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Zur Ahnenliste „Janecke“ gehörend:


Friedrich Albert Gottlieb Sotscheck,

* Nowawes, 17. Januar 1838, † Liebätz, 19. Dezember 1878


und seine Ehefrau Auguste Zinnow ,

* Nowawes, 08. November 1835, † Berlin, 16. Juli 1914,

sowie deren Kinder.

Hierin weitere Familiennamen enthalten: Beelitz, Dittwaldt, Fuchs, Gericke, Hoyma, Kopecky, Lehmann Maxa, Perlewitz, Rohde, Schmädicke, Siegmund, Thorau und Willberg


Einige Notizen aus dem Alltag – über Freud und Leid.

Ein Beitrag zur Familienforschung und Heimatgeschichte.


Zusammengestellt: Chris Janecke, E-Mail: christoph@janecke.name


Bearbeitungsstand: Dezember 2017


Zu diesem Dokument gibt es einige Bilder – bitte hier klicken.



Stufen


Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.


Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

in andre Bindungen zu geben.


Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

An keinem wie an einer Heimat hängen,

der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.


Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,

nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise

mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.


Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

uns neuen Räumen jung entgegen senden,

des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.


Wohlan denn, Herz,

nimm Abschied und gesunde!


Hermann Hesse




Liebe Zeitreisende und Geschichtsinteressierte,

bei der oben Genannten Auguste, handelt es sich um eine Urgroßtante (Schwester der Urgroßmutter) des Autors. Wenn ihr Interesse habt, mehr darüber zu lesen was sich in dieser Zeit im Leben der Menschen abspielte, so seht bitte auch in die Dokumentationen „Colonie Nowawes“ sowie „Zeitgeschichte“ und „Zeitgenossen“. Zu dem hier vorliegenden Text bestehen auch verschiedene Bilder, Fotos und weitere Familien-Dokumente. Mehr noch als der Text, werden uns die Bilder daran erinnern, dass wir nun in einen längst vergangenen Zeitraum eintauchen, dass seit der Lebensspanne von Auguste und Gottlieb viel Wasser die Havel und die Nuthe hinabgeflossen ist.

Die Notizen zum Lebenslauf lesen sich leider nicht so flüssig, wie es in der Literatur wünschenswert wäre. Es handelt sich ja um eine Aufzählung von Familienereignissen (darunter oftmals Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle), die in der Häufung des Erwähnens zwar ermüdend wirken können, jedoch trotzdem im Interesse des Bewahrens aufgenommen wurden.

Also nur Mut und Spaß beim Lesen.



Ein Brief: Potsdam, im Advent 2010



Meine liebe Urgroßtante Auguste,


seit einiger Zeit befasse ich mich mit der Entwicklungsgeschichte von Nowawes* und dem Leben einiger Bewohner des Ortes – wohin das Leben sie auch geführt haben mag. Daher möchte ich gern einige Notizen auch über Dein Leben schreiben, welches vor 175 Jahren begann.

So habe ich angefangen Spuren Deines Lebens zu suchen und aufzunehmen, um zumindest die wenigen Anhaltspunkte die uns überliefert sind anzureichern, als Schrifttum und im Gedächtnis zu bewahren, will helfen, dieses vergangene Geschehen in die Zukunft zu tragen.

Am Beginn dieser kleinen Forschungsarbeit vor Jahresfrist, wusste ich überhaupt noch nichts über Dich, nichts davon, wie es Euch damals erging. Ich wage den Versuch, als ein heute älterer Mann, in Deine mögliche Denkweise einzutauchen und in Deine weibliche Gefühlswelt hinein zu schlüpfen, die Wandlungen Deines Seins in den damaligen Jahrzehnten mit Dir zu durchleben. Am Schluss wird festzustellen sein, dass vom täglichen Lebensinhalt nur recht wenig wiedergegeben werden konnte, viele Wissenslücken erkannt wurden, von denen auch bei der Weiterbearbeitung dieses Lebenslaufes, eine große Anzahl bestehen bleiben wird.

Es ist ja kein von Dir geführtes Tagebuch überliefert. So will ich zumindest versuchen, von dem, was mir die zahlreichen aufgespürten Quellen zumurmelten, ein dünnes „Jahrbuch“ zu gestalten. Die Notizen darüber, hättest Du diese in dem Dir eigenen Stil geformt, hätten anders ausgesehen. Wahrscheinlich hättest Du mitunter andere Worte genutzt und jene in andere Redewendungen gekleidet, denn viel Zeit ist ja inzwischen vergangen und manches im Sprachgebrauch hat sich verändert. So bleibt mein Versuch ein bruchstückhaftes Nachempfinden. Und doch – ich habe bei dieser Arbeit Dich und Deine Lieben näher kennen gelernt. Das war mir wichtig und ich bin froh und dankbar darüber.

Liebe 'Guste,

es grüßt Dich herzlich Dein Urgroßneffe Chris, der 110 Jahre nach Dir im selben Ort wie Du und in der gleichen kalten Jahreszeit geboren wurde. Auch alle Sotschecks lassen Dich grüßen.





* Hinweis für jüngere und auswärtige Leser:

Bei den früheren Nachbarorten „Nowawes“ und „Neuendorf“ handelt es sich um das heutige „Potsdam-Babelsberg“, Teil der Landeshauptstadt Potsdam des Landes Brandenburg.




Der Inhalt dieser Zusammenstellung:



Gliederungspunkte

Ein Vorspann

Einführung * Gedicht * Brief * Inhaltsverzeichnis

Der Hauptteil

Notizen zum Lebenslauf der Familie

Anlage 1

Angaben zur Literatur

Anlage 2

Bildnachweis zum Originaldokument

Anlage 3

Daten zur Chronik des Dörfchen Liebätz

Anlage 4

Liste der Küster und Lehrer zu Liebätz

Anlage 5

Verzeichnis der Wohnanschriften


So, nun geht es richtig los:


Noch ist an eine spätere Existenz der Auguste Zinnow, Hauptperson dieser Niederschrift, nicht zu denken. Aus diesem Grunde lassen wir vorerst ihre künftigen Eltern, das sind Friedrich Wilhelm Zinnow und seine junge Frau Friederike, eine geborene Rohde, erzählen:


Wir Zinnows stammen aus einem in der Mark alteingesessenen Geschlecht der Wenden, das hier schon seit Hunderten von Jahren, auch im Großraum Berlin und Potsdam, heimisch ist.



Die beiden Großeltern-Paare der Auguste Zinnow


07 / 76

Zinnow

07 / 77

Perlewitz

Name

07 / 78

Rohde/Rothe

07 / 79

Schmädicke

George Ludwig

Maria Dorothea

Vornamen

Johann Gerhart

Sophie Luise

Stolpe,*

03. Mai 1753

Stolpe* (errechnet) 1759

Geboren

(errechnet: Februar 1769)

Stolpe*,

08. Juni 1770

(Zinnow, Joachim Kossat, Schulze und Kirchenvorsteher zu Stolpe) und Sange, Maria Dorothea, geb. und gestorben in Stolpe)

(Perlewitz, Johann Christian, Pachtschäfer in Stolpe am Stölpchensee, zwischen Potsdam und Zehlendorf, unweit der neuen Kolonie Nowawes).

(deren Eltern)

(Rohde,

Johann Gerhart, Schulmeister in Stolpe)

(Schmädicke, Christian und Maria Dorothea, geborene Hönow)

Kossat, Altsitzer, Gerichtsschulze, Schul- und Kirchenvorsteher

Mutter und Hausfrau in Stolpe

Beruf / Stand

Ziegelstreicher in Stolpe, Tagelöhner

Mutter und Hausfrau

Stolpe, am 26. November 1778.

Maria Dorothea wird 10 Kinder gebären.

Getraut

zwischen 1790 und 1795. Im KB Stolpe nicht gefunden. Maria wird mindestens sechs Kinder gebären.

in Stolpe

Wohnung

in Stolpe


Stolpe,

10. Sept. 1835,

82 Jahre alt

Stolpe,

11. Oktober 1835,

76 Jahre alt


Gestorben

Stolpe,

25. Mai 1829,

60 Jahre alt

nach 1829


* Dieses frühere Dörfchen Stolpe ist heute ein Teil von Wannsee im äußersten Südwesten der Stadt Berlin.



Das 10. und damit letzte Kind - Wilhelm Zinnow - dieses vorgenannten Elternpaares Zinnow oo Perlewitz, wird der Vater unserer Auguste Zinnow, der Hauptperson dieses Dokuments sein. Im Folgenden, findet man also nähere Angaben über ihn und seine spätere Ehefrau – und auch über deren Kinder, zu denen auch Auguste, gehören wird.



Die Eltern unserer Auguste Zinnow:

Wilhelm Zinnow und Sophie Rohde




Vater: Generation 06 / Ahn 38.10



Mutter: Gen. 06 / Ahn 39





Name:



Zinnow



Rohde / auch Rothe



Vornamen:



Johann Friedrich Wilhelm


Marie Sophie Friederike

(auch Friederique)



Geboren:


in Stolpe, am 18. September 1803,

Taufe in Stolpe am 25. Sept. 1803.

Quelle: Kirchenbuch Stolpe S. 73, 1803, Nr. 4.


in Stolpe, am 18. September 1801.

Taufe in Stolpe am 20. Sept. 1801.

Quelle: KB Stolpe S. 70, 1801, Nr. 5.


Getraut:


In Stolpe, am 15. August 1829. Wilhelm ist 26 Jahre alt, Sophie ist 28 Jahre jung. „Sie war vorher nicht verehelicht gewesen“, damit wird umschrieben, was die hochnotpeinliche Befragung nach dem Jungfern(zu)stande während der Bestellung des Aufgebots bei Prediger Stöwe, erbrachte. Geheiratet wird in der Kirche zu Stolpe. Es ist eine Tochterkirche der Nikolaikirche zu Potsdam. Auch Prediger Stöwe kommt von Potsdam nach Stolpe zur Kirche angereist.

Quelle: KB Stolpe Nr. 4 / 1829, Seite 1.



Beruf / Stand:


Bei der Trauung noch „Zimmerlehrbursche“. Später, 1830, Zimmergesell, Kirchenältester, Eigentümer.



Hausfrau und spätere Mutter von sechs Kindern, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten.


Wohnungen


Das Paar zieht zwischen 1830 und 1833 von Stolpe nach Nowawes, Priesterstraße 60 (Parzelle 60) = spätere Priesterstraße 18 / 19 = spätere Karl-Liebknecht-Str. 23 / 24, das ist Grundstück und Haus, das die aus Böhmen eingewanderten Sotschecks 1763 vom König geschenkt erhielten und das inzwischen an die Sotscheck-Kinder vererbt wurde. Nun kauft das Ehepaar Zinnow / Rohde dieses Grundstück mit Haus, mit wahrscheinlich großer Unterstützung seitens der Brauteltern.

Ab 03. Dezember 1855 ist das Haus Priesterstraße 7 / 8. ihre Wohnstätte.

Die Parzelle 60 bleibt jedoch weiterhin in ihrem Eigentum!

Ab 08. September 1869: Priester 8. ) Anmerkung: Vielleicht stimmt auch

Ab 1873: Priesterstraße 7. ) Priesterstraße „7 / 8“, Es ist ein

Ab 1878: Priesterstraße 8. ) Doppelhaus mit 2 Hausnummern.



Gestorben:


In Nowawes, 18. Februar 1873 um

½ 5 Uhr morgens, 69 Jahre / 5 Monate alt, wegen „Magenverhärtung“. Hinterlässt Gattin und vier majorenne Kinder. Anzeige durch den Schwiegersohn, Zimmermann und Tischlermeister August Julius Otto Gericke. Beerdigt den 21. Februar 1873. KB Nowawes 1873, S. 22, Prediger Koller.



In Nowawes, Priesterstraße 8, am

18. Dezember 1878, vormittags um 2½ Uhr, an Leber- und Magenkrebs. 77 Jahre / 3 M. alt.

Testament vorhanden. Vermögen: 50 Mark. Sie hinterlässt 4 majorenne Kinder. Beerdigung am 21. Dezember 1878, Pfarrer Koller. Quellen: KB 1878, Nr. 207. Standesamt Reg. 207 / 1878, Stadtarchiv Film P 307, Bild 111.


1829

Wir, Wilhelm Zinnow und meine liebste Sophie Rohde, gehen aber in diesem 1829-er Jahr „nicht allein“ den Bund der Ehe ein, denn zum Beispiel heirateten am 11. Juni bereits Prinz Wilhelm von Hohenzollern und Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar, die hier im Park Babelsberg und auch in Berlin zu Hause sind – und noch viele andere Leute schritten auch zum Traualtar.

In Berlin wird das erste öffentliche Museum eingerichtet ein riesengroßes Haus, allein für eine Sammlung von Altertümern, die gar niemand mehr benötigt.

Die seit drei Jahren bestehende Blockhauskolonie „Alexandrowka“ in Potsdam, erhält eine kleine russisch-orthodoxe Kapelle. Zur Erbauung vor allem für die zwölf singenden russischen Soldaten und ihre Familien. Bei den Orthodoxen gibt es nur Stehplätze. Es soll deshalb nicht so sehr gemütlich sein. Dem Gotteswort zu lauschen, wird damit tatsächlich zum „Gottes-Dienst“, wie es ja auch bei uns heißt.


1830–1833

In dieser Zeit (seit 1797 und bis 1840) regiert uns, von Berlin und Potsdam aus, König Friedrich Wilhelm III., Sohn des verewigten Friedrich Wilhelm II.


Wir Zinnows beabsichtigen bald nach der Geburt unserer ersten Tochter, Friederike, 1830, umzuziehen. Es geht vom alten Dörfchen Stolpe in den nun etwa 80 Jahre jungen Ort Nowawes. Ich arbeite als Zimmermann. Für einen Zimmermann gibt es in Nowawes mehr zu tun, als wenn ich von Stolpe aus, täglich auf die Baustellen weit nach außerhalb muss. Wir nehmen die Gelegenheit, in Nowawes das Grundstück mit Kolonistenhaus auf der Parzelle 60 zu erwerben. Das liegt in der Priesterstraße. Es ist der Grund mit dem Gebäude darauf, welches 1752 errichtet wurde und als Erstbewohner die zugereiste böhmische Familie des Wenzel Sotscheck, sen. sah. Jene Familie bekam die Scholle und die Wohnstatt dann, etwa 1763, vom König Friedrich II. als Geschenk überschrieben, so wie es der König auch mit allen anderen rund 240 Häusern dieser Kolonie hielt.


Anmerkung: Der Oheim von Chris J., der Philologe Dr. Wernher Bauer meint, dass wohl beim Hauskauf die Unterstützung der Rohde-Eltern eine Rolle gespielt haben mag, weil Wilhelm Zinnow ja (bei der Hochzeit noch Lehrbursche) im Zimmerer-Gewerk nicht viel verdiente. Das ist nachvollziehbar. Aber, so meint Chris J., Wilhelms Schwiegervater, Gerhart Rhode, bekam bei seiner schweren körperlichen Arbeit, der eher einfachen Tätigkeit als Ziegelstreicher im Tagelohn, ebenfalls keine regelmäßig hohen Einkünfte. Nun gut. Eine Quelle zur Finanzierung des Kaufs von Grundstück und Haus hat es in jedem Falle gegeben.


Wir nehmen an, dass nach dem Ableben der Sotscheck-Einwanderer: Wenzel Sotscheck, sen. und seiner Frau N. Werema, ihre Kinder um 1770 dieses Haus auf Parzelle 60 erbten – das also sind:

- Wenzel Sotscheck, jun. oo mit Fuchs, sowie

- Maria Sotscheck oo Maxa, und

- Dorothea Sotscheck oo Hoyma, wie auch

- Joseph Sotscheck oo Lehmann, und

- Anna Sotscheck oo Kopecky.


Anmerkung von Chris J.: Wer von den Erben dann jedoch tatsächlich in diesem Hause wohnte, ist uns zur Zeit noch nicht bekannt, da die polizeilichen Melderegister nicht so weit zurückreichen, um diesen interessanten Zeitraum aufzuhellen.

Jetzt zumindest wohnen nach dem Hausverkauf seitens der Sotscheck-Erben, die Zinnows darin.


Im kleinen Schloss Charlottenhof zu Potsdam schreibt Alexander v. Humboldt sein Buch „Kosmos“ .

Am 3. September beginnt man in Potsdam, auf dem Markt, mit dem Neubau der Nikolaikirche. Die alte Kirche war am 3. September 1795 abgebrannt. Karl Friedrich Schinkel hat das neue Gebäude entworfen und wird auch die Oberaufsicht über die Bautätigkeit inne haben.


Hier folgt nun eine Übersicht über unsere lebenden Kinder:

Wir Zinnows haben vier lebende Kinder. Sophie hat jedoch sechs Kinder geboren. Die beiden nicht lebensfähigen haben wir aber trotzdem mit aufgeführt, weil es uns nicht möglich ist, das Gedenken an sie einfach auszulöschen.



Die Kinder, Generation 05, von

Wilhelm Zinnow und Sophie Rohde,



Familienname: Zinnow



Geburts- und Sterbeorte, sowie weitere Lebensdaten



1.







Charlotte Friederike


05 / 19.1


oo

9. April 1855


August Julius Gericke



Geboren in Stolpe, 24. September 1830, abends 5 Uhr. KB Stolpe 17 / 1830. Getauft in Stolpe am 17. Oktober 1830, durch Prediger Stöwe. Die Paten: 1. Büdner Carl Zinnow, 2. Einlieger Peter Lämke, 3. Frau Rohde. Friederike heiratet in Nowawes den in Klein Glienicke am 04. Februar 1832 geborenen, 23jährigen ledigen Zimmermann, August Julius Gericke. Die Trauung findet am 09. April 1855 statt.

Quelle: Friedrichskirche, KB Nr. 5 /1855.

Friederike stirbt bereits am 26. 02. 1883


Hierzu der interessante Lebenslauf Gericke oo Zinnow


X.



Ein Töchterchen



Geboren am 01. März 1833, todt geboren, am Morgen um 2 Uhr.

Kirchenbuch der Friedrichskirche 16 / 1833.



X.


Ein Söhnlein


Geboren am 27. Oktober 1834, todt geboren, des Morgens um 3 Uhr.

Kirchenbuch der Friedrichskirche 97 / 1834.



2.









Caroline Charlotte Louise Auguste,

genannt „Guste“

05 / 19.2


oo 17. Jan.

1865


Gottlieb Sotscheck



Geboren in Nowawes, 08. November 1835, morgens 10 Uhr, Priesterstraße Parzelle 60,

Taufe am 22. November 1835 durch Pfarrer Papin.

Quelle: KB 95 / 1835.

Paten: Jungfrau Charlotte Zinnow, Jungfrau Charlotte Baatz, Frau Rohde / Rothe, August Zinnow – alle diese Paten kommen aus Stolpe.

Am 17. Januar 1865, wird die Auguste den Friedrich Albert Gottlieb (den Jüngeren) Sotscheck heiraten, der als Küster und Dorfschullehrer in Liebätz tätig ist. Sie wird mit ihm sechs Kinder zeugen.





3.



Friedrich Wilhelm Albert

05 / 19.3


oo

9. Mai 1865


Johanne Sophie

Amalie

Thorau


Geboren in Nowawes, (nach KB) Priesterstraße Parzelle 60 (das spätere Melderegister aber weist aus: Priesterstraße 7), am 31. Dezember 1838, abends 9 Uhr,

Taufe: 06. Januar 1839, durch Pfarrer Papin. Paten: Junggeselle Haeseler, Junggeselle Schmedike aus Stolpe, Frau Franke. Taufregister der Friedrichskirche 137 /1838.

Das Kind wird später Webermeister, dann Handschuhmachergesell.

Er wird am 9. Mai 1865 Johanne Sophie Amalie Thorau in Stendal heiraten. Drei Kinder wird das Ehepaar haben, von denen zwei am Leben bleiben:

* 27. Juni 1866: Wilhelm Gustav, dieser stirbt am 02. 03. 1867.

Am 18. Januar 1868: Geburt des Carl Hermann Zinnow.

Alberts Leben, also des Vaters, wird am 20. März 1881 enden.

Seine Frau Sophie verkauft das Erbteil ihres Mannes, das Grundstück mit Haus, Priesterstraße 18 an die Evangelische Kirche. Sie zieht nach Kirchplatz 13, meldet sich später nach Berlin, Treptower Chaussee 12 ab.







4.


Alwine Pauline

05 / 19.4, (Ur-

Großmutter, von Chris Janecke)


oo

21. 08.1864


August Dittwaldt



Geboren in Nowawes, am 03. Oktober 1843, am Nachmittag, 4 Uhr, Taufe am 15. Oktober 1843 durch Pfarrer Steinmeyer. Paten: Maler Brendel, Webermeister Smethana, Jungfrau Louise Perlewitz. (Paten 1 und 2 aus Nowawes, 3 aus Stolpe). Taufregister 118 / 1843.


Ab 01. April 1859 geht Pauline nach Berlin „in Dienst“. Dort lernt sie den Zimmermann August Dittwaldt kennen. Pauline wird diesen in Nowawes, am 21. August 1864 heiraten, mit ihm nach Berlin ziehen und am

17. November 1913, mit 70 Jahren, in Zehlendorf bei Berlin sterben.

Ihr Ehemann, August Dittwaldt wird bereits vor seiner Ehefrau, am

06. Juni 1906, im Alter von 67 Jahren sterben.





1831

In Berlin, Potsdam und Umgebung grassiert die Cholera, eine schreckliche Seuche.

Zwischen Stolpe und Potsdam wird als ein Teil der „Neuen Königsstraße“ eine neue Brücke gebaut, welche die jetzige Holzbrücke ersetzen wird. Herr Schinkel hat sie konstruiert. In drei Jahren soll sie fertig sein.


1832

In Potsdam wird eine „Optische Telegraphenstation“ errichtet. Damit soll man über große Entfernungen den Inhalt von Schriftstücken übermitteln können. Also gemeint ist hier nicht etwa solch ein Werk wie Goethes „Faust“, sondern wichtige, kurze, bündige Eilnachrichten. Herr Geheimrat Johann Wolfgang von G. ist übrigens in hohem Alter am 23. März in Thüringen gestorben.


1833

Baubeginn einer schlichten Cottage im Park Babelsberg für das Prinzenpaar Wilhelm und Augusta. Natürlich obliegt wieder Karl Friedrich Schinkel (dem schon lange das „von“ zustehen würde, denn er ist adelig von Gesinnung und Können. Na, er wird darauf keinen Wert legen). Die Gestaltung der wilden Landschaft in eine Prinzliche Parkanlage, wird Herrn Peter Joseph Lenné übertragen. Es spricht sich später herum, das aus der Cottage wohl eher ein Schloss geworden ist.


Es beginnt für unsere junge Familie eine harte Zeit der Prüfung, denn es werden uns in den Jahren 1833 und 1834 zwei Kindlein tot geboren. Eine genaue Ursache wissen wir nicht zu nennen. aber schwere Zeiten sind es allemal.


1834

Die neue Schinkelsche Brücke bei Klein Glienicke ist fertig. 10 Bögen roter Hartbrandziegel. Etwa 46 Ruthen lang (173 Meter). Die vormalige morsche Holzbrücke hat ausgedient.

Es ist nicht zu fassen: Der etwas seltsame Fürst Pückler soll kürzlich in einer Kutsche durch Berlin gefahren sein, von vier weißen Hirschen gezogen.


1835

In diesem Jahr sterben meine Zinnow-Perlewitz-Eltern in Stolpe. Am 10. September Vater Ludwig Zinnow, der sein gesamtes Leben in Stolpe verbrachte und dort Kossät war, Gerichtsschulze, Schul- und Kirchenvorsteher und schon einen Monat später endet das Erdendasein der Mutter Maria Dorothea, geb. Perlewitz. Ihr fehlte wohl der Lebensmut, allein weiter durch die Zeit zu gehen. Eng waren sie einander verbunden. Beide hatten sich so darauf gefreut, nun das nächste, hoffentlich gesund lebende Enkelkind, das entweder den Namen August oder aber Auguste tragen soll, noch zu sehen. Ich (Sophie) bin bereits hochschwanger. Die Natur hat aber den Eltern die Zeit nicht gewährt.


Die Werke des Dichters Heinrich Heine, der zeitweilig in der Potsdamer Hohewegstraße*, gegenüber dem Schlosse, lebte und beim Dichten vielleicht der Königsfamilie kritisch auf den Mittagstisch sehen konnte, werden verboten. Ja eben, weil sie obrigkeitskritische Inhalte aufweisen. Heine selbst, wandert vorsichtshalber sehr schnell nach Frankreich aus.

(Die Hohewegstraße wird nach 1945 zu einem Teil der Friedrich-Ebert-Straße.)


8. November 1835: In der Nowaweser Priesterstraße (Parzelle) 60 wird unser nächstes Kind, ein gesundes, munteres Mädchen geboren. Nun verließ sie nach ihrer Zeit des Wachsens und Reifens die schützende warme, weiche Umhüllung des mütterlichen Schoßes und „erblickt das Licht der Welt“, wie wir Großen sagen. In der Taufe erhält sie die Vornamen Caroline Charlotte Louise Auguste.

(Anmerkung: Sie wird zur Hauptperson dieses Teils unserer Familien-Geschichte erkoren). Inzwischen ist es doch tatsächlich bereits November geworden, eine kalte und trüb aussehende Welt (der August hätte ihr wohl tatsächlich weitaus besser gefallen).

Niemand von uns kann es ahnen, nur die Zukunft weiß, dass hier in dieser Stube, in der Augustes Wiege steht, in rund 175 Jahren, am 04. Mai 1999, ein kleines Weberei-Museum eingerichtet sein wird. Ein Ort an dem wir der Familien Sotscheck, Zinnow und anderen gedenken können.


1837

Nahe bei Stolpe, auf dem Berg über der Havel, wird neben dem Blockhaus des russischen Zarenpaares, die Kirche Nikolsko(j)e erbaut. Ein Hoch auf Zar Nikolaus und unsere Berlin-Potsdamer Prinzessin Charlotte, die jetzt Zarin aller Russen in jenem riesigen Reich ist.

Die neu errichtete Nikolaikirche (vorerst mit Satteldach!) am Potsdamer Markt wird geweiht. Zu größter Enttäuschung, bei manchem war auch Entrüstung zu sehen, stellte man fest, dass die Stimme des Predigers in der Luft verzerrt wird, sich Worte und und auch die Töne der Musik im Raume verlieren. Die Weihe-Predigt von Bischof Dr. Neander ist aber auch schriftlich niedergelegt. Das zum Trost.

Schon wieder wütet eine Cholera-Krankheitswelle im Potsdamer Raum.


1838

Am 31. December kommt ein weiteres Kind unserer Familie zur Welt. Friedrich Wilhelm Albert Zinnow. Pastor Papin tauft ihn am 6. Januar 1839.


1843

Unsere nächste Tochter wird, natürlich wieder in der Priesterstraße, Parzelle 60, am 03. Oktober 1843, am Nachmittag gegen 4 Uhr geboren. In der Taufe am 15. Oktober 1843 durch Pastor Steinmeyer, erhält sie die Namen: Alwine Pauline. (Urgroßmutter, Ahnin 05 / 19.4 von C. Janecke). Die Taufpaten sind: 1. Maler Brendel, 2. Webermeister Smetana, 3. Frau Louise Perlewitz.


1844

Vor unserem Haus ist noch wie immer die Priesterstraße aber hinten hat sich allerlei verändert. Bisher grenzte unser Garten an das unbebaute Gartenland am Kirchplatz.

Schon 1842 hatte der Gastwirt Salomon Gartenland schräg hinter uns, ein Teil der Parzelle 54, gekauft und darauf ein Haus 7-achsiges Langhaus bauen lassen (das spätere Haus Kirchplatz 17) und jetzt, 1844, lässt der Webermeister Friedrich August Baatz (Baatzens gehören ja zu unseren Paten der Kindstaufen) ein ebenfalls 7-achsiges Haus (spätere Kirchplatz Nr. 16) errichten, das unmittelbar an unseren Garten grenzt. Damit ist uns der Blick durch die Gärten verkürzt, der zur Friedrichskirche verriegelt aber den Turm sehen wir natürlich noch.


1848

Wir leben im Revolutionsjahr. 13 Jahre alt ist nun unsere Zweite. Wir rufen sie gerne 'Guste. Das bürgerte sich ein – so ist sie eben als „Zinn's Guste“ in aller Munde. Aber bitte nicht nachlässig mit „J“ statt mit dem „G“ zu sprechen. Das hören wir nicht gern.

Im schönen Monat Mai tritt Pastor Stobwasser die Nachfolge unseres bisherigen Pastors Steinmeyer an. Auch er wohnt in der Priesterstraße, Parzelle 66, benachbart dem Bendaschen Haus, sechs Grundstücke rechts von uns.

Gleich im Jahr seines Dienstantritts führt er in Nowawes die Kinderkirche (wieder) ein, eine „religiöse Sonntagsschule“, um den Kleinen die biblischem Geschichten und Kirchenlieder in einer ihrem Alter gemäßen Weise nahe zu bringen. Er will sich auch dafür einsetzen, den Hunger und das Elend der Weber zu mildern. Überhaupt scheint er sehr gewissenhaft zu sein.


1849

Das Ehepaar Stobwasser ist inzwischen zu einer richtigen Familie geworden, denn am

01. September ist Elfriede S. geboren worden. In der Taufe am Ende des Monats hat sie noch drei Namen mehr erhalten, die wohl aber nicht so oft benutzt werden. Eine ganze Anzahl von Paten saßen in der ersten Bankreihe, fast alles fremde Leute. Selbst die Prinzessin ist Patin. Mann Gottes!


1850

In diesem Jahr wird unsere 'Guste zu Michaelis bei Pastor Stobwasser konfirmiert und sie beendet die Schule.


Wir Eltern geben die Aufgabe des künftigen Berichtens nun an Auguste weiter. Sie ist inzwischen groß genug, um über ihr eignes Erleben zu plaudern.

––––

Nun also erzähle ich, die 'Guste, euch, was mir im täglichen Leben so begegnet.

Nach meiner feierlichen Einsegnung und dem Schulende gehe ich „in Dienst“. Als „Mädchen“ bei der Pastorenfamilie des Herrn Pfarrer Stobwasser. Adolph heißt er, habe ich heraus gehört. Das bedeutet für mich auch einen Abschied von den Eltern, denn ich lebe mit in der Pastorenwohnung in Kost und Logis, um stets verfügbar zu sein. So ist es bei anderen Dienstmädchen auch usus. Doch ich bin als Stütze der Hausfrau nicht alleine dort, denn es gibt sehr viel zu tun. Als weiteres Dienstmädchen ist dort schon Maria Pasewald, die vier Jahre älter ist, als ich. Aber am Sonntagnachmittag ist oft frei, für eine von uns und in der Woche, zwischendurch beim Einkauf – na ja, die Eltern und Geschwister wohnen fast gleich nebenan – ein Katzensprung. Der Pastor ist 32 Jahre alt, seine Frau 26 Jahre. Eine ganz zarte, mit blasser, durchsichtiger Haut. Die Pastorenfrau Betty hat im Vorjahr eine Tochter „Elfriede“ geboren. Ein niedliches Mädelchen. Aber das wisst ihr ja schon.

