösen – schlafen – Lernen im Schlaf – ein Ausflug in die Suggestopädie ... „nur mal für ein Viertelstündchen“, sehr effektiv.

Zur Platzeinsparung in der engen Bude hatten wir, also nur wir in unserem Zimmer, die drei Betten übereinander geschraubt und gesichert – statisch einwandfrei – nicht zu beanstanden!

Auf Grund eines Beschlusses des „ängstlichen Erzieher-Kollektivs“, das hier auch dem Mathe- und Physiklehrer nicht getraut hätte, mussten wir unsere schöne Kreation, die bis knapp unter die Zimmerdecke reichte, jedoch leider bald wieder auf das Doppelstock-Bettmaß zurückschrauben. Niemand der Erzieher sollte ja dauerhaft in Angst leben oder wir vielleicht den Ärger bekommen.

Zu Essen gab es stets reichlich – und sahen die guten Köchinnen und die freundlichen Kellfrauen des Dorfes (es waren beileibe keine Kellnerinnen im gewohnten Sinne) schon den Boden der sich schnell leerenden Riesen-Töpfe, so wurde sogar mittags fix ein Schmalzstullen-Nachschub angeboten. Alles blieb somit im Bereich der Zufriedenheit. Es gab dabei nichts herumzuklagen.

Das Großbeuthener-Jugendlied

Unser Klassenkamerad Gerd Rauter komponierte und textete im 1. Lehrjahr, im Herbst 1962, ein

Jugendlied, das in den Strophen 3 und 4 (die uns erhalten blieben) so lautete:

Vorgezogener Nachtrag: Unlängst hörte ich, dass Gerd Rauter bereits vor Jahren gestorben sei. Deshalb schrieb ich anstelle des verlorenen gegangenen Textes, die vier Ersatz-Strophen 1, 2, 5 und 6 heute, am 10. September 2016, am Abend nach unserem „Lehrlingstreffen“ in Thyrow und Großbeuthen, neu und stelle euch das ergänzte Lied hier vor.



Großbeuthener Jugendlied


1.

Nach der Schulzeit in der Heimat kamen wir in Beuthen an,

um zu lernen, um zu wissen, um zu stehen unsern Mann.

Wir fanden im September uns hier gemeinsam ein:

Drei Jahre Jugendleben – besser kann es gar nicht sein.


2.

Wir lernen unsre Welt hier völlig neu versteh'n

in einem regen Austausch – und das ist wunderschön

mit Spaß auch Ernst und mit viel Heiterkeit ist es eine gute Zeit.


3.

Jeden Abend an der Ecke heulen Motorräder auf

und du schwingst dich jeden Abend auf ein' Jawa-Sozius drauf.

Ich steh' mit meinem Fahrrad hier einsam und allein –

und trau mich nicht zu sagen: Baby komm und sei doch mein.


4.

Ja dann könnten wir zwei die Welt ganz anders seh'n,

ohne Feuerstuhl und ohne die Chausseen, denn nicht ein

Motorrad macht eine Liebe schön, sondern wie wir uns versteh'n.


5.

Morgens geh'n wir in die Schule, auf den Acker, in den Stall,

pflegen Kuh, das Schwein, die Katz' – man sieht uns überall.

Am Abend zum Baden an unsern See wir zieh'n.

In Beuthen ist das Leben für uns doch so sehr schön.


6.

Verliebte gibts bei uns zu jeder Zeit, manchmal ist die Hochzeit

auch nicht mehr so weit. Auf dem Land zu leben,

eine lange Zeit – dazu sind wir gern bereit.




Dieweil neben anderen Jungen auch Gerd Rauter in die Saiten seines Klampfholzes griff, hämmerte Christian Feu. auf dem Klavier, dem für diesen Sound zwischen die Hämmer und Saiten Ölpapier eingelegt wurde, damit das Instrument bloß nicht etwa klingen sollte (es hörte sich dann mehr an wie ein Klafünf), sehr gekonnt Bill Haleys und Elvis' Lebensgefühle im Rock'n Roll herunter. Elvis Presley hätte auch ebensogut zwischen uns sitzen können, denn er stammte ja nicht von alten Ureinwohnern der Neuen Welt ab. Seine deutschen Vorfahren, mit Namen „Breßler / Pressler“, waren etwas südlicher von uns, wohl in Thüringen und in der Pfalz beheimatet, bevor ein Teil der Sippe, möglicher Weise als Glaubensflüchtlinge, „über den großen Teich“ ausgewandert waren. Bressel / Bressler / Preßler gelten als Ableitungen vom Namen „Ambrosius“, was soviel wie „der Unsterbliche“ bedeutet. Daher kommt es, dass Elvis bei uns durchaus als freier DDR-Bürger hätte „durchgehen können“ und unvergessen war und bleibt – vielleicht eben so etwa wie „quasi-unsterblich“.

Aber unser Christian Feu. bot nicht nur Schlager dar, sondern auch gern, gekonnt und sehr gefühlvoll, die Wiedergabe von Volksliedern.

Erst nach unserer Beuthener Zeit wird „die reinigende Anti-Sint-Flut“ kommen, der Sündenpfuhl also etwas trockener gelegt werden – es wird mit der Musikauswahl einfach schwieriger sein, doch gleichsam auch um so einiges „erleichtert“, denn am 18. Dezember 1965 wird der Vorsitzende des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), der Genosse Walter Ulbricht
(* Leipzig, 1893, † Berlin, 01. August 1973), auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), als eine der Weihnachtsüberraschungen die markig-martialischen Worte sprechen:


Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck der vom Westen kommt, ja?, kopieren müssen?

Ich denke, Genossen, mit der Monotonie dieses Je, Je, Je und wie das alles heißt,

sollte man doch Schluss machen“.


Das war keine Frage oder Meinungsäußerung an sich, es schien, „so hoch angebunden“, wohl fast eine der brennendsten Fragen für die DDR-Führung in unserer Zeit zu sein, es bedurfte endlich eines letzten Machtwortes und dieses war ein Befehl! Zu den Verursachern des Unmuts, vom Vorsitzenden als nur ein Beispiel dargebracht, gehörte auch die britische Musikgruppe „Beatles“ (Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr, George Harrison) mit ihrem Liebes-Song:


She loves you, yeah“

(in der nachdichtenden Übersetzung):

Sie liebt dich –

ja, sie liebt dich, schöner kann es gar nicht sein. –

Ja, sie liebt dich – und da solltest du dich freu'n“.


Ja, solch ein West-Dreck aus dem Vereinigten Königreich! Schon allein Königreich!!! Und dann

Liebe ohne Sozialismus. Mit diesen kapitalistischen Auswüchsen werden wir Schluss machen!

(Das Lied war auf der ersten „Goldene Schallplatte“ der Beatles. Bei mir Tränen in den Augen – nicht zuletzt deshalb, weil diese Welt hier verkehrt wird – weil aus fröhlichen unbeschwerten Jugendliedern der Anlass zu einem gewaltigen Staatsakt gemacht wird, es dagegen bei den großen Problemen des Landes, mit überlebenswichtigen Aufgaben sozialpolitischer und wirtschaftlicher Art, an sinnvoll gestaltenden Maßnahmen mangelt.)

Auch alle anderen Lieder der Beatles enthalten keinerlei Elemente, die der „sozialistischen Moral und Ethik“ entgegenstehen. Sie entbehren allerdings konkreter Hinweise auf den stets erforderlichen Klassenkampf der Arbeiter und Bauern. – Vielleicht hätte der Ulbricht, vor einem eingeläuteten Verbot den Großmut besitzen können an „Intertext“ einen Übersetzungsbefehl zu erteilen oder er hätte schlicht einen der Wissenden unter den hunderttausenden Schülern dazu befragen können, was dieser unverständlich englische Liedtext wohl auf gut sächsisch bedeuten möchte. Solch ein „Großmut“, das notwendige Wissen zu erlangen bevor Entscheidungen getroffen werden, in groben Zügen verstanden zu haben worum es überhaupt geht, bevor man richtet, solch ein „Großmut“ zum Normalen bestand in den höchsten Regierungskreisen nicht.

Walter Ulbricht hatte sich schon während der schlimmen Kriegszeit als ein Freund der russischen Sprache versucht und man kann durchaus nachvollziehen, wie lieblich ihm das oben genannte Musikstück mit dem wiederholt-verstärkenden „Ja“ in russischer Sprache erschienen wäre: Nicht dieses „Je, Je, Je“, sondern auf gut russisch: dieses „Da, Da, Da – und wie das alles heißt ...“, das hätte seinen Ohren vielleicht geschmeichelt. Über eine solche Variante hätten sich nicht nur die befreundeten Sowjetmenschen, sondern eventuell sogar auch die Da-Da-isten ein bisschen gefreut – aber eben doch nicht mit allumfassender, sondern vermutlich nur in gedämpfter Freude, denn auch diese Leute waren und sind wohl größtenteils eher freiheitsliebend, verabscheuen Zwänge, Bevormundung und Gewalt durch die Obrigkeit und Jedermann.

Hätte man dem Ulbricht das Lied doch bloß zumindest in Leipziger Mundart vorgetragen und dazu im niveauvollen Lipsi-Schritt getanzt, den Helga Brauer als geeignet erscheinende gute Werbeträgerin gerade in jenen Tagen zu besingen hatte! – ohne dass man diesem fleißigen Bemühen hätte einen Erfolg nachrühmen können (siehe: „Alle jungen Leute tanzen heute nur im Lipsi-Schritt, im Lipsi Schritt ...“).

Die zu ihrer Zeit dort in England lebenden Altväter Karl Marx und Friedrich Engels hätten das mit der Musik vermutlich lockerer gesehen, als der Staatsratvorsitzende Genosse Ulbricht und wohl nicht erwartet, dass die Liverpooler Boys eher mitteldeutsch hätten singen sollen, um in ihrer Heimat besser verstanden zu werden.

Ein wenig Affinität zur Verwandtschaft statt schroffer Ablehnung wünscht man sich ebenfalls – denn schließlich sind die Baetles waschechte Angel-Sachsen, wenn auch mit dem Nachteil behaftet, nicht ebenfalls in Leipzsch das Licht der Welt erblickt zu haben.


Warum fiel gerade dieses als beispielhaft auszumerzende englische „Ja, sie liebt dich“ der Beatles dem W. U. so sehr schwer in die Ohren? Er hätte doch schon mal, vielleicht sogar aus eigenem Antrieb, ganz leicht als Beginn solch einer Aufräumaktion, den von den West-Alliierten „Checkpoint Charlie“ genannten >Kontrollpunkt C< an der Berliner Friedrichstraße auf der DDR-Seite einfach in „Grenzübergangsstelle (GÜST) Carl / Karl“ umbenennen können. Das hätte das negativ Englische eliminierend positiviert und des Weiteren feinsinnig an den Altvater Marx erinnern können – in Verbindung zur nahegelegenen Karl-Marx-Allee, die vorher an dem Ehrennamen des Diktators
J. W. Stalin schwer zu tragen hatte. Wäre das nicht ein schöner Anfang gewesen? Aber nein, njet!


Warum bitte, frage ich sehr ernsthaft, hat es keiner, nicht einer der sozialistischen DDR-Musiker und Texter übernommen, niemand vom Zentralkomitee angeregt oder vom Politbüro heiß gewünscht, eine schöne zukunftsweisende Liebes-Hymne über Lotte & Walter U. zu schreiben? Nicht mal zu seinem 70. Wiegenfeste. Vielleicht hätte so etwas dessen häufig aufschäumenden Gemütswogen besänftigen können? Warum also nicht? – hatte da vielleicht gar eine gewisse Bockigkeit Kulturschaffender ihre Finger im Spiele? –

Hätte, hätte, – Großmut hin, Verständnis her – was soll das? Immer wieder solche komischen Fragen und Vorschläge. – Um es kurz zu machen: „Die Partei hat immer recht, sie irrt sich nie“. Punktum – auch wenn sie sich oft nicht um das einfache Wissen und Verstehen bemüht, als eine Grundvoraussetzung für kluge Entscheidungen. Das ist üblich und es ist schmerzlich. Das wird so bleiben bis zum Schluss im '89-er Jahr – auch wenn es schöner wäre, das Beste für uns, für das Land und sein Volk zu denken und anschließend auch nach dem Gedachten – das Beste zu tun.


Eine neue Eiszeit kommt also auch in der Musik auf uns zu. Es gab immerhin vorher, ebenfalls von den Beatles gesungen, das Lied. „I want to hold your hand", das gut zu dem vorgenannten Titel passt. In der DDR durfte es noch in der nachgedichtenden Übersetzung als „Komm, gib mir deine Hand“, von den „Amigos“ gesungen, auf Schallplatte erscheinen. Nun aber wird die Schraube stärker angezogen. Das Verbot des öffentlichen Nachspielens und Nachsingens bundesdeutscher Titel wurde von den oben genannten Worten des Staatsratsvorsitzenden „eingeläutet“. Dazu gehörten eben auch solche Lieder, die in fremder, sehr schwer nachvollziehbarer Sprache die Liebe der Menschen besingen,

Als Vorbild, Gegenpol und Ausweich gilt für uns: „Die Sowjetmenschen haben schöne Weisen“. Das ist unbestreitbar wahr! Und also bitteschön: „Von Freunden sollt ihr für das Leben lernen".

Aber die Säuberung vom „westlichen Dreck“ betraf auch die Texte der landeseigenen Produktionen. So wurden nun solche Interpretationen, selbst des Publikumslieblings Frank Schöbel von der Zensur erfasst wie „Looky, looky ...“, „Baby, du bist okay“, „Teenager-Träume ... und wohl noch weitere Schlager erfasst. Aussortiert. Verboten! Sie durften nicht mehr bleiben, nicht mal textlos, instrumental oder textgemodelt. Bei dem sensiblen Slow-Fox „Teenager-Träume“ war mir ohnehin von Anfang an so, als hätte Frank singen wollen / können: „Die Mädchenträume sind Träume vom Glück...“ – aber man nagte einfach eher unbedarft am Tee und sägte an Ulbrichts Wurzelnerv – weil doch nichts weiter dabei war?


Ja, erst in der Rückschau, sehe ich selbstkritisch, nun aber überdeutlich, dass beispielsweise wir Lehrlinge des werktätigen Volkes ein gerüttelt Maß zu dieser schmerzlichen Entwicklung beigetragen haben. Wir selber tragen an großer Schuld: Unsere Mit-Lehrlinge bekamen solche kurzen Ruf- oder Beinamen wie Bobby, Jacky, Jimmy, Goofy und Satchmo. Warum nur - warum? Zum Glück fehlte aber zumindest „Bummi“ nicht in unseren Reihen. Der allein aber konnte nun wirklich nicht alles kompensieren und geradebiegen.

Für eines unserer lieben Mädchen (H. B.) war der Name „Texas-Mary“ geläufig. Weshalb? Na?

Wir hatten offenbar Denk-Unterlassungen begangen, denn keiner, nicht einer von uns Einfaltspinseln, ganz zu schweigen von unseren Mitschülern aus Offiziersfamilien der NVA oder anderen höheren Funktionärskreisen, hatte ernsthaft in Erwägung gezogen und hilfreiche Vorschläge unterbreitet, das Mädel doch besser mit solch einem liebevollen Kosenamen wie „Sibirien-Natascha“ oder auch „Uns're Olga von der Wolga" zu würdigen und damit auszuzeichnen – vielleicht zu ihrem Geburtstag. Oder zum 1. Mai, vielleicht zum 7. Oktober. Das wäre etwas gewesen, das hätte sie gewiss begeistert. Und nicht nur sie – vielleicht hätte es auch die Oberhäupter der „Staatlichen Organe“ etwas beruhigt oder sogar befriedigt. Aber nein, aber nein – es sollte Texas-Mary sein. Ausgerechnet eine Marie aus der blöden öden verdörrt-staubigen texanischen Steppe.

Mit Katja, mit Katjuschenka hingegen wäre es besser gegangen, wären wir gut gefahren. Ihr wisst schon – das berühmte Lied: „Raswjetali Jabloni i Gruschi ...“. Diese Katjuscha, schlank wie eine Gerte, mit baikalblauen unergründlich tiefen, leicht irisierenden Augen und ihren frühstückssemmelblonden Zöpfen, ähnlich aussehend wie der reife wogende Weizen der fruchtbaren fetten Schwarzerde in der ruhmreichen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetvolksrepublik oder so schön wie meine Briefpartnerin Elena Ostap. (<= der stoppende Punkt ist dem Datenschutz geschuldet), der ich zum Geburtstag ein bescheidenes Angebinde aus Edelmetall ins Freundesland nach Odessa schickte, was wohl zwar dort – aber eben nicht bei ihr ankam. Höchstwahrscheinlich hatten die teuren sowjetischen Genossen von Post, Zoll oder Tscheka schon aufgrund der mir vorgeschriebenen Zollinhaltserklärung einen Eigenbedarf erkannt. Kurz: Es gibt so sehr viel Schönes ... auch im Nahen Osten. Warum also in die Ferne schweifen, fragt uns selbst des Dichters Wort. – Die unreife Jugend aber hat mitunter andere Gedankengänge, als die Gereiften sie verfolgen. Und dabei hat die Partei, also, die führende, es noch 1963 im Guten versucht, als sie die nette Ruth Brandin und „die Kolibris“ den zielgerichteten Schlager mit heißem Rhythmus, diesen „Knüller“, zwitschern ließ:

Warum nennt man dich Sunnyboy, warum nicht einfach Werner,

warum ist das moderner? Warum?“

Der lyrisierte Fragenkatalog in einem DDR-Schlager. Ja, warum nur? Bohrende Fragen, deren Antwort die Kulturschaffenden, selbst die Partei, im Text dieses Auftragswerkes grundsätzlicher Art und Bedeutung, offen ließen. Und sogar der sonnige Werner ließ die gute Ruth ohne Antwort im Regen steh'n. Das gehört sich nie und nimmer. Das hat sie nicht verdient. – Immerhin haben wir diesem vorerwähnten Westdreck-Song der Beatles ein klassenbewusstes Liedgut entgegenzusetzen gewusst. –

Diese Ruth Brandin aber macht leider diesen guten Ansatz wieder zunichte, indem sie in einem anderen Schlager bald trällert: „Dort treff' ich Dich Charlie und das macht mich immer wieder verliebt – ob du's glaubst oder nicht“. Das erinnert doch daran, dass Ende der 50-er Jahre schon mal „Charlie Brown“ aus dem Westen zu uns herüber schwappte: „Wer lernt die Vokabeln nicht? Wer spielt Skat im Englisch-Untericht? Der Charlie Brown ...“. – Oder auch Conny Froboess mit „Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein und dann nichts wie 'raus zum Wannsee“, der inzwischen in Berlin-West lag. Damals konnte es die DDR in einer Nachvariante noch zum „Waldsee“ umbiegen, bevor diese Urheberveränderung in der Versenkung verschwand. –

Wie also konnte das jetzt nur passieren? Fehlte eine Nachhaltigkeit bei der Diskussion um die ernsten Gründe des vorgenannten Sonnyboy-Schlagerauftragswerkes? Hatten denn die Ruth und vor allem der Texter des Machwerks regelmäßig am Parteilehrjahr teilgenommen und dort ihre gegenwärtigen Arbeiten der Kritik und der Selbstkritik unterzogen? Irgend etwas ist dort, selbst in der Zensur, offenbar unzureichend vor sich gegange – total schief gelaufen.

Statt Charlie zu besingen – Wasja wäre ja günstiger gewesen aber Walter noch viel besser. Auch Karli, statt Charlie, wäre gangbar gewesen. Ich hatte sowas bereits oben empfohlen – aber auf mich hört ja niemand. Wir haben in Potsdam-Babelsberg auch das Karli – das Karl-Liebknecht- Stadion, wo der Ball über den Rasen rollt. Geht doch. (Den Rollrasen aber gab es damals hier noch nicht) – .

Meine Tochter soll mal „Concordia“ heißen. „Eintracht“, „Einigkeit“, falls meine spätere Frau es auch dringend so möchte, wie mein Harmoniebedürfnis es anstrebt. Hoffentlich machen Gleichaltrige nicht sofort „Conny“ oder „Cordi“ daraus. Ich würde solches aber bestimmt nicht öffentlich, „von Staats wegen“ verbieten lassen wollen.


Doch zurück zum Thema. Wir sehen: genutzt hat das Bisherige überhaupt nichts. Es war daher eine schärfere Gangart angezeigt, um derartigen ungesunden Tendenzen die Wurzeln zu ziehen.


Doch schon ein kleines Jahrzehnt später, im August 1973, hatte Genosse W. Ulbricht dann eine ganz persönliche Frostperiode, eine Wartezeit, als die Staatstrauer für ihn bis nach dem Ende der

X. Weltfestspiele in Berlin aufgeschoben wurde und er, der vormalige Vorsitzende, auf der Armee-Lafette hinter dem Ludwigsfelder Lkw „W 50“ durch einige große Berliner Straßen zum Zwecke des Abschied-Nehmens durch die Reihen der Spalier-Stehenden geeilt wurde. (Auch ich war dabei und hatte meine Finger am Puls der Zeit). Das „würdig rasante Tempo“ durch die Karl-Marx-Allee hatte dann bereits der „Ziehsohn“ und Nachfolger, Erich Honecker mit seinen Mannen vorgegeben. Er, der neue Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Vorsitzender des Politbüros des Zentralkomitees, Staatsratsvorsitzender der Deutschen Demokratischen Republik sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates – so die auch ihn ehrende Titelfolge, in den täglichen Nachrichtensendungen und in den Zeitungen stets präsent. Ja, so schnelllebig ist die Geschichte. Auch für diesen Erben und Nachfolger, den angelernten Dachdeckerhelfer, den Freund der Jugend und zentralen FDJ-Sekretär sowie Staatsratsvorsitzenden pp., endete seine Zeit ja ebenfalls nicht gar zu prächtig. Aber bitte, daran war nicht der Genosse Ulbricht schuld! Das haben dann schon andere gestaltet.


An besinnlichen Abenden sangen wir auch durchaus Volkslieder, öfter jedoch, waren viele aktuelle Schlager zu trällern, wie beispielsweise einige aus jener Liste des Jahres 1962:

Abends kommen die Sterne und die Schiffe zum Hafen, abends kommen die Träume und abends kom.

Bärbel Wachholz // Helga Brauer // Ulla W.

Addios Amigo, sie war schön die Zeit

Sacha Distel

Afrikaan – Beat

Bert Kaempfert

Aloh – Ahe, die Heimat der Matrosen, Weine nicht bei

Freddy Quinn

Ask me why

The Beatles:

Auf der Sonnenseite

Manfred Krug

Auf meiner Ranch bin ich König, die weite Welt lockt

Peter Hinnen

Badewannen-Tango

Günter Hapke // Lutz Jahoda?

Bobbys Girl. Ich wär' so gern B. G., ich könnte ja so treu und zärtlich sein

Lil Malmkwist // Susan Maughan // Marcie Blane

Bonanza. Tag und Nacht denk ich an dich – Bonanza

J. Cash // P. Paulsen // R. Bendix

Butterfly

Danyel Gerard

Cara-Caramel Chocolat, so ist jeder Kuss von dir, jeder ...

Günter Hapke

Carolin, Carolina, jede Nacht träum' ich nur von dir

Peter Beil // Perikles Fotopoulos

Dip, dip, dip. Er kam auf einer Party mit 'ner Ander'n an

Dorthe

Don't break the Heart that loves you

Connie Francis

Dort treff' ich dich, Charlie ... und das macht mich

Ruth Brandin

Du darfst mich nie belügen, denn ich vertraue dir so

Fanny Daal

Du schaust mich an, so als wärst du sehr verliebt

Peter Beil

Ein Herz, das kann man nicht kaufen, auch wenn sich

Margot Eskens

Einmal weht der Südwind wieder. Unter Sternen am

Rica Déus / Nana Mouskouri

Elisabeth Serenade. Hör' mein Wort Elisabeth

R. Binge // Günter-Kallmann-Chor

Fiesta Brasiliana

Mina Mazzini

Für Gaby tu‘ ich alles. Ich schau im Städtchen nicht

Gerd Böttcher // Günter Hapke

Geld wie Heu. Mein Herz ist voller Liebe, denn Susi

Gerd Böttcher

Gib mein Herz mir wieder, bitte gib es mir zurück. Du

?

Glory, glory Hallelujah

(bereits viel früher und) // Ronny

Hämmerchen Polka

Heinz Erhardt // Chris Howland

Heißer Sand und ein verlorenes Land, und ein Leben

Mina Mazzini

Iwan Iwanowitsch

Anna-Lena Löfgren, Schweden

Jeden Abend an der Ecke heulen Motorräder auf, und

Gerd Rauter

Junge, komm bald wieder, bald wieder nach Haus, J.

Freddy Quinn

Just tell her Jim said Hello

Elvis Presley

Kenn ein Land, irgendwo, scheint alle Tage die Sonne

Ronny

Kiss me quick

Elvis Presley

Lady Sunshine und Mister Moon

Conny Froboess + Peter Weck // Ruth + Evelyn

Lass' die Liebe, die große Liebe aus dem Spiel

Anita Lindblom // Helen Shapiro?

Let's dance

Chris Montez

Limbo Rock, Every night ...

Chubby Checker

Let's Twist again. Come let's

Chubby Checker

Locomotion, come Baby to the L.

Little Eva

Love me do

The Beatles

Love me tender, love me sweet

Connie Francis // Elvis Presley

Medehav och Sol // Melodien und Sonnenschein

Lil Malmkwist

Mexico

Bob Moore

Mit Siebzehn

Peter Kraus

II:Monsieur:II ich habe Sie erkannt. II:M.:II Sie sind...

Petula Clark

Oh, Lago Maggiore

Rica Déus

Oh, Mein Bräutigam, der macht mir Sorgen, doch wenn er heut' nicht kommt, verschieben wir's auf m.

West: Anna-Lena Löfgren,

Ost: Karin Prohaska // Rica Deus

Ohne Krimi geht die Mimmi nie ins Bett

Bill Ramsey

Oh when the saint, go marching in

Louis Armstrong

Only you

Elvis Presley // Brenda Lee

Paradiso unterm Sternenzelt, Paradies am Palmen.

Connie Francis

Peppermint-Twist. Wisst ihr, wo ich gestern Abend war

Caterina + Silvio Fr.// Vince Taylor // The Sweet // Chubby Checker

Popocatepetl-Twist

Caterina Valente + S. Francesco

Please, Please me

(Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr, George Harrison)

The Beatles,

das sind

<----

Quando. Sag mir Quando, sag mir wann ich dich wiedersehen kann.

Caterina V. + Silvio Francesco // Tony Renis

II:Renata:II, ich sing dir heut‘ keine Serenada, weil man beim Singen nicht küssen kann

Vico Torriani

Return to sender

Elvis Presley

Ricki-Ticki-Tim

Ruth Brandin, Orch. G. Gollasch

Sag no zu ihm . Wenn einer kommt und dir erklärt, ich

Cliff Richard

Saint Tropez Twist

Peppino di Capri

II:Salute:II oh, Carolina du bist wunderschön, ich muss

Perikles Fotopoulos, Columbia

Skip do ba do my Darling“

Nat King Cole

Speedy Gonzales. In einer kleinen Stadt in Mexico lebte die schöne Juanita, doch sie war nicht froh. Sie

Pat Boone // Rex Gildow // Peppino di Capri

Spiel noch einmal für mich Habanero

Caterina Valente

Steig in das Traumboot der Liebe

Caterina Valente

Stranger on the shore

Mr. Acker Bilk

St. Tropez-Twist

Peppino di Capri

Süßer kleiner Teufel. Ich lieb' dich, s. k.T. Morgens in

Hartmut Eichler

Sweety, wo schaust du denn nur hin, sweety, was hast

Peter Kraus

Täglich ein paar nette Worte

Hartmut Eichler

Tanze mit mir in den Morgen, tanze mit mir in das Glück

Karlheinz Reichert // Gerhard Wendland?

Telestar. Irgendwann erwacht ein neuer Tag

(Anlässlich der Inbetriebnahme des Fernseh- und Telefon-Satelliten zwischen Amerika und West-Europa)

Camillo Felgen

The locomotion

Little Eva

II: Treu sein :II muss ein Mann, dem ich mich für's L.

Bärbel Wachholz

Wenn du gehst. Bleib' bei mir und sei mein, lass' mich

Connie Francis

Wenn wir zwei uns wiedersehn, dann wird alles wieder schön – im September.

Vivi (Vivienne) Bach

Weißer Holunder erblühte im Garten

Bärbel Wachholz // Lolita

Zwei kleine Italiener. Eine Reise in den Süden ist für

Conny Froboess



Zwischendurch schaue ich mal auf die Uhr: Es ist jetzt April oder auch Ostermond

und für diese Zeit klären uns die bäuerlichen Erkenntnisse auf:


Ein Wind in der Nacht – am Tage Wasser macht.

Helle Wolken, wenig Regen – dunkle Wolken bringen Segen.

Wenn der April stößt wild ins Horn, so steht es gut um Heu und Korn.

Ist der Aprilis feucht und kalt – wächst unser Korn grad wie ein Wald.

Ist vierter Monat kalt und trocken, lässt er dann alles Wachstum stocken.



Aus dem Angebot der Lieder des Jahres 1963 wählten wir auch einige:

In der DDR wird der Tanz „Patschula“ aus Ungarn eingeführt und der „Letkiss“, nach einem finnischen Volkstanz vorgestellt.

Abends kommen die Sterne und die Schiffe zum Hafen

Jane Sward // Bärbel Wachholz

Aber dich gibt’s nur einmal für mich

Rocco Granata // Semino Rossi

A taste of Honey // Ein Kuss zum Abschied

Esther Ofarim // The Beatles

Atlantis

The Apaches // The Shadows

Ave Maria (als Calypso). Immer wieder sind es jene alten L.

Perikles Fotopoulos, Die Perdidos

Barcarole in der Nacht, du hast Tränen mir gebracht. Er

Connie Francis // Elly de Wit

Blowing in the Wind

Peter, Paul and Mary

Blue Bayou

Roy Orbison // Paola

Buona Notte Bambino mio

Rocca Granata, geb. in Süditalien, Sohn belgischer Einwanderer.

II:Casanova baciami:II Casanova kisse me. Sind auch

Petula Clark / Erika Bartova

Café Oriental. Im Orient gibt's ein Lokal - das Café O.

Bill Ramsey

Cape Town Boy

Bärbel Wachholz

Cha Cha Ballahoo

Esther & Abi Ofarim

Cherio, I love him

Petula Clark

Cotton fields (Baumwollfelder) … man kann heut' viele tausend Meilen in entfernte Länder reisen, doch darauf

Esther & Abi Ofarim

Da doo ron ron

Ted Herold

Wenn du willst ... Das kannst du mir nicht verbieten, dich zu lieben alle Zeit, ganz genauso wie heut' ...

Bernd Spier // Ulli Martin

Der Platz neben mir ist leer, ich seh' deinen Schatten

Sacha Distel // Hartmut Eichler

Der Schatz im Silbersee

Medium-Terzett

Dirty old town

Esther und Abraham Ofarim

Doch Betty kann so furchtbar lieb sein

Volkmar Böhm

Dominique, geht so fröhlich durch die Welt

Schwester Soeur Sourire, Nonne

Do you want to know a secret

The Beatles

Drei Musketiere, die zieh'n um die Welt. Für sie ist

Conny Froboess

Du, du, du gehst vorüber

Suzie Peereboom, NL / Schweden

Ein Souvenir. Schenk' mir ein Bild von dir, gern, nimm'

Peter Kraus + Conny Froboess

Eldorado

Vanna Oliveri (Frankreich)

Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier, d'rum fahr'

Paul Kuhn

From me to you

The Beatles

Gaucho Mexicano – Im Tal der blauen Berge, da bau'n wir u

Geschwister R. + W. Leismann

Gehn sie aus, im Stadtpark, die Laternen

G. Haenning und Rex Gildow

Gib mein Herz mir wieder, bitte gib es mir zurück. Du hast

Steffen Reuter

II: Gitarren :II im Mai, Gitarren, die waren dabei. Sie werden

Bärbel Wachholz

How do you do it?

Gerry & The Peacemakers

Ich will 'nen Cowboy als Mann

Gi meg en Cowboy til mann

Gitte Haenning. * 1946, Wencke Myhre, Lil Malmkwist * 1938

Ich geh' noch zur Schule, ich hab' keine Zeit. Ich muss

Manuela (Doris Wegener, * Berlin 1943, † 2001).

Ich hab' die goldene Sonne und den Silbermond

(aus dem Musical: Annie get your Gun).

Heidi Brühl

I want to hold your hand / Komm, gib mir deine Hand

(Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr, George Harrison)

The Beatles

I will follow him

Peggy March

II: Johnny komm' :II und erzähl' mir 'was aber II: bitte :II was

Originaltitel: Johnny loves me.

Suzie Peereboom

Junge komm‘ bald wieder, bald wieder nach Haus', Junge

Freddy Quinn

Kiss me quick

Elvis Presley

Kleines Haus am Wald (ein Twist nach dem Volkslied)


Liebeskummer lohnt sich nicht my Darling. Schade um

Siw Malmquist, Helga Brauer

Little Child

The Beatles

Love me Tonight

Elvis Presley

Meine große Liebe wohnt in einer kleinen Stadt

Eden Kane (oder Kent?)

Melodie einer Nacht, sie begann wie ein Traum … bleibe

Esther & Abi Ofarim

Misery

The Beatles

Mister Casanova, mit dem schwarzen Haar, ist, was du

Siw Malmquist // Ruth+Evelyn

Mitsou, mein ganzes Glück bist du. Laternen in den

Jaqueline Boyer

II: Monsieur :II ich habe Sie erkannt. Sie sind galant und

Nicole Felix

II: Muss i denn :II zum Städtele hinaus

Volkslied // Elvis Pr. // G. Backus

Ob in Bombay, ob in Rio

Margot Eskens

Okay, ich sage nicht nee

Lil Malmkwist

O Waly waly

Esther Ofarim

Pense á moi

France Gall

Papagei-Twist. Allerlei hat der Papagei mir von dir erzählt

Ruth Brandin

Please, Mister Postmann

The Beatles

Poetry in motion

Johnny Tillotson

Put your Head on my Shoulder

Paul Anka

Ring of fire

Johnny Cash

Robinson, du hast keine Ahnung, du weißt nicht

Vanna Olivieri

Rote Lippen soll man küssen . Ich sah ein schönes Fräulein

G. Backus / Cl. Richard / P. Kraus

Roter Mohn wird wieder blüh‘n

Heidi Kempa

Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben?

Neuauflage: Marlene Dietrich

Schuld war nur der Bossa Nova. Als die kleine Jane

Manuela (Doris Wegener, * 1943,

2001) // Liane Monti

Schwarzer Kater Stanislaus, schnurre di burre di bumm

Helga Brauer (1936 – 1991)

Seemann, deine Heimat ist das Meer

Lolita


Sheila

Tommy Roe

She loves you, yeah, yeah, yeah

(Paul McCartney, John Lennon, Ringo Starr, George Harrison)

The Beatles:

Das war ihre erste goldene Schallplatte

Sole, Sole, Sole heißt die liebe Sonne. Immer scheint sie, wenn ich zu dir komme - Der Himmel sieht blau aus,

Caterina Valente //

Bärbel Wachholz

II:Sugar Baby:II, sei doch lieb zu mir

Peter Kraus

Täglich ein paar nette Worte

Hartmut Eichler

The ring of fire

Johnny Cash

Tino

Peggy March

Verliebt, verlobt, verheiratet, so heißt das Spiel zu zwei'n

Conny Froboess

Vom Stadtpark die Laternen. Geh'n sie aus im Stadtpark

Gitte Haenning + Rex Gildo

Warum scheinen heut' die Sterne so hell?

Die Rockies

Wenn erst der Abend kommt

Peter Alexander

Wenn ich ein Junge wär, mit einem Motorrad, dann wär'

Rita Pavone

Why

The Beatles

II:Wini-wini:II, II:wana-wana:II Die Trommel ruft zum Tanz.

Waikiki Tamoure //

Thahiti Tamoures //

Jane Sward, Schweden

You really Got hold on me

The Beatles

Schluss nun mit dieser Aufstellung. Weitere Schlagertitel anderer Jahre könnt ihr auf der gleichen Internetseite www.janecke.name unter „Unterhaltungsmusik“ finden. –

Es drängt mich sehr, hier eine Notiz über die im Herbst '62 weltpolitisch brisanten Ereignisse einzufügen: Die Kuba-Krise. Es war etwa so, dass sich im 1962-er Jahr die sowjetische Regierung, also nur so zur Verteidigung des eigenen Landes anschickte, auf der fernen Insel Kuba etwas Militärisches zu installieren. Also „vor der Haustür“ der USA. Das Militärische, was dort bei San Cristobal Einzug hielt, waren etwa 40.000 fast allseits befreundete Sowjetsoldaten und zahlreiche Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen – in einer solchen Anzahl und möglichen Wirkkraft, die nicht mit den schrecklichen beiden „kleinen Bomben“, die 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, vergleichbar wären. Der Aufklärung der USA blieben der emsige Schiffsverkehr und auch der Bau von Startrampen für die Raketen aber nicht verborgen. So erfolgte ein eiliges diplomatisches Gezerre zwischen den militärischen Supermächten mit den entsprechenden Drohgebärden und den dazwischen liegenden Schwachstellen: Flugzeugpiloten, Schiffskommandanten, Geheimdienste, bei denen ein Denk-, Befehls- oder Handlungsfehler genauso wie eine Fehlhandlung auf höchster Regierungsebene, einen Dritten Weltkrieg hätten auslösen können ... und dazwischen auch noch unser DDR-Urlauberschiff „Völkerfreundschaft“, dessen Genosse Kapitän den Sperrgürtel der amerikanischen Kriegs-Schiffe vor Kuba, die die sowjetischen Waffentransporte abweisen sollten, ignorierte, weil er den Amerikanern die sozialistische Stärke und den verdienstvollen DDR-Werktätigen die Insel Kuba ein Stück näherbringen wollte. Es gab also eine Anzahl von Punkten, die als kriegsauslösendes Moment hätten wirken können.

In unserem Unterricht fand sich kein Platz, ein solches aktuelles Thema zu erörtern – es passte weder in die Fächer Deutsch, noch Staatsbürgerkunde oder Geschichte der Arbeiterklasse – in Acker- und Pflanzenbau oder Tierhaltung wollte es sich ebenfalls nicht unterbringen lassen. Es war nicht die richtige Zeit – es war wohl noch keine Direktive aus Moskau vorhanden, noch keine Vorgabe aus Berlin als Hauptstadt der DDR bis nach Großbeuthen gedrungen, in welcher Art und Weise diese Problematik zu diskutieren sei.

Wir hatten ja auch ohnehin genug damit zu tun, ideologisch bewusst die Kartoffeln zu sammeln und mit durchaus klarem Klassenstandpunkt den Schweinestall richtig auszumisten.

Es schien so „als sei >man< klassenbewust und stark verunsichert“. Ein militärischer Konflikt hätte wahrscheinlich auch uns, an der Nahtstelle zwischen den politischen Weltsystemen wohnend, stark betroffen – möglicher Weise zunichte gemacht.

Letztendlich wurde der gefährliche Konflikt Ende Oktober mit dem Ultimatum des Präsidenten John Fitzgerald Kennedy an den Ministerpräsidenten Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, dieses Vorhaben sofort aufzugeben, beigelegt. Letzterer war so klug und gab den Befehl, die Bauarbeiten auf Kuba einzustellen und die Raketen mit ihrer todbringenden Fracht in die Sowjetunion zurückzuholen, ebenso, wie die dort inzwischen auf Kuba stationierte Sowjetarmee. – Die USA holten dagegen die in der Türkei stationierten Waffen zurück – wenn ich das richtig verstand.

An DDR-Weltliteratur gab es damals ganz frisch den sozialistischen Jugendroman „Egon und das achte Weltwunder“. Ich sah das nämlich ausschnittsweise höchst aktuell, als ich der zauberhaften Gabriele beim Lesen über die Schulter blickte. In dem Buch geht es um des Egon Brümmers Wandlung innerhalb weniger Tage vom Bau-Hilfsarbeiter, Kammblas-Bandmusiker und Rowdy – zum leuchtenden Vorbild für uns alle. Wie war das bloß möglich? Infolge des unvorhersehbaren Erwachens plötzlicher Liebe zur sozialistischen Arbeit und einer Verliebtheit zu Christine. Eine Spielart von „realem märchenhaften Sozialismus“. Es liest sich wie ein Auftragswerk. Einen Erinnerungsgruß dazu wird 1966 Herbert Otto senden, wenn er Susanne Krug und Christian Smolny durch die „Zeit der Störche“ reisen lassen wird.


Zurück nun aber in die Beuthener Lehrtage.

Mein kleines Zusatz-Reich im Lehrlingswohnheim war der Sanitätsraum im rechten Flügel des Erdgeschosses zur Hofseite, den ich übernommen hatte, um bei Bedarf so nebenbei in der Kleinchirurgie Gutes zu tun. So konnte ich das Erzieherkollektiv von einer ihrer schwierigsten, verantwortungsvollen Aufgaben etwas entlasten. Auch sollten meine veterinärmedizinischen Kenntnisse hier Anwendung finden und vorher hatte ich in der Schule sowieso die Arbeitsgemeinschaft „Junge Sanitäter“ angeleitet. Selbst bei dieser „segensreichen Tätigkeit“ ging es für mich aber nicht ohne verschiedene Gewissenskonflikte ab. Beispielsweise meinte Werner Roh., im Winter wäre es unerlässlich (und nun ohne die Erzieherklippe endlich möglich), in diesem Raum seinen emsig gepflegten Zimmerpflanzen die ihnen zustehenden Kur-Portionen an medizinisch-ultravioletter Höhensonne angedeihen zu lassen.


Zwischendurch aber rät uns Ludwig Uhland (1786–1862) das ebenfalls Wesentliche

nicht zu vergessen, das uns als ein alter zu beherzigender Bauernspruch entgegenkommt:


Im Sommer such ein Liebchen dir in Garten und Gefild!

Da sind die Tage lang genug. Da sind die Nächte mild.

Im Winter muss der süße Bund schon fest geschlossen sein,

So darfst nicht lange stehn im Schnee, bei kaltem Mondenschein.




Im Keller des Wohnheims hatten wir für interessierte Spezialisten den GST-Raum (Gesellschaft für Sport und Technik). – Der Raum war ursprünglich nur als Kammer für vormilitärische Ausbildung gedacht. Hier konnten wir eine zeitlang des Nachts, also jeder der wenigen Eingeweihten und damit Zugelassenen unseres Clubs, ganz in Ruhe, völlig freizügig und ungegängelt von irgendwelchen diensthabenden Erziehern, den individuellen Neigungen nachgehen. Hier stand sogar ein einsatzbereites Funk-Gerät mit unerhörter Reichweite. Das soll uns aber nicht etwa an karnevalistische Freuden mit weiblichen Funkenmariechen erinnern, sondern eher an Herrn Samuel Morse. Wenn ihr auch mal dort hinein wollt – der Schlüssel hängt im Erzieherzimmer – von dort bekommt ihr ihn nicht. Aber den Zweitschlüssel hat Joachim. Diese heimliche Freizeittätigkeit im Heim ging solange gut, bis man davon auch mal etwas in offiziellen Radioprogrammen hörte. Also gut sprachlich allgemeinverständlich, ohne Morsekenntnisse. Über Dritte kam das selbst dem gestandenen Beuthener Landarbeiter und Fuhrwerkslenker Norbert zu Ohren und einer der letzten Radiohörer war Lehrer Brandt in seinem Zimmer eine Treppe höher über uns, der mit seinem plötzlichen und unerwarteten Besuch dem frohen Treiben vorsichtshalber ein jähes Ende bereitete. Wohl zu unser aller Glück – es hätte daraus sehr schnell eine zu große politisch aufgeblähte Sache werden können ... nicht auszudenken.

Ein Blick zurück! Mein Großvater mütterlicherseits, der Schlosser und Elektrotechniker Max Sommer (1875 bis 1945) war 1897 handwerklich daran beteiligt, als unter der Leitung von Professor Slaby und Graf Arco von der Technischen Hochschule Charlottenburg bei Berlin, nach vielen Mühen der erste deutsche Funkspruch völlig ohne Draht, also durch den „Äther“ gesandt wurde. Das war in Potsdam. Vom Campagnile (freistehender Turm) der Sacrower Heilandskirche wurde gesendet, über den Jungfernsee hinweg zur Kaiserlich-Königlichen Matrosenstation, dem kleinen „Wasserbahnhof“ für Schiffe in der Schwanenallee am „Neuen Garten“ als Empfangsort. Diese damalige große Mühe! Dort unter des Kaisers Wilhelm II. majestätisch-kritischen Augen wurden die Morse-Striche und -Punkte dechiffriert und ihm der schöne Text vorgelesen, der unsichtbar über den See geeilt war.

Ja genau, das war mein Opa Max, dessen Betrieb, wegen des großen Arbeitsumfanges vereint mit weiteren Firmen, die Kronleuchter im „Neuen Palais“, am westlicher Rande des Parks von Sanssouci liegend, von den Wachskerzen auf elektrische Glühlampen umrüstete, ohne dass von der gesamten Technik etwas störend zu sehen sein durfte. Kaiser Wilhelm II. dankte es ihm – wie zu vielen anderen auch – indem er sie anschließend in einen geplanten Kurzkrieg schickte, der dann von 1914 bis 1918 währte. Mein Großvater Max beschäftigte sich also nicht ausschließlich mit der Funktechnik.


Heutzutage lötet Claus K. in Großbeuthen so etwas ganz locker schöpferisch zusammen, mit beträchtlicher Sendeleistung und sogar als Sprechverbindung. Damals, 1897 zeigte der Funk-„Spruch“ ja nur Morsezeichen auf dem Papierstreifen. Hätte nun Claus eine solche moderne Präsentation doch auch noch dem Kaiser zeigen können oder besser noch: dem Staatsratsvorsitzenden ... Ihr wisst ja – wir haben ihn seit zwei Jahren als Nachfolger des Präsidenten Wilhelm Pieck – ach – oder besser doch nicht alles zeigen, wer weiß?


In der Dorfstraße wurde von vielen gern und lange die Gaststätte „Zu den drei Linden“ bei „Mutter Spiesecke und Sohn“ besucht. Manchmal so lange, wie das Geld reichte. Bei eingeladenen Mädchen schmolz deren Guthaben langsamer. Man kann auch angesichts der oft weit vorgerückten Stunden sagen, dass die Wirtsleute von den Heim-Lehrlingen regelrecht „heimgesucht“ wurden. Es gab zwar die festgelegte Schließzeit aber mitunter fragte man sich doch ernsthaft: warum jetzt überhaupt noch schlafen gehen, wenn man gegen 3.00 Uhr sowieso die Frühstücksvorbereitungen zu treffen hat, um pünktlich, frisch und munter in den Kuhstall zu gehen. Viel später mutieren dann die „Drei Linden“ „Zum braunen Ross“ und jenes wurde dann vom Ehepaar Batke bewirtschaftet.

Essen gab es im Heim stets ausreichend aber manchmal bestand ein Sonderbedarf an Luxus. Und hilfreich war da – „der KONSUM hat alles!“ Die Verkaufsstelle schräg gegenüber der Gaststätte, einige Stufen hoch. Nach der politischen Wende 1989 machte sich dann niemand mehr Sorgen um die Versorgung der Menschen. Die Einkaufsstätte wurde geschlossen und zum Wohngebäude umgerüstet – die Kneipe auch. Wann genau weiß ich nicht, denn ich kam später nur in größeren Abständen zu Besuch nach Großbeuthen.

Aus dem Alltag (Tierwirtschaft)

Als wir in Großbeuthen die Lehrzeit begannen, ging gerade der so schmerzhaft-dümmliche Versuch der Rinder-Offenställe, der im Jahre 1958 begonnen hatte, zur Neige, von dem sich die, die Landwirtschaft Planenden, mitunter völlig berufsfremden Genossen gegenseitig versprochen hatten, dass sich das schwarz-weiße DDR-Niederungs-Milchvieh dann ganz schnell freiwillig zu polarharten Pelztieren qualifizieren wird, wenn man im Winter nur die Stalltür fest genug verschließt und die Lebewesen draußen erkalten lässt. Zum Teil ließen sie sich an den Hufen aber noch mit der Spitzhacke aus dem Eis schlagen, weiß die noch junge Geschichte. Darüber gab es manche schlimme Geschichte.

Woher und von wem solche zentralen Anweisungen kamen, die dem weiteren Aufblühen des Sozialismus dienen sollten, wissen wir zur Genüge. Wie aber kann es aber sein, dass den Anordnenden und deren Entscheidungs-Vorbereitern die jeweils erforderliche Fachkenntnis fehlt? Auf diese Frage werden wir immer wieder zurückkommen müssen, schon deshalb, weil diese so wichtige Frage unbeantwortet bleibt – es diesbezüglich keine bessernden Änderungen geben wird.

Vielleicht hatte jemand der befehlenden Laien, jemand dieser „Spezialisten“, mal ganz aus der Ferne“ davon gehört, dass sich im hohen skandinavischen Norden wilde Fjäll-Rinder ganzjährig in der freien Natur aufhalten, sich selber überhaupt keinen Stall bauen. Die Bisons / Büffel und die Wisente können auch bei winterlichen Entbehrungen so leben – wenn's für sie auch hart ist.

Unsere Hauskühe können das nicht! Das wusste „man“ – also „der kleine Mann“, das bäuerliche Volk. Das Thema hätte sich generell viel schneller und für die Tiere freundlicher erledigt, hätte man die anweisenden Leute mit ähnlicher Körpertemperatur, ähnlicher Bekleidung“, bei vergleichbar eingestelltem Kalorienhaushalt und weniger Parameter mehr, ebenfalls bei -10°C nur einige Tage und Nächte in ihrem knöchelhohen Hart-Schlamm außen, vor der Haustür stehend angebunden.

Den meisten der viehverständigen Landwirte gefiel diese Tierquälerei wohl nicht und auch schon solch ein Umstand war mal wieder einer der Gründe, der zum Bürger-Verbrechen der Republikflucht anregte, dazu trieb – zumindest bis zum 13. August des Vorjahres '61. Für jene, die es später dennoch versuchten, bestand ein genügendes Angebot an Gefängnisplätzen, um nun solche Menschen ebenfalls zu quälen. Aber eine Anzahl duckte sich wohl einfach und fügte sich, tat das Angeordnete, tat widerwillig das ihnen widersinnig Erscheinende – wie so oft.

Der Überzahl unserer Lehrlinge hätte man die neue Einsicht zum Unsinn der untauglichen Rinder-Offenstall-Methode nicht im Unterricht vermitteln brauchen. Das aber tat vorsichtshalber auch ohnehin niemand.



Unser Ziel ist ein uneingeschränktes Einvernehmen mit dem Wohl und dem

ungebrochenen Lebensgefühl des Tieres, das alles Gute in uns erklingen lassen sollte.


Franz Marc, Kunstmaler, * München 1880 bis † vor Verdun 1916, als Soldat im Ersten Weltkrieg.




Schade auch, aber genau in dieses Bild passend, dass unser theoretisches neues Schulwissen, beispielsweise bezüglich der gründlichen täglichen Euterpflege (warmes Wasser, Trocknung, Massage mit Melkfett – eben, das fachgerechte „Anrüsten“ vor dem Melken) von den Ausbildern, den Meistern ihres Faches, die vor uns aus denselben oder vergleichbaren Büchern gelernt hatten, nicht praktiziert wurde. Und auch uns Lehrlingen fehlte dafür die Zeitvorgabe. Ferner hatten wir überhaupt nicht die vorgenannten Mittel (warmes Wasser, saubere Tücher, Melkfett) zur Verfügung, um so zu arbeiten, wie es das Lehrbuch, die Wissenschaft schlicht vorgab oder wie es die lange Einzelbauernschaft wohl wissend praktizierte. Mit derartigen Widersprüchen konnte man die „Spezialisten“ des Volkseigenen Betriebes nicht konfrontieren, um Gehör zu finden – sie befanden sich selber in einer Zwickmühle äußeren Drucks gegenüber dem eigenem Wissen – oder in einer gewissen Gleichgültigkeit. Da keimte dann bei uns das Reden von Marx in der Theorie“ und von Murks in der Praxis auf. Nichts aber ist umsonst in der Welt: Wir hoben das Angelernte im Kopf sorgfältig für die theoretische Prüfung auf – obwohl wir es eigentlich im Tier-Leben und in unserem Leben anwenden wollten.

Die Kühe befanden sich im Anbindestall fest an ihrem Ort, zumindest im Winterhalbjahr Tag und Nacht, Woche für Woche, Monat um Monat fest auf der Stelle, ohne laufen zu können – also unter extremer Bewegungsarmut, was für die Gesundheit, das Wohlbefinden eine Quälerei darstellt und auch die Milchleistung nicht erhöht. (Ja doch, mir ist z. B. von Besuchen in Bayern, ein halbes Jahrhundert später, bekannt, dass die Methode auch dann und dort noch ebenso „gepflegt“ wird. „Wie denn auch sonst? Das war doch schon immer so“.)


Für das wirkliche Können gibt es nur einen Beweis: Das Richtige tun.


nach Marie von Ebner-Eschenbach, Schriftstellerin, 1830–1916



Wir wissen ja: Mit Vorschlägen, mit kritischen aber konkret helfenden Hinweisen zur Verbesserung, konnte man die Führungsspitzen kaum erfreuen – das ging so bis nach oben in die Regierung und wurde von dort überschnell als „negativ-feindlich“ eingestuft. Oder wohl richtiger: Von dieser Regierung ging es aus, bis in die unterste Ebene. Wie sagte doch Ulbricht gern, wenn er am Ende seiner Argumente, seines „sächsischen Lateins“ war? „... dann sprechen wir uns woanders wieder.“ Woanders? Wo war das? – Er war doch bereits die höchste Instanz. Der andere gemeinte Ort war dann die Zelle. Und es strebten wohl so einige Leute an, die Karriereleiter in diese befehlenden Regionen zu erklimmen.


Ein anderes Problem war das seltenere, wenn auch notwendige Vorstellen von Verletzungen beim Tierarzt – ich denke da nur allein an eine größere behandlungsbedürftige eiternde Wunde (mir unklarer Herkunft) mit Fliegenbesatz einer Milchkuh. „Ob ein Tierarzt notwendig ist, das entscheidest nicht du, Lehrling!“ Das tat mir für das Tier weh. Ich hatte durchaus ernste Sorge um die Gesundheit der Kuh aber ebenfalls hatte ich das empfindliche Lebensmittel, die Milch, vor Augen und dann auch die Säuglinge und Kleinkinder, die diese Milch trinken sollten. Verhältnisse, die sich gegenseitig ausschlossen. Aber nur in der Theorie – die Praxis machte es durchaus möglich.



Wo immer ein Tier in den Dienst für den Menschen gezwungen wird,

gehen die Leiden, die es erduldet, uns alle an.


Prof. Dr. Albert Schweitzer



Ein gütiger Hinweis, ein Vorschlag, der auf einen unhaltbaren Zustand helfend einwirkt und einen einfachen Ausweg zeigt, ist keine gedankenlose Meckerei. Mißachtet man den Rat, nur weil er von einem Lehrling kommt, dann bleibt es so, obwohl deutlich als ungünstig erkannt. So unzureichend bleibt es, wie es ist und verschlimmert sich. Deshalb sollte man solche Hinweise auch annehmen – nicht diesen Vorschlag oder dessen Absender verwerfen. Die Ausbildenden konnten sich offenbar nicht vorstellen, dass auch ein Lehrling etwas weiß, sich Gedanken macht in manchen Punkten wohl anders, als der Ausbilder es in seinem Kopf hatte. Ich sah das nicht als schlimm an, erlebte in der Lehrzeit aber mehrmals eine unbegründete Ablehnung und vermisste das gemeinsame Voranschreiten zum Besten der Verhältnisse.


Liebe Anne-Dore, Deine Frage, ob ich derartige Zeilen auch schon Jahrzehnte früher, also „zeitgenössisch“ in dieser Art aufgeschrieben hätte, scheint mir normal und berechtigt. Nein, ist meine klare Antwort,tte und habe ich nicht in dieser Art, nicht in dieser Form, aufgeschrieben. Ich nutzte andere Ausdrucksweisen. Es hätte ohnehin anders ausgesehen, weil sich die Weite des eigenen Blickwinkels im Laufe der Jahre ändert, weil das Gewinnen weiterer Kenntnisse über jenen kleinen Teil der Gesamt-Ereignisse einen Prozess darstellt. Anwachsende eigene Erfahrungen verändern die Beschreibung eines Bildes. Letztendlich übt auch der sich verändernde Familienstand mit der Übernahme von Verantwortung für andere einen Einfluss aus. Ich hätte als politisch aufmerksamer, positiv denkender und freundlich-aktiv handelnder Mensch bereits wegen dieser Seiten hier ernsthafte Schwierigkeiten bekommen – um es gelinde auszudrücken. Für das Gefängnisstrafmaß hätte ich nicht das Ende der Verhandlung abwarten brauchen – das hätte wohl bereits vorher, nach Katalog, festgestanden. Und ich gestehe es Dir freimütig: ich bin kein Märtyrer. Ich habe mich auf den mir gemäßen Lebensstil eingestellt und das getan, was mir möglich war, was mir zweckmäßig erschien und dass bei immer neuen, meist erfolgreichen Versuchen, stets dem Guten diente.


Einige Zeit nachdem John Fitzgerald Kennedy im Juni 1963 für wenige Stunden in West-Berlin weilte und vor dem Schöneberger Rathaus seine Rede hielt, die mit den Worten endete: „Ich bin ein Berliner“, entstand folgender Witz: Ulbricht und Kennedy sitzen zusammen beim Bier und tauschen Gedanken über ihre Hobbys aus. Kennedy: ... „Ja, und ich sammele die Witze, die die Leute über mich machen“. Ulbricht erwidert: „Nu, da haben wir doch sehr ähnlich gelagerte Interessen. Ich sammele die Leute, die Witze über mich machen, ja?“


Und diese Darstellung ist keinesfalls übertrieben, auch wenn sich das junge Menschen, die in der BRD aufgewachsen sind, oder heute, also viele Jahre später, hier aufwachsen, gar nicht vorstellen können. Für einen politischen Witz, den man erzählte, man musste nicht etwa gar der Urheber sein, konnte man für ein bis zwei Jahre ins Zuchthaus mit harter Zwangsarbeit kommen:

Ein entfernter Bekannter von mir war längere Zeit fort. Er wurde entfernt. Warum? Bei seiner Geburtstagsfeier in der kleinen, so freundlich-kumpelhaften Hausgemeinschaft hatte er zur unterhaltenden Umrahmung Musik vom Tonbandgerät gespielt. Dabei wurde auch etwas Alkohol getrunken – zumindest war die Aufmerksamkeit des Gastgebers wohl nicht völlig auf dem benötigten Spitzenwert und die fröhliche Hausgemeinschaft hörte plötzlich zwischen den Musikbeiträgen vom Tonbandgerät den westdeutschen Entertainer und Komiker Peter Frankenfeld, der gerade einen Witz über einen DDR-Politiker zum Besten gab. Frankenfeld hatte die Lacher auf seiner Seite und niemand der kleinen Geburtstags-Gesellschaft schien Anstoß daran zu nehmen.

Manchmal ging auch mal einer hinaus, seine Blase zu entleeren – oder so.

Und einige Zeit später löste die von einem der lieben vertrauten Gäste still herbeigerufenen Volkspolizei die Feier auf und nahm das Tonbandgerät und dessen Besitzer „zur Klärung eines Sachverhalts“ in Gewahrsam. – Etwa eineinhalb Jahre später kam er zurück. Diese Zeitspanne kostete ihn die kurzzeitige, nur Sekunden währende, leichtfertige Unaufmerksamkeit. Er verbüßte diese Zeit im Gefängnis bei harter Straflagerarbeit. Das Tonbandgerät blieb „natürlich“ eingezogen, wurde vermutlich zum „Volkseigentum“ erklärt. Mit dem versehentlich abgespielten Witz hatte er die Arbeiterklasse der DDR beschmutzt und an die „Bonner Ultras“, die westdeutschen Militaristen und Imperialisten verraten und in Tateinheit somit den Weltfrieden gefährdet ... wahrscheinlich gehörte noch mehr zu den Anklagepunkten.

Ein größerer und stärkerer Geist wäre über solch ein Witzchen erhaben gewesen, hätte vielleicht darüber mitgeschmunzelt oder den Kopf geschüttelt. In der DDR zur Zeit des „kalten Krieges“ war das aber durchaus nicht so!


Nun, Anne-Dore, mir ist die Meinung einiger Leute durchaus geläufig, die da sagen, dass ich hier meine Erinnerungen ungut aufschreibe, weil in deren Gedanken- und Erlebniswelt über den Sozialismus vieles ganz anders lief und viel schöner war, als ich es an wenigen Beispielen hier erwähne, dass die SED-Mitglieder, die Genossen Mitarbeiter besonderer „Staatlicher Organe“ nämlich überzeugte, klassenbewusste, grundehrliche Menschen waren und sind, die wohl alle nur das Beste wollten und auch taten. Sie hätten es nicht verdient, dass hier Punkte des täglichen Lebens kritisch betrachtet oder gar Vorschläge genannt werden, die mit den Führungsgedanken der Parteifunktionäre nicht konform gingen.

Gewiss gibt es viele Meinungen und unterschiedlichste Erfahrungen. Es gibt viele Teil-Wahrheiten und niemand sollte für sich in Anspruch nehmen die absolute Wahrheit zu besitzen und zu vertreten, geschweige denn mit Gewalt durchzusetzen.

Ich notiere Ereignisse und meine Gedanken über das Geschehen in meines Lebens Lauf in erster Linie für mich, um meinem Empfinden Ausdruck zu verleihen.

Ich schreibe es auf, um die Dauerhaftigkeit oder auch den Wandel meiner Gefühle den Gegebenheiten, den Situationen gegenüber, auch noch nach langer Zeit beobachten zu können.

Ich halte es fest, um prüfen zu können, ob es mir nach längerer Zeit der Wissensvermehrung, durch weitere Erfahrungen, vielleicht so erscheint, dass ich mich in der damaligen Gegenwart irrte und es so zu neuen Einsichten mit Korrekturen führt – oder aber zu Bestätigungen. Auch das ist natürlich eine Quelle für mein Verhalten in der Zukunft.

Die „Kommentare“, der Widerhall aus meinem Innern, zu den Gegebenheiten sind entscheidend für mich, für mein Erkennen, für die von mir empfundene Wahrheit und Gerechtigkeit im weitesten Sinne – also dieses ist mein Prinzip – nicht jene Ansichten und Vorgaben, die Herren wie U. und H. oder Damen wie Y. und Z. in uns einpflanzen wollten / wollen, egal, ob mit Lächeln oder mit Druck.



Ich stellte und lege jeweils meine Erfahrungen dar – und solche gibt es in größerer Bandbreite.

Ich berichte an Beispielen über einige Facetten aus unserem Leben, die aus meinem eigenen Erleben stammen oder von Ereignissen aus meiner Umgebung. Es sind also nur kleine Ausschnitte aus der großen Menge von Beispielen aus der gängigen täglichen Praxis.

Es gibt Menschen, die auf vergleichbare Situationen mit ihren Augen, mit anders vorgeprägter Sichtweise und aus anderem Blickwinkel sahen und sehen – was Unterschiede in den individuellen Empfindungen erzeugt. Die Einen sehen eher dunkle Farbtöne, andere bewegen sich gerne in grauen Bereichen, wiederum andere wählen zum Betrachten der Realität Brillen mit rosa eingefärbten Gläsern. Alle diese Verschiedenheiten tragen zu unterschiedlichen Beurteilungen des gleichen Geschehens belegbarer Tatsachen bei. Hier ist Toleranz gefragt – so kann man sich „dem Objektiven“ nähern, nur so Ansichten bilden, die die Mehrheit der Menschen zu tragen bereit ist. Und ich weiß aber auch: Die Menschen vergessen im Laufe der Zeit. Harte Konturen werden oft gemildert, manchmal verschwimmen oderverschwinden sie, aber je nach der „Leute“ und Historiker Sym- oder Antipathien, werden sogar Inhalte der Geschichte ins Gegenteil verkehrt – zumindest in ausgewählten Darstellungen.

Manchmal geht das sogar sehr schnell – denken wir nur an die letzten gestammelten Worte des Generals, des vormals gefürchteten Henkers, Staatssicherheits-Minister Erich Mielke, vor dem Parlament, den Abgeordneten der Volkskammer der DDR in deren Endphase: „Ich liebe Euch, ich liebe euch doch alle“ – was nur noch mit bitterem Lachen der Volksvertreter beantwortet wurde.


Doch nun zurück zu den freundlichen Tieren in Großbeuthen!

Mich störte gleich am Anfang der Lehrzeit die Gestaltung eines Anbindestalls. Die Kühe stehen (abgesehen von der Sommerweide) Tag für Tag und Nacht für Nacht angebunden auf einem festen Platz (sofern sie sich nicht mal auf den Betonboden legen).Woche um Woche. Monat um Monat, angekettet an der gleichen Stelle. Sie können sich kaum bewegen, also nicht etwa ein wenig umherlaufen. Das ist ihrer Gesundheit abträglich. Man darf alles, angepasst, durchaus mit menschlichem Maß vergleichen – also: wie bekäme uns das?

Schon als Lehrling gefiel es mir nicht, dass die Tiere im feuchten Kot auf kaltem Beton (abgesehen von der Stroheinstreu) lagen. Das schon erzeugte Gefühle von Unwohlsein und Erkrankungen. Ich hatte ihnen zumindest Lattenroste gewünscht. Die Euter mit bakteriellem Kotkontakt – für das sehr sorgsam zu behandelnde Lebensmittel Milch – ein theoretisches Unding.

Zu späterer Zeit wird es dann Versuche mit „Spaltenboden-Elementen“ aus Beton geben. –
Die tragenden Kühe in der Hoch-Tragezeit (Tragezeit = Schwangerschaft) im Abkalbe-Stall. Nach dem Abkalben (der Geburt) das Kälbchen sehr bald allein, abgesondert, ohne mütterliche Wärme, Pflege und Zuneigung, die es im Bauch der Kuh ein Dreivierteljahr hatte, nun Kälte, ohne körperliche und seelische Stärkung seines Immunsystems. Ein schwerwiegender, eigentlich grausamer Eingriff in das Leben beider Individuen – keinesfalls naturgegeben und artgerecht.

Und was meinen die ausbildenden Vorarbeiter sinngemäß zu einer solchen Frage? „Wir machen es so, wie wir es in der Praxis gelernt haben, so wie es Vorschrift ist. Was heißt hier Kuh- und Kalb-Bindung? Was hat das mit Wohlbefinden zu tun? – Die Kuh muss Leistung bringen, das ist ihr Lebenszweck. Bleib man schön auf dem Teppich und mach deine Arbeit".

Möglichst keine unbequemen Fragen, keine „neuen“ Gedanken oder Vorschläge äußern.

Aber alles Zweckmäßige als Unsinn abzutun, dagegen sprach nicht einmal nur die theoretische, hehre Wissenschaft, sondern auch der schlicht-gesunde Menschenverstand des Lehrlings. Die erfahrenen Genossen sahen es anders und gaben es so vor, wie ihr Horizont es ihnen ermöglichte.


Aber – aber später, viel später, werde ich erfahren, dass es im Kapitalismus vergleichbar lief!

2005, erst 2005! werde ich im Fernsehen freudig eine Sendung verfolgen, in der ein „fortschrittlicher“ Rinderzüchter in Skandinavien dicke gelochte Gummiunterlagen einführt. Die Tiere ruhen nun viel lieber warm und trocken, entspannt ohne jeglichen Stress und gesund. Die Kühe werden nicht mehr angebunden, sondern dürfen sich im Stall bewegen, haben rotierende Reinigungs- und Massagebürsten an der Wand zu ihrer Verfügung, bekommen leise entspannende Musik im Stall zu hören und das Melken geschieht in Selbstbedienung, wenn die Kuh gemolken werden möchte, weil das Euter voll ist. Erfassung mit Infrarot-Sensoren, die signalisieren, wenn die Kuh den Melkstand betritt und die automatisierten Abläufe beginnen sollen.

Die Kühe fühlen sich sauwohl und sie geben sogar ganz freiwillig noch mehr Milch.


Wir glaubten damals als Lehrlinge, dass wir es gut und richtig machen würden, wenn wir könnten, es dürften, wenn wir über das „volkseigene Vieh“ hätten mitbestimmen dürfen oder wenn wir privat Tiere gehabt hätten – aber die staatliche Absicht bestand ja gerade in der Schulung und Festigung für die Einsicht in die „gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse und Notwendigkeiten“, z. B. des Kollektivierens der Bauern in LPG-en und der Landarbeiter in VEG', weil nach Angabe nur so und unter strenger Anleitung und den Vorgaben von Partei und Regierung, also unter deren „führender Rolle“, bessere Ergebnisse, als im freischaffendem Wachstum nach besten Erkenntnissen, erreicht werden könnten. Der Sozialismus wird mit der Diktatur des Proletariats die Produktivität des Kapitalismus nun übertreffen, den Westen, die BRD, „überholen ohne sie einzuholen!“ heißt die aktuelle Devise. Jetzt! 1962. Hier und heute!

Bekannt gegeben hatte das Walter Ulbricht bereits am 20. August 1959 unter Bezugnahme auf den 7-Jahr-Plan der Volkswirtschaft:


„Die DDR wird auf allen wichtigen Gebieten der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Konsumgütern Westdeutschland einholen und zum Teil übertreffen.


Obwohl grundsätzlich die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung über das kapitalistische System in Westdeutschland schon jetzt feststeht, wird diese Überlegenheit in den nächsten Jahren auf allen Gebieten bewiesen und der Sozialismus durch die Vollendung des 7-Jahr-Planes (bis 1966) zum Siege geführt.“


Na ja, mal sehen – wollen wir alles Gute dazu tun.

Alles, aber auch alles, die Vor- und Nachteile, die Missstände in der Praxis waren durchaus genannt und deshalb auch allgemein bekannt. Und ein Irrtum, eine drakonische Fehl-Anordnung kamen selten allein! Kamen aber mit Durchsetzungsgewalt. – Halten wir uns doch lieber moralisch und fachlich Augen und Ohren zu. Halten wir uns lieber fest an dem glorreichen Lied: „Die Partei, die Partei, die Partei hat immer recht“. In der SED haben wir die Genossen mit festem Klassenstandpunkt – die können sich auch fachlich nicht irren, die entscheiden nicht falsch, die haben immer recht!

So vieles führte wohl völlig unnötiger Weise dazu, dass der heroische zukunftsweisende Ruf:

Der Sozialismus siegt“, von den gleichen Rufern in der Praxis so umgesetzt wurde, dass es aus vielgestaltigen Gründen vom Volk leider übersetzt wurde mit „Der Sozialismus siecht“.

Von „Zuhause aus“ war er dazu nicht verurteilt, meine ich. Ich hätte mir einen fachlich-inhaltlich besseren und wahrhaft demokratischen, also freien Sozialstaat gewünscht. Doch es war schon immer so: Nicht alle Wünsche gehen vorerst in Erfüllung. Und manche nie. In einem Leben. –


Zur Arbeit bei den freundlichen Horntieren standen wir morgens um 3.00 Uhr auf, die Arbeit im Schweinestall ließ uns bis 5.00 Uhr ruhen.

Streng auf die Rinder bezogen, fallen mir als frühere namentliche Bekannte nur die beiden Zuchtbullen „Meister“ und „Danilo“ ein, die nicht bei den Milchkühen standen, sondern fein separiert vorne rechts auf dem Gutshof, gegenüber der Schnapsbrennerei ihren Stall hatten und den lieben langen Tag warteten und warteten. Aber nicht jeden Tag ohne ihren Einsatz.

Unsere Rinder erhielten die so genannte Schlämpe, suppige Rückstände der Schnapsbrennerei, als Futterzusatz. Dünn wie dicker Schlamm. Sie lagen aber deshalb trotzdem nicht mehr als andere. Rum. Was aber war überhaupt mit diesem Schnaps los? Das war mir ein Rätsel. Nie habe ich im Sozialistischen Einzelhandel oder im Lehrlingswohnheim „Beuthener Goldwasser“ oder ein ähnliches Spitzenprodukt gesehen. Ich weiß: In der kurzen Zeit meiner Anwesenheit in Beuthen habe ich längst nicht alles erfahren. Mir fehlt noch vieles Wissen. Damals und heute. –

Gabriele teilt mir nun ein halbes Jahrhundert später auf meine erneute Frage kameradschaftlich ihre Kenntnisse mit. Sie verrät mir, dass diese Produkte langzeitig ausschließlich in der pharmazeutischen Produktion ihre Weiterverwendung fanden. So war das also, Aha!

Aber weshalb rechnete man dann die Erfolge einer „Schnaps-Brennerei“ ab und bezog sich nicht etwa auf die guten und harmlosen Ergebnisse einer „Alkanolischen Produktionslinie“?

Außerdem bekam das VEG als Futterzusatz zur Anreicherung des Speisezettels für die Tiere auch Zuckerrübenschnitzel. Die vegetarischen Schnitzel sind in Wirklichkeit mehr „Schnipsel“ oder bestenfalls „Schnetzel“. Diese stammen aus der Zuckerproduktion. So wie es Franz Carl Achard 1802 in seiner ersten Zuckersiederei auf Gut Kunern (an der Oder) vorgab, werden auch heute die Rüben gewaschen, zerschnitzelt, daraus Saft extrahiert usw. ... bis zum versandfertigen raffinierten Zuckerhut ... so wird es gemacht. Und was bedeutet: in seiner ersten Siederei? Es war die erste Fabrik auf diesem Erdball, in der aus Rüben Zucker gewonnen wurde. Der umtriebige Achard war „ein junger Neuerer“ in vielen Wissensgebieten. – Ach!

Die entsafteten Schnipsel werden also zum Tierfutterzusatz. Der Pansen der Rinder komme mit diesen vegetarischen Schnetzeln ausgezeichnet zurecht, sagt man. Übertreiben soll man es mit der Zufütterung trotzdem nicht. Denken wir allein an die potenziell mögliche Zunahme von Karies bei Rindern von dem vielem Zuckerzeug, an die weitere Verschlimmerung der schon bestehenden Durchfälle der Kühe und auch die Volkskrankheit „Diabetes“ soll sich nicht unter dem Rindervolk ausbreiten. Ebenfalls sollen die Kühe ja keine Süßmilch produzieren – da werden besser die Mütter in den Haushalten noch ein wenig dosieren. Für Pferde kommt das Abfallprodukt kaum zum Einsatz – höchstens als Kostprobe, vielleicht am Sonntag. Für Schweine gar nicht. Schweine ähneln in vieler Hinsicht sehr dem Menschen. Daher habe auch ich keine süßen Schnipsel gekaut – nur mal versuchsweise damit ein Pfeifchen gestopft. Ein starker Tobak!


Die Schweine wohnten zu jener Zeit (bis 1962) im Sommer in sogenannten Freiluft-Schweinepilzen. Hier aber scheint mir eine Warnung angebracht: Die humorvollen Wortschöpfer führen jeden Laien unter den Lesern auf einen sinnbildlichen Irrweg, denn die Vorstellung – „Aha! es handelt sich also um ein Bauwerk bestehend aus Stiel und Hut, etwa so, wie ein Steinpilz dreinschauend, nur eben hier eine Art „Holzpilz, führt zu falschem Ziel, nämlich auf den Holzweg. Auch mit Trüffeln hat dieser „Schweinepilz im Aussehen nichts gemein und liegt selbst weit entfernt von einer kühlen Blonden mit einems“ an ihrem Ende.

Mein Aufklärungsversuch: Diese angebliche Pilz-Behausung sah in Wirklichkeit ungefähr so aus wie eine Jurte, die gerade auf- oder auch abgebaut wird. Ein Gestell also, durchsichtig und gut durchlüftet. Gefügt aus gewachsenem, kräftigen Stangenmaterial, wie es auch beim Bau der Einfriedung von Koppeln eingesetzt wird. Geschälte Stammstangen von Bäumen. Der Durchmesser dieses Bauwerks etwa 4 ... 5 Meter. In der Mitte ein Zentralmast und dessen oberes Ende als Knotenpunkt, als Auflager für die Sparren der Dachschrägen. Die Sparren deckelnd mit einer Sparschalung verbunden, belegt mit Reet / Rohr. Sehr schön anzusehen noch heute vor meinem geistigen Auge. Ach was, ich lege euch einfach mal eine grobe Skizze bei.

Diese „Pilze“ wurden während „unserer Zeit aber abgerissen. Die Tiere lebten dann in massiv gemauerten Schweinehäusern auf Betonboden mit kleinem Freiluft-Auslauf, einer angebauten „Terrasse“ sozusagen. Eine Sommer-Ferienreise in den Pilz war für sie dann nicht mehr aktuell.

In der Schweineküche gab es täglich (auch sonntags) ungepellte gesunde Pell-Kartoffeln aus dem garenden Dämpfer, dessen heiße Wolken uns beim Entleeren, besonders im Winter, für einige Zeit die Sicht nahmen und dessen Aroma dann den Schweinegeruch zeitweilig parfümierend überdeckte.