Die Bezeichnung für meine Arbeitsstellung „Dienstmädchen“ finde ich, geht ja noch. Auf dem Lande heißt das „Magd“ oder für die Mannsbilder „Knecht“ und allgemein in der Amtssprache aber „Gesinde“. Es gibt aber auch böse Verunglimpfungen, wenn manche Leute an das Wort hinten ein „l“ anhängen.

Ihr könnt euch ja vorstellen, was es dort alles zu tun gibt: Heizen, vorher die Öfen und den Herd entaschen, die Nachtgeschirre pflegen, die Wohnung reinigen, Wasser von der Straßenplumpe holen, Nährmittel einkaufen, sich um die Wäsche kümmern (waschen und plätten, nähendes Reparieren, mit allem was so dazu gehört), eine Stütze bei der Zubereitung der Mahlzeiten sein, den Abwasch des Geschirrs erledigen, die Betten aufschütteln, im Garten scharwerken, dort im Herbst die Walnüsse sammeln und später knacken ... und so fort, den lieben langen Tag. So ist nun einmal das Leben.


1852

Nebenan in Neuendorf wird auf dem Anger eine neue Kirche aus gelben Hartbrandziegeln errichtet. Sie hat einen achteckigen Grundriss – ein Octogon, wie man wohl so neunmalklug sagt. Auf dem Dach ein großes Kreuz, rund 11,8 x 5,4 Fuß (H: 3,73 x 1,70 m). Auch eine Kugel fehlt nicht, die wichtige Notizen unserer Zeit, in einer Hülse verpackt, für die Nachgeborenen aufbewahrt. Ob sich in vielleicht 100 oder gar 200 Jahren jemand dafür interessiert wie wir heute leben und welche Sorgen in unserer Zeit bestehen? Die Skizzen des Entwurfs für die Kirche hat der König (Friedrich Wilhelm IV) eigenhändig gezeichnet. Er wäre doch auch lieber ein Architekt geworden, wie der Oberbaumeister Carl Friedrich Schinkel, als das ganze Land regieren zu müssen.


Frau Stobwasser hat am 10. November wieder ein Kind auf die Welt gebracht. Nun weiß ich, wie sich so etwas anhört und vielleicht steht mir eine solche Quälerei auch noch einmal bevor – oder besser: bloß nicht. Aufgeschrieben wurde: Geboren um ½ 2 Uhr am Mittag. Gedauert hat es in Wirklichkeit aber viele Stunden. Und die Erklärung für diese Schmerzen ... wegen des Apfelpflückens von Adam und Eva vom verbotenen Baum vor etlichen Jahren? – ich weiß ja nicht –. Na, es soll sich ja um ein Gedanken-Gleichnis handeln.

Diesmal ist es ein Junge. Erhielt das Mädchen vor drei Jahren die Namen Elfriede Julia Martha Maria, so bekommt der jetzige kleine Schreihals der Familie, in der Taufe am 14. Dezember die Namen Heinrich August Nathanaäl Martin. Getauft hat übrigens auch ihn sein Vater, was ja als selten anzusehen ist. Unter den vielen Taufpaten ist auch Fräulein Friedel, die in der Lindenstraße schon das Rettungsheim für verwahrloste Jungen gegründet hatte und sich nun auch noch um ihn, den Pastorensohn kümmern will. Sie alle, es sind 17(!) Taufgevatterinnen und -gevattern wollen den kleinen Martin auf seinem Lebensweg helfend begleiten. Wenn ihm das man nicht ein bisschen viel wird – .


Wohnten wir, also unsere Zinnow-Familie, bisher in der Priesterstraße auf Parzelle 60, werden die Grundstücke und Häuser nun straßenweise nummeriert. Unser Langhaus, das Kolonistenhaus mit den Anbauten rechts und links, ist dabei jetzt sogar „geteilt“ worden und bekommt rechts die Hausnummer Priesterstraße 18, erhält links die Nummer 19.

Der kleine Martin Stobwasser wächst mit dieser neuen Nummerierung also nicht mehr weiterhin auf dem Grundstück Nowawes (Parzelle) 66 auf, sondern in der Priesterstraße 11 – und für diese Änderung, diesen neumodischen Kram, der den gesamten Ort betrifft, brauchte zum Glück niemand umziehen.



1853

Es sind langanhaltend schwere Zeiten. Besonders bemüht um die Linderung des Nowaweser Weberelends sind der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Herr Staatsminister v. Flottwell, unser Ortsvorsteher von Nowawes, Johann Friedrich Josua, der Regierungsrat August Wichgraf und nicht zuletzt, der sozial engagierte Ortspfarrer Adolph Stobwasser, mein Dienstherr. Mit ihrer „kirchlichen Armenpflege“ können sie vielerlei Not mit konkreten Hilfsmaßnahmen lindern.

Leider ist Herr Josua, die große Stütze für den Pastor, am 22. April, 61-jährig, gestorben. Er hatte oft mit dem Pastor und auch mit Fabrikant Sotscheck zusammen gesessen und sie haben sich die Köpfe darüber heiß geredet, was man noch tun könnte, um die Verdienstbedingungen der Weber etwas zu befördern. Nun haben sie einen aufrechten Kämpfer weniger.

Den Vater Sotscheck, der neben seiner Tätigkeit der Weberei, auch in der Armenpflege sowie im Schul- und Kirchenvorstand mitarbeitet, kenne ich eigentlich schon immer. Meine Eltern haben ja im Stall die beiden gut milchenden Kühe Liese und Bertha stehen und Mutter verdient mit dem Milchverkauf noch einige Pfennige hinzu. So gehören unter etlichen Familien auch die Sotschecks zu unseren Abnehmern und Bekannten. Sie wohnen am Kirchplatz 22 (auf der bisherigen Parzelle 140).


1854

Die Polizei stellt über die Nowaweser Einwohner ein Verzeichnis her, ein Census wird erhoben, so sagt man, in dem die Anschrift jeder Familie zu finden ist. Auch was der Familienvater arbeitet, ist aufgelistet, wie die Vermögensverhältnisse beschaffen sind oder gar, welche Schulden bestehen. Das ist eigentlich eine geheime Schrift, aber das so etwas im Schwange ist, sickert dann doch durch. Später erfahren wir tatsächlich über den Vermerk, dass unsere Familie mit Haus und Boden einen Grundbesitz von 2.000 Thalern habe aber auch mit Schulden in Höhe von 1.000 Thlrn. belastet sei. So ist die Lage. Sehr bescheiden. Woher noch Geld nehmen, diese Frage quält wohl anhaltend viele Familienhäupter und noch mehr Mägen in Nowawes.


In jener Schrift ist auch zu meinem Eltern- und Geburtshaus vermerkt: Im Haus auf der Parzelle 60, seit 1852 Priesterstraße 18 und 19, wohnen um 1854: Haus-Nr. 18: Webermeister Kümmel, Eigentümer und Nr. 19 Webermeister Lange, Eigentümer.

(Anmerkung Chris J.: Diese Notiz enthält noch einen Klärungsbedarf. „Eigentümer“ bedeutet nicht zwangsläufig Eigentümer dieser Grundstücke; die Bezeichnung dient mitunter auch als „Berufsbezeichnung“.


1855

Meine große Schwester Friederike heiratet am 09. April den in Klein Glienicke am 04. Februar 1832 geborenen, nun 23-jährige ledigen Zimmermann August Julius Otto Gericke. Gelernt hatte er das Handwerk (das Zimmerhandwerk wie unser guter Vater), 1846 nach seiner Konfirmation beginnend, bei Meister Wilhelm Kneib in Potsdam, Luisenplatz 2 (E). Jener Lehrherr ist Zimmermeister, Gewerke-Ältester, Stadtverordneter, Mitglied der Prüfungskommission für Bauhandwerker und Bau-Deputierter. Nach dem Ende der Lehrzeit und verschiedenen Arbeitsplätzen, begann mein „neuer“ Schwager August im vorigen Jahr in Potsdam bei Zimmermeister C. Dosse, Leipziger Straße 3 (E) als Geselle zu arbeiten. Jener Arbeitgeber ist Raths-Zimmermeister, Armen-Deputirter und Gerichts-Taxator. Besucher sind ihm bis 8 ½ Uhr morgens willkommen, sagt er. Dieser Zimmereibetrieb ist u. a. auch am Bau des königlichen Flatowturms im Babelsberger Schlosspark beteiligt.

Ach ja, Augusts Vater ist Johann Friedrich (Wilhelm) G(u)ericke, ein Fischermeister zu Klein Glienicke. Augusts Mutter heißt Marie Louise, sie ist eine geborene Paul. Die drei älteren Brüder des August arbeiten im väterlichen Fischereibetrieb in der Griebnitzstraße mit. Der Vater ist Alleinpächter des Griebnitzsees und muss auch die Königlichen Tiere der Pfaueninsel mit Futterfischen versorgen.

Weiter mit meinen Notizen zur bevorstehenden Hochzeit: Friederike ist 24 Jahre alt und wird im Kirchenbuch ebenfalls als ledig bezeichnet. Das hat für beide so seine Bewandtnis. Der ursprüngliche Eintrag „Jungfrau“ wurde nämlich gestrichen, womit also die pastörliche Kenntnis über eine „Vorliebe“ zum Ausdruck gebracht werden soll. Quelle KB Nowawes 5/1855. Das junge Paar wohnt nach der Hochzeit vorerst in der Priesterstraße 8, also in der linken Hälfte des Hauses No. 7 / 8. So bedeutet das für Friedrike eigentlich fast überhaupt keinen Umzug.


Am 22. Oktober 1855 kommt es auf dieser bereits vorerwähnten Flatowturm-Baustelle zu einem schweren Unfall. Ein schreckliches Ereignis! Mein Schwager August Gericke arbeitete gerade hoch droben an einem der vier Türmchen an Ausschal-Arbeiten. Wegen des Missverstehens eines Lehrlings, statt auftragsgemäß eine Bauklammer festzuschlagen, löste er diese vollends. Dadurch war nun eine Rüstbohle plötzlich einseitig ohne Halterung und der 23-jährige August Gericke stürzte innerhalb des Turmes die Rüstungen bis zur untersten Etage hinab. August überlebte diesen Sturz mit schweren Wunden, Arm-, Bein- und Rippenbrüchen – und alle Kollegen, sowie die Handwerkerfrauen, die gerade gegen 12 Uhr das Mittagessen für ihre Männer auf die Baustelle brachten, mussten es mit ansehen, unter ihnen natürlich auch meine Schwester Friederike, die von August ja gerade ihr erstes Kind unter dem Herzen trägt. Ein großer Schreck. Helfer brachten August, wie es schien, mehr tot, denn lebendig, auf einem provisorisch gefertigtem Tragebrett mit dem Kahn hinüber nach Potsdam und dann zu Fuß bis zur Eisenhartschen Heilanstalt. Der Wundarzt Dr. J. Wenkebach, er wohnt in der Königsstraße 67 und ist vor allem im Armenhause und als Geburtshelfer tätig, behandelt den August über lange Zeit hinweg fürsorglich und umsichtig. Ein Jahr wird es dauern bis er wieder eingeschränkt arbeitsfähig ist.


Eine Notiz zum Flatow-Turm:

Prinz Wilhelm (der spätere König und dann auch Kaiser Wilhelm I., 1797 bis 1888, zweiter Sohn von Friedrich Wilhelm III und seiner Ehefrau Königin Luise, vormalige Prinzessin v. Mecklenburg-Strelitz) gibt den Auftrag zum Bau des Turmes. Errichtet wird der Turm unter der Leitung der beiden Schinkel-Schüler und Baumeister Johann Heinrich Strack und Friedrich August Stüler, in der Zeit zwischen 1853 und 1856. Vorbild für diesen Bau ist der Eschenheimer Torturm in Frankfurt am Main. Der Name für dieses neue Bauwerk „Flatow-“ kommt daher, weil die finanziellen Mittel zum Bau, von den Prinzlichen Gütern Flatow und Krojanke in Westpreußen erwirtschaftet wurden.

Der Turm ist 40 m hoch und steht an der Stelle der früheren v. Rehnitzschen Windmühle, die 1848 abgebrannt war. Der Durchmesser des Turmes beträgt etwa 31,5 Fuß (rund 10 m). In der Turmhülle werden mit eingezogenen Fußböden, acht Etagen eingerichtet, die über eine Wendeltreppe erreichbar sind.

Die Bedachung besteht aus 450 qm feinen Schablonenschiefers. Auf jedem Quadratmeter sind 60 Schiefertäfelchen untergebracht, um die Rundungen der Kegelgestalt ausführen zu können. Die Kegel-Türmchen tragen Kupferhauben.

Das Balkonzimmer kann sogar mittels eines Marmorkamins beheizt werden. Die innen geputzten Rundwände sind bemalt. Zugang zum Turm erhält der dazu Berechtigte, indem für ihn die Zugbrücke herabgelassen wird und er somit hier die schmalste Stelle des großen Wasserbassins überschreiten kann.

Prinz Wilhelm möchte den Turm als Arbeitsstätte nutzen (Schreibkabinett). Er will dort gern seine Sammlungen aufbewahren und sich auch von der Last des Tages erholen. Die Aussicht von diesem Turm über das weite Land soll ganz hervorragend sein und vor allem aus grünen Baumwipfeln bestehen – wenn nicht gerade die Zeit des Winter ist. Das weiß Auguste natürlich ganz genau von Augusts Berichten über seine Arbeit und von unten hat sie auch einen Eindruck.


Eine weitere Notiz zum Flatowturm, aber just 100 Jahre später erlebt.

Der Turm gilt nach dem Zweiten Weltkrieg, von 1945 bis in die 1990er Jahre hinein, als Halbruine. Seine Eingangstür ist zugemauert. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, war mit Chris J.

halbwüchsiger Alterszunahme auch seine Abenteuerlust gewachsen. Andere, größere Jungen hatten bereits ansehnliche löchernde Vorbereitungen an dem verschlossenen Zugang des Turmes getroffen, so dass auch ihm eines Wintertages, ein Hineinschlüpfen ermöglicht ward. Etwas unheimlich, in der Dämmerung, zu einer Zeit, als niemand in der Nähe sichtbar war, erst auf der „fehlenden Zugbrücke“ den frierenden Wassergraben zu überqueren und dann hinein. Nach oben, wo die Wendeltreppe wegen des liegenden Bauschutts eher eine „geröllige, spiralige“ geneigte Ebene darstellte und es an den fensterlosen Öffnungen vorbei ging, durch die der kalte Wind pfiff. Oben zeigte es sich, dass er, mit etwas zittrigen Knien, die Aussicht in die ruhende, farblose Winterlandschaft, dann doch nicht so recht genießen konnte. Wieder unten angekommen, war es vor dem Antritt des Heimweges erforderlich, die Kleidung gründlich zu entstauben, bevor sich der Junge wieder menschlichen Ansiedlungen nähern konnte.

Auch nahm er einige Male die Möglichkeit wahr, in der Tischlerwerkstatt bei dem Enkel dieses Julius Gericke mit Holz zu basteln, wenn auch natürlich nicht mit Hilfe der großen Holzbearbeitungsmaschinen. Zu jener Zeit waren ihm aber seine vielfältigen verwandtschaftlichen Vernetzungen zu den Familien Gericke, Zinnow und Sotscheck noch nicht bewusst.


Doch wieder zurück in das Jahr 1855: Zinn's Guste schreibt also weiter:

Im November bin ich nun 20 Jahre alt geworden. Es ist mir unheimlich, wie schnell das ging.

Geboren wird mein erster Neffe, der „gleichzeitig“ erster Sohn meiner Schwester Friederike und meines Schwagers August ist, in der Priesterstraße 7 / 8, am 06. Dezember 1855, um 8 Uhr früh. Nein, nein, es ist nicht so, wie ihr denken möget. Er heißt mitnichten Nikolaus, sondern August Julius Otto. Er trägt also alle väterlichen Namen weiter, nur mit dem Schwerpunkt eines anderen Rufnamens. Von Friederike hat er leider nichts weiter mitbekommen. Die Tauffeier findet am

22. Dezember statt, natürlich durch unseren Pfarrer Stobwasser celebriert. Die Paten sind Frau Zinnow, Meister Gericke, Frau Stauch und Marie Thal. Quelle: Kirchenbuch-Reg. 104/1855.

Wir ziehen von der Priesterstraße 18 /19 (frühere Parzelle 60) in das Haus Priesterstraße 7. Es ist eines der üblichen fünfachsigen Kolonistenhäuser aus dem Jahre 1752 mit dem in der Mitte liegenden Hausflur und je einer kleinen Wohnung rechts und links des Flures. Es ist jedoch eines der wenigen Häuser, welches zwei Hausnummern (7/8) erhielt (nach 1945: Karl-Liebknecht-Straße 12 /13). Meine Eltern konnten dieses kleinere Haus jetzt kaufen. In das Haus Priesterstraße 18/19. ziehen jetzt Gerickes. Sie brauchen mehr Platz, als er in der No. 8 zur Verfügung steht. Ihr seht, wir haben also die Häuser getauscht.

Bis 1870 werden bei Friederike und August acht weitere Kinder folgen. Man kann auch sagen – ich werde allein von dieser lieben Schwester noch acht weitere Nichten und Neffen „erhalten“. Solch ein Fleiß – wer hätte das gedacht, nach des Augusts so schweren Unfalls. Auf allen Gebieten des Lebens sucht er erfolgreich seine Tüchtigkeit unter Beweis zu stellen.


Der Regierungsrat und Commissar für Nowawes, Wichgraf, lässt eine Musterwerkstatt für die Weber errichten, um durch Schulung und Weiterbildung das Weberelend zu mildern.


1856

Ich erwähnte ja schon, dass Herr Dr. Wenkebach und die Krankenschwestern sich ganz rührend um den schwer verletzten August gekümmert haben. Nun, nach einem Jahr, gilt er (mit Einschränkungen) als wieder hergestellt. Jedoch will niemand den Gehandicapten, den für verschiedene Zimmereraufgaben nicht mehr Einsetzbaren, einstellen.

Auf dem Bau kann er als Zimmermann also nicht mehr arbeiten, in einer Holzbearbeitungswerkstatt würde ihm eine Tätigkeit jedoch möglich sein. Eine Darlegung seiner Not, seines Problems und Anliegens beim Prinzregenten Wilhelm, der gleichzeitig Herr auf Schloss Babelsberg und Bauherr des Flatowturms ist, (dessen älterer Bruder, König Friedrich Wilhelm IV ist ja nach Schlaganfällen bereits dauerhaft erkrankt), erbrachte dem August wohl (nach einer Notiz von Wernher Bauer) eine einmalige Königliche Abfindung in Höhe von 5 Talern, so dass man nicht von einer tatsächlichen Besserung seiner Notlage sprechen kann.

Zu jener Zeit lebt August mit seiner jungen Familie also in dem Wohnraum am rechten Ende des Hauses Priesterstraße 18/19 seiner Schwiegereltern Zinnow / Rohde. Auf diesem Grundstück, in einem Raum des Häuschens, fertigt er notgedrungen, „als Pfuscherarbeit“, also ohne Genehmigung, einige Tischlerarbeiten wie schöne Fenster und Fensterläden, um überleben zu können. Einige Tischler bringen diese illegalen Arbeiten jedoch zur Anzeige, die der Polizeikommissarius Kiekebusch zu untersuchen hat. Als niedrige Strafe ergibt sich die Forderung des Zahlens von 30 Thalern an die Staatskasse (oh, diese Forderung ist viel, viel „Königlicher” als die Unfall-Abfindung) oder ersatzweise einer Woche Arrest. 30 Thlr. besitzt August nicht, so dass der schon schwer Geschädigte die Haftzeit, die ihn „erziehen soll” , im Gefängnis in der Potsdamer Breiten Straße, am Neustädter Thor, zubringt und für den Lebensunterhalt seiner Familie nichts verdient, was die Lage nicht gerade erleichtert.

Die finanzielle Not und das berufliche Interesse bewegten ihn dazu in einer verkürzten Lehrzeit bei Tischlermeister Linge in der nahen Friedrichstraße (nach 1945: Garnstraße) auch noch den Tischlerberuf zu erlernen, um dann bald als Meister sein Gewerbe offiziell ausführen zu dürfen.


Seit dem Ableben des Herrn Ortsvorstehers Josua im Jahre 1853, fehlt meinem Dienstherrn, dem Pastor Stobwasser, die gleichgesinnte Rückenstütze bei der communalen Vertretung. Er gerät wohl auch zunehmend mit den Behörden der Obrigkeit, wegen seines Eintretens für die Weber, aneinander. Schwierigkeiten bereitet seine Kritik an der schleppenden Arbeit des örtlichen communalen Vorstandes.

Die besser gestellter Gemeindeglieder möchten einen strahlenden Pastor der gut Situierten und nicht einen, der sich um Alte, Kranke und Unterernährte sorgt und ständig in deren Häusern ein- und ausgeht. Es stört gar sehr, dass er dieses Wirken auch in seinen Predigten unterbringt, den reicheren Bürgern bestenfalls ein schlechtes Gewissen einredet und von denen eventuelle Geldüberschüsse mit Spendenaufrufen abziehen möchte.

Resignierend überlässt der Pastor letztlich sein Schicksal, sein Bleiben in angespannter Situation oder aber eine Versetzung, dem Kirchenvorstand der vornehmen Bürgerschaft, in Abstimmung mit dem Konsistorium. Eine Abstimmung führt zum Ergebnis seiner Versetzung auf die vakante Pfarrstelle im Dorfe Fahrland.


Am 02. April 1856 wird dann, nach polizeilicher Abmeldung, das Pferdefuhrwerk mit dem wenigen Mobiliar und Hausrat beladen, denn verschiedenes bleibt ja in der Dienstwohnung, und so zieht die Familie Stobwasser mit uns, den Dienstmädchen Maria Pasewald und Auguste Zinnow, in das leere Pfarrhaus nach Fahrland im Osthavelland. Adieu, liebes Elternhaus!

Und die Pferde laufen und laufen, 1½ Meilen in nördliche Richtung, sich immer weiter von der Heimatstadt entfernend. Über die Havelbrücke, vorbei am Potsdamer Königlichen Schloss am Markt, verlassen wir die Stadt durch das Nauener Tor. Vorbei an der Blockhauskolonie Alexandrowka. Der Pfingstberg bleibt rechts liegen und links das Bornstedter Feld mit den Exerzierplätzen. Dann kommt Nedlitz. Hindurch unter der zinnenbewehrten Persiusbrücke, geht es vorbei am „Königswall“ mit der „Römer- oder Räuberschanze“. Weiter durch den Wald, das „Hainholz“ geheißen, mit dem Kirchberg, einer Erhebung von 270 Fuß, auf dem sich eine uralte wendische Opferstätte unserer heidnischen Vorfahren befunden haben soll. Nahe Krampnitz biegen wir linker Hand, nach Westen, ab und treffen bald darauf in Fahrland ein.

So, nun sind wir angekommen. 1½ Stunden sind die braven Zossen unentwegt flott gelaufen. Na, ich habe ja junge und gesunde Beine, ich werde das auch bald 'mal schaffen, zum Besuch nach Nowawes – und inzwischen sitzt bestimmt schon der neue Pastor, Groote ist der Name von Stobwassers Nachfolger, an unserem Tische in der Priesterstraße und lässt es sich gut sein. Er kommt aus Kemnath, in der Nähe von Bayreuth, wurde dort am 25. Januar 1816 geboren, ist jetzt also 40 Jahre alt. Wie nur mag er zu seinem niederdeutschen Namen gekommen sein?


Der Prediger, der das Pfarrhaus in Fahrland verlassen hat, heißt August Julius Ferdinand Scheringer. Er kam 1841 quasi von nebenan, aus Döberitz, hierher und versah dieses Amt bis vor kurzer Zeit.


Das Pfarrhaus ist einstöckig, die Fassade hinter wildem Wein versteckt. Über der Tür eine Tafel mit dem Willkommensgruß „Friede sei mit Euch“. Ja, das kann die Familie gut gebrauchen. Zwei mächtige, alte Linden vor der Tür. Das Pfarrhaus und auch die Häuser von Fahrland erinnern doch sehr an Nowawes, wirken daher gar nicht so fremd auf mich.

Im Friedgarten um die Kirche werden nur noch die Geistlichen und ihre Angehörigen bestattet (so sie nicht vorher fortziehen), wovon noch senkrecht gestellte Grabplatten an der äußeren Kirchenmauer künden.

Unser Pastor aber fährt für einige Tage nochmals zurück nach Nowawes, um seinem Nachfolger, dem Pastor Groote, alles zu zeigen, zu erklären und aufzuschreiben was ihm wichtig deucht. Am 16. April wird er sehr traurig den Abschiedsgottesdienst halten. Seine letzte Amtshandlung vor der Übergabe wird eine Taufe am 20. April sein. Dann kommt er „für immer“ hierher und wir können bis dahin das ganze Haus scheuern, schrubben und einrichten.

Am 21. April feiern wir dann mit der Familie ein bescheidenes Wiedersehensfest. Der Pastor erzählt dabei – sein Abschiedsgottesdienst soll herzzerreißend gewesen sein.


Pastor Stobwasser übernimmt in Fahrland eine Pfarrchronik und liest sich hinein: Einige fliegende Blätter von Pastor Bernhard Daniel Schmidt (hier Prediger 1751–1774). Regelmäßige Aufzeichnungen ab 1. August 1787 durch Pastor Moritz (hier Prediger 1774–1794) und dann „eine große Pause“.

Pastor Stobwasser will die Chronik durch seine künftigen Notizen wieder aufleben lassen, eben so, wie er's auch in Nowawes hielt und mit den Einwohnern ins Gespräch über vergangene Zeiten kommen, um vorhandene Geschichtslücken wieder aufzufüllen.


Das kleine Dorf Fahrland am großen Fahrlander See im Osthavelland. Wie ein riesiges Rechteck breitet sich die Wasserfläche aus.

In regnerischen Zeiten, im Winterhalbjahr, werden Weiden und Felder regelmäßig überschwemmt, wird gesagt. Leichte Erhebungen schauen dann als Inseln heraus. Die Wiesen sehen in jener Zeit aus wie ein Luch. Abzugsgräben versuchen dem Einhalt zu gebieten.


Ja, wir gehen im Spätfrühjahr zu Besuch nach Nowawes. Wir haben es gewagt. Maria und ich. Am zeitigen Morgen des schönen Montags gehen wir los, schreiten tüchtig aus, ein frohes Lied auf den Lippen.


Uhr-zeiten

Die Wegstrecke

ab

7.00

Beginn der Wanderung am Fahrlander Pfarrhaus, gerüstet mit gutem Mute und einem Ränzel mit Wegzehrung.

7.30

Wir nähern uns dem Krampnitzsee, lassen diesen aber links liegen und wenden uns nach rechts, gen Potsdam.

7.40

Nun haben wir die zinnenbewehrten Bauten der Persiusbrücke am Jungfernsee erreicht.

7.45

Rechter Hand biegt die Straße nach Bornim und Bornstedt ab. Wir aber gehen weiter geradeaus.

7.55

Wir ziehen am „Bornstedter Feld“ vorbei.

8.20

Links von uns der jüdische Friedhof, der Pfingstberg und der Kapellenberg.

8.25

Wir erreichen die Blockhauskolonie „Alexandrowka“, die in diesem Jahr 30 Jahre alt wird.

8.35

Das Nauener Tor gewährt uns den Eintritt in die Residenz Potsdam.

8.42

Wir erreichen den Wilhelmplatz.

8.49

Über den Markt, am Königlichen Schloss vorbei, geht es. Der Bittschriftenlinde Friedrich des Großen gebührt unser Gruß. Nun auf der langen Schinkelbrücke über die Havel.

8.56

Fast schon im Heimatort angelangt, scheint es sich wieder beschwingter zu gehen. Nur noch ein halbes Stündchen: Hinter dem Bahnhof nach links in die Alte Königsstraße, entlang an den Eisenbahnwerkstätten und vorbei am Hakendamm.

an:

9.30

Neuendorf bleibt rechter Hand liegen. Der Maria Adschüss gesagt, über die Lindenstraße hinweg dann zum Elternhaus in der Priesterstraße No. 7/8 geeilt.


Ich lasse mich auf den Küchenstuhl sinken und trinke erst einmal ein Krüglein des köstlichen Wassers leer, indessen Mutter mir zwei Brotschnitten (ist es doch das zweite Frühstück) bereitet.

Wir mussten schon hurtig ausschreiten. Etwa 2½ Stunden waren wir per Pedes unterwegs.

Und am Abend geht es die gleiche Tour zurück. Seit etwa sechs Jahren gibt es ja Tretmaschinen, Velopeds, mit riesigen dünnen Vorderrädern. Das ginge schneller – aber auf diesen Sandwegen – dazu brauchen wir keinen Gedanken verschwenden und hätten auch nicht das Geld dafür.


Anmerkungen des Autors:

Niemand kann es wissen und so auch Auguste nicht, dass 1869 das Veloziped-Niederrad mit Kettenantrieb erfunden sein wird. Damit kann man den Weg natürlich schneller zurück legen. Aber auch in der Zukunft wird sie ein solches nicht besitzen.

Zu den genannten Uhrzeiten: Auguste und Maria trugen natürlich keine Uhren bei sich. Armbanduhren kamen ja erst ein halbes Jahrhundert später vereinzelt auf den Markt. Auch wurden die Uhrzeiten in jenen Jahren nie beispielsweise als „9.30 Uhr“ bezeichnet, sondern „9½ Uhr, vormittags“ oder mit "½ 10 Uhr vormittags" benannt. Die beiden Wanderinnen kannten nur die Zeit ihres Abgangs in Fahrland und jene der Ankunft in Nowawes – an der Standuhr abgelesen.

Chris Janecke aber wanderte den Mädels auf diesem Weg am 07. Oktober 2010 hinterher (ohne diese jedoch einzuholen, ohne mit ihnen zu plaudern) und hat, im Gedenken an die beiden Mädchen, die damals etwa benötigten Mindestzeiten aufgeschrieben. Es ist gut denkbar, dass sie damals auf den Sandwegen eher länger unterwegs waren, als Chris, der glatte, feste Bitumenbahnen und Pflasterwege vorfand, diese nutzen konnte und zudem auf längeren Beinen unterwegs war.

Ein Bild von dem Pfarrhaus, in dem auch Auguste lebte und arbeitete, kann (heute, im Jahr 2010) nicht mehr beigefügt werden, weil jenes etwa um das Jahr 1885 abgerissen und an gleicher Stelle ein neues, nun zweistöckiges Gebäude erbaut wurde. Ersatzweise fertigte Chris eine Skizze, die daran erinnert, wie es dort 1856 ausgesehen haben könnte. Denken wir uns das Haus, halb versteckt hinter Efeuranken und versehen es gedanklich mit dem Schild des Willkommens-Grußes.