Ich sehe den alten Schweinemeister noch deutlich vor mir, das betagte aber superscharfe Vorkriegs-Küchenmesser in der Hand, mit dem er die unbetäubt schreienden Ferkel mit dem Geschick eines Chirurgen kastrierte. Die männlichen ihrer Art. Aber, so fragte ich mich als Interessent der Veterinärmedizin: Warum nehmen die Menschen die Kastration ohne örtliche Betäubung der Tiere vor? Millionenfach, Milliardenfach. Weil es den Vertretern erstgenannter Gruppe nicht weh tut?!! Das blöde Argument: „eine Narkose wäre zu zeitaufwendig und zu teuer, das kann sich niemand leisten“, zieht natürlich nicht. Gewiss sowieso keine Narkose – eine kleine Spritze zur örtlichen Betäubung, würde den Kilopreis des späteren Schweinefleisches um maximal fünf Pfennige anheben. Es drängen sich mir auch Gedanken an Beschneidungen an den Menschen auf, die aus Gründen religiöser Tradition noch heute in einer Anzahl orientalischer Länder als üblich gelten. Aber dieses schmerzhafte unwürdige bisherige Verfahren wird unter den wissenden Spezialisten noch über das Jahr 2020 hinaus, eine liebe praktizierte Gewohnheit bleiben. Es schmerzt ja schließlich nicht die Entscheidungsträger, diese Rechtsverzögerer. „Es gibt soviel anderes zu tun – vertagen wir dieses unangenehme Thema auf später.“


Liebe bäuerliche Produktivkräfte! Vergesst bitte nicht den 06. Dezember / Julmond!

Es fallen hier Eigenheiten von Valentins- und Kindertag zusammen – und noch mehr.


Gibt's Regen just zum Nikolaus, dann wird der Winter streng – oh, Graus.


Aber es gibt auch eine andere Möglichkeit:


Ein trockener Sankt Nikolaus bringt milden Winter – rund ums Haus.


Ist's zu Weihnachten recht mild – viel Kälte zu uns kommen will.

Frostige Weihnacht, doch sonnig und klar, zeigt an ein günstiges neues Jahr.


Auf kalten Dezember mit reichlich Schnee, folgt ein gutes Jahr für Futter und Klee.




Gegen die winterliche Kälte füllten wir unsere extra etwas größer gewählten Gummistiefel mit Stroh-Häcksel / „Kaff“ als Material zur Wärmedämmung für die Füße – und der Winter 1962 / '63 war ein strenger! In der letzten Januardekade fiel hier die Quecksilbersäule des Thermometers auf etwa -25°C!

Mitten im Winter '62 zu '63 gab es einen Wechsel in der Schweinemeisterei, da der alte Ausbilder in das Rentnerdasein stapfte. In der Zeit nach seiner Ablösung kam er öfter zu Besuch – konnte noch nicht recht „loslassen“. Irgendwie tat er uns leid, von nun an als Gast zusehen zu müssen, wie sein großes Lebenswerk (es erinnert mich an den herrlichen „Zigeunerbaron“) nun von einem Jüngeren, dem Meister Kunze, leicht verändert weitergeführt wurde. Aber unser Mit-Trauern hielt nur kurz an, denn die alten Futtereimer mit den tief eingerissenen Rändern „flogen unter seiner Regie fort“ zu „Martin braucht Schrott“ (als Beigabe für den Siemens-Martin-Schmelzofen in der Eisenerzverhüttung in Unterwellenborn). Wir bekamen neue Eimer vom neuen Meister und erstmals jeder eine derbe Schürze, die unsere Arbeitskleidung vor der Verschmutzung und vor dem Durchnässen schützte, was sich besonders bei den winterlichen Minusgraden als angenehm zeigte. Der Wechsel brachte bei minimalem Aufwand, für uns einen erheblichen „Aufschwung“. Ja, ja, neue Besen kehren gut, sagen die Alten. Und siehe da – es lässt sich also tatsächlich manches Gute verwirklichen, wenn die Leitung es nur will – sogar bei permanent knappen Kassen. Wir waren dankbar dafür. Und die Gastbesuche des alten Meisters wurden, mit seiner Gewöhnung an das ruhige Dasein beim schmalen Ruhegeldempfang, seltener.


Geheimnisse aus dem bäuerlichen Erfahrungsschatz für den Monat Januar / Hartung:


Der Schnee, er ist ein wärmend Kleid, kommt er nur bald, zur rechten Zeit.

Wenn's um Neujahr Regen gibt, um Ostern oft der Schnee noch liegt.

Gab's bis Dreikönig (6. Januar) keinen Winter, so kommt auch keiner mehr dahinter.


Ist feucht und mild der Januar – wenig taugt das ganze Jahr.

Kommt der Januar uns gelind', Lenz und Sommer stürmisch sind.

Gibt's im Hartung Mückentanz, verdirbt die Futterernte ganz.

Der Januar muss vor Kälte krachen, wenn unsre Ernte gut soll sacken.


Steigt Nebel von gefror'nen Fließen, so ist auf strengen Frost zu schließen.

Auf trocknen kalten Januar folgt Schnee sehr viel im Februar.




Beispiele von Schildern in den Rinderställen, vor den Anbinde-Ständen der Kühe:



Kuh:


Ohrmarke-Nr:________ geb. _____________ Stall-Nr. ____________


GT ________________ ZL ___________ Leuk. Stat: __________


Vater _______________________ Mutter ______________________


Gekalbt ____________________


besamt ____________________ TU ___________________________


X Leistung __________ kg Milch, ________% Fett, ___________kg Fett





Datum


Milch kg


Fett %

Euter

vorn links vorn rechts










hinten links hinten rechts









Milchkuh: Emelie



Rasse: Schwarzbuntes Niederungsvieh



Vater: Danilo


Mutter: Danula


Besamt: (Trächtigkeit etwa 279 Tage)


15. März 1962


Gekalbt:


02. November 1962


Durchschnittliche Leistungen:


13 kg Milch / d; 4.745 kg / a

3,96 % Fett

181 kg Fett im Jahr

3,37 % Eiweiß

165 kg Eiweiß im Jahr



Normale Durchschnitts-Körpertemperatur:

38,5 – 39,5°C




Beispiele für Schilder in den Schweineställen:



Das Betreten der Anlage ist nur

den Viehpflegern gestattet und

allen anderen Bürgern

streng verboten



... und vor jeder Box:



Sau: Nr.:


Gedeckt:


Geferkelt:


Wurf Stück:


Abgesetzt Stück:





Sau:



Jolante


Gedeckt:

(Trächtigkeit 113 bis 116 Tage =

3 Monate + 3 Wochen + 3Tage)


20. Dezember 1962


Geferkelt:


14. April 1963


Wurf:


10 Ferkel


Abgesetzt:

(Nach 8 Wochen im Sommer,

nach 11 Wochen im Winter)



7 Ferkel am 17. Juni 62

3 Ferkel am 28. Juni 62


Normale Durchschnittswerte:

Puls: 60 – 80 Schläge / Minute



Temperatur: 38 – 39,5 °C



Bucht Nr.


Datum


Stück


Fütterungs-

gruppe


Gewicht

[kg]


Gewichts-

zunahme [kg]


Zunahme je Schwein

je Tag [g]


Bemer-

kungen


















Zu den Schweineställen, die außerhalb des Dorfes in Richtung Kiesgrube lagen, fuhren wir mit den eigenen Fahrzeugen, zumeist mit unseren Rädern – viele mit Pedalen, manche mit einem Motor ausgestattet. – „Hallo, ihr lieben Schweine, wir sind bald bei euch, ihr könnt euch schon mal auf's Frühstück freuen." – Gewiss waren wir nicht frei von Jugend-Eseleien:

Im Winter, bei guten Schneeverhältnissen, zog selten auch mal ein Traktor in dunkel-früher Morgenstunde die gesamte Mannschaft auf einer Schleife oder Schleppe (einer großen Bohlenplattform auf Kufen) an einer Eisenkette hinter sich her auf der verschneiten, teils vereisten Straße entlang. Aber, liebe Leser, bitte beachten – das ist hier keine Anregung! Ich erwähne das nur, weil im Moment keine „Weißen Mäuse“ zu sehen sind und ich schreibe das hier nur ganz leise und selbstkritisch, nicht ohne Scham auf – und nur als mahnendes Beispiel, mit der dringenden Warnung: Macht so etwas bitte nie nach!!! Es kann lebensgefährdend sein!!!

Die Straßenverkehrsordnung sieht solche Art von Personentransporten nicht vor; verbietet so etwas (wenn auch unausgesprochen, ungedruckt) prinzipiell zu recht. Das Ganze wäre seitens eines verantwortungsbewussten Traktor-Fahrers abgelehnt worden und wir polytechnisch vorgebildeten Jugendlichen hätten es bei ausreichender Überlegung als zwar möglich, es aber gleichsam wegen der technischen Unwägbarkeiten, als besser nicht zu praktizieren angesehen.



Jeder Bauer hat so seine Regel – auch wenn das Wetter sich nicht immer danach richtet.

Wir aber wollen die Erkenntnisse zu diesen drei Monaten nicht einfach unterschlagen.

Nun denn: Die bäuerliche Kalenderkunde sagt uns in dieser Zeit:


Der Februar hat seine Tücken – baut aus Eis oft feste Brücken.

Wenns aber Nebel gibt im Februar, stehn wir im Regen das ganze Jahr.

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Ein Märzenschnee, oh je – der tut den Saaten weh,

doch lässt der März sich trocken an, gibt es bald Brot für jedermann.

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Grollt der Donner im April, ist vorbei des Frostes Spiel.

Zeigt der April sich windig und trocken, bringt er das Wachstum bald zum Stocken.

Gibt‘s im April doch frischen Regen, kommt er der Pflanzen sehr gelegen.



Aus dem Alltag (Pflanzenproduktion)

Eine der ersten Aufgaben zum Lehrbeginn war für unsere Arbeitsgruppe das Entladen eines großen Anhängers, gefüllt mit Getreidekörnern. Er stand auf dem Gutshof vor der Schnapsbrenn ... pardon, vor demBrennerei-Gebäude für das Produzieren alkanolischen Destillats, in der Vorbereitung für den heilsamen Einsatz in der pharmazeutischen Industrie“. Der Anhänger war kein Kipper – fünf Lehrlinge aus unserer Klasse hatten daran zu schaufeln. Unser Lehrausbilder, der erfahrene Herr Ernst Lobbes, wies uns in die Arbeit ein und fuhr dann mit seinem Moped fort – Später sah er wieder nach uns, als wir diesen Auftrag ngst zu unserer Zufriedenheit erledigt hatten und über Erfahrungen aus unserer Vor-Lehrzeit sprachen. Sogleich zückte Herr Lobbes seine schwarze Kladde und verteilte die ersten Zensuren dieser Lehrzeit: Viermal eine 3 und einmal eine 1. Diese letzte Note erhielt Udo. Auf meine erstaunte Frage, wie diese hochqualitative Arbeitsbewertung zustande käme, für eine Leistung, bei der er als Ausbilder überhaupt nicht anwesend war, meinte er ruhig, überlegen und freundlich schmunzelnd: Ich weiß: Udo kommt aus der Landwirtschaft, aus Paulinenaue, und ist schon älter und erfahren – ihr jüngeren Stadtjungen hattet doch noch nie eine Schaufel in der Hand. Ihr müsst den Umgang mit dem Werkzeug doch erst erlernen und üben. Ich brauche da nichts zu sehen. Vertraut nur meiner Erfahrung und meiner Menschenkenntnis! Hoppla, solch ein Spruch – als Basis für Vertrauen? „Na dann, Prost Mahlzeit“, dachte ich. Nicht: Anschauen und dann wissen, vielleicht helfend korrigieren und dann bewerten, sondern Vorurteil und diffuses Gefühl – so eine Art von Aberglauben an sich selbst oderein Wissen“ über die noch völlig unbekannten jungen Menschen durch gefühlte Hellseherei. Herr Landwirt Lobbes wusste mit jener Ahnung dann höchstwahrscheinlich auch, dass der Große Wissenschaftler des Acker- und Pflanzenbaus, Prof. Dr. Mitscherlich (Nationalpreisträger
1. Klasse,
Vaterländischer Verdienstorden in Gold), seine letzte Lebenszeit bis 1956 grad' dort in Paulinenaue als Leiter des „Institut zur Steigerung der Pflanzenerträge“ verbracht hat und er wird vielleicht auch recht sicher gefühlt haben, dass die Kenntnisse des Professors ja irgendwie auf unseren guten Udo abgefärbt haben müssten? Und deshalb, na, dann ist ja alles klar –. Mit seiner Grundaussage hatte Herr Lobbes sowieso schon „so 'was von recht“ – Udo war ein Erfahrener, stand zum Lehrbeginn im 19. Lebensjahr und wir waren in der gleichen Klasse erst 16 Jahre alt, so auch ich, der noch völlig ungebildete Stadtjunge. Ich hielt mich aber fein still zurück. Was hätte es gebracht, wenn ich beiläufig angemerkt hätte, dass ich bereits während zweier Jahre etwas in einem Volkseigenen landwirtschaftlichen Gut (VEG) gelernt und ebenfalls in einer langwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) den Umgang mit Schaufeln, Forken und Spaten geübt hatte. Die Jahre der täglichen mehrstündigen kleinlandwirtschaftlichen Kaninchenumsorgung in der Schule hätte ich sowieso unter den Tisch fallen lassen. Es waren auch bei mir bereits mehrjährige „Bekanntschaften mit dem Land. Und deshalb kenne ich Kühe und Schweine ebenfalls hautnah und nicht nur aus dem Kinder-Bilderbuch. So etwas zu erwähnen, hätte mich wohl aber nicht auf das „Anfänger-Anlerntreppchen, 2. Stufe“, gehoben, sondern es wäre vermutlich als unangebrachte Angeberei angesehen worden und hätte mich eher in den Focus „besonderer Notwendigkeit des Beobachtens“ gerückt. Kurz: Ich sah voller Demut sofort ein, dass unser erfahrener Lehrausbilder den längeren Arm des doppelseitigen Hebels in seiner Hand hatte, der sich eben hier als Notizbleistift vergegenständlichte.

Mit der Art* und Weise der Bewertung unserer Leistungen blieb es dann auch das gesamte Jahr so. (* Der Begriff „Art“ ist hier bitte nicht mit „Kunst“ zu verwechseln). Es blieb so, denn (Zitat): „Ich muss euch die Möglichkeit geben, dass ihr euch mit den Noten bis zum Lehrabschluss ständig steigern könnt“, sagte er uns. Der Realität hätte er sich nach meinem Empfinden richtiger nähern können, wenn er gesagt hätte: „Ich will mir selbst die Möglichkeit geben, dass ich eure Leistungen immer besser benoten kann – wann ich es will und wenn diese Leistungen es auch verdienen“. Aber Empfindungen zur Gerechtigkeit können unterschiedlich sein. Herr Lobbes war aber auch stets gleichbleibend ruhig und freundlich zu uns. Soviel zum ersten prägenden Tag der praktischen Berufsausbildung.


Wenn wir im Sommer Heu- und Strohfuhren heimbrachten, fuhren wir oft mit drei Pferden. Die junge Rappenstute Karin („sie spielte rechts außen“) musste als Bei-Pferd öfter ernsthaft ermuntert werden, den Kopf beim Traben hochzunehmen, um die Gefahr des Stolperns zu mindern. Zu gern schaute sie in zügigem Lauf wohl nach Ameisen – oder Feuerwanzen? Man war um sie sowie um die gesamte Fuhre in steter Sorge. Aber sie verstand uns recht gut und korrigierte ihre Haltung – bis es ihr dann wieder aus dem Sinn ging. – Wenn ich mich richtig erinnere, fohlte sie 1963 erstmals und wurde eine gute Pferde-Mutter.

Beim Einlagern von Stroh musste darauf geachtet werden, dass die Fuhren auf dem Wagen möglichst hoch aber nie zu hoch gepackt wurden, damit die quaderförmigen Pressballen beim zügigen Einfahren in die Halle nicht oben am „Torsturz“ hängenblieben und die Pferde bei solch einem unbeabsichtigten abrupten Stopp etwa auf der leicht schräg ansteigenden, glatten Betonfläche ausrutschten und stürzten.

Natürlich entsinne ich mich auch deutlich der Kartoffelernte auf den in der Länge und Breite nicht enden wollenden Schlägen (Ackerflächen) mit ihren leider recht niedrigen Ackerwertzahlen. Diese sind ein Kennzeichen für die Eigenschaften des Bodens, für dessen Qualität, als Grundlage zur Pflanzenernährung. In unseren Jahren bevorzugte man die Kartoffel-Sorten mit Vogelnamen wie „Star“ und „Meise“. Des Morgens aus der kalten taufeuchten Erde geklaubt, die sich dann später mit dem Steigen der Sonne über der „Brandenburgischen Streusandbüchse“, als grauer märkischer „Zuckersand“ mit der Fachbezeichnung „Ranker“ zeigte.

Aber wieso überhaupt supergroße Feldflächen für „rationelles“ Bearbeiten? Haben wir nicht, noch in der Schule, die Vergleiche der hässlich-profitsüchtigen kapitalistischen Großflächen-Wirtschaft mit Monokulturen einer Bodenvernutzung kennengelernt – in Gegenüberstellung zur vorbildlichen sowjetischen Ackergestaltung, wo dort die Flächen in hübsch überschaubare „Beete“ angelegt werden? Diese Ackerbeete sind dort mittels Waldschutzstreifen getrennt und gegliedert. Mit Gehölz-Streifen und artenreichen Blüh-Wiesenzonen, die vielen Tierarten Lebensraum mit Nahrung und Unterschlupf bieten, die gute naturgegebene Wildwechselstrecken ermöglichen. Waldstreifen, die eine Winderosion der fruchtbaren Ackerkrume verhindern, dem Austrocknen der Böden wegen des Windeinflusses entgegenwirken. Die Gehölzstreifen stellen ganz hervorragende Verbindungen zwischen den großzügigen Waldes- und Grünflächen dar, wo der Hirsch froh springt, dass wilde Schwein es ähnlich hält, und wo die kriechenden Rächenwärmer, – diese regen Würmer, Insekten und Vögel sich ohne jegliche Pestizide tummeln können.

Farbenfroh gemalte Bilder davon, wenn auch keine Fotos, waren sogar in unserem Schul-Atlas enthalten. Traumhafte Verhältnisse im Sozialismus! Wo sind bei uns in dieser Art gestaltete Ackerflächen (?) seit die belächelten „Handtuchfelder“mit ihrer Artenvielfalt fort sind und mit denen auch die verhassten dummen aber enteigneten Junker und nun auch die Einzelbauern. Wir haben das neue Gute, unser sozialistisches Vorbild, im Buch gesehen, wir wissen es also ... um es – nicht anzuwenden, – machen es irgendwie und anders, eben „moderner“.

Doch es heißt: „Von Freunden sollt ihr lernen!“ Gab es diese Gestaltung damals, gibt es sie tatsächlich in der ruhmreichen Sowjetunion? Oder war das eher eine gemalte nur uns vorgegaukelte sagenhafte Vision?

Über Landschaftsgestaltung und Landschaftspflege, auch im vorgenannten Sinne, haben wir in Großbeuthen leider nichts gelernt. Kenntnisse darüber brauchte ich jedoch nicht auf Dauer zu entbehren. Jahre später gehörte das zum Unterricht an der Dresdener Technischen Universität, wo ich einen Platz im ersten Studiengang des postgradualen Fernstudiums >Umweltschutz< belegen konnte. Auch dort gibt es sehr gute Lehrer.


Weiter in der Kartoffelernte: Die Maschinen hatten gute Vorarbeit für unser Knollensammeln geleistet: Der Schleuderrad-Roder hinter dem Traktor bot uns die Knollen vom kühnen Schwung seiner Rotations-Gabeln freigelegt und zur Seite gefegt zum Aufsammeln an. Ein Siebketten-Vorrats-Roder pflügte sie dagegen sanft hoch und breitete sie in mindestens zwei Reihen hinter sich aus.

Oder man sammelt momentan nicht, sondern ist zeitweilig „Abträger“ der vollen Kiepen. Auch sitzt man mal auf dem Traktor „Pionier“ (40 PS) oder auf dem neueren „Famulus“, die die vollen Kartoffel-Wagen fortbringen oder man hockt auf dem leichten Geräteträger / Radschlepper RS 09, der zeitweilig trotz seiner nur 15-PS-Leistung als „Zugtier“ selbst für die schweren Kartoffelwagen diente und diese Aufgabe wegen seines 8-Gang-Zweirichtungs-Getriebes sogar gut bewältigte.

Wie schmeckte da doch zwischendurch das köstliche Mahl, die Kartoffelsuppe, an des Feldes Rain, den Aluminiumlöffel in der Suppe, mit den rauh-sandigen Fingern umgriffen. (Bitte mit dem Alu-Löffel nicht versehentlich an eine Amalgamzahnfüllung kommen – „so 'was verbindet“).



Landwirtschaftliche Güter oder Produktions-Genossenschaften, die nicht über ein Lehrlingsheer verfügten, setzten in „unserer Zeit“ schon Vollerntemaschinen, so genannte „Kartoffel-Kombines“ ein. Wir aber wollten ja das Sammeln der Kartoffeln und das Schleppen der Kiepen gern erst mal so richtig mehrjährig, gründlich „von der Pike auf“ erlernen und üben – abgesehen davon, dass auch während der zurückliegenden Schulzeit in den Herbstferien die Pflicht-Einsätze der Schüler als Erntehelfer bei der Kartoffelernte üblich waren. Es war uns nicht neu. Kombines kosten viel Geld.


Aus dem Almanach der Landwirte für den Herbst


Sieht man die Vögel schon frühe ziehn – vor kommender Kälte tun sie flieh'n.

Rüsten Schwalben, Störche sich zur Reis' dauerts nicht lange bis' kommt das Eis


Monat Dezember oder Julmond:


Vieler Regen – wenig Schnee tun Feldern und den Bäumen weh.

Die Erde muss ihr Bett-Tuch haben, soll sie der Winterschlummer laben.

Nach reichlich Wind an Weihnachtstagen – auch reichlich Obst die Bäume tragen.


(Aber gemach – doch noch nicht gleich!)




Obschon das Jahr sich neigte, war bei weitem noch nicht „Plansilvester“ im Volkseigenen Gut. Na gut – als der Dezember-Schnee leise rieselte und andere Menschen an die Stille Nacht, Heilige Nacht oder an die sozialistische Jahresend-Feier dachten, wurde für uns gedacht, nun an die Ernte der Mohrrüben zu gehen. Erntezeit – schöne Zeit. Von Süßkartoffeln, die vor Zeiten wohl ausschließlich auf dem südamerikanischen Festland beheimatet waren, hatten wir bereits gehört. Auch davon, dass die süßen Zuckerrüben aus den Runkeln gezüchtet worden waren. Süße Mohrrüben jedoch – sind uns vorerst unbekannt. Im Winter aus gefrorenem Boden sammeln? Was völlig Neugeschöpftes?

Allerdings waren unsere Füße und Finger bei diesem kalten Geschäfte stark exponiert und es dunkelte am Nachmittag zeitig – die Rübchen hielten sich zum Sammeln dort auf, wo sie einst gesät / ausgedrillt worden waren, eben dort, wo der weiße Schnee gerade der frisch gepflügten dunklen Erde gewichen war. Wir konnten sie deshalb auf dem Acker auch im fast Dunkeln an jener optischen Leitlinie noch leidlich finden.

Immer wenn die Maschine eine Runde gepflügt hatte, sammelten wir fix unser Strecken-Teilstück ab und hatten dann eine kurze Zeit, um einige der gefrorenen Süß-Möhren in der heißen Asche am „Lager“-Feuer zu garen und warm zu verspeisen, bis sich uns der Traktor mit Pflug in seiner nächsten Runde wieder näherte. „Frisch aus der Asche schmecken sie am besten“. Für die ursprünglich vorgesehene Nutzung waren angefrorene Möhren nicht mehr zu gebrauchen. Ob sich das ein Einzelbauer geleistet hätte – bezogen auf sein Ansehen im Dorf, mit dem zu erwartenden Spott und dem wirtschaftlichen Verlust? Hier bei uns spielt es offenbar nicht die gleiche Rolle, hat ein nur geringes Gewicht. Warum es mit einem Erntetermin bei der Leitung nicht früher geklappt hatte? Ganz schön lange Leitung, ja? – Vielleicht sogar bloß vergessen? – denn wir Lehrlinge zumindest, waren täglich anwesend, waren zum rechtzeitigen Einsatz stets verfügbar. Sogar zu einem früheren herbstlichen Sondereinsatz. „Seid bereit! – Immer bereit!“ oder zu einem „Subbotnik“. Und trotzdem gab gewichtige unbekannte Gründe es anders zu halten?


Die Bauernregeln wissen zu dieser Problematik verschiedenes und lehren es uns seit uralter Zeit:



- Das vergangene Jahr soll stets ein guter Lehrmeister für uns sein.

- Wer achtsam schaut nach seinem Feld, der findet ständig dort sein Geld.

- Wer sein Feld „recht gut“ will sehn, muss täglich selber dorthin gehn.

- Wie der Vater, so die Bübchen – wie der Landwirt, so die Rübchen.

- Nur ein wahrer Wackermann ist ein rechter Ackermann.

- Besser gute Vorsorge treiben, als bei schlechter Nachsorge leiden.

- Es ist keine Kunst, den Kalenderplan zu machen, wenn das Jahr vorbei ist.



Ich sehe unseren Ausbilder Ernst Lobbes vor mir. Er war nicht der Mann vieler Worte. Wohl auch nicht der Mann großer eigener oder fremder Widerworte. Er hatte sich scheinbar eingerichtet. Er lächelte zum Thema des Tages bedeutsam still. Es bedurfte ja auch keiner Erklärung gegenüber uns kleinen Lehrlings-Lichtern. Er kannte vielleicht die Gründe und Hintergründe eines solchen Ernteverfahrens. Er stand als wissender Landwirt mit seinen Beinen inmitten der sozialistischen dörflichen Produktion. „Wir sollen das erst einmal lernen“, wie er öfter sagt.

Das schon – aber so? – Welche Noten hätte er für solche Verfahrensweisen den erfahrenen Leitungskadern der sozialistischen Landwirtschaft in seine schwarze Kladde geschrieben? Nun, in diesem Falle war ja diesmal er abhängig von den teuren Genossen und deren Planung und Leitung – und teurer als notwendig kann uns allen eine solche Arbeitsweise durchaus zu stehen kommen.

Ich möchte ja nicht wissen, wie souverän Herr Lobbes über solche Verfahrensweisen z. B. mit meinem eingangs erwähnten landwirtschaftskundigen Onkel, Prof. Dr. Sauerlandt, dem aus Braunschweig, gefachsimpelt hätte oder mit unserem Prof. Mitscherlich – ach, wir haben gewiss so sehr viele und gute Spezialisten. Nun, Herr Lobbes und noch eher die anderen Leitkader wurden vor derartigen Konfrontationen bewahrt. – In unseren Lehrlingsköpfen aber standen öfter mal Fragezeichen zu den Methoden der sozialistischen Art des Aufbaus der Landwirtschaft. In der Industrie wird es vergleichbare Beispiele gegeben haben. Nur noch wesentlich konzentrierter. So falsch wie es gemacht wurde, musste es eben scheinbar sein, es ging wohl gar nicht anders und wurde zum Schluss als richtig angesehen oder zumindest derart dargestellt und als große Leistung abgerechnet, mitunter mit Prämien gewürdigt.

Der Genosse Rudolf Bahro wird später sinngemäß sagen: „Wie oft denkt man – dümmer gehts nimmer – aber die Realität beweist uns immer wieder – es geht, es geht!“ Diesen Spruch hat wohl zwar nicht Bahro erdacht – aber es gibt viele Menschen, die es täglich genau so sehen, die es mit ansehen müssen. – Und ihm rechneten die Genossen auch dieses Zitat als „negativ-feindlich“ an.

Geschieht etwas, dass wir als ungünstig, ungeschickt, dumm oder als verwerflich geneigt sind zu bezeichnen, dann hilft es wenig, daran festzuhalten, darüber zu schweigen, nur still darüber hinweg zu lächeln, um vielleicht scheinbar „die eigene Autorität“ zu wahren oder sich nicht selber Ärger einzuhandeln. Eher wird dadurch „das Dumme“ bewahrt, gehätschelt und gewinnt an Macht. Freimütig heißt es hier Ursachen und Wirkungen zu erkunden, um es das nächste Mal besser zu machen. Ein Prozess, der ein gewisses Maß an Ehrlichkeit, Offenheit und Lernbereitschaft erfordert. Nur richtig angefasst und ausgeräumt kann eine überwundene Dummheit zum Motor für die Besserung werden. Ansonsten bleibt es beim gewohnten alten.


Warum ich mit leichtem Stirnrunzeln immer mal wieder in diesem Text und somit im Leben etwas denke, frage und weiterhin fragen werde und oft auch eigene Antworten finde?

Bertold Brecht lehrt es uns:



- Die erste Allgemeine Verunsicherung -


Scheue dich nicht, zu fragen, Genosse!

Lass dir nichts einreden, sieh selber nach!

Was du nicht selber weißt, weißt du nicht.

Prüfe die Rechnung, du musst sie bezahlen.

Lege den Finger auf jeden Posten, frage: wie kommt er hierher?


Bertolt Brecht



Hier ein Erinnerungs-Ausflug: Eine nur wenig ältere gute Bekannte von mir bekam auch mal mit der Landwirtschaft Kontakt, denn sie wollte partout Lehrerin in der Stadt werden.

So hatten sie, diese noch etwas unsicheren, weniger lebenserfahrenen, 16-jährigen Stadtmädchen im ersten Lehrer-Studienjahr als pädagogische Übung im Fach „Agitation und Propaganda“ den Auftrag, die alten Landwirte, die erfahrenen Bauern, die sich sträubten den LPG-en beizutreten, aufzuklären. Darüber aufzuklären, welche fachlichen Vorteile es bringt, wenn man unter der führenden Rolle der Genossen mit festen Klassenstandpunkt, seine Kühe, die als echte Familienglieder galten, anderen Leuten in den Großstall übergibt. Leuten, denen die Tiere vielleicht eher „0-8-15-egal“ sein würden, den Leuten, deren Stärken und auch Schwächen ja jeder im Dorf kannte. Den Leuten, die eben vielleicht nicht mehr das Euter waschen und es fettend pflegen würden ... und so weiter. Wir kennen und praktizieren das ja selber – oder eben eher auch nicht – und wissen es deshalb.

Die Mädchen, diese angehenden Lehrerinnen, sollten ohne eigenes landwirtschaftliches Wissen und Können bei den erfahrenen Bauern aufklärend wirken, beauftragt von Politniks, von denen mancher selbst kaum je eine Kuh gesehen, kaum eine Kartoffel gesammelt, kaum Kenntnis von der Landwirtschaft hatte. Beauftragt von Leuten, die es aber sehr wohl intensiv gelernt hatten oder es „von Natur aus beherrschten“, Druck auf andere Menschen auszuüben.

Manch ein Landwirt zeigte den Lehrerinnen-Schülerinnen die Wachhunde seines Hofes oder wies mit dem Daumen rückwärts oder mit dem Zeigefinger am ausgestreckten Arm vorwärts zum Ausgang ihres Grundstücks. Andere schlugen die Hände über dem (eigenen) Kopf zusammen und meinten zu den Pädagogik-Studentinnen etwa: „Ach, ihr arglosen, unwissenden, verblendeten Kinder“. Solche Versuche endeten wohl in der Überzahl mit wenig positiven Ergebnissen, waren kontraproduktiv.

Durchschnittlich normal Denkende wussten das. Bereits vorher. Gemacht wurde es trotzdem. Die Berichte innerhalb der Partei und in den Zeitungen ließen aber Hurra-Getön sehen, denn wie's auch kommt: „Die Partei hat immer recht“ – und wenn sie auch auf ihrem Weg Unmengen an feinem, wertvollen Porzellan zerschlägt, das dringend benötigt wird und sie das von ihr angepeilte Ziel verfehlt.


Warum aber überhaupt dieses ganze unverständliche Gerangel? – fragten mich später Geborene. Also – in groben Zügen war es so:

Das Junkerland, das Land des Adels, die Rittergüter, das Land der Großbauern wurde bereits 1945 den bisherigen Besitzern entschädigungslos fortgenommen, also enteignet und dem Staat (der Verwaltung der sowjetischen Besatzungszone) übergeben. Was mit den enteigneten Menschen geschah, mit den von ihrem Wohnsitz und Arbeitsort Vertriebenen, ist ein weiteres, oftmals sehr trauriges Kapitel. Die staatliche Verwaltung bildete vom neuen Besitz volkseigene Güter oder teilte diese Flächen bei der Bodenreform auf, gab etwas den Kleinbauern, den mittellosen Landarbeitern, den Flüchtlingen (Umsiedlern) aus dem Osten – eine großzügige Geste? – Eine dringend notwendige Maßnahme, denn wer sollte sonst die Ernährungsgrundlage für die Bevölkerung schaffen? Doch nicht jeder der nun neu mit Landeigentum Begünstigten hatte die hinreichende Kenntnis des Wirtschaftens auf bäuerlichem Gebiet, viele nicht die eigene Kraft und es mangelte ohnehin an technischer Ausstattung, so dass die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln aus der Landwirtschaft schwieriger wurde, statt, wie geplant und erwartet, besser.

Nur wenige Jahre später hieß es deshalb: „Gebt euer Stück privates Land auf, tut es zusammen, bringt es in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) ein. Gebt das individuell betriebene Arbeiten auf – ihr werdet es leichter und besser haben und die Produktivität wird außerdem steigen“. Bisherigen privaten Besitz an Land fortzugeben, zusammenzulegen, möglichst auch das Vieh und die Maschinen – das war die neue Devise. Das betraf nun aber nicht nur die Menschen, die erst vor wenigen Jahren Land erhalten hatten, sondern genauso jene, die seit langer Zeit, seit Generationen, die eigene Scholle, ihr Eigentum, bewirtschaftet hatten. Das ging so ab etwa 1952 bis nach 1961, mitunter freiwillig, oft in der gruppendynamischen Mitläuferschaft um des lieben Friedens Willen, selten gleichgültig-bequem, oft mit starkem politischen Druck, dessen Methoden sehr viele Menschen aus dem Land trieben, verschiedene auch in den Tod.


Zur „Eintrittswerbung“ der Bauern wurden mehrere Werber geschickt, um gemeinsam die „säumig-unentschlossenen“ freien Bauern zum Eintritt in die LPG zu „überzeugen“ und um sich gegenseitig „auf Linie“ zu halten. Diese uneingeladenen Besuche wiederholten sich oft täglich und die Besucher kamen mitunter auch über den Zaun, wenn das Hoftor verschlossen war. In die Dörfer wurden mitunter bis zu 60 „Werber“ geschickt, die dort ausschwärmten und jeden der Grundstückseigentümer bearbeiteten. Vor der Darlegung und schamlosen Verbreitung von Unwahrheiten, selbst in den Zeitungen, schreckten diese Leute nicht zurück. Teilweise wurden den unbescholtenen Bauern auch die Personalausweise abgenommen, um deren Aktionsradius (und eine Flucht in die BRD) drastisch einzuschränken. Diese „Eintritts-Werber“ kamen manches Mal in Polizeibegleitung oder es wurde zeitgleich die Nationale Volksarmee im Ort stationiert.

Auch fuhren mitunter Polizei- und Militärfahrzeuge mit Lautsprechern durch die Dörfer und forderten die Bauern öffentlich lautstark und mit Namensnennung zum Eintritt in die LPG auf, wobei persönliche Angriffe, wie das Verbreiten von Lügen über die Lautsprecher als Druckmittel eingesetzt wurden. Verschiedene Landwirte hielten das nervlich nicht aus, andere versteckten sich zeitweilig, um dem übermäßigen Druck versuchsweise zu entgehen ... und nun kamen auch noch diese Pädagogik-Studentinnen, quasi als letztes Aufgebot oder wie es hieß ... „die junge Garde, als Kampfreserve der Partei.“

In den Zeitungen konnte man anschließend so etwas lesen wie: „Der Landwirt XYZ hat nach den aufklärenden Gesprächen mit den Genossen der Partei auf freiwilliger Basis den Weg vom >Ich zum Wir< gefunden. Wir gratulieren ihm zu seinem Entschluss, in unseren Reihen nun ebenfalls den Frieden zu schützen und damit die Bonner Militaristen in die Schranken zu weisen“.

So oder ähnlich konnte es sich entwickeln, wenn der Bedrängte nicht vorher in die Bundesrepublik Deutschland floh oder in zahlreichen Fällen den Frei-Tod, das Sterben wählte, um frei sein zu können.


Wer als Einzelbauer sein Abgabe-Soll, das „Kontingent“ nicht erfüllen konnte (z. B. bei Milch infolge von zu wenig Futter oder jenes in minderer Qualität, dem wurden Kühe mitunter von seinem Hof geholt, gewaltsam, ohne Entschädigung, also vom Staat gestohlen – der Besitzer bei Widerstand gegen die Staatsgewalt ins Gefängnis gebracht. Weitere triftige Gründe für solche Maßnahmen ließen sich leicht konstruieren.

Auch gab es die Fälle in denen Einzel-Landwirte ihr „Soll“, die staatliche Vorgabe nicht erfüllen konnten, weil ihnen untergewichtige Läufer (Jungschweine) aus dem Stall geholt wurden, weil die Partei sagte: Wir brauchen jetzt das Fleisch für die Bevölkerung, nicht erst, wenn die Schweine das vorgegebene Gewicht haben.

Andererseits kam es auch vor, dass der Staat den Einzelbauern als Druckmittel deren Erzeugnisse nicht abnahm – und die Bauern hatten somit keine Einnahmen, denn sie durften nichts frei verkaufen. So mussten sie entweder in die LPG oder in den Westen fliehen.


Das etwa war die Situation in der Landwirtschaft in der Phase des Aufbaus des Sozialismus während der Zeit vor dem Beginn unserer landwirtschaftlichen Lehre.


Trotz alledem: Wir haben schnurstracks zu gehen – (Lied): „Auf dem Wege weiter, den uns die Partei gewiesen. Vorwärts, junger Streiter ...“ nicht etwa auf dem Weg nach eigenem Denken, mit fundiertem Wissen und Können.

Dabei wäre vieles mit etwas Einfühlungswillen und -vermögen wie kluger Wissensnutzung leichter gegangen, denn verschiedene Vorteile und Erleichterungen in einer Zusammenarbeit ließen sich ja nicht von der Hand weisen. Warum mit immer wiederholtem dümmlich-plump drohenden Druck, gegen Landwirte agieren, was viel zu viele bis 1961 in den Westen getrieben hatte, in die Gefängnisse brachte, sie zur Gleichgültigkeit abstumpfen ließ oder auch gar manchen zur Selbsttötung führte. Warum nur, wurde dieses wertvolle Potenzial der Menschen (schließlich nicht nur in der Landwirtschaft) von den Regierenden der SED jahrelang, jahrzehntelang sehenden Auges missachtet? Warum wurden fachlich-begründet Mahnende und kritisch-kreative Unterstützer der Republik als „negativ-feindliche Kräfte“ gebrandmarkt, eher in ihrer Existenz bedroht, statt mit ihnen das Beste für das Volk und seine Wirtschaft zu schaffen?

Nicht jede lang anhaltende Kurzsichtigkeit kann ein Optiker korrigieren.

Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht mahnte vorerst, also vor dem Bau seiner Mauer: „Jeder, der die DDR verlässt, übt Verrat an der Sache des Friedens und unterstützt die Bundesrepublik, die einen Atomkrieg vorbereitet“. –


Und wie war es doch gleich mit der Wahrheitsliebe unserer Staatsführung? Oder sollte diese Thematik eher in das Schubfach „Durchdachte Strategie und Taktik verschoben werden? Wir erinnern uns nur 'mal so eines einzigen Beispiels aus vielen – für die später Geborenen:

Ein Rückblick: Am 15. Juni 1961, zwei Wochen vor seinem 69. Geburtstag, gab der Vorsitzende des Staatsrats der DDR, Walter Ulbricht, wieder mal eine Pressekonferenz. Zu seinen Ausführungen fragte die westdeutsche Journalistin Annamarie Doherr von der Frankfurter Rundschau zu „gewissen Planungen in der DDR“: „Bedeutet Ihre Absicht der Bildung einer >freien Stadt< (Berlin), dass die (DDR-) Staatsgrenze (auch) am Brandenburger Tor errichtet wird?“

Und der Staatsratsvorsitzende Ulbricht antwortet darauf – anscheinend nicht so recht passend – aber er wollte offenbar seinen Punkt unbedingt irgendwie in seinen Ausführungen unterbringen:

Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. ... Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt sind hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigt, und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt."


Das war ja so 'was von eindeutig! Recht so! So soll man es den Leuten beibringen, damit sie es verstehen!

Somit prägte W. Ulbricht vorerst fest den Begriff „Die Mauer“ für den Ausbau der Grenzbefestigungs- und Grenzsicherungs-Anlagen der DDR.


Nur zwei Monate später, am Sonntag, den 13. August 1961 war es dann aber schon soweit:

Ab 1 Uhr in der Nacht begann die Nationale Volksarmee der DDR, eine rund 145 km lange DDR-Grenzbefestigung um West-Berlin zu ziehen. Der vor kurzer Zeit von Ulbricht ungefragt erwähnte und von ihm absolut ausgeschlossene Bau einer Mauer“ wird in der Wirklichkeit bereits betoniert! Die bisher durchlässige Grenze wird geschlossen, um uns, die Bürger der DDR, vor der gefährlichen West-Berliner Bevölkerung und vor den „Bonner Ultras“ (wie es W. U. gerne ausdrückt) mit ihren gegen die DDR lang gehegten Blitzkriegsplänen zu schützen, so sagt man uns. Dem westdeutschen Faschismus mit einen antifaschistischen Schutzwall begegnen. Und auch die etwa 1.300 km lange Grenze der DDR zur BRD wird ausgebaut und auf unserer, der DDR-Seite, über lange Strecken u.a. mit Teller-Tretminen und Selbstschussanlagen ausgestattet. Alles für den Frieden und alles ausschließlich für das Wohl unserer DDR-Bürger.

Die Mauer“ wird seitens der DDR-Führung nach neuer Überlegung, künftig nun umtituliert, nicht länger als die Mauer, sondern eben als „Antifaschistischer Schutzwall“ präsentiert. Jeder, der nicht allzu verblendet ist, weiß natürlich, dass sich Mauer und Waffen im Wesentlichen gegen die eigene Bevölkerung der DDR richten, um die unwahrscheinlich starke Fluchtbewegung aus dem Land zu stoppen, nicht mit vernunftgeführten Inhalten, sondern erneut mit Gewalt gegen das eigene Volk.

Und mit der Art der „Wahrheitsliebe“, mitunter auch mit der Staatlichen Kriminaliät, für die es ungezählte Beispiele gibt, wird es weiterhin so gehalten, bis zu der von der Regierung angeordneten Wahlfälschung 1989 – und bald danach wird Schluss sein, weiß die Geschichte.


Aber wir als Lehrlinge werden indessen natürlich weiterhin hübsch zu echt sozialistischer Wahrheitsliebe erzogen, sofern wir diese nicht ohnehin bereits vom Elternhaus mitbekamen.


Das Volk ist jedoch – hinter vorgehaltener Hand – hinsichtlich des Humors findig:

Walter Ulbricht erhielt den weiteren Spitznamen: „August, der XIII.“

Treffen sich zwei Maulwürfe an der Mauer. „Los“, sagt der Eine, „so, wie wir heute arbeiten,

werden wir morgen leben!“ (Ein typischer Spruch, eine offizielle „Kampflosung“).


Und wir wissen ja: Die Vielzahl der Ungereimtheiten, die Maßnahmen, die oftmals Schwierigkeiten brachten, viele unsinnig erscheinende Weisungen der Regierenden, nicht etwa kameradschaftliche Zusammenarbeit der Besten, sondern die bange Sorge um das Aufrechterhalten des absoluten Machtanspruchs der „Führungsrolle der SED“ um jeden Preis und damit schließlich auch dieser Art von DDR, war nur möglich, durch die Stützung seitens der Sowjetunion und ihrer hier stationierten Streitkräfte sowie durch das von dieser Partei, der SED, für sich selbst geschaffene, sie „beschützende Schild und hinrichtende Schwert“: der „Organe des Ministeriums für Staatssicherheit“, von deren Chef Mielke gerne als „wir Tschekisten“ bezeichnet.

Gewiss agierte deren Personalbestand auch selbständig – aber die SED war mit ihren Führungskräften der Auftraggeber der Staatssicherheit für die Gräueltaten gegen die eigene Bevölkerung, für Überwachung, für das vernichtende Verbreiten von Lügen und Falschgerüchten über Mitmenschen, die geplante Zersetzung von Personen und Personengruppen, für Diskriminierung, für Unterdrückung, für das Wegsperren in Gefängnisse und Zuchthäuser, für Folter und Hinrichtung mit und ohne Gerichtsverfahren und -urteile. Die SED mit ihren maßgeblichen Kadern im Zentralkomitee und Politbüro, bis hinunter zu den Bezirks- und Kreisverwaltungen, war der Auftraggeber für die Ausführenden der Staatssicherheit!

Ein Blick in die Zukunft: So werden es bis zu etwa 90.000 hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi, zuzüglich etwa 170.000 bis 180.000 nebenberufliche „Informelle Mitarbeiter“ sein. Letztgenannte sind Personen, die eine Verpflichtungserklärung zur Spitzel-Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit unterschrieben haben. Es kamen auf jeweils etwa 180 DDR-Bürger zu deren Überwachung im Durchschnitt ein hauptberuflicher Staatssicherheits-Mitarbeiter und zwei weitere nebenberuflich gedungene oder „ehrenamtliche“ Spitzel. Soweit des Eisbergs Spitze! Hinzuschätzen müssen wir die die riesige Anzahl der zeitweiligen „Auskunftspersonen“ (die nicht den Status des Informellen Mitarbeiters innehatten), die drohend streng vergattert wurden über die Befragungen und über deren Inhalte zu schweigen, die Betroffenen nicht zu informieren. Dazu gehörten die staatlichen und betrieblichen Amtsträger, beispielsweise die Leute der Kaderabteilungen = Personalbüros aller Betriebe, darüber hinaus die Mitarbeiter in allen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen, Arbeitskollegen, Nachbarn ... bis hin zu Ehepartnern, so dass der Staatssicherheitsdienst auf Informationen schätzungsweise jedes 16. Bürgers zurückgriff, was rund 1 Million Personen bedeutet, die Auskünfte erteilten.

Allein von den rund zwei Millionen SED-Mitgliedern waren wohl schon etwa 4,5% hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter, zuzüglich der IM, von denen schätzungsweise die Hälfte ebenfalls Mitglieder der SED waren. (Quelle: XVIII. Bautzen-Forum, 2007, Eisel / Giesecke, Friedrich-Ebert-Stiftung).

Dieser „Kaderbestand“ wurde in besonderen Ausbildungsstätten geschult. So z. B. in der im Dorf Golm bei Potsdam – ab 1965 mit neuem Decknamen: „Juristische Hochschule der DDR“, Eiche, genannten Einrichtung, mit ihren nachgeordneten Fachschulen. Stätten, in denen etwa 30.000 Personen in der Aus- und Weiterbildung alle Techniken des „Stasi-Rüstzeugs“ erwarben. Psychologisch und handwerklich. In dieser „Juristischen Hochschule“ bei Potsdam erwarben 4.492 hauptberufliche Mitarbeiter ihren Stasi-Diplom-Abschluss und 485 promovierten hier zum Dr. jur. der Stasi. So auch der Oberst Dr. Alexander Schalck-Golodkowski, der „Geheime kommerzielle Koordinator“, der seine Doktorarbeit über die Möglichkeiten der Erwirtschaftung / Beschaffung zusätzlicher Devisen, harter Währung für die DDR-Führung (auch mittels Diebstahl, Raub und Erpressung von Kunstgütern) schrieb. – Beschaffung, auch mit Methoden, die wiederum eine Anzahl unserer Menschen zum Ausreiseantrag oder auch in den Tod trieben.

Der vormals wohl eher mittelmäßige Schüler, spätere Mörder, dann höchstgefährlicher DDR-Minister und Stasi-General Erich Mielke gehörte zu Schalck-Golodkowskis „Doktorvätern“. – „Natürlich“ werden diesen Leuten, die andere Menschen oft grundlos quälten, auch nach dem Beitritt der DDR zur BRD ihre akademischen Stasi-Abschlüsse weiterhin anerkannt. Und deren sehr gute Gehälter bilden dann auch eine ebenso ausgezeichnete Grundlage für eine weit überdurchschnittliche staatliche Altersversorgung in der BRD. Der Dank des Vaterlandes ist treuen Dienern gewiss. Darüber kann die Masse ehrlicher, fleißiger Arbeiter wohl nur traurig staunen.

Und viele Tausende der nun wirklich und wahrhaftig lieben, teuren und aufrechten SED-Mitglieder haben später nach der „politischen Wende“ (so, wie es wohl in jeder Zeitepoche und in jeder Gesellschaftsordnung üblich ist) gesagt: „Ach, davon habe ich ja gar nichts gewusst, nicht einmal im aktiven Parteileben etwas davon mitbekommen“. Oder: „Ich war doch nur so ein kleines unbedeutendes Rädchen im Getriebe und habe überhaupt nichts von Bedeutung mitentschieden“.

Gewiss ist auch: durchaus nicht jeder Bürger wurde mit der Stasi in einer für ihn dramatischen Art und Weise konfrontiert. Und vielen wurde die Überwachung durch Unauffällige: seitens guter Bekannter, Arbeitskollegen, Nachbarn, selbst durch Ehepartner, auch nicht immer bewusst. –


Nun, das hier Notierte ist inzwischen in vielen Büchern zu lesen. Es sind keine Geheimnisse mehr.

Es gab auch in nächster Großbeuthener Umgebung Lehrlinge, die kaum empfanden, kaum selbst denken, kaum selbst erfahren und danach handeln wollten. Einer unserer Klassenkameraden strebte an, bald Offizier zu werden, wie sein Vater. Mit ihm (dem Sohn) war es kaum möglich, eine Unterhaltung über gesellschaftliche Fragen der Zeit zu führen. Für ihn war schon vor einem Gesprächsbeginn klar: „Was Zentralkomitee und Politbüro der SED vorgeben, das ist richtig. Was die Partei beschließt, das wird sein!“ Punktum. Und übrigens: „Die Partei sind viele – die können sich nicht irren“. Schluss mit dem Beginn eines Gesprächs. Schluss mit dem eigenem Denkprozess. – Da schien mir einfach Achtsamkeit und Zurückhaltung geboten. Gewiss formt uns die Erziehung bedeutend. Den Einen mehr, den andern weniger dauerhaft.



Lebenserfahrungen des Jünglings:

Auflehnen. –

Wer das nicht kann, nicht frühzeitig unternimmt,

wird allemalen ein Gegängelter bleiben.

Nur in der Auflehnung finden wir uns selbst.


Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (Königsberg 1776–Berlin 1822)



Wir übersehen es nicht, wir vergessen auch nichts vom Guten, das uns im täglichen Leben begegnet, das wir durchleben, das wir genießen dürfen und achten! Damals so wie heute.

Die Partei- und Staatsführung hatte schon früh, ach, so schöne Sprüche, unter anderem über die Sozialistische Landwirtschaft, herausgebracht. Es waren viele Reimwerke solcher Art:



Wenn auch viele gingen – in die innere Emigration, in die deutsche Bundesrepublik flüchteten oder es versuchten – „wir“ aber träumten nicht vom Weggehen in ein Land „Utopia“. Ich hörte 'mal den frühen Treueschwur: „Und ist der Weg auch hulperich – wir bleiben doch bei Ulbericht!“ ... & Co.


Viel später wird manches an Nebensächlichkeiten verändert sein, als die Partei und Regierung als Hilfe zur Mobilisierung von Reserven z. B. die Neuerbewegung, das Neuererwesen für sich entdeckt. Von dieser Zeit an hieß es: Macht individuelle Neuerervorschläge (in der BRD: Verbesserungs-Vorschläge), schließt gezielte Neuerervereinbarungen ab. Schaut, wie es andere Betriebe schaffen und schließt dazu Nachnutzungsverträge über deren Ideen zum gegenseitigen Vorteil. Gebt Selbstverpflichtungen in eurem PSP ab (Persönlich-Schöpferische-Pläne). Erstürmt die Höhen der Wissenschaft. Bringt eure Spitzenprodukte auf die „MMM“ („Messe der Meister von Morgen“ / in der BRD: „Jugend forscht“). Den Titel „Kollektiv der Sozialistischen Arbeit“ könnt ihr erringen, wenn ihr euch zu hervorragenden Leistungen verpflichtet und diese nachweisbar abrechnet. (Zu diesem Verfahren, bezogen auf Großbeuthen, einige Ausführungen in der Anlage 2 dieses Dokuments.)

Und stets auch: „Von Freunden lernen – heißt siegen lernen“.

Eben, viel später. Na ja, alles sehr schön. Auch ich war dabei – mit des Kopfes klarem Verstand, mit den Händen, die keine Arbeit scheuten und sehr oft mit dem Herzen.

Doch dann gab es auch gleich wieder die Staatliche Planauflage, die zu erfüllen war, um die Wirtschaft über Wasser zu halten. Die als Antwort zur verpflichtenden Vorgabe aufgeschriebene Übererfüllung, die oft erpressten Meldungen oder schleimdienernden Falsch-Erfolgsabrechnungen die der Realität entgegenstanden, waren eine „Ehrensache“. Und auch mit solchen ließen sich selbstverständlich Prämien, Orden, Urkunden und Blümchen gewinnen. So war das eben.


Was sonst noch geschah



Aus der landwirtschaftlichen Natur-Beobachtung haben wir gelernt:


Es gibt nur einen Sommer in diesem Jahr!


Im Juli ein Tag Regen – tränkt sieben trockne Wochen – und ist für uns ein Segen.

Gewitter in der Vollmondzeit bringt sicher Regen weit und breit.

Wenn gedeihen soll der Wein, muss der Juli trocken sein.

–––––––––––––


Gerad' im Monat Ernting, dem August, ist's in diesem Jahr Erntezeit.


Fängt der August mit Donnern an, er bis zum End' 's nicht lassen kann.

Ist der August am Anfang heiß, bleibt uns der Winter lange weiß.

Hagel im Juli und im August bringt allen Bauern großen Frust. –

doch Morgentau in dem August, ist für den Landwirt eine Lust.


Große Dürre schadet wohl aber sie verdirbt's nicht.

Ein trockenes Jahr ist nicht unfruchtbar.

Wenn im August zu warm es war, folgt oft ein milder Februar.

(aber meist erst ein halbes Jahr später).


Wenn Tage im August sich trocken zeigen,

(Laurentius, um den 10. 8.) und Bartholomäus um den 24. 8.)

die Herbstmonde genauso sich erweisen.

Auf die besten Sommertage folget heftige Wetterlage.

Wenn es im August nicht regnet – der Winter wird mit Schnee gesegnet.

Roter Mond und helle Sterne? So sind Gewitter oft nicht ferne.



Spitznamensfindung oder auch spitzfindige Namensbildung!

Es begab sich in den ersten Tagen der Lehrzeit, dass die konventionellen, einst von den Eltern gewählten Vornamen der nunmehrigen Lehrlinge mit „ansprechenden Rufnamen“ frisch überdeckt werden sollten. Ich s etwas abseits, doch Harald Kun. und Klaus Eis. riefen mich ... mal mit „Jimmy“, mal versuchten sie es mit „Charlie“, dann probierten sie es mit „Johnny“. Das kam meiner Familiennamenswurzel zwar schon sehr nahe, passte mir aber nicht. Vielleicht waren sie kurz vor dem Ende ihrer Bemühungen und verlegten sich auf „Goofy“ und ich reagierte endlich und trabte an. Goofy – im Deutschen will es bedeuten: „Das Dummerchen“ oder auch „der olle Trottel“. Das war doch was für mich! Wie sagte doch sogar unser Lehrausbilder, Herr Ernst Lobbes, am ersten Ausbildungstag ganz im Ernst: „Ihr könnt noch nichts. Ich werde euch mit meiner Art des Benotens die Gelegenheit geben, dass ihr eure Zensuren langsam stetig steigern könnt“. Goofy – darin liegt doch in jenem Sinne ein ungeahntes Potential – in einer absehbaren Zeit vom Trottel zum Normalbürger aufsteigen, ist doch erheblich wertvoller, als das, was ich bisher über einige Politiker und deren Helfer ausführte, die fast als Spitzenfunktionäre begannen, unbeliebt bis gefürchtet waren und mehr oder weniger kläglich endeten.

Na ja, die Spitznamen-Wahl fand in den ersten Tagen statt, als man noch nicht direkt nach Charaktereigenschaften oder Leistungsvermögen aussuchen konnte, sondern „nur so“ die Auswahl traf ... vielleicht nach „edlem Klang“.

Doch wie schon angedeutet: Bei mir sollte es in der Entwicklung stets nur aufwärts gehen! Und so erfüllte es sich auch – und so erfüllte ich es auch.

Mich begleitete dieser freundliche Spitzname, für den Harald Kun. verantwortlich zeichnet, bis heute. Ich bin ihm dankbar dafür. Er hielt mich, wenn auch von ihm unbeabsichtigt, dazu an, den Lebensumständen nie überheblich, sondern stets mit einer gewissen Demut aber mit der Kraft des Denkens zu begegnen und danach zu handeln. Seit 1995 wohne ich sogar in der GoFi – Straße. Es ist am Rand der Stadt Potsdam die Straße „Golmer Fichten“. Das ist „ganz charakteristisch“ genau dort, wo kein Nadelbaum zu finden ist.


Nun weiter im Jahr 1962: Vorhin hatte ich kurz im Sekretariat der Betriebsberufsschule zu tun. Auf dem Schreibtisch von Frau Mal. lagen zahlreiche braune Schnellhefter, neu eingerichtet, mit jeweils dem Namen eines Lehrlings beschriftet. Aha, das werden die „Kaderakten” sein. Ein Teil ist wohl so leer, wie ein unbeschriebenes Blatt Papier, andere, das werden wir erst sehr viel später wissen können, enthalten bereits Einträge aus der Kindergarten- oder der Schulzeit. Diese Akte wird mit ihrem Inhalt für einen Jeden von uns ein Geheimnis sein und bleiben. Nur Kaderleiter (Personalchefs), „andere berechtigte Personen“, also bestimmte Vertreter „staatlicher Organe“ dürfen Einblick nehmen. Das bedeutet: Nicht jeder Betrieb legt sich für die Dauer des Beschäftigungszeitraumes solch eine Kladde an, nein, die einmal begonnenen Aufzeichnungen „wandern“ das gesamte Arbeitsleben des Menschen von Betrieb zu Betrieb mit. Jeder der Berechtigten soll wissen, was mit diesem Bürger los ist. Die Akte wächst im Umfang, denn jeder Berechtigte darf sich darin auslassen, lediglich der Betroffene darf nicht wissen was darin steht. Er darf nicht lesen, was so über ihn geschrieben wurde. Nur die offiziellen Beurteilungen, z. B. beim Ausscheiden aus dem Betrieb kennt er, weil er davon sowieso eine Ausfertigung erhält. Ich selber werde meine Akte (erst in der BRD-Zeit) zum Eintritt ins Rentenalter erstmals durchblättern dürfen – und ein bisschen kopfschüttelnd staunen.


Die Mähdrescherfahrer der E 512-Kombines (Getreide-Vollernte-Maschinen) wurden in der Zeitung stolz „Unsere Erntekapitäne“ genannt. Es kann nicht überall zeitgleich geerntet werden. Die teuren Mähdrescher stellen eine „Zentrale Erntetechnik“ dar. Mit ihnen wird in mehreren Bezirken nacheinander gearbeitet. So fahren die relativ langsamen und sehr breiten Maschinen in Konvois auch auf den „schnellen Autobahnen“ zu den nächsten Einsatzorten. Das waren aber keine schlimmen Hindernisse. Die Autobahnen in der DDR waren „in unserer Zeit“ meist ziemlich leer.


Als mein Moped mal streikte, hockte ich hinter einem Traktor auf einem Milchsammel-Anhänger und fuhr so mit nach Potsdam. Auf dem Anhänger stand bereits unser großer voller Aluminiumtank aus dem Melkhaus des VEG – und ich hob auf dem Wege die weiteren Kannen von den Milch-Bänken auf den Hänger hinüber. Das freute den Fahrer, den Traktoristen, der die Milch zur Molkerei Potsdam, Leninallee, zu bringen hatte. Er sparte somit den erzwungenen Frühsport ein, der für ihn sonst an jeder Milchbank üblich war.



Ein anderes Mal ging ich nachts zu Fuß von Großbeuthen nach Babelsberg. Es war (und ist) eine Strecke von etwa 21 km; nur eine halbe Marathon-Distanz. Manches war leicht möglich. Ich erwähne es, denn es war damals wichtig, es war ja in dieser Zeit nur möglich mit einem eigenen Fahrzeug oder zu Fuß gut nach Großbeuthen zu gelangen.



Der Bauer kennt die September-Sprüche aus der Zeit vor dem jüngeren Klimawandel:


An einem gut' Gewitter-Regen, ist jedem Bauern viel gelegen.

Wenn du vorm Blitz nur sicher bist – gewalt'ges Donnern schadet nicht.

Gewitterts im September noch, dann liegt der Schnee zur Weihnacht hoch.

Die gefährlichsten Sommer sind auch die fruchtbarsten.


Wenn der achte schönes Wetter zeigt – es den Monat über bleibt.

Septemberwetter warm und klar – das gibt ein gutes nächstes Jahr.

Fällts Laub im Frühherbst schon recht schnell, ist auch der Winter früh zur Stell'.

Fliegen Zugvögel zeitig heim, kann früh und streng der Winter sein.



Im September waren Christian Feu. und Chris Jan. Kühe hüten, etwas entfernt vom Ort. Ein frühherbstliches Spätsommer-Gewitter zog auf. Wir suchten den Regenschutz in einer Feldscheune und tauschten viele Erfahrungen über unser langes, rund 17 Jahre altes Leben aus. Bald war der Regen fort – aber die Kühe auch – und wir konnten rennen wie die Hasen, um die lieben milchspendenden Horntiere wieder einzufangen. Auch aus Fehlern lernen wir gut für's Leben. Nach getaner Einfang-Arbeit schien uns das anschließende Abendessen etwas knapper als sonst und hat wieder vorzüglich geschmeckt. Die Rinder trugen damals selbstredend stolz und wehrhaft ihre Hörner, waren noch nicht verunstaltet, wie man sie später häufig antraf.


Werner Roh. besaß als erster von uns ein West-Nylon-Hemd. „Welch' Erstaunen“, wie er es (vor allem den Kragen innen) mit einem Schwämmchen einfach schnell im Waschbecken reinigte und nach Sonnen- und Windtrocknung schon kurz darauf wieder anzog. Na ja, als ich viel später auch mal ein solches Hemd hatte, merkte ich schnell wie unangenehm man darin verstärkt transpirierte.



Im Märzen der Bauer ... oder ... Im Lenzing der Buer ... :


Graue Wolken, starker Wind, selten ohne Regen sind.

Nicht immer kommt ein Regen, wenn Wolken sich bewegen.

Auf einen unfreundlichen März folgt ein freundlicher April.


Wenn bei dir die Drossel schreit, dann ist der Lenz nicht mehr sehr weit.

Die Witterung vom Frühlingsanfang (21. März) hält sich den ganzen Sommer lang.

Wie's Wetter ist zum Ende März, wird's auch im Juli – ohne Scherz.



Ach, da haben wir doch noch ein anderes, recht bekanntes Lied-Dichtwerk für diese Jahreszeit:


Der Bauer im Märzen


Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt.

Er setzt seine Felder und Wiesen instand.

Er pflüget die Erde, er egget und sät

und regt seine Hände von frühe bis spät.


Die Knechte, die Mägde, sie dürfen nicht ruh'n,

sie haben im Stall und im Garten zu tun.

Die Bäu'rin sie pfleget derweilen das Haus –

bereitet für alle zum Abend den Schmaus.



Den Rechen, den Spaten, die nimmt er zur Hand

Er pflegt all die Bäume auf sei-nem Land,

auch edelt er Bäume mit wertvollem Reis,

er spart nicht an Arbeit und Mühe, noch Fleiß.


So geht bei der Arbeit das Frühjahr vorbei,

nun birget der Landwirt das duftende Heu.

Er mäht das Getreide, dann drischt er er aus,

erst später am Abend kehrt er dann Nachhaus.


Volkslied in verschiedenen Wandlungen, das – eher aus der Sicht von Stadtleuten – in

idealisierender Weise das tatsächlich harte Leben auf dem Land darzustellen versucht.

Herkunft des Liedes: Vermutlich aus Nordmähren des 19. Jahrhunderts.



Ich wurde neulich freundlich darauf aufmerksam gemacht, dass ich in der Zusammenstellung dieses Berichts das nun folgende kleine Ereignis vergessen hätte und doch nachtragen solle. Also: Ich hatte es natürlich nicht vergessen, doch ich schreibe nicht alles auf und bewahre ohnehin stets absolutes Stillschweigen, die Diskretion, wenn Belange anderer Menschen berührt werden. Aber wenn es nun wirklich geschrieben werden soll, dann frischauf: Im Frühjahr 1963 wurde eines unserer vielen Mädchen, die liebreizende Ga., von plötzlichen grässlichen Bauchschmerzen geplagt. Sie musste zur ärztlichen Untersuchung ... und kam nicht mehr zurück – vorerst – aber dann später dafür wesentlich erleichtert. Im Krankenhaus Ludwigsfelde, Außenstelle Gröben, ließ sie den schrecklich entzündeten Wurmfortsatz ihres Blinddarms. Für immer. Das war zu „unserer Zeit“, als es noch nicht so wie heute üblich war, mit kleiner Spritze süß einzuschlummern bis der Bauch wieder zugenäht und alles vorbei war. Nein, damals gab es gleich Äther auf den noch wachen, „lebendigen“ Menschen – bis man das entsetzliche Erstickungsgefühl der Sauerstoffarmut nicht mehr aushielt und dann „im letzten Moment“ einschlief. Ich weiß das so genau, weil ich es eine Weile vor der Ga., an mir selbst erlebt hatte.

Im Krankenhaus, also im Gesundungsgebäude, traf ich geraume Zeit nach der Operation etwa zeitgleich mit Ga's Eltern zum Besuch ein. Ich wartete also und hatte die Zeit, mich gedanklich in die bereits vergangene Situation hinein zu fühlen, roch wieder den Narkose-Äther, erlebte erneut das Erstickungsgefühl, sah vor meinem „geistigen Auge den Film“, wie die Medizinmenschen in des schönen Mädchens geöffnetem Bauch hilfreich herum schnipperten, hörte, wie die mir bekannten Instrumente klapperten, klickend einrasteten, sah die Tampons neu-weiß und benutzt-rot. Ich konnte nachträglich die Prozedur geistig recht genau verfolgen. Vor lauter leisem aber heißem Mitgefühl wurde meinem Blut-Kreislauf plötzlich schlecht dabei, ich fühlte den Blutdruck rapide sinken, sah nur noch rote und schwarze Tupfer vor mir tanzen, bis es mir einen Moment später völlig schwarz vor Augen war und mir „der Boden unter den Füßen weggezogen wurde“, ich für einen Moment „wegtrat“. Bisher hatte ich eben nur die Gelegenheit gehabt, interessiert in verschiedene geöffnete Tierbäuche Einblick zu nehmen aber in ein freundliches Mädchen hinein, hatte ich noch nie so tief geblickt. Nicht mal in dessen Augen. Das war etwas völlig anderes! So, das sollte ich noch erwähnen, um den Bericht unserer Lehr-Erlebnisse abzurunden und weil es ja wahr war. 'Wa? –

Ich hoffe, das Thema hat euch gefallen – sonst hättet ihr bestimmt etwas vermisst.



Aus dem bäuerlichen Spruchbeutel für den lieblichen Monat Mai

oder auch Wonnemond genannt – geschüttelt:


Solang' die Heiligen nicht vorbei, ist nie vor Kält' bewahrt der Mai.

(Die „Eis-Heiligen“: Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sophie in den Tagen vom 12. bis 15. Mai).

Kommt Nebel, wenn die Bäume blühn, dann wirst du nicht viel Obst erzieln.

Kommt gar ein Frost nochmals heran, mach Feuer, schalt den Sprenger an.


Bei Blüte mild und auch kein Regen, verspricht fürs Obst den großen Segen.

Wenn die Sonne scheint sehr bleich, ist die Luft an Regen reich.

Zuweilen ein Regen, ist fürs Land ein Segen -–

Täglicher Regen dagegen, kommt den Pflanzen ungelegen.


Hat der Mond heut einen Ring, folget Nässe allerdings.

Auf Morgenrot ein Regen droht. (oder)

Rote Sonn' zur Morgenstund' tut den bald'gen Regen kund.


Früh am Morgen Sonnenschein, bringt oft am Abend Regen ein.

Ist der Maien frisch und kühl, gibt's gute Ernte, sagt's Gefühl.



1. Mai! Kampf- und Feiertag der werktätigen Massen!“ „Perwaja Maja.“ „Kampf- und Feiertag der Klasse der Arbeiter und Bauern im unverbrüchlichen Verbund mit den anderen Werktätigen“. „Erster Mai, erster Mai, alle Menschen werden frei!“ Letztgenannter Spruch wurde zu jener Zeit vorsichtshalber schon nicht mehr gerufen – um der Frage: „Ja, wann denn?“ vorzubeugen. Bei mir ist das aber aus Tradition noch so drin – und als konservierte Zukunftsmusik.

Damals war es guter Brauch und also Sitte, dass wir zur machtvollen Kampfdemonstration feierlich gekleidet auf der Ladefläche der Anhänger hinter den Traktoren Platz nahmen und dieselnd nach Siethen zum Hauptsitz des VEG töfften. Dort angekommen, marschierten wir dreimal um die Kirche, mit dem eher verhaltenen, textarmen Brummen markiger Kampfeslieder zwischen den Lippen, was im Anschluss an die üblichen Ansprachen in eine Art netten Kleinkirmes mündete. Sehr schön war das.

Viel fröhlicher war es hier in Siethen und Großbeuthen, als bei unseren vorherigen jahrelang geübten, disziplinierend bewachten Schulmarschierereien von Babelsberg nach Potsdam zur Haupttribüne am „Louisen-Platz der Nationen“, mit den irre langen Stau-Steh-Aufenthalten auf dem Weg dorthin. Das Einfädeln der Demonstranten, die aus zwei Straßen kamen und am „Leipziger Dreieck“ zu einem Y-Menschen-Hauptstrom zusammengeführt werden sollten, hatte in der Praxis nie geklappt. Wir kennen das funktionierende Prinzip vom Reißverschluss und vom Plakatbild des Vereinigungs-Parteitages der kleinen KPD mit der großen SPD. Dort lief alles wie gemalt. Offenbar waren „in meinen Jahren“ zu viele verpflichtete interessierte Teilnehmer unterwegs und zu viele inkompetente „Ordner“ noch dazu.

Auch zum 1. Mai passt sehr schön, denke ich, unsere gute „Deutsche Nationalhymne“ der DDR von 1949. Text von Johannes Robert Becher, Melodie von Hanns Eisler:




Auferstanden aus Ruinen

und der Zukunft zugewandt.

lass' uns dir zum Guten dienen,

Deutschland einig Vaterland.

Alte Not gilt es zu zwingen,

und wir zwingen sie vereint,

denn es wird uns doch gelingen,

dass die Sonne, schön wie nie,

I: über Deutschland scheint. :I


Glück und Frieden sei beschieden,

Deutschland, unserm Vaterland,

alle Welt sehnt sich nach Frieden,

reicht den Völkern eure Hand.

Wenn wir brüderlich uns einen,

schlagen wir des Volkes Feind.

Lasst das Licht des Friedens scheinen,

dass nie eine Mutter mehr

I: ihren Sohn beweint. :I


Lasst uns pflügen, lasst uns bauen,

lernt und schafft wie nie zuvor,

und der eignen Kraft vertrauend

steigt ein neu Geschlecht empor.

Deutsche Jugend, bestes Streben

unsres Volks in dir vereint,

wirst du Deutschlands neues Leben.

Und die Sonne schön wie nie,

I: über Deutschland scheint.:I




Ein schönes Lied, welch gutes Lied. Verschiedentlich wurde daran herum gekrittelt und gebessert. Später aber entschied sich die DDR-Regierung dazu, dass es am besten sei, die Nationalhymne , dieses des Volkes Lied, überhaupt nicht mehr zu singen. Die Zeit sei darüber hinweggegangen aber instrumental darf die zweite Strophe noch vorgetragen werden, weil man davon ausgehen kann, dass dann niemand einen ernsthaften Schaden davon bekommt.


Inzwischen ist es Juni – Brachet

Das jahrhundertealte bäuerliche Wissen gibt uns auf, diese Ratschläge zu beachten:


Stellt der Juni mild sich ein, wird's mild auch im September sein.

Bringt der Juni vielen Donner, folgt auf ihn ein trüber Sommer.

Nachts ein Regen, tags die Sonne – füll'n dem Bauern Scheun' und Tonne.

Wenn die Schwalben niedrig fliegen, werden wir bald Regen kriegen.

Zeigt sich der Juni kalt und nass, bleibt Scheune leer so wie das Fass.

––––––––––––––

Im Juli (Heuert) singen manche Bauernkinder:


Liebe, liebe Sonne lass' den Regen oben, dann wollen wir dich loben.

Einer schließt den Himmel auf – kommt die liebe Sonne 'raus.


Die Pflanzen aber singen (noch etwas leiser aber eine Oktave höher):

Lieber, lieber Regen, komm' ein bisschen runter, mach uns frisch und munter.

Einer schließt die Wolken auf – kommt erfrischend Regen 'raus.


und auch dieses mag gelten:


Beginnt der Juli mit mildem Regen, hält's vier Wochen so – es ist ein Segen.

Wie's Wetter am Siebenschläfertag (7. Juli), es sieben Wochen halten mag.


Nie wird hier ein Bauer arm, ist‘s im Juli feucht und warm.

Im Juli sehr viel Sonnenschein wird jedem Landwirt recht schon sein.

Obwohl der Hahn kräht auf dem Mist, mag alles bleiben wie es ist.




Den Arbeitsstaub vom Körper abzuspülen, hatten wir bei Großbeuthen am Ortsausgang, also in Richtung der Schweinezucht- und Mastanlage die ehemalige Kiesgrube. Sie war voll Wasser gelaufen und sie war angenehm für unsere Nutzung. Erstaunlicher Weise war aber auch diese beim Füllvorgang nicht übergelaufen – jemand hatte die Zulaufquelle gerade noch rechtzeitig abgestellt. „Unsere“ Nutzung bedeutete hier ganz kumpelhaft: Für die Menschen, unsere Pferde, einige Hunde. Mit den Amöben und Kaulquappen badeten wir sowieso gemeinsam und an dramatische Zusammenstöße mit Fischen kann ich mich nicht erinnern. Ein Hai war nicht dabei. Die Kiesgrube, unser See, war groß genug, romantisch gelegen, teilweise von Bäumen umstanden und mit einer Insel versehen. Herr Bruno Abromeit, ihr wisst schon, der zeitgenössische Leiter der Betriebsberufsschule – bitte seinen Namen noch etwas „härter“ aussprechen, denn seine Sippe kam aus der schönen baltischen Gegend Litauens –, hatte in seiner Fürsorglichkeit und in Erwartung von Lehrlingen, die vielleicht der Schwimmkunst noch nicht mächtig seien, von einer Raupe (Kettenschlepper) mit Schiebeschild am Rand des Gewässers zusätzlich das flache, bald nach ihm zu seiner Ehre benannte „Abromeit-Planschbecken“ ausschürfen lassen (oh nein, bitte nicht versehentlich: „ausschlürfen“ lesen), das jedoch unter der Ufererosion bald wieder versandete. Aber die Kaulquappen und ihre Froscheltern waren zeitweilig voll des Dankes dafür. Die Kiesgrube – ein herrliches „Naherholungsgebiet“ für uns. Joachim sagte noch viel später voller Freude (bitte nicht lesen, sondern nur zuhören – das ist effektvoller): „Wenn ich meinen See seh', brauche ich kein Meer mehr“. Zwar haben das schon mehrere Leute so empfunden und gesagt aber Schönes im Leben soll man ruhig öfter wiederholen.

Herrlich also war es an unserem See, bis dass es später die befreundeten, in Militärmäntel gehüllten Sowjetmenschen ebenfalls erkannten, es auch so sahen, es annektierten und daraus ein Übungsbad zur Ertüchtigung der Kampfeskraft ihrer Schwimmpanzer und ähnlichem kriegerischen Verteidigungsgerät machten. Die spätestens nach 30 Jahren, ab 1994 herrenlose Kommando-Zentrale ragt noch weit ins 21. Jahrhundert über den See und in den blauen Himmel hinein, als ein Mahnmal an die heißen Tage des „Kalten Krieges“. Den vielen Jungsozialisten des Volkseigenen Gutes und den Dorfbewohnern blieben aber auch in jener Zeit durchaus das häusliche Waschbecken und, wer sie hatte, die Dusche. Trotz all dieses neuzeitlichen Komforts: in unserer alten Zeit hatten wir Jungen es eben aber noch viel schöner. Für das Baden der Pferde sah es zur Militärzeit da schon schwieriger aus.


Joachim B. hatte den Zugang zu den schönsten Schallplatten, die er bereitwillig zu Gehör brachte und sogar durfte. Es wurde bei öffiziösen Veranstaltungen im Speisesaal nur darauf hingewiesen, dass er als Diskjockey die vorgegebene 60/40-Mindest-Quotenregelung einzuhalten habe. (Anteile der Schlager: Ost/West). Nicht immer klappte es so vollends – das störte aber niemanden von uns. Wir waren ihm, unserem Joachim, dankbar und freuten uns alle!


Grund zur Freude gab es immer wieder: Es ist kein Geheimnis, dass eine Anzahl von Lehrlingen heiratete (ich meine hier miteinander unter-/ und übereinander, also nicht nur nach „auswärts“).


Landwirtschaftliche Erfahrungen für den Oktober oder Gilbhart:


Ist der Gilbhart warm und fein, folgt oft ein scharfer Winter d'rein.