September 1856

Maria und ich, wir wollen heute, am letzten Sonntag des scheidenden Sommers, mit kleiner Wegzehrung den Fahrlander See umrunden. Gleichwohl müssen wir unser Vorhaben auf halben Wege abbrechen. Der See ist auf dieser Seite mit einem breiten Gürtel von niederem Schilf und hohem Rohr eingefasst. In Ufernähe Weiden und Erlen, von denen die größeren, älteren, unterspült, umsinken. Unpassierbarer Morast, andernorts nasse Wiesen, zwingen uns immer wieder zu größeren Umwegen, die weiter vom ursprünglichen Ziel fortführen. Ein Eldorado für Frösche und demzufolge auch für Störche. Dort wo es trockener ist, die letzten löwengezahnten Butterblumen, weißgelbe Löwenmäulchen, Weißwurz, Unmengen an Brenn- und Taubnesseln. Auf höheren Erdbuckeln und warmen Gestein, dicke Ringelnattern, die es sich im Sonnenscheine wohl sein lassen. Auch das wilde Schwein ist hier daheim, wie es Grabespuren uns erhellen. Wir haben ja Saftkrug und Löffel dabei, und der von uns damit erzeugte Klappertakt kündet ihnen unseren Anmarsch – also hatten wir keine Begegnung mit Schwarzkitteln, aber eben auch nicht den See umrundet. Müde und hungrig kehren wir heim. Beim nächsten Mal woll'n wir die andere Seite des Sees bewandern und erkunden, was weitaus weniger schwierig sein soll.



Es schien das Abendrot

auf diese sumpfgewordene Urwaldstätte,

wo ungestört das Leben mit dem Tod

jahrtausendlang gekämpfet um die Wette.


Lenau



1857

In Nowawes wird am 14. Februar von meiner Schwester Friederike ihr zweites Kind geboren. In der Taufe durch Pastor Groote am 1. März, werden ihr die Namen Martha Anna zu eigen gesprochen. Unter den 5 Taufpaten befinde ich mich. Anna Martha Gericke heißt also mein erstes Patenkind. Ein Blick in die Zukunft: Im Jahre 1879 wird sie, 22jährig, 35jährigen Witwer und Webermeister Albert Siegmund heiraten – so schnell wird die Zeit vergehen.

Ich selbst bin jetzt rund 21¾ Jahre alt. Am 18. September haben meine lieben Eltern Geburtstag. Beide am gleichen Tag. Wie üblich ein Doppelgeburtstag. Vater wird 54 Jahre alt und Mutter ist dann 56 Jahre jung. Ha, ha.

Mit Maria habe ich mal darüber gesprochen. Sie riet als Geschenk zum Geburtstag, zu etwas von praktischem Wert, was man immer gut gebrauchen kann. Doch auch mit Stobwassers habe ich mich zu einem geeigneten Geburtstagsgruß beraten.

Das Ergebnis: Ich schenke den Eltern von meinen Ersparnissen eine gediegene Ausgabe der Bibel, 1853 in Halle an der Saale gedruckt. Da haben sie 'was praktisches für den täglichen Gebrauch. (Maria allerdings dachte da an etwas anderes). Der Pastor hat das Werk besorgt. Ein gewichtiges Prachtstück mit schön großen Lettern, so für Ältere. Das Alte Testament (einschließlich der seltener abgedruckten Apokryphen) umfasst 1079 Blatt, das Neue Testament ist 308 Seiten dünn – nun, jene Zeitspanne ist ja auch bedeutend kürzer.

Ich sann über eine Widmung als bleibendes Andenken nach und bat Pastor Stobwasser darum, den Text einzutragen, denn er ist gelehrt und ist's gewohnt, die Feder mit schöner, gleichmäßiger Hand über das Papier zu führen. Es wäre mir fatal, würde mir in diesem neuen, wertvollen Buch ein Schreibfehler unterlaufen oder gar ein Tintenklecks entstehen. Und also schrieb er hernach:



Ihren lieben, lieben Ältern,

dem Zimmermann Friedrich Zinnow und seiner Ehefrau in Nowawes,

die liebende Tochter Auguste

zum Doppelgeburtstag 18. September 1857,

die liebende Tochter Auguste


Was ich Euch wünsche, steht in diesem theuren Buch geschrieben. Nach diesem heil'gen Wort, woll'n wir einander lieben.




Na, ja, die erste liebende Tochter ist ihm versehentlich schon zu früh dazwischen gerutscht aber vielfache Liebe ist besser, als einmal im Leben das Lieben vergessen zu haben und schließlich ist ja ohnehin Doppelgeburtstag. Das kommt davon, wenn man als Seelenhirte sehr viel zu tun hat und beim Schreiben gestört wird, an mehreres gleichzeitig denken soll.

Also, meinen großen Dank dafür, Herr Pastor!


Und auf das nächste Blatt setzte er in zierlicher Handschrift, als ein Traktätchen für meine Eltern, sowie als Verheißung für fleißiges Lesen und auch Handeln, die schon vorher angekündigten Worte:



Suchet in der Schrift!

denn sie zeuget vom ewigen Leben.

Wer zu Jesu bußfertig kommt,

dem wird alle Sünde vergeben,

der stirbt als sel'ger Christ und bleibt in Frieden,

im Himmel droben, ewig von Christo ungeschieden.

Amen!



Das lief ihm doch so recht inbrünstig von der Seele in die Feder, denn er kennt ja nicht nur mich, sondern auch meine Eltern lange und gut.


Ja, ja, die Liebe. Fast wäre es nicht bei dem elterlichen Doppelgeburtstag geblieben, denn in unser'm Pfarrhaus steht ja auch schon wieder ein nullter Geburtstag an. Vielleicht war der Pfarrer bei seinem Bibeleintrag nun auch zusätzlich etwas nervös, denn das dritte Kind von Stobwassers ließ sich noch ein bisschen Zeit und wird am 23. August geboren. Wieder ein Junge. Dieser soll Heinrich Adolph Petrus Johannes heißen – das gilt noch als Geheimnis, denn die Namen erhält er ja erst richtig bei seiner Taufe. Aber anreden muss man ihn ja schon 'mal – aber nicht mit vollem Titel.



1858

Ich werde zum dritten mal Tante. Meine Schwester Friederike wird am 07. März 1858 um ¼ 3 Uhr nachmittags von einer gesunden Tochter Auguste Marie entbunden. Wäre es ein ¾Jahr später, dann könnte mal wohl singen: „Alle Jahre wieder“. Aber es stimmt nun auch so. Und ich wandere in der Kälte, aber frohen Mutes erneut nach Nowawes zur Taufe (21. März, Pastor Groote, Reg-Nr. 31 / 1858) und zurück gen Fahrland. Taufpaten sind der Fischermeister Gericke und Friedrich Gericke, beide aus Klein Glienicke, unser Bruder Albert Zinnow und Frau Rietz aus Potsdam.


Am 01. Oktober 1858 kehre ich, inzwischen 24jährig, aus dem „Pastoren-Exil“, aus Fahrland, in das Elternhaus, Nowawes, Priesterstraße 7, zurück. Zurück in die vertraute und doch irgendwie inzwischen veränderte Welt.

Mein August-Schwager Gericke wird leider invalide bleiben. Drei Jahre ist sein lebensgefährdender Sturz nun her. Er kann nicht mehr die schweren Zimmererarbeiten ausführen und auf den Rüstungen umher klettern. Trotzdem eine frohe Botschaft. Es ist erstaunlich, dass er bald nach Ausheilung seiner Knochenbrüche und inneren Verletzungen eine Ausbildung im artverwandten Tischlerhandwerk absolviert hat, und auch bald ein selbständiger Handwerksmeister dieses Faches sein wird. Arbeiten solcher Art, innerhalb einer Werkstatt, werden ihm möglich sein.


1859

Ab 01. April 1859 geht meine kleine Schwester Pauline nach Berlin „in Dienst“. Dort lernt sie bald den Zimmermann August Dittwald kennen, der aus der Neumark stammt aber in Berlin wohnt und arbeitet. Sieh' mal einer an – das junge Ding.

Dann wird ja vermutlich auch bald ein allseitig interessierter Dittwald zur Besichtigung und zum beruflichen Erfahrungsaustausch mit August und unserem Vater erscheinen oder besser gesagt: vorgezeigt werden?

Friederike bekommt erneut, im Abstand von nur einem reichlichen Jahr, ihr viertes Kind: Julius Ernst August. Er ist aber schwach. Er stirbt nach acht Lebenstagen am 20. Juli. Arme Friederike.


Wir gehen heute besuchsweise in „die alte Heimat“ unserer Eltern, nach Stolpe, dorthin, wo noch meine große Schwester Friederike geboren wurde. Die neue, prachtvolle Kirche wird geweiht. Der Bau wurde von Andreas Stüler erdacht. Er war einer der Meisterschüler des berühmten Karl Friedrich Schinkel.


1860

Schwager August Gericke ist inzwischen tatsächlich schon ein Tischlermeister – ging das schnell!

Das ehemalige 5-achsige Kolonistenhaus Priesterstraße 18/19 wurde daraufhin erweitert. In diesem Hause Priesterstraße 18, in dem schon wir aufgewachsen waren, gründet er am 01. April 1860 seine eigene Tischlerwerkstatt. Die Anteilnahme der Nowaweser an seinem bravourös bewältigten Schicksal und der Auftragszuspruch zu seiner doppelberuflichen Handwerkskunst ist derartig groß, dass er, der selbst bei anderen Meistern keine Anstellung gefunden hatte, gleich nach der Werkstatteröffnung zwei Gesellen beschäftigen kann. Eigener Herr in eigenen Räumen. Äußerlich, das heißt finanziell und sozial, sind die Folgen des Unfalls überstanden – wenn da nicht die stets wiederkehrenden Schmerzen wären, die ihn spätestens dann erinnern, wenn das Wetter sich ändert. Da heißt es für ihn die Zähne zusammenbeißen.


1861

Ein weiteres Kind meiner Schwester Friederike: Auguste Pauline wird am 04. Dezember 1861 geboren. Mit diesen Vornamen hat sie uns, ihre beiden Schwestern, also uns Kindestanten, geehrt. Wir wissen das zu schätzen. Aber oh Schreck, oh, tiefe Verzweiflung. Auch dieses Kind stirbt nach wenigen Tagen, am 8. Dezember. Arme Eltern. Sie sind untröstlich.


1862

Der größte von den Sotschecks, der Gottlieb, ist jetzt Lehrer und Küster in Liebätz, einem ganz kleinen Nest in der Nähe des kleinen Städteleins Luckenwalde.

In den Aufzeichnungen des Dörfchen Liebätz nimmt sich das etwa so aus:

> Der Küster und Lehrer Heidepriem weilte sechs Jahre unter uns. Jetzt findet ein Wechsel statt. Wir bekommen den jungen Lehrer Gottlieb Sotscheck. Er stammt aus dem Hause einer Nowaweser Weberei-Fabrikation und ist noch ledig, wohnt also vorerst bei den Brückmanns. <

Wenn seine Zeit es erlaubt, kommt Gottlieb hin und wieder zu Besuch in sein Elternhaus.


Als ich heute 'mal wieder kurz bei Sotschecks war, erkundigte ich mich beiläufig bei Mutter Caroline, der früheren Melzheimerin, wie's dem Gottlieb (also nicht ihrem Mann, sondern dem Sohn) im fernen Liebätz denn so erginge. „Ach ja, krisch (gut) geht es ihm“, sagte sie – „Aber er braucht nun eine Frau“, fügte sie spontan hinzu – rutschte es ihr nur so heraus oder steckte eine tiefere Absicht dahinter? Diese Worte klangen noch lange in mir nach, wollten nicht mehr aus meinem Kopf. – Viel später erst, erzählte mir die Mutter Sotscheck, wie es später nach jenem Gespräch noch weiter ging: Sagte sie doch in einem eher beiläufigem Tonfall zu ihrem Jungen, dem eher keusch-zurückhaltenden und weniger gewandten Gottlieb: „Die Auguste Zinnow, die war neulich wieder hier, das wäre eine tüchtige Hausfrau“ und Gottlieb soll erwidert haben, „Ja, Mutter, wenn Eine, dann möchte ich gern diese haben“. Und mit derartigen Gesprächen, wurde dann unsere gemeinsame Zukunft eingefädelt.


1862

Der Regierungsrat August Wichgraf setzt sich dafür ein, dass die Nowaweser breitere Webstühle erhalten, damit sie nicht nur baumwollene Webwaren, wie z. B. Betttücher fertigen können, sondern z.B. auch Kleidungsstoffe. Etwa 50, die Hälfte der benötigten neuen Webstühle, baut August Gericke. Daneben aber auch Hausbauteile (Fenster, Türen usw.), Möbel und auch Särge, die ja immer mal benötigt werden. Sein Geschäft steht in anhaltender Blüte.


1863

Der Gottlieb und ich, wir kennen uns ja von kleinauf, sind uns jetzt „näher gekommen“, also sehr schön näher. Wir kamen überein, unseren weiteren Lebensweg gemeinsam gehen zu wollen.

In den Augen des Vaters Gottlieb Sotscheck (sen.), des Fabrikanten, ist eine Verbindung zwischen uns „nicht standesgemäß“, denn wir, die Zinnows, sind ärmere Leute, obwohl auch die Sotschecks zu knaupeln haben. So gibt er (notiert der Nachkomme Dr. Wernher Bauer) die erforderliche Einwilligung zur Ehe nur recht widerwillig.

Wir verloben uns am 8. November, wir haben uns einander versprochen – der Liebätzer Lehrer Gottlieb Sotscheck (jun.) und ich, Auguste Zinnow. Wie ihr ja hoffentlich noch alle wisst, begehen wir an eben diesem gleichen Tage auch meinen 28. Geburtstag. Mal wieder ein Doppelfest.


Nun kann ich euch näheres über meinen Verlobten erzählen. Er, der Gottlieb, wurde als ältestes Kind seiner Eltern, in einem der Nowaweser Weberhäuser in der Lindenstraße geboren. (Anmerkung von Chris J.: Die Nummer der Parzelle wurde damals im Kirchenbuch nicht erfasst und das polizeiliche Melderegister reicht nicht soweit zurück – aber der Versuch eines Trostes: Die Kolonistenhäuser ähnelten sich ja alle – wir können also ahnen, wie es aussah). Seine Geburt war am 17. Januar 1838, sehr früh, eine Stunde nach Mitternacht. 11 Tage später wurde er in der Friedrichskirche von Pfarrer Papin getauft. Seine Taufpaten waren die Jungfrau Josua, die Jungfrau Wittke und Frau Sotscheck. Gottlieb hat noch Geschwister. Eigentlich sollten es 13 Kinder sein aber der Tod hat einige von ihnen früh hinweg geführt. So werden nun bald zu meinen Schwägerinnen: Marie Luise (* 1841), Auguste (* 1845), Martha (* 1850), Salomé (* 1853). Wilhelm (* 1843) und Johannes (* 1848) werden meine Schwager. Ein beträchtlicher Familienzuwachs, nicht wahr?

Doch von dem Sotscheck-Familienverband gibt es in Nowawes und Neuendorf noch weitaus mehr Leute.


Mein Verlobter versieht in Liebätz außer dem Unterricht an den Kindern, auch den Dienst als Küster der Kirche. Das ist ja seit alters her üblich. Als Lediger, wohnt er dort noch nicht allein im Schulhaus, sondern „als möbelierter Herr Lehrer“ bei der Familie Brückmann. Das ist das Grundstück ganz links im Rundlingsdorf, aus der Sicht, wenn man vor der Kirchentür steht und auf diese schaut. Auf diesem Grundstück lebten bei der Erfassung zur Neubebauung nach dem großen Brande im Jahre 1789, die Familie des Hüfners Christian Reuter, später die Rosins, dann auch deren Schwiegersohn Brückmann mit den Seinen. Und nun auch mein Gottlieb. So ist das also.




Kurzfassung: Familie Sotscheck in Nowawes

(Namentlich erwähnt ist nur jeweils jenes Kind, das den Weg in der Richtung zu unseren heute lebenden Sotschecks diese Familienzweiges geht)


Generation 10 / Ahn 608

Sotscheck, Wenzel (sen.)

um 1700

vor 1770

vor 1718

aus Böhmen (Königgrätz)



*

oo

5 Kinder nachgewiesen

Generation 10 / Ahnin 609

N., Werema (Familienname nicht

1703 (überliefert)

05. 05. 1767

vor 1718

aus Böhmen stammend

Gen. 09 / Ahn 304.1

Sotscheck Wenzel, (jun.)

(1718) in Böhmen

27. 04. 1816

04. 06. 1754



*

oo, 13 Kinder

Gen. 09 / Ahnin 305

Fuchs, Johanne Charlotte, gen.:Anna

(11. 11. 1732) aus Collin, Böhmen

22. 01. 1817

04. 06. 1754

08 / 152.7

Sotscheck, Joseph Friedrich

06. 08. 1765

13. 04. 1840

24. 09. 1797



*

oo, 9 Kinder

08 / 153

Wagnitz, Anna Dorothea

(1773)

23. 12. 1839

24. 09. 1797

07 / 76.7

Sotscheck, Friedrich Gottlieb

(d. Ältere) Weber, Fabrikant

13. 03. 1813

29. 12. 1883

16. 04. 1837




*

oo, 13 Kinder

07 / 77

Melsheimer / Melzheimer,

Caroline Friederique

01. 02. 1813

03. 09. 1896

16. 04. 1837

06 / 38.1

Sotscheck, Friedrich Albert Gottlieb (der Jüngere), Lehrer

17. 01. 1838

19. 12. 1878

17. 01. 1865




*

oo, 6 Kinder

06 / 39.2

Zinnow,

Charlotte Luise Auguste

08. 11. 1835

16. 07. 1914

17. 01. 1865

05 / 19.1

Sotscheck, Johannes, Lehrer

12. 06. 1866

04. 07. 1951

?



*

oo, 2 Kinder

05 / 20

Ranke, Johanna

15. 12. 1868

12. 01. 1954

?


Mein Verlobter heißt nicht nur Gottlieb, sondern trägt neben diesem Rufnamen auch noch die Namen Friedrich und Albert, obwohl er im Gemüte eigentlich mehr ernsthaft angelegt ist. Sein Vater nennt das „schwerblütig“. Ich weiß aber, er kann auch fröhlich sein, fordert aber eben ernstlich viel von sich und anderen, ist gewissenhaft und zuverlässig. Ist aber im Kern weich und freundlich. Etwas scheu und zurückhaltend gegenüber den Frauen. Vielleicht könnte er ein bisschen galant-beweglicher sein. Was nützte mir aber ein Galan, der auch anderen Weibsen den Hof macht? Er ist Neuem gegenüber aufgeschlossen aber liebt es auch, Altes von beständigem Wert bewahrt zu wissen.

Ich selber bin da im Wort etwas schneller als er, wie auch burschikoser und muss mich manchmal zurückhalten, werde mich aber fein dem Haushaltsvorstand zu subordinieren wissen.

Gottlieb, so heißt auch sein Vater aber meiner ist eben der Jüngere. Das kann ich nicht durcheinander bringen.

Wir haben eine Brautzeit vor uns mit langen Strecken des Prüfens durch Entsagung und kurzem seligen Wiedersehen. Sind wir auch Meilen ferne von einander, das Flüsschen Nuthe verbindet ja Nowawes und Liebätz, und so erinnern mich die Holzflößer und die Führer der Lotschken (Kähne), die flussabwärts kommen, an ihn. Auf dieser blauen Straße sind es nur 4 ½ Meilen zwischen Liebätz und Nowawes. Das ist die halbe Länge des Flüsschens, dessen Quelle zwischen Niedergörsdorf und Dennewitz entspringt. Liebätz liegt also grad' auf der Hälfte des Weges zwischen der Quelle und der Mündung in die Potsdamer Havel. Von der Quelle fließt das Wasser durch Jüterbog, Luckenwalde und Woltersdorf. Hinter Liebätz geht's durch Märtensmühle, fließt es zwischen Trebbin und Löwendorf hindurch, nimmt bei Gröben die Nieplitz auf (hier ist dann die echte Halbstrecke zwischen Liebätz und Nowawes), grüßt im Vorbeieilen Saarmund, Bergholz und Rehbrücke, um sich dann bei Neuendorf und Nowawes in die Havel einzumischen. Ein kleines Borkenschiffchen mit den Grüßen meines Liebsten, brauchte für diese Strecke etwa 30 Stunden der Zeit des Reisens, würde es unterwegs nicht aufgehalten. Und Meilen langer Sandwege führen dich wieder zu mir, mein Liebster. Es ist ein Versuch des Selbsttrostes.

(Anmerkung von Chris Janecke: 1 preußische Meile = 7,42 km, 4 ½ Meilen = 33 km. Fließgeschwindigkeit der Nuthe bei ihrem geringem Gefälle: etwa 1.100 m in der Stunde).


Meine kleine Schwester Pauline hat es da einfacher. August Dittwaldt ist nicht so gelehrt oder gar lehrend wie Gottlieb. Zimmergeselle ist er, so wie unser Vater und auch dessen Vater. Aus rechtem Holze geschnitzt und herzensgut. Er, der Carl Ludwig August Dittwaldt kam aus Massow, bei Landsberg, aus dem Warthebruch nach Berlin. Das „t“ bei Dittwaldt hat er sich „zum Verfremden“ jetzt selbst angehängt, wohl „wegen seines schlechten Gewissens, weil er in seiner Tätigkeit im Laufe der Zeit ganze Wälder verarbeitet“. Er ist jetzt 26 Jahre alt und „mein“ Paulinchen 19 Lenze jung.


Das sechste Kind meine Schwester Friederike heißt Julius August. Es wird am 04. Oktober 1863 geboren. Aber schlimmer kann es kaum kommen. Auch dieses Kind stirbt bereits am folgenden Tage. Wie ist doch diese arme Familie meiner Schwester so hart gestraft – und weshalb?


1864

Meine kleine Schwester Alwine Pauline, die ja eigentlich noch gar nicht an der Reihe ist, wartet nicht länger, sondern heiratet. Also den August Dittwaldt. „Es“ ist bei ihm geblieben. Jener August lebt zwar in Berlin und auch dort gab es in der Jerusalemkirche drei Aufgebote aber die Hochzeit findet, wie es sich gehört, am Wohnort der Braut in Nowawes statt. Und zwar am Sonntag den

21. August. Pauline und August nehmen eine Wohnung im Berliner Süden, Wilhelmstraße 146, am Belle-Alliance-Platz. Ja, mit dem August, er hat im Mai Geburtstag, kann man, denke ich, ganz gut auskommen. Er ist einfach „geradezu“, freundlich, lebensbejahend, ein praktischer, umgänglicher Mensch.


Meine künftigen Schwiegereltern, jetzt noch einmal ganz offiziell, wie schon für's Kirchenbuch zur Probe gesprochen, sind Friedrich Gottlieb Sotscheck, der Fabrikant, und seine Ehefrau Caroline, eine geborene Melzheimer. Beide stammen sie aus Nowawes. Beide stehen im 51. Lebensjahr. Sie wohnen jetzt inzwischen am Kirchplatz No. 14, schon lange nicht mehr in der No. 22. Falls ihr meinen Bericht nicht vom Anfang an in einem Zuge gelesen habt, so setze ich nochmals hinzu, dass ich die Sotschecks ja schon ewig und drei Tage kenne, aber in meiner Kindheit natürlich nicht wissen konnte, dass es mal meine Schwiegereltern werden sollten. So erscheinen sie mir dann doch „etwas neu“, in ganz anderem Lichte.

Nun lasse ich hier schon mal unser offizielles Datenblatt folgen aber keine Sorge, anschließend geht es mit unserem Hochzeitsjahr 1865 weiter.













Das Brautpaar = Die künftigen Eltern

Gottlieb Sotscheck und Auguste Zinnow



Vater:


Mutter:


Name:



Sotscheck


Zinnow


Vornamen:


Friedrich Albert Gottlieb

(der Jüngere)


Charlotte (Caroline) Louise Auguste

(genannt 'Guste)



Geboren:


Nowawes, in der Lindenstraße __,* am 17. Januar 1838, nachts um 1 Uhr. Taufe am 28. Januar 1838 durch Pfarrer Papin. Die Paten: Jungfrau Josua, Jungfrau Wittke, Frau Sotscheck. Taufregister der Friedrichskirche Nr. 12 / 1838.

* Erst Pfarrer Stobwasser hat in seiner Amtszeit (1848–1856) gewissenhaft die Straße mit Hausnummer benannt, so wissen wir nicht, in welchem Hause er geboren wurde. Diese Typenbauten sahen jedoch alle einander sehr ähnlich.



Nowawes, 08. November 1835, Nowawes, Parzelle 60, vormittags 10 Uhr. KB-Nr. 95 / 1835. Taufe am 22. November 1835 durch Pfarrer Papin. Taufpaten: Jungfrau Charlotte Zinnow, Jungfrau Charlotte Baatz, Frau Rohde / Rothe, August Zinnow (alle Paten aus Stolpe).


Die Eltern der Brautleute

(Großeltern):


Vater: Sotscheck, Friedrich Gottlieb, Webermeister und Fabrikant in Nowawes




Vater: Zinnow, Wilhelm, geboren in Stolpe, Zimmermann, nach 1830 Umzug von Stolpe nach Nowawes, Priesterstraße, Parzelle 60


Mutter: Melzheimer, Caroline Geburtseintrag: „Melsheimer“.

Heiratseintrag: Melzheimer (Fehler)


Mutter: Rohde / Rothe, Friederike (auch Friederique), geboren in Stolpe.


Berufe / Tätigkeiten


Dorfschulmeister / Lehrer und Küster in Liebätz (bei Luckenwalde).

Er wohnt dort vorerst als Lediger , als „möblierter Herr“ bei Familie Brückmann.

Nach der Hochzeit zieht er zur Familiengründung in die Lehrer- und Küsterwohnung des Schulhauses.



Dienstmädchen im Pfarrhaushalt Stobwasser, in Nowawes und Fahrland.

Liebevolle Mutter und flotte wie auch umsichtige Hausfrau.

Später: Wäscherin, Näherin, dann in Berlin: Inhaberin einer Lebensmittelverkaufsstelle und zwei Marktständen.



Trauung:


Nowawes, 17. Januar 1865, nach den Aufgeboten am 01. Januar, 08. Januar und 15. Januar. KB der Friedrichskirche Nr. 2 / 1865. Pfarrer Groote.

Sie: 29 Jahre alt und ledig. Er: 27 Jahre alt. Ledig / nicht Junggesell' (vorher „mit guter väterlicher Absicht zwangsverlobt“ gewesen / Verlobung gelöst).



Gemeinsame Wohnungen



Das Paar wohnt in Liebätz im Schulgebäude, das seit dem Neubau im Jahre 1827 etwa drei Fußminuten abseits vom Dorfzentrum liegt.

Gottlieb wird später dort auch Schulvorsteher und Kirchenältester.



Gestorben:


Gottlieb Sotscheck: † Liebätz, 19. Dez. 1878, um ½ 8 Uhr (= 7 ½ Uhr) am Nachmittag, im Alter von 40 Jahren / 11 Monaten / 2 Tagen, an Zuckerkrankheit und Lungenentzündung. Er hinterlässt die Gattin und fünf minorenne Kinder. Quelle: KB Liebätz (liegt in Woltersdorf) No. 8 / 1878. Beerdigt auf seinen eigenen Wunsch in Nowawes, am 23. Dezember 1878. Pfarrer Koller.

Da nicht hier gestorben, nachträglich im KB nach Nr. 208 / 1878 eingefügt.


Auguste Sotscheck, geborene Zinnow: † Berlin, 16. Juli 1914,

Bestattet auf dem Alten Jacobi-Friedhof.


So lesen wir nun des Weiteren hauptsächlich zu den folgenden Personen,

die in der Geschichte „eingebettet“ sind:




Friedrich Albert Gottlieb (der Jüngere) Sotscheck

1838–1878




oo


1865



Charlotte Louise Auguste

Zinnow

1835–1914



und deren Kinder

mit Bildanhängen der Kinder, ihrer Ehepartner und zum Teil der Enkelkinder:



Sohn


Johannes Sotscheck


oo



Johanna Ranke



und deren Tochter Else Sotscheck, verehelicht mit Hans Rosolleck




Tochter


Caroline Friederike Marie Sotscheck


oo


Georg Friedrich Bauer


und deren Tochter Margarethe Bauer, verehelicht mit Karl Schreiber



sowie dem Sohn Wernher Bauer, verlobt mit Ida Maria Ruppel

Anmerkung: Zu Wernher Bauer / Ida Maria Ruppel besteht ein Lebenslaufdokument.



Tochter


Elisabeth Sotscheck


-





unverheiratet


Tochter


Martha Sotscheck


oo


Wilhelm Starkloff



Tochter


Johanna Sotscheck


-




unverheiratet



1865

Hochzeitsvorbereitungen! So, das Vorgespräch beim Pfarrer Groote für die Aufgebote haben wir überstanden. Es war für mich nicht so ein vertrauter Umgang, wie damals mit Pastor Stobwasser. gewohnt. Vor allem die hochnotpeinliche Frage, ob ich denn (mit meinen 29 Lenzen) noch Jungfrau, noch „rein“ und „unberührt“ sei, ob „man“ sich – doch hoffentlich nicht – schon mal fleischlich zusammengetan habe? – Ich denke: Frisch gewaschen und mit guter Gesinnung reicht, und was geht's den Pastor an? Aber ich kann die Ehe ja mit einer Lüge nicht beginnen. Also: Ich bin heute eine Jungfrau nicht mehr! Das auszusprechen fällt mir deshalb nicht so sehr schwer, weil ja fast alle Welt weiß, dass Gottlieb auch vor der Zeit mit mir, schon mal verlobt war und die Verlobung zum Glück gelöst wurde, um diese Brautleute vor Unglück zu bewahren. Diese Verlobung geschah damals auf Druck seines Vaters, weil Gottlieb ja recht schüchtern war und der Vater ihm eine „gute Partie“ zu besorgen trachtete, die allerdings der Neigung seines Sohnes entgegenstand.

Sich körperlich nahekommen, soll man nach Auffassung von Kirche und öffentlicher Anstandsmeinung sowieso erst nach der Trauung. Im anderen Falle wird gern hinter vorgehaltener Hand über „Vor-Liebe“ und so, getuschelt. Na ja, auch da gibt es auch viele Ausnahmen.

Also, deshalb werde ich auch nicht in weiß heiraten – können – wollen. Gottlieb möchte mir ein Seidenkleid schenken. Eigentlich ein Geheimnis aber der Stoff will ja gemeinsam ausgesucht, es will gemessen, muss zugeschnitten, genäht und dann auch anprobiert werden. Es ist also ein so genanntes „offenes Geheimnis“. Gottlieb wünscht mich in fliederfarbener Seide zu sehen, das ist etwas, was sich auf den alten Nowaweser Handwebstühlen nicht fertigen lässt. Flieder. In der winterlichen Zeit vermeint man einen linden Frühlingshauch zu spüren. Ich bin trotz romantischen Anflugs in meiner Natur zu realistisch, um ein Gerede zu Gedankenverbindungen über ein lila Kleid mit 29 Jahren, einfach zu überhören. Was soll's?

Unser Hochzeitstag ist nun auf den 17. Januar 1865 festgesetzt. Zwar lebt Gottlieb ja schon geraume Zeit in Liebätz aber nach altem Brauch findet die Hochzeit am Wohnort der Braut statt. Das kommt natürlich den Eltern-Familien sehr entgegen, denn sie sind ja alle hier ansässig. Unsere Trauung ist im Kirchenbuch der Friedrichskirche im Trauregister unter Numero 2 / 1865 erfasst.