Ist er aber feucht und kühl, mild der Winter werden will.

Bringt Oktober viel vom Regen, wird er für die Saat ein Segen.

Wenn Eichen reichlich Früchte geben, wir lange Winterzeit erleben.


Wenn der Nebel fällt zur Erden, wird bald gutes Wetter werden.

Zieht der Nebel Richtung Dach, folgt bald größ'rer Regen nach.




Tradition war das „Moto-Herbstcross“ für die Lehrlinge mit ihren Privatfahrzeugen. Das Überstehen eines Geschicklichkeitsturniers, so wie ich es schon damals im Verkehrserziehungs-Zirkel meiner alten Babelsberger Schule praktiziert hatte, war gefragt, darunter auch das Einhand-Kreisfahren mit dem gefüllten Wasserglas in der Hand. Die übliche Wippe, die Spurgasse, gefolgt vom Bezwingen einer sich anschließenden Trial-Geländestrecke. Ein technischer Defekt an meinem Moped ließ mich auf diesem letzten Teilstück zeitlich weit nach hinten fallen. Da lieh mir Bernd H., der nur als Zuschauer gekommen war, sein Jawa-Moped – ach war das ein niedriges und kurzes Dingel. Damit hätte ich in der Slalomkurvengasse die leider schon hinter mir lag ein „leichteres Spiel“ gehabt. Nun, „eine goldene Palme“ konnte ich nicht gewinnen aber schon das Dabeisein hat Spaß gemacht.

Unser Mitschüler Werner Roh., der Athlet unter den Lehrlingen, nannte ein Motorrad vom Typ RT 125 / 3 sein eigen. „RT“ – stand selbst in der DDR noch immer für Reichs-Typ, abgeleitet von „Deutsches Reich“. Eine ursprüngliche Vorkriegs-Entwicklung von DKW, ein zuverlässiges kleines Gefährt, das in der Nachkriegszeit in mehreren Ländern Nachahmung (richtiger: „Abkupferung“) erfuhr. Es war bei seinem Maschinchen wohl ein ungewöhnlich zeitig eingestellter Zündzeitpunkt, die „Frühzündung“, daran schuld, dass er uns Zirkusvorstellungen bieten konnte. Auf jeden Fall war es so, dass die Pleuelstange aus jenem Grund die Kurbelwelle auch mal anders herum antreiben konnte und diese wirkte übers Getriebe und die Kette entsprechend auf das Hinterrad, so dass es ihm möglich war, im Vorwärtsgang – rückwärts zu fahren. Aber eben: nicht nur rückwärts, sondern auch mal anders. Eintrittsgeld hat er für seine Vorführungen nie genommen. Ein Kumpel ist er durch und durch.


Im zweiten Lehrjahr wird die Klasse dann mal zu einer Veranstaltung in die Berliner „Volksbühne“ fahren und auch ins Kino, beispielsweise zu „Die Abenteuer des Werner Holt“ – im Krieg.



Spätherbst-Erkenntnisse zur Witterung im Monat „Nebelung“:


Der Abend rot und weiß der Morgen – so macht das Wetter keine Sorgen.

Im November Morgenrot – ein gar langer Regen droht.

Tritt zwar November hart herein, muss doch nicht viel dahinter sein.

Friert im Nebelung zeitig das Wasser, wird es im Januar um so nasser.

Je stärker ein Novemberschnee, je besser werden Korn und Klee.

Wenn am Martini Nebel sind, so wird der Winter meist gelind'.

(Namenstag des Heiligen Martin: 11. November des Jahres).


Horst Sch. erhält von unserem Lehrer Herrn Hugo Brandt, eine mündliche Anerkennung: In einem (Lehr)-Jahr hat er es geschafft, sich dass Spielen der Gitarre fast ganz alleine beizubringen – mit einigen guten Ratschlägen und Übungsunterstützungen Erfahrener.


Unwichtige „Randnotiz zu der ewig jungen Frage an mich, warum ich denn nur ein Jahr in Großbeuthen weilte – über drei Jahre Lehrzeit hätte ich doch gewiss mehr zu berichten gewusst und außerdem einen ordentlichen Abschluss als Facharbeiter gehabt. – Nun denn, das war so: Nach einem kleinen Ausrutscher und anhaltenden Schmerzen im unteren Rückenbereich, überwies mich die Poliklinik Ludwigsfelde vorsichtshalber sofort zur orthopädisch-chirurgischen Klinik nach Potsdam-Babelsberg. Man behielt mich gleich dort vom Mai bis zum Juli 1963. Ich bekam eine individuell angeformte „Liegeschale“ aus Gips, welche die unter Belastung durcheinander geratenen Wirbelstellungen korrigieren sollte. Bei der Entlassung aus der Klinik bekam ich die Gipsschale mit nach Großbeuthen (für die Zeit der Nachtruhe) und den guten Rat, die gerade hingebogenen Wirbel bloß nicht wieder gleichermaßen zu belasten, die landwirtschaftliche Tätigkeit und somit diese Lehre aufzugeben. Ganz echt war ich also leider nur gerade ein dreiviertel Jahr in Großbeuthen, wenn man den Klinikausflug von dem einen Lehrjahr abzieht.


In den „Sommerferien“, im Monat August, fahren wir Beuthener (die bisherige LwA1, die sich nun vorbereitet die LwA2 zu werden) zu den so genannten Studientagen in die Ostseenähe, nach Bad Doberan und ich darf trotz der bevorstehenden Auflösung des Lehrvertrages noch mitfahren. Vormittags Schulunterricht, am Nachmittag Freizeit. Schlafen in Zelten auf dem Jugendherbergs-Waldgelände, die Armee-Schlafdecken mit dem wichtigen Aufdruck „Fußende“ versehen, um mit jener Seite lieber nicht die Nase zu bedecken. Diese Tage waren mit erlebnisreichen Ausflügen angereichert: durch Bad Doberan (Münster), nach Rostock (Hafenrundfahrt), mit Eisenbahn „Molli“ nach Heiligendamm und Kühlungsborn (Bäderarchitektur) sowie auch auf die Insel Rügen nach Sassnitz, zum Königsstuhl und der Stubbenkammmer. Sogar die Insel Hiddensee besuchten wir. Zahlreiche prächtige Angebote innerhalb unserer kleinen Welt. Abstand vom Rhythmus des Alltags. Vielen Dank an alle!

Uns geht es also gut. Ja, mit mancher kleineren Unzulänglichkeit und trotz „grundsätzlich erscheinender politisch-ideologischen Unstimmigkeiten da oben“, lebten wir in Großbeuthen freundlich „unser ganz normales gutes Leben“.

Ein Jahr ist vorüber

Vor dem Beginn des neuen Lehrjahres wird mein Lehrvertrag dann im gegenseitigen Einverständnis aufgelöst. Schade aber notwendig. Ich werte die Zeit in Großbeuthen durchaus nicht als verloren, nicht als umsonst, sondern als ein wertvolles berufspraktisches Jahr. Eine Zeit, die ich nicht missen möchte. Ein Jahr für die weitere Orientierung im Leben.


Herr Brandt fragte mich: „Was wirst Du nun in naher Zukunft tun?“ Oh, auf diese Frage war ich nicht vorbereitet, mir selber noch nicht im Klaren darüberdie Zeit und die Möglichkeit war einfach noch nicht da, um vom ausgefüllten Arbeits-Alltag in Großbeuthen meine Fühler in die Welt strecken zu können, zu suchen, mich aus der Ferne (und ohne Telefon) irgendwo zu bewerben. Ich meinte, mehr „so aus dem Handgelenk“: „Vielleicht als erste Etappe eine schnelle Ausbildung zum Fahrschullehrer (mir schwebte dabei die Seelengeduld und Freundlichkeit unseres Fahrlehrers Herrn Gützkow vor Augen) – dann hätte ich weiterhin stets mit Menschen zu tun, mit etwas Pädagogik / Psychologie ebenso, stets mit neuerer Technik, ein bisschen mit Medizin, wenn ich auch die erforderliche Erste-Hilfe-Ausbildung der Fahrschüler mit einbeziehen würde. Schon in der Schule hatte ich ja für die jüngeren Schüler Verkehrsunterricht gegeben und auch die Sanitätergruppe angeleitet und bin ebenso hier in Großbeuthen „Vater der Sanitätsstelle“. Ich würde an der Volkshochschule umgehend einen Platz im 12. Schuljahr belegen ... . – Vielleicht ist das einer von gewiss mehreren möglichen Wegen, um nicht in eine Leerlaufsituation für eine Ausbildungssuche zu geraten.

Cui bono?“, fragte Herr Brandt kurz nach meiner Bemerkung zum Fahrschullehrer (wem nützt das, für wen ist das gut?) Herr Brandt liebte es, hier und da leichte Wendungen aus dem Lateinischen und dem Griechischen in seine Rede einzumischen. „Überlege es Dir in Ruhe reiflich und mache das Beste aus Deinem Leben“, gab er mir mit auf meinen Weg. Ich dankte und überlegte also.

Vielleicht wird trotzdem doch noch irgendetwas Vernünftiges aus mirdachte ich mir, mich plötzlich etwas einsam sehend. – Schade, dass ich das Leben, die Erlebnisse einiger Großbeuthener und Ludwigsfelder freundlicher Menschen nun nicht mehr so gut miterleben konnte und zum Beispiel auf den spannenden Unterricht des Herrn Brandt verzichten musste.

Nun, ich wurde also kein vollständig ausgebildeter Bauer und auch kein Veterinär- Medizinmann. Und wer es noch genauer wissen möchte: Ich wurde auch kein Fahrschullehrer, obwohl ich zwar auch künftig sowohl Verkehrsunterricht als auch Seminare über Medizinisches gab. Über viele Jahre.

Zumindest hatte ich mich sofort in der Potsdamer Volkshochschule angemeldet und nach geraumer Zeit erwarb ich als Mitglied des Deutschen Roten Kreuzes die Lehrbefähigung und hielt dann ehrenamtlich, also in den Feierabendstunden und vergütungslos, Schulungen über Gesundheitsschutz, Hygiene, Unfallverhütung, Erste medizinische Hilfe und deren Randgebiete. Hauptberuflich ging ich vorerst in das Gesundheitswesen – zuerst ins Armeelazarett (als Gesunder) und später zum Rat des Kreises Zossen, Abteilung Gesundheitswesen.

Rückschauend stelle ich heute fest (heute: das ist ein halbes Jahrhundert nach dieser Beuthener Zeit, die ich hier beschreibe), dass sich meine geordneten Wege durch das Berufsleben gut gestalten ließen. Das lebenslange Lernen und die Tätigkeiten, die ich wählte, waren in ihren Spektren vielseitig angelegt, abwechselungsreich und aufeinander abgestimmt. Sie stellten stets neuartige, erweiternde Anforderungen an mich. Alles Gelernte konnte ich gut anwenden. Ein prall gefülltes und farbiges Arbeitsleben!


Immer noch besuchte ich nach dem Ausscheiden aus Großbeuthen dort meine Kumpelinen und Kumpel in unregelmäßigen größeren Abständen – versuchte die Kontakte zu halten.

So kann ich euch erzählen:

Vorige Woche (Herbst 1963) fragte mich Heidi Sch., ob ich mich preisgünstig um ihre drei Hunde-Welpchen kümmern könnte? Na klar – ein paar Tage später bekamen sie vorerst ihre Wurmkur in Beuthen und danach die Anti-Staupe-Impfung in der Babelsberger Tierarztpraxis.

Am heutigen Sonnabend speiste ich „auswärts“ in Blankenfelde, August-Bebel-Straße 35. Ein schöner Tag, um bei Karins Großmutter eine Ganztags-Runde Holz zu hacken. Es ist ein Genuss, Kiefernholz zu spalten – und das bei guter Versorgung.

Unsere Mitschüler Udo Kri. (17.07.1944 08.12.2002) und Gerd Bug. waren waren 1964 wichtige Schauspieler in der Verfilmung des Buches von 1962: „Egon und das achte Weltwunder“. Autor: Joachim Wohlgemuth. Nun erschien der gleichnamige Film unter der Regie von Christian Steinke, DEFA-Studio für Spielfilme, Potsdam-Babelsberg. Der Stoff, ein bisschen unwirklich, also durchaus realistisch-sozialistisch geboten. Der Rabauke, kammblasender Bandmusiker und Bauhilfsarbeiter Egon Brümmer entwickelt sich, nachdem er sich in die schöne Bestschülerin und Abiturientin Christine Lange verliebt hat (sie gilt als das achte Weltwunder), binnen weniger Tage zum Vorbild. Ja, ja, die Macht der Frauen und der Liebe und des Sozialismus überhaupt und so! Daran sollte man nicht nur am 8. März denken! Hauptspielort ist „Borkenheide an der Großen Moorländer Wiese" Hauptdarsteller: Gunter Schoß und Traudl Kulikowski, des Weiteren: Heinz Behrens, Eckart Friedrichson (alias Meister Nadelöhr) und viele weitere bedeutende Jugendliche und auch wenige etwas ältere Leute. Udo und Gerd, also unsere Beuthener Helden, werden im Filmabspann leider nur unter der Sammelbezeichnung „und andere“ erwähnt. Es bot sich ihnen nicht, große Mühe für's Lernen von Texten aufwenden zu dürfen. Udo war dort beim Filmstoff gefühlsmäßig vielleicht fast zu Hause, denn in der Nähe seines Wohnorts Paulinenaue erstreckt sich das Rhin-Luch, das zu den Meliorationsobjekten gehörte. (Siehe auch die Schlacht bei Fehrbellin, nicht jene von 1675, sondern die, welche Genosse Volker Braun aktuell bedichtet hatte).


Unser Mitschüler Klaus – fiel neulich aus. Ei, der Daus. Er hatte sich als Schaden leider einen Schlüsselbeinbruch zugezogen. Ooch. Und das kam so – wollt ihr das wirklich wissen? Also:

Zwei Radfahrer bewegten sich in dunkler Nacht auf und mit ihren Fahrrädern. Der Eine wusste nichts von dem Anderen und umgekehrt schon gar nichts. Beide rollten ohne Beleuchtung (man soll sparen, denn „Sparen hilft dem Aufbau – sparen hilft auch dir“). Der Eine rollte auf dem tiefdunklen Waldweg von Großbeuthen nach Thyrow, der Andere auf dem Waldweg von Thyrow nach Großbeuthen in schwärzlicher Umgebung. Etwa auf halben Wege trafen sie sich. An der gleichen Stelle. Ohne Absprache und sehr direkt.

Von einem nächtlichen Zusammentreffen mit Wildschweinen gibt es hingegen hier nichts zu berichten. Das ist eine ganz andere Geschichte, die dann allerdings mir und viel später passierte.


Inzwischen höre ich, dass junge Ehepaare unter den Lehrlingen nicht getrennt im Wohnheim leben müssen, sondern ihr „Familienzimmer“ bekommen. Da muss man sich wohl beeilen, denn die Regelung gilt ja nur, solange der Vorrat an freien Zimmern reicht.


Reif wäre die Zeit für ein Treffen schon, liebe Anne-Dore (so fahre ich in meinem Brief fort), denn die Ludwigsfelder Klassen sah ich das vorige / das vorerst „letzte“ Mal 1964 beim großen Schul-Sportfest auf dem Babelsberger Sportplatz „Sandscholle“. Ich, als eingeladener interessierter Zuschauer, versorgte euch aktive Sportler dort mit Dextropur vor den Wettkämpfen und mit Kuchen nach den Wettkampf-Siegen oder auch zum Trost. Dieser Unterschied war mir völlig egal. Die Sorten-Auswahl: Pflaumenkuchen, Butterkuchen, Bienenstich-gefüllt (ohne Bienen) oblag beim gemeinsamen Einkauf Ingrid Män. (eine EOS-Klasse über Dir). Ja, Trost ist manchmal wichtig. Ich mag es nicht so sehr, wenn sich alle große Mühe geben, einer gewinnt und die anderen „verlieren“. Manchmal hat das Siegertreppchen zumindest schon mal drei Stufen. Am besten scheint es mir, wenn alle, die sich mühten, wissen dürfen: „Wir haben dabei gemeinsam viel gewonnen“.


Und es geht bereits (mit mir als Gast) das nächste Lehrjahr seinem Ende zu.

Die Lehrlinge der jetzigen LwA 3, die nun ihren Lehrabschluss begehen und ihren Facharbeiterbrief mit Abiturzeugnis“ druckfrisch bekommen, verpflichteten sich zum großen Teil nach Nackel zu gehen – das ist ein Dorf in der Prignitz, östlich der Fernverkehrsstraße 5 gelegen, zwischen Friesack und Wusterhausen / Dosse, im Kreis Kyritz, um sozialistische Hilfe zu leisten. Dort besteht ein großer Arbeitskräftebedarf. (Wo nicht?) Die LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) Nackel, in der unsere Beuthener arbeiten werden, wurde bereits 1953 gegründet. Zu ihr gehörten damals 14 Neubauern, die dort 1946 mit der Bodenreform Land erhielten. Am 14. Juli 64 werden die frischgebackenen Facharbeiter von Großbeuthen mit einem Lkw der LPG Segeletz, einem Dorf an der Fernverkehrsstraße 5 unweit von Nackel liegend, abgeholt.

Nackel, ist ein Steno-Begriff aus dem Slawischen und bedeutet in Langschrift etwa „eine erhöhte trockene Insel im Feuchtgebiet“ (das sah früher mooriger aus als heute. Urkundlich erwähnt wird Nackel bereits im Jahre 1319 aber was heißt das schon – archäologische Forschungen erkennen Siedlungsspuren, die gewiss 12.000 Jahre zurück reichen. Unsere Beuthener werden aber in Nackel nicht allein sein. Der Ort hat rund 650 Einwohner und unsere Leute werden diese Zahl bestimmt erfolgreich erhöhen! –

Aber, oh, – 2005 wird sich die Einwohnerzahl dann um die Hälfte, auf 320 reduziert haben – der Ort scheint doch nicht zu sehr magnetisch zu sein.

Sogar eine Schule hat das Dorf 1963 ff. – in dem heruntergekommenen Gutshaus der Familie v. Hagen, die bis 1945 hierin wohnte.

Später wird über diese Beuthener Truppe der Filmstreifen „Gold in Nackel“ gedreht. Gold, das sind die goldigen Jungs, die Mädchen aber noch vor ihnen an erster Stelle und der weiße Goldstrom der Kuhmilch sowieso. Leider habe ich aber dieses Filmwerk nicht gesehen, nicht rechtzeitig von seiner Existenz erfahren, deshalb muss ein anderer, ein Kundiger, darüber bitte berichten.


Auch in anderen Dörfern sieht man einen Mangel an fleißigen, kräftigen Händen und munter-flexiblen Köpfen, allein schon wegen der überall bis zum 13. August 61 aufgetretenen Verluste. Diese Lücken konnten anderweitig nicht aufgefüllt werden – von wem denn auch? Das Land „blutete“ jahrelang aus. Etwa 2,7 Millionen Menschen hatten zwischen 1949 und August 1961 unser so schönes kleines DDR-Land auf Fluchtwegen verlassen. Rund 150.000 versuchten es auch noch nach dem 13. August 1961, ungefähr 12.300 Menschen soll die Flucht aus der DDR „auf direktem Wege“ noch gelungen sein und wohl knapp 30.000 auf dem Umweg über befreundete Bruder-Drittländer. Zehntausende kamen wegen Fluchtversuchs oder Fluchthilfe in die Gefängnisse. Die Diktatur des Proletariats sperrte ihre eigenen Arbeiter, Bauern und Angehörige der Intelligenz ein. Diese Zahlen werden nach der „Politischen Wende“ in der BRD veröffentlicht; es gibt aber dabei auch unterschiedliche Zahlenangaben.

Warum war das so? – und noch viel wichtiger: nach welchen Grundregeln hätte man es besser machen können? Erkenntnisse dazu sind nicht neu.


Derartige einfach erscheinende Grundsätze, so zeigt es die Geschichte, werden aber selten gewahrt. Persönliches Machtstreben, Geldgier, Durchsetzungsanspruch für bestimmte Ideologien und auch persönliche Unfähigkeit in den Führungsriegen gehören wohl zu den vielen möglichen Hemmnissen einer Best-Entwicklung. Und man muss immer wieder fragen: Was ist das Beste für den Großteil der Bevölkerung, möglichst das Beste für alle, dass es zu gestalten gibt.

Die DDR-Regierung bewarb sich seit 1963, also in unserer hier beschriebenen Zeit, um die Aufnahme in die UNO, verpflichtete sich dabei, alle 31 Artikel der Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Vergleichbare Grundsätze finden wir ein Jahrzehnt später, auch in der Arbeit der „Konferenz für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit“ (KSZE), die in ihrer Schlussakte von Helsinki die Selbstverpflichtung zu den Menschenrechten und die Gewährung der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Reise-/ Aufenthaltsfreiheit, Überzeugungsfreiheit ohne Beeinträchtigungen der Menschen enthält.

In der Praxis wurden diese Verpflichtungen in verschiedenen wichtigen Punkten / Artikeln, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, jedoch weder bis zum Vollzug der Aufnahme in die UNO 1973, noch bis zum Ende, zum „Austritt der DDR“ aus der UNO im Jahre 1990 erfüllt bzw. eingehalten. –


Freitag. Es war wohl im Januar 1965. Draußen fällt schon den ganzen Tag Schnee. Seit Stunden tagen wir vom Rat des Kreises Zossen in Großbeuthen zu einer so genannten Komplexkontrolle in der BBS. Ich war einer der Teilnehmer in diesem Beraterkollektiv, abgesandt von der Abteilung Gesundheitswesen des Rates (in der ich inzwischen arbeite) und von der Arbeiter- und Bauern-Inspektion des Kreises Zossen. Ich erinnere mich schmunzelnd des zu Beginn vorerst fassungslosen Gesichtsausdrucks des Chefs des Hauses, Herrn Direktor Abromeit. – „Es könne doch wohl nicht angehen, dass ein ehemaliger Lehrling der BBS ... jetzt, hier seine Arbeit, die der Pädagogen, der Lehrausbilder, den Zustand in der BBS mitprüft, mit bewertet und dazu Vorschläge erarbeitet.“ – Er müsse darüber vorerst mit dem Rat des Kreises, mit der Kreisärztin, telefonieren ... und erhielt von dort die Bestätigung der Richtigkeit der Sachlage und meiner Anwesenheit. Mit generöser Geste, wohl aber innerlich zerknirscht, gab er nunmehr sein Einverständnis für mein Dasein mit den Worten: „Walten Sie Ihres Amtes“.

Ja doch, die Arbeiter- und Bauernmacht hatte mich zur Teilnahme bestimmt, weil ich die internen Verhältnisse doch besser kannte als jene, die eben nur mal kurz zu Besuch kamen. Und ich denke, es hat niemandem geschadet, nur freundlich Nutzen gebracht. Ich kannte einen Teil der Macken, die verbessert oder wenn möglich, behoben werden sollten und konnten. Eine Hilfe dafür, was nicht gut von alleine lief, leichter zu bewegen. Und sogar der Chef der BBS hat seinen Kummer darüber, unbeschadet an Leib und Seele, sehr gut überlebt. –

Zu diesem Thema passend meine Frage: „Was hat die Führung danach hinzugelernt? Zu sehen im Anhang 2: „Programm der Pädagogen im Kampf um den Staatstitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“.

Am frühen Abend dann setzte Schneesturm ein und unsere Karin Hae. bat mich, sie mit nach Hause, mit nach Blankenfelde zu nehmen. So kuschelte sie sich in der Dunkelheit in die Decke und mit dieser in den ungeheizten Superelastic-Beiwagen der Sport-AWO ein und sah im Schneetreiben – überhaupt nichts mehr, konnte nur hin und wieder das Klacken des Schaltgetriebes am monoton brummenden Motor hören, bis wir dann später wohlbehalten vor ihrem Haus hielten.


Nun wieder ein großer Zeitschritt nach vorn – in die Tage des Jahres 2016:

Liebe Anne-Dore, nun habe ich Dich mit meinen Erinnerungen genug strapaziert. Ich weiß ja nicht, ob Deine Gedanken und Gefühle ähnliche Anknüpfungspunkte fanden, weiß nicht, wie Du einzelne Probleme in Großbeuthen oder allgemein in der Gesellschaft sahest. Aber eigentlich ist das auch nicht entscheidend für meine Auffassungen, denn ich schrieb ja nur aus meiner eigenwilligen Sicht, was also keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt. Der Ausdruck meines Erlebens kann nicht den unterschiedlichsten Erfahrungen aller Leser gerecht werden. Bei kritischen Anmerkungen war es von mir keine gedankenlose Meckerei – ich legte meine Meinung dar, wenn ich eine Möglichkeit sah, das gegenwärtig Praktizierte besser zu machen, als jene Art und Weise, wie diese offiziell in der Praxis beschritten wurde und zeigte auch meist einen Weg sowie das mögliche bessere Ergebnis auf. Wegekorrekturen scheinen oftmals günstiger, als starres Beharren in ungünstiger Richtung. So habe ich es immer gehalten.

Schön wäre es zu erfahren, ob Dir von den damaligen Leuten auch noch jemand „gegenwärtig“ ist, auch wenn eure Klasse kam, kurz bevor ich ging, Großbeuthen verließ. Vielleicht hattest du noch völlig andere Erlebnisse, kennst weitere Anekdoten. Natürlich wäre ich daran interessiert, mit Dir in einem Gedankenaustausch zu schwelgen, um Vergessenes wieder auszugraben.

Schade, dass heute solch Gemeinschaftsleben, lernen und arbeiten dort in Großbeuthen undenkbar geworden ist. Und schade, dass dieses zu unserer Zeit ziemlich neue Wohnheim nach der „Politischen Wende“, bald nach 1989, immer weiter verfiel, ebenso das Gutshaus, das zwei Jahre vorher noch mit sehr viel Mühe renoviert wurde. Das Grundstück erinnerte bei meinem vorigen Besuch eher an ein Dornröschen-Märchen, bloß nicht so romantisch und ohne Dornröschen – doch wer weiß? – ich war schon lange nicht mehr in Großbeuthen. Vielleicht ist inzwischen alles viel besser und viel schöner, als bei meinem vorigen Besuch?

Die Hoffnung – lebt immer – solange es ihr möglich ist.


Für heute, liebe Anne-Dore, beende ich meinen Brief.

Viele Grüße an Dich – ach was, an Euch alle!!!

Chris Janecke




Unsere Gegenwart erscheint in diesem Augenblick

als das Wichtigere ... aber:


Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen.

Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen,

wenn wir zu wissen wünschen was jener will.


Heinrich Heine




Nachsätze:

Nun habe ich in meinem Kopf mit mäßigem Erfolg nach einigen Begebenheiten und Anekdötchen gesucht und diese notiert.

Ich bin noch nachträglich froh und dankbar, dass ich dieses eine Jahr im Zeitraum 1962 / 63 in Großbeuthen miterleben durfte. Wir hatten den Schulunterricht, konnten die Schulhausaufgaben erledigen und taten die Tagesarbeiten auf dem Feld oder im Stall. Am Abend Freizeit, die wir eigenständig gestalteten. Wir hatten unsere Bade-Kiesgrube, Tätigkeiten in den drei Arbeitsgemeinschaften, sangen, tanzten – oder hörten Musik, lasen, diskutierten.

Ich denke, wir hatten dabei den Eindruck, es fehle uns an nichts Wesentlichem.


Zu meinen Nachsätzen gehört unbedingt auch ein riesiges >Dankeschön<:

Über die Anzahl von Jahren hat sich eine Gruppe „Ehemaliger“ – ehemaliger Lehrlinge, in wechselnder Zusammensetzung immer wieder in Großbeuthen eingefunden, um sich nicht ganz aus den Augen zu verlieren, sich der Lehrzeit zu erinnern, Gedanken in Worten und auch in Bildern auszutauschen.

Für diese Gruppe, für uns, hat Familie Saalfeld: Martina, Bernd und ihre beiden Töchter als Vorstand des Heimatvereins, an jenen Samstagen im September immer wieder ihre Freizeit geopfert und die Voraussetzungen für unsere erfolgreichen Treffen in der Heimatstube bzw. im Garten ermöglicht, diese auch thematisch und organisatorisch mit eigenen Beiträgen aufgewertet und uns darüber hinaus mit einer prima Versorgung mit Kaffee und selbstgebackenem leckeren Kuchen größerer Auswahl erfreut – solche uneigennützig engagierten, freundlichen und zuverlässigen Menschen findet man wirklich nicht alle Tage.

Danke, liebe Familie Saalfeld!



Im Hause des Heimatvereins an der Großbeuthener Dorfaue betrachteten schon viele Leute die zusammengetragenen Informationen der Dauerausstellung zur Geschichte des Ortes. Viele stöberten auch in den Ordnern zum Lernen in der Betriebsberufsschule, zum Leben im Lehrlingswohnheim. Und es gab nicht wenige Besucher, die ankündigten: „Wir selber haben hier ebenfalls als Lehrlinge soviel erlebt und auch das soll nicht verlorengehen. Wir schreiben es demnächst auf und bringen Texte und Fotos hierher!“ In der vergangenen Zeit – etwa seit 2015 gingen wohl drei Beiträge dem Heimatverein zu. Diese geringe Anzahl an Beiträgen der vorher Begeisterten ist schade. – „Aus dem Auge – aus dem Sinn?“ Hier wird erneut eine Möglichkeit eröffnet, eigene Worte und Bilder von Zeitzeugen einzustellen und damit für die Zukunft zu bewahren.

Die Betreuer der Beuthener Heimatstube und deren Besucher wären über weitere Beiträge von Zeitzeugen gewiss sehr erfreut.




Gästebuch


Gern kannst du einen weiteren Bericht oder eine Ergänzung mit Deinen eigenen Erinnerungen

schreiben.

Richte diesen bitte an die


E-Mail-Adresse: christoph@janecke.name


Soll Dein Kommentar hier veröffentlicht werden?

Wenn ja, unter welcher Namensbezeichnung oder mit welchem Signum?

Mit einer Absenderanschrift – oder ohne?



Anhang 1

Erläuterungen zu gebräuchlichen Abkürzungen und zu zeitgenössischen Ausdrücken der DDR-Zeit, in der Reihenfolge, wie diese im vorstehenden Text auftraten


ZAPO Zehnklassige Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule, mit der Unterteilung: Unterstufe: 1. bis 4. Schuljahr, Mittelstufe: 5. bis 8. Schuljahr, Oberstufe: 9. und 10. Schuljahr.

Im Schultyp: Erweiterte Oberschule (EOS) gibt es die Klassen 9 – 12.

Zeitlich davor gab es die Bezeichnungen: Grundschule: 1. bis 8. Schuljahr, Mittelschule 9. und 10. Schuljahr, Oberschule: 11. und 12. Schuljahr.

Junge

Kaninchenzüchter“ Kaninchen züchteten wir früher mit viel Spaß und großer Arbeitsleistung auf dem Schulhof – angesichts des mahnenden Auf/srufes: „Mehr Fleisch für die Volkswirtschaft, Genossen, ja?“ (um Versorgungsengpässe zu überwinden). Der Hilfe-Rufer hieß Walter Ulbricht und war von Beruf Staatsrats- vorsitzender. Die Genossen Lehrer reagierten auf den Hilferuf und wir Schüler bauten die Ställe, beschafften Tiere, misteten aus, besorgten am Nachmittag von den Wiesen Grünfutter, fütterten vor Schulbeginn bis zum Abend, sprachen und kuschelten mit den Kaninchen ... und die Schulleitung verkaufte später das geschlachtete fleischige Ergebnis dem Staat. Uns Schülern blieb das freudige Tun „für den weiteren Aufbau“. Fürs Leben lernen – lebenslang!

BBS Betriebs-Berufs-Schule. Schulbildung neben der berufspraktischen Lehrzeit.


SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, 1949 zusammengeschlossen aus SPD und KPD, auf das Betreiben der kleineren KPD. (Moskau half dabei recht brüderlich).


Maximus – Lenimus Eine „Verballhornung“ von Marxismus – Leninismus, als sozialistische Theorien.


Stabü. Schulunterrichtsfach „Staatsbürgerkunde“.


53 17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR. Ausgangssituation: Proteste der Arbeiter gegen das Verschärfen von Arbeitsnormen ohne verbessernde technisch-organisatorische Grundlagen, bei der Beibehaltung (also relativen Senkung) des Lohnes. Beginn: im Berliner Bauwesen, Stalinallee. Niedergeschlagen von der Arbeiter-Regierung, auch mit Hilfe sowjetischer Panzer.

(Einen weiteren Aufstand gab es 1956 in Ungarn – dort ebenfalls militärisch mit Hilfe der Sowjetunion niedergeschlagen.)


68 Sommer 1968: Bürgeraufstand in der Tschechoslowakei für mehr Freiheit in Kultur, Politik, Öffentlichem Leben, .... (Prager Frühling). Wurde nach dem Hilferuf der Arbeiterregierung an die Sowjetunion durch militärische Niederschlagung und Besetzung des Landes erstickt. Die DDR-Regierung hätte die Nationale Volksarmee der DDR gerne mitmachen lassen aber die Führung der Sowjetunion genehmigte das nicht.


1961 Ab Sonntag, 13. August 1961, fast undurchlässiges Schließen aller Grenzen der DDR. Bau einer Mauer mit Vorzäunen (Minen, Selbstschussanlagen, Wachtürmen) auch um Berlin-West (bis 9. 11. 1989 wirksam bestehend).

In der DDR genannt: „Der antifaschistische Schutzwall" – gegen die eigene (aus dem Land fliehende) Bevölkerung gerichtet.

Im Westen (BRD und Berlin-West) nach Ulbrichts Worten aber weiterhin als „Die Mauer“ benannt.


Weiße Maus freundlich-scherzhafte Bezeichnung für einen Verkehrspolizisten. In der DDR trugen ausschließlich die Polizisten, die im / für den Straßenverkehr eingesetzt waren, eine weiße Mütze. Daher der Name.


VEAB Volkseigener Erfassungs- und Aufkaufbetrieb für landwirtschaftliche und gärtnerische Produkte.


VPKA Volkspolizeikreisamt. Polizeiamt eines Stadt- oder Landkreises. (In der Bundesrepublik: Polizeipräsidium).


Jugendwerkhof Geschlossene Einrichtung in der DDR für Straftäter, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und auch für „schwer erziehbare renitente größere Kinder und Jugendliche“.


LWH Lehrlingswohnheim, eine weniger strenge Bezeichnung als „Internat“.


Anhydrit gegossener, sich daher bei seiner Herstellung in Grenzen selbst nivellierender Fußboden, der nach dem Abbindeprozess erstarrt – und anschließend rotbraun gestrichen und von uns gebohnert wurde. Eigentlich benötigt das Material und seine Farbschicht kein Wachs, wie beispielsweise ein Holzfußboden ihn sich wünscht.

Das Material erinnerte mich an einen Erholungsaufenthalt in Rottleben am Kyffhäusergebirge, wo ich drei Jahre vorher (1959) sein durfte. Dort haben wir zwischen der Barbarossahöhle und Bad Frankenhausen natürliche Anhydritvorkommen als Gestein des Gebirges vorliegen. Hier im Lehrlingswohnheim-Fußboden das gleiche Material aber vorher gebrochen, gemahlen, mit Wasser angesetzt und dann als „Brei-Fußboden“ gegossen.

DDR Deutsche Demokratische Republik (7. Okt. 1949 – 2. Okt.1990).

Einleitung des Endes der DDR mit dem letzten Staatlichen Wahlbetrug der eigenen Regierung 1989. Gefühltes Ende der DDR, mit der Bekanntgabe der Öffnung der Grenzen am 9. Nov.1989 (seitens des Politbüromitgliedes Günter Schabrowski). Rechtliches Ende mit dem Beitritt der DDR zur BRD, Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Die DDR ist wie die BRD nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Deutschen Reich hervorgegangen.


Frostperiode, eine persönliche. Der Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Vorsitzender des Politbüros im Zentralkomitee, Staatsratsvorsitzender der Deutschen Demokratischen Republik sowie Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, Walter Ulbricht (30. Juni 1893 – 01. Aug. 1973) starb kurz vor Beginn der X. Weltfestspiele in Ost-Berlin, Hauptstadt der DDR (die Hauptstadt der BRD war damals die Stadt Bonn). Um die Stimmung und das Organisieren der Spiele (Staatstrauer wäre erforderlich gewesen) nicht zu stören, wurde der teure Leichnam eben länger gekühlt und sein Ableben erst nach dem Ende der Festspiele bekanntgegeben. Ein Anekdötchen darüber sagt, dass diese Verfahrensweise Ulbrichts letzter Wunsch auf dem Totenbette gewesen sei, dem man einfach ihm zuliebe entsprochen habe.


W 50 Diesel-Lastkraftwagen, im Autowerk Ludwigsfelde gebaut, Tragkraft

5 t. In viele Länder des Ostblocks = Staaten des Warschauer Vertrages und nach Afrika exportiert. Sein etwa gleich aussehender Nachfolger hieß L 60.


GST-Keller Geräteraum der „Gesellschaft für Sport und Technik“, einer auf vielen Gebieten „vormilitärisch ausbildenden Organisation“. (Kraftfahrzeugsport, Reiten, Körpersport, Schießen, Funken, Schifffahrt, Flugwesen, Flugmodellsport und wahrscheinlich noch manch anderes mehr).


VEG Volkseigenes Gut. Staatsgut, aus dem 1945 enteignetem Land (Rittergüter) gebildet. Deren Arbeitskräfte bezeichnete man als Landarbeiter.


LPG Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaft. Zusammenschluss der Feldflächen oder / und des Viehbestandes der Bauern / Landwirte auf „freiwilliger Basis“ durch Einsicht, das hieß: „freudige Abgabe des privaten Eigentums, alter Rechte der Bauern bzw. Wiederhergabe des nach der Bodenreform zugemessenen Landes in einen großen Topf“ zur gemeinsamen Bewirtschaftung. (Siehe LPG Typ I, Typ II, Typ III).


RS 09 Ein Geräte tragender Rad-Schlepper, bedeutet hier etwa: Leichter Traktor mit wahlweiser Anbaumöglichkeit vielartiger landwirtschaftlicher Geräte. Dessen Vorgänger war der RS 08, der Nachfolger hieß GT 124.


Plansilvester Die Jahresarbeit und deren Erträge wurden geplant. Betriebe hatten die Vorgabe oder auch den Ehrgeiz, „das Soll“ der Staatlichen Produktionsauflage schon früher als zum 31. Dezember zu erfüllen.

Deshalb „feierten“ sie schon mal vorab den Abschluss des Jahres oder eben das „Plansilvester“ vor dem kalendarischen Jahresende.


Agitprop Ausbildung darin, wie man andere Menschen durch „Agitation und Propaganda“ von einer „Sache“ überzeugen soll. (Aufklärung, Belehrung, oft mit dem „Holzhammer“ gegen den Willen, die Einsicht des Gesprächspartners).


0-8-15 bedeutet sinngemäß: Gleichgültigkeit, Interessenlosigkeit, gegenüber einer Sache, einem Zustand, einer Verfahrensweise, einem Lebewesen.


Raupe Kettenschlepper, schwerer Traktor (nicht auf Rädern mit Luftreifen, sondern eben auf Ketten – wie ein Panzer).


EOS Erweiterte Oberschule, damals die Zeitspanne vom Beginn des 9. bis zum Abschluss des 12. Schuljahre umfassend.



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Anhang 2


Über jüngere Schriften der Bildungs-Einrichtung, so über das

Programm der Pädagogen zum Kampf um den Staatstitel

Kollektiv der sozialistischen Arbeit“,

die viel später nach unserem Aufenthalt in Großbeuthen entstanden sind,

gibt es in diesem Anhang einige Meinungsäußerungen.


Später, so mein subjektiver Eindruck, bestand in der BBS weniger Frohsinn als zu unserer Zeit, wurde die „Freizeit“ organisatorisch von oben stärker gefüllt, gab es vielerlei politische Vorgaben, die „das Leben straffen“ sollten – vielleicht wie häufig überorganisiert – bei der die Disziplin und Arbeitsmoral offensichtlich jedoch sanken. Wen mag das heute noch wundern? Aber auch weitere Einflüsse können dazu leider wirksam geworden sein.

Viele zumeist trocken und durch ständiges Wiederholen abgenutzt erscheinende Schlagworte aus der „damaligen angespannten Zeit“ finden sich in den Dokumenten über die Arbeit mit den Lehrlingen. Zu den Begriffen für Vorhaben, die den Verlauf der Tage bestimmten, gehören in dem erhalten gebliebenen Schrifttum:

- Abrechnung - Appell - Arbeitseinsätze - Ausbildung von Gruppenführern - lehrplangerechtere Ausbildung - Auswertung des XI. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands - Berufswettbewerb - Vorbereitung der Demokratischen Volkswahlen - Disziplinmängel -

Ehrentitel „Sozialistische Brigade“ - FDJ-Jugendclub (Arbeitsplan) - FDJ-Jugendkollektiv -

FDJ-Studienjahr (permanente Polit-Schulung) - Fernwettkampf: stärkster Lehrling - Forum mit dem Wehrkreiskommando - Friedensdemonstration - Friedenslauf - Jungwählerforum - Kampfprogramm - Kampf um das Sportabzeichen „Bereit zur Arbeit und Verteidigung der Heimat“ - Kampf um den Staatstitel „Kollektiv der Sozialistischen Arbeit“ - Kommunalwahlen -

Kampf um die „Urkunde des Staatsratsvorsitzenden“ - Militärische Nachwuchsgewinnung -

Lager für Arbeit und Erholung - Leistungsplanung - Erreichen der Lernziele (versuchsweises Senken der Hängenbleiberquote) - Schießwettbewerb - Organisation der Zusammenarbeit der FDJ der BBS mit der Dorfbevölkerung - Probleme der Disziplin - Probleme von Ordnung und Sauberkeit - Tätigkeit von 20 Arbeitsgemeinschaften (wahlweise) – welch ein Angebot!!! - Rechenschaftsberichte - Verpflichtungen - Arbeitsbummelei von Lehrlingen, die hier wohnen - Versammlung der Betriebsgruppe der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft - Verteidigung - Aufklärungsforen für die Volkswahlen - Vormilitärische Ausbildung - Wahl in der Grundorganisation der Freien Deutschen Jugend - Wandzeitungsgestaltung - Werbung: Soldat auf Zeit - Zivilverteidigung: Übungen der ZV.


Vorgenannte Schlagworte spiegeln sich in den Brigadetagebüchern (als schriftliche Quelle über die Zeit von 1983 bis 1989) und in den Unterlagen zum Titelkampf: „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ der Pädagogen (Lehrer, Erzieher, Lehrmeister / Lehrausbilder) wider. Jene Aufzeichnungen künden vom unermüdlichen Ringen der Lehrer und Erzieher sowie Ausbilder und listen teilweise deren Erfolge auf, was uns nebenbei auch einen Einblick in das Lehrlingsleben während dieser Jahre vermittelt.

Vorausschicken möchte ich, dass inzwischen gegenüber der vorher beschriebenen Zeit 1962 / 1963 ein natürlicher Wechsel des Personals stattgefunden hat. Wir treffen also hier (außer dem erwähnten Genossen Direktor Abromeit) keinen der von mir eingangs genannten Lehrer und Erzieher wieder.

Einige Gedanken zum Kampf des Pädagogenkollektivs um den Staatstitel

Kollektiv der sozialistischen Arbeit ab 1987

(- Auch das ist inzwischen ein Beitrag zur Geschichte einer vergangenen Zeitepoche -)

Beim Lesen des „hochqualifizierten Kampfprogramms der Pädagogen-Brigade“ fühlte ich mich tatsächlich aus dem Jahr 2016 in die damalige Zeit der 1980-er Jahre zurück versetzt. Eine Anzahl der Punkte, die dort die souveränen Pädagogen-Akademiker zu Papier brachten, wirken nebulös bis krampfhaft aber durchaus nichtssagend. Das hat mich nicht erstaunt – es war eben sehr häufig so. – Die Nachwirkung auf mich ist trotzdem auch heute noch beklemmend.

Erkennbar ist aus dem Schriftgut, dass es die Pädagogen schwer hatten, – sie es bereits mit sich selber wohl nicht leicht hatten. So wirken die zur Erhöhung ihrer eigenen Kampfkraft, freiwillig auf's Papier gesetzten Selbstverpflichtungen mit den weiteren Zielen der Erhaltung des Weltfriedens und zur Ehrung des Vaterlandes für den aufmerksamen Leser recht bürokratisch, lieblos oder eben auch gequält. Als wesentlich bedeutsamer will es mir scheinen, dass eben die Lehrlinge genau in dieser Art angeleitet, „zu echten sozialistischen Persönlichkeiten erzogen wurden / werden sollten. – Nicht weit fallen sollen die Äpfel vom Stamm.


Nicht jeder der damals aktiv Beteiligten oder auch der heutigen Leser wird meine Gefühle, Gedanken, Äußerungen gleichermaßen mit mir teilen wollen oder können. Ich kann das leicht nachvollziehen und akzeptiere Unterschiede im individuellen Empfinden. Ich habe hier auch nur Punkte ausgewählt bei denen sich eine Möglichkeit des Verbesserns anbietet oder sich gar eine damalige Überarbeitungsnotwendigkeit der von den Pädagogen aufgeschriebenen Eigenverpflichtungen aufdrängt, ohne dass eine verbessernde Bearbeitung stattgefunden hat. Man war zufrieden mit sich, mit einem nicht erreichten Mittelmaß.

Ich habe diese Punkte mit Fragen oder Vorschlägen kommentiert. Es ist also eine einseitige Zusammenstellung. Das bedeutet auch: auf nette Lehrerausflüge, Jahresend-Feiern, gemütliche Kegelabende und viele andere schöne Aktivitäten der Pädagogen nehme ich hier keinen Bezug. Diese sind ja alle im „Brigadetagebuch“ beschrieben. Sie gelten also als an anderer Stelle ausreichend berücksichtigt und gewürdigt.

Für die Selbstverpflichtungen war es vom Staat vorgesehen, dass die Erfüllung jener Ziele nach der Dauer eines Kampfjahres konkret abzurechnen waren, um Prämien, warme Worte und Blumen entgegennehmen zu dürfen.

So verpflichtete sich die Schulleitung als eines der Kampfziele – zum Thema „Schulräume“.

Um unsere Bildungs- und Erziehungsarbeit effektiver zu gestalten, werden (von uns Pädagogen) die Unterrichtskabinette konsequent weiterentwickelt.“

Feststellung, Fragen und Vorschläge: Konkrete Aussagen fehlen völlig zur „Verpflichtung“ – von einer nicht möglichen Abrechenbarkeit von Ergebnissen ganz zu schweigen. Hat das niemanden interessiert? Im Brigadebuch, das alle Initiativen und Erfolge erfasst, steht darüber ebenfalls auch nichts.

Was und wie wurde von wem und wofür „konsequent weiterentwickelt“? Was wurde in den Unterrichtsräumen nun tatsächlich positiv verändert? Was hatte das für positive Wirkungen und für welche Schulfächer (leichtere Anschaulichkeit / Fasslichkeit des Stoffes?) Gab es in der Folge dieser gewiss wertvollen, wenn auch überhaupt nicht genannten Maßnahmen eventuell Verbesserungen der Lehrmöglichkeiten, der Lernleistungen / des Zensurendurchschnitts der Schüler? Also greifbare Erfolge?

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Verpflichtung und Kampfpunkt zur Senkung der Arbeitsbummelei, zum unentschuldbaren Fernbleiben von der Arbeit:

Zur weiteren Durchsetzung der Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit – wird der Kampf um unentschuldigtes Fehlen in der Berufsausbildung konsequent weitergeführt. Wir (die Pädagogen) stellen uns das Ziel, das unentschuldigte Fehlen auf ein Mindestmaß zu senken."

Fragen: Wenn eine konsequente Weiterführung des Kampfes vorgesehen ist, erhebt sich doch die Frage: Was wurde bisher gegen den Schlendrian, gegen das Nichterscheinen zur Arbeit getan? Das bleibt leider völlig offen. (Man hätte vielleicht besser gegen unentschuldigtes Fehlen kämpfen sollen? Meine kleine Polemik.) Etwas Sinnvolles unternehmen gegen die Disziplinlosigkeit der Arbeitsbummelei von Lehrlingen, die schließlich hier im Internat wohnten, die täglich greifbar waren, schiene angezeigt. Wieso soll nun aber gerade das – was bisher leider nicht zum Erfolg führte, „konsequent weitergeführt“ werden? Warum haben die bisherigen sozialpädagogischen Maßnahmen keinerlei gewünschte Ergebnisse gebracht? Wer und was hat da versagt? Und warum? Wurde das jemals von den Pädagogen analysiert? Was muss das Pädagogenkollektiv künftig besser machen als bisher? Benötigt es vielleicht eher selber fachliche Hilfe, als nur eine inhaltslose Verpflichtung?

Was verstehen die Pädagogen unter einem für die Zukunft anzustrebenden ominösen Mindestmaß an unentschuldbarem Fehlen, (welches demnach noch tolerierbar wäre) ... das sie mit ihrem konsequenten Kampf erringen wollen? Wie und womit wollen sie dieses äußerst merkwürdige Ziel im sozialistischen Kampf erreichen? Warum nicht den Schlendrian des unentschuldigten Fehlens generell ausmerzen? Kennen die Pädagogen tatsächlich ein anzustrebendes bestimmtes Mindestmaß an Arbeitsbummelei – so wie sie es auf's Papier bringen – oder ist es ihnen eher gleichgültig wozu sie sich verpflichten?

Auch die Erfolge dieser pädagogischen Kampf-Bemühungen werden, obwohl im Brigadebuch sonst die tollen Ergebnisse aufgeführt werden, nicht dargestellt. Gab es keine?

Die eingangs erwähnten, sachbezogenen Punkte: Ordnung, Sicherheit und Sauberkeit auf dem Grundstück werden hier mit dem verhaltensbezogenen Aspekt der Disziplinschwierigkeit / Arbeitsbummelei „unorganisch-künstlich“ vermengt. Wozu das? War den Pädagogen die Verschiedenheit der Begriffsinhalte nicht geläufig?

Trotz aller Kämpfe in der Erziehungsarbeit muss der Genosse BBS-Direktor auch an anderen Stellen mehrmals die mangelnde Disziplin anmahnen. Er führt aus, dass strenger darauf geachtet werden müsse, damit der Zustand des Lehrlingswohnheimes (trotz der Nutzung durch die Lehrlinge) möglichst erhalten bliebe.

An derartige Probleme kann ich mich für meine Zeit (ein Vierteljahrhundert früher) beim besten Willen nicht erinnern!

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Verpflichtung und Kampfziel: Wahrnehmung der Verantwortung seitens der Erzieher

In der Heimerziehung ist die bereits eingeleitete Erhöhung der Verantwortung der Erzieher ... weiter zu erhöhen und abrechenbar zu gestalten.“

Fragen und Vorschläge: Waren den Pädagogen nach den 30 Jahren Jahren des Bestehens von Berufsschule und Lehrlingswohnheim ihre Aufgaben noch immer nicht so ganz klar? Von einem hier nicht dargelegten und deshalb auch nicht als Basis verwertbaren >Stand X< wurde die Verantwortung der Erzieher bereits auf einen >Stand Y< erhöht und jetzt / künftig wird die Verantwortung „noch weiter erhöht“, also auf einen >Stand Z< gebracht. Aber warum? Warum erst jetzt? Und mit welchen Zielen, mit welchen zusätzlichen verantwortungsvollen, wichtigen Aufgaben, die bisher nicht als notwendig erkannt und nicht wahrgenommen wurden? Obwohl man nunmehr schon theoretisch richtig erkannte: diese Ziele müssen für eine Abrechnung konkret formuliert sein, die Aufgaben müssen also vorher bekannt gegeben werden, werden diese aber praktisch mit keinem Wort genannt. Man nennt sie nicht – man kennt sie nicht – wie will man die Ziele, die Verbesserungen erreichen, um jene wie üblich „heroisch kämpfen“? Man ist eben hauptsächlich wie immer vorerst einmal total „konsequent“.

Hätte man besser etwas in der Art schreiben sollen: „Es liegt uns das bisherige Aufgabenblatt (Muster) für die Erzieher vor. Weil die Erzieher nicht ausgelastet scheinen und weil deren Arbeit trotzdem zum Teil nicht zufriedenstellend erfüllt wurde, haben wir nun gemeinsam dieses neue, ab

1. September verbindliche Aufgabenblatt (Funktionsplan, Stellenbeschreibung) aufgestellt. Alle sind damit zufrieden. Alle kennen nun ihre bisherigen und die wenigen neu hinzugekommenen Aufgaben. Jedem liegen diese als Bestandteil des Arbeitsvertrages und zur Erinnerung schriftlich vor. Wir versprechen uns damit die Verbesserung der Arbeit der Erzieher und berichten im nächsten Quartal / im nächsten Jahr zu den einzelnen Ergebnissen“. Das wäre 'was Greifbares gewesen! Das wäre Normalität. – Abrechenbare Hausaufgaben, wie sie auch von den Schülern verlangt wurden. Gab es vom Ministerium für Volksbildung kein Muster, keine Anleitung für die Aufgaben von Lehrern und Erziehern?

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Leitspruch der Pädagogen, unter den sie ihre Arbeit, ihren Kampf stellen:

Als Hauptfeld unserer Bewährung sehen wir die Ausbildung junger sozialistischer Facharbeiter für die Landwirtschaft, die Bildungs- und Erziehungsarbeit sowie die Schaffung verbesserter materieller Bedingungen für die Ausbildung! Nur so erreichen wir mit steigendem Leistungswachstum eine hohe Arbeitsproduktivität.


Dazu die konkrete Kampf-Verpflichtung zu Wiederholungsprüfungen bei Durchfallgefährdeten

Durch gute Vorbereitung der Lehrlinge auf die Abschlussprüfungen wollen wir den Anteil der nötigen Wiederholungsprüfungen von 23 auf 17 im kommenden Jahr senken.“

Fragen und Vorschläge: Warum waren 23 Lehrlinge zum Abschluss durchfallgefährdet? Konnten sie die Leistungen von ihrer Auffassungsgabe her nicht erbringen oder waren sie einfach nur faul? Nur das kann doch Auskunft darüber geben, ob dieses angestrebte Senken um etwa ein Viertel, viel oder wenig ist, die gedachten Maßnahmen sinnvoll oder unzureichend. Warum Durchfallgefährdung zum Abschluss der Lehrzeit? Konnte man diese Gefährdung nicht schon früher erkennen und die Schüler fordern und fördern? Arbeitsgemeinschaften zur organisierten, gelenkten Freizeit gab es zu jener Zeit zwanzig!!! – keine einzige aber, die sich mit der Hilfe beim Festigen des Lehrstoffs für bestimmte Lehrlinge beschäftigt hätte. Darauf ist man im sozialistischen Pädagogenkollektiv offenbar nicht gekommen oder hat es nicht gewollt? Hätte man leider richtiger sagen müssen. Dieser Lehrling schafft's intellektuell nimmer und notfalls ... auf einen ordentlichen Teilfacharbeiter-Abschluss hingearbeitet? Allein Wiederholungsprüfungen zum gerade so Durchschleusen?

Was soll, wenn es um junge Menschen geht, die das Leben vor sich haben, denen wertvolle Tiere, hochwertige Fahrzeuge und Maschinen in ihre Obhut gegeben werden sollen, was soll da ein gerade so Durchschleusen, um die Prozentzahl der Pädagogen-Selbstverpflichtung zu erfüllen? Was sind da zwei nackte Prozentzahlen – völlig ohne Aussagekraft. Schon Goethe meinte, dass die Kunst darin bestünde, alle Menschen dahin zu bringen, wohin sie zu bringen sind. Das hieße hier: Zwar mit unterschiedlichen Anforderungen (Niveau) des Lehrabschlusses aber letztendlich zu beiderseitigem Vorteil – nicht unbedingt, eine Anzahl-Senkung derer, die die Prüfungen nicht bestehen, um gerade ein Viertel. Und die anderen Kandidaten, die Mehrzahl der gefährdeten Lehrlinge – fallen lassen? Oder anders gefragt: Wie können die Lehrer als ihr sozialistisches Arbeitsziel von vornherein einplanen (vorgeben, festlegen), dass bei höchstem Einsatz ihrer pädagogischen Kunst auch im kommenden Jahr wieder mindestens 17 Lehrlinge den Berufsabschluss nicht erreichen werden – falls dieses hoch gesteckte Ziel überhaupt erreicht wird.

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Verpflichtung und Kampfpunkt zur Energie-Einsparung und zum bewussten Umgang mit wertvollen Ressourcen:

Um Energie einzusparen, werden folgende Maßnahmen durchgeführt: * Kontrolle der notwendigen Beleuchtung, * tägliche Kontrolle der Raumtemperaturen, * Künftig achten die Lehrmeister auf die vernünftige Nutzung von Dieselkraftstoff, um Einsparungen zu erzielen.“

Fragen und Vorschläge: Stellen sich nicht auch diese Verpflichtungen sowohl qualitativ als auch quantitativ als nebulös dar? Sind diese in die Zukunft schauenden Verpflichtungen nicht allesamt Selbstverständlichkeiten für und von „vorgestern und gestern“?

Nur als Beispiele des möglichen Konkretisierens: „Wir legen fest: Am Tage wird die Beleuchtung in den Fluren künftig prinzipiell ausgeschaltet! Statt der 4 x 80 Watt Leuchtstofflampen in den Fluren richten wir für die Nachtstunden eine orientierende Beleuchtung mit 3 Stück 25-Watt-Lampen ein. Das ergibt im Jahr eine Einsparung von etwa XX,xx Mark.“ (Die Leuchtstoff–Leuchten waren ohnehin nicht die größten Verbraucher im Haus). –


Die versteckte Aussage, die Lehrmeister, also die ausbildenden Pädagogen und Meister ihres Fachs, hätten bisher nicht auf den vernünftigen Umgang mit dem Treibstoff geachtet, nimmt sich nicht gut aus. Wurde seitens der Ausbilder oder unter deren Augen zu viel Kraftstoff verplempert? Woran lag es konkret? Angepeilte Ziele, greifbare Maßnahmen und gar ein konkreter Maßstab für die Erfüllung zu diesen „Verpflichtungen“ werden aber auch hier nicht ausgewiesen. Hätte man nicht bitte etwas Sinnvolles aufnehmen können, statt: Wir Führungskräfte verpflichten uns, anders als in den vergangenen Jahren, künftig vernünftig mit Dieselkraftstoff umzugehen – und dann: daraus auch noch „Einsparungen“ abzuleiten – nein, diese „neue Verpflichtung“ soll lediglich den Schlendrian, die bisherige Unvernunft der Verantwortlichen ausmerzen, sie verpflichten, künftig das Normale zu tun!

Man hätte doch auch sagen können: „Wir müssen selbstkritisch einschätzen: Stichproben unserer Eigenkontrolle oder Hinweise von unseren Lehrlingen ergaben, dass abgestellte Arbeitsmaschinen in Anwesenheit unserer Meister oft 20 bis 30 min. im Leerlauf tuckern. Wir legen gegen diese Praxis also verbindlich fest: Steht der Traktor länger als zwei Minuten ungenutzt am Arbeitsort, ist der Motor abzustellen. Wir verbrauchen damit geschätzt 570 Liter Dieselkraftstoff im Jahr weniger, schützen die Umwelt und erreichen damit nun auch einen als sonst üblich geltenden Arbeitsstand“.

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Messe der Meister von Morgen

Kommentar: Etwas mehr an Ausführungen hätte ich mir auch zu den MMM gewünscht. Welche Themen waren das im Einzelnen? Von wem kamen die Themen-Ideen? Wer erarbeitete die Aufgabenstellungen, wer die Lösungen? Hatten die Ergebnisse ideelle Werte oder wurden materielle Erfolge für den Betrieb erzielt (Senkung der Kosten, Einsparung an Material, Verringerung des Aufwandes an Arbeitszeit, Erleichterung an körperlich schwerer Arbeit, Schutz der Umwelt, verbesserte Landschaftspflege und ähnliche Faktoren) – bleiben im Wesentlichen ungenannt.

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Meine Meinung zu diesem Kampfprogramm der Pädagogen:

Vielleicht hätte man beim Aufstellen eines solchen Kampfprogramms der Lehrenden und der Erzieher durchaus auch einige „aufgeweckte und noch unverbildete“ Jugendliche als Berater heranziehen sollen. Hätte man mich gebeten – ich hätte etwa gesagt: „Bitte gerne, immer bereit“.

Ich hätte gerne geholfen die Qualität der Lehrer- und Erzieherarbeit wesentlich zu verbessern.

Nun gut. Ich bin kein akademisch gebildeter Pädagoge, nur ein einfacher Mensch.

Wäre ich aber Mitarbeiter einer Jury zur Begutachtung des Titelkampfes dieses Pädagogen-Kollektivs gewesen und hätte mir ein Genosse BBS-Direktor ein solches Kampfprogramm mit derartigen Wettbewerbs-Verpflichtungen zur Zustimmung und zwecks erwarteter Auszeichnung überreicht und dabei solche üblich schönen Worte gewählt wie


Darlegung unserer konkret abrechenbaren Höchstleistungen für Frieden und Sozialismus“

oder

Unser Beitrag im Sozialistischen Wettbewerb zu Ehren des Vaterlandes“,


dann hätte ich ihm sein Programm mit helfenden Änderungsbeispielen zurückgewiesen.

(Ich habe hier eine sehr zurückhaltende Ausdrucksweise gewählt).


Es ist ein Spiegel: Genau was die zum Teil akademisch gebildeten Pädagogen hier ablieferten – in genau dieser Art wurden die Lehrlinge v-erzogen. Genau so sollten auch wir werden genau so trocken-staubig. Parteisoldaten. Ideenarmut. Nichts Originelles – aber Phrasen am laufenden Band. Wundern wir uns also bitte nicht darüber, dass diese Menschen langzeitig Probleme miteinander hatten. Hier vermisse ich kreative Denkprozesse, Denkergebnisse und deren Umsetzung, die imstande sind, andere Menschen zu begeistern, sie mitzureißen.

Aber dieser „Kampf“, ein Krampf in der Praxis: Nun, ich weiß ja wie das lief ... es musste irgendwie laufen. ...

Wahrscheinlich wäre ich in einer Beurteilungsgruppe zur Entgegennahme derartiger „Kampfleistungen“ die längste Zeit Jurymitarbeiter gewesen. Und in der Wirklichkeit bekam ja das Pädagogen-Kollektiv sowieso unproblematisch auch für diese mindere Qualität seine Urkunden, seine kleinen materiellen Prämien, seine Orden, seine roten Nelken oder Alpenveilchen (je nach Jahreszeit). Das sollte eben so sein und deshalb blieb auch alles beim alten ... und wurde, weil die Qualität so blieb, gesamtgesellschaftlich eher noch dürftiger. –


Sagen wir optimistisch und unkritisch-positiv als Zeichen dieser Zeit und der Gesellschaftsordnung:


Dieses Programm spiegelt farbig die Qualität, den Fleiß und die vielfältigen Initiativen der sozialistischen Pädagogen beim täglichen unermüdlichen Ringen um das Erreichen des Staatstitels wider.“

Trotzdem haben mich über Jahrzehnte solche Fragen bewegt: Warum ist das auch mit den Lehrern und Erziehern so? Konnten oder wollten sie diesen Biegeprozess an ihrem Geist nicht erkennen? Konnten oder wollten sie kein anderes eigenes Verhalten, als sich verbiegen zu lassen? War es ihr „natürliches Ziel“ uns ebenso zu verbiegen – auf Biegen und vielleicht Brechen – auf dem Wege zu allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten – wie es üblicherweise heißt.



Das „Brigadebuch" der Lehrer und Erzieher und Ausbilder weist u. a. auch darauf hin:

Aus dem „Brigadetagebuch“: Arbeitspunkt >Erfahrungsaustausch in Freundesland<

Im Mai fuhr eine Lehrlingsgruppe aus der Tierproduktion in den Partnerbetrieb der polnischen Freunde nach Karpacz. Hierfür wurden unsere Lehrlinge alle mit einer ansprechenden vollständigen, einheitlichen Arbeitskleidung ausgestattet.

Kommentar: Wie vom Deutschen Modeinstitut der DDR gestaltet. Und warum? Sollten die polnischen Freunde denken, dass bei uns die Lehrlinge stets mit einer modischen Einheitskleidung bedacht werden, die der Betrieb zur Verfügung stellt? Eigentlich sollten wir bei den noch etwas einfacher gestellten Nachbarn weder Neid noch Fehleindrücke erzeugen, zumal diese vorgeführte Ausstattung nicht die üblichen, wahren Verhältnisse zeigt! Was sollte das eigentlich bewirken?

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Wie kommt das Wohnheim zu dem Ehren-Namen „Siegfried Widera“?

Wir haben eine Festwoche zum 30-jährigen Bestehen der BBS 1957–1987. Die offizielle Festveranstaltung findet dazu am 04. Juni 1987 statt. Am Vormittag das Sportfest. Ein ausführliches Programm wird vorgestellt.

Zu diesem Anlass erhält die BBS / das LWH am Nachmittag den Ehrennamen „Siegfried Widera“, der bereits in großen Lettern am Eingang zum Wohnheim angebracht ist. Wer ist / wer war Siegfried Widera? Siegfried Widera, geboren am 12. Februar 1941, war Stabsgefreiter, posthum zum Unteroffizier befördert. Er versah seinen Dienst bei den Grenztruppen im demokratischen Teil von Berlin (DDR) und wurde am 23. August 1963 von zwei republikflüchtigen DDR-Bauarbeitern, die im Grenzgebiet tätig waren, mit einem stählernen Werkzeug angegriffen und kampfunfähig geschlagen. Dabei erlitt Siegfried Widera einen Schädelbasisbruch, an dem er am 8. September 1963 verstarb. Wir werden sein Andenken stets in Ehren halten.


Kommentar: Es ist schrecklich, wie viele Menschen an der Grenze zwischen beiden deutschen Staaten starben und unter welchen Umständen.

Ihnen und ihren Angehörigen gehört unser tiefes und anhaltendes Mitgefühl!

Was aber gehörte zu den Umständen des Vorgangs, was blieb für uns ungesagt, was blieb uns an Informationen verborgen? Versuchen wir die Tatsachen festzuhalten:

Im Grenzgebiet, also unmittelbar an der Grenze, wurden als Bauarbeiter nur handverlesene, zuverlässige klassenbewusste Genossen eingesetzt. Wir wissen aber, dass auch sehr oft treue und teure SED-Genossen zwei Gesichter hatten und den illegalen, ungenehmigten Grenzübertritt beabsichtigten und dabei nicht vor Mord und Totschlag an anderen Genossen zurückschreckten.

Der Zeitpunkt dieser Republikflucht lag außerhalb der offiziellen Arbeitszeit der Bauarbeiter-Truppe. Die beiden später Flüchtenden wollten eben hier (außerhalb des zugelassenen offiziellen Programms bei dem jeder jeden beobachtete) „noch mal etwas richten“ – was prinzipiell als unzulässig galt.

Die beiden grenzschützenden Armeeposten hätten die Bauarbeiter auch schon zur normalen Arbeitszeit mit Abstand und der Waffe in der Hand beobachten müssen, wie es die Dienstvorschrift vorgab. Sie aber ließen sich (in Körpernähe) auf ein kumpelhaftes Schwätzchen unter zuverlässigen Genossen ein, so dass sie trotz ihrer Bewaffnung tätlich angegriffen und überwältigt wurden. Die Genossen Bauarbeiter überwanden anschließend unbehelligt die Grenzanlage in den Westteil Berlins.

Wäre Siegfried Widera nicht in der Folge dieses Angriffs gestorben, wäre wohl die posthume militärische Beförderung ausgeblieben. Er hätte sich eher vor dem Militärgericht wegen der grundsätzlichen Vernachlässigung seiner Dienstpflichten verantworten müssen, meine ich.

Widera hätte eher eine Strafe bekommen und das Lehrlingswohnheim Großbeuthen hätte nicht diesen Ehrennamen für vernachlässigte Pflichten und anlässlich des Totschlags oder Mordes unter ehrenwerten Genossen erhalten.

Die junge Geschichte zeigt, dass sich das Thema, neben dem tragischen persönlichen Ergebnis, auch gut politisch nutzen ließ. Aber das alles ist wie stets nur meine persönliche Ansicht.

Die studierte Pädagogenführung sah das völlig anders – gegenteilig. Dagegen kann ich nichts machen.

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Problemdarstellung: Mängel

Sehr hilflos wirken die Ausführungen des Genossen BBS-Direktors zur „Komplexkontrolle“ des Rates des Kreises (Zeitung vom 24. Nov. 1988) wenn er sinngemäß und wiederholt über die mangelnde Disziplin von Lehrlingen spricht und er ausführt, dass er die Funktion des BBS-Direktors vor 4 Jahren (von Genossen Abromeit) übernommen habe, aber jetzt (also in Zukunft), in seinem 5. Regierungsjahr, sich was ändern müsse, weil es mit diesen angehäuften großen Problemen nicht so weiterginge!

Ja, warum kamen die diplomierten Pädagogen mit einem Teil der jungen Menschen nicht mehr klar?

Was wollte der Chef sich nun selber zukunftsweisend vorschlagen, worüber er schon (zum Teil mit seinem Pädagogenkollektiv) vier Jahre lang nachgedacht hatte? Das, und somit das Wesentliche, kam nicht zur Sprache.

Was wollte er eigentlich damit (außer einem Klagelied) den Beratern des Rates des Kreises mit auf ihren Weg geben? Offenbar hatte das Pädagogenkollektiv auch aktuell keinerlei Konzepte und es hat vermutlich auch niemand nachgefragt oder ihnen geholfen.

Des Genossen Direktors Klagen über die Materialsituation, darüber, dass das Organisieren und Koordinieren einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit als Pädagoge und Direktor verschlänge, war ja so was von mutig aber bestimmt auch verzweifelt. Natürlich – es war ein momentanes Ablassen seines „Dampfdrucks“ – geändert hat es an den Verhältnissen in Großbeuthen oder am Wirtschaftssystem der DDR überhaupt nichts.


Trotzdem wurden beispielsweise die Großvorhaben des Sportplatzes und der Halle für Sport und Ausbildung realisiert. Das muss in der damaligen Zeit als eine große Organisationsleistung angesehen und gewürdigt werden!!! Diese Art von Schwierigkeiten und den unökonomischem Organisationsaufwand, besonders für einen Nicht-Baufachmann, kann sich wohl heute kaum jemand mehr vorstellen.

Und es gab natürlich auch weitere schöne Initiativen.

Viele der Beschäftigten haben daran lange in ihrer Freizeit mitgearbeitet, Ihr Herzblut dafür gegeben!!! Das wollen wir nicht vergessen, sondern es ihnen auch hier danken.

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Arbeitsgemeinschaften

Es gibt bei uns eine große Anzahl von Arbeitsgemeinschaften: - Volleyball, - Elektronik, - Technisches Basteln, - Reitsport, - Fußball, - Weltgeschichte, - Fotografie, - Textiles Gestalten, - Aquarienfreunde, - Kulturgruppe, - Schießen, - Tischtennis, - Schwimmen, - Billard, - Popgymnastik, - Motorsport, - Kraftsport, - BBS-Chronik, - Kochen, - Nähen.

Kommentar: Traumhaft! Eine aufopferungsvolle Leistung der Leiterinnen und Leiter dieser Arbeits-Gemeinschaften. Schade aber, dass trotz des dringenden Bedarfs keine Gemeinschaft zur Unterstützung schwächerer Schüler, zum gemeinsamen Erreichen der Unterrichts- und praktischen Ausbildungsziele eingerichtet wurde.

Hätte die Heimatstube heute die Aufzeichnungen der Arbeitsgemeinschaften, so z. B. auch die der AG BBS-Chronik, – es wäre wundervoll. Ein Fundus für das gute Leben in Großbeuthen. Wohin mögen die Pädagogen all die wertvollen Dokumentationen, die Zeugnisse der Zeitgeschichte, „verbracht oder aufbewahrt“ haben, als der Betrieb aufgelöst wurde?

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Auszeichnung '88?

Irgendwann in diesem Jahr – war es zum 1. Mai oder doch vielleicht zum 7. Oktober (?) erfuhren wir aus einer Zeitung, dass der frühere Lehrling (etwa 1961–1964) aus unserer BBS, Günter Böhme, in diesem Jahr in Würdigung seiner Leistungen beim weiteren sozialistischen Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik nun auch mit dem „Vaterländischen Verdienstorden in Gold" ausgezeichnet wurde.

Er füllt mit der äußerst wichtigen, schwierigen und umfangreichen Tätigkeit seine Funktion als stellvertretender Abteilungsleiter beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei hervorragend aus.

Diese wichtige Zeitungsnotiz schnitten wir sorgfältig für die BBS-Chronik aus aber leider ging uns die Angabe von Zeitungs-Quelle und Erscheinungsdatum dabei verlustig. Es war aber wohl irgendwann im Jahre 1988. Der Geehrte wird wahrscheinlich einen Nachweis in seiner Dokumenten- und Auszeichnungssammlung besitzen. Es wird also an schönen Chronikdaten nicht alles verloren sein.

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Nun, diese wenigen Punkte über den täglichen Kampf, um das ständige Ringen, waren nur einige Details aus den Darstellungen des tatsächlichen, ganz wirklichen Lebens, die schon einige Jahre später (nach der politischen Wende) eher etwas eigenartig anmuten mögen. In der kleinen Welt schienen ihnen aber äußerste Wichtigkeit beigemessen worden zu sein. – Gab es aber, schaute man über den Deckelrand hinweg, nicht weitaus größere Probleme? Und auch bessere Lösungen?

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Anhang 3


Einige Einblicke in das damalige Zeitgeschehen

Wir Leser sind erst nach der beschriebenen Zeit geboren worden, haben jene Zeit also nicht selbst miterlebt. In welchem gesellschaftlichen Kontext ist denn diese Zeit in Großbeuthen zu sehen? Wie war denn die allgemeine politische und wirtschaftliche Lage zu jener Zeit in Deutschland, wie die Stimmungen der Bevölkerung im Lande? Was tat sich zu der Zeit in den Ländern, mit denen Deutschland einen engeren Kontakt pflegte?“ –

Was beeinflusste in den Jahren 1960 bis 1965 unser Leben?–

Hier nur einige Beispiele aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und unserem Alltag.


Zur Zeitgeschichte im Jahr 1960

Politik in der DDR:

Zu den Osterfeiertagen flüchten etwa 4.000 DDR-Bürger nach West-Berlin. –

Das Schiff „Völkerfreundschaft“ tritt zu seiner ersten Reise als Urlauberschiff der FDGB an. (Es wurde 1944 in Schweden gebaut). Sein Einsatz dient der Erholung ausgewählter verdienter Werktätiger und Parteiarbeiter. –

Am 22. Juli wird das Solidaritätskomitee der DDR gegründet. –

Am 07. September stirbt Wilhelm Pieck (geboren 1876, Mitglied der KPD, dann SED), der erste und letzte Präsident der DDR. Das Präsidentenamt wird abgeschafft.

Am 12. September beschließt die Volkskammer der DDR auf ihrer 14. Tagung das „Gesetz über die Bildung des Staatsrates der DDR“. Das enthält aber keinen Katalog von Bildungsmaßnahmen, sondern legt fest, welche Amtspersonen sich zur Führung des Staates zusammentun. Der Vorsitzende dieses Rates wird Walter Ulbricht und außerdem Erster Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland, wie auch Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates. Bei allen Nachrichten, bei denen sein Name erwähnt wurde, gehört auch das Nennen zumindest der wichtigsten Funktionen untrennbar dazu. Das, was ja jeder wusste, gebärdete sich immer etwas überlang und recht sperrig, schien aber wohl unerlässlich zu sein.


W. Ulbricht führt erklärend aus, dass die Bauern in der DDR durch die (Zwangs-) Kollektivierung befreit worden seien. Er meint damit: Erstmals werden die Bauern nicht mehr vom Feudalherrn / Großgrundbesitzern / Junkern unterdrückt, die sie noch bis vor 15 Jahren ausgesaugt hatten. (Das wussten die meisten schon). Die Menschen hätten erstmals eine geregelte Arbeitszeit, Anspruch auf Urlaub, erstmals gibt es eine staatlich organisierte Kinderbetreuung und die Sozialversorgung. Die Möglichkeit der gemeinsamen Maschinennutzung, die der Einzelne sich meist finanziell nicht leisten könne, und damit seien also auch gewaltige Arbeitserleichterungen gegeben. Völlig unverständlich erschiene es ihm, warum Menschen, darunter auch viele Landwirte, der DDR den Rücken kehren, das Land fluchtartig verlassen. Ulbricht erklärt die Kollektivierung im April 1960 als abgeschlossen. – (In der Praxis ist das nicht ganz so.)


Vom 15. September an, dürfen Bürger aus der BRD nur noch mit einer auf die Person ausgestellten Einreisegenehmigung in die DDR einreisen, die vorher schriftlich in der DDR zu beantragen ist. Westberliner Pässe werden nicht mehr anerkannt. –

In diesem Jahr werden knapp 200.000 DDR-Bürger ihre Heimat verlassen haben. Aus Gründen. –


Politik in der BRD:

Schnellgerichte werden tätig, um auf die vielen antisemitischen Schmierereien zu reagieren.