Unsere Hochzeit – es ist ein wunderschöner Tag. Ich, als Fliederfee, Gottlieb im schwarzen Frack mit Sammet-Revers. Mit dem frisch gebürsteten pechschwarz glänzendem Zylinder überragt er mich in ungewohnter Weise. Eine schier königliche Erscheinung. Richtig komisch. Alle unsere Gäste zeigen sich nett und herzlich. Pastor Groote spricht freundlich die unverfänglichen Worte des vorgegeben Textes und erteilt den Segen. Das Aufgeregtsein schwindet. An der Tafel, nun endlich wieder in der Wärme, plaudert man sehr angeregt. Davon hätte man ein Bild in Öl malen können – das wäre was! (Aber der Preis. Wir sehen heute nur königlich aus, sind es nicht). Wir erhalten nützliche Geschenke, vor allem für den künftigen Hausstand – brauchen davon kaum etwas zu verstecken. Die reine Freude also. Viele liebe Erinnerungen an die Schenkenden. Nun dürfen auch ausgewählte „Gästinnen“ einen Blick in meine vertraute Aussteuerkiste tun, in der sich seit meiner Einsegnung in der Backfischzeit, langsam Schönes sammelte und diese füllte. Gottlieb wird es hoffentlich ausreichend zu schätzen wissen. Die Stunden des Hochzeitstages vergehen wie im Fluge. Mit gemeinsam gesungenen Liedern klingt dieser hohe Feiertag aus. Und ich wünsche mir, dass es mehrere solcher der „Schönsten Tage“ in unserem vor uns liegenden, langen gemeinsamen Leben geben wird!


Mein Schwager August Gericke ist in eigener Werkstatt ein sehr tüchtiger Tischlermeister. Ich erzähle euch das gerade an dieser Stelle, weil es durchaus nicht nur kleine Geschenke gab, nein, nein. Sein Geschenk für uns ist ein Kleiderschrank vom Holze aus dem Neuendorfer Forst, den er extra für uns gefertigt hat. Grünlich gebeizt. Seiner Hände sorgfältige Arbeit. Der Schrank wird unsere Liebätzer Schulmeisterwohnung zieren und uns bis zum hoffentlich seligen Ende begleiten.

(Anmerkung des Autors: Nach dem Ableben der 'Guste, im Jahre 1914, steht dieser Schrank bei Familie Bauer (bei 'Gustes Tochter Marie). Bis nach 1983 wird dieses Möbelstück bei Augustes Enkel, Dr. Wernher Bauer (Sohn von Marie) in Rangsdorf stehen. Dieser Gericke-Schrank von 1864 ist also nach 120 Jahren auch Chris Janecke noch gut bekannt).

August Gericke ist aber nicht nur Zimmermann und Tischler, sondern inzwischen auch einer der Kirchenältesten von Nowawes. Er baut nicht nur Hausbauteile, Möbel und Särge, nein, er baut auch neuere Webstühle, damit breitere Stoffbahnen gewebt werden können. Wer etwas Ausgefallenes braucht? „Der Aujust macht allet“, sagt man im Ort. Er ist inzwischen schon lange nicht mehr ein Meister mit zwei Gesellen, sondern bildet auch jungen, fachlichen Nachwuchs aus.


Unsere Hochzeitsreise? Das ist ja nun so eine neumodische Erscheinung, noch nicht so häufig üblich. Bei den Reichen schon. Außerdem: Es ist ja mitten im Schuljahr. Es ist die Zeit der Winterschule. Im Frühjahr zur Feldbestellung, genauso wie in der Erntezeit des Frühherbstes fehlen die Kinder häufiger, weil ihre Eltern sie zur Arbeit brauchen. Im Winter geht es man so. Gottlieb ist also unabkömmlich. Unsere Hochzeitsreise – sie ist fest geschrieben – geht auf dem Pferdewagen von Nowawes nach Liebätz. Nach Liebätz in die neue Heimat.

Am Tage nach der Hochzeit, am 18. Januar 1865, steigen wir auf das offene Pferdefuhrwerk des Liebätzer Bauern Rosin, Schwiegervater von Gottliebs Vermieter Brückmann. Er ist extra für uns geschmückt. Also, besonders der Wagen. Wir packen uns warm ein. Die braven dampfenden Rosse ziehen aber nicht nur uns durch den knirschenden Schnee. Das wäre für sie ein leichtes Werk, da wir ohnehin mehr in den Wolken schweben. Die Guten ziehen noch meine Aussteuer, Wäsche, Hausrat und Mobiliar. Tischlerschwager August hat seinen, nun unseren Schrank, eigenhändig verpackt. Gerade etwa so, wie er es mit rohen Eiern handhabt. Die verschneiten Sandstraßen von Nowawes nach Liebätz sind länger, als die Nuthe es ist. So geht es von Nowawes durch den Horstweg und die Saarmunder Straße nach Rehbrücke, Bergholz, Saarmund, Tremsdorf, vorbei am gefrorenen Grössinsee nach Blankensee. Hier, nach 2 ¾ Meilen des Laufweges oder auch 2 ½ Stunden der Fahrzeit, ist Rast geboten. Die Pferde bedürfen einer längeren Ruhepause mit wärmender Decke, Kraftfutter, Wasser und einer Portion Heu. Der alte Rosin hält vorsorglich alles parat. Die Pferde sind ihm gute Kameraden und wertvolles Gut. Wir hingegen nehmen den Tee und eine Nowaweser Brotschnitte, belegt mit guter Wurst zu uns. Nun sind es noch reichlich 1½ Stunden Laufzeit für die Pferde durch Schönhagen, Ahrensdorf und Märtensmühle bis Liebätz. Im Winter ist die Straße fest und trotzdem, wie heute, nicht glatt. Im Sommer ist die Reisezeit wesentlich länger, wenn die Räder durch den tiefen, losen Sand mahlen müssen. Dann haben es auch die Zugtiere schwerer.


Liebätz ist hart gefroren und weiß gekleidet. Ein Werk des Dichters passt dagegen zu einem typischen Frühjahrsblick auf das Dorf, der mich hoffnungsvoll in die Zukunft schauen lässt.


Balsamisch wogten die Düfte

über das feuchte Revier.

Die alten Störche bezogen

freudig das alte Quartier.

In all den Luchen und Lanken

waren die Wasser erwacht.

Die Kiefern lauschen und tauschten

ihre Grüße sacht.


G. Hesekiel


Dafür sind wir aber zu früh gekommen. Unser Einzug findet im Januar statt. Da ist alles kälter, die Natur erstarrt. Es wirkt alles viel nüchterner. Vielleicht schreibe ich über mein Empfinden auch mal ein etwas anderes Gedicht – wenn ich mich erst mal eingelebt habe.


Wie aber sieht Liebätz aus? Was erwartet uns hier? Zuerst ein kleiner Dorfrundgang, um die durchrüttelten Glieder zu entspannen. Dann sind wir bei Brückmanns zur Begrüßung zu Kaffee und Kuchen eingeladen und sehen auf dem Hofrundgang, im Stall die treuen Pferde wieder.

Am nächsten Morgen besichtigen wir die Schule. Die Schule und das Wirtschaftsgebäude wurden vor 37 Jahren (1827) neu errichtet, etwa 3 Fußminuten, reichlich 60 Ruthen, vom Dorfanger gen Woltersdorf entfernt, in fast ein wenig einsamer aber störungsfreier Lage mit Blickkontakt zur Kirche. Gottlieb versieht, wie ihr ja wisst, die Küster- und Lehrerstelle seit über zwei Jahren. In der Stube steht schon unser Umzugsgut, das die Landwirte Rosin und Brückmann gestern gleich noch abgeladen und nach ihrer Ansicht, nach ihrem Geschmack ein bisschen placiert hatten, was ungewollt ein Lächeln auf mein Gesicht zaubert. Ach, die Guten. So geht es nicht.

Das Schulhaus – meine neue Heimstatt als Lehrersfrau: Das Gebäude ist ungefähr so groß, wie mein Nowaweser Geburts- und Elternhaus – 15 x 9 Meter. Wir haben in diesem dünnwandigen Bau ein großes kaltes Wohnzimmer und daneben eine kleine nicht heizbare Schlafkammer, dazu die Küche mit Speisekammer. Hinzu kommt die große Schulstube, aber alles ist jämmerlich kalt und an Feuerung muss dort, wo das Heizen möglich wäre, auch noch gespart werden.

Es ist ein frostiges Erwachen.


In der erst 10 Jahre jungen Kirche tut Gottlieb seinen Zweitdienst als Küster.

Die alte Kirche, 1598 erbaut, musste 1855 abgebrochen werden. An gleicher Stelle, in der Mitte des Dorfes, entstand damals der neugotische Backsteinbau (die Ziegel im Reichsformat, 22 x 12 x 5,5 cm). Das Schiff enthält zwei Bankreihen (ursprünglich fein getrennt eine Reihe für die Liebätzer und eine für die Märtensmühler Gläubigen – „damit nur nichts durcheinander kommt“. Über zwei Glocken verfügt das Kirchlein, aber aus Kostengründen gebricht es dem Saalbau an einem Turm. Und in diesem Hause (auch nicht wärmer) ist Gottlieb nun Kirchendiener und Hüter des Hauses, ein Wächter über dessen Einrichtung. Das Öffnen und Schließen obliegt ihm, das Anzünden der Kerzen, das pflegende Überwachen und Ausblasen der Kerzen, das umsichtig-vorbegende Verhüten von Schadensfeuern, das Stecken der Liedtafeln, das fleißige Auslegen der Gesangbücher, in die (wie man weiß) wenige Leute hinein schauen, die Ordnung bei Gefäßen und Gerätschaften, das Läuten der Glocken, Gottlieb auch dienend als geforderte Hauptstütze beim eher dünnen Gesang der Gemeindeglieder. Das Sandfegen und Aufnehmen des Staubes, kleine handwerkliche Arbeiten – für alles ist er da, so dass auch seine schularbeitsfreie Zeit „recht ziemlich gut“ ausgelastet ist.


Was gibt es ansonsten, ganz in Kürze, über die neue Heimat zu berichten?

152 Seelen hat das Dorf. Das sind die Familien von 9 Bauern, des Lehrers, von 2 Kossäten, den Büdnern, des Müllers und weiterer Hausleute. Natürlich gehören die Hirten auch dazu.

Es gibt 5 Öffentliche Gebäude, 22 Wohnhäuser, 44 Wirtschaftsgebäude (von der Scheune bis zum Schuppen) einschließlich der Getreidemühle.

Die Gemarkung besteht aus 1.090 Morgen Fläche, davon 21 Mg Gehöfte, 10 Mg Gartenfläche, 585 Mg Ackerland, 130 Mg Wiesen, 172 Mg Weide, 172 Mg Wald (das sind etwa 570 Hektar).

Natürlich habe ich mich auch über die Entwicklung des Ortes in historischen Zeiten kundig gemacht, damit ich bei den ersten Rundgängen nicht allzu viel übersehe. Gottlieb ist dagegen ja inzwischen fast schon „ein alter Liebätzer Hase“, nicht mehr so ein Neukörper, wie ich es bin.

Aber ich will euch das jetzt nicht alles wiedergeben. Besser wird es sein, ihr schaut mal in die Vergangenheit, wenn ihr Zeit und Lust dazu habt. Notizen zur Chronik findet ihr ziemlich am Ende dieses Berichts, als eine der Anlagen. Schaut auch mal in das Dokument des Lebenslaufes "Bauer oo Ruppel", ebenfalls auf dieser Internetseite.


Zwischen den Orten Liebätz und Trebbin wird momentan das „Nuthebett“ neu gegraben.

Die unsrigen Betten wurden gerade in der Schlafkammer aufgestellt.


Wir erfahren, dass Pfarrer Stobwasser, der ja nun schon neun Jahre von Nowawes fort ist, sich noch einmal um eine Anerkennung der besonderen Leistungen meines Schwiegervaters, Gottlieb Sotscheck, sen., anlässlich seiner Bemühungen und Aufwendungen zur Linderung des Elends der Weber, bei der Königlichen Regierung in Potsdam eingesetzt hat. Möge es etwas nützen!


Es erreicht uns die traurige Nachricht, dass meines Mannes jüngerer Bruder, mein Schwager Wilhelm Sotscheck, der 21jährige Webergeselle, ganz plötzlich am 21. Februar 1865 verstorben sei. So dicht können Freud und Leid beieinander liegen.


Ein weiteres Ungemach. Schwiegervater Gottlieb Sotscheck wurde von einem Anonymus angezeigt, dass er angeblich Seidengarnabfälle aus zweifelhafter Herkunft aufgekauft und entweder selber verarbeitet oder weiterveräußert habe. Der Vorwurf bezieht sich also auf Hehlerei, auf die „trockene Wäsche“ wertvoller Abfälle. Dafür muss der Schwiegervater für die Zeit der Untersuchung, bei trocken Brot und Wasser, in Arresthaft. Der Potsdamer Polizeidirektor und die Berliner Justiz befassen sich bereits mit diesem „schweren Fall“. Der Pastor und einige Getreue sammelten jedoch aus Überzeugung seiner Unschuld, Geld für eine Kaution, gegen die er bald wieder auf freien Fuß kam, was wohl wichtig ist, auch angesichts des Trauerfalls in der eigenen Familie. Man sollte dieses ganze unsinnige Spektakel kaum für möglich halten. Aber es ist wahr. Das gehört zur preußischen Ordnungsliebe bei der Obrigkeit.


Am 7. Mai heiratet mein Bruder Albert, allerdings nicht in Nowawes, denn seine bisherige Verlobte, seine nunmehrige Ehefrau Johanne Sophie Amalie Thorau, ist in der schönen Stadt Stendal in der Altmark (Provinz Sachsen) aufgewachsen und so findet die Trauung dort statt. Ein Aufgebot gab es aber natürlich auch in der Friedrichskirche. Niemand hatte bei dreimaligem Aufruf etwas gegen diese Verbindung einzuwenden. In Nowawes gibt es dann eine zweite Familien-Hochzeitsfeier, denn die Sophie wird ja in der Zukunft auch in Nowawes wohnen. Unser Albert ist inzwischen Webermeister und 26 ⅓ Jahre alt. Sophie war am 29. Mai 1836 geboren. Sie ist 28 ¾ Jahre alt. Es sind also Verhältnisse, vergleichbar mit denen von Gottlieb und mir. Der Vater von Sophie war der in seiner Stadt bekannte Schneidermeister Ludwig Thorau, der aber bereits verstorben ist.

Das mit der Maien-Hochzeit in Stendal wurde aber auch hohe, ja, allerhöchste Zeit, denn schon am 20. Juni wird das erste Kind, eine Tochter in Nowawes geboren. Schon die lange Fahrt von Stendal nach Nowawes war für die Hochschwangere eine große Anstrengung. Das kleine Mädchen erhält in der Taufe am 9. Juli die schönen Namen Anna Pauline Zinnow. Paten sind die Kindsgroßmutter, also unsere Mutter Friederike, geb. Rohde, dann meine große Schwester Friederike, also die Frau Gericke, ferner Auguste Hempel, Hönow und Dittwaldt aus Berlin. Nun leben sie glücklich in der Priesterstr. No. 7.


13. Mai: Eine Feuerstelle im Dorf auf dem Grundstück – (2010 trägt es die Bezeichnung „An der Kirche 17“) wurde nicht sorgsam genug gehütet. Sieben Hüfnerhöfe rings um die Kirche brennen deshalb im Schadensfeuer nieder. Das gehört zu den dramatischen Ereignissen, die das Dorf in der Zeit unseres Hierseins ereilen. Wir selbst sind nicht betroffen, nur, weil die Schule, die früher ja ebenfalls am Kirchplatz stand, 1827 etwas abseitig neu errichtet wurde. Aber im Dorf rücken durch diese Brunst und die Verluste, alle Menschen noch enger zusammen und helfen einander, wo es nur geht. Es ist beabsichtigt, neue massive, zweistöckige Häuser zu errichten, die alle gleichartig gebaut sind und mit ihrer Traufe zum Dorfanger stehen. Die Leute sehen dann mehr vom Treiben im Dorf, als wenn sie nur auf die Mauer des Nachbarhauses blicken können. Und es sieht gewiss noch freundlicher aus als bisher, da die Häuser ihre Stirnseiten, die Giebel zur Ansicht boten. Auf hölzernes Fachwerk und brennbare Dachdeckung wird nun endgültig verzichtet.


Unseren winterlichen Wohnungsumzug von Nowawes nach Liebätz empfindet unser Nachfahre Chris Janecke rund 145 Jahre später zwar nicht hoch zu Pferde aber auf dem Stahlross (mit seinem Fahrrad) nach. Und das sieht bei ihm so aus:


Hinfahrt, Uhrzeit

Fahrzeit

Orte

Rückfahrt, Uhrzeit

Fahrzeit

08.15

-

Potsdam-Golm

10.10

35

08.50

40

Leipziger Dreieck, am Brauhausberg (oder damals Nowawes)

09.35

50

09.10

20

Bf. Rehbrücke



09.25

15

Saarmund



09.45

20

Tremsdorf

08.45

25

10.00

15

Mietgendorf



10.20

20

an Blankensee



11.20 nach der

Pause

ab Blankensee

08.20, ohne Pause

20

11.40

20

Schönhagen



11.55

15

Löwendorf

08.00

30

12.10

15

Ahrensdorf



12.25

15

Märtensmühle



12.35

10

Liebätz

07.30

-

Mit dem Fahrrad:

205 min =

3 Std., 15 min,

einschließlich Pause


160 min =

2 Std., 40 min.,

ohne Pause



Die ungefähren Reisezeiten betragen:

- mit dem Fahrrad: 45 km : 15 km x 1 Stunde = 3 Stunden,

- mit dem Pferdefuhrwerk: 45 km : 6,5 km x 1 Stunde = 6,5 Stunden,

- per Pedes / zu Fuß/auf Schusters Rappen: 45 km : 5 km x 1 Stunde = 9 Stunden. Ein Marathon-läufer schafft das wie wir wissen aber wesentlich schneller.


Obwohl ich im Dorf noch so neu bin werde ich schon in diesem Jahr zweimal als Gevatterin zu Kindstaufen gebeten. Es sind die Taufen: Kind Guido Heinrich Grüneberg, eines Büdners Sohn. Hier bin ich eine von neun Taufpaten. Und dann nochmals beim Kind namens Justine Caroline Wilhelmine, Tochter des Hüfners Schulze. Hier bin ich eine von 18 Paten! (Zentralarchiv Berlin, Liebätz, Findbuch S. 829 / 831, Microfichgruppe 23272).



Nun stellen wir euch, wenn auch der Zeit vorausgreifend, unsere lieben Kinder vor:



Die Kinder von Friedrich Albert Gottlieb Sotscheck und

Charlotte Louise Auguste Zinnow (Generation 05)



Sotscheck



Geburts- und Sterbeorte sowie einige Lebensdaten


1.


Wilhelm Gottlieb Johannes

(genannt Hans)

05 / 16


oo 15. Dez. 1868


Johanna Ranke


Geboren in Liebätz am 12. Juni 1866, morgens ½ 2 Uhr. Getauft in Liebätz am 01. Juli durch Prediger Pfeiffer.

Die Paten sind: 1. Fräulein Marie Sotscheck (Vaterschwester, Tante des Täuflings), 2. Der Eigentümer Gottlieb Müller, 3. Der Tischlermeister August Gericke, (Ehemann der Mutterschwester Friederike, geb. Zinnow), (1. - 3. aus Nowawes), 4. Lehrer Klauck aus Märtensmühle, 5. Schulzenfrau Hanne Louise Lehmann,

6. Hüfner- und Kirchenvorstehersfrau Caroline Rosin, Liebätz.

Quelle: KB Woltersdorf mit Liebätz, Nr. 04/1866

Etwa ab 1879 ist Johannes im Waisenhaus in Klein-Glienicke. Er besucht später das dortige Lehrerseminar. Abschluss 1886. Johannes heiratet Johanna Ranke (05 / 17, * am 15. Dezember 1868, † 12. Januar 1954). Johannes ist viel gereist – auch mit Johanna – um die halbe Welt.

Johannes ist am 04. Juli 1951 gestorben.

Deren Kinder: 1. Sotscheck, Käthe, oo Rolf Geleng, Oberstudiendirektor in der Schadow-Schule in Zehlendorf. Deren Kinder sind Lehrer, einige Jahre in Equador. Dazu gehört Kind

2.: Fritz Martin Reinhold, geboren in Zehlendorf bei Berlin am 12. Juli 1902.



2.


Caroline Friederike Marie


(genannt „Häschen“, „Mieze“ und auch „Eide“).


Die Benennung „Häschen“ erfolgt durch ihren Sohn Werner / Wernher, weil sie so flink war und auch „Eide“ (die Mutter), entnommen aus der Gotischen Schriftsprache, die auf die germanischen Runen folgte.


oo 16./18. April 1892


Georg Friedrich Bauer



Geboren in Liebätz am 22. April 1868, morgens ½8 Uhr. Getauft in Liebätz durch Prediger Pfeiffer, am 09. Mai 1868. Die Taufpaten: 1. Junggesell Johannes Sotscheck aus Nowawes (Onkel des Täuflings, das 8. Kind seiner Eltern). 2. Jungfrau Marie Klauck, Lehrerstochter aus Märtensmühle, 3. Caroline Rosin und 4. Therese Lehmann, beide aus Liebätz. KB 05/1868.


Heirat am 16. / 18. April 1892, mit Georg Friedrich Bauer, dieser war geboren 1866 in Conz bei Trier, Militär in Potsdam, Schule für Unteroffiziere, Jägerallee 10, Cottbus, Berlin, Amtmann im Auswärtigen Amt. Rentier ab 1931. Hobby-Obst- und Gemüsezüchter in Rangsdorf. Gestorben in Rangsdorf am 28. Oktober 1938, 8 ¼ Uhr, am Abend, nach 46jähriger Ehe.

Marie ist gestorben in Rangsdorf, am 09. August 1955.

Die Kinder: Tochter: Bauer, Margarethe oo Karl Schreiber, Ingenieur am Staatlichen Materialprüfungsamt mit deren Kindern Karl-Heinz und Lisa Schreiber.

Sohn: Georg Karl Wernher Bauer. (Dr. der Philologie), geboren am 25. Januar 1897 in Berlin, T 22. Mai 1986 im Krankenpflegeheim Saalow (Altkreis Zossen). Bestattet in Liebätz auf dem Bugberg, an der Seite seiner Verlobten, Dr. Ida Maria Ruppel (Philologin).



3.


Auguste Martha

Elisabeth


(genannt Lisbeth)



Geboren in Liebätz am 23. Juli 1870,

7 Uhr des morgens. Getauft in Liebätz

durch Prediger Schläger am 07. Aug. 1870. Reg.-Nr. 11 / 1870.

Die Taufpaten: 1. Jungfrau Martha Sotscheck aus Nowawes (jüngere Schwester des Kindsvaters),

2. Wilhelmine Rosin und 3. Wilhelmine Lehmann aus Liebätz.

Gestorben ist Lisbeth in Berlin am 14. Februar 1945.



Die beiden Schwestern 3. und 5., Elisabeth

und Johanna, blieben unverheiratet und betrieben Lebensmittel-Verkaufsstände in den Berliner Markthallen Am Dönhoffplatz und an der Dresdener Str. siehe auch bei 5. Johanna.



4.


Anna Salomé Martha


(genannt Marthchen)


oo


Wilhelm Starkloff


Geboren in Liebätz am 02. August 1873 um 10 ½ Uhr am Nachmittag. Taufe in Liebätz am 17. August 1873 durch Prediger Ebeling. Die Taufpaten:

1. Albert Zinnow (Mutterbruder, Onkel des Täuflings), Webermeister in Neuendorf bei Potsdam,

2. August Dittwaldt, Zimmerpolier in Berlin (Schwager der Kindsmutter, Urgroßvater von Chris Janecke).

3. Frau Schmiedemeister Marie Marks, geborene Sotscheck, zu Potsdam, Jägerstraße 38 (Schwester des Kindsvaters),

4. Jungfrau Salomé Sotscheck (Schwester des Kindsvaters),Now, 5. Anna Gericke, Nowawes (eventuell die 16jährige Cousine, Kind der Mutterschwester Friederike Gericke, geborene Zinnow).

Kirchenbuch Woltersdorf mit Liebätz Nr. 10 / 1873.


Ehe mit Wilhelm (Willi) Starkloff. Dieser ist bei Fa. Krupp in Essen beschäftigt. Martha zieht nach der Hochzeit in's Ruhrgebiet.



5.


Marie Elisabeth Martha

Johanna


(genannt Hannchen)


Johanna soll in ihrem

Aussehen sehr nach der mütterlichen Seite, den Melsheimers, geraten sein.

Im Wesen flink und tüchtig, ehrlich und gutmütig.


Geboren in Liebätz am 21. Februar 1876, 12 ¼ Uhr des nachts. Taufe in Liebätz am 26. März durch Prediger Rodatz. Die Paten: 1. Marie Gericke, Nowawes (eventuell die 18jährige Cousine / Base, Tochter der älteren Mutterschwester Friederike, geborene Zinnow), 2. Frau Pauline Dittwaldt geb. Zinnow, Berlin, (Mutterschwester, Urgroßmutter von Chris Janecke),

3. Schmied Carl Hermann Marks, Witwer, (ab 1871 der Ehemann von Tante Marie Sotscheck), Potsdam. Jägerstraße 38.

(Todeszeitraum im KB der Thomaskirche noch nicht gefunden).



siehe oben bei Elisabeth: Die beiden Schwestern ... Außerdem führen sie beide den mütterlichen Laden (1914–1936 ...), die „Mehl- und Vorkosthandlung in Berlin-Kreuzberg, Bethanienufer 7, EG, nach dem Ableben der Mutter Auguste gemeinsam weiter.


6.


Luise Auguste Agnes


Geboren in Liebätz am 16. Juni 1877, um 10 Uhr vormittags. Taufe in Liebätz am 08. Juli durch Prediger Rodatz. Die Taufpaten: 1. und 2.: Die Fabrikanten Gottlieb Sotscheck (d. Ältere, des Täuflings Großvater) und Johannes (des vorgenannten Sohn) aus Nowawes, 3. Schmiedemeister Hermann Marks, Potsdam, 4. Frau Pauline Dittwaldt, geb. Zinnow, Berlin (Mutterschwester, Tante des Täuflings).

Gestorben in Liebätz am 22. Dezember 1877 um ½12 Uhr, 6 Monate / 7 Tage alt. Lebensschwäche, angezeigt vom Vater.

Stille Beisetzung (ohne Musikbegleitung oder Predigt) am 26. Dezember 1877.

Quelle: KB Liebätz (liegt in Woltersdorf) Nr. 15 / 1877.




1866

Im Spätherbst werde ich mein 31. Lebensjahr vollenden. Aber zuvor ... unser großes Glück: Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben schwanger. Lange wird es nicht mehr dauern und ich werde Mutter sein. Geboren wird in Liebätz am 12. Juni unser Hänschen: Johannes Sotscheck, mit der Vornamensreihung: Wilhelm Gottlieb (die beiden Großväter) und Johannes, als sein ganz neuer, ureigener Name. Als Taufpaten haben wir gebeten: Gottliebs Schwester Marie aus Nowawes, Gottlieb Müller, August Gericke, den Ehemann meiner Schwester Friederike. Aus Märtensmühle Gottliebs „Amtsbruder“ den Lehrer Klauck. Hier aus Liebätz wieder Caroline Rosin und die Frau unseres Schulzen, Hanne Lehmann.

Und so geht es in diesem reich mit Schmerz und Freude gesegneten Jahr, in gleicher Weise weiter:

Meine Schwägerin Sophie, die Frau meines Bruders Albert, folgt nach einem Jahr schon mit dem zweiten Kinde: „Wilhelm Gustav“. Er wird am 27. Juni, um ¾ 7 nachmittags geboren. Der Junge erhält am 15. Juli von Pastor Kühne die Taufe. Als Gevattern wollen sein Leben begleiten:

1. Wilhelm Zinnow, 2. Marie Stauch, 3. Bauerngutsbesitzer Friedrich Zinnow aus Zehlendorf,

4. Der Schutzmann Gustav Thorau aus Berlin.

Meine jüngere Schwester Pauline Dittwaldt bekommt in Berlin ihr erstes Kind. Für sie natürlich das größte Ereignis des Jahrhunderts. Die Namen „Carl Adolf“ haben sie für ihn ausgesucht.

Nowawes und Neuendorf erhalten nun endlich auch einen Haltepunkt für die Bahn, die bisher immer nur ohne Halt durch den Doppelort hindurchfuhr. Hier also kein Schmerz, nur eitel Freude.

Am 23. Dezember muss Gottlieb als Küster, stellvertretend für Pastor Pfeiffer, das Heilige Sakrament der Taufe spenden – in einer Nottaufe beim Kind der unverehelichten Caroline Schulze. Sie ist die Stieftochter des Hirten Bressler. Ihr Kindchen Caroline Wilhelmine Auguste wurde am 14. Dezember geboren und ist sehr schwach. Am 28. Dezember beendete es dann schon seinen kurzen Erdenweg.


1867

Der vorgenannte Wilhelm Gustav aber auch der Carl Adolf meiner Schwester Pauline, beide sterben als Säuglinge, der Adolf, gerade erst Mitte Februar geboren.

Unser freundlicher Hüfner Rosin und auch der Kossät Krüger (im Jahr 2010 das Grundstück „An der Kirche 4“) errichten ihre Häuser jetzt ebenfalls im Stil der neuen Zeit, obwohl sie vom 65er Brandschaden verschont geblieben waren.


1868

Unsere Wohnung braucht unbedingt mehr Wärme, vor allem für die Kinder im Winter. Wie konnte man nur eine so dünnwandige Schule bauen – typisch Männersache. Gottlieb beantragt jetzt, besonders auf mein Drängen, endlich einen massiven, heizbaren Anbau für das Schulgebäude.


Im Originaldokument befindet sich die handschriftliche Ausführung des nachstehenden Textes und die Skizze der Grundrisses des Gebäudekomplexes der dritten Liebätzer Schule und der Wirtschaftsgebäude, im Jahre 1827 errichtet.

Einige Jahre später (nach dem Antrag von 1868) besagt die Reinschrift zum Vorgang:



Das dritte Schulhaus (Plan No. 1), hatte wie das alte, im Dorfe gelegene, beschränkte Räume. Die Wohnung des Lehrers bestand aus einem Wohnzimmer und einer kleinen unheizbaren Schlafkammer.

Der Lehrer Sotscheck stellte daher den Antrag, durch einen Anbau diesem Übelstande abzuhelfen. Da aber das Haus überhaupt unzweckmäßig angelegt beziehungsweise eingerichtet und sehr leicht gebaut war, wurde auf Veranlassung des Local. Schulinspectors, der einen Hausbau wünschte, zur vorläufigen Abhülfe der Antrag auf Einrichtung einer heizbaren Oberstube gestellt und 1868 ausgeführt. Zugleich wurde auch der Hof durch einen Bretterzaun umfriedet.