Bundeskanzler Adenauer trifft am 14. März den israelischen Präsidenten Ben Gurion in New York. Es geht um die Weiterzahlung von finanziellen Leistungen als „Wiedergutmachung“, die Aufarbeitung der jüngsten antijüdischen Vorkommnisse und vor allem um die Lieferung militärischen Geräts nach Israel. –

Der BRD-Vertriebenen-Minister Theodor Oberländer tritt zurück. Er war in der DDR – in seiner Abwesenheit – wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine und im Kaukasus und der Vorbereitung der Übernahme und Nutzung landwirtschaftlicher Flächen in diesen Gebieten durch Deutschland, zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt worden. –


Politik im Ausland:

Der Bürgerrechtler Nelson Mandela wird in Südafrika wegen seiner Gesinnung und wegen des friedlichen Auflehnens gegen die Apartheid für 27 Jahre eingekerkert. Erst am 12. Februar 1990 wird er wieder die Freiheit erlangen. –

Bürgerkrieg im Kongo (1960 – 1963). Die UNO greift ein, um dem Krieg ein Ende zu bereiten. Am 1. August wurde Französisch-Kongo frei und erhielt den Namen Republik Gabun. In diesem Land arbeitet auch Prof. Dr. Albert Schweitzer im Dorf Lambarene am Ogowe.

Ihre Unabhängigkeit erhalten in diesem Jahr 14 afrikanische Länder, die bisher (auf Zeit) Kolonien europäischer Staaten waren. –


Am 08. November gewinnt in den USA John Fitzgerald Kennedy (mit Unterstützung des Texaners Lyndon Baines Johnson, Vizepräsident, Demokrat) hauchdünn die Präsidentschaftswahlen gegen Nixon (Republikaner). Kennedy ist der 35. Präsident der USA. In den USA herrscht eine Aufbruchstimmung, die von dem relativ jungen Präsidenten John Fitzgerald Kennedy ausgeht. Ein Hoffnungsträger für eine neue, gerechtere Politik. Am 19. Mai wird er 43 Jahre alt. –


Die Schauspielerin Grace Kelly wird durch Heirat mit Fürst Rainier II (Grimaldi), zur Fürstin Gracia Patricia von Monaco. –


In Jerusalem wird Adolf Eichmann, einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der jüdischen Menschen im Zweiten Weltkrieg, vor Gericht gestellt. Zur Nazizeit war er Obersturmbannführer bei der berüchtigten SS („Schutzstaffel“) und Leiter des Referats IV B4 (Judenangelegenheiten). Nach 15 Jahren Suche hat der israelische Geheimdienst ihn trotz seiner neuen Identität in seinem argentinischen Versteck aufgespürt und nach Israel gebracht. Der Gerichtsprozess dauerte sechs Monate. Am 15. Dezember wird Eichmann zum Tode verurteilt, im Sommer 1962 gehängt und seine Asche ins Meer gestreut. –


In den Jahren 1959–1961 verordnet China seiner Wirtschaft „den großen Sprung nach vorn“. Jedes Dorf wird zwangskollektiviert, der Agrarstaat soll weitgehend industrialisiert werden – was wohl aber in der Folge nicht so recht gelingt. –


Wissenschaft:

Der schweizerische Tiefseeforscher Jaques Picard und der US-Marineleutnant Don Walsh dringen am 23. Januar 1960 mit dem Tauchboot „Trieste“ zum Grund des Marianengrabens im Pazifik vor. Sie erreichen mit -10.916 m den tiefsten bisher erkannten Punkt der Weltmeere. Diese Expedition erbringt auch aufsehenerregende Erkenntnisse über die Strömungsverläufe im Stillen Ozean und die geophysikalische Beschaffenheit des Meeresbodens. –

Die sowjetische Weltraumkapsel „Sputnik 5“ brachte ihre Test-Tiere wohlbehalten zur Erde zurück.


Medizin in der DDR:

Im April erfolgreiche Impfaktion gegen Kinderlähmung (Polio, Poliomyelitis). Der Impfstoff wurde von Albert Sabin in den USA entwickelt. Die DDR bezieht den Impfstoff aber aus der UdSSR. Die Impfaktion führt zu einem positiv durchschlagenden Erfolg. Es sind später nur noch vier Neuerkrankungen im gesamten Lande. Polio gilt als ausgerottet. –

Medizin in der BRD:

In der BRD wird es im Jahre 1961 mehr als 5.600 Neuerkrankungen an Polio geben. Auch in der BRD wird die Sabin-Impfung, mit zeitlicher Verzögerung, 1962 eingeführt. –


Wirtschaft in der DDR:

Schwedt an der Oder wird am 11. November zur „Chemiestadt“ erhoben. Hier endet die Erdölrohrleitung aus der Sowjetunion, Pipeline genannt. – Gebrauchsartikel aus Kunststoff sind begehrt. „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“ lautet die Devise. –


Wirtschaft in der BRD:

Es gibt im Lande mehr als 5.250.000 Fahrzeuge, das sind fünfmal soviel wie 1950. –


Bauen in Berlin:

Die neue Gedächtniskirche für Berlin-West (vom Volksmund „Lippenstift und Puderdose“ genannt), ist im Bau, (Bauzeit 1957–63). Diese neue Kirche ist ein Ersatzbau in der Folge der zerstörten, als Kriegsmahnmal gesicherten Kaiser-Friedrich Wilhelm-Gedächtniskirche am Bahnhof Zoo in Berlin.

Ihr Architekt ist Egon Eiermann 1904–1970, einer der bedeutendsten Architekten Deutschlands im 20. Jahrhundert. Geboren 1904 in Neuendorf bei Potsdam im Kreis Teltow (heute Potsdam-Babelsberg). Er schuf u. a. das Abgeordnetenhaus in Bonn (1966–69). Er ist Dozent an der Technischen Hochschule Karlsruhe und wird 1970 in Baden-Baden sterben. –


Ab-Bauen in Potsdam:

Am 09. Januar: Sprengung des Fortunaportals der Ruine des Stadtschlosses. Abriss der Stadtschlossruine am Alten Markt. Einarbeitung des Bauschutts und des Schutts von Bürgerhäusern mit vielen wertvollen Architektur- und Ausstattungsdetails in die Sandwälle des Ovals für die entstehenden Besuchersitzreihen des Ernst-Thälmann-Stadions im ehemaligen Kaiserlich-Königlichem Lustgarten. –


Kultur / Unterhaltung in der DDR:

In unserem Fernsehprogramm fördert Heinz Quermann junge Talente in der Sendereihe „Herzklopfen kostenlos“. Es erscheint das DDR-Sandmännchen jetzt ansprechender gestaltet. Wunderschön anzusehen, mit guter Vor- und Abspannmusik und guten Inhalten – davon kann sich der komische Westsandmann eine dicke Scheibe abschneiden. Meister Nadelöhr und Professor Flimmerich erfreuen die Kinder ebenfalls; etwa so wie Flax und Krümel mit Struppi beim Maler Tadeusz Punkt. –

Als Anti–Unterhalter nimmt am 21. März der Genosse Karl Eduard von Schnitzler (im Volksmund bald Sudel-Ede genannt) die Polit-Sendung „Der schwarze Kanal“ auf, in der ausschließlich gegen die BRD kommentiert, polemisiert und gehetzt wird. 30 Jahre werden die mehr als 1.500 Sendefolgen anhalten – bald bis zum Ende der DDR, obwohl die Einschaltquoten sehr niedrig liegen. –


Unterhaltung in der BRD:

Am 23. März: Filmvorführung im ersten Autokino Deutschlands. –

Besuchsweise kehrt Marlene Dietrich (als US-Staatsbürgerin) aus den USA nach Deutschland, in die BRD, zurück. Sie erfährt sowohl Jubel, als auch Ablehnung (Eier- und Tomatenwürfe). 15 Jahre sind es seit ihrem vorigen Besuch her – damals, 1945 kam sie als singende Truppenbetreuerin der US-Streitkräfte in amerikanischer Uniform. Marlene Dietrich schämt sich für das Unwesen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und hält immer noch Distanz zum offiziellen Deutschland. Nach ihrem Tode im Jahr 1992 wird sie trotzdem in Berlin bestattet werden. –


Unterhaltung, weltweit:

Die Beatles aus dem britischen Liverpool treten auf der Bildfläche (in Hamburg) auf.

Ein Schiff wird kommen, Ich bin ein Mädchen von Piräus ... werden gesungen.

Bist du einsam heut Nacht, fragt Elvis Presley in englisch – bald darauf tut es Peter Alexander auf deutsch. Geisterreiter = Ghostrider erwärmen die Gemüter.


Sport:

Olympische Winterspiele in Squaw Valley mit einer gesamtdeutschen Mannschaft. Helmut Recknagel aus der DDR erringt beim Skispringen mit 85 m Weite eine Goldmedaille.

In Rom finden die Olympischen Sommerspiele statt. Eine gemeinsame deutsche Mannschaft trägt die Wettkämpfe aus. Noch verhinderte das Nationale Olympische Komitee (BRD), dass zwei einzelne deutsche Mannschaften auftreten. Es werden keine unterschiedlichen deutschen Nationalhymnen gespielt, sondern Beethovens „Ode an die Freude“, aus der Neunten Sinfonie. Die schwarz-rot-goldene Fahne zeigt auf dem roten Mittelstreifen die fünf olympischen Ringe. Die vier Kanuten (zwei Ost, zwei West) erringen die Goldmedaille. Armin Harry läuft den Olympiarekord über 100 m. Ingrid Krämer (zweimal Gold für das Kunstspringen vom Turm) und Gustav Adolf (Täve) Schur (Radrennen) werden als große Stars gefeiert. –


Bildung:

Zum September 1960 werden für die Schulen der DDR die Bezeichnungen der Zensurenskala verändert:


„Note“

1

2

3

4

5

bisher:

sehr gut

gut

genügend

mangelhaft

ungenügend

Neu:

sehr gut

gut

befriedigend

genügend

ungenügend


DDR. Alltag:

Im Zwickauer Steinkohlenbergbau ereignet sich am 22. Februar ein Methangas-Unglück. Wegen des ausbrechenden Feuers sterben 123 Bergleute. 49 können gerettet werden. –

Im Jahre 1960 wirbt die Post in der DDR vorbereitend bezüglich der Einführung von Hausbriefkästen (kompakte Postzustellanlagen), um eine beschleunigte Zustellung ermöglichen zu können. Das Personal reicht nicht mehr aus. Bisher mussten die Briefträger treppauf, treppab bis zu jeder Wohnungstür laufen. – Ähnliches wird später auch mit größeren Metallboxen als Paketzustellanlage eingeführt, die alle paar Straßenzüge zur Selbstbedienung aufgestellt werden. Diese verschwanden jedoch einige Jahre später wieder aus dem Straßenbild. –


BRD: Vom 1. März an wird im Anschluss an die Tagesschau des Fernsehens jetzt auch der Wetterbericht an einer Wetterkarte erläutert. –

Der US-Amerikanische Schauspieler Clark Gable (Vom Winde verweht) stirbt im Alter von 59 Jahren im November 1960 an einer Herzattacke. Er war ein Starkraucher. Seine fünfte Ehefrau erwartet gerade wieder ein Kind von ihm. –

Der Tanz namens „Twist“ kommt auf. –

Im Westen gibt es „Kofferradios“, die aber wesentlich kleiner sind, als ein Durchschnitts-Koffer. Bei uns in der DDR sieht man die kleinen „Schachtelradios“ namens „Sternchen“, vom VEB Sternradio Berlin. –

Im Jahre 1800 schätzte man die Erdbevölkerung auf 800 Millionen Menschen. Derzeit beträgt die Erdbevölkerung bereits über 3 Milliarden Menschen und ein weiteres Ansteigen ist vorauszusehen.


Naturgewalten:

Der 3.236 m, hohe Ätna auf Sizilien ist ausgebrochen. –

Tiefen-Temperatur: Im Forschungsstützpunkt Wostok in der Antarktis wurde im August der Kälterekord von - 88,3°C gemessen. –

In diesem Jahr wurde die Ursache des „Vredefort-Ringes nahe Johannesburg (Südafrika) erforscht. Der Kraterdurchmesser des „Ringes“ beträgt fast 220 km. Ergebnis: Die Ursache war ein Meteor-Einschlag vor etwa 250.000 Jahren. Der Meteor wird einen Durchmesser von 1,5 bis 2,0 km gehabt haben. Wahrscheinlich wurde beim Einschlag ein sehr starkes Erdbeben ausgelöst. –

Ebenfalls in diesem Jahr wurde erneut der „Barringer-Krater“ in Arizona untersucht, der von einem Meteor-Absturz vor etwa 25.000 Jahren herrühren soll. Dr. E. M. Shoemaker vom Geologischen Bundesamt Washington ermittelte einen Einschlagkessel von 1,2 km Durchmesser und einer Tiefe von 174 m. Am Kraterboden wurden viele Metallbrocken gefunden. Der Sandstein des Kraters ist glasartig geschmolzen. Hier tritt auch das Mineral „Coesit“ auf, das stets während der Meteoreinschlags gebildet wird. –

Dr. Shoemaker untersuchte auch das „Nördlinger Ries“, nördlich der Donau, zwischen Ulm und Ingolstadt. Die Senke des Ries’ teilt die Höhenzüge der schwäbischen Alb von denen der fränkischen Alb. Der Kessel hat einen Durchmesser von 25 km und besteht aus einem Feld von Granittrümmern aus den Zeiten Jura und Trias, die teilweise glasüberzogen sind. Auch hier wurde Coesit vorgefunden. Es wird geschätzt, dass hier ein Meteor-Einschlag vor 15–20 Millionen Jahren stattgefunden habe. –


Ein Unglück: 15. Mai 1960. DDR. Wegen einer falsch gestellten Weiche kollidieren gegen 20.20 Uhr die Züge Halle – Leipzig und Halberstadt – Bad Schandau miteinander. 54 Menschen verlieren ihr Leben, eine große Anzahl Reisender ist verletzt. –


Zeitgeschehen im Jahre 1961

Politik der DDR:

Die DDR setzt mit dem Schiff „Fritz Heckert“ ein zweites Urlauberschiff ein. Wegen wiederholten Abspringens von zuverlässigen, ausgesuchten Urlauber-Kadern während der Fahrt („auswärtige Republikflucht“), führen die Routen nun nicht mehr vorzugsweise nach Spanien oder durch das Mittelmeer in die Türkei, sondern eher nach Murmansk und auch in Richtung Kuba. Das ist wesentlich sicherer und noch viel schöner. –

Im Juli verkündet das zentrale Presseorgan der SED „Neues Deutschland“ (Zeitung), dass der Sozialismus in der DDR zwischen 1961 und 1980 aufgebaut werden soll. Dazu werden Teilziele und Arbeitsinhalte bekannt gegeben. –

Die Massenflucht der DDR-Bevölkerung nimmt unwahrscheinliche Ausmaße an. Das Land blutet aus, dem Staat laufen seit 1949 seine Bürger davon. Täglich fliehen etwa 1.000 Bürger in Richtung West-Berlin, Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde – das ist eine gefährliche Existenzbedrohung für die DDR. Zwischen Weihnachten und Neujahr wurden 2.800 Flüchtlinge gezählt, 5.000 dann zu Ostern. Allein im Juli über 30.400 Flüchtlinge. Auch viele ausgezeichnete Fachkräfte gehen. Eine innenpolitische Katastrophe droht. Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht mahnt: „Jeder, der die DDR verlässt, übt Verrat an der Sache des Friedens und unterstützt die Bundesrepublik, die einen Atomkrieg vorbereitet“. –

Wirtschaftliche Probleme treten verstärkt auf, die Versorgungslage für die Bevölkerung ist als kritisch anzusehen. Lebensmittel werden wieder rationiert. Bei den Engpässen der Versorgung mit Fleisch, Milch und Butter, spricht Walter Ulbricht beispielsweise: Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft – ja? – sollte man nicht zu viel Butter essen. Das fördert die Arteriosklerose“. –Widerstände ruft auch die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft hervor, die doch noch nicht abgeschlossen zu sein scheint, wie verkündet. – Die einseitige Art von Reisefreiheit, die nicht bestehende Meinungsfreiheit, das Fehlen freier geheimer Wahlen tragen zu dieser Situation bei. –

Die Regierung bittet Moskau um Duldung und Unterstützung, die DDR mit militärischer Macht abriegeln zu dürfen. Eine Einverleibung von Westberlin in das Gebiet der DDR droht. –

Im Juni fragt die westdeutsche Journalistin Frau Doherr in einer Pressekonferenz, ob es stimme, dass die DDR ihre Grenze am Brandenburger Tor einrichten wolle. Walter Ulbricht antwortet darauf. „ ... Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ („Niemand hat die Absicht“, das ist die bisherige Haltung der Sowjetunion) ansonsten aber gilt sein Spruch bekannter Maßen als dicke fette Lüge – denn am Sonntag den 13. August ist es dann soweit: „Aktion Rose“. Ost- und West-Berlin werden durch Zäune und eine circa 155 km lange Mauer getrennt, die vorerst hundert Jahre Bestand haben soll (aber 28 Jahre Bestand haben wird). „Die Volks-Abstimmung mit den (forteilenden) Füßen“ hat ein jähes Ende gefunden. Der stark belebte Potsdamer Platz in Berlin beispielsweise, wird ein völlig kahles Niemandsland zwischen Ost und West. West-Berlin ruft zum Boykott der S-Bahn auf, die zur DDR gehört. Auf Westberliner Gebiet entstehen Geister-Bahnhöfe. Westberliner Züge durchfahren den Ostteil Berlins ohne Halt. (Potsdamer Platz, Unter den Linden). Gleis A des Bahnhofs Friedrichstraße liegt im Westen, Gleis B im Osten, voneinander getrennt mit einer Stahlwand. Eine Verbindung besteht nur über „eine Schlaufe“ durch den „Tränenpalast“ (Glashalle zur Pass- und Personenkontrolle und zum Abschied). –

Auch die etwa 1.300 km lange innerdeutsche Grenze wird mit Mauern, Stacheldrahtzäunen, Wachtürmen, Selbstschussanlagen und Minenstreifen, befahrbaren Kontrollstreifen (für Autos aber auch Hunde-Laufstreifen) befestigt. Die BRD nennt diese Grenzbefestigung „Der eiserne Vorhang" / „die Mauer“ / „der Todesstreifen“, die DDR-Führung spricht vom „Antifaschistischen Schutzwall zur Sicherung der Staatsgrenze“, einer Grenze gegen „die Bonner Ultras“, einer Grenze, die sich allerdings in Wirklichkeit hauptsächlich gegen die Flucht der eigenen Bevölkerung richtet.

Die Westmächte protestieren, greifen aber nicht ein, um wegen der eingesperrten 17 Millionen Ostdeutschen nicht einen Dritten Weltkrieg zu riskieren. Mit der Grenzverstärkung ist der Strom der bisher geflüchteten 2,76 Millionen DDR-Bürger fast abrupt gestoppt. Nur noch 12.316 Personen gelingt die Flucht im Zeitraum der geschlossenen Grenze zwischen 1961 und 1989. (Es werden verschiedene Zahlen veröffentlicht). Dem weiteren Aufbau des Sozialismus und Kommunismus kann nun relativ ungestört nachgegangen werden. –

Mitglieder der FDJ erhalten den Auftrag, an Wohnungstüren zu horchen, welche Radio- und Fernsehsender genutzt werden und entsprechende Notizen darüber weiterzuleiten. Auch werden die Empfangsantennen auf ihre Stellung geprüft, mitunter gen Osten umgedreht oder auch abgebrochen. –

Kleine Kinder werden in der Schule gefragt, ob die Uhren in ihrem Fernsehapparat zu Hause Punkte oder Striche für die Stundenmarkierung zeigen. So wird von den Pädagogen „erforscht“, ob in den Familien ihrer Schüler Ost- oder Westnachrichten gehört / gesehen werden.

Nachdem die Nationalhymne der DDR „Auferstanden aus Ruinen … lass’ es dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland“, nur noch ohne Text, instrumental vortragen darf, spielt man auch solche Lieder nicht mehr wie: „Wir sind jung, die Welt ist offen“, obwohl, wenn der Urlaub lange genug währt, man doch durchaus Visum und Fahrkarte bis nach Wladiwostok beantragen könnte. –

In der DDR fehlen viele Arbeitskräfte – allein in Ostberlin 40.000 bis 50.000 Werktätige. –

Am 07. September wird Ost-Berlin (wegen des Viermächte-Abkommens bisher immer mit Sonderstatus) nun offiziell die Hauptstadt der DDR und gleichzeitig der 15. Bezirk der DDR. –

Ein Wohnungszuzug nach Berlin ist nicht möglich, es sei denn durch den Antrag eines wichtigen Beschäftigungsbetriebes, für eine wichtige Tätigkeit, dem eine Überprüfung der Person und eventuell eine Genehmigung folgt. Über diesen Betrieb läuft dann die Wohnraumzuweisung. –


Politik in Berlin-West:

19. August: Der US-Vizepräsident Lyndon B. Johnson und General Lucius D. Clay, der 1948 / 1949 die „Luftbrücke“ für Westberlin organisiert hatte, besuchen Westberlin und beide werden begeistert begrüßt. –

Bundestagswahl am 17. September. Die CDU / CSU erreichen 45,3%, die SPD 36,2 und die FDP erringt 12,8% der Wählerstimmen. Herr Lemmer ist Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen. Handel, Wirtschaft, Wohlstand gelten als Eckpfeiler. Franz Josef Strauß wird Vorsitzender der CSU. Zum ersten Mal gibt es in der BRD nun einen weiblichen Minister, eine Ministerin für das neu gegründete Gesundheitsministerium: Dr. Elisabeth Schwarzhaupt. Adenauer wird zum vierten Mal Bundeskanzler. – Die BRD erlässt ein Sozialhilfegesetz. Die Arbeitslosenquote beträgt 0,8 %. –


Politik im Ausland:

... oder doch noch in Deutschland: In der Berliner Friedrichstraße stehen sich am Check Point Charlie sowjetische und amerikanische Panzer bedrohlich gegenüber, weil den West-Alliierten der Zugang nach Ost-Berlin verweigert wurde. Eine starke Drohgebärde des innerhalb des „Kalten Krieges“, die zum Glück nicht zu einer weitergehenden militärischen Auseinandersetzung führt. –

Den Friedensnobelpreis erhält der Generalsekretär der UNO: der Schwede Dag Hammerskjöld. –


Der Bürgerrechtler und Präsident des Kongos: Patrice Lumumba wird ermordet. –

Zu den politischen Größen dieser Zeit gehören Molotow, Malenko, Nikita Sergejewitsch Chruschtschow (alle SU), Indira Gandhi (Indien), Habib Burgiba (Tunesischer Präsident), McNamara, Henry Kissinger, Generalstaatsanwalt Robert (Bobby) Kennedy, Außenminister Dean Rusk, (alle USA). De Gaulle (Frankreich), Kaiser Haile Selassi v. Äthiopien und andere. –

Auf Kuba schlägt der Versuch, Fidel Castro zu stürzen, fehl. –


Wissenschaft und Technik:

Und schon wieder ein neuer Schock für die USA. Nach dem Sputnik 1 (Okt. 1957) und dem Start der Hündin „Laika“, schießt die UdSSR am 12. April den ersten Menschen in einer ballistischen Flugbahn durch das Weltall, den Fliegerkosmonauten, Major Juri Alexejewitsch Gagarin, Sohn eines russischen Bauern aus dem Rayon Smolensk. Der Start erfolgte in Baikonur (Kasachstan). Nach 10 Minuten Flug erreicht er den Erdabstand für die Umlaufbahn. Er bleibt etwa 108 Minuten in der Schwerelosigkeit, umkreist dabei die Erde. Man sagt: er erlebte als erster Mensch den Blick auf den Heimatplaneten aus der Ferne. Die Landung erfolgt planmäßig in Südrussland nahe der Stadt Engels. –

Der Astronaut der NASA Alan B. Shepard hüpft im Mai dagegen nur einmal kurz zum Weltall. –

Westdeutschland erhält seinen ersten Atomstrom vom Versuchskraftwerk Kahl bei Aschaffenburg.


In Texas stieß bei einer Erdölbohrung der Bohrer in einer Tiefe von 500 m auf Eisen. Natürliche Vorkommen an Eisen sind hier jedoch erdgeologisch ausschließbar. Man hatte einen Meteoriten erbohrt, der 500 m tief in der Erdkruste steckt. Er besteht zu 82% aus Eisen, 10% Nickel und Spuren weiterer Elemente. –

Am 13. Oktober wird in der DDR zusätzlich zu den Lichtfarben der Verkehrsampeln -rot-gelb-grün- das „Ampelmännchen“ für Fußgänger eingeführt. –

Es kann erstmals eine Stereo-Rundfunk-Sendung empfangen werden, wenn man die technische Einrichtung schon zu Hause hat. –


Maschinenbau:

Die westdeutsche Autofirma Borgward, die seit 1954 die schöne „Isabella“ produziert hatte, geht in Konkurs. –

In der DDR wird die Produktion des Kleintransporters „Barkas B 1000“ aufgenommen. Ein formschönes Nutzfahrzeug mit dem Zweitakt-Motor des Pkw „Wartburg“. –


Wissenschaft und Technik, Medizin:

In Westdeutschland kommt am 01. Juni die Anti-Baby-Pille auf den Markt – nach ärztlicher Verschreibung und anfangs nur an verheiratete Frauen. Ein Aufschrei, besonders aus den Reihen der katholischen Kirche geht um die Welt. „Die Pille automatisiert die Liebe und versaut die Moral“ aber die große Mehrheit der Frauen ist damit einverstanden und außerdem zufrieden. –


Bauen in Potsdam:

Die kriegsbeschädigte Nikolaikirche am Alten Markt trägt ein Gerüst zur Aufnahme der neuen Kuppelbeplankung aus Kupferblech. –


Wirtschaft:

In der DDR werden die bis dahin noch selbständigen kleinen bäuerlichen Betriebe zum Teil mit staatlichem Druck (nach dem offiziell verkündeten Abschluss der Maßnahmen) weiterhin kollektiviert. Das Flüchten in den Westen ist ja nun nicht mehr möglich, so dass die Zusammenschlüsse unter Druck erfolgreicher verlaufen, sofern nicht verschiedenen Bauern den letzten Ausweg in der Selbsttötung suchen. –


Die Wartezeit für einen Personenkraftwagen vom Typ „Trabant“ beträgt jetzt etwa sieben Jahre. Die Wartezeiten werden künftig steigen. –

Mit Elektro-Loks bis zum Baikal. Am 10. Oktober ist die Elektrifizierung des 5.500 km langen Teilstücks der Transsibirischen Eisenbahn zwischen Moskau und dem Baikalsee beendet. Die Bahnlinie, die von Moskau bis Wladiwostok am Pazifik führt, ist die Hauptverkehrsader Sibiriens. –


Es beginnt das filmische Großvorhaben: „Die Kinder von Golzow“. Es wird begonnen, das Leben im Dorf Golzow an der Oder biographisch über einen sehr langen Zeitraum zu verfolgen ... und das wird über 1989 hinausgehen. –

Der Tanz „Twist“ hält in der BRD Einzug. Orthopäden warnen vor der ungewohnten Belastung der Knie, andere schimpfen den Tanz als „ein Sexualtrauma“. Die DDR-Führung gibt als sozialistisches Gegengewicht einen „anständigen Tanz“ in Auftrag. „Alles tanzt im Lipsi-Schritt“. Der verordnete Lipsi aus Leipzig kann sich aber nicht durchsetzen. Der Twist wird von der Jugend geliebt. –


Schule:

Mit diesem Herbst beginnend, bietet sich die Möglichkeit einer Berufsausbildung mit Abitur und dem Abitur mit Berufsausbildung. Die Schwerpunkte sind etwas unterschiedlich angelegt aber die Abschlüsse gelten als gleichwertig. –


Alltag:

Die Stalinallee in Ost-Berlin wird „geteilt“ und in Karl-Marx-Allee und Frankfurter Allee umbenannt, nachdem der frühere sowjetische Staatschef Josef W. Stalin wegen seiner Untaten bei der jetzigen Moskauer Regierung posthum in Ungnade gefallen ist. –

In der DDR besitzt derzeitig schon etwa jede vierte Familie einen Fernsehapparat. –

Vom 29. Juli an, erhalten berufstätige Frauen in der DDR pro Monat einen freien und bezahlten Haushaltstag.

Zu den weltbekannten Persönlichkeiten der Gegenwart werden gezählt:

Die Sängerin Maria Callas, Geliebte des griechischen Milliardärs Aristoteles Onassis (Ari),

Marilyn Monroe, Greta Garbo (Die Göttliche), Christiaan Banard, Herzchirurg in Südafrika, Frank Sinatra (Sänger) und viele andere.


Einige Informationen zum Jahre 1962

Politik in der DDR:

Am 24. Januar tritt das „Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht in Kraft“. –

Die Chruschtschow-Rede am 25. Februar weckt in der Bevölkerung der DDR die Forderungen nach Reformen. Zitat aus der Rede: „Stalin war ein Diktator“. Solche Äußerungen werden bereits als Zeichen eines beginnenden „Tauwetters“ gedeutet. – Auch die DDR beginnt in der UdSSR-Folge nun eine Ent-Stalinisierung. (Der Diktator Stalin war 1953! gestorben.) Forderungen nach weitergehender Demokratisierung werden hörbar. –

Wolfgang Harich und Walter Janka werden verhaftet, wegen angegebener Vorbereitung eines „revolutionären Umsturzes“. –

Auf die Initiative der Kirche werden in der DDR „Bausoldaten“ zugelassen, die den Dienst mit der Waffe aus „Glaubensgewissensgründen“ verweigern. Wer sich gegenüber der Wehrpflicht jedoch als Totalverweigerer bekennt, wandert auch jetzt ins Gefängnis. Zwei Jahre beträgt dafür die Normzeit – immerhin länger, als der Dienst mit dem Spaten. –

Am 22. April wird bekannt gegeben, dass sowjetische Fernmeldetechniker in Altglienicke (Berlin-Treptow) einen 450 m langen Spionagetunnel entdeckt hätten, von dem 11 Monate lang die sowjetische Telefonverbindung von Wünsdorf bei Zossen nach Moskau abgehört werden konnte. Der Tunnel sei vom amerikanischen / britischen Geheimdienst gegraben und ausgestattet worden.


Die DDR-Bürger Helmut Kulbeik und sein Freund, der 18-jährige Baufacharbeiter Peter Fechter versuchen die DDR-Grenzanlagen an der Berliner Zimmerstraße nahe dem Checkpoint Charlie zu überwinden. Kulbeik gelingt die Flucht, Fechter bleibt angeschossen im Stacheldraht hängen und verblutet dort. Erst nach einer Dreiviertelstunde wird er in ein Ostberliner Krankenhaus gebracht. Weder das anwesende amerikanische Militär, noch die West-Berliner Polizei konnte oder wollte helfend eingreifen. –

Im November erhält Premnitz das Stadtrecht. Die jüngste Stadt der DDR zählt 10.000 Einwohner.


Politik in der BRD:

Der Besuch des französischen Staatschefs Charles de Gaulle bildet den Beginn einer engeren französisch-westdeutschen Zusammenarbeit (Ein Freundschaftsvertrag wird vorbereitet). –

Hanns Peter Herz moderiert im RIAS die Sendung „Aus der Zone, für die Zone“, politische Kommentare zur Situation, mit der besonders die DDR-Bürger angesprochen werden sollen. –

Die BRD benötigt Arbeiter aus Italien. Gastarbeiter auf Zeit, die so lang ist wie der Bedarf, sind gefragt. Prompt singt Conny Froboes über das Heimweh von zwei kleinen Italienern. Die BRD-Bürger packt hingegen eher das Fernweh. Immer mehr BRD-Menschen verbringen ihren Urlaub südlich der Alpen – eben in Italien. Wir eher im schönen Thüringen soweit die FDGB-Ferienplätze reichen. –


Politik im Ausland:

Ein unbemanntes Aufklärungsflugzeug der USA vom Typ U 2 entdeckt im Oktober den Bau von Raketen-Hangars auf Kuba und dort auch erste Raketen sowjetischer Bauart. (Kuba überlebt durch Versorgung seitens der SU, daher ist das Stationieren nicht gut ausschlagbar). Das Stationieren sowjetischer Atomraketen auf Kuba führt zur Kuba-Krise, bei der die Welt erzittert. Steht die Erde am Rande des Dritten Weltkrieges – diesmal eines atomaren? Die USA befürchtet eine Invasion seitens der SU von Kuba aus. Daher veranlasst der Präsident der USA eine Seeblockade Kubas gegenüber den Militärschiffen der SU und droht mit einer Invasion Kubas. Das Militär der USA und das der Warschauer-Pakt-Staaten stehen in Alarmbereitschaft. Nach dieser gefährlichen Situation drehen letztendlich die mit Raketen bestückten Schiffe der UdSSR den Rückweg an. Der vorbereitete sowjetische Stützpunkt „vor der Haustür der USA“ wird aufgegeben. Der persönliche Kontakt zwischen Nikita Sergejewitsch Chruschtschow und John Fitzgerald Kennedy erbrachte diesen Ausweg aus der Krise. Kuba soll seinen Sozialismus alleine weiter aufbauen. Und die USA, das war eine Voraussetzung für den Abzug, nehmen ihre Raketen aus der Türkei, die dort schon seit 1959 und damit ebenfalls „vor der Haustür der Sowjetunion“ stationiert sind, auch zurück. Das ist noch einmal gut gegangen. –


Zwischen den unverbrüchlichen sozialistischen Bruderländern UdSSR und Volksrepublik China gibt es einen ernsten kriegerischen Konflikt um die Zugehörigkeit bestimmter Inseln. –

Hungersnot in China. Es werden die Opfer auf etwa 30 Millionen Menschen geschätzt. –

Nach sechsjährigen Kämpfen erzwingen die Algerier die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich. –


Ab 23. Oktober: Aufstand der Reformer in Ungarn für Freiheit und Demokratie. Ungarn tritt aus dem östlichen Militärbündnis „Warschauer Pakt“ aus. Ab 04. November schlägt die Armee der Sowjetunion erneut einen Aufstand nieder. Die Kämpfe enden am 11. November. Knapp 1.000 Menschen starben dabei. Tausende Verhaftungen und hunderte Hinrichtungen folgen.

Etwa 200.000 Ungarn fliehen in den Westen. –


BRD. Pharmazeutische Industrie:

Das „harmlose“ Schlafmittel „Contergan“ führt seit Herbst 1961 zu erheblichen vorgeburtlichen Missbildungen. Es ist rezeptfrei, „weil unschädlich, wie Zuckerplätzchen" und ist trotz inzwischen erkannter Schädigungen noch immer nicht vom Markt genommen. Etwa 10.000 Kinder werden geschädigt, davon etwa die Hälfte in Westdeutschland. Es wird lange dauern, bis den Betroffenen eine gewisse Art von Gerechtigkeit widerfährt. 1970 wird der Gerichtsprozess gegen den Hersteller, die „Pharmazeutische Chemie Grünenthal GmbH“ eingestellt, da der Hersteller bereit ist, für lebenslange Renten der Geschädigten aufzukommen. –


Im Mai hält Herr Dr. Dr. Heinz Dombrowski vom Institut für Physikalische Medizin in Bad Nauheim Aufsehen erregende Vorträge, so z. B. vor der New Yorker Akademie der Wissenschaften: In einer Salzprobe aus Irkutsk hatte er Mikrobenarten gefunden, bei denen die einzelnen Individuen 650 Millionen Jahre alt sind. Die Bakterienkulturen wurden 1.400 m tief unter der Erdoberfläche lebens- und keimfähig eingeschlossen in den festen Kristallkörpern des „Zechsteinmeeres“ aufgefunden. Sie gelten derzeit als älteste Lebewesen – also tatsächlich nicht die Bakterienart, sondern das einzelne Lebewesen. Auch in einem kanadischen Salzstock fanden sich in 1.000 m Tiefe Bakterien, die lebensfähig sind. Das Salz wurde nach seiner geologischen Schichtung auf ein Alter von 380 Mio. Jahren geschätzt. –

Forschungen von Jaques Yves Cousteau mit dem Forschungsschiff „Calypso“: Im Atlantik werden in Nord-Süd-Richtung verlaufende Unterwassergebirge, eine ungeheure unterseeische Gebirgskette mit aktiven Vulkanen geortet. Während der Aktion Précontinent I vom 14.–21. September wird das Unterwasserhaus „Diogène“ erfolgreich erprobt. –


Technik:

In der BRD erscheint die erste elektrische Schreibmaschine auf dem Markt. –

In Japan kommen Filzstifte in den Handel – in Deutschland erheblich später. –

In Zwickau beginnt die Produktion des Pkw „Trabant P 60“, als Nachfolger des „P 70“, des ersten nach dem Zweiten Weltkrieg gefertigten Fahrzeugs mit einer Kunststoffkarosserie. Die Kombi-Variante des „Trabant“ wird in Halle an der Saale gebaut. –


DDR-Wirtschaft:

Kartoffelkrise ab Juli. Zu den Ursachen zählen die verfehlte Landwirtschaftspolitik (Flucht der Bauern), eine unausgereifte Wirtschaftsplanung, zu kleine Anbauflächen im Verhältnis zum Bedarf der Bevölkerung, die Last der Kriegsreparationen, die allein die DDR für Gesamt-Deutschland an die Sowjetunion zu zahlen hat. Kartoffeln werden auf Bezugsschein ausgegeben. Funktionäre werden aufs Land geschickt wo sie „es richten“ sollen. Die Bevölkerung soll auf andere Gerichte ausweichen – warum denn auch so häufig Kartoffeln, Fleisch, Eier und Butter auf dem Tisch? – und das alles in diesem Jahr, da doch die DDR nach wissenschaftlicher Prognose jetzt gerade die BRD im Pro-Kopf-Angebot überholt. „Überholen ohne einzuholen“ ist die Devise der Regierung. –

Die VMI wird ins Leben gerufen – die Volkswirtschaftliche Masseninitiative. War es in den 1950-er Jahren das Ziel, mit dem Nationalen Aufbauwerk (NAW) Kriegsschäden zu beseitigen, so geht es jetzt um kostenlose freiwillige und gemeinnützige Arbeit zu Verschönerung von Grünanlagen, Spielplätzen, Aufräumaktionen und auch Hilfe beim staatlich organisierten Wohnungsbau. Wieder gibt es Einsatzkarten mit Klebemarken. Wer sich also eine eigene Wohnung wünscht, möge hier seine fleißige Beteiligung nachweisen.