Die Gesamtkosten betrugen 300 Thaler.



Anmerkungen von Chris Janecke:

In der Zeichnung ist der Antrag des Küsters und Lehrers Gottlieb Sotscheck dargestellt: Der gewünschte Anbau mit stärkeren Mauern ist rot gekennzeichnet. Neu: verlegte Schlafkammer und ein zweites Zimmer. Gedachter, aber nicht ausgeführter Abriss der dünnen Außenwand: gelb.


Für das bestehende Wirtschaftsgebäude (noch mit Stroh gedeckt), das Kuhstall, Schweinestall und Futterkammer enthält, besteht der Vorschlag, einen Vorratsraum (etwa 9,00 x 2,00 m = 18 qm) mit einfachem Pultdach, für das Bevorraten des Raufutters, anzufügen.


Der Schulinspector wünschte dagegen einen generellen Neubau der Schule, stimmt aber einer anderen, übergangsweisen Verbesserung, nämlich einem zweiten Zimmer im Dachgeschoss zu, um schneller zu einem Ergebnis zu kommen, als es der Neubau ermöglichen würde, der dann auch erst im Jahre 1911(!) verwirklicht wird.


Das Haus besteht bisher aus einer Schulstube (6,55 x 3,60 m = 24 qm), der Wohnstube (4,80 x 4,10 m = 19,70 qm), der nicht heizbaren Schlafkammer für die Lehrerfamilie (4,80 x 2,30 m = 11,00 qm), aus zwei kleinen Fluren, dem Waschraum ca. 2,00 x 1,50 m = 3,00 qm, der Kammer für die Dienstmagd (ca. 2,90 x 2,00 m = 5,80 qm), der Küche (4,80 x 2,70 m = 13,0 qm) und der Speisekammer (ca. 3,20 x 3,00 m = 9,60 qm).


Nach dem Messen und dem Zeichnen, nach diesen Schriftsätzen, schreibe ich jetzt wieder weiter:

Mein Bruder Albert und seine Sophie haben ihr nächstes Kind im Hause. Ein Junge ist es, Carl Hermann, der am 18. Januar, 8 Uhr am Abend, das Licht der Welt erblickt. Seine Taufe ist für den 09. Februar angesetzt. Die Paten sind Albert Stauch, Wilhelm Zinnow, Frau Rosenwald und Luise Haupt. Alles steht im Kirchenbuch der Friedrichskirche unter der Nr. 9 / 1868.

Und schon wieder ein Familienfest: Das nächste Kind meiner Schwester Friederike Gericke, geboren in Nowawes, 20. Februar 1868, erhält in der Taufe die Namen Marie Martha.


Draußen wird es nun gottlob wärmer. Welche Zeiten im kleinen, ungestörten Glück! Am 21. April habe ich das zweite Kind, unser erstes Mädchen geboren. Marie soll sie heißen. Prediger Pfeiffer wird sie auf die Namen Caroline Friederike (nach den Großmüttern) und Marie taufen. (Das wird nichts daran ändern, dass wir sie später gern Mieze rufen werden). Die Taufpaten sind mein Schwager Johannes Sotscheck aus Nowawes, die Tochter Marie der mit uns befreundeten Lehrerfamilie Klauck aus Märtensmühle und aus Liebätz Caroline Rosin sowie Therese Lehmann. Vier Paten wollen Marie also auf dem ersten, wichtigen Abschnitt durch das Leben begleiten.


Das „Bett“ unseres Flüsschens Nuthe wird von Liebätz bis nach Trebbin nochmals neu gegraben. Eine große Leistung.


Inzwischen wird Gottlieb die Reife zuerkannt, auch Schulvorsteher und Kirchenältester zu sein. Er ist damit durchaus bei weitem nicht der Älteste, es ist mehr eine Bezeichnung, die Rang und Würde in dem kleinen Gemeindekirchenrat zum Ausdruck bringt.


Friederike bringt ihr siebentes Kind zur Welt: Marie Martha wird am 20. Februar geboren – aber, ich wage es kaum zu erwähnen – sie verstirbt am 22. Februar.


1869

Meine Schwester Pauline Dittwaldt, die in Berlin, in der Wilhelmstraße 146 wohnt, bekommt ihr nächstes Kind. Wird es ein Mädchen, so soll es Pauline Marie Martha heißen. Als Paten werden mein Bruder, Friederikes Mann August und Gottlieb in Action treten. So bleibt unter uns Geschwistern wieder alles in der Familie. Schon Ende Januar soll der Geburtstermin sein.

Das achte Kind von Friederike und August Gericke heißt Emil Gustav Franz. In Nowawes, am 06. April 1869 geboren. Ich bitte inständig darum, dass es am Leben bleiben möge. Die Taufe vollzieht Pastor Groote am 25. April des 69-er Jahres.


Neueste Nachrichten von meinem früheren Dienstherrn, dem guten Adolph Stobwasser! In diesem Jahr, nach 13 Jahren der dortigen Tätigkeit, verlässt Pastor Adolph Stobwasser die Gemeinde in Fahrland. Er schreibt uns, dass sein Nachfolger in Fahrland ein Pastor namens Friedrich Heinrich Meyeringh sei. Pfarrer Stobwasser folgt einem Ruf in das Dorf Pankow im Norden von Berlin. Dort war vor einiger Zeit sein Amtsbruder Pfarrer Dr. Ramdohr verstorben und somit wurde die Stelle vacant, offenbar wie für ihn geschaffen?

Stobwassers Mitarbeiter, der Küster und Lehrer, ist ein gewisser Ferdinand Krüger. Es gibt weiterhin die Lehrer Ehrentreich und Tiegs, denn Pankow ist größer, als Fahrland oder gar Liebätz. Das Monatsgehalt des Küsters und Lehrers beträgt dort zurzeit 16 Thaler, 20 Groschen. Ahaa.

Pfarrer Stobwasser übernimmt im Dorfe Pankow eine Kirche, die nach wesentlicher Erweiterung beinahe völlig neu hergerichtet und neu ausgeziert ist. Angesichts der dort stark anwachsenden Bevölkerung wurde sie nämlich zu klein und deshalb am 22. Februar 1857 mit einem Abendmahlsgottesdienst, 600 Jahre nach ihrer Weihe, für die Dauer einer Umbauzeit, geschlossen.

Einen wesentlichen Teil der Kirchen-Baukosten übernahm als Gnadengeschenk das Königshaus, unser ehrwürdiger, hochwohlgeborener, gnädiger König Friedrich Wilhelm IV. Wollen wir aber nicht vergessen, dass die Gemeindeglieder mit jahrelangem Sammeln auch ihr Scherflein beitrugen. Den Bauentwurf erarbeitete der Geheime Baurat Stüler. Dann begannen die Bauarbeiten. Bauinspektor Becker überwachte die Bautätigkeit. Zum Gedenken wurden soweit möglich, die mittelalterlichen Mauern erhalten. An der Stelle zwischen dem alten Teil und der Erweiterung fügte man zwei Türme ein.

Der Innenraum erhielt eine neue, üblicherweise schlichte Innenausstattung. In der Werkstätte von Meister Buchholz entstand eine neue Orgel. Das Gehäuse dafür, stellte Tischlermeister Prüfer aus Pankow her. Bildhauer Koch aus Potsdam (Bildhauerei und Thonfabrik in Potsdam, Jägerallee 8) hatte die schöne Kanzel modelliert, die dann aus Cement gegossen wurde.

Die Altarfenster zeigen die vier Evangelisten so, wie wir sie uns vorstellten, dass sie ausgesehen haben mögen. Sie entstanden im Königlichen Institut für Glasmalerei in Berlin und sind ein Geschenk des damaligen Prinzregenten Wilhelm (es ist euch ja bekannt: Sein königlicher Bruder Wilhelm IV. war bereits schwer und unheilbar erkrankt und Königin Elisabeth pflegt ihn). Der Bildhauer Affinger schuf das Altarkreuz. Der Taufstein aus gebranntem Ton ist eine hochherzige Gabe des Fabrikanten-Ehepaares Koch aus Potsdam und Frau Kaufmann Reißner aus Pankow stiftete die Mittel für das Restaurieren der schönen alten Uhr.

Am Freitag, dem 15. Juli 1859 weihte der Generalsuperintendent D. Hoffmann dann die erneuerte Kirche, die den so wertbeständigen, gleichwohl etwas ungelenk erscheinenden Namen „Zu den vier Evangelisten“ erhielt. Für mich selbst ähnelt das eher der möglichen Bezeichnung für einen Freimaurer-Bund.

Und so also übernahm just 10 Jahre später Pfarrer Adolph Stobwasser diese, seine fast neue Kirche. Der Ort Pankow unterliegt derzeitig dem Wandel von einem Bauerndorf zu einem städtischen Vorort, zu einer Gartenvorstadt von Berlin. Die Welt ist im Umbruch. Es ist eine aufregende Zeit. Aus Landwirten werden Gärtner. Wo sich früher auf den Bauernhöfen die Misthaufen befanden, wachsen nun Villengärten mit wunderschönen Blumenrabatten. Es entstehen Trinkhallen und Speisewirtschaften. Manch ein Bauerngehöft nebst seiner Umgebung wird zum kleinen Landschaftspark. Man errichtet Sommerwohnungen für Gäste. Ein herrlicheres Dorf als Pankow – so sagt man, könne man sich kaum vorstellen. Gerade wurde nun auch ein neues Schulhaus, mit sechs Klassen direkt neben der Kirche fertig.

Das ist alles recht schön und gut – nur einen Haken hat die Sache doch. Das Pfarrhaus, die Wohnung für die Pastorenfamilie, der Hort zum Wohlfühlen, ist altersschwach und baufällig – vielleicht ähnlich desolat, wie es hier unser Liebätzer Schulhaus war. Hoffentlich bricht es über dem Pastor nicht zusammen. Auch um die Gesundheit des Pastors Stobwassers soll es schon jetzt nicht zum Besten bestellt sein.


1870

Der Zinnows werden es immer mehr, wenn auch die Kleinen überwiegend andere Familien-Namen, ihr wisst schon, die der Väter, erhalten:

Unser 3. Kind nämlich, wird am 23. Juni geboren. Elisabeth soll ihr Taufname sein. Auguste Martha Elisabeth. Kurz, Lisbeth, wird sie später wohl gerufen werden. Am 07. August wird Prediger Schläger sie zartfühlend taufen, denn sie ist eine recht Zierliche. Als Taufpatin kommt Gottliebs Schwester Martha (die wir auch im Vornamen ihres Taufkindes ehren) aus Nowawes angereist. Wilhelmine Rosin und Wilhelmine Lehmann haben es zur Taufe dagegen wenige Schritte nah. Die beiden haben schon eine ganze Patenkindergemeinde, um die sie sich kümmern wollen.

Wir haben den Eindruck, dass bald jedes unserer Kinder einen anderen Taufgeistlichen zu Gesicht bekommt, oder anders gesagt – Gottlieb bekommt öfter einen anderen Dienstherrn. Die Pastoren sind ihren Liebätzer Schäfchen durchaus nicht so anhaltend treu, wie wir es halten.


Das neunte Kind von Friederike bekommt die Namen Emma Auguste. Die Kleine wurde in Nowawes, am 04. August 1870 geboren. Sie wird den Kinderreigen beschließen – denke ich so friedlich in meinem Sinn. Das Kind aber wird seinen fünften Tag nicht überleben.

So bleiben meiner Schwester Friederike und August von neun Geburten, vier Kinder.


Meine Schwester Pauline Dittwaldt bekommt in Berlin am 12. Oktober ihr zweites Kind. Hedwig wird die Kleine geheißen. Hedwig Auguste Antonie. Die Zukunft weiß: Sie und unsere Marie, die beiden Basen, werden später unzertrennliche Freundinnen werden.

Ich selber beging im November meinen 35. Geburtstag. Mein Gott, wie mit uns die Zeit eilt.


1871

Auf dem Dorfanger von Liebätz, ein Stück vor dem Kirchenportal, werden in einer Feierstunde zum Gedenken an den glorreichen Kriegszug gegen Frankreich und anlässlich der Gründung des Deutschen Kaiserreiches, eine Kaiser-Eiche und eine Bismarck-Eiche, letztere also für den frisch geadelten „Schmied“, den Eisernen Einigungskanzler, gepflanzt. In der Zukunft wird es sich zeigen, dass sich entsprechend von Rang und Stellung, die Kaiser-Eiche kräftiger, prächtiger entwickelt.

Es erreicht uns die traurige Nachricht, dass in Pankow unser früherer Pastor und mein damaliger Dienstherr, Adolph Stobwasser, nach seiner dortigen, nur rund zwei Jahre währenden Dienstzeit, im Alter von nur 53 Jahren verstorben ist. Nun wird das Pfarrhaus wegen der Baufälligkeit neu errichtet. Davon hat er selbst nichts mehr. Der neue Pfarrer, Johann Friedrich Hermann Feller, wird in Pankow Stobwassers Werk fortsetzen, bis der Todesengel im Jahre 1874 auch jenen heimholen wird. Und die arme, arme Betty Stobwasser ist mit erst 45 Lebensjahren nun bereits Witwe und den Kindern fehlt der Vater.


1872

Mein Bruder Albert zieht mit Sophie und den Kindern am 2. Juli die paar Schritte von Nowawes nach Neuendorf. Sie wohnen dort bei Hauswirt Lattermann in der Lindenstraße.

Meine Schwester Pauline und Schwager August bekommen ihr drittes Kind. Es erhält in der Taufe die Namen Klara Pauline. (Großmutter von Chris Janecke). Sie ist ein Sonntagskind, geboren am

3. November. Ob sich das in ihrem Leben irgendwie freundlich auswirken wird? Na, und mein Gottlieb ist auch hier wieder Taufpate (Friederikes August auch).


1873

In meinem zweiten Nowaweser Elternhaus, Priesterstraße 7, stirbt am 18. Februar unser guter Vater, der Zimmermann und Kirchenälteste Johann Friedrich Wilhelm Zinnow. Am 21. Februar geleiten wir ihn auf den Kirchhof der Friedrichskirchgemeinde zu seiner letzten Ruhe. Seit dem Vorjahr (ab 10. Juli 72) vollzieht diese Amtshandlungen der neue Pastor Paul Koller, der am

5. Dezember 1840 in Wriezen, im Oderland geboren wurde. Mit seiner Frau Elisabeth, einer geborene Salin, (* Berlin, 29. April 1845) wird er acht Kinder haben.

Unsere Mutter wird die nun zu große Wohnung gegen eine etwas kleinere im linken Teil des Hauses No. 8 / 7 tauschen. Das zumindest wird keine schmerzliche Umstellung. Waren sie ja in den Jahrzehnten ihres Ehelebens wechselnd in der No. 7 und der No. 8 zu Hause. Nebenan, im Altenstübchen, ist sie ja auch gut aufgehoben.


Unser viertes Kind ist Anna Salomé Martha, geboren in Liebätz am 2. August, getauft am 17. August durch Prediger Ebeling. (Sag ich doch, schon wieder ein neues Pastorengesicht). Die Paten sind mein Bruder Albert Zinnow, Zimmerpolier August Dittwaldt aus Berlin, Frau Schmiedemeister Marks, geb. Sotscheck aus Potsdam, das ist die jüngere Schwester Marie von Gottlieb. Ebenso ihre Schwester Salomé Sotscheck und Anna Gericke, Tochter meiner großen Schwester Friederike.


1874

Bei Schwester Pauline und Schwager August Dittwaldt stellt sich das vierte Kind ein: Carl Gustav Max, geboren in Berlin am 2. November.


1875

Der Zimmerer-Schwager Dittwaldt, Vater des vorgenannten Max, will „etwas kürzer treten“, die schwere Tätigkeit an den Nagel hängen und einen Familienbetrieb gründen. Sie ziehen von der Wilhelmstraße 146, am Belle- Alliance-Platz gelegen, ein Stück weiter in die Oranienstraße 174. Dort eröffnen sie im Hochparterre eine Schankwirtschaft, mit großen Fenstern an der Straßenfront. Der Name dieser Straße geht auf das kleine Fürstentum Orange zurück, das im Süden von Frankreich liegt, hat also diesmal nichts mit den Niederlanden zu tun. Sie haben schon mal alles aufgezeichnet und uns hergeschickt, damit wir es uns bereits vor unserem Besuch bei ihnen, vorstellen können. In diesem Jahr vollende mein viertes Lebensjahrzehnt.


1876

Die staatliche Verwaltung richtet für die Gemeinde Liebätz auf dem nahe gelegenen Bugberg, auf jener kaum sichtbaren Erhebung, einen neuen Friedhof ein. Damit wird der alte Gottesacker im Umkreis der Kirche nicht mehr neu belegt, sondern gilt als geschlossen. Eine Grünfläche umgibt nach dem Ablauf der Ruhezeiten dann später die Kirche. Das Ziegelmaterial der bisherigen Kirchhof-Einfriedung wird für den neuen Begräbnisplatz auf dem Bugberg genutzt. So sieht es hier im Dorfcentrum plötzlich heller und freundlich-aufgelockert aus.


Nachdem unser fünftes Kind, Marie Elisabeth Martha Johanna, am 21. Februar geboren war, da schien es mir, als schaute mich aus ihren Zügen, das Gesicht meiner Schwiegermutter, der Melzheimerin an. In einigen Jahren wird es sich zeigen, dass Elisabeth und Johanna sich immer ähnlicher werden, trotz ihres Altersunterschiedes. Mit Johannes dem Ersten begann die Kinderserie, mit Johanna wird wohl der Schlusspunkt gesetzt sein. Auch sie ist ein ganz und gar zartes, zierliches Geschöpf. Wir haben allen Grund dankbar für diese Kinder zu sein. Getauft wird das kleine Hannchen von (dem schon wieder für uns neuen) Prediger Rodatz am 26. März. Als Taufgevattern wollen ihr zur Seite stehen: Marie Gericke aus Nowawes, meine Schwester Pauline Dittwaldt geb. Zinnow aus Berlin-Südost und Hermann Marks, der Potsdamer Schmied und Ehemann meiner Schwägerin Marie Sotscheck.


1877

Oh, mit meiner vorhergehenden Ansprache über unsere Zukunftsplanungen, habe ich weit gefehlt. Die Liebe ist doch noch so groß, dass bei uns am 16. Juni eine Agnes geboren wird. Luise Auguste Agnes. Nun ist aber endgültig Schluss. Taufe am 08. Juli durch Prediger Rodatz. Die Taufpaten. Großvater Gottlieb Sotscheck, und dessen Sohn, mein Schwager Johannes aus Nowawes. Aus Potsdam Meister Marks und meine jüngere Schwester Pauline Dittwaldt aus Berlin.


Vielleicht hat es nicht sein sollen – leider ist Agnes ein schwaches Kindchen. Noch in diesem Jahr, zwei Tage vor dem Heiligen Abend, stirbt die kleine Agnes. Grad ein halbes Jahr weilte sie auf dieser Erde. Am 2. Weihnachtstag, der in diesem Jahr für uns kein Feiertag ist, obwohl sich die Größeren schon so lange auf das Fest gefreut hatten, geben wir das Agneschen der Mutter Erde in einer stillen Bestattung auf dem Bugberg in ihren kalten Schoß. Es zerreißt einem das Herz, die Kleine hier allein zurück lassen zu müssen.

Unsere Hoffnung: – Im Garten der Zeit wächst die Blume des Trostes – .

Für diese Blume haben wir vom Bugberger Friedgarten etwas Muttererde mitgenommen.


Doch das Leben geht weiter. Unerbittlich. Man ist selber so sehr erschöpft und doch aufgerufen, anderen Kraft zu geben.

Bei meiner Schwester Pauline kommt in Berlin eine kleine, gesunde Alma Dittwaldt zur Welt. Möge dieses Kind behütet sein und fröhlich aufwachsen.


Und wie sieht es inzwischen bei August und Friederike Gericke in Nowawes aus? Die im Allgemeinen gute Auftragslage und das erweiterte Sortiment an gefertigten Holz-Waren, sprengte bald die Möglichkeiten in dem kleinen Haus der Priesterstraße 18. Daher wurde mehr Raum, ein eigenes Werkstattgebäude erforderlich, zu dessen Errichtung Maurermeister Wilhelm Franke, sen. den Auftrag bekam. Noch in diesem Jahr, am 11. September 1877, konnte die neue Werkstatt im Hof / Garten des vormals gemeinsamen Grundstücks der Zinnow Schwiegereltern, Parzelle 60 (inzwischen Priesterstraße 19), eingeweiht werden.


1878

Schon wieder folgt ein Jahr schier übermächtigen Schmerzes.

Meine Schwester Pauline bekam ihr nächstes Kind. Erich. Es war recht schwach und weilte nur kurze Zeit auf dieser Erde. Es soll ihr letztes Kind gewesen sein. Es war genau wie bei mir die Agnes, auch bei ihr das sechste Kindchen, das es nicht schaffte. Vielleicht konnten wir unseren letzten Kindern nicht mehr genug Kraft mitgeben? Und wie demütig und dankbar sollten wir trotzdem sein – hat doch unsere Schwester Friederike fünf Kinder zu Grabe tragen müssen.


Doch es gibt auch wieder freudige Ereignisse: Mein Schwager Johannes Sotscheck und seine Frau Clara, geb. Maager (aus Putzig-Hauland gekommen) bekamen am 5. September ein Töchterlein. Elisabeth heißt das Kind. Sie wohnen in Nowawes „gleich nebenan“, Kirchplatz 17.


Auch dieses Jahr wird das Weihnachtsfest wieder ein recht stilles werden. Ein erneuter und nun doppelt harter Schicksalsschlag erreicht unsere Familie. Am 18. Dezember stirbt nun auch unsere Mutter Sophie Friederike Zinnow, geborene Rohde. Sie litt an Magen- und Leberkrebs und erreichte trotzdem das Alter von 77 Lebensjahren. Wir betten sie am 21. Dezember auf dem Nowaweser Kirchhof an der Seite ihres Ehemanns, unseres Vaters, der ihr vor fünf Jahren vorausgegangen war. Pfarrer Koller führt ihre Aussegnung durch.

Damit aber noch immer nicht genug der Schicksalsschläge. Nur einen Tag später:

Gottlieb, mein herzensguter Ehemann, ist am Abend des 19. Dezember, nach kurzem Krankheitskampf, um ½ 8 Uhr für immer eingeschlafen. Er litt an der Zuckerkrankheit, nun gepaart mit einer heftigen, fiebrigen Lungenentzündung. Er wurde nicht ganz 41 Jahre alt. So muss oder darf ich ihn stets jung in meiner Erinnerung bewahren. Nur kurze 13 Jahre meines Lebens war ich mit Gottlieb verheiratet, bis der Tod unser Band löste. Wir vermissen unaussprechlich tief den Ehemann und Vater. Das Dorf Liebätz entbehrt seines Küsters und Schulmeisters. Er hatte die Kinder 16 Jahre lang unterrichtet.

Nach seinem eigenen Willen soll Gottlieb nicht in Liebätzer Erde, der zeitweiligen Heimat, begraben sein, sondern auf dem Kirchhof seiner Vorväter in Nowawes an der Mittelstraße. Am 23. Dezember ist dort die Beisetzung. Zwei Tage nur nach der Bestattung der Mutter, versammeln wir uns nun schon wieder auf dem gleichen Friedhof. Zu großen Teilen dieselben Menschen der Trauergemeinde. Pastor Koller sucht Worte des Trostes für uns zu finden. Aber es sind eben nur gut gemeinte Worte.

Vor einigen Jahren fühlte ich noch den Schmerz mit Betty Stobwasser und bedauerte sie, die so jung, mit 45 Jahren, ihren Mann verlor. Heute bin ich selber nun Witwe, 43 Jahre, und fühle mich schrecklich alt und unendlich müde.


1879

Aber es geht alles unaufhaltsam weiter. Es gibt keine Ruhepause. Am 04. Februar heiratet in der Friedrichskirche zu Nowawes mein erstes Patenkind, Martha Anna Gericke, mit 22 Jahren. Bräutigam ist der 35 Jahre alte Witwer, Webermeister Albert Siegmund. Er stammt aus dem Dorf Philippsthal. Mein Patenkind wurde geboren, in jener Zeit, da ich in Fahrland arbeitete. Zur Zeit meiner eigenen Hochzeit war sie gerade 7 Jahre alt und jetzt ist sie schon eine junge Ehefrau. Wie schnell sind doch die guten, wenn auch oft mageren Jahre, verflogen.

Als Witwe werde ich eine Unterstützung von 250 Mark im Jahr erhalten, so habe ich für die Kinder und mich knapp 21 Mark im Monat zum Überleben, also für Miete, Brennstoff, Nahrung und Kleidung. Diese einfache Rechnung geht nie und nimmer auf.


Die Küster- und Lehrerwohnung in Liebätz muss ich für Gottliebs Nachfolger, einen Herrn Lehrer Schulz, räumen.


So siedele ich nach kürzerer Suche, mit meinen lieben Kindern (inzwischen im Alter zwischen drei und zwölf Jahren) in das Städtchen Luckenwalde über. Wir leben hier im Hause der Brauerei und Spirituosenfabrik Falckenthal, an der großen Straßenkreuzung, Beelitzer Straße / Ecke Trebbiner Straße 15, gelegen.

Ja, nun sind wir hier, noch ohne recht Wurzeln gefasst zu haben – aber was ist das für ein Unternehmen, das uns mit seinen Düften und anderen Gerüchen ständig umgibt? Ich will es euch erzählen:


Im Jahre 1707 erhält der Hofmedicus Koblentz vom König Friedrich I. das Braurecht für den Gasthof in Luckenwalde, in der Trebbiner Straße No. 15.


1759 übernimmt Johann Christian Falckenthal, ein Tuchscherermeister, der aus Guhrau in Schlesien nach Luckenwalde zuwanderte, den Gasthof „Zum Goldenen Ring“, und er erwirbt das Brau- und Brennrecht. Er findet den Zugang zum gehüteten Rezept des „Zinnaer Klosterbruder“ und gründet, neben dem Betreiben der Gastwirtschaft, die „Spirituosenbrennerei Falckenthal“.


Um 1798 baut Falckenthal den vergrößerten Gasthof „Zum Goldenen Morgenstern“ (über dem Dach des Hauses steht jener als weithin sichtbarer Schmuck – es könnte wohl durchaus die Venus sein). Das große Gebäude nimmt unten die Gaststätte und die Verwaltung auf. Oben befinden sich Wohnungen und nebenan sind die Brau- und Brenngebäude angelegt.


Ab 1857 heißt das Unternehmen „C. W. Falckenthal und Söhne“. Bald erweitert die Familie den Gasthof um ein Bankgeschäft, das auch noch im Parterre des gleichen Hauptgebäudes Platz findet. So kann man sich dort Geld für den Schnapseinkauf besorgen und es im gleichen Haus wieder anlegen.


Hier, in der Brauerei und Spirituosenfabrik kümmere ich mich um die Berge von Wäsche. Suche nun tagsüber, neben der Versorgung der Kinder, mit Näh-Handarbeiten etwas Geld hinzu zu verdienen. Die Mädchen besuchen die Schule, nun bei einem ganz anderen Lehrer.


1880

Die Zeit geht ins Land bei der Arbeit in der Firma. An Sonntagen sind wir auch immer mal wieder in Liebätz. Von Luckenwalde ist es ja über Woltersdorf nicht gar zu weit. Bei Rosins werden wir gern aufgenommen, werden bewirtet, sogar beherbergt, wenn sich ein Besuch über mehrere Tage ermöglichen lässt. Wir sind auch fleißig-andächtige Besucher des Bugberges, wenn es auch jedes mal für mich einen sehr traurigen Gang bedeutet.

Johannes ist jetzt 14 Jahre alt, Marie 12, Elisabeth 10, Martha 7 und Johanna 4 Jahre alt. Agnes wäre inzwischen knapp 3 Jahre geworden.

Johannes geht, auch wenn es mir schier das Herz brechen will ihn fortzugeben, erst einmal in das Türksche Zivilwaisenhaus Klein-Glienicke, um dort wie sein Vater, Lehrer zu werden. Herr v. Türk hatte Wohnhaus und Ausbildungsstätte für Knaben früh verstorbener Lehrer und Förster eingerichtet. Zwar weilt Herr v. Türk auch nicht mehr unter uns – doch seine Stiftung lebt.

Besonders in den stillen Nachtstunden fühle ich, wie sehr mir doch der Gottlieb fehlt – aber die Sehnsucht bleibt unerfüllt.


Am 13. Mai stirbt am frühen Abend um 6 ¼ Uhr in Nowawes, in der Friedrichstraße 2, die Tante Caroline Beelitz, geborene Sotscheck, Schwester des Vaters meines verstorbenen Gottlieb. Sie war das 5. von 9 Kindern des Friedrich Sotscheck und seiner Frau Dorothea, geborene Wagnitz und wurde 72 Jahre alt. Nun ist ihr Mann, Johann, auch alleine, aber das geht uns allen doch früher oder später ebenso. Es gehört zu den Unabänderlichkeiten in dieses Lebens Lauf. Der Tod ist ein Teil unseres Lebens.


Schwester Pauline und August meinen es so sehr gut mit uns. Sie raten dazu, dass wir uns doch ebenfalls in Berlin niederlassen sollten. Dieses große Vorhaben wird auch tatsächlich bald in Angriff genommen und in die Tat umgesetzt. Adieu Luckenwalde, mit dem wabernden Fuselduft. Mit einem finanziellen Leih-Vorschuss und handwerklicher Unterstützung der Familie Dittwaldt klappt der Ortswechsel, und ich bin ihnen dankbar dafür. Nun leben wir in der Reichshauptstadt, weil sich hier auch vielfältigere Arbeitsmöglichkeiten bieten. Zuerst ergibt sich wie von selbst, wieder die Tätigkeit der Wäschepflege in verschiedenen Haushalten, um erst mal Fuß zu fassen.


Bald eröffnet sich eine verbesserte Möglichkeit. Ich miete ich auf dem Markt am Dönhoffplatz (das ist der spätere Spittelmarkt), also dort, wo die Leipziger- in die Wallstraße übergeht, den Platz für einen Lebensmittelverkaufsstand (geöffnet mittwochs und sonnabends). Bald aber bewirtschafte ich schon einen zweiten Stand. Jener liegt ein paar Schritte südlicher, in der Markthalle an der Dresdener Straße, nahe dem Oranienplatz, wo an vier Tagen in der Woche (montags, dienstags, donnerstags und freitags) verkauft wird. So kann ich unseren Lebensunterhalt besser bestreiten, uns leichter „über Wasser“ halten. Die Mädchen helfen schon fleißig mit. Abends sind wir stets völlig kaputt – hundemüde.


1881

Ich wohne nun also mit den Kindern im Berliner Südosten, in der Naunystraße 22. (Anmerkung: Das Haus steht nicht mehr, sondern wurde nach 1945 durch einen Neubau ersetzt). Das ist wiederum nur einige Fußminuten von der „Dresdener Markthalle“ entfernt.

Bei harter Arbeit geht es in den nächsten Jahren sichtbar aufwärts. Bis 1884 bleiben wir in der Naunystraße wohnen.


Gerade konnten wir ein bisschen „Luft schöpfen“ und schon bricht neues Entsetzen über uns herein. Unser Bruder Albert Zinnow hat sich am 20. März, nachmittags zwischen 4 und 4 ½ Uhr in seiner Wohnung, in Neuendorf, Lindenstraße 64, auf dem Lattermannschen Grundstück durch Erhängen selbst das Leben genommen. Silvester erst beging er seinen 42. Geburtstag. Sophie musste dem verständigen Ortsvorsteher Julius Mücke (auch Standesbeamter) und dem Pfarrer Koller alles berichten, was sie wusste. Pfarrer Koller trug die Angaben ohne Nummer (nach Nr. 43/1881) in das Nowaweser Sterbebuch ein, da sie ja in dieser Zeit in Neuendorf lebten. Im Neuendorfer Kirchenbuch wurde über dieses schreckliche „Vorkommnis“ dagegen nichts vermerkt. Wahrscheinlich wird auch bald die Criminalpolizei kommen. Diese Nachricht geht wie ein Lauffeuer durch die Orte. „Nach vorn“ kondolieren die Leute mit dem Ausdruck des Bedauerns aber „nach hinten“ halten verschiedene von jenen aber auch Maulaffen feil. Sophie möchte am liebsten im Erdboden versinken, niemanden sehen. Warum er aus dem Leben schied, kann ich nicht sagen. Hatte er eine zu große Unstimmigkeit mit Sophie? Reichte das knappe Brot auf Dauer nicht? Warum nur wirklich? Und ich war nicht in Nowawes-Neuendorf, um ihm beizustehen und ihn stärken zu können. Welche Gründe auch immer zu diesem Kurzentschluss beigetragen haben mögen – man geht doch nicht einfach. Albert schien uns, bei ernster Natur, immer ruhig und fest, in der Arbeit, im Gemüt und im Glauben. Und nun dieses vorzeitig Endgültige.

(Anmerkung: Vielleicht wusste die Ehefrau oder wussten die Schwestern etwas von den Gründen oder ahnten diese zumindest. Uns Nachgeborenen fehlt darüber aber deren Kenntnis und an Spekulationen über mögliche Hintergründe wollen wir uns nicht beteiligen).

Ich selber musste doch auch kämpfen. Muss es jeden Tag tun. Nun steht Sophie mit den beiden Kindern alleine da. So tragen wir am 23. März unseren Bruder und Sophie mit den Kindern ihren Ehemann und Vater zu Grabe. 42 Jahre, 2 Monate und 20 Tage alt wurde auch er nur.

Früher, bis 1872, hatte Familie Albert Zinnow in Nowawes, Priesterstraße 7 gelebt. Am 02. April 1872 waren Albert und Sophie mit ihren Kindern

- Anna Pauline, * Nowawes 20. Juni 1865 un

- Hermann Karl, * Nowawes 18. Januar 1868

nach nebenan, nach Neuendorf, Lindenstraße 64 zum Hauswirt Lattermann gezogen. (Er hieß Wilhelm Johannes Lattermann, Grundstücksmakler in Friedenau bei Berlin, * 1854, † 13. März 1909, bestattet am 17. März 1909 in der Neuendorfer Bethlehemgemeinde auf dem Friedhof an der Großbeerenstraße).

Nun aber zieht Sophie mit den Kindern wieder zurück zur Priesterstraße 7/8.

Diese Zeit mit ihren Umstände haben Schwägerin Sophie doch sehr mitgenommen.

Auch unserer Schwester Friederike geht es gesundheitlich nicht gut. Sie hat's mit der Lunge. Einmal ausspannen täte ihr gut – aber wer kann das schon?


1882

Hier in Berlin werden die Gaslaternen mit den Glühstrümpfen, gegen neue Laternen mit richtigen elektrotechnischen Glühlampen in Birnenform ausgetauscht. Diese sehen lustig aus – ja eben, wie die Birnen. Auch unsere gute Luise, die verewigte Königin, soll ja vor Eifer oftmals geglüht haben.

Die Gazetten bringen die Nachricht, dass von jetzt an eine Bahn mit elektrischen Antrieb (also tatsächlich ganz ohne Pferde) auf einem Versuchsgeleise bei Lichterfelde fährt. Wenn das man gut geht! – Und in Nowawes eröffnet erstmals ein Arzt eine Behandlungspraxis. Endlich. Das ist gut.


In dem inzwischen leer stehenden Ladengeschäft im Parterre des Hauses Naunystraße 22, kann ich eine kleine Verkaufseinrichtung etablieren, eine „Mehl- und Vorkosthandlung“, wie ich sie nenne, richte ich ein, die uns mit ernähren soll. Richten wir ein, muss ich sagen, denn meine Mädchen nehmen gern ihre Mitsprache wahr. Marie wurde eingesegnet, hat die Schule hinter sich gebracht und braucht ja nun einen Arbeitsplatz und in zwei Jahren ist auch Elisabeth soweit. Weil es nun keine direkte Laufgegend ist, erweist es sich als richtig, dass man „auf zwei Beinen besser steht“. Daher halten wir die Markthallenstände ebenfalls aufrecht. Die Mädels haben bei ihrem steten Helfen, von mir im Kaufmännischen doch schon manches Rüstzeug mitbekommen.


Berichtete ich Euch vor zwei Jahren vom Ableben der Tante Caroline Beelitz, geb. Sotscheck, so ist nun auch der älteste ihrer Brüder, der Friedrich Wilhelm Sotscheck, zu letzten Ruhe gegangen. Seine Frau, die Friederike, eine geborene Willberg, war ja bereits vor ihm gegangen. Deswegen fand er noch im Oberlinhause, in der Lindenstraße, seine Betreuung. Der HErr nahm ihn am 27. Dezember zu sich.


1883

Es geschieht leider noch viel mehr an schier unermesslichen Traurigkeiten, als ich hier aufzählen kann und möchte. Nur soviel:

Unsere schwer geprüfte, große Schwester Friederike Gericke stirbt in Nowawes, in der Priesterstraße 7 / 8, am 26. Februar 1883, gegen 4 Uhr am Nachmittag an Lungenschwindsucht (Tuberkulose). Sie erreichte nur ein Alter von 52 Jahren / 5 Monaten / 2 Tagen und hinterlässt den Gatten August Julius Gericke sowie von den neun Kindern die sie geboren hatte, drei großjährige Kinder und ein minderjähriges Kind, die ihnen geblieben sind.

(Nüchterne amtliche Vermerke für das Standesamt: Testament vorhanden. Sie hinterlässt ein Guthaben von mehr als 150 Mark. Sie war 28 Jahre verheiratet. Standesamt 36 / 1883, Quelle: Stadtarchiv Potsdam, Film 308, Bild 223). Anzeige des Ablebens bei Pfarrer Koller durch den Gatten (August Julius Gericke).

Am 01. März 1883 nehmen wir auf dem Kirchhof an der Mittelstraße Abschied von Friederike – aber in unseren Herzen wird sie immer einen festen Platz haben. (KB. Friedrichskirche Nr. 40 / 1883). Zu oft weilte ich in der vergangenen Zeit notgedrungen hier, an diesem stillen Ort. Von den Geschwistern unserer Familie sind jetzt nur noch Pauline und ich geblieben.


Mein Schwager Johannes Sotscheck bekam mit seiner Frau Clara, geb. Maager am 10. März Zwillinge. Richard Max und Paul Bernhard sollen sie heißen. Beide wurden am 1. April getauft und beide wurden ihnen am 2. Juni vom Tod genommen. Und so müsste das Berichten mit anderen Kindern in unserem Familienverband weiter gehen. An dieser Stelle verzichte ich besser darauf.


Mein Neffe Otto Gericke,Tischlermeister, geboren 1855, Sohn meiner leider kürzlich verstorbenen Schwester Friederike und ihres Mannes August Julius Gericke, heiratet im Nowaweser Standesamt am 04. Juni 1883 mit 27 Jahren die Jungfrau Wilhelmine Marie Borchert. Sie wurde geboren zu Nowawes, in der Wallstraße 19, am 06. Oktober 1861 und ist zurzeit 21 Jahre jung. Ein hübsches Küken. Sie ist die Tochter des Webermeisters Rudolf Borchert und seiner Ehefrau Wilhelmine, geborene Sonntag. Die Zeugen auf dem Standesamt sind Schlossermeister August Gericke, 51 Jahre alt, wohnend in der Priesterstraße No. 7 / 8 und der Webermeister Rudolf Borchert, 52 Jahre alt, in der Wallstraße 19 lebend.

Am 05. Juni vollzieht Pfarrer Koller die Trauung, als heiligen Bund der Ehe. (Quellen: Standesamt Nr. 26 / 1883, Stadtarchiv Film P 290, Bild 117. Kirchenbuch (KB) 29 / 1883.) Otto Gericke wohnte bisher in der Nowawes Priesterstraße 7 / 8. Aber nun zieht das Paar in die Priesterstraße 19.


Meine Schwester Pauline und August (Dittwaldt) rappeln sich mit ihrer Schankwirtschaft immer mehr empor. Im östlichen Süden von Berlin bestand auf freiem Feld an der Hasenhaide und den Weinbergen eine wilde Ansammlung von Hütten armer obdachloser Leute. Die Regierung hat die Fläche räumen lassen, weil diese als Bauland erschlossen werden soll. Die Dittwaldts wollen sich dort etwas Eigenes schaffen. Ihnen geht es gut. Die vorgesehene Straße, an der das Haus liegen wird, soll den Namen Kottbusser Damm erhalten. Die Cousinen, meine Große, die Marie und Paulines Tochter Hedwig entwickeln sich zu unzertrennlichen Freundinnen. Wenn wir vom Verkauf abends nicht zu müde sind, treffen wir uns gern bei Dittwaldts in der Oranienstraße 174 – es ist ja nur ein Katzensprung entfernt – und sitzen bei leichter Handarbeit noch ein Weilchen „in der sommerlichen blauen Stunde“ zusammen, so der Schankbetrieb es zulässt.


Die Reihe der Todesfälle in unserer Familie reißt nicht ab. In Nowawes (Kirchplatz 16) stirbt nun auch mein Schwiegervater Gottlieb Sotscheck „zwischen den Jahren“ am 29. Dezember nach einer Erkrankung mit Lungenentzündung vom Liegen. Er wurde 70 Jahre alt. Pauline, ihr August D. und ich fahren sogleich hin. Mein Schwager Johannes (der Rendant bei der Krankenkasse) wohnt ja dort bei den Sotscheck-Eltern. Der Schwiegervater wird anfangs des Jahres auf dem Kirchhof, im Friedgarten an der Mittelstraße beigesetzt. Sehr viele Leute aus dem Ort begleiten den Leichenzug und ich komme dort schon wieder zu einigen guten, wenn auch überwiegend traurigen Gesprächen und erfahre Neuigkeiten aus meinem lieben alten Nowaweser Heimatort.


1885

Schwester Pauline, ihr Mann und die Kinder ziehen von der Oranienstraße 174 in den Kottbusser Damm, in das neu erbaute „Dittwaldtsche Haus“. Wie stolz das klingt. Nun gut, ein Großteil gehört der Bank, bis der Kredit abgezahlt sein wird. Aber immerhin! „Nüchterne“ Hausnummern werden erst später vergeben. Im Erdgeschoss ihre neue Gastwirtschaft, darüber, in der Belle-Etage, die Wohnung. Das Haus ist gerade fertig, also noch nicht trocken gewohnt. Alles riecht nach dem frischen Anstrich, nach Leim- und nach Ölfarben. Nur der Gastraum ist nicht ganz so schön hell, wie in der Oranienstraße, weil hier die Straßenfront des Hauses kürzer ist und der Gastraum sich tief in das Gebäude erstreckt. In den Laden links vom mittig angelegten Hausflur, also ein Pendent zur Gastwirtschaft, zieht als Mieter gerade der Kaufmann Horprecht ein. Ansonsten noch keine weiteren Mieter.

Genau im Nebenhaus, also rechts von Dittwaldts gelegen, ist nun das nächste Haus fertig geworden. Der Eigentümer ist ein Rentier, der Herr Köbe, also heißt es das Köbesche Haus. Herr Köbe wohnt aber nicht in seinem neuen Haus, er hat hier nur seine offenbar doch reichlichen finanziellen Mittel angelegt und betraute einen Verwalter, den Herrn Blau. Von seiner eigentlichen Profession her ist Jener ein Kontordiener. Ich kann euch auch verraten, woher ich das alles so genau weiß: Unsere gemeinsamen Bemühungen haben nämlich einen weiteren Erfolg gezeitigt! Seit wenigen Tagen wohnen wir nämlich hier und haben vorher natürlich mit ihm verhandelt. Nun sind die Familien von uns beiden, den noch übrig gebliebenen Schwestern, wieder sehr nahe gerückt. Wir sind Nachbarinnen und das tut gut. Auch mein Laden ist von der Naunystraße nach hierher mit umgezogen. Eigentlich ist er viel zu groß. Ein Tanzsaal. Über die Miete will ich nicht weiter sprechen. Mehr als in der Nauny' ist es schon. Der Kottbusser Damm soll ja eine feine Geschäftsstraße werden, wenn die Sandwüste verschwunden sein wird. Viel Kundschaft darf also in Bälde erwartet werden. Nur mit dem Horprecht müsste ich mal (ohne dessen Frau) reden, damit er darauf achtet, dass mir sein Sortiment nicht das Wasser abgräbt. Da scheint eine gütliche Verständigung angezeigt.

50 Lebensjahre habe ich nun im November hinter mich gebracht und bin allein geblieben.


1886

Meine lieben Mädchen, nur manchmal etwas zickig, sind mir wie ein zweites, warmes Rückgrat.

Ihr wisst ja: Marie ist schon 18 Jahre alt und voll erblüht. Lisbeth zählt 16 Lenze, Martha ist mit 13 schon ein rechter kleiner Backfisch, geht demnächst zum Konfirmationsunterricht und das zarte, sensible Hannchen, mein Nesthäkchen, ist 10 Jahre jung. Wenn das doch der Gottlieb noch hätte miterleben dürfen ... .

Mit der Arbeit sitze ich zu Hause im Laden aber auch mit einem Bein in der Markthalle. Marie und Lisbeth mit vier Füßen an den Lebensmittelständen. Der Umsatz steht voll im Flor. Na, sie haben ja das Handwerk schließlich bei mir gelernt, das ich mir selber akribisch annahm. Oder steckt hinter diesem Aufschwung noch weiteres? Sie sollen mir nur recht bei der Sache bleiben, denn es kaufen dort nicht nur burschikose Berliner Frauen, sondern es stellen sich auch junge Leute ein, vornehmlich wohl Dandys, Schnösel und auch mal Piekfeine, die sonst wohl nicht einholen gehen. Denn meine Großen sind ja nicht nur fernschön, nein sie sind adrett und, wie ich finde, gar lieblich anzuschau'n. Sie kommen in das Alter. Da will man wohl recht acht geben.

Wie mag es wohl meinem Johannes gehen? Ob er sich auch irgendwo anstellt, um zu äugeln?


Mein Sohn Johannes hat das Lehrerseminar erfolgreich absolviert. Jetzt stehen ihm die neuen Aufgaben im Beruf bevor und von uns wird aus diesem Anlass ein gemeinsames kleines Familienfest vorbereitet, deren Ausgestaltung sich nicht nur auf „Mehl und Vorkost“ beschränkt. Wir alle freuen uns mit ihm. Die 1. Volksschullehrerprüfung besteht er gut am 7. April und tritt dann am 1. Mai in den Öffentlichen Schuldienst ein. Das ist in Rangsdorf. Bis 1894 wird er dort bleiben.


Die jüngste Schwester meines Mannes, Salomé Sotscheck, verheiratet mit Bäckermeister Heine, stirbt in ihrem Elternhause in Nowawes, Kirchplatz 16, am 02. Oktober 1886. Sie wurde nur 33 Jahre alt. Nun steht der Witwer mit den drei kleinen Kindern alleine da. Schwere Schicksale in unserer familiären Nähe. So komme ich immer wieder in meine alte Heimat – leider aber doch zumeist zu traurigen Anlässen.


Dittwaldts haben inzwischen sieben Mietsparteien in ihrem Hause. Die nächsten werden sich wohl bald trauen zu folgen, da das Mauerwerk nun längst gut trocken ist und zumindest in den Stuben Papiertapeten geklebt werden können, so man es möchte. Es können also nochmals sieben weitere Familien einziehen, bis das Haus voll bewohnt ist. Hausnummern werden verteilt: Dittwaldts wohnen im Kottbusser Damm 34, wir rechts daneben in der No. 33.


1887

In „unserem Haus“ leben inzwischen 12 Familien. Ach, Herrje – diese Berliner Beamten: Im neuen Adressbuch ist unser guter Name wieder falsch gedruckt. „Sottscheck“ grinst mich höhnisch an. Können die Leute denn einen einfachen Namen in einem so wichtigen (und gewichtigen) Werk nicht auch mal richtig schreiben? Ich werde reklamieren und es ihnen nochmals in die Feder diktieren müssen. Hoffentlich verlegen sie dann bis zum nächsten Druck den Korrekturzettel nicht.


1888

Mein Johannes hat nun auch die 2. Volksschullehrerprüfung am 5. Mai, glatt und ohne Schwierigkeit bestanden. In unserer Familie ist er nach seinem Bildungsgange nun der Wissende.

Der erste Kraftwagen mit einem Benzin-Explosionsmotor hat seine Bewährungsprobe bestanden. Gottlieb Daimler heißt der Erbauer. Ach, wenn das Gottlieb noch hätte miterleben dürfen. (Diese Gedanken kommen mir immer wieder). Die Entwicklung geht so stürmisch voran.

Kaiser Wilhelm I. stirbt. Nachfolger wird sein Sohn als Kaiser Friedrich III, ein verständiger, liberaler Mann mit seiner überaus geistreichen, geschickten Gemahlin, Prinzessin Victoria von England und Irland. Leider erliegt der Kaiser nach nur 99 Tagen des Regierens einem Kehlkopfkrebs-Leiden. Nachfolger wird dessen Sohn Wilhelm II. als Deutscher Kaiser und König von Preußen. Er stelle eine nicht so gute und starke Figur dar, meinen die Kundigen.


1889

Zur Silberhochzeit von Pauline und August waren wir nach nebenan eingeladen. Ein schöner Abend – mit einem wehmütigen Nachhall. Gottlieb und mir war eine solche zweite große Hochzeit nicht vergönnt, lediglich die Hälfte dieser Zeit. Wir hätten diesen Tag im kommenden Jahr begehen können. Eine verblassende Erinnerung an ein Stück vom Glück.


Der alte Herr Köbe hat das Miethaus verkauft. Der neue Besitzer ist ein Kaufmann namens Keßler. Gekauft hat er ein Haus, hat er Mieteinnahmen. Nicht wachsen hat er es gesehen, hat nicht erlebt, wie sich die damals neuen Familien leichter oder langsamer zusammen gelebt haben. Nur zusammengemauerte Steine hat er gekauft, an einer zukunftsträchtigen Straße. Profit soll der Bau abwerfen. Er will die Ladenmiete für meine Vorkosthandlung erhöhen. Das wird mir schwer werden. Vielleicht aber will er gar auch die Räume, ohne es heute schon auszusprechen, denn er selbst ist ja auch ein Kaufmann, der manches feilbieten möchte.


1890

In dem Adressbuch dieses Jahres ist unser Name nicht falsch ausgedruckt. Das gilt aber nicht als eine große Leistung. Genauer: Es ist überhaupt nichts ausgedruckt, denn für dieses Jahr haben die staubschutzärmeligen Staatsdiener die Bewohner nur bis zum Haus No. 22 aufgeführt. Alle weiteren Häuser fehlen, sind vergessen worden, als wären sie noch nicht gebaut und nicht bewohnt. In der Natur aber stehen sie – doch wie soll man uns da finden?

Wichtigeres: Ja, unsere weibliche Vollversammlung, also der Haushaltsvorstand, hat sich notgedrungen entschlossen: Wir ziehen aus – es wird zu teuer für unsere Verhältnisse! Jedoch haben wir vorher auch um Johannes' Meinung gebeten und er sah keinen Grund, sich unseren Plänen entgegen zu stellen.

In der nächsten Querstraße, nur einen Katzensprung weiter, finden wir in der Boppstraße 6 einen kleinen Laden mit Wohnung. Der Laden ist wesentlich kleiner, als bisher, wirkt dadurch eher gemütlich. Zweckoptimismus ist gefragt. Die Miete liegt niedriger. Der Horprecht-Konkurrenzdruck ist aus dem Auge verschwunden. Kopf, Seele und Geldbörse sind erleichtert. Das Haus ist auch erst gerade errichtet, ganz neu. Aber vor uns wohnen bereits 10 Familien darinnen. Das ging aber schnell. Eigentümer, unser Hauswirt, ist der Fabrikant Lohse. Unmittelbar gegenüber dem Haus – der Hohenstaufenplatz. Also keine Häuser vor unseren Nasen. Eine hübsche Grünanlage soll hier entstehen und schattenspendende Straßenbäume werden auch schon gepflanzt. Wunderschön, das alles. Herzerfrischend dieser anstrengende Wechsel. Und wir hatten freundliche Helfer dafür.


In der Berliner Belle-Alliance-Straße, dort in der Nähe, wo Dittwaldts zuerst wohnten, muss die letzte große Holländer-Windmühle, ein Wahrzeichen der vergangenen Zeit, dem Baugeschehen weichen. An dieser Stelle werden Mietskasernen für Arbeiter entstehen. Mit zwei bis drei Häusern an sonnenarmen „Hinterhöfen“. Ganz neue Bauten zwar und trotzdem scheint schon absehbar, dass Tuberkulose, Rachitis und Co., sich als ungebetene Gäste mit einquartieren könnten.


Paulines älteste Tochter, meine Nichte Marie Dittwaldt, heiratet den bedeutend älteren Gastwirt Gustav Weiland (obwohl doch auch so viele junge Männer in der Nähe sind). Gegen die kräftige Marie körperlich, also rein äußerlich, ist er ein Zierling. Gegensätze ziehen sich an. Das bewahrheitet sich immer wieder. Mal. Ein gutes, väterliches Herz sagt man ihm nach. Hoffentlich sind sie auf Dauer glücklich! Wir wünschen es ihnen.


1891

Vom alten Sotscheck-Grundstück, Nowawes, Parzelle 60, dem zwischenzeitlichen Zinnow-Eigentum, verkauft meine Schwägerin, Alberts Witwe Sophie Zinnow geborene Thorau das ererbte rechte Teilgrundstück (also unser Elternhaus), Priesterstraße 18, an die Evangelische Kirchengemeinde. Diese wird später im Gartenland ein größeres Gebäude errichten lassen. Bald nach dem Verkauf, zieht Sophie Zinnow am 6. April von der Priesterstraße 7 / 8, mit den beiden Kindern zum Kirchplatz 13.

Sie meldet sich aber auch nach Berlin, Treptower Chaussee 12, ab. Das ist eine sehr schön gelegene Wohngegend, zwischen dem Treptower Park und der Spree, gegenüber der Halbinsel Stralau. (Anmerkung: Der vorherige Absatz stützt sich nur auf das Melderegister. Aus diesem ist nicht erkennbar, ob sich Sophie nur zum besuchsweisen Aufenthalt nach Berlin abmeldete oder tatsächlich zum Wohnortwechsel). Sophies Sohn Hermann ist inzwischen auch Weber.

Der linke Teil der früheren Parzelle Nowawes 60, also das Grundstück Priesterstraße 19, war ja geerbtes Eigentum unserer Schwester Friederike (Zinnow) und ist seit ihrem Ableben, das ihres Mannes, des Witwers August Julius Gericke.

(Anmerkung: Die Töchter Auguste und Pauline sind zwar auch in der Priesterstraße 18 / 19 aufgewachsen, erhielten wohl aber eher einen finanziellen Erbanteil ausgezahlt. Darüber konnte der Autor jedoch noch keine Kunde aufspüren).


Wieder eine Sensation! Man höre und staune! Dem geschickten Handwerker, Ingenieur und Aviatiker Otto Lilienthal (1848–1896 aber letzteres können wir noch nicht wissen), gelingt mit seinem aus Holz und Segeltuch selbst gebauten Aeroplan ein Gleitflug von etwa 15 Metern(!) Länge, am Berg bei Derwitz. Hurra, der Mensch kann fliegen. Heute sind wir also schon wie große Fliegen. In einer fernen Zukunft werden wir es vielleicht dem Geschick der Vögel gleichtun können.


1892

Jetzt will ich mich sammeln, denn was ich derzeitig durchlebe, ist kaum zu fassen.

Vor nur wenigen Jahren war unsere Tochter Marie ein noch ganz kleines Kind – und plötzlich wird sie mir aus unserem kleinen Laden in der Boppstraße 6, an einem denkwürdigen Tage von dem Bauer aus unserem Hause weggeheiratet. Ich darf mir gar nicht vorstellen was er alles mit meinem Kind anstellte, um sie dazu zu bringen, sie herum zu bekommen – oder hat gar etwa sie, ihn ein bisschen angestiftet? Meine Große?


Bisher hatte sie ja eine Reihe von Bewerbern und jene mit unterschiedlichsten Manieren und Eigenschaften im Auftreten und des Charakters, sowie von verschiedenstem Aussehen. Gute, grundsolide Jungmänner hatte sie in teils schnippisch-schnöder Weise geknickt, Hallodris mit glückhaft-sicherem Gespür kalt abgelehnt, so dass sich mir diese Vorgänge als verhältnismäßig harmlos zeigten. Das Kind erzählte mir ja wohl auch alles Wichtige. Denke ich. Wir sind ja wie Freundinnen, sie schon 24 ich erst 56. Ihre frühere Erwartung, ihre Jungmädchentagträume, dass ein Prinz sie freien möge, – sie, das selbstbewusste, schöne, junge, kerngesunde Marktfräulein, einem Prinzessinnen-Ideal gleichend, – hat sie nunmehr offenbar fahren lassen.

Und nun dieses. Warum denn jetzt und wie denn bloß? Wie war das eigentlich damals bei mir – und dem zurückhaltenden, etwas unbeholfenen Gottlieb? ... Ach so, ja, na denn.


Nein, nein, ein Landwirt ist dieser nun wohl feste Bauer mitnichten. Er dient dem Königreich als Unteroffizier, heißt aber ungeachtet dessen: Georg Friedrich Bauer.

Wer aber ist dieser Bauer? Er stellte sich mir artig erscheinend vor, als er um die Hand meiner Tochter anhielt. Der Form halber – denn die Beiden waren sich sowieso schon einig und wozu sollte ich ihnen meinen Segen verwehren – ist es doch ihr Leben. Er macht einen anständigen Eindruck und sieht blendend aus. Lassen wir also der Natur ihren Lauf. Es wird schon alles richtig sein, ist ja alles ganz normal, nur mir fällt das Loslassen meines Kindes so sehr schwer.

Sein Vater, Carl Bauer war Soldat, zeitweilig in der Festung des Luxemburgischen Großherzogtums (weil dieses 1815–1866 zum Deutschen Rheinbund gehörte) und später, bald nach seiner Heirat, übte er die Tätigkeit als Eisenbahnbeamter in Conz bei Trier aus. Am

10. Februar 1866 ehelichte er die Anna Henriette Mandernach aus Luxemburg-Stadt, die, nachdem sie sieben Kindern das Leben gegeben hatte, bereits im Alter von 30 Lebensjahren starb.

Der kleine Georg Friedrich lebte also als Halbwaise in Luxemburg, hernach in der Schweiz, dann wieder im märkischen Fürstenwalde bei seinem Großvater. Ein unstetes Kinderleben, nur über einige Strecken gut gefördert und behütet. Er lernte widerwillig Perückenmacher (das verstehe ich zutiefst) und bewarb sich, diesem Ausbildungsberufe fliehend, mit dem Erreichen des diensttauglichen Alters, gleich an seinem 17. Geburtstag an der Potsdamer Unteroffiziersschule in der dortigen Jägerallee No. 10. Nun ist er nach langer Dienstzeit seit 1890 ein Feldwebel in Berlin und die Zukunft wird es wissen, dass er ab 1895 auf verschiedenen Posten, Tätigkeiten als Königlicher / Staatlicher Verwaltungsbeamter bekleidet.

Das also ist nun mein Herr Schwiegersohn. Vielleicht doch eine Art verkappter Prinz, wenngleich ein wenig viel in feldgrau gewandet. Der äußerst denkwürdige Tag der Hochzeit ist der 16. April des Jahres 1892. Natürlich freuen wir uns mit ihnen.

Marie ist nun fort. Gründet eine eigene Familie. Das Haus scheint fast leer. Die rückgebliebenen Mädchen vermissen ihre große Schwester in der Wohnung, trösten sich mit dem Platzgewinn.

Bei uns dreht sich das Arbeitskarussell: Lisbeth und Martha bedienen an den Ständen und Hannchen lernt neben der Schule bei mir für's praktische weibliche Kaufmannsleben.


Pauline (Dittwaldts) zweite Tochter, also meine Nichte Hedwig, heiratet den Bahnbeamten Ernst Borries. Er scheint mir bei unserem Zusammentreffen als ernst und wortkarg. Er vermittelt so ein trockenes Wesen. Einen kalten Hauch von rauem Hartholz. Oder ist das nur mein Eindruck, weil ich vielleicht nicht „sein Typ“ bin – wer weiß. Was findet die Hedwig an ihm, bei ihm? Hoffen wir – die Liebe stimmt. Die wird's schon glätten. Und Achtung sowie Vertrauen. Vielleicht zumindest Kameradschaft?

Bisher war ja Hedwig als Cousine meiner Mädels, gleichsam Maries beste Freundin. Ob sich das nun mit der Heirat, mit neuen Pflichten und dem Einfluss der Männer lockernd ändert?


1893

Hoppla, das mit der Boppstraße 6 war ja so etwas wie eine „Zwischenaktsmusik“ im Theater des Lebens, als solche ursprünglich nicht vorgesehen. Wir haben uns verbessert und wohnen nun in Berlin-Südost 26, im Hause am „Bethanienufer 7“ nahe am schön geschwungenen Wasserlauf des Königin-Luise-Kanals, der die Spree mit dem Landwehrkanal verbindet. So leben wir nahe dem Krankenhaus Bethanien, der Thomaskirche und dem grünen Mariannenplatz. Der Eigentümer des Hauses No. 7 ist der Rentier Herr Liebau, der Verwalter heißt Taage. Es ist ein gepflegtes Haus, im Spätbiedermeier-Stil gestaltet. Unsere Mehl- und Vorkosthandlung findet auch wieder im Parterre Platz. Ich denke, dass ich in diesem schönen Wohnsitz mit Arbeitsstätte endgültig Wurzeln schlagen kann und Ruhe finden. Hier möchte ich wohl auch bis zum Ende meines Lebens wohnen bleiben.

(Anmerkung: Das Haus Bethanienufer 7 steht nicht mehr. Deutschland hat zu viele Kriege geführt Vorher hat man es noch für ein paar Jahre – 1937 bis 1947 – in Felsendamm 57 umbenannt. Bethanien war zu jüdisch).

Unsere Hauskirche ist nun die Thomaskirche, gleich nebenan, direkt am Mariannenplatz.