Betriebe führen mit Arbeitern und Angestellten mit dem Organisieren „von oben“auch gemeinsame Arbeitseinsätze am freien Sonnabend durch. Dann werden sie nach sowjetischem Vorbild gern Subbotnik genannt. (Subbota = Samstag). –

Premnitz ist ein Standort der Chemiefaserproduktion. Zur Produktionspalette gehören: „DEDERON“, (DDRon) ist eine Modifikation des früher gesamtdeutschen „Perlon“ bzw. des amerikanischen „Nylon“. „Wolpryla“, (Wolfen-Premnitz-Polyacrylnitrit), „GRISUTEN“ eine Polyesterfaser. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg wurden dort „VISTRA“ und „TRAVIS“ (Kunstfaser+Seide) hergestellt. –

In der DDR werden Intershops eingerichtet. Das sind Läden für „exquisite Artikel“, für gehobene Ansprüche. Die Waren kann man nur mit Geld der BRD kaufen. Es soll somit „harte Währung“, die eventuell westdeutsche Bürger ihren Ost-Verwandten mitbrachte, abgeschöpft werden. Und die Gesellschaft spaltet sich ein wenig weiter. –


Bauen in Potsdam:

Im April wird das Reiterstandbild Friedrich des Großen im Hippodrom des Parks von Sanssouci aufgestellt. Dort wird es bis 1980 verweilen, um dann wieder nach Berlin „Unter den Linden“ zu „reisen“, dort platziert zu werden. –


Religion:

Papst Johannes XXIII. erkennt, dass es Zeit wird, die katholische Kirche reformieren. –


Musik:

In Ost-Berlin ist Hanns Eisler gestorben. –


Unterhaltung:

In diesem Jahr beginnen die Dreharbeiten zu der Filmserie James Bond – Agent 007 – mit dem Film „James Bond jagt Dr. No“. – Brigitte Bardot wird als Filmschauspielerin zum Sex-Idol. –

Im Fernsehen läuft die Krimi-Serie „Stahlnetz“ in Westdeutschland und „Blaulicht“ in der DDR. Aber es erscheinen auch regelmäßig der Fernsehkoch Kurt Drummer und der Fischkoch Kroboth aus Rostock, um Situationen der vorgenannten Beiträge wieder zu entspannen. –

In der Musik kam aus den USA der Twist als Tanzschrittfolge nach Deutschland. In der BRD zwei Filme: „Twist ..., dass die Röcke fliegen“ und „Außer Rand und Band mit Twist“ mit dem Schlager von Chubby Checker „Let's twist again“. –

Cornelia Froboess (in Wriezen im Oderland geboren aber in West-Berlin lebend) singt: „Zwei kleine Italiener.“ –

Am 23. Juli gibt es in der BRD für knapp zwei Stunden erstmals Fernsehen aus den USA – übertragen von dem Telekommunikations-Satelliten „Telestar“. –


Alltag:

05. August 62: Angebliche Selbsttötung von Marilyn Monroe (ihr bürgerlicher Name: Norma Jean). Nach den von zwei Ärzten verordneten aber miteinander nicht verträglichen Schlaf- und Beruhigungsmitteln stirbt sie des Nachts im Schlaf im Alter von nur 36 Jahren. –

Im West-Fernsehen läuft die Dauerserie „Familie Hesselbach“. –

In der BRD kommt der glasklare Klebeband „Tesa-Film“ auf. In der DDR gibt es vergleichbar „Prena-Band“ und später „Nadir-Band“. –

Am 26. Dezember durchbricht bei Dreilinden (Kleinmachnow, im Bezirk Potsdam, DDR) ein mit Panzerplatten geschützter Bus die DDR-Grenzanlagen nach West-Berlin. Die Flüchtlinge sind zwei Familien (acht Personen), denen diese Flucht gelingt. Sie kamen aus Sachsen. Das Fahrzeug wies acht Einschüsse auf. –

In diesem Jahr überwanden 5.761 Personen die Mauer von Ost nach West und 10.980 flohen über Drittländer aus der DDR. –


Mode:

Von England aus „geht der Minirock“ um die Welt. –


Sport:

Sportler des Jahres wird in der DDR der Skispringer Helmut Recknagel. –


Naturgewalten: / Unglücksfälle

Januar 1962: Ein recht strenger Winter. Im Januar bis - 21°C.

Schwere Stürme vor Island. Das Containerfrachtschiff „Irina“ sinkt, weitere Schiffe ebenso. Auch die Bohrinsel „Frieda“ muss in der Nordsee aufgegeben werden.

Bei einer schweren Sturmkatastrophe am 15., 16., und 17. Januar an der deutschen Nordseeküste sterben 395 Menschen und etwa 100.000 werden obdachlos.

Am 16. und 17. Februar muss Hamburg die große Sturmflut erleben. Der Orkan drückt die Wassermassen in die Elbmündung. Sturm mit 120 km/h. Am Abend des 16. Februar brechen in Hamburg die Deiche. Das Wasser steigt auf 5,70 m über Normalnull. Es ist die größte Flut, die seit 1825 auftrat ( 5,27 m). Ein Sechstel der Stadt Hamburg steht unter Wasser. 20.000 Menschen müssen evakuiert werden. Viele sterben. Besonders heftig betroffen ist der Stadtteil Hamburg-Wilhelmsburg. Allein hier werden 15.000 Personen von den Wassermassen eingeschlossen. Viele Nachkriegs-Behelfsheime, die in Laubenkolonien stehen, sind besonders stark betroffen. 6.000 Gebäude werden zerstört. Die Verwaltung war unvorbereitet und noch am ersten Tag ziemlich hilflos – wie gelähmt. Es bestand keine Katastrophenvorsorge, niemand hatte mit solch einem Ereignis gerechnet.

Helmut Schmidt, Innensenator in Hamburg, leitet die Katastropheneinsätze. Er bringt die Bundeswehr und den NATO-Oberbefehlshaber in Paris dazu, militärische Hilfe zu schicken (Hubschrauber, Lkw, Zelte, Decken). Am 26. Februar findet auf dem Hamburger Rathausplatz die Trauerfeier für die 318 Gestorbenen statt.


DDR, Bezirk Potsdam, 1. März 1962. Ein Eisenbahnzug des sowjetischen Militärs fährt von Jüterbog in Richtung Berlin. Auf dem Nachbargleis begegnet ihm nahe des Ortes Trebbin der D-Zug Berlin – Leipzig. Kurz vor dem Begegnen schwenkt eine versehentlich ungesicherte Panzerkanone herum und reißt drei Reisezugwagen der Länge nach auf. Der Panzer stürzt dabei vom Güterzug und der Militärzug entgleist. Insgesamt verlieren mindestens 80 Soldaten ihr Leben (die genaue Anzahl wird nie bekannt werden). Hunderte Verletzte sind zu beklagen. Fast ausschließlich sind Rotarmisten betroffen. Dieses große Unglück wird vor der DDR-Bevölkerung weitmöglich geheimgehalten. (Dazu gibt es auf dieser Internetseite in der Rubrik Lebensläufe des Inhaltsverzeichnisses eine ausführliche Darstellung. Bitte Lebenslauf janecke-chris 3 anklicken und dann 1962 aufsuchen.)


Einige Informationen aus dem Jahre 1963

Politik in der DDR:

Ab 01. Februar darf die Zeitung „Sportecho“ erscheinen. –

Auf dem VI. Parteitag der SED verkündet Walter Ulbricht, dass in der DDR nun das Zeitalter des Aufbaus des Sozialismus begonnen habe. Es wird das „NÖSPL“ eingeführt, das „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft". Angesichts der vielen Engpässe, ist darin die stärkere Mitgestaltung des Lebens, die stärkere Mitverantwortung der Arbeiter, Bauern, Ingenieure und Wissenschaftler gefragt. Es wird Verantwortung für die Planung und Leitung der Wirtschaft, Verantwortung für die Ergebnisse, versuchsweise auf breitere Schultern verteilt. – Die Starrheit der Planung von Art und Menge der Produktion nach dem Gutdünken der Partei (SED), der Regierung bleibt aber erhalten.


Mit Wirkung vom 14. Mai gibt es eine „Arbeiter- und Bauern-Inspektion“ (ABI) als gesellschaftliches Kontrollorgan, in der hauptsächlich Werktätige ehrenamtlich tätig sind, die auf die Einhaltung des geltenden Rechts achten und auch an der Bearbeitung von Eingaben und Beschwerden der Bürger mitwirken. –

Am 14. November wird Margot Honecker Ministerin für Volksbildung (bis 1989, bis zum Ende der DDR wird sie diesen Posten innehaben.) –

Ab 12. Dezember 1963 gibt es die erste Passierschein-Regelung, das bedeutet, nach dem Errichten des „Antifaschistischen Schutzwalls“ dürfen Westberliner Bürger nach Antrag / schriftlicher Einladung und Genehmigung durch die DDR-Behörden, über Weihnachten (19. Dezember bis 05. Januar) Verwandte im Ostteil Berlins besuchen, sofern nichts dagegen steht. Die Besucher haben sich sofort nach der Ankunft bei den Besuchten, in das jeweilige Hausbuch einzutragen. Das Hausbuch ist die stille Auskunftei – eine „schwarze Kladde“ in einem hellgrünen Heftklammer-Einband auf dem das Staatswappen der DDR prangt. Hat der DDR-Bürger aber in Ostberlin keine eigene Wohnung, so verbringt man die Besuchszeit beispielsweise gemeinsam auf der Straße, im Tierpark oder in einer Gaststätte, so man Plätze bekommt. 700.000 West-Berliner nutzen diese Zeit zu 1,2 Millionen Besuchen in DDR-Berlin. –


Politik in der BRD:

Kanzler Konrad Adenauer und sein französischer Amtskollege Charles de Gaulle unterzeichnen am 22. Januar den (Elysée-) Vertrag zur deutsch-französischen Zusammenarbeit. Die Vergangenheit zeigt: 5 Kriege in 200 Jahren gegeneinander – diese Erbfeindschaft soll für immer beendet sein. –


Vier Wochen nach seinem 46. Geburtstag, am 26. Juni 63, übt John Fitzgerald Kennedy bei einem achtstündigen Kurzbesuch Besuch (in West-Berlin) Solidarität mit den Bewohnern der geteilten Stadt. Er versichert der Bevölkerung, am Schöneberger Rathaus und an der Grenz-Mauer stehend, dass die USA, stärkend hinter ihnen steht. Zum Schluss seiner kurzen ergreifenden Rede fasst er (zwischen Konrad Adenauer und Willy Brandt stehend) seine Verbundenheit in die deutschen Worte: „Ich bin ein Berliner“, mit denen er einen stürmischen Jubel auslöste. Er gilt als Symbolfigur der Freiheit und wurde begeistert empfangen. –


Am 15. Oktober, nach 14 Jahren der Regierungszeit als Bundeskanzler, tritt Konrad Adenauer mit 87 Jahren, wenn wohl auch ungern, zurück. Sein Nachfolger, der bisherige Wirtschaftsminister Prof. Ludwig Erhard, ist 66 Jahre jung.


Verbrechen im Ausland:

Am 22. November wird der 35. USA-Präsident John Fitzgerald Kennedy, der sich für die Bürgerrechte einsetzte, für die Gleichberechtigung der Menschen afrikanischer und lateinamerikanischer Herkunft, hinterrücks ermordet. Mit seinem Engagement hatte er sich den Hass weißer, eher mäßig gebildeter Südstaatler zugezogen. Die Schüsse trafen ihn in Dallas (Texas) bei einer Autofahrt durch die Stadt. Der Täter zielte um 13.30 von weitem aus einem Fensterspalt der 5. Etage eines Schulbuchverlages. Wahrscheinlich lauerten dem Präsidenten mehrere potenzielle Täter auf. Zwei Schüsse trafen J. F. Kennedy, ein Schuss den Gouverneur von Texas John Conally. J. F. Kennedy wurde auf dem Arlington-National-Friedhof beerdigt. – Der Mord wurde nie wirklich eindeutig aufgeklärt. Nachfolge-Präsident wird Lyndon B. Johnson, der bisherige Vize-Präsident.

Am 24. November wurde der vermutliche Täter, Lee Harvey Oswald, als Gefangener zwischen zwei Polizisten gehend, erschossen, von Jack Ruby, der ebenfalls festgenommen wurde. Waren die Auftraggeber vielleicht dem CIA zuzurechnen, dem FBI, der Mafia oder sollten es wirklich nur ein, zwei verrückte Einzeltäter aus eigenem Interesse, ohne Auftraggeber gewesen sein? Kaum denkbar.


Wissenschaft / Raumfahrt:

16. Juni: Die erste Frau im Weltall ist die 26-jährige Sowjetbürgerin Walentina Nikolajewna Tereschkowa, „Walja“. Sie blieb fast einen ganzen Tag allein im Weltall und umrundete unsere Erde 49 mal. Wohlbehalten kam sie wieder zur Erde zurück. –

Die Forscher um Cousteau erproben erfolgreich Précontinent II, ein kleines „Unterwasserdorf“, errichtet im Roten Meer, an einem unterseeischen Abhang in 11 bis 28 m Tiefe. Zwischen Haien, anderen gefährlichen Fischen Seeschlangen, und vielen anderen Tieren wird hier der Film „Welt ohne Sonne“ gedreht. –


Wirtschaft:

In verschiedenen Branchen wird in der DDR ab September das 3-Schicht-System eingeführt. –

Beginn der Produktion des „Trabant P 601“ in Zwickau. –


Bautechnik:

Der Dresdener Zwinger, der, wie große Flächen der Stadt, am 13. Februar 1945 zerbombt wurde, ist jetzt im August wieder vollständig aufgebaut und erstrahlt neu in altem Glanz. Nebenan, die ehemalige Frauenkirche, bildet als Trümmerhaufen ein bleibendes Mahnmal: „Nie wieder Krieg – wie oft haben das „die kleinen Leute“ schon gesagt, gewünscht, gefordert. Die Großen jedoch ... .

Am 15. Oktober 63 wird in West-Berlin die neue Philharmonie, mit einem Dach, wie ein Zelt aussehend, eingeweiht. Der Architekt ist Hans Scharoun. Die Eröffnung geschieht mit einem festlichen Konzert, das Herbert v. Karajan dirigiert. (Die alte Philharmonie war 1944 zerbombt worden). –


Religion:

Es stirbt im Juni in Rom Papst Johannes XXIII. Als sein Nachfolger wird Papst Paul VI. gewählt, der das Amt bis zu seinem Tode im Jahre 1978 ausüben wird. –


Sport:

Die DDR spielt Eishockey gegen die BRD und gewinnt relativ 2 : 4. –

Im Mai gewinnt der DDR-Radrennfahrer Klaus Ampler die Friedensfahrt, das größte Amateurradrennen unserer Welt durch die Länder DDR, Polen, CSR. Er wird auch als Sportler des Jahres gekürt und ebenso Ingrid Krämer als Turmspringerin ins Wasserbecken. –

24. August: Eine neue Fußball-Bundesliga wird „geboren“. Die BRD konnte mit ihren Amateuren bei den Berufsfußballspielern der Nachbarländer nicht mehr mithalten. Nun hat die BRD ebenfalls eine Profimannschaft und die Erfolge geben dieser Entscheidung recht. 200,- D-Mark im Monat, zuzüglich einer Siegprämie darf ein Fußballspieler verdienen. –


Unterhaltung:

Am 01. April nimmt ein zweiter Fernsehkanal Westdeutschlands, das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) den Sendebetrieb auf. Und alles kann aus einem Kasten kommen. Nacheinander. –

Im April kommt der Film „Nackt unter Wölfen“ von Frank Beyer, nach dem Buch von Bruno Apitz in die DDR-Kinos. Er zeigt Ausschnitte aus dem Leben im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar (kommunistischer Widerstand), wenn auch die Darstellung nicht in allen Punkten als realitätsnah angesehen wird. – Von Rolf Hochhut gibt es „Der Stellvertreter“. –

Gitte Haenning, ein bildhübsches Mädchen aus Dänemark, singt mit 16 Jahren am 15. Juni in Baden-Baden: „Ich will 'nen Cowboy als Mann“. –

Das 11. Plenum des Zentralkomitee der SED zieht die erforderliche „Sicherheit und Ordnung“ stärker an: Bereits gedrehte DEFA-Filme wie „Die Sprengung“, „Die Spur der Steine“, mit Manfred Krug oder „Das Kaninchen bin ich“, mit Angelika Waller, werden trotz Drehbuchgenehmigung nach ihrer Fertigstellung verboten, kommen nicht in die Kinos. – Außer hohen Produktionskosten und Spesen – nichts gewesen.

Dagegen startet die Überraschungsserie „Mit dem Herzen dabei“, moderiert von Hans-Jürgen Ponesky (wenn auch recht hölzern) im Fernsehen der DDR. – Hier läuft im Sommer zurzeit der Mehrteiler „Das grüne Ungeheuer“ über die Machenschaften der United Fruit Compagny in Guatemala mit Kathi Szekeli und Jürgen Frohriep. –

In der DDR werden neue Tänze eingeführt: Der „Patschula“, der aus Ungarn kommt und der „Letkiss“, von einem finnisches Volkstanz abgeleitet. –

Das DDR-Fernsehen beginnt mit der Sendefolge „Prisma“ in denen Eingaben / Beschwerdegründe aus der Bevölkerung diskutiert und der Rechtsweg, sowie Ergebnisse aufgezeigt werden. Diese Sendereihe wird recht beliebt.


Alltag:

In der DDR haben wir jetzt den gefriergetrockneten Mocca „Presto“, portionsweise, also in Ein-Tassen-Menge in Aluminiumtütchen luftdicht abgefüllt im Handel.


Naturgewalten:

Vor der Küste Islands bricht ein Vulkan aus, der eine neue Insel erschafft, die „Surtsey“ genannt wird. – (Der „Surt“ ist ein Feuerriese in der nordischen Mythologie).

Im westdeutschen Erz-Bergbaugebiet in Lengede (Niedersachsen) sterben Bergleute. Es brach ein Klärteich in den Untergrund hinein und flutete die Grube „Mathilde“. 129 Arbeiter werden verschüttet. 79 können sich retten. Bis zum 01. November werden fast täglich weitere Bergleute gerettet und zwei Wochen nach dem Unglück nochmals 11 Überlebende – auf Initiative und hartnäckiges Drängen der Bergleute – „Das Wunder von Lengede“. –


Neues aus dem Jahre 1964

Politik in der DDR:

Ab 02. Januar gibt es pflichtgemäß neue Personalausweise (blaue Heftchen). Beim Abholen sind dafür 2,00 Mark zu entrichten. –

Am 12. Juni wird ein Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und der DDR unterzeichnet, in dem unter anderem die Existenz zweier deutscher souveräner Staaten erwähnt werden und West-Berlin als selbständige politische Einheit bezeichnet wird. –

Der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow wird von seinem „Brudergenossen“ und Nachfolger Leonid Breshnew entmachtet. –

Vom 16. Mai bis zum 18. Mai findet in Berlin das verkürzte und letzte Deutschlandtreffen der Jugend nach bisheriger Art statt. 500.000 Jugendliche verleben hier frohe, inhaltsreiche Tage. Bald wird aus den Sendungen dieses Treffens das Jugendstudio DT 64 erwachsen und später ein eigener Jugendsender. –


DDR - BRD: Nach dem 01. November 1964 dürfen (seit dem 13. August 1961) Rentner der DDR (aber eben nur diese), erstmals wieder auf zu prüfendem Antrag und dessen Genehmigung, Besuchsreisen in die BRD unternehmen, wenn dem nichts entgegensteht. Vielleicht gefällt das einem Teil der Rentengeldempfänger und sie bleiben für immer dort am Ziel ihrer Wünsche? Schön, eine Rentner-Belastung weniger für die DDR. In diesen Fällen brauchen wir dann nicht über einen Verrat an der Arbeiterklasse lamentieren.

Im September 64 gibt es einen Erlass des Staatsrates der DDR. Er hat die Amnestie für alle die kriminellen Elemente zum Inhalt, welche die DDR vor dem 13. August 1961 ohne Staatliche Erlaubnis zu verlassen versuchten. Für jene Strafgefangenen öffnen sich die Zuchthaustore. –

Der nunmehr als Regimekritiker bekannte Prof. Robert Havemann war bis 1963 Mitglied der Volkskammer. 1964 wurde er aus der SED, wegen geäußerter eigener Gedanken, ausgeschlossen und auch aus seiner Tätigkeit als Hochschul-Dozent entfernt. –

Das Chemiezentrum „Leuna – Buna“ wird ausgebaut. –

Im September wird für die Armee das Bausoldatentum eingeführt. Falls nachvollziehbar, also glaubhaft Gewissensgründe vorliegen, darf der Wehrpflichtige seinen (längeren) Wehrdienst ohne Waffe, mit dem Spaten leisten. –

Am 21. September stirbt Otto Grotewohl (SPD, SED), der frühere stellvertretende Präsident der DDR.

Am 03. Oktober wird in Berlin wieder ein Fluchttunnel fertig. Er führt von der Bernauer Straße (West), 145 m lang zur Strelitzer Straße (Ost). In zwei Nächten fliehen 57 Menschen durch diesen Tunnel. Bei der 3. Fluchtaktion am 05. Oktober kommen Grenzsoldaten der DDR dazu. Es kommt zum Schusswechsel. Der 21-jährige Unteroffizier der DDR Egon Schultz wird dabei getötet. Die DDR-Führung stellt das als feigen Mord eines Westagenten und Menschenhändlers dar, obwohl sie es anders und richtiger weiß. Erst nach 1989, nach Öffnung der Archive der Staatssicherheit der DDR tritt nun auch öffentlich zutage, dass die tödlichen Schüsse in der Dunkelheit von DDR-Soldaten abgegeben wurden. Dieser Vorfall war für den Egon und seine Angehörigen schlimm. Das gesamte Ereignis, die Gründe dafür im „kalten Krieg“, waren für das gesamte Volk fürchterlich traurig, genauso wie die erst spät erkannten Lügen der DDR-Regierung zum Vorgang. Zu Ehren von Schultz werden u. a., zumindest auf Zeit, Straßen nach ihm, dem Ermordeten, benannt und jene werden dann ab 1990 wieder ihre ursprünglichen Namen erhalten. –

Ab 02. Dezember gilt für in die DDR einreisende BRD-Besucher die Mindestumtauschpflicht von 5,00 DM im Kurs 1:1, d. h. sie bekommen für 5 West-Mark, 5 Ostmark, damit sie während des Besuches weder verhungern, noch gar den Händler in der DDR mit BRD-Geld entlohnen müssen. Dieser kleine Umtauschbetrag wird sich in der Zukunft erhöhen – aber rücktauschen (weil man ja nur eines Brötchens bedurfte oder sich dieses mitbrachte) kann man nichts. Die DDR-Regierung benötigt die Westwährung dringend.–


Politik in der BRD:

Willy Brandt, der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, wird ab 16. Februar als Nachfolger von Erich Ollenhauer, Vorsitzender der SPD. Brandt behält diese Aufgabe 23 Jahre lang, dann wird er den Vorsitz an Hans-Jochen Vogel abgeben. –

Die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik beträgt 0,6%. In Westdeutschland werden Gastarbeiter aus Süd- und Osteuropa angeworben, weil die Arbeitskräfte nicht ausreichen, vor allem auch für die Tätigkeiten, die nicht so sehr beliebt sind. Das große Defizit konnten nicht einmal die eingereisten DDR-Bürger ausgleichen. –


Politik im Ausland:

Nachdem Frankreich 1946 den Vietnamkrieg begann und eine Niederlage erlitt, übernehmen jetzt die USA diesen unsinnigen Krieg gegen das nordvietnamesische Volk, der bis 1975 andauern wird – bis auch die USA dieses zerstörte, vergiftete, verbrannte Land fluchtartig verlassen. Es ist ein Krieg ohne Kriegserklärung, ohne einen erkennbaren Grund, ist aber ein Krieg der unterschiedlichen Ideologien von Ost und West, der hier in diesem unschuldigen Land mit allen verfügbaren militärischen Mitteln ausgetragen wird. –

Papst Paul VI. richtet am 26. August einen eindringlichen Friedensappell an die Völker der Welt und erinnert dabei an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 50 Jahren und an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor 25 Jahren. –


Medizin:

In der Bundesrepublik wird das Schlafmittel „Contergan“, das so vielen Neugeborenen lebenslang unendliches Leid bringt, endlich vom Markt genommen. –


Wissenschaft / Raumfahrt:

Am 12. Oktober umkreisten zum ersten Mal mehrere Menschen in einem Raumschiff die Erde. Es sind die sowjetischen Kosmonauten Komarow, Feokisto und Jegorow an Bord der Raumkapsel Woschod 1.


Technik:

Das Fahrzeug- und Gerätewerk in Suhl bringt das verbesserte Moped (Kunstwort für Motor+Pedale), den Stadtroller „SR 2 E“ auf den Markt. Nach dem KR 50 (Kleinroller mit 50 ccm), wird ab 01. Februar wird auch das KR 51, die legendäre „Schwalbe“, in später immer weiter verbesserten Varianten hergestellt. –

Ab 01. März läuft in der DDR der „Trabant 601“ vom Band. Er bleibt in Form und wesentlicher Ausstattung als „Klassiker“ erhalten, weil die DDR-Führung aus Kostengründen Weiterentwicklungen untersagt. –

Das historische Baudenkmal (Weltkulturerbe) des Tempels von Abu Simel (Ägypten) wird in mehrjähriger Arbeit vor den Fluten des Nils gerettet. –

In Betrieb genommen werden kann die Verrazano-Hängebrücke in New York, mit größter Stützweite von 1.298 m. –


Wirtschaft:

In der BRD wird der Einmillionste Gastarbeiter begrüßt. Es ist ein 38-jähriger Zimmermann aus Portugal. Er bekommt Blumen, eine Urkunde und ein Moped. Sein Vordermann geht genauso wie sein „Nachkomme“, der nächst folgende Arbeiter, leider leer aus. Hoffentlich hatte sich niemand verzählt. –

Am 01. August werden in der DDR wieder neue Geldscheine ausgegeben. –

Am 01. Oktober werden in der DDR Postleitzahlen eingeführt. –


Bau:

In DDR-Berlin wird das neue Haus des Lehrers mit der Mosaikbauchbinde in der Nähe des Alexanderplatzes sowie auch die Kongresshalle fertig und übergeben. –

Am 15. Juli wird der Grundstein für das Neubaugebiet Halle-Neustadt gelegt, das im Volksmund bald („Ha-Neu“) genannt wird. Es hört sich so schön brüderlich mit Vietnam verbunden nach „Hanoi“ an. –

Am 03. Oktober ist das Staatsratsgebäude mit dem umgehängten „Liebknecht-Balkon“ des früheren Berliner Schlosses fertig gestellt. Diese Schaufassade zeigt zum Marx-Engels-Platz, einer riesengroßen kahlen Beton-Fläche, die nur zu Großdemonstrationen (1. Mai, 7. Oktober) belebt wird. Früher war das der Schlossplatz mit dem Schloss, dem Dom gegenüberliegend. –


Bildung:

Misere in der BRD: Kritisiert werden inhaltlich völlig veraltete Schulbücher. Ebenso wird die Klassenstärke in den Grundschulen von durchaus 40 Kindern im Raum, beanstandet.

Auch die Studienprogramme an Universitäten und Hochschulen seien rückständig, heißt es. –


Kultur/Unterhaltung:

Im Januar kommt der erste eigene Western in die West-Kinos: „Der Schatz im Silbersee“ nach Karl May. –

Ab Januar moderiert Hans-Joachim Kuhlenkampf die neue BRD-Fernseh-Sendereihe „Einer wird gewinnen“ (EWG). Diese erfolgreiche Reihe wird mit 82 Folgen bis November 1987 laufen. –

„Lausbubengeschichten“ mit Hansi Kraus, geht in der BRD in die Kinos. –


Am 26. Juni sind die „Beatles“ zum ersten Mal im BRD-Fernsehen zu sehen. Sie singen „Please, please me“ und „She loves you“. – (obschon Ulbricht das gar nicht mag). Die Liverpooler Musikgruppe „The Beatles“ hat damit Hochkonjunktur und die Gruppe „Rolling Stones“ formiert sich. – Die Sendung mit Heinz Quermann „Da lacht der Bär“ (deutsche Verständigung in Berlin) wird eingestellt. – Frank Schöbel singt „Party –Twist“ und „Mädchen, du bist schön“ (Er darf erstmals in den staatlich verpönten Bluejeans auf der Bühne stehen. Na, das ist doch 'was). –


Mode:

Der Minirock erobert sich die Damenwelt jüngerer Generation. Mitunter wird er als ein breiter Gürtel bezeichnet. –


Sport:

Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler werden am 26. Februar zum 2. Mal Weltmeister im Amateur-Eiskunstlauf. Anschließend wechseln sie zu den Profis. –

Der farbige Boxer Cassius Clay („Ich bin der Größte“) legt mit 22 Jahren seinen, wie er sagt: Den amerikanischen Sklavennamen ab, tritt zum Islam über und nennt sich künftig Muhammed Ali. Für den Vietnam-Krieg verweigert er den Kriegsdienst als Soldat. – Recht so. –

Am 24. August wird der 1. Fußballclub Köln Meister im Profi-Fußball. –


Religion:

Am 01. Juli predigt der farbige US-amerikanische Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King in der Berliner Sophienkirche. Das Haus bleibt nicht leer. –


Natur:

Im Mai wird bei uns im Raum Berlin die für diese Zeit eher ungewöhnliche Temperatur von etwa 30° C erreicht. Nach dem langjährigen Mittel wären etwa 17°C als normal anzusehen. –


Naturkatastrophen:

In diesem Jahr häuften sich die Erdbeben. Sie traten in Italien, in der UdSSR, in China, in der Türkei, in Indonesien, auf den Philippinen und in Guatemala auf. –


Einige „Gedächtnissplitter“ zum Jahr 1965

Politik in der DDR:

Beim Zentralkomitee (ZK) der SED wird zum Jahresbeginn ein „Institut für Meinungsforschung“ gebildet. (Oh, ha, da scheint ja der Dienstweg für die Aufträge an das Ministerium für Staatssicherheit ein besonders kurzer zu sein). –

Ägypten: Gamal abd el Nasser empfängt Walter Ulbricht. Das sozialistische Lager steht an der Seite der arabischen Staaten, während die USA und die BRD den Staat Israel unterstützen. Als Antwort auf diesen Besuch streicht die BRD die Wirtschaftshilfe für Ägypten. –


Politik in der BRD:

Bundestagsdebatte am 10. März zu Verjährung von Mord und Völkermord. Hintergrund dazu ist der Auschwitz-Prozess (der 20 Monate dauert) und Enthüllungen (aus der DDR) über Nazi-Karrieren von BRD-Politikern. Eine Entscheidung über Verjährungsfragen wird hinausgeschoben. Erst 1979 wird man die Verjährung gänzlich abschaffen. –

Eine Sitzung des bundesdeutschen Parlaments wird am 07. April nach West-Berlin einberufen (sonst stets nach Bonn). Die DDR-Führung empfindet das bei dem Sonderstatus von West-Berlin, als eine Provokation und stört die Sitzung mit Tiefflügen von Düsenflugzeugen, die über die Stadt hinweg donnern. Natürlich sind die Menschen auf den Straßen stark betroffen, mehr als die Politiker im schallgeschützten Kongress-Saal. Außerdem sperrt die DDR für einige Tage die Transitstrecken zwischen Berlin und der BRD zu Wasser und zu Lande. – Manchmal geht es im Kindergarten ähnlich zu – bloß harmloser und kostengünstiger.

Der Bundestag beschließt, keine Waffen mehr in Konfliktgebiete zu liefern. – Ach nee. Eine schöne Theorie über die beste Geldeinnahmequelle. –

Die BRD nimmt am 12. Mai diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Fünf arabische Staaten ziehen ihre Botschafter daraufhin aus der BRD ab. –


Politik im Ausland:

Portugal ist die letzte europäische Kolonialmacht. Deren Regierung unterstützt den Kampf gegen die Freiheitsbewegungen in Mocambique und Angola. –

Somalische und äthiopische Soldaten kämpfen gegeneinander. Dabei werden auch Waffen aus der BRD eingesetzt. Auch im Kongo tauchen bundesdeutsche Waffen auf. –

Der sinnlose Krieg der Amerikaner als Kriegsherren (nun nach den Franzosen) in Vietnam breitet sich immer weiter aus. Die vietnamesische Bevölkerung, die den Amerikanern noch nie etwas antat, hat unter den Bombenangriffen sehr zu leiden. Napalm, Gifte, Entlaubungsmittel „für bessere Sichtverhältnisse“ werden bei den Bombardements eingesetzt. Der Vietnam-Krieg wird noch Jahre dauern. –

Es entsteht zwischen Indien und Pakistan der Kaschmir-Konflikt. –

Der Führer der Schwarzen in den USA, der noch vor kurzem bei uns zu Besuch war: Dr. Martin Luther King, nannte er sich, wurde ermordet. Er hatte sich sehr für die Gleichberechtigung der farbigen Menschen eingesetzt. Und sein legendärer Traum von gleicher Würde der Menschen, von Freiheit und Gerechtigkeit, über den er am 28. August 1963 auf dem Marsch nach Washington zum amerikanischen Volk sprach, wird blutig begraben. –

In vielen Ländern Afrikas finden in den Jahren 1965–67 Militärputsche statt. –

Der britische Ministerpräsident Churchill stirbt. –

Der „Politische Erdball“ ist derzeitig in 144 Staaten gegliedert. –


Wissenschaft:

Der sowjetische Kosmonaut Leonow ist der erste Mensch frei im Weltraum. Er verlässt am

18. März das Raumschiff Woschod 2 für 10 Minuten – so auch später, am 03. Juni 65 der Astronaut E. H. White aus den USA. –

Die weiche Augenkontaktlinse wurde entwickelt. –

Der Forscher Jaques Cousteau und seine Mannen errichten im Ozean, in 100 m Tiefe, die Anlage Précontinent III auf dem Unterwasserfestlandsockel des Meeres. Einen Monat lang halten sich die Wissenschaftler ununterbrochen in dieser Meerestiefe auf.


Technik:

Erstmals in der Geschichte der Bundesbahn erreicht am 26. Juni 65 ein fahrplanmäßiger Schnellzug auf der Strecke von Augsburg nach München die Geschwindigkeit von 200 km/h. –

Im Pionierpark in der Ost-Berliner Wuhlheide (Karlshorst) wird eine Pioniereisenbahn in Betrieb genommen, die von Jugendlichen und Kindern betrieben wird. Sie dient der sinnvollen Freizeitgestaltung und hat vielen eine Berufsorientierung gegeben. Spurweite: 600 mm. Dampf- und Diesellokomotiven. Im Jahr 1979 wird die Betriebsführung an die Deutsche Reichsbahn (DR) übergeben. 1993 wird die gesamte Anlage restauriert (auch Bahnhöfe und Nebeneinrichtungen) sowie die Spurweite auf 700 mm vergrößert. Ihr Name ist dann: „Parkeisenbahn“ aber die Höchstgeschwindigkeit bleibt bei unter 200 km/h. –


Wirtschaft:

Februar 65: Zur diesjährigen Mustermesse in Leipzig sind auch eine Reihe von Unterhaltungskünstlern aus dem Westen eingeladen und angereist, so Mr. Acker Bilk, Wolfgang Sauer, Gus Backus. Auch Fips Fleischer und Gerti Möller sind anwesend. –

Am 18. Juli 1965 verlässt der erste 5-t-Lkw „W 50“ das Montageband in Ludwigsfelde. Er wird fast gleich aussehend, später als „L 60“ wohl bis 1990 produziert. Vorher wurden im IWL, Industriewerk Ludwigsfelde, die Motorroller „Pitty“, dann der „Wiesel“, später der „Berlin“ und etwas kurzzeitiger, der „Troll“, der Tourenroller sowie der Einrad-Anhänger „Campi“ gebaut. –

Im Herbst öffnet die Leipziger Messe zum 800-sten mal ihre „Pforten“. –


Bauen:

Im Sommer, am 05. August wird mit dem Bau des rund 360 m hohen Fernsehturmes in Ost-Berlin am Alexanderplatz begonnen. Vorerst liegt noch keine Baugenehmigung vor, noch ist die Finanzierung dieses gigantischen Baues unklar aber auf Befehl Walter Ulbrichts wird das Prestige-Objekt eben begonnen. Vier Jahre wird die Bauzeit betragen. –

Der Wiederaufbau des Leipziger Hauptbahnhofs ist abgeschlossen. Er ist der größte Kopfbahnhof Europas. –


Medizin:

In der DDR wird ein Schutzimpfungsprogramm gegen Virusgrippe mittels Nasalspray (Parfumzerstäuber / Glasbehälter mit Gummiballpumpe und Verbindungsschlauch) eingeführt. –

Der VEB Jenapharm bringt eine ganz besondere Tablette auf den Markt. Es ist nicht wie in der BRD die „Anti-Baby-Pille“, sondern die „Wunschkindpille“ der DDR. Auch diese ist streng verschreibungspflichtig. –


Musik / Unterhaltung:

Hans Rosenthal beginnt in West-Berlin die Sendereihe „Das klingende Sonntagsrätsel“. –

Der Musik-Film „Reise ins Ehebett“ mit Anna Prucnal, Eva-Maria Hagen, Günther Simon und Frank Schöbel als Schiffs-Stewart wird gedreht (und 1966 gezeigt). –

Der Liedertexter und Sänger Wolf Biermann erhält sein erstes Auftrittsverbot. –

Die Rolling Stones spielen in der West-Berliner Waldbühne. Die Anlage ist danach von fanatischen Anhängern zertrümmert, sieht aus wie ein Schlachtfeld. Der Begriff „Konzert“ weckt bei uns andere Vorstellungen. –

Der Schlager „Marmor, Stein und Eisen bricht“, gesungen von Drafi Deutscher ist aktuell. Deutschlehrer meinen aber, dass es Marmor, Stein und Eisen brechen heißen müsse. Richtig! Nur, wer konstruiert den Reim darauf? – Das blieb offen, den lieferten sie nicht mit.

Bei uns läuft der englische(?) Film Honeymoon 65. –


Kunst:

Der alte, erneuerte Dresdener Zwinger eröffnet im Oktober die „Galerie Neue Meister“ – viele alte Gemälde sind zu sehen. –


Naturereignis:

Ich kann es nicht mehr zeitlich genau einordnen – es wird zwischen 65 und 67 gewesen sein: Bei Vorketzin (Raum Potsdam) wurde in eine unterirdische Gesteinsformationen Erdgas eingespeichert. In der 350-Seelen-Gemeinde des Dorfes Knoblauch kam es daraufhin zu einer unterirdischen Gaseruption mit Erdbeben, so dass auch in den Häusern eine explosible bis lebensgefährdende Gaskonzentration zu verzeichnen war. Die Bewohner kamen in Notunterkünfte, später wurde für sie ein Neubaublock im Ort Ketzin errichtet. Das alte Dorf Knoblauch wurde abgerissen. (Pseudofracking lässt grüßen). –


Alltag:

Etwa 30 Jahre lang wird ein Trockenmilchprodukt das „Babysan“ vom VEB Dauermilchwerke Stendal hergestellt werden und ebenso lange schaut das gleiche Baby aus jedem Ladenregal der DDR freundlich die Käufer an. Auch von den Packungen Milasan und Citrosan blickt es auf uns. Das liebe Babygesicht auf der Verpackung gehört zu Susan Wanke – die aber kein Säugling blieb, sondern später Lehrerin wurde. –


Sport:

Sportler des Jahres gibt es eine ganze Menge. Es sind: Die Leichtathletin Hannelore Supp, der Leichtathlet Jürgen May und die DDR-National-Fußballmannschaft. –



- Vorläufiges Ende? -

Wie es weitergeht mit einigen Dingen in der Welt, kann man auf der gleichen Internetseite www.janecke.name lesen.

Dazu bitte im Inhaltsverzeichnis die Rubrik „Zeitgeschichte“ anklicken.

Was sich aber im Leben des Autors Chris ereignete,

dazu bitte im Inhaltsverzeichnis das Stichwort „Lebensläufe“ aufsuchen und darin

janecke-chris anklicken.