Wisst ihr übrigens, dass unser Heimatschriftsteller Theodor Fontane auch im Krankenhaus Bethanien wirkte? Nach der Eröffnung des Hauses leitete er dort 1848/1849 die Apotheke und bildete zwei Diakonissen im Apothekenwesen aus.


Meine Große, Marie, sieht Mutterfreuden entgegen. Geboren wird meine erste Enkeltochter: Margarethe Bauer. Man wird sie später gemeinhin „Grete“ rufen.


Und wieder einmal: Frisches Blut aus Stolpe: Die Nachricht über ein nur scheinbares Kuriosum erreicht uns: In Nowawes-Neuendorf gibt es 28 Jahre nach der Hochzeit von Gottlieb mit mir, wieder eine Trauung „Sotscheck oo Zinnow“. Nennen wir das Paar zur besseren Unterscheidung für ihren Lebenslauf also Sotscheck2 oo Zinnow2. Diese „kleine neue“ Auguste, aus unserer Sippe in Stolpe, ist 23 Jahre jung (war das damals auch für mich eine schöne Zeit)! Sie steht damit im gleichen Alter, wie meine Tochter Lisbeth, 1870 geboren.

Ihr Vater ist Friedrich Carl Ludwig Zinnow aus dem Hause Stolpe, Glienicker Straße 1. Dieses Grundstück Glienicker Straße 1 ist eine Erbmasse aus dem Großelternhaus Zinnow oo Perlewitz. Seine Frau, Augustes Mutter, ist Friederike Caroline, geb. Hönow, deren Elternhaus aus hellgelben Klinkern schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite steht, direkt neben der Stolper Kirche. Ihr kennt die Verhältnisse ja hinreichend, nur der Vollständigkeit halber seien sie hier nochmals erwähnt.

Der stolze Bräutigam unserer Auguste Zinnow ist der um knapp vier Jahre ältere Sattlermeister Gustav Otto Sotscheck aus Neuendorf, Schulstraße 9. Dort ist die gemeinsame Wohnung des Paares. Er ist der Sohn vom Webermeister Friedrich Samuel Gustav Sotscheck und dessen Ehefrau Marie Auguste, geb. Lehmann, also eine engere Verwandtschaft von Gottliebs Seite.


Bald kommt auch das erstes Kind von Otto und Auguste. Das Söhnchen Gustav Otto Franz Sotscheck wird in Neuendorf, Schulstraße 9, am 16. Mai 1894, nachmittags um 5 Uhr geboren. Taufe am 24. Juni 1894 in der Neuendorfer Bethlehemkirche. Pfarrer Karl Schlunk tauft das Kindlein. KB Neuendorf 64 / 1894. Standesamt: A Nr. 92 /1894.

Ich nehme mir einfach mal heraus, einen Blick in die Zukunft zu tun, weil ich es später nicht mehr erlebe, wahrscheinlich dann nicht mehr so sehr viel Zeit habe es für euch aufzuschreiben, denn unser aller Lebensuhren ticken. Ständig geht es vorwärts. Also, das Söhnchen der Beiden, der Franz, wird nicht in die Sattlerfußstapfen seines Vaters treten, sondern studieren und erfolgreich eine Doktorarbeit über einen Problemkreis, wohl der Pharmazie, verfassen.

Auf dem Grundstück seines Elternhauses, Schulstraße 9, wird nach dem Abriss das neue Pfarrhaus errichtet. Seine Eltern erwerben das gegenüberliegende Grundstück Eisenbahnstraße No.7 ( => Karl-Liebknecht-Straße 1). In dem geräumigen Bau, der sich mit zwei Flügeln in die Schulstraße sowie in die Eisenbahnstraße erstreckt, findet im Erdgeschoss eine „Medizinische Drogerie – Beratung & Verkauf“ – Dr. Franz Sotscheck, ausreichenden Platz.

Franz heiratet im Jahre 1925 Elisabeth Wessels in Bremerhaven.

Gestorben ist Elisabeth in Potsdam-Babelsberg am 23. September 1943.

Gestorben ist Franz am 26. April 1945.


Das zweite Kind kommt am 29. November 1895 zur Welt. Geboren in Neuendorf, Schulstraße 9, am 29. November 1895, nachmittags um 12 ½ Uhr. Taufe am 25. Dezember 1895, dem

1. Weihnachtsfeiertag, bei Pastor Karl Schlunk. Das Mädelchen wird Caroline Auguste Elisabeth geheißen und ich, Auguste Sotscheck, habe die Ehre, eine der Patenstellen bei der Taufe einzunehmen. Drei Augustes treffen dann also in der Neuendorfer Kirche bei Herrn Pfarrer Schlunk am Taufbecken zusammen. Wie schön! Die anderen Paten sind Pauline Sotscheck, Witwe Zinnow aus Stolpe, Albert Thal und Albert Zinnow aus Stolpe.

Elisabeth wohnt 1917 noch bei den Eltern in Nowawes, Eisenbahnstraße 7. Sie heiratet, 22-jährig, am 29. Oktober 1917 den 29-jährigen Fleischer-Meister Karl Ferdinand Georg Johl.


Vater Otto Sotscheck, Sattler-Meister, stirbt am 09. Dezember 1928 im Alter von 62 Jahren.

Mutter Auguste Sotscheck: Im ersten und letzten Potsdamer Adressbuch nach dem nächsten Weltkrieg, wird im Jahre 1949 zu lesen sein: Witwe Auguste Sotscheck, Eigentümerin des Hauses Karl-Liebknecht-Straße 1 (das ist – nun umnummeriert – das gleiche frühere Eckhaus Eisenbahnstraße 7 / Schulstraße). Ihr Leben endet im Alter von 88 Jahren am 15. September 1958 in Wilhelmshorst.


Genug nun aber der Vorschau und zurück in die richtige Reihenfolge der Ereignisse.



1894

Am 10. April wird in Charlottenburg der Arthur Wilhelm Otto Gericke, ein Kind von Tischler Otto Gericke und seiner Wilhelmine, geborene Borchert, geboren. In Schlorrendorf, wie die Einheimischen statt Charlottenburg sagen. Otto wächst dann aber auch in Nowawes auf. –


Mein Johannes zieht mit Familie von Rangsdorf nach Zehlendorf. Er wechselt als Lehrer zur Zehlendorfer Gemeindeschule und wird dort bis 1907 bleiben.


Seit dem 10. Oktober ist in Nowawes inzwischen Hermann Dessin der neue Pastor auf der

2. Pfarrstelle. Er kommt aus Perleberg in der Prignitz, wurde dort am 16. März 1864 geboren. Seine Ehefrau heißt Eugenie, ist eine geborene Krause und stammt aus Berlin. Die Zukunft weiß: Sie werden drei Kinder haben: Marianne 1896 geboren, Helmuth 1897 und Irmgard, 1899 geboren. Mit der Ankunft des Pf. Dessin, erhält Paul Koller den Ehrengrad: Oberpfarrer (Erster Pfarrer).


1895

Am 14. März stirbt das achte Kind meiner verstorbenen Schwester Friederike und August Gericke. Es ist der erst knapp 26-jährige Glasergeselle Franz Gericke. Er stirbt in seiner Wohnung, Nowawes, Kirchplatz 2.


Meine Nichte Hedwig Borries bekam gestern, am 23. März, ihr erstes Kind. Kurt heißt der Junge.

Was wir noch nicht ahnen können: Säugling Kurt wird später gemeinsam mit meinem Enkel, Maries 1897 geborenen zweiten Kind, Werner Bauer, in Leipzig und Tübingen Philologie studieren. (Die beide jungen Männer sind Groß-Cousins).


Meines Schwagers August Gericke zweite Ehefrau (die Nachfolgerin meiner Schwester), Auguste Wilhelmine, geborene Kreutz, verwitwete Schwabel) stirbt am 19. November mit 56 Jahren nach

7 Jahren Ehezeit. Sie wird am 22. November an der Wichgrafstraße beigesetzt.


Und ich vollende in diesem Jahr bereits mein 60. Lebensjahr. Wo ist die Zeit geblieben?


Herr Konrad Röntgen (wie ihr wisst, gehört er „nicht direkt“ zu unserer Familie) findet die „X-Strahlen. Sie werden sich als ein Segen in der Medizin und somit für die Menschen erweisen. –

Ein Schiff fährt, von einer Dampfmaschine angetrieben, von Europa nach Amerika. Vorsichtshalber hat man aber die Segel trotzdem mit dabei. Das spart auch Kohlen. –

In unserer Hauptstadt findet die erste Kinovorstellung mit „bewegten Lichtbildern“ statt.


1896

Am 8. August verunglückt der hochbegabte Otto Lilienthal am Gollenberg bei Stölln bei einem Absturz aus 15 m Höhe und stirbt an einem Bruch seiner Wirbelsäule. Nur 48 Jahre alt wurde er.

Am 3. September stirbt in Nowawes, Kirchplatz 16, bei ihrem Sohn Johannes, meine treffliche Schwiegermutter, Caroline Sotscheck-Melzheimer, an Altersschwäche. Sie erreichte das gesegnete Alter von 83 Jahren.


Schwester Paulines dritte Tochter, das früher so zarte Klärchen Dittwaldt, heiratet nun auch schon. Am 15. September in der Emmaus-Kirche am Berliner Lausitzplatz. Ihr frisch gebackener Ehemann stammt aus dem altmärkischen Osterburg, lebt aber schon seit seiner Kindheit in Berlin und ist durch seine Wohnsitze (Manteuffelstr. 5 und Wrangelstraße 141) seither mit der Thomaskirche verbunden, zu der auch wir jetzt gehören. Er heißt August Janecke (Großvater von Chris Janecke) und ist ein eigenständiger Fuhrherr. Mit Pferden geht er schon seit seiner Kindheit um. Durch dick und dünn. Vielleicht sind die Verhältnisse ähnlich wie damals bei Gottlieb und mir. Er ist nicht so voller Temperament und sprühend wie's Klärchen Dittwaldt, sondern mehr überlegsam, sensibel und ruhig aber recht freundlich. Bei diesen beiden jungen Menschen habe ich wieder ein gutes Gefühl. Bereits geraume Zeit wohnte der August Janecke bei Dittwaldts im Hause Kottbusser Damm 34, als möbelierter Herr. Aber bitte nicht bei Klara, sondern hübsch abgeschieden in dem kleinen Zimmer hinter dem Restaurant, auf halber Treppe, zum Hof hinaus. Ordnung muss sein.

Meine Tochter Martha heiratet den Wilhelm Starkloff und zieht mit ihm gen Westen. Der Wilhelm ist bei der Firma Krupp, in Essen am Rhein, tätig.


1897

Geburt meines kleinen Enkels Werner Bauer im Januar. Taufe zu Ostern. Als Geschenk erhalten meine Kinder (für den Täufling ist das noch zu schwierig) die schöne neueste Ausgabe eines Evangelischen Kirchengesangbuches, die Seiten mit Goldschnitträndern. Es ist ein Werk mit hauchdünnen Blättern. Die 576 Seiten des Buches enthalten 654 Kirchenlieder, eine Vielzahl erbaulicher und erläuternder Texte und 42 geistliche Volkslieder. Und natürlich meine Widmung für den Kleinen.


Auch im Hause Janecke eine Geburt. Käthe heißt das kleine Mädelchen, meine Großnichte, die, geboren am 13. Oktober, dann am 3. November in der Kirche „Zum Heiligen Kreuz“ (an der Zossener Straße) getauft wird. Wir sind natürlich anwesende Zeugen auch dieser Taufe. Zu dem Taufakt in Berlin bedurfte es allerdings einer kirchlichen Sondergenehmigung, da die Janeckes derzeitig eine Gehminute vor der Stadtgrenze, nämlich in Rixdorf wohnen.

Mein Sohn Johannes wohnt jetzt draußen in Zehlendorf, Neue Straße 12 nahe bei der Schule, seiner Wirkungsstätte (und also auf halben Wege zu meinem geliebten Nowawes).


1898

Schwester Paulines jüngste Tochter, die Alma Dittwaldt, heiratet den Straßenbahnmeister Alfred Zocher, um mit ihm durch dick und dünn zu gehen. Ihre kleine Nichte Käthe Janecke gleicht der Tante Alma später fast wie ein Ebenbild oder wie ein jüngeres Ei, einem etwas gereifterem Ei. –

Im Mai findet die erste Probefahrt eines Autobusses mit der Elektro-Kraftspeisung aus Säure-Sammlern, so genannten Akkumulatoren, statt. –

Ein Schreck fährt durch die Depeschen. Die österreichische Kaiserin Elisabeth „Sisi“ ist von einem Attentäter mit einer spitzen Feile auf offener Straße, genauer: an einer Dampferanlegestelle tödlich ins Herz getroffen worden. Sie war als ein Opfer nicht vorgesehen. Er kannte sie nicht. Der Täter trug wohl einen allgemeinen Hass auf gut gekleidete, offenbar wohlhabendere Menschen in sich. Die Kaiserin erschien nur zu einer für sie ungünstigen Zeit auf dem Plan. –

Friedlich stirbt dagegen am 20. September unser märkischer Heimatdichter Theodor Fontane mit 80 Jahren an Altersschwäche. –


1900

Schon wieder gilt es über einen neuen Erdenbürger zu berichten: Meiner Schwester Paulines Tochter Klara, also meine Nichte Janecke, hat am 1. Oktober ihr zweites Kind zur Welt gebracht. August Alfred Richard wird der Junge heißen (Vater von Chris Janecke). In der Rixdorfer Jägerstraße 69 geboren, in Berlin, Heilig-Kreuz, getauft.


Johannes ist inzwischen innerhalb von Zehlendorf umgezogen. Er lebt jetzt nach der Hochzeit mit seiner Johanna, einer geborenen Ranke, in der Grunewaldstraße 2. Sie benötigen mehr Platz, als es den bisherigen Ansprüchen eines Junggesellen genügte. Denn auch wird aus dem jungen Paar bald eine richtige Familie. Johanna wird von einer Tochter entbunden, die den Namen Käthe erhält.


Im grauen November begehe ich meinen 65sten Geburtstag. Eigentlich kein Grund zum Feiern – aber so viele haben lieb und freundlich an mich gedacht, da kann ich dem unmöglich ausweichen.


In diesem Jahr begehen wir feierlich die Jahrhundertwende, die durchaus nicht jeder Mensch erlebt. Doch die Menschheit ist auch da gespalten. Manche feierten Silvester 1899 / Neujahr 1900, wir nun die Wende 1900 / 1901, andere hingegen feiern lieber zweimal. Jeder nach seiner Facon.


1901

Die jungen Janeckes ziehen nun von Rixdorf aus, in unsere alte Heimat Nowawes-Neuendorf. Sie leben in dem Haus einer Kalk-, Mörtel-, Bau- und Brennstoff-Firma in der Wiesenstraße 20-22. August Janecke ist dort der Verwalter des Betriebsteils. Es ist ein Wassergrundstück, direkt an dem Flüsschen Nuthe, das mir schon vom Elternhause her, so sehr ans Herz gewachsen war. Etwas wehmütig kommen mir die Erinnerungen an meine Brautzeit, als Gottlieb in Liebätz und mich in Nowawes, das Wasser der Nuthe gedanklich verband und plätschernd die Grüße überbrachte.

Alles in allem scheint mir dieses Grundstück nicht ungefährlich für die kleinen Kinder, am reißenden Fluss mit tiefem Wasser, zwischen Pferden und Wagen, ätzendem Kalk, tiefen mit Mörtelbrei gefüllten Kästen und diversen Baumaterialien auf dem Grundstück, zwischen Hunden und Katzen (Raubtieren) – na ja, kann man da nur warnend den Finger heben – gegenüber den Eltern und ihrer Pflicht des Ausübens der Kinderbeaufsichtigung! Die Kinder sollen, wie ich höre, auf diesem Abenteuerspielplatz aber auch viel Spaß haben.


Oh, lange schien Johannes und Johanna nicht der Sinn danach, in der Grunewaldstraße 2 mit ihrem Wohnsitz zu bleiben. Innerhalb von Zehlendorf zieht es sie nunmehr in die Königsstraße 16.


1902

Sohn Johannes und seine Johanna bekommen wieder Nachwuchs. Fritz wird der Junge geheißen, der am 12. Juli 1902 geboren wird. Fritz Martin Reinhold. Ob er die Tradition fortsetzt und auch mal ein guter Lehrer werden wird?


1903

Ein Familien- und Freundestreffen in Nowawes. Am 24. Mai fahren wir, meine Schwester Pauline Dittwaldt und ich nach Nowawes. Ihr August „war nicht auf dem Damm“; er gefällt mir schon seit längerer Zeit nicht so recht. Offizieller Anlass des Treffens ist die 150. Jubelfeier zum Bestehen der Friedrichskirche. Die Grußworte und die Predigt spricht Herr Oberpfarrer Koller. Der Kaiser und König erscheint zwar nicht, er hat aber seinen Sohn, den Kronprinzen Wilhelm gesandt. Der Sohn unseres Schwagers, Otto Gericke, der ja am Orte wohnt, hat uns den Text der Festpredigt beschafft. Für uns Schwestern war es ergreifend, wieder vor dem Altar unserer Heimatkirche zu stehen vor dem wir vor fast einer Lebenslänge getauft wurden und an dem wir damals unseren Männern das Ja-Wort gaben. Heute nehmen wir hier noch einmal am Heiligen Abendmahl teil.


Nun komme ich endlich auch dazu, eingehend das gefährliche Grundstück an der Wiesenstraße, in Augenschein zu nehmen, zu dem ich schon vorstehend meine Bedenken geäußert hatte.


Immer öfter wandern nun im Alter die Gedanken in die Vergangenheit, zur Kindheit im Elternhause, zur Dienstmädchenzeit – so auch nach Fahrland. Ich habe versucht, mich deutlich an das dortige Pfarrhaus in seinen Einzelheiten zu erinnern. Das ist nicht leicht, denn es sah den Häusern meiner Eltern und auch meiner Schwiegereltern ähnlich. In der Erinnerung überlagert sich manches. Längst ist das alte Fahrlander Pfarrhaus durch ein neues, größeres, zweistöckiges Haus ersetzt worden. Die Zeit ist über das alte hinweg gegangen.


Die amerikanischen Fahrradmechaniker und jetzt auch noch Aviatiker Wilbur und Orville Wright (sind das aber Namen – solche kommen in unserer Familie nicht vor) sind die ersten auf diesem Erdball, die einen Explosionsmotor in ein mit Segeltuch bespanntes, schwaches Holzgerippe einsetzten und die ersten Runden flogen. Wie kurze Zeit nur ist es her, da Otto Lilienthal mit des Windes Kraft durch die Lüfte zu segeln suchte!


1904

Mein Schwager August Dittwaldt, Zimmermann und Gastwirt, Ehemann meiner jüngeren Schwester Pauline, stirbt in Berlin SO 36, Kottbusser Damm 34, am 6. Juni. Er wurde 67 Jahre alt. Nun steht meine Schwester Pauline alleine da, aber die Kinder kümmern sich rührend um sie.

Im gleichen Jahr heiratet deren Sohn Max Dittwaldt, die Margarethe Goeritz.


1905

Mein Schwager August Gericke (Zimmermann, Tischlermeister, Kirchenältester), der Ehemann meiner bereits vor langer Zeit gestorbenen Schwester Friederike, stirbt nun auch in seiner zweiten Ehe am 17. Juni 1905, ¼ 5 Uhr am Vormittag an Herzschwäche. Alter: 73 Jahre / 4 Monate / 13 Tage. Er hinterlässt die vier erwachsenen Kinder aus seiner ersten Ehe mit Friederike.

Beerdigt wird er am 19. Juni 1905 auf dem Kirchhof (Mittelstraße). Quelle: KB 71 / 1905.

Im November bin ich nun 70 Jahre alt und blicke auf eine lange Zeit voller Höhen und Tiefen, Freude und Leid zurück. Manches fällt mir schon etwas schwerer.


1907

Am 1. April wechselt Johannes von der Zehlendorfer Gemeindeschule, als Lehrer an das Gymnasium. Hoffentlich übernimmt sich der Junge dabei nicht. Man wird sorgenbelastete Gedanken nicht los. Wenn die Kinder auch gestandene Erwachsene sind – sie bleiben doch die Kinder.


1908

Johannes ist jetzt 42 Jahre alt. Er beendet nach Jahresfrist seine Tätigkeit am Zehlendorfer Gymnasium zum 31. März. Irgendwie liegt ihm die Volksschule doch näher, mehr im Sinn. Einige der Großen sind doch mitunter etwas renitent, tragen die Nase schon höher – selbst gegenüber einem Herrn Lehrer.

Die Sehnsucht nach Liebätz, seinem Geburtsort, wohin es mich gedanklich immer wieder leitet, scheint bei ihm weniger ausgeprägt. Sein Empfinden zieht ihn eher in die Ferne. Ein Europäer. Ein Weltbürger.


1909

Auf dem Truppenübungsplatz „Bornstedter Feld“ bei Potsdam, zeigen die berühmten amerikanischen Aviatiker Wilbur und Orville Wright vor dem Kaiser und vielen anderen Prominenten ihr halsbrecherisch erscheinendes Können, hoch in den Lüften – wer hätte das gedacht? Und der Prinz traut sich sogar eine Runde mitzufliegen.


1911

Nach Jahren des Wohnens in dem alten Nowaweser Weberhaus lässt Enkel August Julius Otto Gericke das ererbte Kolonistenhaus von 1752 (mit späterem Anbau), Priesterstraße Nr. 19 abbrechen und auf dem Grundstück an gleicher Stelle in den Jahren 1911 /1912 ein großes, „vornehmes Miethaus“ errichten. Die Initialen „O. G.“ (Otto Gericke) wird man noch ein Jahrhundert später im Eingang lesen können. Im Hofbereich des Grundstücks liegt die Tischlerei, zu der auch die Sargherstellung gehört. Es ist bekannt, dass Otto gern ein Nickerchen in einem neuen Sarg machte, diesen als sein eigener Qualitätsprüfer „einschlief“. Er meint dazu, er hätte oft in einem Sarg gut geruht und – wie ungewöhnlich – dabei neue Kraft gesammelt. Er ist überhaupt zu überlegsamen Scherzen der trockeneren Art aufgelegt.


1913

Meine verwitwete jüngere Schwester Pauline Dittwaldt, geborene Zinnow, schließt in Zehlendorf, in der Düppelstraße 11, am 17. November für immer die Augen. Sie wurde 70 Jahre alt. Ihr August war ihr ja schon am 6. Juni 1904 (mit 67 Jahren) vorausgegangen.

So habe ich meine drei Geschwister überlebt. Ich hatte gewünscht, es wäre nicht so.


1914

Der Tod von 'Guste.

In Berlin, Bethanienufer 7, stirbt am 16. Juli 1914 Charlotte Louise Auguste Sotscheck, geborene Zinnow, im Alter von 78 Jahren. Ihre jüngeren Angehörigen geleiten ihre sterbliche Hülle auf den Alten Jakobi-Friedhof in Berlin zu ihrer verdienten Ruhe.



Damit schließt sich der Kreis des Lebens unseres Ehepaares

Gottlieb Sotscheck und seiner Frau Auguste, geborene Zinnow,

doch das Leben geht in den Kindern und Enkeln weiter.



Nun noch einige Nachbemerkungen zu „den Kindern“ der Mutter 'Guste:


1915

Sohn Johannes, ein erfahrener Lehrer, ist inzwischen 49 Jahre alt und hat, wie wir ja wissen, mit seiner Frau Johanna vier Kinder. Als Lehrer ist er im Moment noch unabkömmlich und braucht deshalb nicht mit in den Krieg ziehen. Die Familie lebt in den nächsten zwei Jahrzehnten weiterhin in Zehlendorf. Dort haben sie in der Cecilienstraße 20 eine Wohnung im Parterre.

Tochter Marie ist 47 Jahre alt und hat mit ihrem Mann Georg Friedrich zwei Kinder: Margarethe und Werner, der sich später Wernher schreiben wird.

Die Töchter von Auguste: Elisabeth ist 45 Jahre alt und Johanna 39 Jahre. Beide sind (leider) unverheiratet und betreiben die Geschäfte weiter, die ihre Mutter gründete und aufbaute. Auch 1915 wird wieder ein neues Berliner Adressbuch heraus gegeben. Für das Haus Berlin, Bethanienufer 7 ist vermerkt: Mehl- und Vorkosthandlung – Geschwister Sotscheck – und so wird es in guter Eintracht die nächsten zwei Jahrzehnte (nachgewiesen bis 1936) bleiben.

Tochter Martha ist 42 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann Wilhelm Starkloff in Essen.


1921

Georg Friedrich Bauer ist in den Pensionärsstand eingetreten, seine Frau Marie in das Rentenalter. Sie lassen sich wieder in Rangsdorf nieder. Nach dem Abschluss seines Studiums wird sich hier bald auch der Sohn Wernher Bauer einfinden. Das Leben in der Natur ist seinem Wesen viel besser angemessen, als ihm die quirlige Großstadt Berlin behagen würde.


1933

Otto Gericke und seine Ehefrau Marie, geborene Borchert, begehen in Nowawes, Priesterstraße 19, am 3. Juni 1933 ihre Goldene Hochzeit mit vielen Freunden und Verwandten. Wir Geschwister: Marie und Friedrich Bauer, Elisabeth und Johanna Sotscheck und unser Bruder Johannes mit seiner Johanna, sind auch dabei. Auch das Pfarrer-Ehepaar Viktor und Elisabeth Hasse, eine geborene Reichmuth, sind anwesend. Viktor Hasse ist hier seit 1928 Pfarrer in der Friedrichskirche.


1935

Johannes, inzwischen schon etwa vier Jahre Konrektor im Ruhestand, lebt für einige Jahre in Mariendorf, Schützenstraße 16.

Der Sohn Fritz von Johannes und Johanna, fast hätte ich es versäumt zu berichten, ist tatsächlich auch ein vielseitig interessierter, tüchtiger Lehrer geworden. Er hat eine schöne Neubauwohnung in Berlin, “der er für immer treu bleiben wird“.


1936

Otto Gericke ist drei Jahre nach seiner Goldenen Hochzeit gestorben. Am 12. Mai 1936, in seinem Hause Priesterstraße 19, vormittags zwischen vier und fünf Uhr, 80 Jahre alt. Beerdigt am 15. Mai 1936. (Kirchhof an der Wichgrafstraße). Standesamt Nr. 145 /1936. Stadtarchiv, Film P 326, Bild 80. Seine Ehefrau Marie, überlebt ihn zwar, stirbt aber auch noch im gleichen Jahr am 13. September. (Standesamt 264 / 1936).


1937

In diesem Jahr weist das Berliner Adressbuch für das Haus Bethaniendamm Nr. 7, (der Kanal ist seit 10 Jahren zugeschüttet, die Straße also kein Bethanien-Ufer mehr) in Berlin SO 36 aus: Sotscheck, Johanna, Geschäftsführerin. Es ist aber nicht erkennbar, ob sich Johanna als Geschäftsführerin der kleinen Mehl- und Vorkosthandlung bezeichnet, denn jene ist nicht ausgewiesen. Wir wissen aber auch nicht, wo und für wen sie ansonsten Geschäfte führen könnte. Johanna ist jetzt 61 Jahre alt.

Ihre ältere Schwester Elisabeth, die mit Johanna gemeinsam in der Wohnung Bethanienufer / Bethaniendamm 7 lebt, ist zu dieser Zeit nicht extra im Adressbuch erwähnt. In diesem Jahr jährte sich ihr Wiegenfest zum 67. Mal. Hoffentlich ist sie jetzt Empfängerin eines kleinen Ruhegeldes. (Wir können in der Familienforschung momentan nicht nachvollziehen, wie lange ihr Erdendasein währte, weil wegen der Kriegseinflüsse Adressbücherverluste jenen Großzeitraums zu beklagen ist. 1943 leben beide noch im Hause Felsendamm 57. (Im Register des Kirchenbuches der benachbarten St. Thomas-Kirche finden sich bis 1945 keine Sterbeeinträge und das Register-Buch endet 1945. Die Sammlung des Zentral-Archiv (heute im benachbarten Bethaniedamm 29 endet ebenfalls 1945, so dass weitere Nachforschungen nur direkt in den Kirchenbüchern der St.-Thomas-Kirchengemeinde möglich sind.)

Bruder Johannes ist 71 Jahre alt und pensioniert. Seine um zwei Jahre jüngere Schwester Marie Bauer lebt mit Mann und Sohn Wernher ebenfalls in Rangsdorf und die 64-jährige Schwester Martha im Ruhrgebiet.


1940

Johanna wird im Adressbuch (bis 1943, für den Zeitraum danach fehlen die Adressbücher) wiederum als Geschäftsführerin ausgewiesen, mit der Wohnanschrift SO 36, Felsendamm 57. Es handelt sich um das gleiche Haus wie bisher (Bethaniendamm 7), denn für die Zeitspanne eines Jahrzehnts, zwischen 1937 und 1947 wurde die Straße umbenannt. Auch fand die Um-Nummerierung der Häuser statt.

Hier noch einige Worte zum Luisenstädtischen Kanal, an dem das Bethanienufer = der Bethaniendamm = der Felsendamm anliegt:

Das Gebiet des Luisenstädtischen Kanals wurde nach Plänen des Landschaftsgestalters Peter Joseph Lenné angelegt und im Jahre 1852 eröffnet. Dar Kanal stellt eine Wasserstraße als Verbindung von Spree und Landwehrkanal dar. Als ein recht enger Schifffahrtsweg wurde er aber schon bald uninteressant. Auch stellten sich Probleme der Wasserhygiene ein. Deshalb wurde er 1927, 75 Jahre nach der Eröffnung zugeschüttet. 1929–1932 hob man das Kanalbett wieder aus und es entstand unter der Leitung des Gartenbaudirektors Erwin Bark eine tiefliegende wasserlose Grünanlage.

Ein Blick voraus: Nach dem Kriegsende, ab 1945, stellt der Grünzug zwischen Spree und Engelbecken an der katholischen Michaelskirche die Grenze zwischen dem sowjetischen und dem amerikanischen Sektor von Berlin dar. Das Engelbecken und der Luisenstädtische Kanal werden mit Kriegs-Trümmerschutt der zerbombten Häuser verfüllt und ab 13. August 1961 als schier unüberwindbare Grenzbefestigungsanlage, mit der „Berliner Mauer“ ausgebaut. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 werden die Grenzanlagen abgebaut, der verfüllte Kanal wieder ausgehoben und erneut eine tiefliegende Gartenanlage im alten Kanalbett gestaltet.

Doch nun wieder zurück in das Kriegsjahr 1940:

Johannes, der älteste der Geschwister zieht wieder nach Zehlendorf. Dort wohnt er mit Johanna im Hause „Glaszeile 22“.


1942

Am 22. November 42 wurde die Thomaskirche am Mariannenplatz bei Bombenangriffen zerstört. Zu dieser Zeit stand das Haus Felsendamm 57 noch (nachgewiesen bis mindestens Januar 1943).


1945

Die unverehelichte Johanna Sotscheck wird 68 Jahre alt, ihr Leben endet am 14. Februar 1945.


Johannes stirbt 1951, ihm folgt seine Ehefrau Johanna im Jahre 1954.

Der Schwester Marie Bauers Leben endet in Rangsdorf 1955, nachdem ihr Mann Georg Friedrich dort bereits 1938 gestorben war.


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Ein Nachwort.

Potsdam, am 14. Juli 2008


Meine lieben Sotscheck-Zinnow-Vorfahren, Gottlieb und Auguste!


Wie Ihr ja wisst, wurde die prächtige, barocke Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam in den Jahren 1730 bis 1735 erbaut. Diese Kirche brannte nach dem Bombardement in der Nacht vom 14. zum 15. April 1945 aus, nachdem der Zweite Weltkrieg, der von Deutschland ausging, in unser Land zurückgekehrt war.

Nach dem Verlust der Kirche, wurde im Juni 1968 auch der äußerst massiv gebaute Turmstumpf gesprengt, „um damit die Reste des preußischen Militarismus’ zu beseitigen“.

Vierzig Jahre sind vergangen. – Die Verhältnisse in Politik und Wirtschaft haben sich seither stark verändert.

Heute nun, im Sommer des Jahres 2008, als die Pläne für einen späteren Wiederaufbau von Kirchenschiff und Turm gereift sind, gravierte ich als Euer Nachkomme, Euren guten Familien-Namen „Zinnow“, verbunden mit einer kleinen Geldspende, in einen handgestrichenen, noch ungebrannten und somit weichen Glindower Tonquader. Dieser wird nach dem Brennen, als belastbarer Ziegel, gleichsam als ein kleines mittragendes Element in die Wand des Turmes der wiederaufzubauenden Kirche eingearbeitet und eine hoffentlich Jahrhunderte währende Erinnerung an Euch sein.

Ihr seid mit Eurer Familie verbunden.

Es grüßt Euch Euer Nachkomme Chris Janecke.



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Im Laufe der Zeiten sagte man in vielen Familien: „Es wurde früher so viel über die Familiengeschichte geredet. Man könnte noch so vieles aufschreiben und erhalten!“

Tatsächlich aber wurde wohl aus jenen guten Vorsätzen und Vorhaben zu selten etwas. So müssen auch wir uns bei dieser Lebensgeschichte vorerst mit dem vorliegenden, etwas mageren Stückwerk begnügen. Diese Schrift gilt also als grober Entwurf, zu dem gewiss einige Korrekturen erforderlich sind und viele, viele Ergänzungen angemessen erscheinen.




Anlage 1: Angaben zur genutzten Literatur

- Zu Nowawes: Notizen der Prediger Kropatschek und Stobwasser

- Standesamts-Einträge zu Geburten, Eheschließungen und Todesfällen.

- Zu Fahrland im Osthavelland: „Wanderungen“ durch die Mark, Theodor Fontane.

- Notizen des Philologen Dr. Wernher Bauer.

- Historisches Ortslexikon der Mark Brandenburg, Teil X (10), Jüterbog / Luckenwalde.

- Aufzeichnungen des Ortschronisten von Liebätz, Herrn Werner Ziege. / Festschrift: 725 Jahre

Liebätz, im Jahre 2010.

- „Aus vergilbten Blättern“, Geschichte von Pankow, Ferdinand Beier

- Kirchenbücher von Nowawes und Liebätz.

- Adressbücher von Berlin

- verschiedene Zeitungen und Zeitschriften



Anlage 2: Bildnachweis zum Originaldokument (einige davon in dieser Internetversion)



Bilder zum Text


Bildmotiv


1835

Das Dorf Stolpe mit dem Haus „Zinnow“ und dem Haus „Hönow“ Glienicker Straße

1835

Das Stadtschloss in Potsdam

1835

Mein Geburtshaus, Nowawes, Priesterstraße, Parzelle 60, (später Priesterstraße 18) ist später als kleines Museum „Weberstübchen“ eingerichtet.

1837

Die neue Nikolaikirche (zu Schinkels Lebenszeit vorerst mit Satteldach)

1837

Das Schloss im Park Babelsberg

1850

Ein Bild des Pastors Stobwassers

1855

Das Haus Nowawes, Priesterstraße 7 / 8, aufgenommen im Jahre 2010

1855

Der Flatowturm im Schlosspark Babelsberg

1856

Bewohner des Hauses Priesterstraße 11, 1855 / 1856 (Pfarrwohnhaus)

1856

Fahrland – Die Kirche und das Pfarrhaus, Windmühle, See und Feldflur

1857

Die Bibel zum Doppelgeburtstag der Eltern (Deckblatt, Widmung, Traktätchen)

1863

Kolonistenhäuser in der Lindenstraße zu Nowawes. Wurde vielleicht hierin Gottlieb Sotscheck geboren? Der Möglichkeiten aber gibt es viele.

1865

Die Friedrichskirche in Nowawes

1865

Der Horstweg bei Nowawes im Winter. Unsere Fahrt nach Liebätz

1865

Meilenweite Wege liegen zwischen Nowawes und Liebätz

1865

Rast auf dem Wege in die neue Heimat – Bilder von Blankensee, Ortsansichten

1865

Bilder aus Liebätz, Dorfanlage in Bild und Karte, Fotos Kirche, Wohnhäuser, Schule

1868

Der Umbauantrag für das Schulanwesen in Liebätz

1869

Bewohner des Hauses Nowawes, Priesterstraße 7, Albert Zinnow

1869

Das Dorf Pankow. Plan des Ortes und Ansicht der Kirche

1872

Lehrer und Küster Gottlieb Sotscheck in der Liebätzer Zeit, (Eine Atelieraufnahme)

1875

Berlin, Oranienstraße 174, Wohnung und Restauration der Familie Dittwaldt

1876

Meine jüngere Schwester Pauline (33 Jahre alt) im Kreise ihrer fünf Kinder

1877

Muttererde aus dem Vaterland, vom Friedgarten des Liebätzer Bugberges

1879

Auf dem Weg nach Luckenwalde. Bilder von dem Flüsschen Nuthe. Bilder aus der Stadt Luckenwalde. Gebäude der Fa. Falckenthal, Stadtplan

1879

Meine Wanderungen durch die Mark“. Landkarte mit Nowawes, Fahrland, Liebätz, Luckenwalde, Berlin.

1880

Fassade der Markthalle in Berlin, Dresdener Straße

1880

Ausfahrt mit der neuen Dampfkalesche

1881

Die erste Elektrische Straßenbahn in Berlin

1881

Das Waisenhaus für Lehrer- und Försterkinder, mit Lehrerseminar, Klein Glienicke

1887

Blick in den Kottbusser Damm.

Sicht auf die Häuser Kottbusser Damm 35 – 34 – 33.

Das Gebiet des angelegten Kottbusser Damms, einige Jahre zuvor.

1888

Eine Berliner Benzinmotor - Kraftdroschke

1889

Meine Schwester Pauline (geb. Zinnow) und ihr Ehemann August Dittwaldt

1890

Das Haus Berlin, Boppstraße 6

1890

Die letzte Windmühle an der Belle-Alliance-Straße

1890

Vergleich des Jahreseinkommens zweier sehr unterschiedlicher Berliner Familien

1890

Fernsehvergnügen 1890. Aufwühlende Erlebnisse im Panoptikum

1891

Otto Lilienthal gleitet

1893

Stadtplanausschnitt von Berlin Südost 36 (später Kreuzberg)

1893

Wir wohnen am Bethanienufer. Blick auf den Mariannenplatz, unsere Thomaskirche und das Krankenhaus Bethanien.

1893

Ein Blick in die Zukunft: Drogerie Sotscheck, Neuendorf, Eisenbahnstraße 7

1897

Das Taufgeschenk zur Geburt des Werner Bauer (ein Evangelisches Gesangbuch).

1897

Die Feuerwehr in Vorbereitung einer Löschübung

1898

Der erste Elektro-Autobus in Berlin

1899

Eine Motor-Taxometer-Droschke

1899

Ansichtskarten aus dem lieben Nowawes, gezeichnet von Otto Thomasczek

1900

Pferde – unsere treuen Kameraden

1900

Eine zeitgenössische Kücheneinrichtung

1901

Meine Nichte Klara Janecke, geb. Dittwaldt mit ihren Kindern Käthe und Richard

1903

Foto von Auguste Sotscheck

1905

August, der Mann meiner Nichte Klara Janecke, geb. Dittwaldt in seinem Freundeskreis. Auf dem Nuthe-Grundstück, Nowawes-Neuendorf, Wiesenstraße

1910

Unser Geld (Münzen)

1910

Unser Geld (Scheine)

Anhang 1

Unsere Kinder im Wandel der Zeiten

Anhang 2

Der Friedhof auf dem Bugberg in Liebätz

Anhang 3

Stammfolge Tischler Gericke Nowawes




Anlage 3: Einige Daten zur Chronik des Dörfchens Liebätz

So, nun schauen wir in die Historie, um den neuen Ort überhaupt erst mal kennenzulernen, damit ich bei den ersten Rundgängen nicht allzu viel übersehe“, sagt Auguste. „Gottlieb ist dagegen ja >ein alter Hase<“.


Die Bedeutung des Ortsnamens:

Der Name für dieses ursprüngliche Rundlingsdorf Liebätz ist slawischen Ursprungs. Die tatsächliche dem Ort zugedachte Bedeutung ist jedoch umstritten, sie ist nicht frei von Zweifeln.

Es liegen mehrere Deutungsversuche vor:

- Siedlung, gegründet von einem Mann namens „Lubek“.

- Benannt nach „Lubomir“, „dem, der den Frieden liebt“. Also auch „Das Dorf des Friedlieb“.

- Der Philologe Dr. Wernher Bauer deutet den Namen so: Das Dorf, welches „Liuba“, der

wendischen „Göttin der Liebe und des Friedens“ geweiht ist.

- Abgeleitet von dem wendischen Wort für „Tiefe“ oder „tiefliegender Ort“, was man den

tiefliegenden Feuchtwiesen der Nuthe-Niederung zurechnen könnte.

So messen verschiedene Leute dem Ort die Namensbedeutung zu, die ihnen am liebsten ist – andere scheren sich überhaupt nicht darum: „Dorf ist Dorf“.


Als Schreibweisen treten im Laufe der Zeiten u.a. auf: Liuba Ves, Li'ves, 1226–1266: Lubiz, 1285: Lubetz, 1435: Lubecz am Sehe (Anmerkung: am See, der inzwischen völlig verlandet, nicht mehr sichtbar ist), 1480: Lvbez, 1534: Lubetzk, 1598 Lubeetz, 1753: Lubetc, 1775 Libetz oder Liebätz.

Es treten auch unterschiedliche Schreibweisen nebeneinander zur gleichen Zeit auf, da man ja einer Vereinbarung einheitlicher Schreibweisen noch entbehrte und statt derer das lautmalerisch Gehörte aufnahm und in bester Absicht niederschrieb.


Im 6. und 7. Jahrhundert

Der Siedlungsort unseres heutigen Interesses wird bereits im Namensbuch Brandenburgischer Orte erwähnt.


1142

Der brandenburgische Markgraf „Albrecht der Bär“ erwirbt das Land der Heveller (Havelländer).


1171

Zisterziensermönche gründen das nicht weit entfernte Kloster Zinna. Neben den geistlichen und geistigen Lebensaufgaben, üben die Mönche fleißig etliche Handwerksberufe aus und betreiben Landwirtschaft.


1200

Die vorgenannten Mönche begradigen einige kürzere, stark mäandernde Streckenabschnitte des Flüsschens Nuthe und verkürzen somit das Gewässer.


1285

Das Kloster Zinna kauft unter der Führung von Abt Peter I., verschiedene Ortschaften von den Freiherren Olzan und Wedejan v. Richow: Luckenwalde mit Felgentreu, Frankenfelde, Frankenförde, Genkendorf (das spätere Jänickendorf), Godsdorf, Kolzenburg, Lubetz, Mehlsdorf, Ruhlsdorf, Waltersdorf und Zulkendorf.


1471

Die Eintragung des vorstehenden Kaufes, nun auch in das Erbbuch von Zinna, ist die älteste bisher aufgefundene Beurkundung, auch über Liebätz.


1480

Die Dorffläche umfasst 11 Hufen (Hf). Der Schulze hat ein Lehngut von 2 Hf. Des Weiteren leben im Dorf 9 Einhufner und 2 Kossäten mit ihren Familien.


1547

Im Zuge der Reformation wird das katholische Kloster Zinna aufgelöst (der letzte Abt heißt Valerian). Das Kloster kommt unter magdeburgische Verwaltung.


1562, 1584: (in jenen erfassten Jahren der gleiche Stand): Im Dorf leben 12 Hauswirte.

Im Kirchenvisitationsbericht des Jahres 1562 wird erwähnt, dass die Orte Kolzendorf, Liebätz, Märtensmühle, Ruhlsdorf und Woltersdorf, zu Luckenwalde gehören bzw., so in den genannten Orten Kirchen vorhanden, diese Filia der Mutterkirche zu Luckenwalde sind. Liebätz beispielsweise hat noch kein Gotteshaus. Märtensmühle auch nicht.


1598

Es wird in Liebätz eine Kirche errichtet, die auch zur Nutzung für die Gläubigen von Märtensmühle vorgesehen ist. Getrennte Bankreihen für die Orte „sorgen geflissentlich für eine trennende Verbindung“ zwischen beiden Einwohnergruppen. Direkt um die Kirche herum befindet sich der Gottesacker, eingefasst von einem Holzzaun. Diese Kirche wird bis 1855 ihren Bestand haben. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche erbaut man eine Schule mit Wohnraum für den Küster.


1605

Das Dorf ist abgebrannt.


1609

Im Dorf leben: Der Schulze auf seinem Hof und Land, 9 Hüfner und 2 Kossäten.


1637

Am 30. Mai wird Liebätz ein Opfer des 30jährigen Krieges. Die marodierende schwedische Soldateska und ihr Tross zündet das kleine Dorf an. Auch Kirche und Schule bleiben nicht verschont. Viel Vieh erleidet den Feuertod, wird vertrieben oder geschlachtet. Die Dorfbevölkerung versteckt sich auf der kleinen, bewaldeten Anhöhe, dem Liezenberg. Dieses Refugium kann nur auf einem versteckt durch das Sumpfgebiet führenden Knüppeldamm erreicht werden.


1642

Das Dorf ist erneut abgebrannt.


1648

Westfälischer Friede. Der lange Krieg zieht endlich aus dem abgebrannten, öden Land.


1654

Das Dorf, bisher nur notdürftig für die Überlebenden hergerichtet, wird wieder aufgebaut. Die Häuser stellt man auch jetzt im Halbrund, mit den Giebeln zur Kirche zeigend, auf.


1655

Eine Nachfolgekirche und eine neue Schule werden an ihren alten Stellen errichtet.


1680

Die Grundstücke des Klosters Zinna und die seit alters her dazugehörenden Ortschaften (wie auch das Dorf Liebätz) fallen vom Kurfürstentum Sachsen an das Kurfürstentum Brandenburg.


1684 und 1727

Es gibt wie ehedem 12 Güter im Dorf: 1 Schulze mit Hof und Land, 9 Hüfner, 2 Kossäten.


1706

Am 27. Juli geht über dem Dorf ein gewaltiges Gewitter mit Blitzeinschlägen hernieder.


1749 – 1755

In Liebätz leben: 10 Hüfner (Hfnr), darunter (1 Zweihfnr., 9 Einhfnr.), 2 Kossäten, 3 Büdner (Bdr.).


1772

10 Hfnr, 2 Kossäten, 4 Büdner, 3 Einlieger, der Kuhhirte, der Schäfer. Es wird erstmals ein Schulmeister erwähnt.

Wirte: 18 Männer, 18 Frauen, Alte Wirte: 5 Männer und 6 Frauen, Söhne über 10 Jahre ihres Alters: 14, Söhne unter 10 Jahren: 2, Töchter über 10 Jahre: 10, Töchter unter 10 Jahre: 6.

3 Knechte, 5 Mägde. In Summa 88 Seelen.


Man beginnt mit der planmäßigen Wasserregulierung der Nuthe. Dabei wird sie vertieft und auch verbreitert, so dass der Fluss von Luckenwalde bis zur Mündung in die Havel bei Potsdam, mit Flößen und kleinen Schiffen befahren werden kann.


1789

Am 21. Juni geht nach Blitzeinschlag ein Großbrand durch das Dorf. 10 Höfe brennen lichterloh und sind unrettbar verloren. Erhalten bleiben überhaupt nur 1 Bauernhaus, 2 Kossätengebäude,

5 Büdnerhütten und 2 Hirtenhäuser. Beim Wiederaufbau errichtet man Wohnbauten und Stallungen für die Tiere erstmals getrennt voneinander.

Die Hüfner heißen: Emmermacher, Chr. Reuter (Reutin), Peter Schulze, Lehmann (der Schulze / Ortsvorsteher), Felgentreu, Otto, Demler, Michael Reuter, Wulichleeger und Michel Schulze.


1791

10 Bauern, 2 Kossäten, 5 Büdner, 5 Hausleute oder Einlieger, insgesamt 20 Feuerstellen.


1801

Im Dorf sind angesiedelt: 1 Lehnschulze, 9 Ganzbauern, 2 Ganzkossäten, 1 Büdner. Es besteht ein Krug und das Nebenzollamt von Luckenwalde. Wald-Fläche: 100 Morgen (Mg) Holz.


1813

20 Hauseigentümer. Der Lehnschulze auf seinem Gut, 9 Bauern, 2 Kossäten, 5 Büdner. Offizielle Gebäude: das Gemeinde-Schulhaus, das Gemeinde-Kuhhirtenhaus, das Gemeinde-Pferde- und Schweinehirtenhaus.

Der Befreiungskrieg vom französischen Joch kommt uns bedrohlich nahe. In die Geschichtsbücher wird die große Schlacht bei Dennewitz im Süden, wie auch das Gemetzel im Norden, bei Großbeeren, eingehen.


1815

Frieden. Wiener Kongress. Von etwa 1815 bis 1819 wirkt bei uns der Küster und Schulmeister Jonas. In seinem Hauptberuf ist er ein Schneider. Er ruft die Kinder üblicher Weise mit der Klapper zum Unterricht. Seine Dreikant-Elle dient ihm als wichtiges Erziehungsmittel. Eventuelle Deliquenten haben sich zur Strafe auf die Kante jenes hölzernen Arbeitsinstruments zu knien. Der „Friede“ scheint also nicht allumfassend.

Das Schulhaus vereinigt den Lebensraum für den Küster / Lehrer / Schneider und seine Familie, die Ställe für seine Tiere und auch den Schulraum unter einem Dach.


1819

Unser neuer Küster und Lehrer heißt Lehmann. Was heute noch niemand wissen kann – bis etwa zum Jahre 1855, also ungefähr 36 Jahre lang, wird er die Liebätzer Kinder unterweisen.


1827

Die alte Schule bei der Kirche ist nicht mehr ausreichend. Sie gilt als baufällig. Es wird ein neues Schulhaus gebraucht, das sich aber nicht sehr teuer stellen darf. Außerdem gibt es immer wieder Ärger mit dem renitenten Küster und Lehrer Lehmann. Man will also die Schule und ihren Meister gern etwas von der Dorfaue hinfort setzen. Und so geschieht es denn auch. Drei Fußminuten liegen nun zwischen der neuen Schule und der Kirche. Das alte, marode Schulhaus bei der Kirche wird aber doch nicht abgerissen, man erkennt, dass es doch noch erhaltenswert scheint. Es wird noch einmal von kundiger, fleißiger, privater Hand grundlegend repariert und in einen Krug verwandelt. So hat Liebätz zum ersten mal in seiner Geschichte eine einfache Schankwirtschaft, von der Familie Ziege betrieben.

Wesentlich später notiert man, rückblickend auf das Schulwesen: “Die Gründung der Schule in Liebätz lässt sich nicht mehr genau nachweisen. Da aber der Lehrer auch zugleich Küster ist, wird die Annahme nicht ausgeschlossen, dass die Gründung der Schule in die Zeit des ersten Kirchenbaues fällt, also in die Zeit um 1598. Vor dieser Zeit fungiert der Küster von Luckenwalde bei Leichenbegängnissen. Die Liebätzer Einwohner hatten demnach an den Luckenwalder Küster den so genannten „Läutegroschen“ zu zahlen.

Wenn, wie oben angenommen, das erste Schulhaus 1598 erbaut wurde, so ist es auch schon am 30. Mai 1637 mit dem ganzen Dorfe eingeäschert worden. Das zweite Schulhaus, wie alle Gehöfte auf demselben Platz wieder erbaut, ist bei sämtlichen nachfolgenden Bränden verschont geblieben, bis es 1827 umgewidmet wurde“.


1837

Im Dorfe stehen 4 Webstühle. Es gibt 11 männliche und 8 weibliche Dienst-(kräfte, wohl Knechte und Mägde). 21 Wohnhäuser.

Karfreitag, den 19. April 1837: Dem Großbrand, der vom Hause des Hans Jürgen Michaelis ausgeht, fallen fast alle Häuser zum Opfer, nur die massive Kirche, die entfernte Schule und 2 Kossätenhäuser bleiben verschont. Es kommt aber auch viel Vieh um.


1840

4 Weber mit 2 Gehülfen und 1 Schneider betreiben im Ort ihre Gewerbe.


1850

Mit den Maßnahmen zur Begradigung des stark mäandernden Flüsschens „Nuthe“ ist dessen Länge in den zurückliegenden 80 Jahren von 23,2 Meilen (172 km), auf 17,5 Meilen (130 km) verkürzt worden.


1855

Die alte Kirche, 1598 erbaut, bedurfte bereits einer Abstützung des Turmes. Jetzt muss sie abgetragen werden, denn es besteht das „Gefährniß“ des Einstürzens.

In diesem Jahr nimmt Küster und Lehrer Heidepriem seine Arbeit bei uns auf. Er löst damit Schulmeister Lehmann nach den 36 Jahren seines Dienstes ab.


1856

An gleicher Stelle des abgetragenen Gotteshauses entsteht nun eine Kirche nach neugotischem Geschmacke, ein Backsteinbau mit Ziegeln im Reichsformat von etwa 8,7 x 4,7 x 2,2 Zoll (22 x 12 x 5,5 cm). Sie erhält ein Geläut von 2 Bronzeglocken, jedoch muss aus Kostengründen auf einen Turm verzichtet werden. Im Oktober ist der Bau vollendet. Die alte Holzeinzäunung des Gottesackers weicht einer neuen Backsteinmauer.


1858

152 Einwohner werden im Dorfe gezählt. Diese Personenzahl bleibt bis 1871 etwa konstant. Es gibt 5 Öffentliche Gebäude, 22 Wohnhäuser, 44 Wirtschaftsgebäude einschließlich der Getreidemühle.

1090 Morgen Gesamtfläche, davon 21 Mg Gehöfte, 10 Mg Gartenland, 585 Mg Äcker, 130 Mg Wiesen, 172 Mg Weiden, 172 Mg Wald (das sind etwa 570 ha).

Die Liebätzer Bauern besitzen das Recht des Fischens im artenreichen Liebätzer See. Unser See liegt etwa 10 Fußminuten in östlicher Richtung vom Dorfe entfernt. Die Kossäten und Büdner können sich und die ihren ebenfalls mit Fisch versorgen, müssen sich jedoch als Fanggründe mit den Ableitungsgräben im nassen Wiesenlande begnügen.


1860

Das Fischen in dem Liebätzer See geht in seinen Erträgen zurück. Man sagt, dieser schöne See, durch den bisher der alte Arm der Nuthe fließt, wird wegen des Anlegens des neuen Nuthelaufs verlanden. Der See erhält nun kaum noch einen Zufluss von Nuthewasser. Die in Luckenwalde entstehenden Fabrikationsstätten geben ihre Abwässer in den Fluss, was auch das verbleibende alte Rinnsal und damit den sterbenden Liebätzer See und die darin lebenden Tiere zusätzlich belastet. In späteren Zeiten wird er sich zu einem Seeluch, zu einem unergründlichen Morast umbilden, in dem Mann und Maus jämmerlich zugrunde gehen können.


1862

Küster und Lehrer Heidepriem weilte sechs Jahre unter uns. Jetzt findet ein Wechsel statt. Wir bekommen den jungen Lehrer Gottlieb Sotscheck. Er stammt aus dem Hause einer Nowaweser Weberei-Fabrikation und ist noch ledig, wohnt also vorerst bei den Brückmanns.


Nun berichte ich, die Guste Sotscheck, wieder weiter und setze mit unserer Ankunft in Liebätz, im Jahre 1865 ein. Dazu müsst ihr dann aber wieder zurück bzw. nach oben blättern.



Anlage 4: Liste der Küster und Lehrer in Liebätz


Familienname


Dauer der Dienstzeit in Liebätz


Der ungefähre Zeitraum ihres Wirkens in Liebätz

Der Gründungszeitpunkt für die Schule in Liebätz lässt sich nicht mehr nachweisen. Da aber der Lehrer auch zugleich Küster ist, gilt die Annahme, dass die Gründung der Schule frühestens in die Zeit des ersten Kirchenbaues fällt, also in die Zeit um 1598. In den Akten zum Ort wird im Jahre 1772 erstmals die Stelle eines Schulmeisters erwähnt. Namen bisheriger Lehrer sind nicht bekannt. Nun folgen jene Lehrer, deren Hiersein erfasst wurde:

Jonas

unbekannt

vor 1819

Anmerkungen: Der Küster und Lehrer Jonas ist im Hauptberuf ein Schneider. Er ruft die Kinder üblicher Weise mit der Klapper zum Unterricht. Seine hölzerne Dreikant-Elle dient ihm als wichtiges Erziehungsmittel. Eventuelle Deliquenten haben sich zur Strafe auf die Kante jenes Werkzeugs zu knieen. Das Schulhaus vereinigt Lebensraum für den Küster / Lehrer / Schneider und seine Familie, die Ställe für seine Tiere und auch den Schulraum unter einem Dach.

Lehmann

36 Jahre

1819–1855

Heidepriem

7 Jahre

1855–1862

Sotscheck

16 Jahre

1862–1878

Anmerkung: Sotschecks Dienst endet wegen seines frühen Ablebens im 41. Lebensjahr.

Schulz

14 Jahre

1879–1893

Richter

6 ½ Jahre

1893–1900

Schütz

24 Jahre, 2 Monate

1900–1924

Rodis, Erich Max

4 Monate, als Vertretung

1924

Anmerkungen zum Lehrer Rodis: Geboren am 14. Juni 1901, evangelisch. Er ist der junge Lehrer, der 1924 als übergangsweise Vertretung die Kinder in Liebätz vor seiner ersten Festanstellung unterrichtete.

1. Lehrerprüfung am 09. März 1921 in Jüterbog.

2. Lehrerprüfung am 11. September 1926 in Groß-Beuthen.

Mittelschullehrerprüfung in Mathematik und Erdkunde: 2. bis 6. Mai 1930 in Berlin.

Mittelschullehrerprüfung in Physik, Chemie und Mineralogie: 23. bis 29. Oktober 1931 in Berlin.

Festanstellungen:

Ab 01. Oktober 1924 an der evangelischen Volksschule in Groß-Beuthen.

Ab 01. August 1935 Hauptlehrer in Hennickendorf.

Ab 01. Juli 1936: Rektor in Wittenberge.

Ab 01. April 1939 Mittelschulrektor in Jüterbog.

Max Rodis war in Liebätz auch mit Fritz Ziege (1900–1945) befreundet. Er schenkte dessen Sohn Werner Ziege (25. Okt.1930 bis 24. April 2011), später Kirchenvorstand, Ortschronist) einen Weltatlas und blieb der Familie herzlich verbunden.

Palm

vermutlich 12 Jahre

etwa 1924–1936

Blech, Johannes

knapp 7 Jahre

1936–1943 bis zur Einberufung

Gonke

6 Monate, als Praktikant

1936

Hübner, Fritz



Hübner, Ingeborg

die letzte Grundschullehrerin in Liebätz


Quelle der Liste ohne die Anmerkungen: Aus der Aktensammlung zur Ortschronik von Herrn Werner Ziege, Liebätz.



Anlage 5: Das Verzeichnis der Wohnanschriften der Familie Sotscheck


Anzahl

Auguste

Gottlieb

01

seit der Geburt am 09. November 1835:

Nowawes, Priesterstraße, Parzelle 60, das ist

ab 1852 Priesterstraße 18 / 19, =>nach 1945: Karl-Liebknecht-Straße 23 und 24.

seit der Geburt am 17. Januar 1838

Nowawes, Lindenstraße No. _?

02

seit dem 03. Dezember 1855:

Nowawes, Priesterstr. 7, (rechts im 5-achsigen Kolonistenhause No. 7 / 8), =>Karl-Liebknecht-Straße 13

seit ca.1850

Nowawes, Parzelle 140 = später Kirchplatz 22

03

Nowawes Priesterstraße 11,

im Pfarrhaushalt, =>K.-Liebknecht-Str. 16

3a: ab 1853, Kirchplatz 5

3b: ab 1855, Kirchplatz 14

04

02. April 1856 bis 01. Oktober 1858

in Fahrland, im Pfarrhaus

seit nach 1856, Kirchplatz 16 7achsiger Bau von 1844 (Bauherr war Webermeister Friedrich August Baatz)

05

ab 01. Oktober 1858 wieder im Elternhaus,

Nowawes, Priesterstraße 7 / 8.

ab 1862 in Liebätz, im Hause Brückmann / Rosin

06

ab 18. Januar 1865 in dem kleinen märkischen Dorf Liebätz, im Schulhaus.

Das ist unsere einzige gemeinsame und „schwierige“ Wohnung für 13 Jahre.

07

ab 1879: Luckenwalde, Trebbiner Straße 15, Brauerei Falkckenthal. Dort Arbeitsstelle und wahrscheinlich auch der Wohnraum.

-

08

1880: Berlin - Südost, Naunystraße 22.

Das Haus wurde im Krieg zerstört.

-

09

1885: Berlin-Südost, Kottbusser Damm, Köbesches Haus (spätere Nr. 33)

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10

1890: Berlin-Südost, Boppstraße 6

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11

1893–16. Juli 1914: Berlin-Südost, Bethanienufer 7

Nach dem Zuschütten des Luisenkanals heißt die Straße Bethaniendamm und zwischen 1937 und 1947: Felsendamm mit Umnummerierung. Das Haus wurde zur Nr. 57

(im Krieg zerstört).

-


Anlage 6: Hörprobe (eine Tonbandaufnahme) der nachgestalteten Liebätzer Mundart um 1900 (liegt hier der Internetfassung nicht bei).


Gesprochen in Berlin-Lichtenberg im Februar 1969, von dem früheren Liebätzer Einwohner Gustav Lehmann.

Organisiert und textlich vorbereitet wurde die Sprach-Hörprobe von dem Freund des Dorfes Liebätz, dem Philologen Dr. Wernher Bauer aus Rangsdorf.

Das tontechnische Erfassen besorgte Chris Janecke. Die Kassetten beschriftete Richard Janecke aus Potsdam-Babelsberg.

Die Kassetten stellen ein Kulturgut dar, dass die damalige Aussprache für die Nachgeborenen aufbewahren und erhalten soll. Sie wurden mehreren Schulen im Kreis Luckenwalde für den Deutsch- und Heimatkundeunterricht sowie der Gemeinde Liebätz übereignet.


Ende –